Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Zwanzigste Betrachtung.

O Jesu, der du unter Schmerzen,
Am Kreuz für deine Mörder bat,
Gib, dass mit leicht versöhntem Herzen,
Auch ich verzeihe, wie du tat'st! -
Die Rache sei dir überlassen! -.
Hilf, dass ich liebe, die mich hassen!
Vergib den Feinden ihre Schuld,
Gib ihnen Reue, mir Geduld!
Lass mich die Buße nicht verschieben
Bis auf den letzten Lebenshauch;
Lass mich nur lieben, dich zu lieben,
So liebst du mich im Tode auch,
Und nimmst mich von des Kreuzes Leiden,
Zu dir, ins Paradies der Freuden;
Damit ich, wie im Leben treu,
Auch nach dem Tode selig sei.

Text: Joh. 19,18.
Allda kreuzigten sie ihn, und mit ihm zween andere zu beiden Seiten, Jesum aber mitten inne.

Was der Evangelist Johannes hier nur andeutet, hat Lukas uns ausführlicher berichtet. „Auch einer der Übeltäter schmähte ihn,“ sagt er, „und sprach: Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns. Da tadelte ihn der andere mit den Worten: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Und zwar sind wir billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind, dieser aber hat nichts Böses getan, und er wandte sich zum Herrn und sprach: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus antwortete ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“

Eine wunderbare Mischung der Gefühle regt sich in unserm Innern, wenn wir, was hier mitgeteilt wird, still und ernst betrachten. Tiefer Schmerz, höchstes Entsetzen, Rührung, Freude, das ist es, was wir wechselnd empfinden, was uns abwechselnd ergreift. Lasst uns die Verbrecher und Jesum am Kreuze betrachten.

Welch eine Warnung; welch einen Trost; welch eine Aussicht schließt diese ernste Betrachtung in sich.

I.

Zwischen zwei des Todes schuldigen Verbrechern, sehen wir den Heiligen und Reinen am Kreuz. Noch ist der Leidenskelch nicht völlig geleert. Seine Feinde verspotten ihn auch noch im Todeskampf, und, lässt sich Entsetzlicheres denken, in diesen Spott stimmt selbst einer der mitgekreuzigten Verbrecher ein. Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns, - so ruft er höhnend den Erlöser zu. Welch schauderhafte Verruchtheit! Welch eine Warnung für uns! Wirklich eine Warnung für uns? - Kann sich eine solche Scheußlichkeit unter dem ganzen Menschengeschlecht wiederholen? Ach, dass es nicht so oft der Fall gewesen wäre! Grausam ist es, menschliches Gefühl verleugnend, den Nächsten zu peinigen; grausamer ist es, den Gepeinigten zu verhöhnen. Freilich tief ist der schon gefallen, der unbarmherzig den Bruder in Staub tritt; tiefer noch, der den Wurm, welcher sich krümmt, auch verspottet. Nur mit tierischer Rohheit, mit dem grenzenlosesten Hochmut und Frevel kann sich eine solche Menschenverachtung paaren, kann ein so scheußliches Spiel getrieben werden, als es die gottvergessene Rotte treibt, welche den Frömmsten und Liebevollsten kreuzigte. Aber das Furchtbarste ist, dass es einen noch tieferen Fall des Menschen gibt. In dem, was die heilige Geschichte uns heute berichtet, ist bei weitem Entsetzlicheres noch. Herabgewürdigt durch eine verabscheuungswürdige Rohheit, fortgerissen von einem grässlichen Leichtsinn, beherrscht von einem teuflischen Übermut, scheint uns eine Lasterhaftigkeit, die mit dem Leidenden Spott treibt, möglich; aber wenn eine Seele unter den furchtbarsten eigenen Qualen, im Augenblick ihres Entfliehens aus der sterblichen Hülle, noch in solcher furchtbaren Entartung erscheint, als dort der Verbrecher am Kreuze, dann verstummen wir im tiefsten Schmerz. Und siehe, doch ist es möglich, doch ist es geschehen, geschieht noch. Es gibt eine Frechheit, welche keine Schmach beugt. Ein Missetäter war der Spötter, und den Lohn seiner Missetaten empfing er, mit der schimpflichsten, qualvollsten Strafe ward er dafür belegt. Sein Gewissen musste ihm sagen: es sei wohl verdient. Scham und Trauer sollten wir meinen, finden zu müssen; und er treibt noch Spott und Scherz mit einem Leidenden. Es gibt einen Grad des Lasters, der durch keine Züchtigung geändert werden mag. Wir sollten meinen, die zahllosen Leiden, welche auf den eindrangen, der die Strafe des Kreuzestodes, bekanntlich die allerschmerzlichste, erduldete, müssten das Herz des gefühllosesten Bösewichts brechen und ihn zur Erkenntnis führen, aber den Spötter bewegt kein Schmerz. Es gibt eine Verblendung, die durch kein Licht mehr erhellt wird. Auch im Tod ist der Bösewicht verrucht. Was auf den andern Mitgekreuzigten einen tiefen Eindruck machte, das stille Dulden Jesu, sein heiliges Wesen, das am Kreuz in ganzer Verklärung erschien, warum ergriff es den Spötter nicht? Die Qualen der Kreuzigung, das Herannahen des uns ausweichbaren Todes, die Veranlassung dieser Strafe, alles war ja dazu gemacht, Ernst, erschütternden Ernst zu wecken, ihm die Augen zu öffnen, ihn sehen zu lassen, an welchem Abgrund des Verderbens er stehe. Er sieht nicht!

Das sind die ernsten Wahrheiten, welche die schauderhafte Szene, bei der wir verweilten, uns predigt. Wir dürfen sie nicht beseitigen, so sehr sie uns auch erschüttern mögen, so gerne wir auch solche grelle Bilder von uns ferne hielten. Wir dürfen nicht, um der gewichtigen Warnung willen, die in ihnen liegt, und dies ist keine andere, als dem Bösen in seinem Keim zu widerstehen, dem Stolze, dem Übermut und der Menschenverachtung, auch in ihren unbedeutendsten Anfängen, in uns und außer uns, nach Kraft entgegen zu wirken; weder uns selbst noch andere zu vergöttern, sondern, die Geneigtheit des Menschen zur Sünde erkennend und vor dem tiefsten Fall zurückschaudernd, durch Wachen und Gebet uns auch vor dem kleinsten Fall zu bewahren. Doch wir wenden uns zu freundlicheren Bildern, zu erhebenderen Szenen.

Wohl uns, dass eben der Vorgang, den wir überdachten, mit einem andern verbunden ist, der unsern Schmerz lindert. Während wir den einen Mitgekreuzigten in seiner Sünde sterben sehen, während uns Grausen erfüllt vor dem tiefen Fall und vor der Gefahr, die uns allen droht, - sehen wir in dem zweiten Mitgekreuzigten einen Tiefgefallenen aufstehen. Mussten wir dort ausrufen: Welch eine Warnung; so rufen wir hier mit Freuden aus:

II.

Welch ein Trost! - Tiefgefallen war auch der zweite Mitgekreuzigte. Er war ein Übeltäter, sagt uns die Bibel, ein Verbrecher, er hatte die Todesstrafe um seiner Taten willen verdient. Aber eben in dem Augenblick, wo er sie erleidet, und wo der äußere Mensch der Verwesung entgegen geht, erhebt sich der innere zum Leben, er steht vom Fall auf. Christus erleuchtet ihn. Die Unschuld des Gerechten, der mit ihm gekreuzigt ist, rührt ihn. Es empört sich sein Innerstes gegen die Unnatur des hohnsprechenden Missetäters. Und du fürchtest dich nicht vor Gott, der du in gleicher Verdammnis bist? ruft er diesem zu, und wahrhaft seine Tat bereuend, fährt er fort: Und zwar sind wir billig darinnen, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind, dieser aber hat nichts Böses getan. Ja, mit Klarheit über das, was ihm noch zu seiner Rettung zu ergreifen nötig sei, wendet er sich zum Herrn und spricht: Herr, gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst! - Welch ein Trost! Auch vom tiefsten Fall ist ein Aufstehen möglich, so lange noch der letzte Hauch nicht entflog. Wir dürfen an der Rückkehr keines Verirrten verzweifeln; keinen unserer gefallenen Mitbrüder ganz aufgeben. Immer noch kann die Stunde erscheinen, welche ihn zur Erkenntnis führt, welche ihm Reue, Besserung noch möglich macht. Verschieben, absichtlich die Reue verschieben, das würde sie uns erschweren, vielleicht unmöglich machen. Nein, dazu soll uns die Erfahrung, dass auch der Tiefgefallenste noch aufstehen kann, nicht dienen; - aber mit Hoffnung und Ausdauer soll sie uns erfüllen, dass wir keinen aufgeben, an jedem noch die Rettung versuchen.

Der Herr nahm den Reuigen liebreich an. Heute noch, sprach er zu ihm, wirst du mit mir im Paradies sein! - Welch neuer Trost für uns! Es ist ein Aufsteh'n des Tiefgefallenen möglich.

Jesus nimmt die Sünder an!
Sagt doch dieses Trostwort allen,
Die noch auf verkehrter Bahn,
Und auf Sündenwegen wallen,
Hier ist, was sie retten kann.
Jesus nimmt die Sünder an!

Schaut auf zu ihm, dem Gekreuzigten, die ihr die Vergangenheit beweint, die ihr den Schmerz der Sünde fühlt, er ist ja unter allen Schmerzen der größte, - schaut auf zu ihm, dem Gekreuzigten, bei ihm ist Ruhe, er nimmt die Sünder an, er versöhnt mit Gott. Und ob jemand sündigt; so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesum Christ, der gerecht ist, und derselbige ist die Versöhnung für unsere Sünde, nicht allein aber für die unsrigen, sondern auch für der ganzen Welt.. Keiner, der ihn sucht, ist verloren und über den, der Buße tut, ist Freude vor Gott und den Engeln. Ach, wir fühlen ja alle das Joch der Sünde, wir sind alle mühselig und beladen, wir bedürfen alle der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und die uns unser halbes Werk und unsere halbe Jugend nicht geben. Darum rufen wir alle zu dir, der du für uns in den Tod gingst: Denke an uns in deinem Reich, nimm auch uns gnädig an!

Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein, so ruft der Herr dem reuigen Sünder zu.

III.

Welch eine Aussicht! Unmittelbar nach Vollendung seiner Leiden sollte die reinste Freude, das höchste Glück eines geheiligten Herzens, die Seligkeit sollte beginnen. Keinen Todesschlaf sollte er schlafen, sondern aufsteigen in die Höhen des Lichts, in die Wohnungen des Vaters, eintreten in den Genuss dessen, was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, eintreten in den Genuss des unaussprechlich Seligen, sollte er.

Mit mir, sprach er, wirst du im Paradies sein. Mit ihm, den er dann auch als seinen Erlöser anbeten würde, sollte er die Herrlichkeit teilen und ewig sich beglückt fühlen.

Welche Aussicht ist das auch für uns! Auch uns hat er ja verheißen, dass wir, wenn wir ihm nachfolgen und an ihm bleiben, das Reich ererben sollen, das Gott bereitet hat vom Anbeginn der Welt denen, die ihn lieben. Welches Licht erhellt das Dunkel der Zukunft!

Das Grab behält uns nicht. Die sterbliche Hülle ruht nur dort, bis auch für sie der Tag der Verklärung, der Auferstehungsmorgen anbricht. - Das Grab behält uns nicht. Der Geist schwingt sich auf zum Vater und zum Sohn, zur Vollendung, zum Schauen, zu ewigem Sieg und zu ewigem Lohne. Das Ende des Erdenlebens ist Rückkehr in die wahre Heimat, ist Anfang unseres Seins im Hause des Allliebenden, wo viele Wohnungen sind.

Wohlan, lasset uns mutig kämpfen, dulden, ausharren! Seid getrost, ihr Verzagten, ihr Kleinmütigen, ihr Sorgenden, ihr Schwerbelasteten, schaut auf zum Kreuz des Erlösers, von dorther geht der Ruf auch zu euch: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein - auch euch, uns allen kommt die Stunde, welche alle Not der Zeit endet, die zur Herrlichkeit der besseren Welt uns führt! - Das Grab behält uns nicht, und ewig stehen wir dir, du, hocherhabener Herr und Meister, nicht fern. Es kommt die Zeit, wo wir dich schauen von Angesicht zu Angesicht, wo unser Verlangen, unser Sehnen nach dir gestillt sein wird!

So bleibe denn bei uns, Allerbarmer, bis an der Tage Ende, wie du verheißen hast! Alliebender, verlass uns nicht! Stärke uns mit der Kraft, die von dir kommt, stärke uns im Guten! Erleuchte uns, erleuchte jeden unserer Brüder, dass wir alle den Weg finden und gehen, der zu dir führt! Lass keinen verloren werden! Du suchst ja das Verlorene, ach, lass uns alle Gnade und Erbarmung finden bei dir! Nimm uns Sünder alle an! Verwirf uns nicht vor deinem Angesicht, und wenn der Kampf mit Erdennot und Sünde endigt, dann nimm auch uns auf in dein himmlisches Reich, zu ewigem Heiligsein, zu ewiger Seligkeit. Amen!

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