Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Siebenundzwanzigster Vortrag. Der Auferstandene.

Baumgarten, Michael - Die Geschichte Jesu für das Verständniß der Gegenwart dargestellt - Siebenundzwanzigster Vortrag. Der Auferstandene.

„Sintemal, da es unmöglich war, daß er konnte von dem Tode gehalten werden,“ sagt Petrus am Pfingstfeste den versammelten Juden in Jerusalem (s. Apostelg. 2, 4). Der Tod, den Jesus gestorben ist, ist nicht bloß ein Tod, wie jeder andere, sondern er ist der Tod im eigentlichsten und vollsten Sinne des Wortes. Aber in seinem Sterben hat Jesus, wie wir gesehen, diesen Tod überwunden, indem er die Gottesferne und Gottverlassenheit im Tode zur Unterlage seines Alles überwindenden Glaubens an Gott gemacht hat. Darum kann ihn der Tod im Grabe nicht halten und auf Grund des überwundenen Todes muß ein neues Leben ans Licht kommen. Jesus hat den Tod und das Ruhen im Grabe einen Schlaf genannt, dies muß sich an ihm selber auf das Vollkommenste bewähren. Das Aufwachen vom Schlafe bezeichnen die Hebräer als eine thätige Lebensbewegung. Es ist die Macht des unauflöslichen Lebens, welches in Jesu waltet und auch den Tod überwindet, in Kraft welcher er vom Tode und Grabe aufersteht, und darum schreiben die Apostel nicht bloß, daß er durch die Macht des Vaters auferwecket worden von den Todten, sondern auch, daß Jesus von den Todten auferstanden sei. Ehe die Sonne aufgeht am ersten Tage der Woche nach dem großen Sabbat ist der Anbruch des neuen Lebens, welches auf Grund des überwundenen Todes in die Zeit und den Raum der Erde eingeht, geschehen. Das Geheimniß dieses Anbruches und Anfanges selber wird nicht beschrieben, wir erfahren nur die nächsten Wirkungen. Die Liebe der galiläischen Weiber ist frühe erwacht, sie eilen zur Grabesstäte, um dem Leibe des Geliebten die letzte Ehre zu erweisen. Diese sind es, welche zuerst gewürdigt werden, die geschehene große Umwandlung zu schauen. Das hohenpriesterliche Siegel an der Grabesthür ist erbrochen, der Stein ist weggewälzt, das Grab ist leer und an der Stelle der römischen Kriegsknechte, die sich geflüchtet haben (s. Matth. 28,4.11), bewachen Engel in weißen, strahlenden Gewändern den Ort, wo Jesus gelegen. Die Thatsache, welche durch diese äußeren Veränderungen aufgewiesen wird, ist nach ihrer Außenseite leicht ausgesagt und ihre Anschauung ist nicht schwer zu vollziehen, aber was in dieser Thatsache enthalten ist, wird uns erst zum Bewußtsein gebracht durch die Vergegenwärtigung des Zustandes und Verhaltens derer, welchen sich Jesus als den Auferstandenen offenbart; und eben das ist der Sinn und die Bedeutung der evangelischen Erzählungen von den Erscheinungen des Auferstandenen. Bekanntlich lauten die Erzählungen der Evangelisten von dem, was unmittelbar auf die Auferstehung folgt, verschieden, aber diese Verschiedenheiten sind keine Widersprüche, welche die Erzählungen selbst, wie Einige gewähnt haben, zweifelhaft machen könnten. Wir müssen uns auch hier an der Betrachtung der Hauptzüge genügen lassen, und können nicht in alle Einzelheiten eingehen, in Ansehung jener scheinbaren Widersprüche mag es daher mit der Bemerkung genug sein, daß wir uns in den ersten Stunden nach der Auferstehung des Gekreuzigten in dem Kreise seiner Getreuen eine ganz ungewöhnliche Ausregung im Aeußeren und Inneren denken müssen, welche Aufregung eine Raschheit der Uebergänge in räumlicher und geistiger Hinsicht bedingt, die beim ruhigen Verlauf menschlicher Dinge undenkbar ist.

Nicht dem Volke ist der Auferstandene erschienen, sondern „den von Gott vorher erwählten Zeugen“ (s. Apostelg. 10,41). Dem Volke wird der Herr sich erst dann wieder zeigen, wenn es, wie er vorhergesagt, ihn dereinst in voller Wahrheit als den Sohn Davids begrüßen wird (s. Matth. 23,39). Davon ist aber das jüdische Volk dermalen noch weit entfernt, es beharrt in seiner Finsterniß und Herzensverhärtung, es ist gehalten in dem Banne des unschuldig vergossenen Blutes, und erst dann kann es Jesum als seinen König begrüßen, wenn es dieses sein Blut als das für die Sünde der Welt vergossene Opferblut erkennt und mit diesem heiligen Blut Herz und Gewissen gereinigt hat. Diese Veränderung kann in dem jüdischen Volk nur durch den Geist und das Wort Christi bewirkt werden, die Zeugen Christi, in denen sein Geist und sein Wort sich fortsetzt, müssen also dieses Werk übernehmen. Diese können, aber dieses Werk an Israel nur dann übernehmen und ausrichten, wenn in ihnen das, was sie an ihren Volksgenossen erreichen wollen, eine selbstständige Kraft und eine selbstmächtige Bewegung hat. Vor Allem also müssen diese Zeugen Jesu, diese Träger seines Wortes an sich selber erfahren, was sie zuerst ihren Volksgenossen und hernach den Heiden bezeugen sollen, sie müssen in ihrem Gewissen erkennen, daß auch sie an ihrem Theile schuldig sind an dem Blute Jesu Christi, um sodann in diesem Blute den heiligen freien Born zu erkennen und zu erfahren, der von allen Sünden und Unreinigkeiten Befreiung schafft (s. Sach. 13,1). Aus der Pfingstrede des Petrus, des Führers und Sprechers der erwählten Zeugen Jesu erfahren wir, daß die Apostel, als sie den heiligen Geist empfangen hatten, diese Erfahrung hinter sich hatten, Petrus macht allen Juden den Vorwurf, daß sie Jesum verleugnet haben, als sie ihn den Heiden überantworteten (s. Apostelg. 3,14). Die Verleugnung Jesu nun war recht eigentlich seine eigene Sünde in der Nacht, da Jesus verrathen wurde, es war aber im Grunde auch die Sünde aller seiner Mitapostel, denn sie Alle geriethen in Furcht und Schrecken, sie Alle ergriffen die Flucht, als Jesus sich seinen Feinden überlieferte. Denn da sie Alle ihn in den heiligsten Augenblicken ihres Lebens als ihren göttlichen Führer, als den ewigen König Israels erkannt und ihm Treue gelobt hatten, so war ihre Flucht und ihr Verlassen Jesu eine thatsächliche Verleugnung Christi. Und ihnen Allen bezeugte ihr eigenes Gewissen, daß ihre innere Stellung zu Jesu in jenen dunklen Zeiten ihrem äußeren Verlassen Jesu genau entsprechend war, oder vielmehr jenes die Ursache von diesem war. Weil sie den Herrn in seinem Leiden und Sterben innerlich nicht festhalten konnten, so trennten sie sich äußerlich von ihm. Es war dieses im Wesentlichen ganz dasselbe, was den Juden begegnete. Als Jesus auf dem Reitthier seinen Einzug hielt in Jerusalem, begrüßte ihn alles Volk als seinen König und umringte ihn, so daß die Feinde nicht wagen durften, die Hand an ihn zu legen. Als aber Jesus gebunden und geschmähet vor seinem Volke stand, da wollte ihn Niemand wieder erkennen und sie zogen einen ruchlosen Frevler ihrem heiligen Könige vor. Wenn sich in dieser Verleugnung und Verwerfung des Heiligen und Gerechten die ganze Sünde Israels zusammenfaßte und vollendete, so mußten auch die Apostel erkennen, daß in ihrem Verleugnen und Verlassen Jesu ihre ganze sündige Vergangenheit sich auswirkte, sie mußten sich gestehen, daß sie in dasselbe allgemeine natürliche Verderben verstrickt waren, aus dessen Grunde diese größte aller Missethaten ihres Volkes ihren Ursprung hatte. Und in dieser tief beschämenden und demüthigenden Selbsterkenntniß lag zugleich die einzige Möglichkeit, zu verstehen, warum Jesus nicht durch Wirken in der Welt, sondern nur durch Leiden in der Welt die Erlösung Israels und der Menschheit vollbringen konnte.

Zunächst handelt es sich um die Wiederanknüpfung des Bandes der Gemeinschaft, welches von Seiten der Apostel abgerissen war. Da die Jünger durch das innere und äußere Loslassen ihres Herrn und Hauptes in die tiefste Verwirrung und in die Erfahrung ihres völligen Unvermögens gekommen waren, so konnte diese Wiederanknüpfung nur von Jesu ausgehen. Aber in keiner Weise durfte diese Wiederanknüpfung ein bloß äußerer Vorgang sein. Von Anfang an hatte das Verhältniß Jesu zu den Jüngern einen wesentlich inneren Charakter gehabt, aber nicht eine einfache Wiederholung der ersten Erwählung konnte die Wiederanknüpfung sein, sondern nothwendig mußte die Wiederanknüpfung das Verhältniß der bisherigen Gemeinschaft vertiefen und noch mehr in den Grund des Geistes verinnerlichen, als es bis dahin der Fall gewesen. Diese Vertiefung und Verinnerlichung besteht zunächst darin, daß die Jünger jenen Proceß der demüthigenden Selbsterkenntniß durchleben müssen, ehe die Gemeinschaft zwischen den Auferstandenen und ihnen wiederhergestellt werden kann. Eben darauf beruhen die Schwierigkeiten und Hemmungen, mit denen nach dem Berichte aller Evangelisten das Wiedererkennen Jesu von Seiten der Apostel und die Wiedervereinigung Jesu mit ihnen umgeben ist und welche sonst ganz unverständlich und unbegreiflich bleiben. Es ist hier ganz ähnlich wie mit der Wiedererkennung Josephs von Seiten seiner Brüder und mit der Wiederherstellung ihrer brüderlichen Gemeinschaft. Auch in dieser vorbildlichen Geschichte ist das herrliche Ziel der Ausgleichung einer entstandenen tiefen Kluft nur dadurch zu erreichen, daß die Brüder ihrer Missethat gegen Joseph innewerden und sich innerlich von ihr losmachen, erst nachdem diese innere Umwandlung unter der Leitung Josephs bewirkt worden ist, wir das innerlich und äußerlich zerrissen gewesene Band wieder angeknüpft. Gleicherweise ist die Wiedererkennung des Auferstandenen von Seiten der Jünger bedingt durch das Erkennen des Gekreuzigten oder die Auferstehung Jesu wird nicht als eine Auferstehung von irgend einem Tode und von irgend einem Grabe gefaßt und verstanden, sondern als die Auferstehung von eben diesem Grabe. Und eben dies ist die bedeutungsvollste und lehrreichste Seite in den evangelischen Erzählungen von den Erscheinungen des Auferstandenen.

Die erste Erscheinung des Auferstandenen erfolgt da, wo das Vermissen des Gestorbenen und die Anhänglichkeit an ihn auf die unbefangenste und stärkste Weise sich äußerte, also nicht in dem Kreise der Jünger, sondern im dem Kreise der galiläischen Frauen. Der freie Zug der Liebe und Dankbarkeit hat diese Galiläerinnen in der Begleitung und Nähe Jesu nach Jerusalem geführt, bei diesen ist der Schmerz über den Gestorbenen am reinsten und unmittelbarsten, weil er nicht durch abirrende Reflexionen über getäuschte Hoffnungen in Bezug auf das Reich Christi gestört und geschwächt wird; sondern die Liebe und Anhänglichkeit beharrt in gerader Richtung und macht sich auf dieselbe Weise geltend, wie vor acht Tagen bei der Maria in Betanien; nämlich als Sorge und Ehre für den entseelten Leib. Unbefangener, natürlicher, menschlicher konnte sich die Liebe zu Jesu dermalen gar nicht äußern, und es zeigt sich auch hier, wie bereits in Betanien, daß Jesus diese Liebe und ihre Werke über Alles hochhält. Die Galiläerinnen, welche am frühesten bei dem Grabe sich eingefunden, um den Leib Jesu zu ehren, sind diejenigen, welche die erste Kunde von der stattgefundenen Auferstehung aus Engelsmunde empfangen (s, Matth. 28, 1-10), und diejenige unter diesen, in welcher die stärkste Liebesglut brannte, ist der ersten Erschauung des Auferstandenen gewürdigt worden und von ihm selber als seine Botin an die Jünger entsandt. Maria von Magdala ist durch Jesus von sieben Dämonen erlöst worden (s. Marc. 16,1. Luk. 8, 2). Das dankbare Gedächtniß dieser unvergleichlichen Wohlthat an Leib und Seele erzeugte und nährte in Maria Magdalena eine große Stärke und Innigkeit der Liebe gegen Jesum, und diese Liebe zeigte sich am Grabe Jesu in ihrer natürlichen Art und Farbe. Maria ist über das leere Grab untröstlich, sie bleibt bei der Grabesstäte, während Petrus und Johannes, nachdem sie sich von dem Nichtvorhandensein Jesu überzeugt haben, sich wieder zu den Ihrigen begeben. Weinend bleibt sie geheftet an den Fleck, wo ihr die letzte Spur Jesu verschwunden ist (s. Joh, 20, 1-11). Selbst des Engels Anrede macht auf die Weinende keinen Eindruck, und als der so Weinenden Jesus, der Auferstandene, selbst erscheint, bleibt sie mit ihren Gedanken ganz versenkt in der Vorstellung des Todten und Begrabenen und erkennt ihn nicht. Durch die namentliche Anrede macht sich Jesus der Maria kenntlich, sie fällt nieder und umfaßt seine Füße (s. Matth. 28, 9). Darauf sagt Jesus zu ihr: „rühre mich nicht an, denn noch nicht bin ich aufgefahren zu meinem Vater, gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, und zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (s. Joh. 20, 17). Jesus befiehlt der Mana zu allererst, von der körperlichen Berührung seines auferstandenen Leibes abzulassen, jedoch so, daß er dieselbe der Zukunft zuweist. Als die nächste unmittelbar bevorstehende Zukunft, mit welcher die Gegenwart einer leiblichen Berührung nicht verträglich sei, verkündigt der Herr seine Auffahrt zu seinem Gott und Vater, und läßt diese Ankündigung als erste Botschaft an seine Brüder, wie er jetzt seine Jünger nennt, bestellen. Das, was er den Jüngern selbst wiederholentlich, namentlich in den letzten Tagen gesagt hat, läßt er ihnen jetzt mit einer größeren Bestimmtheit und Feierlichkeit verkündigen, weil das, was inzwischen geschehen ist, den geschichtlichen Grund und somit das volle Verständniß für das, was demnächst geschehen wird, aufschließt. Seinen Gott und Vater, zu dem er hinübergeht, nennt er in demselben Athemzuge den Gott und Vater seiner Jünger, und indem er dieselben in diesem Zusammenhange als seine Brüder bezeichnet, hat er zugleich den ebenso wirklichen als übernatürlichen Grund dieser Bezeichnung ausgesprochen. Mit einem Wort, er beschreibt jetzt seinen Hingang zu Gott dem Vater so, daß dieser Hingang zugleich der volle Grund eines gleichen, bleibenden und wesentlichen Verhältnisses der Seinen zu Gott dem Vater ist. Es ist nun dies nichts Anderes, als die Selbstaussage Jesu über das, was er durch seinen blutigen Tod am Kreuze vollbracht hat, daß er nämlich als der ewige Hohepriester und als das ewige Opfer zugleich in das himmlische Heiligthum eingeht und eben dadurch für all die Seinen den gleichen Zugang zu der himmlischen Stäte Gottes bereitet und ermöglicht. Dieses neue Verhältniß der Jünger zu Jesu und durch ihn zu dem Vater, welches zugleich in dem verborgenen Grunde des Geistes und Glaubens ruht, bildet zu dem bisherigen Verhältniß, welches leiblich bedingt und äußerlich angeknüpft war, einen Gegensatz, jedoch so, daß Her Herr andeutet, wenn jenes geistige Verhältniß vollendet sein wird, auf diesem neuen Grunde des Geistes auch die leibliche Berührung erneuert werden solle; was eben in der Begründung der Abweisung des Nichtanrührens der Maria durch das Nochnichteingetretensein seiner Auffahrt ausgesprochen ist. Ein innigeres und zarteres Verhältniß, als Maria Magdalena zu Jesus hat, gibt es gar nicht, das beweist eben diese unsere Erzählung, aber dessenungeachtet war auch für sie die Weisung nothwendig, daß sie ihre Gemeinschaft. mit dem Auferstandenen nicht als eine einfache Fortsetzung ihres früheren Verhältnisses ansehen und behandeln dürfe; auch sie muß ihr bisheriges Liebesverhältniß in die Kluft des blutigen Todes Jesu versenken und durch diesen Durchgang heiligen lassen, auch sie muß erkennen, daß auch ihrer bisherigen Liebe Etwas anhaftet, was durch Jesu heiliges Blut entsündigt werden muß, auch sie muß es fühlen und erfahren, daß der Jesus, den sie liebt, vor Allem der himmlische Hohepriester ist, der vor Gott stehet und sein Volk versöhnt und für sein Volk betet, und nur auf diesem neuen Grunde des Geistes, in welchem auch die letzte Faser alles Fleischeslebens ersterben muß, die Wiedergewinnung einer äußeren und leiblichen Gemeinschaft zu hoffen steht. Die Abweisung der Maria Magdalena ist demnach eine ernste Mahnung des Auferstandenen für alle Zeiten. Da das Verhältniß der Gläubigen zu Christo sich ordnungsmäßig durch das Wort und Sacrament vermittelt, mithin in diesem Verhältniß immer ein Neuerliches mit gesetzt ist, so ist immerdar die Möglichkeit und nach der fleischlichen Natur des Menschen die Versuchung vorhanden, auch jetzt noch das Verhältniß zu Christo mit einer ähnlichen Aeußerlichkeit zu umgeben, wie diejenige war, in welcher die Jünger und Jüngerinnen des Herrn während seines irdischen Wandels zu ihm standen und einhergingen. Die Probe muß jedesmal die sein, daß Jeder in jedem Augenblick bereit ist, Alles, was an Aeußerlichkeit seinem Verhältniß zu Christo anhaftet, es mag Namen haben, welchen es wolle, in den Tod Jesu zu versenken, was eben damit geschieht, daß Jeder ohne allen geheimen Vorbehalt zu jeder Zeit seinen Antheil an dem Kreuzestode des Herrn auf sich nimmt, um sich an der Stelle, welche sein Gewissen ihm als seine blutige Schuld bezeichnet, mit dem heiligen Opferblute Jesu besprengen zu lassen. Behält sich dagegen Jemand irgend Etwas vor, was er nicht in diesen Untergang und Tod hingeben will, weil es etwa einen heiligen und christlichen Schein und Geltung hat, dann schützt alle seine sonstige Liebe und Anhänglichkeit, und stände er der Maria Magdalena gleich, es schützen ihn alle Thränen seiner Liebe nicht, daß er nicht den gefährlichsten aller Wege betrete, weil das Ende dieses Weges die abermalige Kreuzigung Christi ist, hinter welcher es keine Vergebung gibt (s. Hebr. 6, 6). Denn so steht unsere Sache mit Christo, daß, wer nicht seine Mitverschuldung an der Vergießung seines heiligen Blutes ohne Widerrede und Künstelei anerkennt und in dieser Demuth unverrückt beharrt, in die Nothwendigkeit geräth, den Herrn der Herrlichkeit noch einmal zu kreuzigen, nach welcher abermaligen Kreuzigung das Blut Christi nicht als Opferblut um Vergebung und Barmherzigkeit zum Himmel ruft, sondern als das Blut Abels um Rache schreit.

Am Nachmittag des Tages der Auferstehung erscheint Jesus Zweien aus dem weiteren Jüngerkreise. Diese verlassen in tiefem Unmuth und Kummer die blutbefleckte Stadt Jerusalem und gehen hinaus in den nahen Flecken Emmaus. Sie sind gänzlich versenkt in die Betrachtung und Besprechung der letzten Ereignisse, sie erkennen in denselben Nichts als Finsterniß und Verderben, zwar haben sie die Kunde von dem leeren Grabe und von den Engelerscheinungen an der Grabesstäte, welche sagen, Jesus lebt, durch die Weiber vernommen, aber es hat diese Kunde weder ihnen, noch den übrigen Jüngern einen Lichtstrahl in die düstere Seele geworfen (s. Luk. 24,22-24.). Der Auferstandene gesellt sich zu diesen beiden Wanderern, aber sie erkennen ihn nicht, er erscheint nämlich, wie Marcus schreibt, in anderer Gestalt (s. Marc. 16,12), und Lukas sagt: „ihre Augen wurden gehalten, daß sie ihn nicht erkannten“ (s. Luk. 24,16). Daß der Auferstandene in einer anderen Gestalt erscheint, als vorher, erfahren wir auch thatsächlich, denn er tritt ein bei geschlossenen Thüren (s. Joh. 20,19.26), und er verschwindet eben so plötzlich, wie er auftritt (s. Luk. 20,31). Diese Veränderung ist natürlich nicht eine ihm bloß äußerlich angethane, oder von ihm willkürlich angenommene, sondern sie ist die naturgemäße Folge des in seinem Sterben über den Tod errungenen Sieges. Durch diesen Sieg hat er die Macht über alles Fleisch sich erworben (s. Joh. 17,2), und zwar dieses so, daß zunächst sein eigener Leib ganz und gar, und daher auch äußerlich, in den Willen seines Geistes aufgenommen, daß sein Leib aus der von der Erde stammenden Dunkelheit in himmlisches Licht verkläret ist. Well die andere Gestalt des Auferstandenen seine verklärte Leiblichkeit ist, so ist in dieser Veränderung zugleich die Identität des früheren Leibes enthalten, und die Zeichen dieser Identität sind die Maale der Kreuzigung an den Händen, Füßen und in der Seite, welche Wundenmaale Jesus den Jüngern zur Besiegelung der Wiedererkennung zeigt (s. Luk. 24,40. Joh. 20,20.27). Die Verklärung ist demnach das völlige Offenbarwerden seines inneren Wesens, wie sich dasselbe jetzt vollendet hat, in seiner leiblichen Erscheinung. Da nun sein inneres Wesen eins und dasselbe ist, so müßten diejenigen, welche ihn früher nicht bloß äußerlich, sondern auch innerlich erkannt hätten, ihn jetzt sogleich und mit völliger Sicherheit wiedererkennen. Daß nun selbst Maria Magdalena ihn nicht wiedererkennt, sondern ihn für einen Anderen hält (s. Joh. 20,14.15), ist ein Beweis, daß auch sie das bisherige Sein und Wesen Jesu nicht durchschaut, nicht innerlich erkannt hat. Dieses Nicht erkennen des inneren Wesens Jesu und seiner Offenbarung culminiert in dem Nichtverstehen seines Leidens und Sterbens. Daß auch der Maria von Magdala dieses Geheimniß nicht aufgeschlossen war, haben wir daraus erkannt, daß sie der Warnung bedurfte, die Wiederanknüpfung der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen nicht als eine einfache Fortsetzung ihres bisherigen Verhältnisses anzusehen und zu behandeln. Da aber Maria so viel wenigstens von dem Leiden und Sterben des Herrn verstand, daß ihre Liebe nicht dadurch gestört, sondern nur gesteigert war, so genügte für sie ein einfacher Wink, um sie in das Geheimniß der für die Sünde der Welt sterbenden Liebe einzuweihen.

Deshalb ist es auch für sie ausreichend, daß der Auferstandene nur seine Stimme hören läßt, um sich ihr unzweifelhaft zu erkennen zu geben. Wenn nun Lukas schreibt: die Augen der beiden wandelnden Jünger wurden gehalten, daß sie den Auferstandenen nicht kannten, so soll ohne Zweifel damit derselbe innere Grund des Nichtwiedererkennens angedeutet werden. Dir innere Schwierigkeit bei diesen ist aber ungleich größer, als bei Maria. Wir ersehen aus ihrem Geständniß: „wir aber hofften, er sollte Israel erlösen“ (s. Luk. 24,21), daß sie zu denen gehörten, von denen Jesus vorausgesagt, sie würden sich ärgern an seiner Leidensgestalt. Hier ist nicht der Sinn der kindlichen Einfalt und Liebe, den wir bei den Weibern finden und der sich in Maria Magdalena am herrlichsten offenbart, welcher nicht viel über die Folgen respectiert, sondern schlicht und einfach bei dem unauslöschlichen Eindruck der Liebe Jesu beharrt. Eben deshalb kann Jesus den Jüngern sich auch nicht durch den bloßen Laut seiner Stimme erkenntlich machen, es muß zuvor das Hinderniß ihrer Verstimmung, die sich in ihre Betrübniß mischt, hinweggeräumt werden, sie müssen zuvor angeleitet werden, ihren eigenen sündlichen Naturgrund zu verstehen, um in der Tiefe ihrer Selbsterkenntnis) das Leiden Jesu als den einzigen Weg ihrer eigenen Erlösung und der Erlösung Israels zu schauen. Darum ist die erste Aeußerung des Auferstandenen, nachdem die Jünger ihren inneren Zustand ihm enthüllt haben, ein scharfer Tadel, er redet sie an: „O ihr Unverständigen, ihr Herzensträgen, zu glauben Allem, was die Propheten gesagt haben“ (s. Luk. 24,25). Durch diese tief einschneidende Rüge bahnt er sich den Eingang für eine zusammenhängende Belehrung über die Weissagung der alttestamentlichen Schrift. Sie hatten sich zu der Hoffnung auf die Erlösung Israels bekannt, weil es ihnen aber an der rechten Selbsterkenntniß gebrach, so mußten sie diese Erlösung Israels nothwendig mißverstehen. Ihrem nunmehr verwundeten Gewissen kann Jesus die ihnen immer noch verschlossene Schrift aufdecken und ihnen zeigen, daß nach dem Gesetz und den Propheten der Messias zuvor leiden müsse, um zu seiner Herrlichkeit einzugehen, die schließliche Erlösung Israels also durch das Leiden Christi begründet werden müsse. Mit dieser Rede macht Jesus auf die beiden Jünger einen solchen Eindruck, daß sie nachher bekennen, ihr Herz sei durch diese Eröffnung der heiligen Schriften, in welche sie auf ihrem bisherigen Standpunkt noch nie eingedrungen gewesen, entzündet worden (s. Luk. 24,32). Freilich Jesum selbst erkannten sie auch aus diesen Reden nicht, aber vorbereitet wurden sie durch diese Züchtigung und Unterweisung, ihn mit völliger Sicherheit wiederzuerkennen. Jesus nahm das Brod, dankete und brach es, bei dieser Handlung wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten den Herrn. In diesem Acte zeigte der Auferstandene auf eine unvergleichliche Weise die Fülle seiner Liebesgesinnung, die sie in ihrer früheren Gemeinschaft mit ihm erkannt hatten, und dieses Liebeszeichen mußte in dem gegenwärtigen Augenblick einen um so tieferen Eindruck auf sie machen, als sie darin das unmittelbare Unterpfand hatten, daß der Herr ihrem Unverstand und ihrer Herzensträgheit vergeben, daß er auch sie in ihrer kalten Entfremdung und Verstimmtheit während der Stunden seiner höchsten Liebe auf seinem hohenpriesterlichen Herzen getragen habe.

Am Abend dieses Tages offenbart sich der Auferstandene in dem Kreise der Apostel (s. Mark. 16,14. Luk. 24,36-43. Joh. 20,14-23). Hier ist die Verwirrung aufs Höchste gesteigert, die Stunden lassen sich leicht zählen, welche von dem Augenblick her verflossen sind, als, alle Apostel ihre feste und unerschütterliche Anhänglichkeit dem Herrn versicherten und feierlich gelobten, und sie alle haben inzwischen ihr Wort gebrochen; und derjenige, welcher ihr regelmäßiger Führer und Sprecher zu sein pflegt, hat in dem Maße, als er mit seinem Geloben Alle zu überbieten suchte, gleich darauf sein Gelübde durch einen Eidschwur vernichtet. Nach der Erfahrung dieser furchtbaren Selbstwidersprüche muß nothwendig der Bann des bösen Gewissens die Hauptmacht sein, welche die innere Stimmung des apostolischen Kreises beherrschte. Dazu kommt nun die Furcht. Mit der Gefangennehmung ihres Herrn ist den Jüngern ihr bisheriger Halt in der Welt genommen;, die Schrecken der bösen Gewalt, die in der Finsterniß der Welt frei waltet, dringen auf sie ein, und die Anklage des Gewissens verstärkt diese Schrecken. Wir werden uns daher nicht wundern, daß Johannes berichtet, die Elf wären aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Thüren versammelt gewesen (s. Joh. 20,19). Wie groß aber die Macht dieser Furcht gewesen, ersehen wir erst daraus, daß nach acht Tagen, als der Herr sich ihnen bereits als den Auferstandenen, also als den göttlichen Sieger über alle feindliche Macht der Welt und Hölle erwiesen, die Jünger noch ebenso bei verschlossenen Thüren sitzen (s. Joh. 20, 26). Ein drittes Moment der gegenwärtigen inneren Zuständlichkeit bildet die Betrübniß. Marcus beschreibt die Jünger am Tage der Auferstehung „klagend und weinend“ (s. 16,10). An dieser Betrübniß hat ohne Zweifel der Kummer über die erfahrene Schwachheit einen Hauptantheil, mit völliger Sicherheit können wir dieses wenigstens von Petrus voraussetzen. Ferner ist in diesem Kreise gewißlich Keiner, welcher nicht den Herrn vermißte und sich nicht nach ihm sehnte, wenn auch freilich dieser Schmerz der Liebe in den Jüngern bei Weitem nicht die Tiefe hatte, wie bei Maria Magdalena. Endlich gelten die Klagen und Thränen der Jünger, von denen Marcus schreibt, unstreitig auch den getäuschten Hoffnungen hinsichtlich des Reiches Israel, wie die beiden Wanderer nach Emmaus dieses so unverhohlen aussprechen. Der Zustand der Jünger nach Eintritt des Leidens Jesu ist demnach ein schwer zu behandelnder, er ist zusammengesetzt aus Gewissensnoth, Menschenfurcht und Seelenkummer. Es sind für die Jünger die Tage, in denen ihnen ihr voller Antheil an menschlicher Sündhaftigkeit und Gebrechlichkeit zum Bewußtsein gebracht wird, in denen sie die tiefsten Klagetöne der alttestamentlichen Schriften verstehen lernen. Es ist aber dieses für die Jünger die Vorbereitung, daß sie Jesum erfahren sollen als den Retter ihrer Seelen in einer solchen Bestimmtheit und Fülle, daß sie allen Völkern den Reichthum und die Kraft der Gnade Christi zeigen und preisen können.

Einstimmig berichten Lukas und Johannes, daß Jesus als der Auferstandene in den Kreis der Jünger mit dem Gruße: „Friede sei mit euch,“ eingetreten sei (s. Luk. 24,37. Joh. 20,19), gleichwie er nach Matthäus auch die galiläischen Frauen mit dem vertraulichen Gruße angeredet hat (s. Matth. 28,9). In diesem Friedensgruß des Auferstandenen lag für die Jünger die Kraft des neuen und ewigen Lebens. Das, was das Innere der Jünger am meisten verstörete und in den Bann legte, war das Gewissenszeugniß gegen ihre Sünde und Untreue, ihre ganze Sünde aber faßte sich zusammen in Untreue gegen ihren Herrn und Meister. Wenn nun Jesus diesen Untreuen bei der ersten Begegnung mit dem Friedensgruße und nicht mit Vorwürfen entgegentritt, so müssen die Jünger daraus den Eindruck gewinnen, daß er ihre Sünde getragen und vergeben habe und eben deshalb das Verhältniß der Gemeinschaft, welches sie ihrerseits abgebrochen hatten, seinerseits unversehrt geblieben sei, und eben diese Erfahrung mußte der Angelpunkt ihrer Gewißheit von der Versöhnung und Vergebung der gesammten Weltsünde werden. Aber eben weil in diesem Friedensgruße des Auferstandenen für die Jünger eine solche Fülle beschlossen war, ist es auch erklärlich, daß sie diese Liebe und Freude nicht mit einem Griffe erfassen konnten. Nach Lukas war der unmittelbare Eindruck der ersten Begegnung Jesu mit den Jüngern Furcht und Schrecken und Jesus bemühte sich, sie zu beruhigen und vor Allem von der Identität seiner Person zu überzeugen, und forderte sie auf, ihn zu betasten und zu beschauen, und zeigte ihnen Hände und Füße (s. Luk. 24,37-40). Die Aufweisung der Spuren seines Leidens und Sterbens an seinem Leibe soll ihn nicht bloß als denselbigen zeigen, sondern vornehmlich als den Gekreuzigten, das Kreuz war die dunkle Tiefe, in welcher die Jünger die Spur ihres Herrn und Meisters gänzlich verloren hatten, wo sie ihn gar nicht mehr schauen und erkennen konnten, und dieses vornehmlich deshalb, weil sie in diele Tiefe nur durch die enge Pforte der rückhaltslosesten Selbsterkenntniß eindringen konnten. Eben deswegen kann ihnen der Auferstandene zur vollen und freudigen Wiedererkennung seiner selbst nur dadurch verhelfen, daß er ihnen zugleich ihr eigenes Inneres aufdeckt. Dem Zeigen seiner Wundenmaale geht zur Seite das Schelten ihres Unglaubens und ihrer Herzenshärtigkeit (s. Marc. 16,14). Und nachdem er sie durch diese Tiefe hindurchgeführt, gibt er ihnen ein äußeres Zeichen für die vollständige Wiederherstellung der bisherigen Gemeinschaft, er verlangt von den Jüngern Speise und sie geben ihm ein Stück von gebratenem Fisch und Honigseim, und er nahm es und aß vor ihnen (s. Luk. 24,42.43). Als nun damit der Auferstandene auf einer neuen Grundlage die volle Gemeinschaft mit den Jüngern wieder aufgerichtet hatte, übergibt er ihnen aufs Neue den apostolischen Beruf. Er spricht abermals zu ihnen: „Friede sei mit euch, gleichwie mich der Vater gesendet hat, so sende ich euch.“ Und nachdem er dies gesagt, hauchte er sie an und spricht zu ihnen: „nehmet hin heiligen Geist, welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen, welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten“ (s. Joh. 20,21-23). Nachdem die Jünger selber thatsächlich und auf eine unvergeßliche Weise ihre eigene Sündenvergebung erfahren haben, empfangen sie aus dem heiligen Munde des Auferstandenen das Unterpfand, daß sie durch den heiligen Geist ausgerüstet werden sollen, die Sündenvergebung Allen, die sie annehmen wollen, darzureichen, zugleich aber Allen, die sich dieser Gnade weigern würden, ihre Sünden auf ihr Haupt zurückzugeben und dadurch die große und schließliche Scheidung und Entscheidung in der Welt zu bewirken.

Eben deshalb, weil das Werk der Apostel nichts Geringeres sein soll, als die Auswirkung des am Kreuze in tiefer Verborgenheit vollbrachten Werkes Christi selber in den Räumen und Zeiten der Welt, eben deshalb muß die Erledigung der in dem engsten Jüngerkreise vorhandenen tiefen Verwirrung in jeder Hinsicht gründlich und vollständig sein, daß auch die letzte Falte vertilgt wird. Um deswillen werden auch noch zwei einzelne Fälle mitgetheilt, in denen sich diese Verwirrung am meisten gesteigert hatte, um hier für alle Zeiten die Gründlichkeit der durch den Auferstandenen bewirkten Ausgleichung aufzuweisen. Thomas, Einer von den Zwölfen, den wir auch sonst selbstständig auftreten sehen (s. Joh. 11,16.14,5), ist derjenige, in welchem sich die Verstimmtheit über die jüngsten Ereignisse am festesten ausgebildet hat. Er hat sich von den Uebrigen abgesondert, in finsterem Unmuthe und Gram geht er seinen eigenen Weg; als der Herr den Aposteln erschien, war Thomas nicht zugegen. Allen, welche von dem Auferstandenen ihm berichten, versagt er beharrlich den Glauben, nicht bloß den Weibern, nicht bloß den beiden Jüngern von Emmaus, auch Petrus, dem der Herr erschienen (s. Luk. 24,34), auch, seinen Mitaposteln schenkt er kein Vertrauen, er hat sich darauf gesetzt, nicht eher zu glauben, als bis er seine Finger in die Nägelmaale und seine Hand in die geöffnete Seite des Gekreuzigten gelegt habe (s. Joh. 20,24.25). Von Anfang unserer Geschichte an haben wir erkannt, daß die Apostel Männer von richtigem und gesundem Sinne waren, frei von aller Phantasterei und Schwärmerei, wir haben gesehen, daß Jesus vom ersten Eingehen in das Verhältnis! zu seinen Erwählten her sie selber zum Selbstdenken anleitete und keinen anderen Glauben wollte und verlangte, als bei welchem alle gottgeschaffenen Kräfte des Menschen in voller Integrität und Uebung erhalten bleiben. Dies bewährt sich in dem Jüngerkreise nach der Auferstehung auf eine solche Weise, daß der Wahn des mythischen Standpunktes, welcher zur Entstehung unserer evangelischen Urkunden in der apostolischen Gemeinde eine mehr als weibische Leichtgläubigkeit, eine mehr als kindische Gedankenlosigkeit voraussetzt, eben hier in seiner völligen Nichtigkeit bloßgestellt wird. Wie erstaunlich schwer wird es allen Jüngern, die Thatsache der Auferstehung des Herrn, die doch so oft von ihm selber vorhergesagt, die doch von der alttestamentlichen Schrift geweissagt war als eine wirkliche anzunehmen und zu glauben! In Thomas nun ist dieser Skepticismus in seiner höchsten Energie. Freilich hängt bei Allen, und nicht am wenigsten bei Thomas, der Zweifel mit der Herzenshärtigkeit zusammen, aber soviel ist klar, daß unsere modernen Kritiker und Zweifler kein Recht haben, sich einzubilden, daß sie den Forschersinn gepachtet hätten, und auf den apostolischen Standpunkt als auf einen Wirklichkeiten und Fabeleien bunt und wirr in einander mischenden geringschätzig herabsehen dürften. Ich denke mir, daß Thomas der Zwilling den Wirklichkeiten des Lebens gegenüber sich in seinem Denken noch etwas fester und selbstständiger erwiesen haben wird, als David Strauß. Aber andererseits hatten alle Apostel und auch Thomas nicht bloß ihren richtigen und gesunden Menschenverstand, sondern auch ein Gewissen, und obwohl jetzt ihr Herz verhärtet ist; so weiß Jesus der Auferstandene doch Zugang zu ihrem verschlossenen Herzen zu gewinnen, und eben dadurch bewirkt er es, daß ihr Zweifel für immer vernichtet wird, ohne daß ihr Verstand Schaden leidet. Der Auferstandene gewährt dem Thomas das Wahrzeichen, welches er sich selber gesetzt hatte (s. Joh, 29,26.27). Aber wäre damit nicht etwas Anderes verbunden gewesen, als nur eine sinnliche Vergewisserung, so hätte wohl eine augenblickliche Ueberwältigung des Zweifels eintreten können, die Wurzel des Zweifels aber wäre nicht ausgerottet worden. Indessen dieses Wahrzeichen ist zugleich so beschaffen, daß Thomas durch dasselbe in den innersten Grund der Selbstbesinnung hineingeführt wird. Die leibliche Berührung der tiefen Wundenmaale des Auferstandenen ist seinem Gewissen die Vergegenwärtigung einerseits seiner eigenen Untreue und Herzenshärte und andererseits der durch die Sünde für die Sünde in den blutigen Tod gehenden Liebe Jesu. Darum wird dem Zweifler ebenso sehr das Gewissen überwunden, wie der Verstand, und in diesem Seelenzustand ruft er aus: „mein Herr und mein Gott,“ und bekennt sich auf Grund der in seinem Gewissen erfahrenen göttlichen Liebe so unumwunden zu der Gottheit Jesu, wie wir kein zweites Bekenntniß in den Evangelien haben.

Der zweite einzelne Fall ist die Erneuerung der Berufung des Petrus durch den Auferstandenen, welche der Schluß des vierten Evangeliums uns ausführlich berichtet hat (s. Joh. 21). Dem Petrus war auf Grund seines großen Bekenntnisses ein gewisser Vorrang bei dem Bau der Gemeinde Christi zugesprochen (s. Matth. 16,18.19). Dieser Vorrang war ihm auch dann noch belassen, als ihm die Aussicht auf seinen nahe bevorstehenden Fall eröffnet wurde, nämlich unter der Bedingung seiner Bekehrung (s. Luk. 22,31.32). Für seine Bekehrung hat ihm der Herr im Voraus seine Fürbitte versprochen (s. Luk. 22,32), und da die Fürbitte nur dann Wahrheit hat, wenn sie auch mit dem Handeln im Einklang steht, so finden wir, daß der Herr auch durch sein Handeln die Bekehrung des gefallenen Apostels zu bewirken sucht. Dahin gehört schon sein bedeutungsvoller Blick unmittelbar nach der dritten Verleugnung, welcher dem Petrus bittere Thränen entlockte. Ferner wird von Marcus bemerkt, daß die Engelbotschaft, die den galiläischen Weibern für die Jünger aufgetragen wurde, vorzugsweise den Petrus nannte (s. 14,7). Die Wahrnehmung des leeren Grabes erweckt in Petrus bloß Verwunderung, während sie für Johannes der Anfang des Glaubens wurde (s. Joh. 20.8. Luk. 24,12). Seine Verleugnung erschwert ihm seinen Glauben. Darum erscheint ihm der Auferstandene zuerst vor allen anderen Aposteln (s. Luk. 24,34. 1 Kor. 15,5). Es war dies die erste Berührung, welche Jesus nach der Verleugnung mit seinem Bekenner hatte, diese erste Wiederanknüpfung wird aber in geheimnißvolles Stillschweigen gehüllt. Dagegen erzählt der bezeichnete Abschnitt ausführlich, wie Jesus den Petrus durch eine dreimalige Frage nach seiner Liebe auf seine dreimalige Verleugnung hinweist und nachdem er durch diese Erinnerung ihn gedemüthigt und zum Bekenntniß seiner Liebe veranlaßt hat, nachdem also der tiefe Schatten wiederum in Licht aufgelöst ist, überträgt er ihm wiederum das große Hirtenamt und individualisiert also für den besonderen Fall des Petrus das, was er im Allgemeinen der Gesammtheit der Apostel befohlen hat (s. Joh. 20,21-23).

Vierzig Tage lang erschien der Auferstandene den Seinen (s. Apostelg. 1,3) und die meisten und dauerndsten Erscheinungen haben wir uns in Galiläa zu denken (s. Matth. 28,10.16. Joh. 21,1. 1. Kor. 15,6). Diese vierzig Tage der verklärten Leiblichkeit des Auferstandenen, mit denen sein irdisches Sein abschließt, entsprechen den vierzig Tagen der Versuchung in der Wüste, mit denen er sein amtliches Leben eröffnet. In jener Anfangszeit stellte er in tiefer Verborgenheit den Anfang seines Volkes wiederum her, in dieser vierzigtägigen Endzeit stellt er seinen Jüngern diese Wiedererneuerung Israels in seiner verklärten Persönlichkeit dar. Er redete in dieser Zeit von dem Reiche Gottes (s. Apostelg. 1,3), welche Andeutung durch die Stelle Luk. 24,44-46 näher dahin erklärt wird, daß er ihnen die alttestamentliche Weissagung im Zusammenhang auslegt und dieselbe in seiner nunmehr abgeschlossenen Geschichte als erfüllt aufweist. Diese Lehre vom Reiche Gottes nach Anleitung der alttestamentlichen Weissagung ist dasselbe in Worte gefaßt, was seine Erscheinung als die Erscheinung des vollendeten Christus thatsächlich darstellt. Auf dieser zusammenfassenden Uebersicht und Anschauung ruht nun das große Wort, welches der Auferstandene seinen Aposteln zuruft: „mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie taufet auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, indem ihr sie halten lehret Alles und Jedes, was ich euch befohlen habe, und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zur Vollendung der Weltzeit“ (s. Matth. 28, 20. vgl. Marc. 16,15-18). Damit war den Aposteln ihr hoher und unvergleichlicher Beruf in seiner weltumfassenden Bedeutung vor Augen gestellt; sie mußten erkennen, daß die göttliche Kraft dieses hohen Berufes allein in Jesu dem Christ beschlossen sei, von sich selber hatten sie in der jüngsten Zeit ebenso klar erkannt, daß diese Kraft in ihnen noch nicht vorhanden sei. Daraus mußte sich mit innerer Nothwendigkeit das Verlangen und Sehnen nach der in Jesu ruhenden Kraft, nach seinem heiligen Geist in ihnen ausbilden und damit war die Grenzscheide erreicht, an welcher vorläufig der Weg des Herrn und der Weg seiner Diener auseinandergehen. Der Weg des Herrn geht jetzt aufwärts. Vierzig Tage nach seiner Auferstehung versammelt er seine Jünger bei Betanien (s. Luk. 24,50), wo er am liebsten geweilt hatte, und vom Oelberg (s. Apostelg. 1,12), wo er sich am tiefsten gebeugt hatte, hielt er seine Auffahrt, indem er seine Hände segnend über seine Jünger breitete (s. Luk. 24,50). Der Herr hatte seine Boten angewiesen, zu warten auf das Kommen des Geistes, den er senden werde vom Vater, der ihr ganzes Wesen von Grund aus durch seine Gotteskraft neugebären werde (s. Apostelg. 1,4.8). Dieses sehnende und betende Warten auf den verheißenen Geist des neuen und heiligen Lebens müssen wir uns als das reine Resultat der ganzen bisherigen Erziehung der Apostel durch Jesum vorstellen, in dieser heiligen Stimmung fassen sich alle von dem Herrn empfangenen göttlichen Eindrücke zusammen, sowie andererseits in diesem Zuge nach oben alle von unten stammenden und wirkenden Kräfte zum Stillstand gebracht werden. Die apostolische Zwölfzahl haben wir von Anfang als die berufene Repräsentation des göttlichen Volkes angesehen, zugleich aber haben wir gefunden, daß der Herr der Erziehung und Bildung dieses neuen israelitischen Patriarchates seine umsichtigste und andauerndste Sorgfalt und Theilnahme gewidmet hat. Das Ende dieses erziehenden und bildenden Werkes ist nun, daß diese Zwölfzahl, nachdem sie die durch Judas eingetretene Lücke durch Selbstwahl wieder ergänzt hat, als eine geheiligte Empfänglichkeit hergestellt ist, um, gleichwie Maria, die Gebenedeiete, den heiligen Geist zu empfangen und so den Leib Christi in Gestalt der Gemeinde in die Welt einzuführen. Die geweiheten Zwölf haben den heiligen Geist empfangen in schöpferischer Kraft und Fülle, sie haben sodann das heilige Bild des Herrn durch Leben, Wirken und Leiden den Völkern vergegenwärtigt und somit eine Gemeinde Christi begründet, welche niemals mehr untergehen kann, zugleich aber haben sie die Fußstapfen des Herrn in Schrift gefaßt, auf daß zu allen Zeiten die Möglichkeit wäre, mit Hülfe des Geistes die etwaigen eintretenden Trübungen dieses heiligen Urbildes zu beseitigen. Wir nun haben, verehrte, theure Anwesende, diese heiligen Schriftzüge mit einander betrachtet und uns nahe zu bringen gesucht. Johannes der Evangelist sagt am Schlusse seines Berichtes: „dieses ist geschrieben, damit ihr glaubet, daß Jesus ist der Christ, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend das Leben habet in seinem Namen“ (s. Joh. 20,31). Jetzt, da wir am Ziele unseres gemeinsamen Weges stehen, welchen anderen Wunsch könnte ich haben und könntet Ihr haben, als daß diese heilige Absicht des Johannes, die er seinem Evangelium für alle Leser eingehaucht hat, auch an uns, die wir eben nichts Anderes gethan haben, als die heiligen Evangelien mit geschärften Augen und gesammelten Sinnen gelesen, in Erfüllung gehe? Und in dem Maße, als dieses durch Gottes Gnade an uns geschieht, wird auch die schöne Gemeinschaft, in welcher wir diese Wochen hindurch mit einander gegangen sind, zu einem bleibenden Bande, über welches weder Raum noch Zeit Gewalt hat.

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