Burger, Carl Heinrich August von - Fünfzehnte Predigt. Am Pfingstfest 1856.
Text: Ezech. 36,25-27
„Ich will rein Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet. Von aller eurer Unreinigkeit und von allen eueren Götzen will Ich euch reinigen; und Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben, und will das steinerne Herz aus eurem Fleische wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben; Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in Meinen Geboten wandeln und Meine Rechte halten und darnach thun.“
Das h. Pfingstfest, das wir heute feiern, ist in der Reihe der hohen Feste das letzte und der Schlußstein des Fundamentes, das den Bau der Kirche trägt. Schon in der Zeit des alten Bundes treffen wir dieß Fest, und finden es bezeichnet als das Fest der ersten Ernte (2. Mos. 23, 16). So stellet es sich uns auch dar, als seine geistige Bedeutung sich zuerst erfüllte an jenem großen Pfingsttag nach der Himmelfahrt des Herrn; da war es auch ein Erntefest. Dreitausend Seelen bildeten die reif gewordene, vollkommen zubereitete, dem Herrn willkommene und werthe Frucht, die Ihm an diesem Einen Tage dargebracht ward als Erstlingsopfer von den vielen Tausenden und Millionen, welche ihnen folgen und die Erde zu einem Eden, einem Garten Gottes wieder machen sollten, wenn auch noch nicht in voller Schöne der Erscheinung, doch der Grundlage nach und als Zurüstung auf den Tag der Zukunft. Denn es hat unser Fest noch eine andre im geistigen Sinn mit der ersten nah verwandte Seite. Das Volk des alten Bundes feierte an ihm zugleich den Tag der Gesetzgebung vom Sinai, da der Herr unser Gott Sein heiliges Gebot auf Stein schrieb, um unsre Sünde aufzudecken und zu strafen, durch die wir Seinen Willen stets verkannt und nicht gehalten haben. Aber eine andre Art der Gesetzgebung beginnt nach Christi Himmelfahrt am Pfingstfest; es ist die, über welche Jeremias das weissagende Wort gesprochen hat in dem Namen Gottes: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“ (Jerem 31, 33). Nicht zu strafen, sondern zu heilen, nicht die Sünde, bloß aufzudecken, sondern sie zu tilgen, nicht bloß das Gesetz neu aufzustellen, sondern die Erfüllung ihm zu sichern ist Gottes Sohn in's Fleisch gekommen; und dieß von Ihm begonnene, durch Seine Hingabe in den Tod und Seine Auferstehung für alle die Seinigen der Kraft nach schon vollzogene Werk, das führt der h. Geist in ihnen weiter aus und macht sie zu Bildern dessen, der ihnen gleich geworden ist, um sie zu Sich zu ziehen. Von diesem Werke der Neugeburt, das dort am ersten christlichen Pfingstfest angebrochen, seitdem siegreich durch die Welt geht, handelt auch unser Text. Was er weissaget, wird noch immerdar erfüllt in unsern Tagen durch die Kraft des h. Geistes. Von dessen Werke reden wir, wenn wir nach unserm Text betrachten die Umwandlung, welche Er vollzieht in den Herzen der erwählten Glieder Christi; denn
- Er reinigt sie durch den Glauben;
- Er senket in sie eine neue Kraft des Lebens;
- Er schafft, daß diese Kraft des Lebens auch nach allen Seiten sich in ihnen wirksam zeige.
Gott h. Geist, laß denn auch uns, die wir berufen sind zu Christi Erbtheil, Deine Kraft genießen. Schasse daß wir nicht im Finstern bleiben, nachdem der helle Tag aufgegangen ist durch Deine Einkehr und Deine Macht und Segenswirkung in der Welt. Du hast mit Deinen Erstlingsgaben uns Alle schon beschenkt; so suche heim den Acker, welchen Du bepflanzt hast; reute das Unkraut aus in unsern Herzen, und schaffe Deinem Samen weiten Raum, daß er das Feld bedecke und mit guten Früchten schmücke. Erhöre uns, und segne die Predigt Deines Wortes in dieser Stunde. Amen.
I.
Der prophetische Ausspruch, welcher als Text auf diesen Tag uns vorliegt, ist, obwohl dem alten Testamente angehörig der Zeit nach, in der er gesprochen wurde, doch seinem Inhalt nach ein Aufschluß, den die Geschichte der Erfüllung in der Zeit des neuen Bundes erst völlig fasten und in der That und der Erfahrung genießen lehrte. Was der Prophet dem alten Bundesvolk verheißt, das hat das Volk des neuen Bundes erlangt. Eine Umwandlung seines geistigen und sittlichen Zustandes stellt unser Text dem Volk des Herrn in gewisse Aussicht zu einer Zeit, da Noth und Drangsal aller Art es fast zu Boden drückte; und ehe der Tag des ersten neutestamentlichen Pfingstfestes sich zum Abend neigte, war schon erschienen, wie reichlich und wie tief und wie umfassend der Herr Sein Wort zu lösen im Begriff sei. Was damals angefangen ward, ist noch nicht abgeschlossen; noch heute schreitet dieß Werk fort in Kraft, und ihr selbst, die ihr hier steht, könnet Zeugniß geben, daß der Herr thut, was Er geredet hat. So lasset uns im Lichte unsers Textes dieses Werk betrachten, nicht als ein fremdes, das wir bloß von außen ansehen und an Andern wahrnehmen können, sondern als die Zusammenfassung unsrer eigenen Erfahrung, die wir theils schon gemacht, theils täglich neu erleben sollen. Als ersten Zug desselben nennet unser Text den Gnadenwillen Gottes, den Er ausspricht in den Worten: „Ich will rein Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet; von aller eurer Unreinigkeit und von allen euern Götzen will Ich euch reinigen.“ Der Götzen sind mancherlei, mit denen sich ein Mensch versündigt. Wir werden nicht sagen, daß wir nichts von ihrem Dienste wissen, so lange noch Mammonsdienst und Fleischeslust und Hoffarth in der Welt ist, so lange das Fleisch gelüstet wider den Geist, und gemeinsame Sünde, die von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzt, auch eine gemeinsame Schuld nach sich zieht, von der jeden unter uns sein Theil trifft. Aber Gottes Barmherzigkeit in Christo Jesu hat einen freien offnen Born wider alle Sünde und Unreinigkeit (Sach. 13,1) uns aufgeschlossen, der uns aus Kindern des Todes und Verderbens zu Gefäßen der Gnade und zu Erben des Lebens machen kann und soll. Das Wasser, das uns reinigt, ist geflossen aus den Wunden Jesu Christi. Es wird dem Volke angeboten in dem ersten öffentlichen Zeugniß des Apostel Petrus, wenn er ihm zuruft: „So lasset euch nun taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden“ (Apost. Gesch. 2, 38); und diese Taufe habt ihr allesammt bereits erhalten und seid damit bezeichnet und versiegelt als Glieder des neuen Bundes und beschenkt mit seinem Erstlingssegen. Denn so spricht der Herr vor Seiner Auffahrt: „Johannes hat mit Wasser getauft; ihr aber sollt mit dem h. Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen“ (Apost. Gesch. 1,5); und seit die verheißenen Tage gekommen sind, wird mit und durch die Taufe auch der Geist des Herrn in aller Jünger Christi Herz gegeben; sie ist „das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung des h. Geistes;“ sie ist nicht eine leere Form und äußerer Gebrauch, der bloß als Sinnbild einen Werth hat; sie tilgt die Schuld, sie schenkt das neue Leben. Das reine Wasser, das uns rein macht, von dem unser Text sagt, ist über euch gesprenget. Habt ihr dessen Kraft erfahren? lebet ihr aus derselben? ist sie eurem Geiste gegenwärtig? seid ihr dafür dankbar und beflissen sie zu nützen? Euch trifft der Vorwurf, wenn ihr nicht ein freudiges Ja antworten könnt auf diese Frage. Aber was Gott gegeben hat, ist darum nicht zurückgezogen und verschwunden; „Seine Gaben und Berufung mögen Ihn nicht reuen“ (Röm. 11,29); sie können heute noch an euch die volle Kraft und Wirkung haben, welche ihnen einwohnt, wenn ihr euch nur besinnen wollt auf sie und aus dem Schlummer aufstehn, der euch euern eigenen Besitz vergessen machte. „Thut Buße und glaubet an das Evangelium,“ und euer Pfingstfest ist schon angebrochen. Ihr braucht nicht ängstlich erst zu suchen und zu fragen: Wird mich der Herr annehmen? wird Er mir vergeben? werde ich auch Theil an Seinem Segen haben? Er hat euch angenommen; Er hat euch vergeben; Er hat euch beides und damit die Anwartschaft auf allen weitern Segen bereits zugesprochen. „Ihr seid rein um Seines Wortes und um Seiner Wahrheit willen,“ die Er kräftig euch zugewendet und an euch erzeigt hat, ehe ihr noch von Ihm wußtet. Glaubt Seinem Wort und Seinem Zeugniß, das in Seinem Sakramente für euch befaßt liegt, welches ihr empfangen habt, und euch fehlt nichts, was ihr zu voller Zuversicht bedürfet. Nur euer Unglaube, eure Gleichgültigkeit und Trägheit deckt euch die Gabe zu, die in euch niedergelegt ist, die euch Gott angenehm macht in dem lieben Sohne, auf dessen Namen ihr getauft seid; die aber euch zum Gerichte aufschlägt und euch in den ewigen Tod verdammt, wenn ihr sie unbenützt und unbeachtet verkümmern lasset und sucht den Frieden, dessen Zusicherung der Herr auf euch gelegt hat, in selbsterwählten Bahnen, die euch von Ihm abziehen, und der Gemeinschaft Seines Gnadenwerkes euch entfremden. So wendet euch zurück zu der Quelle, aus welcher Barmherzigkeit und Gnade auf euch fließt. Es ist das hohepriesterliche Opfer des Herrn eures Mittlers und Versöhners, dessen Mitgenuß euch zugedacht und in der Taufe schon einmal gegeben ist. Was euch verdammen kann und muß, ist nicht die Sünde und Unreinigkeit, für die der Herr Sein Leben und Sein Blut dahin gegeben hat am Holz des Kreuzes, und hat in die Gemeinschaft dieses Seines Opfers euch bereits gezogen; sondern das bewirkt der Unglaube, der beharrlich diese Gaben von sich weiset und in der Sünde hinzuleben fortfährt, von der ihr abgewaschen wart und habt muthwillens euch mit ihr aufs neue besteckt, und liebet ihren Fluch, und freut euch ihres schnöden Soldes! Wir fordern euch nicht auf zur ersten Buße, die man den Heiden predigen muß, welche ohne Gott und ohne Hoffnung leben in der Welt, weil sie noch niemals ihnen angepriesen und bezeugt war. Wir rufen euch zu: „Erkennet, was ihr habt; gedenkt der Liebe eures Gottes, die euch schon heimgesucht und euch gesegnet hat; vertrauet Seinem Wort und Seiner Gabe; werft nur die Liebe zu der Sünde weg, um welcher willen Er für euch hat bluten müssen, und Alles, was Er auch für euch gethan hat, kommt euch in ungeschwächter Kraft zu gute. Erkennt, wie oft und weit ihr abgewichen seid von Ihm! Beklaget und beweinet eure Uebertretung; breitet vor Ihm aus und bittet Ihn in Gnaden anzusehen alle eure erkannte und noch nicht erkannte Schuld; zerreißt die Sündenstricke, die euch wider Seinen Willen, wider euer eigenes Gewissen binden; stellt euch als die verlornen Söhne wieder ein, und sucht an Seinem Vaterherzen den Frieden, welchen euch die Welt nicht gibt noch geben kann; und eure Aufnahme wird dieselbe sein, die jener Sohn im Gleichniß fand bei seinem Vater. Er macht die alten längst empfangnen Gaben euch wieder neu; ihr seid gereinigt, die Schuld ist ausgetilgt, sie ist vergeben, und ihr seid Seine lieben Kinder, die Er je und je geliebt hat. Freudigen Herzens könnt ihr eure Straße fürder ziehen. Kein Bann von unvergebner Schuld soll euch die Schritte hemmen. Gott ist mit uns, das hat Er uns versprochen und versiegelt, und wer Ihm glaubt, der hat und der genießt, was Gott Ihm zusagt. Gott hat ihm sein Herz gereinigt durch den Glauben (Apost. Gesch. 15, 9); denn der Glaube nimmt Christi Gnade an und baut auf seines Herrn Verdienst und ist in Christi Namen fröhlich, getrost und stark. Das ist der Anfang, der entscheidende Wendepunkt, die Grundlage der Umwandlung, die mit uns vorgehen soll und muß. Sie ist schon halb vollendet, wenn die Gabe Christi, die in der Taufe uns zugeeignet war, in ihrer Kraft uns wieder vor die Seele tritt, und gläubig angenommen, dankbar neu ergriffen, mit demüthiger Beugung wieder anerkannt und festgehalten und bewahrt wird.
II.
Denn damit ist zum andern schon geschehen, was der Prophet uns weiter sagt im Namen Gottes: „Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben; Ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“ Denn das steinerne Herz, das ist der ungebrochene störrige Sinn des alten Menschen, der die Friedenswege Gottes nicht gehen will und sich von einer Sünde in die andre stürzet, bis über ihm die Grube sich zusammen schließt und er in Nacht und Finsterniß zu Grunde gehet. Die Störrigkeit, die Herzenshärtigkeit, die ist aus eurem Fleische weggenommen, wenn ihr wißt und erfahren habt, was Buße heißt. Sie ist gebrochen durch den Einblick in die Liebe eures Gottes, der den Verlornen nachgegangen ist und hat des Eingeborenen geliebten Sohnes nicht verschont, sondern Ihn dahin gegeben, damit Er die muthwillens abgeirrten Kinder wiederum gewinnen und zu sich ziehen könne mit unbeflecktem, ja erhöhtem Glanze Seiner Heiligkeit und Wahrheit, und doch mit Banden unverbrüchlicher und heißer Liebe. Allen die Er beschenkt hat mit Vergebung ihrer Sünden um Christi willen, und die solche Gabe erkannt und dankbar angenommen haben, ist das steinerne Herz geschmolzen und verwandelt; sie haben ein fleischernes Herz dafür bekommen, wie der Text sagt, ein Herz, weich und empfindlich, das die Eindrücke der Gnade fühlt, an welchem ihre Segnungen nicht spurlos abgleiten und vorüber gehen, das durch sie gerührt und bewegt wird, in dem sie ihren richtigen fruchtbaren Boden finden. Denn die Gabe der Vergebung kommt nicht allein. Das Wasser, das uns rein wäscht, ist verbunden mit dem Geiste, der uns neu macht. Das neue Herz, der neue Geist ist Gottes Mitgift, die Er den versöhnten Kindern schenket. Er lässet ihrer keines leer, erweiset an jeglichem Sich als den reichen Geber jeder guten und vollkommnen Gabe, und reichet dar, wie der Apostel Petrus schreibt (2. Petr. 1,3), „allerlei Seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dienet.“ Auch nach dieser Seite darf ich euch erinnern an das, was ihr bereits einmal empfangen habt. Der neue Mensch, das neue Leben ist nicht etwas, das ihr aus euch erst schaffen, hervorbringen, erwerben und verdienen solltet oder könntet. Gott hat die Kraft dazu in euch gesenkt. Nach eurer Taufe wurde die Hand auf euch gelegt und ihr gesegnet als die aus Wasser und Geist neugebornen Kinder, und Seine Gabe hat sich auch in euch geregt, obwohl das Maaß der Treue, mit der ihr sie bewahrtet, vielleicht bei manchem leider sehr gering gewesen, von manchem gar nicht gewährt und völlig unterlassen, wenigstens zum Vorschein niemals gekommen ist. Aber wisset ihr nicht, habt ihr nie gehört von dem, was man Taufgnade heißt bei euern Kindern? Ihr Väter und ihr Mütter, haben eure Kinder euch nie beschämt und überrascht mit Regungen der Freude an dem, was löblich, recht und gut ist, mit Zügen der Empfänglichkeit für Wahrheit und für Liebe, die euch rühren konnten, mit einer Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf Gottes Wort, die euch erinnerte an eine bessre Zeit, wo auch ihr diesem Lichte nicht so fern und fremd wart, als ihr es etwa geworden seid in einem rauhen, harten und zerstreuten Leben? Ist euer eigenes Gedächtniß so gar schwach geworden, daß ihr nicht mehr zu sagen wüßtet, wie auch eure Kindheit durchwoben war mit Mahnungen und Zügen, die zu Gott euch wiesen? Beklagt ihr nicht zuweilen selbst, oft unwillkührlich, daß ihr ihnen nicht gefolgt, daß andre Triebe mächtiger geworden sind in euch und haben den Keim der guten Regungen erstickt, die ihr erfahren habt so gut wie alle andern, nur daß ihr sie nicht so gepflegt, nicht so bewahrt und festgehalten habt, wie ihr wohl solltet? Nun sehet, das war eine Frucht der euch in Gnaden bei eurer Taufe mitgeteilten Gabe, die sich bei euch regte, die sich entfalten wollte zu einer fröhlichen gedeihlichen Erfüllung eures Lebens, welche der Widerspruch des Fleisches und der Welt nicht hat zu rechter Kraft kommen lassen, aber die noch da ist. Nur grabt sie aus dem Schutt hervor, den ihr darüber sich habt lagern lassen, und wisset, daß auch euch der Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht (2. Tim. 1,7) einmal geschenkt war, und daß Gott Seine Gabe erwecken kann und will, wenn ihr begehrt auf den von Ihm gelegten Grund euch wiederum zu stellen; wenn ihr nicht ferner wie bisher die Ohren verschließen wollt gegen die Warnungen und Mahnungen, die Er durch das Gewissen an euch bringt, durch die Er euch erinnert, daß ihr göttlichen Geschlechts seid, zu etwas Höherem und Dauernderem bestimmt, als dieses Lebens Güter abzunützen und darnach leer und bloß dahin zu fahren ohne Hoffnung. Es lebet etwas in euch, das aus Gott gezeugt ist, das, ob ihr es gern oder ungern hört, ein Ja und Amen spricht zu dem Zeugniß, welches in der Predigt aus Seinem Worte euch entgegentritt, und was diesem Worte eine Kraft verleiht, die es zum Stachel macht in euern Seelen, daß ihr nicht anders als mit Brandmahl im Gewissen euch vermöget von ihm wieder los zu machen. Ja meine Lieben, euer Pfingstfest ist schon da gewesen, und es wird immer wieder neu für euch, wenn ihr dem Widerstand entsagt, mit dem ihr nur zu eurem Schaden die Summe unterdrückt, die auch in euch schon oft lebendig worden ist und hält euch vor, was gut ist, was der Herr euer Gott von euch zu fordern berechtigt ist als euer Schöpfer und als euer Erlöser, der euch mit Seinem Geiste schon beschenkt hat. Das Wort: „Ziehet den neuen Menschen an!“ muthet euch nicht zu ihn erst zu schaffen, nur ihm Raum zu machen, nur seinem Trieb und Zug Gehör zu geben. Das neue Herz, den neuen Geist hat Gott gegeben; nur lasset ihn nicht ungenützt verkommen, nur verdammt ihn nicht durch eure Störrigkeit zum Schlafe, wenn er euch zur Wachsamkeit und Nüchternheit aufwecken möchte. Tödtet nicht durch fortgesetzte Sünde seine Lebensregung! Thut Buße und bekehret euch zu eurem Gott und Seine Gabe wird euch neu! Dies gilt, wie von der Reinigung und Tilgung eurer Schuld, so von der Kraft des neuen Lebens. Ihr habt, was ihr bedürft, und wer es nützen will, wird mehr empfangen.
III.
Denn der den Keim des neuen Lebens in euch legt, Er schaffet auch, daß er sich nach allen Seiten wirksam zeige, und das ist's, was wir noch im dritten Theile zu betrachten haben. Davon sagt unser Text: „Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und darnach thun.“ Hat Er es nicht schon vielfach durch die That bewiesen? Hat Er nicht in den Erstlingsgemeinden der Christenheit ein Muster leuchtender Geduld und Liebeskraft und Beständigkeit und hoffender Zuversicht im Leben und im Sterben uns vor die Augen gestellt, auf das wir mit Beschämung zurück sehen und mit Schmerz, daß jene schöne Zeit so kurz war? Aber warum währte sie nicht länger? Warum wird sie nicht neu bei uns? Gewiß nicht deßhalb, weil Gott von Seiner Kirche Sich zurückgezogen und ihr vorenthalten hätte, was ihr zum Leben und Gedeihen noth thut; sondern nur, weil der Zug des Fleisches und der Welt die Wirksamkeit des Geistes lähmt und hindert. Aber die Kraft ist da, um jenem Zug siegreich zu widerstehen, und wer sich von ihr leiten lassen will, der wird nicht klagen dürfen, daß es Gott ihm habe fehlen lassen an irgend einem Antrieb und Ermunterung, noch an Frucht und Erfolg im Wandel auf dem schmalen Pfad des Lebens. Die Selbstverleugnung ist nur Anfangs schwer; bald wird sie uns zur anderen Natur und wird uns Lust und Freude. Den Reizungen zur Ungerechtigkeit zu widerstehen, mit denen freilich der Lauf der Welt uns überall umgibt, ist nur für den unmöglich, der nicht glauben mag und will, daß Gottes Segensbrünnlein immer voll ist, die zu erquicken, welche Seinen Dienst der Sclaverei des Mammons und der Ehrsucht und Genußsucht vorziehn. Gott krönet schon die ersten Schritte redlichen Gehorsams gegen Seinen Willen mit einem innern Frieden, der den Stachel der nächsten etwa kommenden Versuchung für uns abstumpft, und keiner hat um Seines Namens willen noch etwas verlassen, das ihm lieb war, der es nicht hätte wieder nehmen dürfen hundertfältig in diesem Leben, und den Trost gewisser Hoffnung noch dazu bekommen hätte, daß ihm ein Erbtheil aufbewahrt ist, welches alle Uebung und Entbehrung hienieden überschwänglich aufwiegt (Matth. 19, 29). Auf euer eigenes Urtheil kann ich mich berufen. Schon jetzt begleitet ihr die Wege der Kinder dieser Welt, und wenn sie noch so vom Erfolg begünstigt scheinen, zwar oft mit eurem Neid, doch nie mit innrer Achtung, nie mit vollem Beifall eures Herzens, und könnet dagegen nicht umhin die hoch zu halten, an denen ihr wahrnehmt, daß die Ehre bei Gott ihnen lieber ist als die Ehre bei den Menschen, und daß sie den Lohn der Ungerechtigkeit verschmähen und sich begnügen an dem bescheidenen Maaß, das der Segen Gottes um sie her legt an zeitlichem Bedarf und Nothdurft, ob ihr auch allerlei an ihnen sonst zu mäkeln und zu richten wisset. So gebet ihr ja selber Zeugniß dessen, was ihr sollt! so zeigt sich von euch ungesucht und nicht gewollt gleichwohl an eurem eigenen Gewissen noch die Kraft des Geistes mächtig, dem auch ihr zu folgen berufen seid, der auch euch vorlegt Leben oder Tod, den Segen der Gottesfurcht und des Gehorsams, oder den Fluch des Eigenwillens und der selbsterwählten Wege! Und wer ist je an einem Kranken- oder Sterbebette noch ungewiß gewesen, welches Theil ihm als das köstlichere und erwünschtere erscheine: das Theil, mit dem Gott Seine Kinder verheißet hier und dort zu krönen, oder das, was die Welt zum Lohn gibt denen, die ihr dienen? So ist ja in Wahrheit nur nöthig, jene Täuschung mannhaft zu durchbrechen, die vor unsern eigenen Augen nicht einmal bestehen kann, als sei ein Leben ohne Gott auch werth gelebt zu werden: und unsre Seele athmet Lebensluft; ein Odem der Freiheit weht sie an; sie wird in Gottes Rechten und Geboten heimisch, schmeck Seine Güte, genießt Seine Freundlichkeit und Huld und wird von Ihm getragen und gehoben, daß sie Sieg an Sieg reiht, bis sie zuletzt in Gottes treue Hände sich befiehlt um heimgeholt zu werden in die Wohnungen des Vaterhauses, an die uns Seine Stimme mahnt so oft, so dringend, so erquickend und je nach Bedarf auch schreckend, wo wir in Gefahr stehen, uns um ihre Anwartschaft zu bringen. Niemand kann sagen, daß Gott heutzutage nicht mehr der alte Gott sei voll von Treue und Erbarmung, wo man Ihn bittend sucht und standhaft bei Ihm aushält, und mit Ihm Leid und Ungemach besteht und in Ihm Friede sucht und Freude. „Ich bin jung gewesen und bin alt geworden, und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brod gehen,“ ruft David aus (Ps. 37,25). Sein Wort steht noch heute fest in ungebrochner Kraft der Wahrheit, und viele Zungen geben ihm noch immer Zeugniß, daß denen, die nach Gottes Reich vor Allem trachten und Seine Gerechtigkeit aufrichtig und in Demuth suchen, auch was sie sonst bedürfen, auf den Wegen ihres Berufes in den Schooß fällt. „Denn Seine Augen schauen alle Lande, daß Er stärke die, so von ganzem Herzen an Ihm sind“ (2. Chron. 16,9), und es ist Seine Ehre, Seine Freude, Sein herzliches Wohlgefallen, daß Er den leifesten geheimsten Zug und Ruf, der nach Ihm fragt, nicht ungehört verklingen lasse, sondern ihn kräftige und mehre, ihn fördere und Pflege, und eben mache unsern Weg, wenn wir Ihm nachzuwandeln uns bemühen und Seine Kraft uns dazu dienen lassen wollen. Er ist der gute Hirte, der das Verwundete verbindet und des Schwachen wartet, und was stark ist, behütet, und die Seinen Pfleget, wie es recht ist. Er macht aus ihnen Leute, die Seine Rechte halten und darnach thun, und Sein Aufsehen bewahret ihren Gang; wenn sie ausgleiten, hilft Er ihnen auf; wenn sie verzagen wollen, gibt Er neuen Muth und Stärke. Er läßt es den Aufrichtigen gelingen, und die Frucht der Gerechtigkeit, die Er gibt, die in Seinem Dienst bewahrt wird, ist Friede, Friede im Leid, und wahre Freudigkeit im Glück und guten Tagen, Friede im Leben, und im Sterben abermals und ewig Friede.
So macht der Herr Sein Wort in unserem Texte wahr. Sein zu genießen lockt Er uns auch heute. Er gibt das Wollen und Vollbringen; denn Er hat die Kraft zu Beidem uns vorlängst verliehen, und will sie wirksam machen uns zum Heil und Segen, wo irgend unser Sinn nicht Seinem Gnadenzuge widerstrebet. So schaffet, daß die Frucht des Pfingstfestes nicht bei euch verloren gehe, und wenn der Herr der Ernte einmal kommt und sammeln will, wo Er gestreut hat, so möge keines von uns leer vor Ihm erfunden werden, sondern ein jedes freudig seine Garben bringen. Amen.