Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Sechste Betrachtung.

Welch Glück, o Jesu, dein zu seyn,
Und hier in deinem Dienst allein
Mit Freuden sich zu üben! -
Wer liebt, wie du? - Wer rettet mich? -
Wer gab sich in den Tod für mich? -
O sollt' ich dich nicht lieben? -
Mein Theil!- Mein Heil! -
Dir ergeben,
Sey mein Leben, .
Sey mein Sterben,
Deinen Himmel einst zu erben!

Text: Joh. 13, V. 23. .
Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische saß an der Brust Jesu, welchen Jesus lieb hatte.

Um diese Stelle richtig zu fassen, erinnern wir uns auch hier wieder an den feierlichen, letzten Abend, den Jesus vor seinem Tode auf Erden zubrachte. Bei dem bedeutungsvollen Mahle, das der Fußwaschung folgte, war es, wo, wie der Text sagt, einer an der Brust des Herrn lag, den er lieb hatte. Wir wissen, aus dem Zusammenhange der Begebenheiten, es war dieß der Jünger Johannes.

Wenn wir uns im Geiste in jene feierliche Verssammlung versetzen, so beschäftigt uns wohl zunächst der Gedanke, wie unendlich verschieden das Gefühl eines Judas, der sich bewußt war, von Jesu in seiner Verabscheuungswürdigkeit erkannt zu seyn, und das eines Johannes, der sich von seinem Herrn und Meister geliebt sah, gewesen seyn müsse. Die Gefühle beider waren wohl einander so entgegengesetzt, als es die Empfindungen des Frommen und dessen, der sich anschickt, vorsätzliches Unrecht zu begeben, immer sind. Aber wie in der Geschichte Jesu alle Charaktere schärfer hervortreten, das Gute in seiner Nähe sich gleichsam verklärt, das Böse dagegen er höht scheint; so mag auch hier noch eine weitere Verschiedenheit statt gefunden haben. Wie dem auch sey, wir möchten das Gefühl eines Johannes theilen! Wie muß er durch dasselbe beglückt worden seyn? So nahe dem Heiligen, dem Guten, so werth gehalten von dem göttlichen Meister! - In wem sollte nicht der Wunsch rege werden, einer gleichen Beseligung sich erfreuen zu können?

Laßt uns heute

über das Glück, von Jesu geliebt zu seyn,

reden und das Vorbild des Johannes selbst soll uns lehren:

wie dieses Glück erworben wird? und
was wir damit erwerben?

1.

Johannes, war von Jesu geliebt, so sagt uns zunächst die ausgehobene Stelle, so sagt uns vielfach anderes, was wir aus der Geschichte des Herrn wissen. Johannes hatte seinen Platz neben Jesu, das Haupt an dessen Brust gelehnt, und da der Meister seine Jünger durch die ernste Rede: „Einer unter euch wird mich verrathen“ - betrübt hatte, wandten sich alle an den besonders geliebten Johannes mit der Bitte, daß er erforschen sollte, wen der Meister gemeint habe? - Wir sehen also, es war unter den übrigen Jüngern eine ausgemachte Sache, daß ihn der Herr besonders liebe. Bei dem allen finden wir keine Aeußerung, die uns zeigte, daß Johannes diesen Vorzug geltend gemacht habe. Er ist nicht unter denen, die um den Vorrang streiten, und mit einigem Selbstgefühle fragen: Wer jenseits der Erste seyn werde? - Er tritt nicht etwa zu seinen Genossen und spricht: Wohl sehet ihr deutlich, der Herr liebet mich vor euch allen, erkennet meinen Vorzug. Er thut nicht, wie wir in gleichem Falle wohl gethan hätten, wir, die wir so gerne uns eines Vorzugs rühmen, der uns vor andern wird, ihn geltend zu machen suchen und uns überheben. Der Liebling des Herrn thut nicht also - er ist demüthig, und eben diese Demuth ist es, die ihm zunächst die Liebe seines Meisters erwirbt.

Diese, von gar Vielen gering geachtete, so oft selbst verhöhnte Tugend, sie ist es, welche auch uns zunächst den Beifall und die Liebe unsers Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi verschafft. Ohne Demuth ist an eine Freundschaft mit Gott und dem, was Gottes ist, gar nicht zu denken. Mit der Anerkennung unserer Ohnmacht und unseres Nichts im Vergleich mit Gott, unserer Unwürdigkeit, vor dem Heiligen und Gütigen damit beginnt, wie bei ganzen Völkern, so auch bei dem Einzelnen gleichsam alle Religion. Diese Erkenntniß unserer Ohnmacht, diese Anerkennung dagegen der höchsten Macht, dieß Bedürfnis nach Schutz, Beistand, Gnade von Oben her, das bindet eben zuerst an Gott, ist Religion. Ohne Demuth ist also Religion überhaupt nicht möglich, am wenigsten aber christliche Religion. Wir haben es erst aufs Neue bei der Betrachtung des Ereignisses, da Jesus vor seinen Jüngern sich demüthigte, erkannt, daß, wer Christus nachfolgen will, zu dienen bereit seyn müsse, zu dienen, wie Christus kam, um zu dienen. Der Stolz ist Feindschaft wider Gott, den Demüthigen gibt er Gnade, den Hochmüthigen aber widersteht er.

Die Liebe Jesu erwarb sich Johannes ferner durch seinen eignen liebevollen Sinn. Wie in Christus selbst, Liebe die strahlendste aller seiner Tugenden war, so trat sie auch in Johannes hervor, und das eben war der Grund der Gemeinschaft des Jüngers mit seinem Meister. Jeder Zug, den uns, die Evangelisten aus dem Leben Johannes mittheilen, stellt uns ihn als den Sanften, Friedfertigen, Gelassenen, Liebevollen dar. Die Liebe ist aus Gott, und wer lieb hat, der ist aus Gott geboren. Ohne Liebe ist alle Weisheit und alle sogenannte Jugend kein nütze. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, sagt der Apostel, und hätte der Liebe nicht; so wäre ich ein tönendes Erze oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse, und alle Erkenntniß, und hätte allen Glauben, also, daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht; so wäre ich nichts. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm. Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, die Liebe aber ist die größte unter ihnen. Wer keine Liebe hat, erkennt Gott nicht als Vater, ist nicht sein Kind, liebt Gott nicht und kann die Ueberzeugung nicht haben, daß er geliebt, daß er von Gott auch in seiner Schwachheit getragen werde. Wollen auch wir, Geliebte, das Glück erringen, von Jesu geliebt zu werden, dann müssen wir seines Geistes voll werden, und sein Geist ist kein anderer, als der Geist der Liebe. So lange - in unserm Herzen noch die Gewalten des Hasses, des Neides, des Zorns, der Unversöhnlichkeit, der Streitsucht und unbezähmter Heftigkeit wohnen, diese Gewalten, welche passend mit Nacht und Finsterniß verglichen werden; so lange ist kein Christussinn in uns, und wir können nicht das erfreuliche Bewußtseyn, von Gott und Jesu geliebt zu werden, in uns tragen.

Treue Anhänglichkeit an seinen Herrn stand bei Johannes in inniger Verbindung mit seiner Liebe. Er fand seine höchste Seligkeit darin, seinem Herrn nahe zu seyn und nahe zu bleiben. Die furchtbare Nacht, in der der Verräther und seine Genossen, seinem geliebten Meister sich nahten und ihn gefangen nahmen, trennte ihn nicht von dem Erwählten seiner Seele. - Die grauenvollen Stunden, in denen Christus am Kreuz schwebte, die Angststunden, die alle vertrieben, schreckten ihn nicht. Ihn finden wir unter dem Kreuze des Sterbenden, um auch hier noch den Auftrag der Liebe für ein treues Herz zu vernehmen, und der unglücklichen Mutter ein Tröster zu seyn in dem Schmerz, der ihre Seele gleich einem Schwerdte durchdrang. So ausdauernd und treu war Johannes, das er: warb ihm das Glück von Jesu geliebt zu seyn. Wollen auch wir dahin gelangen; o so laßt auch uns ihm treu seyn!

Der Sinn der Welt ist wandelbar. Dem, welchen sie heute feiert, ruft sie morgen das: „Kreuzige ihn!“ zu. Solche Sinnesart muß uns fremd seyn. Nicht eine flüchtige Begeisterung für den Herrn, welcher, je lodernder das Feuer derselben war, oft eine desto größere Erschlaffung folgt, verdient den Namen der Treue. Nein, erst müssen wir entschlossen seyn, ihm das Leben zu weihen. Wir dürfen uns fortan seines Namens nicht schämen, wir müssen ihn aller Orten frei bekennen. Die Welt soll es wissen, daß wir den Herrn für unsers Lebens Licht, Kraft, Trost und Freude halten. Wir wollen es kund thun, daß er unser höchstes Gut sey, und daß wir nichts nach Himmel und nach Erden fragen, wenn wir nur ihn haben. Ob wir um unserer Frömmigkeit willen verspottet, ob wir um seines heiligen Namens willen auch geschmäht würden, unser Ruhm und unsere Freude soll es seyn, Christen zu heißen, und Christen, die nicht nur Herr Herr sagen, sondern den Willen thun des Vaters im Himmel. Wir wollen fest an ihm halten, der heute und gestern und in alle Ewigkeit derselbe ist und einstimmen in das Bekenntniß seines begeisterten Nachfolgers: Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum, noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur, mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist unserm Herrn. Solche Treue wird uns das Glück erwerben, von dem Herrn, geliebt, ein Gegenstand seines Wohlgefallens zu werden!

2.

Und welch ein Glück ist dieß! - Das Leben mit Allem, was es bietet, ist so wandelbar. Die gute Stunde trägt oft schon den Keim einer nachfolgenden trüben in sich. So mancher herbe Schmerz, so manche bittere Erfahrung rauben uns Ruhe und Frieden, Gleichmuth und Ergebung, aber ein Johannes geht im Glauben an seinen Herrn auch mit dem tiefsten Schmerz der Seele und unter Verfolgungen und Trübsalen standhaft seine Bahn. Wenn wir der Liebe Jesu gewiß sind, dann sind wir auch seines Segens gewiß, dann graut uns vor keinem Weg, den er uns gehen heißt, dann erhellt des Vertrauens Licht auch die dunkelste Nacht unsers Geschicks. Dann sind wir seines Beistandes, seiner Hülfe gewiß, dann wissen wir, wenn die Noth am größten ist, ist Gott am nächsten, er kämpft mit uns bis an der Welt Ende. Dann haben wir Ruhe unter allen Stürmen und in allen Wechselfällen des Lebens. - Aus sechs Trübsalen wird er dich erretten, und in der siebenten wird dich kein Uebel rühren. Das ist unser Trost! Aber nicht nur Muth und Ruhe gibt die beseligende Gemeinschaft mit dem Herrn, sie entflammt auch zu einem fortgesetzt segensreichem Wirken. Johannes ging muthig seine Bahn und wirkte in Segen. Sein Eifer bis an das Ende seiner Tage, die Kraft, mit der er das Wort des Herrn verkündete, die zahlreichen Anhänger, die er der Lehre des Heils verschaffte, die Zuversicht, mit der er Wankende in ihrem Glauben bestärkte; dieß Alles war die Folge seiner Gemeinschaft mit Jesu, die Frucht des Glücks, von ihm geliebt zu seyn. Auch wir werden Segen stiften, wenn wir gewiß sind, ein Gegenstand des Wohlgefallens des Herrn zu seyn. Wir werden vor der Erfüllung der schwersten Pflicht nicht zurückbeben, eingedenk des Ausspruchs Jesu: Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verlieret um meinetwillen, der wird's finden. Wir werden kein Opfer scheuen, kein Hinderniß, Gutes zu vollbringen, für unbesiegbar halten. Wir wissen ja, der Herr ist mit den Seinen, er ist in dem Schwachen mächtig, er unterstützt und hilft, er gibt dem ernstlichen, zu seiner Ehre begonnenen Unternehmen, Gedeihen.

Ja, wir werden reich an guten Thaten, einem Johannes gleich, einst freudig unser Tagwerk vollenden. Geschichtliche Nachrichten verkünden, daß er, krank und schwach, noch in die öffentliche Versammlung der Gemeinde getragen wurde, sie noch einmal zur Treue an den Herrn ermahnte und in einem hohen Alter voll Glauben und Hoffnung starb. Sind wir von Jesu geliebt, so werden auch wir so sterben. Immer mehr wird unser Herz die Hoffnung beleben, die Hoffnung, zu schauen, was er uns verheißen hat, hinzugehen in das Land der Vollendung, in das Land ewiger Herrlichkeit. Das Bewußtseyn, von Jesu geliebt zu seyn, wird unsere Gemeinschaft mit ihm so begründen, daß weder Leben noch Tod und von ihm trennen. Ohne Grauen werden wir dem Tode entgegen gehen und in demselben den Freund willkommen heißen, der uns auf ewig dahin bringt, wo unser Herz schon hier am liebsten weilte; O diese Vollendungslust, daß sie auch mich erfüllte, daß ich dein wäre, Herr, mit Allem, was ich habe und bin, und daß die Gewißheit, der Gegenstand deiner Liebe zu sein, mir tröstend im Leben und im Tode zur Seite stünde! Amen.

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