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Bezzel, Hermann – Stille

Bezzel, Hermann – Stille

„Wer leben will und gute Tage sehen, der schweige …“ — Was einen guten Tag bringt, ist die Stille. Wie wenig hat Jesus gesprochen! Es müssen wohl Tage in seinem heiligen Leben vorübergegangen sein, ohne daß er zu seinen Jüngern anders redete als durch Schweigen. „Er antwortete kein Wort.“ In seinem alles besitzenden Leben sehen wir das Ringen um die einzelnen Worte. Er spricht nichts, es sei ihm denn von seinem Vater im Himmel gegeben. Wie wortkarg ist der Herr; aber wenn er spricht, kann ein einziges Wort Leib und Seele erquicken. Wie wortarm ist der Herr! Es sind immer wieder dieselben Worte und Begriffe, die er meint und braucht; aber in Wort und Begriff ist größtes Leben, und seine Jünger haben erfahren: er allein hat Worte des ewigen Lebens. Gerade da, wo wir die meisten Reden erwarten, da schweigt er, wartet und bleibt gelassen, und das wollen auch wir lernen. Unser Herr ist arm im Wort, damit ja kein ungutes Wort enteilen könne. Unser Herr hält sich in der Rede zurück, damit die Perlen nicht vor die Tiere geworfen werden; wer so mit seiner Rede zögert, der hat hinter dem Wort die Tat, und die Tat schließt den Himmel auf, ein Wort macht das Leben reich und froh. Aus Jesu Stille wollen wir die Stille lernen.

In der Stille, mit der man das Leben hereinnimmt, und aus der anhaltenden Kraft, mit der man es erträgt, kommt man dem Frieden näher, der höher ist als alle Vernunft. Dieser Friede legt sich beseligend und besänftigend in unser Leben. Jetzt wissen wir, wozu wir auf Erden sind: damit wir dem, dem wir nachjagen, näher kommen, und dem Ziele, darauf wir angelegt sind, von einem Tag zum an= dem immer klarer entgegensehen mögen.

„Im Sturm der Seele spiegelt nicht die Sonn' ihr heiliges Angesicht.“ Aber wo ein Mensch des Redens müde vor seinem Herrn schweigt, wo er unter dem Druck der eigenen Verurteilung das scharfe Wort unterläßt, wo er lieber tausend Worte ungesprochen sein heißt, als daß ihm ein voreiliges entweicht: da setzen alle Friedensklänge ein; denn es ist ja nicht Untätigkeit, es ist Stille. Diese Gemeinde hat viel zu reden und zu urteilen von Berufs und Amts wegen; um so mehr sehnt sie sich, in das Schweigen zurückzugehen, in dem ihr Heiland wohnt und erfunden werden will. Das ist der heilige Tempel, vor dem und in dem alle Welt stille ist. Das ist die Christusgemeinschaft, bei der man sagen kann: du weißt es am besten, dir befehle ich Leib und Seele.

Wie wird überhaupt ein Mensch ein Charakter? Nie im Strom der Arbeit, sondern in der Stille des Gebets. Wie wird er wirklich eine Persönlichkeit, die andere aufrichtet? Auf den Knien, nicht im Drang der Arbeit, die schleift ab; nicht auf den Höhen des Lebens, die bringen viel Unwetter und viel Unruhe. Wo sich aber ein Mensch von sich abkehrt, mit Jesus in das Zwiegespräch tritt und mit ihm um die Stunde ringt, in der sein ganzes Leben vorbeizieht, und war nichts Gutes in ihm — alles Gute nur von Gott: da tritt die Stille ein, welche der Tat vorausgeht, und die geheime Kraft, welche den Charakter ausmacht. Ein guter Tag ist es, wenn der Mensch zweierlei verlernt und eins gelernt hat: wenn er verlernt hat, zu klagen und zu verklagen, und gelernt, sich selbst anzuklagen. Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft! Du nimmst und gibst, und gibst, um zu nehmen, und nimmst, um zu geben; dein Name ist immer gelobt!

Und nun laßt uns stille werden! Wäre der Herr draußen vor den Toren beredt geworden, so wäre sein Leiden ohne Duft und Weihe, und vor einer wortreichen Passion bebte meine Seele zurück. Denn das ist wahres Leid, das nicht reden kann. Aber weil er still und wortlos draußen vor dem Lager der Welt Erlösung vollbrachte, laßt uns stille werden und das Unsre schaffen; zu seiner Zeit wird man beredt werden ohne Aufhören.

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