Anselm von Canterbury - Meditationen (Sonntag nach Weihnachten)

Anselm von Canterbury - Meditationen (Sonntag nach Weihnachten)

Die heilige Geburt und Kindheit unseres Heilands strömt über von Erquickung, Barmherzigkeit und Heilsamkeit; von Erquickung, was die Freude betrifft, von Barmherzigkeit, was das Leiden betrifft, von Heilsamkeit, was die Bedeutung betrifft. Denn was ist freudenreicher, als den in Menschengestalt zu sehen, der ja des Menschen Schöpfer ist? Und was sollte dem Menschen lieblicher erscheinen, als mit hellem Auge zu sehen, daß in diesem Mittler zwischen Gott und den Menschen, unserem Herrn Jesu Christo, auf wunderbare und unaussprechliche Weise die Ewigkeit ihren Anfang nimmt, die Höhe sich erniedrigt?

Im Mutterleibe wird er empfangen, der von Ewigkeit in des Vaters Schooße ist. Vom Vater in Ewigkeit ohne Mutter geboren, wird er in der Zeit von einer Mutter ohne Vater geboren. In Windeln gewickelt liegt. Er, der die Erde mit Gesträuch bekleidet, den Himmel mit Sternen geschmückt, das Meer mit Fischen erfüllt hat. Er, den der Himmel Himmel nicht fassen mögen, wird von enger Krippe umschlossen und nährt sich an der Mutter Brust. Er nimmt zu an Weisheit, dessen Weisheit ohne Anfang und Ende ist, der die Weisheit des Vaters selbst ist; Er nimmt zu an Alter, dessen Ewigkeit nicht zu - noch abnimmt; Er nimmt zu an Gnade, der aller Gnade Urheber und Erhalter und Geber ist. Den alle Kreatur anbetet, vor dem Aller Knie sich beugen, wird Eltern unterthan. Es wird getauft der Herr vom Knechte, der Gott vom Menschen, der König vom Unterthan. Er, dem die Engel dienen, wird vom Teufel versucht. Der das Brot ist, hungert; der die Quelle ist, dürstet; der der Weg ist, wird müde. Die Höhe läßt sich unterdrücken, die Kraft sich schwächen, die Stärke sich lähmen, die Herrlichkeit sich beschimpfen, die Fröhlichkeit sich betrüben, die Freude sich wehe thun, die Majestät sich erniedrigen, und das Leben gibt sich in den Tod dahin.

Lieber Jesu, wie süß bist du dem Herzen, das deiner gedenkt und dich liebt. Fürwahr, ich weiß nicht, weil ich es nicht zu fassen vermag, woher es kommt, daß du dem Herzen, das dich liebt, darum weit süßer bist, weil du Fleisch geworden, als darum, weil du das Wort bist; süßer darum, weil du niedrig worden, als darum, weil du hoch bist. Süßer ist es zu schauen, wie du von der jungfräulichen Mutter in der Zeit geboren wurdest, als wie du in der Herrlichkeit vor dem Morgenstern von dem Vater bist gezeugt worden; wie du dich selbst erniedrigt hast und Knechtsgestalt angenommen, als wie du in göttlicher Gestalt Gott gleich bist. Süßer ist es, zu sehen, wie du vor den Juden am Holze stirbst, als wie du herrschest über die Engel im Himmel; süßer ist der Blick auf deinen dienenden Gehorsam, als auf deine allmächtige Herrlichkeit; süßer der Anblick deines menschlichen Duldens, als deiner göttlichen Wunder; lieblicher der Blick auf den Retter dessen, was verloren war, als auf den Schöpfer dessen, was nicht war.

O wie süß ist es, lieber Jesu, in der Stille des Herzens daran zu gedenken, wie du für uns von einer Jungfrau sündlos empfangen und geboren, in Windeln gewickelt, in einer Krippe lagst, wie du die Schmach erlittet, zu den Spottreden schwiegt, den Jüngern die Füße wuschelt und sie mit dem Schurze trocknetet, wie du in der Nacht heftiger betetest, blutigen Schweiß vergossest, um dreißig Silberlinge verkauft, mit einem Kusse verrathen, mit Schwertern und Stangen gefangen, gebunden, verurtheilt, mit Geißeln geschlagen und zum Tode geführt wurdest wie ein unschuldiges Lamm; wie du deinen Mund nicht aufthatest, als du gestraft und gemartert wardt, nicht antwortetest zu den falschen Zeugnissen, ins Angesicht geschlagen, Faustschläge erduldend, von Wunden überdeckt, von Speichel verunstaltet, mit einem Purpurmantel angethan, mit Dornen gekrönt, zum Spott angebetet, mit einem Rohr aufs Haupt geschlagen, in einem weißen Kleide verspottet, zum Tode verurtheilt, dein Kreuz schleppend, und wie du, an dasselbe geheftet, für deine Mörder betetest, wie du mit Essig getränkt, mit Galle gespeiset, von dem Schächer gelästert, dein Blut aus den fünf Wunden deines Leibes vergossest, dein Haupt neigtest und deine Seele in des Vaters Hände befohlen und dies Alles um unsertwillen ertrugest. Daraus erwächset mehr und mehr Frohlocken und Vertrauen, Trost, Liebe und Verlangen.

Denn wer sollte nicht frohlocken und über die Maaßen freudig danken, wenn er sieht, wie sein Schöpfer nicht nur Mensch für ihn geworden, sondern auch so viel Pein und Schmach auf sich genommen hat? Was kann lieblicher, süßer und freudenreicher für die Seele sein? Wer will mir den Platz rauben in dem Reiche, wo der allmächtig herrscht, der mein Bruder geworden ist und mein Fleisch? Was sollte mir irgend Trostlosigkeit bereiten, da meine Hoffnung so fest stehet? Wie kann der der Traurigkeit Raum geben, der ohne Unterlaß seine Gedanken dahin richtet? Und das Vertrauen wächst in der Seele, wenn sie in Liebe zu ihrem Schöpfer entbrennt; ja, die Betrachtung der Menschheit Christi erzeugt ein Vertrauen, das nimmer wankt noch weicht, und doch frei ist von aller Vermessenheit. Wie sollte ich nicht hoffen, das Loos der Auserwählten zu erlangen, sintemal ich sehe, daß der Schöpfer aller Dinge sich für mich in den Tod gegeben hat? Er hat für mich sein Blut vergossen, wie sollte ich nicht der guten Zuversicht sein, daß ich erlöset bin, da ich gar wohl weiß, welch ein Lösegeld für mich ist bezahlet worden?

Der Sohn ist für den Knecht dahingegeben, um durch seinen Tod mir das Erbtheil zu erwerben; wie sollte ich mich nicht für einen Erben halten, für einen Erben Gottes und einen Miterben Christi? Ob ich schon Feind war, bin ich mit Gott versöhnet durch den Tod seines Sohnes, wie sollte ich jetzt, nachdem ich gereckt worden bin in seinem Blute, nicht vielmehr behalten werden vor dem Zorne? Der liebreiche Vater hat seines eigenen Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für mich dahin gegeben; wie sollte er mir mit ihm nicht. Alles schenken? Wer will mich verdammen, da seine Liebe der Sünden Menge decket? Sein Blut redet besser, denn Abels; sollte nicht das Herz des Vaters durch solche Rede bewegt werden?

Das sei ferne, daß ich ohne einiges Mitleid dich für mich den Tod erleiden sehe, o lieber Jesu. Vor meinen Augen wirst du gekreuzigt; und das sollte mich nicht bewegen? Das Schwert hat sich aufgemacht über dich, meinen Hirten; und es sollte nicht durch meine Seele dringen? Süßer Jesu, was bin ich doch, daß ich mit dir leide? Wie heilsam ist mir das? Es ist gewiß, wie auch jener Apostel, durch welchen du geredet hat, in Wahrheit erfahren und verkündigt hat, daß, „so wir anders mit leiden, wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden,“ (Röm. 8, 17) und „sterben wir mit, so werden wir mit leben“ (2. Tim. 2, 5). Soll aber dieses Mit leiden im Geiste sich regen, so muß das Herz in Liebe für den Herrn entbrannt sein; denn wenn wir einen mit Liebe umfangen, so empfinden wir Mitleid mit seinem Unglück, und Freude mit seinem Glück. Mein Geist vermag es nicht zu fassen, und meine Zunge kann es nicht ausreden, wie würdig du bist, o Jesu, von mir geliebt zu werden, den du so großer Liebe gewürdigt. Du hat mich geliebt und mich gewaschen von meinen Sünden in deinem Blute. Denn wenn ich dich viel liebe, so hast du mich fürwahr zuvor und vielmehr geliebt. „Darin stehet die Liebe Gottes,“ sagt der Apostel, „nicht daß wir Gott geliebet haben, sondern daß er uns geliebet hat.“ Er hat mich geliebt, als ich noch nicht liebte, ja, du hast das liebeleere Herz mit Liebe erfüllt.

Ich liebe dich über Alles, o süßester Jesu, aber allzu wenig, weil bei weitem weniger, als du es verdienest, und darum auch weniger, als ich soll. Und wer vermöchte das? Es kann dich Jemand lieben, wenn du es ihm gibt, so viel er vermag, aber niemals, so viel er soll.

Wer kann dir dein unschuldig Blut wiedergeben, das nicht in Tropfen, sondern in Strömen aus den fünf Wunden deines Leibes sich ergoß? Geschaffen hast du mich, da ich nicht war, erlöst, als ich verloren war. Aber die Ursache meiner Schöpfung und Erlösung war allein deine Liebe.

Was also, o Jesu, du Süßigkeit meines Lebens, was hast du an mir ersehen, daß du für mich ein solches Lösegeld gabst. Wahrlich nichts, als daß es so wohlgefällig von dir war. Viel Gutes hast du an mir gethan als Schöpfer, aber weit mehr als Erlöser.

O wie schön bist du, Herr Jesu, und wie süß! Schön für die, so dich sehen; süß für die, so dein genießen. Du wirst nur erkannt, wenn man dich siehet, du bist nur süß, wenn man dein genießet. Gib, daß ich dich suche, und wenn ich dich gesucht, dich finde, und wenn ich dich gefunden, dich besitze, daß du allein mir süß werdest, mir schmeckest und gefallet. Gib, daß ich dich erkenne, fürchte, liebe und nach dir verlange. In die Liebe der zeitlichen Güter laß mich nicht fallen. Ach, mein Herr, daß ich beständig schmecken möchte, wie freundlich und süß du bist.

Ich bin ein Sünder, barmherziger Jesu. Erbarme dich meiner, der du nicht gekommen bist, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder. O du freier offener Born für das Haus Davids, mache dich auf, ergieße dich über mich und wasche mich ab. Denn offen stehest du Allen, die nach dir dürsten, und wäschest ab, alle Unreinigkeit derer, die in wahrer Reue zu dir nahen, indem du ihnen, süßester Jesu, Gutes schenkt für Böses, Gaben für Feindschaft, Verdienst für Vergehen, Gnade für Schuld.

Das hat der König David erfahren, der in seiner Buße aus dem Munde deines Boten das Wort vernahm: „So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen, du wirst nicht sterben.“ (2. Sam. 12, 13) In dir ward er mit den Thränen der Buße gewaschen und gereinigt von den Flecken seiner schweren Schuld. Deine Reinheit hat ihn gewaschen von der Missethat des Ehebruches, und deine Liebe hat getilgt den Frevel des Mordes. In dir ward auch jener Fürst der Apostel gereinigt, der darum bitterlich weinte, daß er aus Furcht dich verleugnet. In dir, du reinste und süßeste Quelle, ward auch jene Sünderin entsündigt und so freundlich angenommen, daß sie selbst früher als die Apostel die neue Herrlichkeit deiner Auferstehung erblickte und sie jenen verkündigt. In dir ward auch der gereinigt, der neben dir am Kreuze hing, sobald er erkannt hatte, daß er empfange, was seine Thaten werth waren, und sobald er dich gebeten, an ihn in deinem Reiche zu gedenken: er hat von dir sogleich das Wort gehört: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Und wie viele werden in dir, lieber Jesu, täglich erleuchtet und entsündigte und berufen von der Finsterniß zum Licht, von der Unreinigkeit zur Reinigkeit. Nimm mich denn auf, sintemal ich so gar lange von dir verbannt war.

O süßes Leben, wahre Gesundheit, lieber Jesu, wenn ich auf das Fleisch gesäet habe, was soll ich vom Fleische anders ernten, als das Verderben? Wenn ich die Welt lieb gehabt habe, was werde ich daraus für eine Frucht empfangen? Dreifachen Tribut, Herr Gott, pflegte ich dem Könige von Babel zu bezahlen in seinem schmählichen Dienste. Sein Dienst, was ist er anders, als die Sünde? Dreifachen Tribut: Wohlgefallen, Einwilligung und Gewohnheit. Und dieser Tribut ward bezahlt mit dem Herzen, mit dem Munde, mit der That. Siehe von welcher Gluth dieser Ofen entzündet war, dessen Oeffnung gegen Norden, dessen Kohlen der Hauch des bösen Feindes entflammte, der die Gedanken meines Geistes verzehrte.

Siehe, barmherziger Gott, siehe den dreifachen Strick, welcher den Geist, die Zunge, den Leib fesselt. Von der Fußsohle an bis auf das Haupt war nichts Gesundes an mir. Heile meine Seele, denn ich habe an dir gesündigt. (Ps. 41, 5) Thue also dein Werk, o gütiger Jesu, und heile mich. Denn du heißest darum Jesus, weil du dein Volk selig machen willst von ihren Sünden, der du mit dem Vater und dem heiligen Geiste lebest und regierest von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Quellen: Kessler, Hermann/ Senf, Friedrich - Fromme Betrachtungen aus alten Tagen. Nach der Ordnung des Kirchenjahres

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