Tholuck, August - Am Anfang eines neuen Semesters.

Wir stehen am Beginn eines neuen Abschnittes des Lebens. O, dass wir solcher Abschnitte nicht bedürften! Selig der Jüngling, selig der Mann, der solche Abschnitte nicht nötig hat, um sich auf sich selbst zu besinnen, der, während der Strom seines Lebens dahin rauscht, am Ufer steht, und mit sinnendem Nachdenken den Blick auf die fliegende Welle gefesselt hält. Aber so ist es nicht mit uns; die Wellen kommen, die Wellen gehen, und wir wissen es oft selbst nicht. Darum muss der Mensch Abschnitte machen im Leben, Abschnitte machen auch in seinem inneren Leben. In welcher Stellung des Herzens findet euch der Anfang des jetzt begonnenen Abschnittes eures äußern Lebens? Glüht ihr in heiligem Eifer, wie der Kämpfer, der die Rennbahn vor sich sieht, die er durchlaufen soll? wie der Krieger in dem Augenblick, wo die Schlacht beginnen soll? Ich darf es ja wohl annehmen: bei vielen unter euch ist es der Fall, ist es wenigstens der Fall in Bezug auf die Aussaat jener Frucht, welche einst die Welt von euch fordern wird, und auch das ist an euch zu loben, denn in vielen Stücken ist die Frucht, welche die Welt von euch fordern wird, keine andere, als die auch Gott einst von euch fordern wird. Allein, Geliebte, es gibt auch Früchte, welche die Welt von euch nicht verlangt, und nach denen nur gefragt werden wird am Tage des Gerichts. Der Apostel aber sagt: „ Es ist mir ein Geringes, dass ich von einem menschlichen Tag gerichtet werde, auch richte ich mich selbst nicht, Gott ist es, der mich richtet.“ Viele von den Früchten, welche die Welt von euch fordert, werden vergehen, wenn die Welt vergeht. Seid ihr darauf gerichtet, Frucht zu bringen, die da bleibe, bleibe in alle Ewigkeit? Geht ihr in diesen neuen Abschnitt des Jahres mit dem ernsten Vorsatz hinein, zuzunehmen an Früchten des Geistes und der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt? Hierzu wollen wir uns aufmuntern durch die Worte des Herrn: Joh. 15,1-16. „Ich bin ein rechter Weinstock, und mein Vater ein Weingärtner. Einen jeglichen Reben an mir, der nicht Frucht bringt, wird er wegnehmen; und einen jeglichen, der da Frucht bringt, wird er reinigen, dass er mehr Frucht bringe. Ihr seid jetzt rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir, und ich in euch. Gleichwie der Rebe kann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock: also auch ihr nicht, ihr bleibt denn in mir. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben: wer in mir bleibt, und ich in ihm, der bringt viel Frucht: denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie ein Rebe, und verdorrt, und man sammelt sie, und wirft sie in's Feuer, und muss brennen. So ihr in mir bleibt, und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater geehrt, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger. Gleichwie mich mein Vater liebt, also liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe. So ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe: gleichwie ich meines Vaters Gebote halte, und bleibe in seiner Liebe. Solches rede ich zu euch, auf dass meine Freude in euch bleibe, und eure Freude vollkommen werde. Das ist mein Gebot, dass ihr euch unter einander liebt, gleichwie ich'euch liebe. Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde, so ihr tut, was ich euch gebiete. Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid, denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid: denn alles, was ich habe von meinem Vater gehört, habe ich euch kund getan. Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt und gesetzt, dass ihr hingeht, und Frucht bringt, und eure Frucht bleibe; auf dass, so ihr den Vater bittet in meinem Namen, dass er's euch gebe.“

Das Wort des Herrn, „dass wir gesetzt sind, um Frucht zu bringen, die da bleibe“ beschäftige uns in der heutigen Andacht, und zwar wollen wir zuerst erwägen: wie viel jene Ermahnung verlangt, und zweitens: wie viel bei ihrer Erfüllung uns zu Hilfe kommt.

Das Leben ist ein Saatfeld, das kleine Menschenherz eine große Samenkammer, die Ewigkeit ein Erntetag. Seht hinein, Freunde, in das bunte Gewühl des Lebens, wie sie pflügen, wie sie säen, wie sie arbeiten, wie die Frucht wächst und gedeiht unter ihren Händen! O sagt mir, wie viel ist unter der Frucht, die alle Menschen wirken, Frucht, die da bleibe, bleibe, wenn die Welt vergeht?

Lieber Bruder, sage mir, wie viel Frucht wird auch von deinem Samen, den du streust, bleiben, wenn die Welt vergeht? und doch - hast du nur die Bestimmung des Lebens treu erfüllt in dem Maß, als du solchen Samen streust.

Wie so hoch und hehr zeichnet uns der Herr die Bestimmung des Lebens vor, indem er spricht: „Ich habe euch erwählt und gesetzt, damit ihr Frucht bringt.“ Wiederum: „darin wird mein Vater geehrt, dass ihr viele Frucht bringt.“ Träger irdischer Geist, vernimmst du es? Zu dem hohen Ziel hat dein himmlischer Vater dich geschaffen, dass er durch deine Frucht geehrt werde, zu dem hohen Ziel hat Christus dich erwählt und gesetzt in seinem Reich, dass du Frucht bringst, die da bleibe. Ist nun also das Frucht-bringen, die da bleibe, die ganze Bestimmung des Lebens und des Christseins, o sagt mir, haltet ihr es da nicht für ein notwendiges Erfordernis in jedem Christenleben, sich jeden Abend eine stille Stunde zu halten, wo man sich frage, ob man auch an dem Tag Frucht für die Ewigkeit gebracht hat? und hat nicht jeder Tag eine solche stille Stunde, soll nicht wenigstens jeder größere Abschnitt des Lebens sie haben? - Und was heißt das: Frucht bringen? -

Von einer doppelten Frucht des Christen spricht die Schrift: von einer Frucht im Innern, welche die Frucht des Geistes und der Gerechtigkeit genannt wird; von einer Frucht im Äußern, die dem Reich Gottes gewonnenen Seelen, wie wenn der Apostel spricht, dass er auch zu den Römern habe kommen wollen, „dass er auch unter ihnen Frucht schaffe, gleich wie unter andern Heiden.“ Was das Frucht-bringen sei, erklärt der Herr in unserm Abschnitt selbst, indem er es umschreibt durch die Worte: „so ihr meine Gebote haltet,“ und wie das wieder geschehen solle, erklärt er, indem er sagt: „Bleibt in meiner Liebe!“ und „das ist mein Gebot, dass ihr euch unter einander liebt, wie ich euch liebe.“ Ich habe euch die Größe der Anforderung des Herrn vorstellen wollen und gerade indem ich diese seine Erklärung euch vorführe, dünkt es euch vielleicht, als sei seine Forderung eingeschränkt worden. Denn: bleiben in seiner Liebe, und: uns unter einander lieb haben - wenn es darauf bloß ankommt, sagt ihr, wem fehlt es daran? O du heiliges, hehres Wort: Liebe! Wie die Menschen dich in den Staub ziehen, und deine Unendlichkeit in ärmliche Schranken schließen! Bloß Jesum und die Brüder lieben - eben so leicht magst du sagen: bloß ewig verdammt oder selig werden. Dass damit nicht wenig, dass Alles damit gesagt sei, das mögt ihr ja schon daraus abnehmen, dass geschrieben steht: „die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung,“ und dass der Herr hier das Halten aller seiner Gebote als die Offenbarung der Liebe bezeichnet. Jene Geistesfrüchte, wie sie Paulus uns aufzählt, die Liebe, die Freude, der Friede, die Geduld, die Freundlichkeit, die Gütigkeit, der Glaube, die Sanftmut, die Keuschheit, sind sie nicht alle die Frucht des Herzens, das in Jesu Liebe bleibt? und wiederum: die Früchte, die für das Reich Gottes gesammelt werden aus einer ohne Christum verloren gehenden Welt, wer anders sammelt sie, als die Liebe, welche nach Jesu Vorbild sucht, was da verloren ist? Wollt ihr einen Baum im Garten Gottes sehen, behangen mit allen Früchten der Gerechtigkeit, die im Strahl der Gnadensonne golden leuchten, seht einen Paulus an. Wollt ihr die Früchte ahnen, in denen sein innerer Mensch vor Gottes Angesicht geprangt hat, vernehmt aus dem Mund des Mannes, der nur die Wahrheit redete: „Ich laufe aber also, nicht als auf's Ungewisse, ich fechte also, nicht als der in die Luft streicht, sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, auf dass ich nicht den Andern predige und selbst verwerflich werde.“ Wollt ihr die göttliche Frucht schauen, die er draußen in der Welt in seines Herrn Scheuern gesammelt, vernehmt ihn, wie er spricht: „Von Jerusalem an und umher bis an Illyrien habe ich Alles erfüllt mit dem Evangelium Christi;“ wie er rufen kann: „dass ich täglich werde angelaufen, und trage Sorge für alle Gemeinden; wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? wer wird geärgert und ich entbrenne nicht?“ Und welches ist das Lebenswasser, das diesen fruchtbehangenen Baum durchströmt von der Wurzel bis in alle Äste? „Dass ich das Evangelium predige, ruft er, darf ich mich nicht rühmen, eine Notwendigkeit liegt auf mir, wehe mir, wenn ich nicht predige!“, „denn die Liebe Christi - wie er anderwärts sagt - drängt mich.“ Früchte bringen nach Innen und nach Außen, die da bleiben, und Jesum lieben und die Brüder, das ist also wirklich einerlei Ding.

Noch eine Frage drängt sich hierbei uns auf, eine wichtige Frage; ist nämlich das, was wir hier genannt haben, die einzige Frucht, die da bleibt, wenn die Welt vergeht, nun wozu dann, fragt ihr, alles Geschäft des täglichen Lebens? Sollen wir es nicht stehen lassen für die, welche dem Gott dieser Welt dienen, und flüchten, dass wir unsere Seelen retten, in die Einsamkeit klösterlicher Zellen? Wir berühren hier einen Punkt, der vorzugsweise Veranlassung gibt, dass, was an dieser heiligen Stätte ihr vernehmt, euch häufig so kalt lässt. Hier wird euch gepredigt von der Liebe zu Jesu und zu den unsterblichen Seelen der Brüder, und wenn ihr hinaus kommt, da wartet auf jeden die Mühe und der Schweiß eines Berufs, der doch nur Früchte bringt, wie es scheinen will, die da vergehen. Ihr seht keinen lebendigen Zusammenhang zwischen der Forderung der Kirche und dem Beruf eures Lebens. Wie der Kirchturm hoch über das Getreibe des Lebens, über eure Häuser und Hütten emporragt, so die Kirche mit ihrer Predigt. Ihr schaut zu ihr empor, aber sie bleibt euch ein fremdes, himmelhohes Land; in eure Häuser und Hütten, in eure Arbeits- und Familienstuben kehrt sie nicht ein. Brüder! Es soll aber auch das Gewerbe und der Beruf nicht neben dem Gottesreich stehen, sondern in ihm. Bringt er nur Früchte, die da vergehen, wenn die Welt vergeht, so ist es eure Schuld. Lasst bei der niedrigsten Berufsarbeit des Lebens uns anfangen! Sagt mir, ist nicht auch sie erforderlich, um den Tempel Gottes zu erhalten, in welchem der Geist lebt, der da Früchte bringt, die bleiben? und die Glieder des Leibes, die am meisten in Unehre sind, sind sie zum Bestehen des Leibes nicht eben so erforderlich, wie die edelsten? Kein Beruf, der zum Bestehen des geselligen Lebens erforderlich ist, ist an sich unedel. Ist nur die Liebe zu Gott und zu den Brüdern der Quell, aus dem die Treue fließt, mit der du die niedrigsten Geschäfte des Lebens verrichtest, so bringst du auch dabei Frucht, die da bleibt. Es bleibt die innere Frucht, denn die Treue hat in deinem eignen Herzen die Reinheit deiner Liebe bewährt und du nimmst die gesteigerte und bewährte Liebe hinüber in die Ewigkeit; es bleibt die äußere Frucht, denn du hast mitgewirkt, dass jener irdische Zustand bestehen konnte, in welchem die Seelen für den Himmel erzogen werden. Gilt das von den niedrigsten Berufsarbeiten des Lebens, wie vielmehr von denen, welche die Wissenschaften fördern? Hat die Liebe zu Jesu und zu den Brüdern dich getrieben, mit Treue und göttlichem Ernst die Wahrheit auf irgend einem Gebiet des Wissens zu fördern, so bleibt die Frucht solcher Treue für deine eigene Seele. Sie bleibt aber auch in der Welt. Denn wo irgend Strahlen der Wahrheit in das Gesamtleben der Menschen hineindringen, da müssen sie dazu dienen, den zu verherrlichen, welcher der König im Land der Wahrheit ist. Da alle Wahrheit von Gott ausgegangen, so muss alle Wahrheit, welcher Art sie auch sei, zu ihm wieder zurückführen. Steht also euer Berufsleben noch abgesondert von eurem Leben im Reich Gottes, so dass es nur Frucht bringt, die vergeht, so ist es eure Schuld, dieweil ihr noch nicht Alles, was ihr tut und treibt, aus Liebe zum Sohn Gottes und zu den Brüdern treibt.

Wohlan denn! wisset ihr nun, was es heißt, Frucht zu bringen, die da bleibt, und habt ihr des Herrn Wort vernommen, dass ihr dazu gesetzt seid, um solche Frucht zu bringen, Brüder, so fange mit diesem neuen Abschnitte eures Lebens eine Zeit an, wo ihr mit ganz anderem Ernst, als ihr es bisher getan habt, euch täglich fragt, ob die Frucht sich bei euch mehre, die da bleibt? Schöne christliche Worte führt ihr in eurem Munde, wohl! das sind die Blätter am Lebensbaum. Selige Gefühle durchwallen zuweilen euer Herz, wohl! das sind seine Blüten. Aber es kommt der Tag, wo der Herr des Weinberges nicht nach den Blättern fragen wird, und nicht nach den Blüten, sondern nach den Früchten! Darum, ist es euch ein Ernst um eure Seligkeit, so fehle in keinem Tag eures Lebens eine stille Stunde des Morgens oder Abends, wo ihr euch selbst nach dem Wachstum in den Früchten fragt. Mannichfach sind die Verhältnisse eures Lebens. Ihr seid Handwerker oder Gelehrte, Vater oder Kind, Sohn oder Tochter, Herr oder Diener, alle diese Verhältnisse sind Äste des Lebensbaumes. Hängen an allen diesen Ästen die Früchte der Gerechtigkeit? Sieht man es in allen diesen Beziehungen euch an, dass ihr Jünger Jesu Christi seid? Freunde, wer mag in stiller Stunde sich ernstlich nach den Früchten seines Glaubens fragen, ohne beschämt das Auge niederzuschlagen und eines großen starken Trostes zu bedürfen, um nicht alle Hoffnung wegzuwerfen!

Ist aber die Anforderung groß, die aus diesem Worte des Herrn hervorgeht, wahrlich! so ist es auch das, was uns in ihrer Erfüllung unterstützt. Denn einmal ist der Jünger des Herrn, wie es in dem verlesenen Abschnitt heißt, eine Rebe am Weinstock Jesu, zum andern: der Vater ist der Weingärtner. Als du ohne Christus in der Welt warst, o wie oft mag es vorgekommen sein, dass in der Stunde, wo rechts das ernste Gebot stand und links die buhlerische Lust, du vergeblich in die eigene Brust griffst, um die Kraft der Überwindung zu finden. Jünger Christi suchen nach solcher Kraft nicht vergeblich. Ist Christi Wort wahr: „Ohne mich könnt ihr nichts tun,“ so ist auch Pauli Wort wahr: „Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht.“ Es gibt einen geheimnisvollen Zusammenhang mit dem verklärten Erlöser, und ihr, die ihr es noch aus der Erfahrung nicht kennt, mögt es dem Wort Gottes glauben - es gibt einen geheimnisvollen Zusammenhang mit dem verklärten Erlöser, durch den gleichwie in das dürre Holz der Rebensaft, also dem Christen die Kraft zuquillt zu jedem guten Werk - zu jedem? zu jedem, zu dem von Außen die Anforderung an uns kommt, denn nicht uns Allen ist Alles zur Pflicht gemacht, also nur das Werk, zu welchem einen Jeden die Verhältnisse des Lebens auffordern, nur das kann als ein vom Vater geheißenes angesehen werden. Das Alles aber vermögt ihr auch, ihr müsst nur eingepflanzt sein in Jesum, ihr müsst nur Eins geworden sein mit ihm, ihr müsst ihn angezogen haben - mit allen diesen starken Ausdrücken bezeichnet die Schrift jenen Zusammenhang der geistigen Rebe mit dem geistigen Weinstock. Und wie bildet sich ein solcher inniger Zusammenhang? Das Band, welches also die Rebe, die auf der Erde ist, mit dem Weinstock, der im Himmel ist, zusammenschließt, heißt Glaube. Das ist der erste Trost, den unser Text uns darreicht.

Es heißt aber zweitens, dass wir einen himmlischen Weingärtner haben, der seine Reben pflegt. Als du noch ohne Christus in der Welt warst, da warst du ein wilder Baum auf dem Feld, an dessen Blättern alle Stürme rissen, den keine milde Hand wässerte, wenn es dürr war, an dem keine milde Hand die Äste festband, die da brechen wollten. Seitdem du an Christum glaubst, bist du auf ein gutes Land versetzt, hast du einen Gärtner gefunden, der, wenn die Stürme kommen, dich schützt, der, wenn es dürr ist, dir Wasser gibt. der, die brechenden Äste festbindet; seitdem du ein Reben an dem Weinstock Christi geworden bist, ist der himmlische Vater, der diesen Weinstock gepflanzt hat, auch dein Weingärtner, der seine Reben reinigt, damit sie mehr Frucht bringen. Die Reben reinigen, das heißt die Ranken beschneiden, welche dem Reben seine Kraft entziehen. Was auch uns, meine Lieben, die wir schon Reben an dem Weinstock Christi geworden sind, die Kraft des Weinstocks entzieht, das sind die Ranken, das sind jene ungöttlichen Neigungen, die mit dem Reich Christi nicht zusammenhängen, in welche jene Kraft hineinschlägt, die göttliche Frucht bringen sollte. Je mehr der Mensch sich damit begnügen lässt, in einem so losen Zusammenhang mit Christo zu stehen, in welchem er es zwar zu Blättern und zu Blüten bringt, aber nicht zu Früchten, desto mehr bleiben an einem solchen Weinreben die Ranken. Es verbreitet sich in unserer Zeit ein Christentum, wo von christlicher Lehre und christlichen Gefühlen fortwährend die Rede ist, ohne ernste Selbstprüfung, ohne Reinigung von den Ranken, die aus dem natürlichen Menschen kommen. Es verbreitet sich ein Christentum, welches zwar fein davon predigt, wie herrlich Christus sei, aber fein davon schweigt, wie erbärmlich der Mensch ist, bei dem es daher auch nimmer zu einer täglich erneuten Buße, einem täglich neu erkämpften Glauben kommt. Solches Christentum wird am Tag des Gerichts nicht bestehen. Der Herr verkündet in unserm Gleichnis, dass die Reben, welche keine Frucht bringen, abgehauen werden, und verbrennen müssen. Merkt wohl! Er sagt das von Reben, also von solchen, die schon in einem gewissen Zusammenhang mit ihm stehen, die in gewissem Sinn sagen können, dass sie Christi sind, die Blätter und Blüten aufweisen können, welche Christi Geist getrieben hat, nur keine Früchte. O! ist es nicht jammervoll, dass man eine Rebe am Weinstock sein kann, und - doch noch abgehauen werden? Ach wie sie sich einst getauscht sehen werden, die an den Blättern und Blüten sich genügen ließen, wenn die ernste Stimme fragen wird: Hab' ich dich nicht gesetzt, Frucht zu bringen - Frucht, die da bleibe? Indessen, Geliebte, auch ein solcher Anfang des Zusammenhanges mit Christo hat seinen Segen mit sich. Wollt ihr, die ihr diesen Anfang gemacht habt, nicht selbst das Messer an eure Ranken legen, seht, ihr steht unter einem himmlischen Weingärtner, der vom Himmel herab die Hand an eure Ranken legt. In jedes Christen Leben kommen die Stunden, wo tief das reinigende Messer einschneidet in das, woran dein Herz neben Christo hing, in alle Liebesbanden, die nicht durch Gott geheiligt waren, in jede Neigung des unwiedergebornen Menschen. O derjenige, dem es nur ein Ernst ist mit sich selbst, erlebt mit Erstaunen, wie im Lauf seines Lebens das Messer Gottes ihn gerade von denjenigen Seiten antastet, die ihm die empfindlichsten sind, wo sein Zusammenhang mit der Welt am stärksten ist. Es gibt - ja Brüder, es gibt wahrhaftig eine erziehende Gnade Gottes in jedem Christenleben; ja das Wort ist wahr, welches die Schrift uns zuruft: „ Welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er - so ihr die Züchtigung erduldet, so erbietet sich euch Gott als Kindern!“

Wenn Alles eben käme,
Wie du gewollt es hast,
Und Gott dir gar nichts nähme
Und gab' dir keine Last:
Wie wär's da um dein Sterben,
Du Menschenkind, bestellt,
Du müsstest fast verderben,
So lieb wär' dir die Welt.
So fällt eins nach dem andern,
Manch liebes Band dir ab,
Und fröhlich kannst du wandern
Gen Himmel durch das Grab.
Dein Zagen ist gebrochen,
Und deine Seele hofft,
Dies ward schon oft gesprochen,
Doch spricht man's nie zu oft.

Nun, liebe Freunde, so haltet denn nur still, wenn ihr merkt, dass Gottes Messer an eure Ranken will, mag das Herz auch bluten. „Dass sie mehr Frucht bringen“ - dazu reinigt er seine Reben, und ohne die Früchte der Gerechtigkeit könnt ihr ja nicht in sein Reich eingehen. Er wolle euch Alle durch eure trüben wie durch eure heitern Stunden dazu vorbereiten, meine Brüder! -

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