Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 5.

Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 5.

V. 1. Da nun alle Könige hörten usw. Die Erkenntnis der furchtbaren Macht Gottes brachte diese Könige dahin, im Schrecken den Mut fahren zu lassen. Aber sie führte ihre Herzen nicht dahin, das Mittel zur Rettung zu suchen. Ihr Herz wurde wankend: denn ratlos und kraftlos konnte sie sich nicht rühren; allein ihr Trotz machte sie hartnäckig. Auch sonst sehen wir, dass Ungläubige durch Schrecken zwar gänzlich entmutigt werden, dass sie aber trotzdem nicht ablassen, wider Gott zu streiten, ja dass sie sogar dreinschlagen, als wollten sie mit wilder Kühnheit den Himmel stürmen. So machte die Furcht, welche sie zur Vorsicht treiben sollte, sie tollkühn. Gott hatte sie erschreckt zugunsten des Volkes, damit der Sieg umso leichter sei; die Israeliten sollten desto mutiger werden, je mehr sie merkten, dass sie es mit bereits gebrochenen und sozusagen halbtoten Feinden zu tun hatten; Gott nahm schonend Rücksicht auf ihre Schwachheit und bahnte ihnen bereits durch Wegräumung der Hindernisse den Weg, weil sie oft allzu furchtsam und langsam waren. Die Feinde waren also bereits niedergeschlagen, bevor es mit ihnen zum Kampf gekommen war, denn die Kunde von dem Wunder hatte ihnen solchen Schrecken eingejagt.

V. 2. In der Zeit sprach der Herr usw. Es streift ans Unglaubliche, dass die Beschneidung so lange unterlassen wurde, zumal Gottes tägliche Zeichen die Kinder Israel zu besonderem Eifer in den Übungen der Frömmigkeit hätten mahnen müssen. Und die Beschneidung war doch das Unterpfand ihrer Annahme zur Gotteskindschaft, die ihnen die Freiheit gebracht hatte. Gewiss haben sie, während sie unter schwerer Knechtschaft seufzten, stets ihre Kinder beschnitten. Wir wissen ja, wie streng Gott drohte, er werde es bestrafen, wenn einer den achten Tag vorübergehen ließe. Wenn die Beobachtung dieses Gebotes in Ägypten unterblieben wäre, weil damals Gottes Bund gleichsam aufgehoben scheinen konnte, so wäre diese Unterlassung leichter entschuldbar gewesen. Nun aber, da Gottes Wahrhaftigkeit unveränderlich strahlt in der Befestigung des Bundes, gibt es keinen Entschuldigungsgrund, wegen dessen die Israeliten nicht auch ihrerseits hätten bezeugen sollen, dass sie Gottes Volk waren. Die fortwährende Unruhe des Zugs durch die Wüste konnte es nicht entschuldigen, dass man Gottes heilige Ordnung durchbrach. Auch hätte Mose solche Gleichgültigkeit sicher nicht gewähren lassen. Ich möchte nach alledem annehmen, dass die Beschneidung nicht sofort mit dem Auszug aus Ägypten aufhörte, sondern erst, als Gott das Volk wegen seiner Widerspenstigkeit von sich stieß: vierzig Jahre mussten vergehen, bis das aufrührerische Geschlecht, das sich von dem verheißenen Erbteil losgesagt hatte, ausgestorben war. Während dieser ganzen Zeit ließ Gott zum Zeichen seines Fluchs die Beschneidung aufhören. Diese Strafe traf zwar die unschuldigen Kinder: aber sie war als Gericht über die Väter gedacht, denen auf diese Weise eingeprägt wurde, dass sie sich samt ihren Kindern in nichts mehr von den Heiden und Fremdlingen unterschieden. Erst jetzt entstand an Stelle der älteren, abtrünnigen Generation ein neues Gottesvolk, indem Josua beim Eintritt in das Land diejenigen beschnitt, die während der Wüstenwanderung geboren waren. Freilich war es eine Prüfung ihres Glaubens, dass die Beschneidung in einem Zeitpunkt stattfand, da sie unmittelbar nach dem Eintritt in das Land rings von Feinden umgeben waren. Leichter und gefahrloser wäre es gewesen, die Beschneidung vorzunehmen, bevor man den Jordan überschritt, in der Gegend von Basan, in welcher nach Unterwerfung der Einwohner Ruhe herrschte. Gott aber wartete, bis sie mitten unter den Feinden ihrer Willkür und Gewalt preisgegeben waren, gerade wie wenn er sie absichtlich ins Verderben hätte stoßen wollen. Als alle ihrer Wunden wegen liegen mussten, hätte man sie ohne Mühe erwürgen können (vgl. 1. Mo. 34, 24 ff.). Diese sehr harte Prüfung wurde aber mit bereitwilligem Gehorsam ertragen, welcher höchstes Lob verdient. Und dass die Kinder Israel jetzt das gelobte Land mit Augen sahen, und dass ihnen jetzt die heilige Weihe für Gott zuteil ward, musste ihnen ein Antrieb sein, das heilige Land nicht durch ein unbeschnittenes Wesen zu beflecken.

V. 9. Und der Herr sprach zu Josua usw. Die Schande Ägyptens, welche jetzt von den Israeliten genommen wird, deuten manche Ausleger darauf, dass sie als Unbeschnittene den Ägyptern gleich waren und die Schmach tragen mussten, nicht besser als Heiden zu sein. Jetzt, da sie mit dem Zeichen des Gottesvolkes gezeichnet sind, wurden sie des Herrn Eigentum und dadurch von den unreinen Heiden unterschieden. Ich finde dagegen in den Worten den Sinn, dass jetzt ein schändlicher Verdacht von ihnen weichen musste, der bis dahin auf ihnen lastete: es hatte doch etwas Anstößiges, dass sie das Joch ihres rechtmäßigen Königs abgeschüttelt hatten. Mochten sie auch rühmen, dass Gott es war, der sich ihrer annahm und die ungerechte Tyrannei zerbrach, so lag doch der Vorwurf nahe, dass sie sich fälschlich auf Gottes Namen beriefen. Man hätte sie als entlaufene Sklaven ansehen müssen, wäre ihnen nicht, um ihre Schande zu tilgen, die Beschneidung wiedergegeben worden, mit welcher die göttliche Erwählung schon an ihrem Fleisch versiegelt wurde, bevor sie nach Ägypten hinabzogen. Durch die Erneuerung des alten Bundes wurde offenbar, dass sie nicht Aufrührer gegen eine rechtmäßige Herrschaft waren, die durch eigene Verwegenheit zugrunde gehen, sondern dass derselbe Gott, der sie früher in seinen Schutz genommen hatte, ihnen nun auch die Freiheit wieder zurückgibt. Von dieser Abwälzung der Schmach erhielt der Ort seinen Namen: Gilgal, d. i. Abwälzung wurde er genannt, weil Gott dort sein Volk von der Schmach, die auf ihm lastete, befreite.

V. 10. Einige Ausleger meinen, es handele sich hier um eine ganz besondere Passahfeier. Sie ziehen den Schluss, das Passah sei, ebenso wie die Beschneidung, vierzig Jahre lang unterblieben. Denn Unbeschnittene hätten es ja nicht feiern dürfen. Auch lesen wir seit dem Anfang des zweiten Jahres nichts mehr vom Schlachten des Passahs. Dennoch ist es nicht wahrscheinlich, dass Gott dieses Fest, das er eben erst als bleibende Feier eingesetzt hatte, gleich wieder abgeschafft haben sollte. Es hieß doch (2. Mo. 12, 42): „Diese Nacht sollen die Kinder Israel dem Herrn feiern, sie und ihre Nachkommen.“ Es ist undenkbar, dass zwei Jahre später diese für alle Jahrhunderte unantastbare Einsetzung bereits wieder außer Gebrauch gekommen sein sollte. Oder wäre die Gleichgültigkeit so groß gewesen, dass sie das Andenken an die eben erst erfahrene Wohltat in so kurzer Zeit wieder begraben hätte? – Aber auf der anderen Seite galt doch das Wort 2. Mo. 12, 48: „Kein Unbeschnittener soll davon essen.“ Also mussten viele, weil sie Unbeschnittene waren, sich von dieser heiligen Handlung fernhalten. In diesem Falle möchte ich jedoch eine besondere Ausnahme annehmen. Sicherlich haben die Israeliten doch während dieser ganzen Zeit Opfer gebracht und die übrigen vom Gesetze vorgeschriebenen gottesdienstlichen Handlungen ausgeübt. Das wäre Unrecht gewesen, wenn Gott nicht die Vorschriften über die gesetzmäßige Form gemildert hätte. Alle Unreinen wurden vom Tempelvorhof Gottes ferngehalten. Dort aber hatten die Kinder Israel – ohne beschnitten zu sein – Opfer dargebracht, das war ebenso viel wie das Passahschlachten. Was also nach der Norm des Gesetzes nicht gestattet war, wurde ihnen in nachsichtiger Duldung erlaubt.

V. 11. Und aßen vom Getreide des Landes usw. Ob wirklich die Meinung ist, dass sie am Tage nach dieser Passahfeier zum ersten Male vom Getreide aßen, lässt sich bezweifeln: denn sie hatten sich zuletzt in einem nicht unbebauten, ziemlich fruchtbaren Landstrich aufgehalten. Das Gebiet der beiden Könige im Ostjordanlande, das sie erobert hatten, wird eine für seine Bewohner hinreichende Getreidemenge hervorgebracht haben. Und es wäre unvernünftig gewesen, wenn die Israeliten das dort vorgefundene Getreide hätten verderben und verfaulen lassen. Auch zweifle ich nicht daran, dass sie von dem übrigbleibenden Opferfleisch aßen. So werden sie nicht völlig auf Weizenbrot verzichtet haben, ohne doch damit von der bisherigen Ernährungsweise abzulassen. Das Gebiet, welches dem zehnten Teile des Volkes zugewiesen war, hätte unmöglich die erforderliche Menge Nahrungsmittel hervorbringen können. Mose hatte jedenfalls richtig geschätzt, als er zweieinhalb Stämme dort ansiedelte. Also hatten die zwölf Stämme dort ihren Lebensunterhalt noch nicht finden können, besonders da das Land durch den Krieg verwüstet war. Sie konnten sich auch noch nicht mit Ackerbau beschäftigen: denn es war zu unsicher und gefährlich, sich vom Lager zu entfernen. Darum war das Manna noch nötig, bis sie größere Vorräte fanden. Dies geschah im Lande Kanaan: daher kehrten sie jetzt zur gewöhnlichen Lebensweise zurück. Gott hatte sie mit Reisekost begleitet, solange ihr Hunger Hilfe verlangte. Wenn aber in dieser Zeit das Manna plötzlich ausblieb, dann sollte das wieder ein Zeugnis göttlicher Gnade sein. Darin zeigte sich ja, dass das Manna nur eine vorübergehende Unterstützung war, welche nicht aus den Wolken, sondern aus der väterlichen Vorsehung Gottes herausfloss. Das Getreide, von welchem die Israeliten jetzt sich zu nähren begannen, war selbstverständlich das vorjährige. Denn es war noch zu früh, um das diesjährige zu ernten. Auch hätten sie vor einem Monat kaum so viel zusammenbringen können, wie für eine große Menschenmenge nötig war.

V. 13. Und es begab sich, da Josua usw. Die hier berichtete bedeutsame Erscheinung sollte den Josua ermutigen und in der Ausführung seines Amtes anspornen. Doch nicht um seinetwillen allein, sondern zur Ermutigung des ganzen Volkes erschien der Engel. Gott wollte seine Gnade, die nie ausgedacht werden kann, den Nachkommen im Voraus durch immer sicherere Beweise bezeugen. Sie rühmten sich mit Stolz, dass sie durch Gottes Hand ins heilige Land eingepflanzt seien; alle diese Wunder sollten sie aber veranlassen, ernstlich darüber nachzudenken, dass sie nur durch Gottes Gnadengeschenk dort wohnten. Auch dieses Gesicht sollte für alle Zeiten Gottes Wohltaten unzweifelhaft machen.

Dass Josua seine Augen aufhob, wird gesagt, um die Erscheinung glaubhaft zu machen. Niemand soll meinen, dass sein Sehvermögen sich durch eine flüchtige Täuschung blenden ließ. Der erste Anblick bot dem Josua ein erschreckendes Bild. Wahrscheinlich war er damals ganz allein, und hatte sich, entweder um zu beten, oder um die Stadt zu erforschen, von der Menschenmenge abgesondert. Am wahrscheinlichsten ist, dass er für sich allein erspähte, an welcher Stelle man in die Stadt eindringen könne, damit nicht andere von den Schwierigkeiten erschreckt würden. Ohne Begleitung steht er hier allein dem Mann gegenüber, jedenfalls kampfbereit, weil er sich auf eine feindliche Begegnung gefasst machen musste. Wie einen Menschen redet er ihn an; erst aus der Antwort erkennt er ihn als Engel.

Und diese Antwort macht deutlich, dass wir es nicht mit einem gewöhnlichen Engel zu tun haben, sondern mit einem besonders hervorragenden. Er nennt sich „Fürst über das Heer des Herrn“, also über das auserwählte Volk, oder – was allerdings weniger wahrscheinlich ist – über das Heer der Engel. Dieser Engel ist schon von Moses Erfahrungen her (2. Mo. 14, 19) bekannt, der seine Sendung als eine besondere Wohltat schätzte, weil der Herr darin seine Herrlichkeit besonders handgreiflich und in freundlicher Nähe offenbarte. Darum heißt er gewöhnlich „der Engel“, und er erscheint auf die Stufe des ewigen Gottes gerückt. Paulus bezeugt ausdrücklich, es sei Christus gewesen (1. Kor. 10, 4). Mose selbst hat unter der Gestalt dieses Mittlers den in ihm gegenwärtigen Gott ergriffen (2. Mo. 32, 34). Denn als Gott nach Verfertigung des Kalbes sagt, er werde nicht weiter des Volkes Führer sein, verspricht er zugleich einen aus der Schar der gewöhnlichen Engel senden zu wollen, wogegen sich Mose in seinem Gebet heftig sträubt (2. Mo. 33, 2 f.; 12 ff.). Denn wenn der eigentliche Mittler ihm entzogen war, konnte er nicht mehr auf Gottes Gnade hoffen. Die Gegenwart des Fürsten und Hauptes über die Gemeinde des Herrn, an welche Mose bis dahin gewöhnt war, war ein ganz besonderes Zeichen der göttlichen Gnade: und nur durch die Hand dieses Mittlers konnte die Annahme zur Gotteskindschaft bekräftigt und beglaubigt werden.

V. 14. Er sprach: Nein, sondern usw. Das „Nein“ könnte die beiden Teile der Frage ablehnen: „Gehörst du uns an oder unsern Feinden?“ Dann wäre der Sinn: Ich bin überhaupt kein sterblicher Mensch. Passender wird man es doch als Verneinung bloß des zweiten Stückes auffassen: Ich bin kein Feind, sondern bin vielmehr als Führer des auserwählten Volkes gekommen. Indem der Engel diesem Volk den Ehrentitel gibt „Heer des Herrn“, unterscheidet er sich selbst von Gott, welche Unterscheidung der Personen doch nicht gegen die Einheit des Wesens spricht. Wissen wir doch, dass bei Mose der Name des Herrn selbst öfters auf diesen führenden Engel übertragen wird (z. B. 1. Mo. 48, 15 f.), der ohne Zweifel der eingeborene Sohn Gottes war. Er, der wahre Gott, ist doch in der Stellung des Mittlers Gott untergeordnet. Schon die Alten lehren: dass Christus vor Zeiten in Menschengestalt erschien, sei ein Vorspiel des Geheimnisses, welches endlich erfüllt wurde, als Gott sich im Fleische offenbarte. Doch dürfen wir uns nicht einbilden, dass Christus damals menschliche Natur angenommen habe: denn erst, als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn ins Fleisch (Gal. 4, 4). In seinen früheren Erscheinungen war er, wie wir bei Hesekiel (1, 26) lesen, nur „wie ein Mensch gestaltet.“

V. 15. Zieh deine Schuhe aus usw. Um die Heiligkeit des Gesichtes desto mehr hervorzuheben, verlangt der Engel als Zeichen der Ehrfurcht und Scheu, dass Josua seine Schuhe ausziehe. Auch Mose empfing am Sinai den gleichen Befehl (2. Mo. 3, 5), lediglich weil Gott an diesem Ort seine Herrlichkeit offenbarte. Denn dass ein Ort heiliger als der andere ist, kann allein aus einer besonderen Herablassung Gottes fließen. So ruft Jakob aus (1. Mo. 28, 17), dass an dem Ort, da er des Herrn Nähe in besonderem Maße verspürte, Gottes Haus sei, ein heiliger Ort, die Pforte des Himmels. Das Ausziehen der Schuhe bestätigt die Gewissheit göttlicher Nähe und gibt der Erscheinung mehr Nachdruck, - gewiss nicht, weil nackte Füße an sich zum Dienste Gottes nötig wären, sondern weil solche Hilfsmittel die schwachen Menschen unterstützen sollten, damit sie sich umso besser zur Gottesverehrung antreiben ließen. Wie nun Gott die Orte seiner Erscheinung durch seine Gegenwart heiligt, so gilt diese Bezeichnung besonders von dem bevorzugten Lande Kanaan, welches er sich zu seinem Wohnsitz erwählt hatte, um dort ohne Entweihung verehrt zu werden. Darum nennt es der Herr auch öfters (Ps. 95, 11; 132, 14): „meine Ruhe“. – Der Schluss des Verses lobt Josuas Gehorsam und mahnt die Nachkommen, in diesem Lande ihren Gottesdienst stets heilig auszuüben. Durch die darin liegende Vergleichung wird Kanaan allen anderen Ländern gegenübergestellt und über sie erhoben.

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