Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - II. Abrahams Pilgerstand.

Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - II. Abrahams Pilgerstand.

Glücklich wer zu denen sich zählen kann, die mit dem Apostel sprechen: Wir haben einen starken Trost, wir, die wir Zuflucht haben und halten an der dargebotenen Hoffnung, welche wir haben als einen sichern und festen Anker unsrer Seele, der auch hineingeht in das Inwendige des Vorhangs! (Hebr. 6,18.) Wohl auch uns, wenn wir die dargebotene Hoffnung, das künftige Heil kennen, und können in allem Weh der Gegenwart darauf bauen und fest daran halten, als an einem sichern, unzerbrechlichen Anker!

Noch immer will ja in dieser trüben, bösen Zeit der lang ersehnte Morgen nicht tagen. Vieler Dinge, die uns im Anfang aufs Heftigste bewegten, sind wir nun schon gewohnt geworden. Wir fügen uns in das, was wir vor einigen Monden als den verhängnißvollen Umsturz aller Ordnung beklagten. Aber bringet uns nicht fast jede Tageskunde neuen Unheils Botschaft? Sehen wir nicht mit gerechter Besorgniß, wie unter den Wirren des öffentlichen Staatslebens auch der krankhafte Zustand unsers Geschäftslebens in welkende Ermattung hinsinkt und wie noch eine andere Heimsuchung sich uns nähert? Hören wir schon, wenngleich bis jetzt nur noch in der Ferne und mit schonendem Auftreten, von den Schrecknissen der Cholera, - so bestürzt uns, um auch das Kleinere, aber gewiß nicht das Geringere für uns zu berühren, auf unsern Feldern das traurige Fortschreiten der Kartoffelkrankheit, welche den gehofften Wintervorrath so Vieler in kläglichen Mangel verwandeln wird. Und was noch in dem allgemeinen Gange der Dinge zu Tage kommen, zu welcher Höhe und in welcher Macht der Unglaube, die Irreligiosität, der antichristliche Haß und die Feindschaft gegen die Kirche Christi sich noch entwickeln mag, wer kann das voraussagen? Der Gang der Dinge nicht allein, auch die Schrift selbst berechtigt zu schweren, zu bangen Erwartungen; aber, Gott sei Dank! dieselbe Schrift berechtigt uns auch, unter allem Dunkel zeitlichen Grauens auf ein künftig Heil zu schauen; dieselbe Schrift bietet uns auch eine Hoffnung dar, welche wir haben als einen sichern und festen Anker der Seele! Mag auch alles, spricht sie (Hebr. 12.), was beweglich ist, verändert werden, wir haben ein unbeweglich Reich, das bleibt, wie heftig es auch angegriffen und gestört wird, es bleibet ungehemmt: Gottes Rath führet es auch durch alle Erschütterungen hindurch zum endlichen Sieg und zur endlichen Vollendung! Wir haben es, rühmen die, die ihm eingebürgert sind und mit Mose sprechen: Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für! Zuflucht haben sie, eine Stätte sicherer Geborgenheit, wenn Noth und Leid und Aufruhr und Pest vorübergehen, eine Friedenshütte, in der sie mit David sagen: Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibet, der spricht zu dem Herrn: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe! (Ps. 91, 1.), und in fröhlicherem Tone noch mit dem Apostel: Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn? (Röm. 8, 35.) Das Wesen dieser Welt gehet vorüber, wie hoch ihre Drangsal auch steige, sie muh vorüber mit all ihrem Weh, dadurch zuletzt Eins nur neue Bahn und Raum gewinnen soll, das herrliche Reich des ewigen Friedensfürsten. In diesem Reich laßt uns unsre Hütte aufrichten und einen Altar darin bauen, wie Abraham that auf seinem Pilgergang, daß unser Pilgerlauf auch durch Nacht und Sturm hindurch ein gesegneter sei! Darum noch einmal: Glücklich wer diese Zuflucht hat und an der angebotenen Hoffnung hält, welche wir haben als einen sichern und festen Anker, der auch hineingeht in das Inwendige des Vorhangs.

Text: 1. Mose 12, 5-8.

Also nahm Abram sein Weib Sarai, und Lot, seines Bruders Sohn, mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und die Seelen, die sie gezeugt hatten in Harun; und zogen aus zu reisen in das Land Kanaan. Und als sie gekommen waren in dasselbige Land, zog Abram durch bis an die Stätte Sichem und an den Hain More; denn es wohnten zu der Zeit die Kananiter im Land. Da erschien der Herr Abram und sprach: Deinem Saamen will ich dies Land geben. Und er baute daselbst dem Herrn einen Altar, der ihm erschienen war. Danach brach er auf von dannen an einen Berg, der lag gegen den Morgen der Stadt Bethel, und richtete seine Hütte aus, daß Bethel gegen Abend und Ai gegen Morgen hatte, und baute daselbst dem Herrn einen Altar und predigte von dem Namen des Herrn.

So gehet denn Abraham, dem göttlichen Befehle gehorsam, aus seinem Vaterland, von seiner Freundschaft und aus seines Vaters Haus in ein Land, das der Herr ihm zeigen wollte. Er wußte nicht, wo er hinkäme, das neue Vaterland war ihm weder näher bezeichnet noch genannt. Er zog hin und kam in das Land Kanaan, und erst als er fast in dessen Mitte gelangt war, offenbarte ihm die göttliche Stimme, dies sei das Land, das der Herr ihm und seinem Saamen geben wolle. Also nun ist er in dem Gezelt der verheißenen Ruhe und wohnet sicher in den Hütten seines Erbtheils! Doch nein, so ist es nicht. Er ist immer noch ein Fremdling, ein Pilger, hin- und herziehend unter einem fremden Volke, hie und da Hütten bauend, und Altäre errichtend, als wolle er, indem er das Gebiet seines Eigenthums durchschritt, es zugleich dem Herrn heiligen. Und dann, so heißt es am Schluß, wich er ferner und zog.

Was will uns das sagen? Unsere äußere Lage in der Welt ist freilich nicht darin gezeichnet; es ist ein seltener Fall, daß wir in dieser Art von einem Ort zum andern wichen, um dann diesen zu verlassen und wieder weiter zu ziehen, wohl aber das innere geistige Verhältniß, worin die Berufenen Gottes zur Welt stehen. Unter diesem Gesichtspunkte wollen wir Abraham in seinem Pilgerstande betrachten, nemlich

  1. das Ziel, dem er entgegenstrebte,
  2. die Zusage, welche ihm dessen Erreichung verbürgte,
  3. die Gefahren, unter denen er stand, und endlich
  4. den Gottesdienst, welchen er übte.

1.

Also nahm Abraham sein Weib Sarah und Lot, seines Bruders Sohn, mit all ihrer Habe, die sie gewonnen hatten, und die Seelen, die sie gezeuget hatten in Haran, und zogen aus zu reisen - wohin? In das Land Kanaan! Es konnte uns neulich nicht entgehen, welch ein schmerzlicher Befehl es für Abraham sein mußte, fünf und siebenzig Jahre alt, allen liebgewordenen Gewohnheiten der Gegenwart, allen theuren Erinnerungen der Vergangenheit, allen heitern Aussichten der Zukunft zu entsagen; aber es lag ein Land vor seinen Blicken, das, weil das Land der göttlichen Verheißung, auch das Land seiner tiefsten und innigsten Sehnsucht geworden war. Sein Ziel, sein Ziel war Kanaan, ob es ihm gleich bei seinem Auszug noch nicht bekannt war, und nun zaudert er nicht. Er legt die Hand an den Pflug und das Nichtzurücksehn wird ihm leicht.

Theuren Freunde, das ist uns zum Vorbilde gesagt. Auch wir haben ein Land der Verheißung, und es soll das Land unsrer Sehnsucht werden und wir sollen ihm entgegenpilgern unermüdet. Haltet das nicht für eine willkührliche Deutung, die wir in diesen Vorgang hineinlegen ohne Fug und Recht. Sie ist vom heiligen Geist selbst gegeben, der von Abraham und von den Seinigen sagt: sie haben ein Vaterland gesucht und zwar, wo sie das gemeint hätten, von welchem sie ausgegangen, so hatten sie ja Zeit wieder umzukehren, nun aber haben sie eines Bessern, des Himmlischen begehret, und darum schämet sich Gott nicht, zu heißen ihr Gott, denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet. (Hebr. 11, 14.) Herrliches Ziel, das treuen Pilgern Gottes winket! O wie muß uns das Herz schlagen! Eine Stadt ist uns zubereitet, eine Stadt Gottes! Ein Himmel ist uns geöffnet, ein Himmel der Ruhe, der Erquickung, der ewigen Freude! O seliger Ausgang, wenn diesen der Pilgerzug gewinnt, den wir durch das rauhe Thal der Sorgen, der Schmerzen, des Grams und der Todesschatten ziehen!

Noch ist nicht erschienen, was wir sein werden, aber sage niemand, daß es darum nicht vorhanden sei, weil wir es nicht geschaut haben. Auch Abraham war das Land unbekannt, das vor ihm lag, aber er wußte, daß es vorhanden war und zog aus, es zu erreichen. O wäre das doch unser aller Sinn! Die ewige Heimath, das gelobte Land ewiger Gerechtigkeit, Ehre und Seligkeit, Hütten des Friedens und der stolzen Sicherheit, eine Kraft und Jugend, die nie welkt, ein Leben, das nie altert und stirbt, eine Verklärung in das Bild des Sohnes Gottes, ein Himmel in uns und um uns in Ewigkeit, - o sehet, das ist das schimmernde Erbtheil, das uns die Vaterhände Gottes hoch entgegenhalten; dazu hat dich, o armes Menschenkind, dein Gott geseht, o siehe an das glänzende Kleinod deiner Berufung in Christo Jesu! Dem Gedanken öffne einen weiten, stillen Raum im Innersten deines Gemüthes; er gebühret ihm, und nicht nur dann und wann, daß er etwa in großer Bedrängniß, in schwerer Anfechtung oder in Todesnähe dir das Herz bewege, sei es zu Sorge, sei es zu Trost, o daß er dir immer im Sinne läge, wie dem Pilger das Vaterland, wie dem Reisenden die Heimath! Daß das verheißene Land das Ziel werde, nach welchem dein Herz entbrennt wie das Herz Davids, wenn er sagt: o Jerusalem, wenn ich dein vergesse, so werde auch meiner Rechten vergessen, nach welchem dein Auge unverwandt sich richtet, wie die Augen Daniels in seinem Sommerhause mit den offenen Fenstern gegen Jerusalem, und welchem dein Fuß treu entgegenstrebt, in der Weise, wie wir von dem Herrn lesen: er wandte sich stracks gen Jerusalem zu gehen!

O wenn das wäre! Aber Tausende erkennen es nicht, daß sie auf Erden einem Erbtheil der Heiligen im Licht entgegenreisen sollen, gehen hin unter den Schattenbildern dieser Welt, sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird, sorgen und es geschieht um nichtige zeitliche Dinge, verschwinden endlich selbst, wie leere, bedeutungslose Schatten dahinfliehn; und wenn es das nur wäre, wenn nicht das schauervolle Wort dastände: sie weiden sich als auf einen Schlachttag! O theure Freunde, nicht diesem entsetzlichen Abgrunde zu, ich bitte euch! Erkennet doch die unaussprechlich große Absicht Gottes über euch, aber erkennet auch den unermeßlichen Jammer, wenn ihr sie nicht an euch erfüllen laßt! Sehet die lichten Höhen, die euch als euer Erbe gezeigt sind, aber sehet auch die düstern Kammern des Todes und schaudert davor! Sehet die Freudenfülle und das liebliche Wesen zur Rechten unsres Gottes ewiglich, aber sehet auch das Elend der Verwerfung von dem Angesicht Gottes und erschrecket davor! Sehet die Aufnahme in die Hütten des ewigen Friedens, aber sehet auch das Versinken in das Thränenmeer der Verzweiflung, das sich denen öffnet, die sich selbst des ewigen Lebens nicht werth geachtet haben! O lasset euch Jerusalem im Herzen liegen und sprechet in rechtem Pilgersinn:

Ich habe die Stadt von ferne gesehn,
Und ohn' Ermüden will ich ihr näher ziehn
Und ihre hellen goldenen Gassen
Lebenslang nicht aus den Augen lassen.

2.

O ihr sterblichen und unsterblichen Menschen, die ihr seid wie das Gras, das heute steht und morgen abgehauen wird und das doch nicht da liegen bleibet auf dem Felde unbeachtet, sondern es wird in Bündel gebunden und es ist ihm ein Entweder - Oder vorbehalten, entweder in den Feuerofen oder in die himmlischen Scheunen des Vaters - mit Blicken der Wehmuth, der herzlichsten Liebe sehe ich euch an, haltet doch das Ziel, das Ziel eurer Pilgerbahn, haltet vor Augen, daß ihr die Verheißung, einzukommen in seinem Reiche nicht versäumt und eurer keiner dahintenbleibe, das ist das Erste.

Die erneuerte Zusage aber, wodurch Gott diese Verheißung versiegelt, ist das Zweite, das wir auf dem Pilgergange Abrahams bemerken, der Stecken und Stab, an welchen er sich hält. Er war ausgezogen mit seinem Weibe und mit Lot mit aller ihrer Habe, die sie gewonnen hatten und mit den Seelen, die sie gezeugt hatten, das heißt mit den Knechten, die sie zum Dienst ihres Haushalts und besonders zur Besorgung ihrer zahlreichen Viehheerden erworben hatten. So ward der Jordan überschritten und man gelangte bis gen Sichem, das spätere Sichar in Samarien, in dessen Nähe sich der Jacobsbrunnen befand, wo, da die Zeit erfüllet war, der Heiland mit einem samaritanischen Weib von dem Wasser redete, das in das ewige Leben fließet. Fast in die Mitte des Landes also war Abraham gelangt, aber er fand es allenthalben dicht bevölkert, denn es wohnten zu der Zeit die Kananiter im Lande. Ist nun hier die Stätte, da sein Fuß ruhen soll? hier, wo zur eigenen Niederlassung offenbar kein Raum vorhanden war? Da bedurfte es einer erneuerten Versicherung, einer Versiegelung der göttlichen Zusage. Wir hören: da erschien der Herr Abraham und sprach: Deinem Saamen will ich dies Land geben!

Solcher göttlich beglaubigten Zusage unsres himmlischen Erbes bedürfen auch wir, und wenn wir die nicht hätten, wo wäre dann unsere Zuversicht und unser fester Trost? Ein verheißungsvoller Schimmer des Landes, das Gott uns zeigen will, geht uns auf in den tiefen Ahnungen unsres Gemüths. Es ist dem Menschen die Ewigkeit in's Herz gelegt. Das unausrottbare Gefühl einer anderen Welt, einer Welt der Vergeltung, ist in Aller Seelen gegründet. Diese Ahnungen indeß, diese Gefühle sind so unbestimmt, der Augenschein dessen, was sich an den Sterbebetten und im Grabe begießt, tritt ihnen entgegen, sie werden von Zweifeln bestürmt. Zudem kann der Blick in eine andere Welt allein uns nicht genügen, wir sehnen uns nach der Gewißheit einer höheren, seligen Welt. Sind wir tüchtig, sie zu erlangen? können wir selbst uns das Recht ihres Besitzes erwerben? Und wenn wir das nicht können, wo liegt die Bürgschaft unsrer Erwählung? Deinem Saamen will ich dies Land geben, so spricht die göttliche Stimme. Geben, merket das, Geliebte; eine Gabe, eine reine, unverdiente Gabe, seines ewig freien Liebeswillens ist unsre Seligkeit. Eine Seligkeit ohne Maß und ohne Ziel,; - ach, was könnten wir dafür bieten?

Aber achtet wohl darauf, wem wird diese Versicherung gegeben? Deinem Saamen, spricht die göttliche Stimme, seinen geistlichen Kindern, die in seinen Fußstapfen wandeln, will der Herr das Land geben. Wer athmet also in der Luft des guten Landes? Solche, die wie Abraham, den Tag des Herrn gesehn, die aus den Grenzen dieses ihres irdischen Vaterlandes ausgezogen, die dem Grabe des fleischlichen Sinnes entstiegen sind und in dem Licht eines Glaubens stehn, welcher die Welt überwunden hat, kurz, begnadigte Seelen, die aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind. Diesen gilt das Testament der göttlichen Verheißung, durch das Blut dessen versiegelt, von welchem der zugedachte Segen über alle Geschlechter kommen sollte, durch den Hingang dessen verbrieft, der vorangegangen ist, uns die Stätte zu bereiten und in welchem alle Gottesverheißungen Ja und Amen sind. Worauf ruhet also die volle Zuversicht? Sie ruhet nimmermehr auf uns selbst und auf dem losen Sande unsres Thuns und Lassens, sondern auf dem Felsen der großen Gnadenthat, der die Welt in Christo versöhnenden Liebe. Den starken Trost, von dem wir vorhin den Apostel sprechen hörten, haben, die diese Zuflucht haben und halten an der dargebotenen Hoffnung, als an dem sichern und festen Anker, der auch hineingeht in das Inwendige des Vorhangs. Christum halten, der die Reinigung von unsern Sünden gemacht hat durch sich selbst und in dem wir die Gerechtigkeit haben, die vor Gott gilt, ihn so halten im Glauben, wie, um mich des trefflichen Gleichnisses Luthers zu bedienen, der Reif des Ringes den köstlichen Edelstein hält, in diesem Glauben sich immer neu mit ihm verbinden, sehet, das ist die Kraft und das Geheimniß des Trostes, den wir in der Angst der Welt, unter dem Gefühl der Sünde und im Gedränge des Todes haben sollen. Lobe den Herrn, meine Seele! Vergiß es nicht, was für theure Zusage, was für heilige Gnadenthaten dir gegeben sind, daß du eine Zuversicht habest, die dich auf starken, allmächtigen Fittigen in das gelobte himmlische Land trägt! Ihr Christenherzen allesammt, wagt's denn auch getrost in jeder Trauernacht der Gegenwart an diese Sterne der treuen und wahrhaftigen Zusage eures Gottes die Augen zu heften, und ihres Lichtes mitten unter den Gefahren eurer Pilgertage euch zu erfreuen. Und welches sind denn diese Gefahren?

3.

Wir sehn die Gefahren der Wanderungen Abrahams angedeutet in den Worten: es wohnten zu der Zeit die Kananiter im Lande, die elf Völkerschaften, welche uns l. Mose 10, 15. genannt werden. Nachkommen Kanaans, des Sohnes Ham; ein unselig Geschlecht, beladen mit dem Fluch, welchen die Versündigung Hams an Noah über das ganze Geschlecht geworfen; ein götzendienerisch Geschlecht, das schon damals den stillen gottesfürchtigen Sinn Abrahams mit demselben Haß ansehn mußte, in welchem es auch später gegen das Volk Gottes und seinen heiligen Dienst entbrannt war. Mitten durch das unschlachtige und verkehrte Geschlecht geht Abrahams Pilgerweg hin, und sehet ihr in dem seinigen nicht auch den unsrigen dargestellt?

Auch in dem Lande unserer Wallfahrt wohnen die Kananiter und es ist nicht schwer, darin die Gefahren zu erkennen, die uns drohen, die Feinde, mit denen wir zu streiten berufen sind. Wir beten täglich: „führe uns nicht in Versuchung;“ wir haben Luthers Erklärung dieser Bitte gelernt, „daß Gott zwar niemand versuche, aber daß wir bitten, der Teufel, die Welt und unser Fleisch möge uns nicht versuchen zu Mißglauben, Verzweiflung und andern großen Schanden und Lastern“ - siehe, diese Feinde sind gemeint! Mitten unter diesen widerstrebenden Gewalten und im Widerstand gegen dieselben muß sich das rechte Christenleben entwickeln und siegend bewähren. Unsre Gefahr aber ist groß und unleugbar. Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nemlich mit den Herren der Welt, welche in der Finsterniß dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel, sagt der Apostel; (Eph. 6, 12.) und sagt er damit zu viel? O wie ist mir gerade in dieser unsrer Zeit dieses Wort so klar, wie ist mir oft so unheimlich dabei geworden! Wird sich doch Niemand des Gefühls haben erwehren können, es seien Mächte der Finsterniß offenbar geworden, die, aus der dunkeln Tiefe ihres Abgrundes entbunden, ihr arges, blutiges Spiel treiben. Ich erinnere euch an die Stimmen, die frei vor den Ohren des ganzen deutschen Volks selbst die Wahrheiten der allgemeinen, natürlichen Religion verneinen, bis zur Verleugnung jedes Bandes der Abhängigkeit von einem höhern Wesen verneinen, und die sich gegen Christum und seine Wahrheit mit demselben Spott und Hohn auflehnen, wie es einst die Stimme derer that, zu welchen der Herr sprach: Ihr seid vom Vater, dem Teufel und nach eures Vaters Willen wollt ihr thun. (Joh. 8, 44.) O hüten wir uns, daß der Gott dieser Welt nicht auch unsre Augen verblende, daß wir nicht sehn das helle Licht des Evangelii von der Klarheit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes! (2 Cor. 4, 4.) Die Gefahr ist vorhanden, sie tritt uns noch mit andern Anläufen entgegen. Auch unser Weg gehet durch eine Welt, die im Argen liegt: wo viel heidnisch Wesen, das uns ringsum umgiebt! wo viel Verlockung durch die reizende Lust und durch die niederdrückende Last der Welt! wo viele verführerische Freunde, welche deine unsichere Ueberzeugung darniederreißen und mit Wort und Beispiel, Leichtsinn, Eitelkeit und Weltsinn wecken und entzünden! Hüte dich, vertraut mit diesen Kananitern zu werden und dich von ihnen anziehn zu lassen; berühre sie nicht! Und endlich in deinem eignen Herzen wohnen diese Kananiter; und darunter verstehe ich alle Regungen und Begierden deines natürlichen Lebens. Diese Kananiter warm ja freilich auch Noahs Kinder, aber seine entarteten. So ist es auch mit den Neigungen und Trieben unsres Herzens. Sie sind ja freilich ursprünglich durch die Hand des Schöpfers der Menschennatur eingepflanzt, aber sie sind entartet, es ist von anderswoher ein Gift in sie eingedrungen. Sie sind verunreinigt, aus ihrer ursprünglichen Richtung nach oben abgewichen. Wie ist das Gold so gar verdunkelt und das reine Gold so häßlich geworden! (Klagl. 4, 1.) Darum behüte und bewache eine jede dieser Regungen, daß sie nicht kananitisch ausschlage! Nimmst du sie nicht unter ernste Zucht, wie leicht und ehe du dich's versiehst, wird's dann geschehn, daß das Wissen sich zum Dünkel und das Selbstgefühl zur Selbstsucht und Anmaßung aufblähet, daß der Unwille zu Zorn und Rache, die Freude am Eigenthum zu Geiz, die Lust des Erwerbes zu Habsucht, das Bedürfniß der Ruhe zu Trägheit, der Trieb der Erhaltung zu Eigennutz ausartet. Wie sind meiner Feinde so viel, ruft David, und wie wird mir's ergehn unter all diesen Hetzen und Schlingen meines Weges, wenn ich je aufhöre, gegen diese Gefahren des Versuchers, der Welt und der eignen Gelüste auf der Hut zu stehn, wenn ich nachlassen werde, Zuflucht zu nehmen zu dem rettenden Hort und mich auf den einigen Grund des Heils zu befestigen? Das that Abraham und ward auf seinem Pilgerwege durch eine höhere Kraft stark und mächtig gegen die Anläufe von außen und gegen die Schwächen inwendig.

4.

Wo suchte er diese Kraft für sich und für die Seinen? Durch die Gottesdienste, antwortet unser Text, die er auf seinen Wanderungen stiftete. Wir lesen zweimal davon. Bei der Stätte Sichem, unter dem Schatten des nahe daran liegenden Terebinthenwaldes More zuerst. Er erbaute daselbst dem Herrn einen Altar, der ihm erschienen war. Sodann auf einem Berge zwischen Bethel und Ai, und baute daselbst einen Altar und predigte von dem Namen des Herrn. Er predigte vielleicht den Kananitern? fraget ihr. So scheint es nicht. Er vermied vielmehr jedes Zusammensein mit den abgöttischen Eingebornen des Landes; wir haben keine Spur davon, daß er diese zu den Altären gerufen habe, welche er hie und da auf seinen Ruheplätzen dem Herrn erbaute; ohne Zweifel waren es jedenfalls die Seinen, seine Familie, seine Hausgenossen, die er um diese Dank- und Betaltäre sammelte, mit denen er Gottesdienst pflegte, denen er von dem Namen des Herrn predigte, der ihm erschienen war. Ihnen bezeugte er die heiligen Offenbarungen, deren der Herr ihn gewürdigt; ihnen öffnete er das Verständnis) der Gnade, in deren Morgenlicht er selbst stand und deren vollen Glanz über alle Geschlechter auf Erden er von ferne aufgehn sah. In ihre Herzen suchte er die Gluth der Andacht, des Dankes, der Liebe und eines himmlischen Sinns zu senken; - hier die Gemeinde in recht eigentlichem Sinn, berufen, das Reich Gottes in sich zu tragen; hier die Auswahl der Gnade, die vor allen Verderbnissen des Götzendienstes bewahrt, ausersehn war, abgesonderte Gefäße zu sein, darin der Schatz der Erkenntniß des Heils ruhe. Dieser Hausgottesdienst Abrahams, welch ein Vorbild für uns alle! Hausgottesdienst! So soll denn auch deine Wohnung eine Stätte der Ehre des Herrn sein. Ob sie in einem weiten, geräumigen Hause sei, oder in einer, stetem Wechsel unterworfenen Herberge, wie Abrahams Wanderhütte, oder in einer engen Stube, überall soll sie durch Erhebung deiner Seele zu einem Heiligthum Gottes geweihet werden. Wir fürchten den Einwand nicht, daß die Zeit sich ja geändert habe, jene patriarchalischen Tage seien verschwunden, in denen mit der Würde des Hausvaters auch, die des Priesters verbunden gewesen. Seitdem nun in der Kirche des Herrn besondere Aemter bestehn, dadurch der Leib Christi erbaut werde, bedürfe es nicht mehr, daß der Hausvater des Dienstes am Wort und am Gebete pflege. Wer erkennt nicht, daß diese Einschränkung des Gottesdienstes auf die Kirche eben so viel sei, als Wort, Gebet und Frömmigkeit vom täglichen Leben ausschließen? Aber einen andern Einwand fürchten wir und hören ihn oft, den, daß es an Zeit und Geschick dazu mangle. O wenn es nur nicht an Lust dazu mangelte, die Zeit würden wir finden! Abraham fand sie unter der Mühewaltung eines ausgedehnten Haushaltes. Wie aber kann noch einer klagen, es fehle an Geschick, da uns ein solcher Reichthum an Hülfsmitteln der Erbauung in Gebeten, Gesängen und trefflichen Auslegungen der Schrift zu Gebote steht? Theure Freunde, es gab eine Zeit, - ach, daß Man sagen muß, es gab! - da war die fromme Sitte des häuslichen Gottesdienstes herrschend, sie war in der Ordnung des Tages. Jede Familie fing mit Gebet, auch wohl mit Gesang den Tag an und beschloß ihn eben so, wie sich auch nicht leicht jemand ohne Gebet zu Tische gesetzt hätte oder vom Tische aufgestanden wäre. Wir nennen dies die gute, alte Zeit, sie ist nicht mehr vorhanden; können wir uns wundern, daß auch ihr Segen nicht mehr vorhanden ist? O ihr Hausväter in dieser Versammlung, die ihr die Sitte gemeinschaftlicher Andacht mit den Euren verloren habt, rufet sie zurück! Thut es noch heute und unausgesetzt von heute an! Wie vieles wird dann anders, ganz anders werden in eurem Hause! Was gilt's, ob denn die Bitterkeit, die oft selbst unter den Gliedern Eines Hauswesens so tiefe Wurzel geschlagen hat, nicht weichen wird, ob ihr nicht mancher Untugend werdet frei werden, die euch jetzt so mächtig beherrscht; ob die Versuchungen, denen ihr im Wohlleben ausgesetzt seid, euch noch länger umstricken, ob ihr den Unmuth, mit welchem ihr die Noth, die über euch verhängt ist, traget, nicht überwinden werdet, ob nicht ein neues Band einträchtiger Liebe sich um euch schlingen, ob nicht ein neuer Eifer nach Gottes Reich in euch erwachen wird? Ich habe von vielen Seiten den mannigfaltigen Segen des häuslichen Gottesdienstes dargelegt, o lasse ihn doch ein Jeder über sich kommen und auf ihm ruhen! Die Pilgerzeit unsres Lebens ist eine so kurze, und sie ist uns doch zum Gewinn des ewigen Lebens gegeben. Die Gefahr, daß dieses Ziel sich in der Unruhe unsrer Tage, unter den Zerstreuungen unsrer Geschäfte verdunkle und wie im Nebel verliere, ist so groß, wohlan denn, erweckte Seelen, die ihr eure Seligkeit zu schaffen gedenkt und mit den Eurigen sie zu erlangen wünscht, o versäumt den häuslichen Gottesdienst nicht, und hebet täglich heilige Hände und Herzen auf zu eurem Gott! Wollte Gott, daß von Abrahams brennenden Altären eine Gluth der Nacheifrung in alle unsre Wohnungen ausgestreut würde! und Keiner von hinnen ginge, der nicht Josua's Vorsatz mitnähme: ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen! Amen.

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