Calvin, Jean - Der Brief an Philemon.

Calvin, Jean - Der Brief an Philemon.

Für die Größe des Geistes Pauli ist, wenngleich sie aus seinen bedeutenderen Schriften heller hervorleuchtet, auch dieser Brief ein Zeugnis, in welchem er einen an sich ganz niedrigen und gemeinen Gegenstand behandelt, aber doch nach seiner Art in die Höhe zu Gott hinaufführt. Einen entlaufenen Sklaven und Dieb sendet er seinem Herrn zurück, und bittet für ihn um Verzeihung. Aber indem er diese Sache führt, redet er so nachdrücklich von dem christlichen Brudersinn, dass er mehr an die ganze Kirche zu denken, als für das besondere Anliegen des einen Menschen zu sorgen scheint; so demütig bittet er für den geringen Mann und lässt sich so hernieder, dass kaum irgendwo anders seine Herzensgüte lebendiger zum Ausdruck kommt.

V. 1. Der Gebundene Christi Jesu. In demselben Sinne, wie Paulus sich anderswo als einen Apostel oder Diener Christi bezeichnet, nennt er sich hier einen Gebundenen Christi: weil seine Bande, die er um des Evangeliums willen trug, die Zeichen oder Marken seiner Sendung waren, die ihm Christus aufgetragen. Daher erwähnt er sie, um sein Ansehen zu mehren, nicht als ob er Geringschätzung fürchtete, da ja zweifellos seine Würde und Bedeutung dem Philemon gegenüber keiner Empfehlung bedurfte, sondern, weil er die Sache eines entlaufenen Sklaven führen wollte, bei der alles auf den Fürsprecher ankam.

Philemon. Dieser Philemon war wohl aus dem Stande der Pastoren. Denn den Titel, mit dem ihn Paulus ziert, indem er ihn seinen Gehilfen nennt, pflegt er einem Privatmann nicht zu erteilen. Der außerdem genannte Archippus (V. 2) war offenbar ebenfalls ein Diener der Kirche, - wenn er nämlich derselbe ist, der am Schlusse des Kolosserbriefes erwähnt wird, was man nicht ohne Grund vermuten darf. Denn wenn ihn der Apostel seinen Streitgenossen nennt, so passt auch dies vorzüglich auf die Diener am Worte. Freilich ist der Kampf allen Christen gemeinsam; weil jedoch die Lehrer darin gewissermaßen die Fahnenträger sind, so müssen sie vor anderen zum Streiten gerüstet sein, und Satan beweist ihnen auch gemeiniglich am meisten Feindschaft. Es mag auch sein, dass Archippus der Genosse und Teilnehmer mancher Kämpfe war, die Paulus zu bestehen hatte; jedenfalls gebraucht Paulus jenen Ausdruck, so oft er von Verfolgungen spricht. Der Familie des Philemon aber zollt er das höchste Lob, indem er sie eine „Hausgemeinde“ nennt. Denn es ist ein nicht geringes Lob eines Hausvaters, wenn er seine Familie so leitet, dass sie ein Abbild der Gemeinde ist, und wenn er das Amt eines Priesters in seinem eigenen Heim ausübt. Endlich ist nicht zu vergessen, dass auch seine Gattin gleichgesinnt war, da Paulus nicht ohne Grund ihrer freundlich gedenkt (V. 2).

V. 4. Ich danke Gott. Es ist bemerkenswert, dass, wie der Apostel für Philemon dankt, er zugleich für ihn bittet. Denn niemals ist selbst bei den Vollkommensten, so lange sie in dieser Welt leben, der Stoff zum Danken zu groß, dass sie nicht der Fürbitte bedürften: Gott möge ihnen geben, nicht nur bis zum Ende zu beharren, sondern auch von Tag zu Tag fortzuschreiten. Das Lob aber, das er dem Philemon erteilt, fasst in der Kürze die ganze christliche Vollkommenheit zusammen. Sie besteht aus zwei Stücken (V. 5): dem Glauben an Christum und der Liebe zum Nächsten. Denn hierauf zielt alles Tun und alle Pflicht unseres Lebens. Und zwar ist vom Glauben an den Herrn Jesum die Rede, weil er auf ihn vorzüglich gerichtet ist: wie ja nicht anders als durch ihn Gott der Vater erkannt werden kann, noch anderswo als in ihm irgendein Gut gefunden wird, das der Glaube sucht. Die Liebe aber beschränkt Paulus nicht in dem Sinne auf die Heiligen, als wenn wir gegen die anderen keine zu haben brauchten. Denn da es die Art der Liebe ist, nicht unser Fleisch zu verachten, sondern das göttliche Ebenbild zu ehren, das unserer Natur eingeprägt ist, so umfasst sie sicherlich das ganze Menschengeschlecht. Aber doch sind die Hausgenossen des Glaubens mit einem engeren Bande der Freundschaft uns verbunden, und Gott legt sie uns besonders ans Herz: darum stehen sie mit Recht voran.

V. 6. Dass die Gemeinschaft des Glaubens usw. Dieses Glied ist nicht wenig dunkel. Aber ich will versuchen, es so zu erklären, dass die Leser den Sinn Pauli immerhin verstehen. Zuerst ist zu beachten, dass der Apostel in dem Lob Philemons nicht fortfährt, sondern vielmehr ausdrückt, was er für ihn vom Herrn wünscht. Diese Worte hängen nämlich mit dem zusammen, was er vorher gesagt hatte, er gedenke seiner im Gebet. Was er nun für Philemon erbittet, ist, dass sein Glaube sich in guten Früchten entfalte, die ihn als nicht hohl, sondern echt dartun sollen. Denn unter „Gemeinschaft des Glaubens“ versteht er, wenn derselbe nicht müßig im Inneren ruht, sondern durch wahrhaftige Wirkungen sich den Menschen kundgibt. Mag der Glaube auch seinen verborgenen Sitz im Herzen haben, so wirkt er doch Gemeinschaft bildend auf die Menschen durch gute Werke. Die Worte wollen also besagen: dass dein Glaube sich äußere und mitteile und so seine Wirkung in allem Guten beweise.

Erkenntnis alles Guten aber ist so viel wie Erfahrung desselben, in dem Sinne, dass man andere es erfahren oder erkennen lässt. Paulus wünscht nämlich, dass der Glaube in Wirkungen sich als wirksam bewähre; wie es geschieht, wenn alle, mit denen wir umgehen, unseren Wandel als fromm und heilig erkennen. Darum sagt er: „alles des Guten, das ihr habt“. Denn das Gute, das in uns ist, zeugt von unserem Glauben.

V. 7. Wir haben Freude usw. Es ist klar, was Paulus mit diesen Worten sagen will: nämlich er empfinde große Freude und Trost, weil Philemon den Frommen in der Not Hilfe gebracht habe. Das ist aber wohl eine seltene Liebe, der das Glück anderer so großes Vergnügen macht. Nun äußert der Apostel aber nicht nur seine persönliche Befriedigung, sondern sagt, mehrere seien erfreut, weil Philemon den Frommen milde und gütig geholfen habe. „Die Herzen (oder eigentlich die Eingeweide) erquicken“, damit meint Paulus, den Leidenden Erleichterung schaffen, oder den Unglücklichen so beistehen, dass sie Frieden im Herzen und, frei von aller Beschwernis und Traurigkeit, Ruhe haben. Denn bei den „Eingeweiden“ denkt er an Empfindungen, die „Erquickung“ aber bedeutet so viel als Ruhe und Frieden; darum ist es sehr falsch, diese Worte auf den Bauch und die Nahrung zu beziehen.

V. 8. Wiewohl ich habe große Freudigkeit in Christo usw. Will sagen: obwohl ich dir nach meinem Rechte gebieten könnte, so macht doch deine Liebe, dass ich vorziehe, zu vermahnen und zu bitten. Die Macht zu befehlen aber schreibt Paulus sich in zweifacher Hinsicht zu: weil er ein Greis sei und ein für Christus Gebundener. Doch sagt er, er ziehe um Philemons Liebe willen vor, zu bitten, darum, weil man Gebot auflegt, wenn man etwas, auch von Unwilligen, mit Gewalt erpressen will, bei denen aber, die von selbst zum Gehorsam bereit sind, lieber eine sanfte Anweisung, was zu geschehen hat, als einen Befehl: auch deshalb bedient sich Paulus dem Willfährigen gegenüber mit Recht der Bitte und lehrt mit seinem Beispiel die Pastoren, dass sie sich um ihre Schüler mehr durch sanftes Locken, als durch Ziehen bemühen sollen. Und sicherlich wirkt es, indem er zu Bitten sich herablässt und seines Rechtes sich begibt, zur Erreichung seiner Absicht weit mehr, als wenn er befehlen würde. Weiterhin aber nimmt er ja auch nichts für sich in Anspruch außer in Christo, d. h. wegen des ihm aufgetragenen Amtes. Denn Christus will allerdings nicht, dass die, welche er zu Aposteln eingesetzt hat, des Ansehens entbehren. Indem er jedoch hinzufügt: was dir ziemt, deutet er an, dass die Lehrer nicht schrankenlos, sondern in ihrer Gewalt an die Bestimmung gebunden seien, nur das Geziemende, und was im Übrigen eines jeden Pflicht entspricht, vorzuschreiben. Daher von neuem an die Pastoren die Mahnung, mit aller nur möglichen Milde mit den Seelen umzugehen, so lange sie auf diese Art weiter kommen: doch so, dass die so lind Behandelten wissen, man fordere weniger von ihnen, als sie schulden. Die Bezeichnung „alter Paulus“ geht nicht auf das Alter, sondern auf das Amt. Dass er sich nicht als Apostel bezeichnet, erklärt sich daraus, dass er es mit einem Kollegen am Dienst des Wortes zu tun hat, mit dem er vertraulich spricht.

V. 10. So ermahne ich dich um meines Sohnes willen. Weil die Bitten weniger Gewicht zu haben pflegen, denen nicht ein gehöriger Auftrag zu Grunde liegt, zeigt Paulus, eine unumgängliche Verpflichtung nötige ihn, für Onesimus einzutreten. Hier aber mögen wir wohl bedenken, wie sehr er sich herniederlässt, indem er den Sohnesnamen einem Sklaven, einem Ausreißer, einem Diebe überträgt. Der Ruhm jedoch, dass er ihn gezeugt habe, geht auf das Amt, nicht auf die eigene Kraft: denn es ist kein Menschenwerk, eines Menschen Seele neu zu bilden und zu Gottes Ebenbild umzugestalten. Um diese geistliche Zeugung aber handelt es sich hier. Weil die Seele nun aber durch den Glauben wiedergeboren wird, und der Glaube aus der Predigt kommt, darum tritt der Diener der Lehre in seiner Art an die Stelle des Vaters. Da ferner das von einem Menschen gepredigte Wort Gottes der Same des ewigen Lebens ist, so darf der wohl Vater genannt werden, aus dessen Munde wir diesen Samen empfangen. Gleichwohl ist dabei festzuhalten, dass der Dienst des Menschen bei der Wiedergeburt der Seele nur insoweit wirksam ist, dass eigentlich doch Gott selbst durch die Kraft seines Geistes wiedergebiert. Darum stellen derartige Ausdrücke nicht etwa das menschliche Wirken mit dem göttlichen sozusagen auf gleiche Stufe, sondern sie weisen nur darauf hin, wozu sich Gott der Menschen bedient. Wenn Paulus übrigens sagt, er habe den Onesimus in seinen Banden gezeugt, so vermehrt dieser Umstand das Gewicht der Empfehlung.

V. 12. Ihn, das ist mein eigen Herz. Nichts Wirksameres konnte, um Philemons Zorn zu beruhigen, gesagt werden. Denn wenn er gegen seinen Sklaven unversöhnlich gewesen wäre, so musste er auf diese Weise gegen Pauli Herz wüten. Wunderbar aber ist die Güte des Paulus, dass er nicht zögerte, einen elenden Sklaven, Dieb und Flüchtling gewissermaßen in sein Herz aufzunehmen, um ihn gegen den Zorn seines Herrn zu schützen. Ohne Zweifel müssten auch wir in derselben Weise alle aufnehmen, die lauter und ohne Heuchelei Buße getan haben, - wenn wir die Bekehrung eines Menschen zu Gott nach ihrem Werte schätzten.

V. 13. Ich wollte ihn bei mir behalten. Ein neuer Grund zur Besänftigung Philemons, dass Paulus ihm nämlich den Sklaven zurückschickt, obwohl er an sich dessen Dienst recht gut hätte gebrauchen können. Es wäre ja unhöflich gewesen, ein dahin zielendes Begehren Pauli abzuschlagen, und er deutet an, es sei ihm in der Tat nicht unlieb, wenn der Knecht zurückgeschickt werde: jedenfalls sehe er das lieber, als wenn er zu Hause hart behandelt werde. Noch andere Umstände könnten einen solchen Ausgang empfehlen: Onesimus werde die Stelle seines Herrn bei dieser Dienstleistung vertreten; nur habe Paulus selbst aus Bescheidenheit dem Rechte Philemons nichts entziehen wollen; endlich werde Philemon umso mehr Lob haben, wenn er den seiner Bestimmung wieder unterworfenen Sklaven von selbst und aus freien Stücken zurücksende. Hieraus aber haben wir nun den Schluss zu ziehen, dass man die Märtyrer Christi mit allen möglichen Dienstleistungen unterstützen soll, wenn sie als Zeugen des Evangeliums leiden. Denn wenn wir Bande, Verbannung, Schläge, Schmähungen, Güterberaubungen, als „Bande usw. des Evangeliums“ ansehen dürfen, wie sie hier Paulus nennt, so trennt sich der von Christus selbst, welcher sich weigert, mit den Verfolgten gemeinsame Sache zu machen. Gemeinsam ist doch für alle die Pflicht, das Evangelium zu schützen. Wer darum um seinetwillen Verfolgung erduldet, gilt nicht mehr als Privatmann, sondern als Vertreter einer öffentlichen Aufgabe. Daraus folgt, dass allen Frommen gemeinsam die Sorge für ihn obliegt; man soll nicht sagen, dass es sich ja nur um einen Menschen handelt, - denn damit lässt man nur zu oft das Evangelium im Stich.

V. 14. Auf dass dein Gutes, d. h. deine Wohltat nicht wäre genötigt. Dies ist eine allgemeine Regel, dass dem Herrn nur die Opfer gefallen, die freiwillig sind. Ebenso spricht Paulus auch von dem Almosen (2. Kor. 9, 7). Von einer „Nötigung“, welche der Freiwilligkeit schnurstracks zuwiderläuft, muss überall da die Rede sein, wo für die Probe einer ungezwungenen Hingabe kein Raum gelassen wird. Nur der Dienst, der aus freien Stücken, nicht aus fremdem Antrieb übernommen wird, verdient wahres Lob. Bemerkenswert ist noch, dass Paulus im Namen des Onesimus die Schuld der Vergangenheit anerkennt, aber erklärt, dass jener sich geändert habe; und damit Philemon nicht zweifle, dass der Knecht mit einem anderen Geiste und einem neuen Charakter zu ihm zurückkehre, so bemerkt er, er habe seine Umwandlung selbst erprobt.

V. 15. Vielleicht ist er darum von dir kommen. Wenn die Sünden der Menschen uns irgendwie zum Zorne gereizt haben, so müssen wir uns beruhigen, wenn wir sehen, dass das Unrecht, das sie getan, nach Gottes Rat ein anderes Ende gewonnen hat. Ein glücklicher Umschwung im Bösen ist gleichsam ein Heilmittel, das uns Gottes Hand zur Entfernung alles Anstoßes darreicht. So erwog Josef, dass er, der zum Sklaven Verkaufte, durch die wunderbare Vorsehung Gottes in eine solche Stellung emporgeführt war, in der er seine Brüder und seinen Vater ernähren konnte, und sagte, der Treulosigkeit und Grausamkeit der Brüder vergessend, er sei um ihretwillen ihnen vorausgeschickt. Paulus ermahnt darum den Philemon, er dürfe über die Flucht des Sklaven nicht mehr zürnen, weil sie Anlass eines nimmermehr zu bereuenden Segens geworden sei. Denn solange Philemon ihn im Hause hatte, besaß er ihn nicht in Wahrheit, da seine Seele verirrt und verlaufen war; er konnte keinen rechten Nutzen von ihm ziehen, da er schlecht und untreu war. Darum sagt er, er sei eine kurze Zeit in die Irre gegangen, um durch den Wechsel des Ortes ein anderer zu werden und als ein neuer Mensch zurückzukehren. Wie klug weiß er alles zu wenden, indem er von der Flucht sagt, er sei „von dir kommen“, und zwar nur „eine Zeit lang“! Dazu stellt er dem kurzen Verlust die lange Dauer der rechen Brauchbarkeit gegenüber, und weist noch auf einen anderen Nutzen seiner Flucht hin, dass Onesimus aus diesem Anlass nicht nur gebessert sei, so dass er jetzt erst ein nützlicher Sklave, sondern dass er seinem Herrn ein Bruder geworden sei. Damit aber der durch die frische Beleidigung noch verwundete Sinn des ersteren an dem Brudernamen nicht neuen Anstoß nehme, so erkennt Paulus den Onesimus zu allererst als seinen Bruder an, und folgert daraus, Philemon sei ihm noch viel enger verbunden, da sie beide im Herrn ein völlig gleiches Band nach dem Geiste umschlinge, nach dem Fleische Onesimus aber ein Glied seines eigenen Hauses sei. Hier erkennen wir erst recht die seltene Bescheidenheit Pauli, der einen wertlosen Sklaven des Brudernamens würdigt, ja ihn einen lieben, aufs engste verbundenen Bruder nennt (V. 16). Freilich, es wäre allzu großer Stolz, sich des Brudernamens bei denen zu schämen, die Gott als seine Kinder ansieht. Wenn Paulus nun hinzufügt: wie viel mehr dir, so will er sagen: Da Onesimus schon mir ein Bruder ist, so muss er es dir noch mehr sein, da ein doppeltes Band euch verbindet. – Da der Apostel übrigens sicherlich nicht ohne Grund oder leichthin, wie es viele tun, für einen nicht hinreichend bekannten Mann Versprechungen macht und seinen Glauben erhebt, bevor derselbe durch feste Beweise sich bewährt hat, so stellt uns Onesimus ein denkwürdiges Muster der Buße vor Augen. Man weiß, wie schlecht die Charaktere der Sklaven waren, so dass kaum der Hundertste zu einem ersprießlichen Gedeihen gelangte. Auch lässt die Flucht vermuten, dass Onesimus sich nach Gewohnheit und Haltung schon in der Bosheit verhärtet hatte. Also war es eine seltene und staunenswerte Tat, die eingewurzelten Laster so plötzlich auszureißen, dass ihm der Apostel in Wahrheit bezeugen konnte, er sei ein anderer Mensch geworden. Dieselbe Betrachtung enthüllt uns die nützliche Erkenntnis, dass die Erwählten Gottes bisweilen auf wunderliche Weise wider der Menschen Erwarten auf verschlungenen Pfaden, ja durch Labyrinthe zum Heile geführt werden. Onesimus lebte in einem frommen und heiligen Hause; von dort als Übeltäter flüchtig, trennt er sich wie absichtlich weit von Gott und dem ewigen Leben. Gott aber lenkt die verderbliche Flucht durch seine geheime Vorsehung wunderbar, dass er zu Paulus kommt.

V. 17. So du nun mich hältst für deinen Gesellen. Hier lässt Paulus sich noch tiefer herab, indem er dem entlaufenen Sklaven sein eigenes Recht und seine Ehre überweist, und ihn gewissermaßen an seine Stelle setzt, wie er sich wenig später zum Bürgen an seiner Statt macht. Sehr viel kam ihm nämlich darauf an, dem Onesimus einen versöhnlichen und freundlichen Herrn zu verschaffen, damit ihn nicht maßlose Strenge zur Verzweiflung treibe. Dies ist es, weshalb sich Paulus so ängstliche Mühe gibt. Wir aber werden durch sein Beispiel daran erinnert, mit welchem Eifer ein Sünder zu unterstützen ist, der uns von seiner Reue überzeugt hat. Wenn es an uns liegt, für Bußfertige bei anderen einzutreten und ihnen Verzeihung zu erwirken, so müssen wir uns ihrer umso mehr mit Güte und Sanftmut annehmen.

V. 18. So er aber dir etwas Schaden getan hat. Hieraus ist zu schließen, dass Onesimus seinen Herrn auch bestohlen hat, wie das häufig bei den entlaufenen Sklaven vorkam. Gleichwohl erscheint die Hässlichkeit des Verbrechens durch den Zusatz gemildert: oder so er dir etwas schuldig ist. Denn es bestand ja kein bürgerlich-rechtliches Schuldverhältnis zwischen den beiden, sondern der Sklave war dem Herrn nur mit Leib und Leben verhaftet. Umso größer ist daher die Freundlichkeit Pauli, der auch bereit ist, für das Unrecht Genüge zu leisten. Die Bemerkung (V. 19): ich schweige, dass du dich selbst mir schuldig bist, sollte ausdrücken, wie stark Paulus auf Erfüllung der Bitte rechnet. Es ist, als wollte er sagen: du kannst mir nichts abschlagen, auch wenn ich dich selber forderte. Den gleichen Sinn hat, was er weiter unten von der Herberge und dergleichen schreibt. Es bleibt nur die eine Frage, wie der die Bezahlung einer Schuld versprechen konnte, welcher ohne die Unterstützung der Gemeinden selbst nichts besaß, um nur kümmerlich und eingeschränkt zu leben. Das Versprechen scheint bei dieser Armut und Dürftigkeit lächerlich zu sein. Aber offenbar wollte Paulus durch seine Art des Ausdrucks vorbeugen, dass nicht Philemon etwas von dem Sklaven zurückfordere; wenn es also auch nicht ironisch gemeint ist, so ist es doch eine verblümte Redeweise, durch die er diese Sache zur Sprache bringt und hinwegräumt. Der Sinn ist demnach: du sollst nicht mit deinem Sklaven über das Verlorene zanken, wenn du mich nicht an seiner Stelle zum Schuldner haben willst. Denn sofort fügt Paulus hinzu: Philemon sei ganz sein. Wer aber den ganzen Menschen für sich in Anspruch nimmt, hat keinen Grund zur Sorge wegen der Bezahlung einer Schuld.

V. 20. Ja, lieber Bruder. Diese bestimmte Anrede will die Mahnung noch verstärken. Es ist als hörten wir den Apostel sagen: dann erst wird es offenbar sein, dass du dir nichts mir gegenüber vorbehältst, sondern in Wahrheit mir selbst zugetan bist und all das Deine zu meiner Verfügung stellst, wenn du den Zorn vergisst und den zu Gnaden wieder annimmst, der mir so nahe verbunden ist. Und noch einmal wiederholt sich (vgl. V. 7) das Wort von der Erquickung des Herzens. Wir sehen nun hier, dass durch den Glauben an das Evangelium die bürgerliche Ordnung nicht aufgehoben, noch Recht und Gewalt über die Knechte den Herren genommen wird. Denn Philemon war nicht einer aus dem Volke, sondern ein Gehilfe des Paulus in der Arbeit am Weinberg Christi; dennoch wird ihm die gesetzlich gestattete Herrschaft über den Sklaven nicht genommen, sondern ihm nur befohlen, freundlich zu verzeihen und ihn wieder anzunehmen. Ja Paulus bittet flehentlich, er möge die alte Stelle wieder bekommen. Die demütige Fürbitte Pauli aber erinnert uns auch, wie weit von wahrer Buße noch entfernt sind, die ihre Fehler voll Trotzes entschuldigen, oder ohne Scham und ohne Zeichen der Demut ihre Sünden so eingestehen, als hätten sie doch niemals gesündigt. Onesimus musste sicherlich, als er den berühmten Apostel Christi so ängstlich seinetwegen bitten sah, noch viel mehr sich demütigen, um dadurch seinen Herrn zur Nachsicht zu bewegen. So ist auch die Entschuldigung des Apostels zu verstehen, er habe voll Zuversicht geschrieben, weil er wisse, Philemon werde mehr tun, als er gebeten sei.

V. 22. Daneben bereite mir usw. Diese vertrauensvolle Aussicht musste für Philemon ein Sporn sein, ihn noch mehr anzutreiben; dazu bot sie ihm die Hoffnung auf Dank bei der Ankunft des Apostels. Obgleich wir nun nicht wissen, ob Paulus später wirklich aus seinen Banden befreit worden ist, so kann es doch nicht befremden, wenn die Hoffnung, die er sich von einer zeitlichen Wohltat Gottes machte, ihn getäuscht hat. Denn er war von seiner Befreiung nur in dem Sinne überzeugt, sofern es Gott wohl gefallen sollte. Stets hielt er sich in demütiger Erwartung, bis der wirkliche Verlauf Gottes Willen offenbaren würde. Zu beachten ist auch der Ausdruck, dass den Gläubigen geschenkt werde, was sie durch ihre Bitten erlangen. Denn daraus lernen wir, dass unser Gebet, auch wenn es der Wirkung nicht entbehrt, doch nichts gilt durch eigenes Verdienst; was es erlangt, bleibt doch ein Gnadengeschenk.

V. 24. Demas. Es ist derselbe, über welchen der Apostel später (2. Tim. 4, 10) einmal klagen muss, dass er ihn verlassen habe. Wenn aber selbst einen von den Helfern des Apostels die Ermüdung überwältigte, und die Eitelkeit der Welt wieder zu sich zurückzog, so vertraue niemand auf den Eifer eines Jahres allzu sehr, sondern erwäge, was für eine Strecke im Laufe noch vor ihm liegt, und erbitte sich Ausdauer von dem Herrn!

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