Baumgarten, Michael - David, der König ohne Gleichen - Dritter Vortrag.

Baumgarten, Michael - David, der König ohne Gleichen - Dritter Vortrag.

Das Königthum Davids in aufsteigender Linie.

Ungewöhnlich ist der Gang, geehrte Freunde, den der erwählte und gesalbte König Israels bis dahin genommen hat, aber vollkommen verständlich ist uns dieser Gang geworden, wenn wir festhalten, daß es sich um die Gestaltung und Aufrichtung des wahren Königthums in Israel handelt. Das Königthum, welches in Israel als das wahre gelten soll, muß nothwendig, das hat sich uns aus der Betrachtung dieses Volkes ergeben, volksthümlich sein und zwar nicht in irgend einem oberflächlichen oder erkünstelten Sinn, sondern in dem Sinne schlichter und voller Wahrheit. David nun hat sich uns vor unseren Augen in den schwersten Prüfungen als denjenigen bewährt, der, während das ganze Volksthum sich aufzulösen droht durch äußere und innere Feinde, die Kraft des nationalen Gesammtbewußtseins in solcher Stärke und Reinheit in sich trägt und ausbildet, daß man ihm zutrauen darf, er werde von sich als einem unerschütterlichen und lebendigen Centrum aus das in sich zerfallene Volksganze wieder herstellen und zu einer neuen Stufe der Größe und Herrlichkeit erheben. Wir werden nun auch nicht überrascht sein, wenn die ersten Schritte, mit denen sich David auf der durch den Tod Sauls frei gewordenen Bahn dem ihm längst bestimmten und zugesprochenen Throne nähert, sehr verschieden sind von dem, was wir beim Wechsel königlicher Dynastieen, zumal solcher, die bereits Jahre lang in tödtlicher Fehde entzweiet sind, sonst als das Gewöhnliche kennen. Dieser Wechsel pflegt nämlich überall ein blutiges Gewand zu tragen und man muß sich gewöhnen, sich über die blutige Katastrophe zu trösten, wenn nur die Schlechten den Besseren Platz machen. Freilich ist auch hier der Uebergang nicht ohne blutige Spuren, und der Contrast zwischen dem saulischen und davidischen Königthum ist so groß, daß Vieles könnte entschuldigt werden; aber Davids Hand hat sich überall rein gehalten und seine aufrichtigen Thränen beweisen dem ganzen Volk, daß auch sein Herz rein geblieben ist.

Als Saul starb, war David dreißig Jahre alt (s. 2 Sam. 5, 4). Wer wollte es ihm verdenken, wenn er jetzt, in der Vollkraft und Blüte der Jugend stehend, mit Hülfe seiner erprobten und ihm unbedingt ergebenen Schaar die Initiative ergriffen hätte, um sich in den Besitz des ihm zuerkannten Königthums über ganz Israel zu setzen? Was zu solchem Unternehmen an Feuer, Muth, Entschlossenheit und Thatkraft erforderlich war, dies Alles stand David reichlich zu Gebote. Wenn es nun dessenungeachtet unterblieb, so stehen wir wieder vor jener heiligen Macht einer Gesinnung, deren alles Natürliche und Leidenschaftliche überbietende und höheren Zwecken unterordnende Gewalt wir schon mehrfach in dem Leben des feurigen Jünglings erkannt und bewundert haben. Wer sollte es denken und doch ist es so, David beharrt auch nach Sauls Tode in seiner ehrfurchtsvollen Stellung zu Saul und zu seinem Hause, und was das Volk Israel anlangt, so thut er seinerseits eigentlich Nichts, um endlich sein göttliches Königsrecht in Vollzug zu setzen. Wir werden von vornherein uns der Vermuthung nicht erwehren können, daß Beides mit einander zusammenhängt und das Eine wie das Andere in jenem strengen Gesetz begründet ist, welchem das davidische Königthum von allem Anfang her unterworfen ist. Die auch jetzt noch nicht ablassende Liebe und Fürsorge für Saul und sein Geschlecht erhebt den Beweis über alle Möglichkeit des Zweifels, daß David das tiefste Verderben, welches bisher in Israel ausgebrochen war und welches überall möglich war, den Mißbrauch der königlichen Machtvollkommenheit zur Verfolgung und Vertilgung der Unschuld, innerlich vollständig überwunden hat. Saul wird von einem bösen Geist regiert und kann sich von dessen Herrschaft nicht mehr loswinden, und als König macht er Israel seinem bösen Willen dienstbar, so daß David nirgends in Israel Zuflucht findet; schlimmer kann sich die Bestimmung Israels nicht in ihr Gegentheil verkehren, höher kann die Bosheit sich nicht steigern. Wenn nun auch noch nach Sauls Tode, als die Machtverhältnisse ihren Schwerpunkt vertauscht hatten, in Davids Seele kein Rachegedanke aufkommt, ja nicht einmal eine Bitterkeit in seiner Seele sich regt, sondern fortwährend Mitleid, Wehmuth und Schonung für das verworfene und gefallene Königshaus in ihm lebendig ist, so muß es für alle Zeiten ausgemacht sein, daß David sich nicht durch das Böse hat überwinden lassen, sondern das Böse durch das Gute überwunden hat, daß Davids unüberwindliche Milde und Geduld sich als das Gegengift erwiesen wider das tödtliche Verderben, das ganz Israel ergriffen. Und eben dieses ist der unzerstörbare unterste Grund, auf welchem Davids Königsthron ruhen soll, eben dieses ist die vollgültige Bürgschaft, daß David der rechte König, weil der wahre Heiland und Retter, Israels sein wird. Und eben weil die reine Unschuld, welche die giftigste Bosheit ins Meer der Vergessenheit versenkt, die Basis ist für das davidische Königthum, mithin diese Basis eine durch und durch sittliche ist, so kann der wirkliche Anfang dieses Königthums nicht durch die Initiative Davids, sondern nur durch die Initiative des Volkes beschafft werden, es muß mit der freiwilligen Anerkennung Israels ins Leben treten. Wenn wir uns dieses recht merken, so werden wir Davids Thun und Lassen nach Sauls Tode verstehen.

Die Nachricht von Sauls Ende erhält David durch einen Amalekiter, der mit den königlichen Insignien im Lager Davids zu Ziklag eintrifft und um so mehr auf einen guten Botenlohn sich Rechnung macht, da er sich das Verdienst zuschreibt, ob fälschlich oder mit Grund ist nicht ganz deutlich, des bedrängten Königs letztes Ende herbeigeführt zu haben. Derselbe Bote bringt zugleich die Nachricht von dem Tode Jonatans und der großen Niederlage Israels. Die Wirkung dieser Nachricht im davidischen Lager offenbart uns aufs Neue, wer David ist und welchen Einfluß er auf seine Umgebung ausübt. Saul und sein Heer, welches von den Philistern geschlagen ist, ist ja eben diejenige Macht, von welcher wir zweimal ausdrücklich lesen, daß sie gegen David und seine kleine Schaar ausgerückt war (s. 1 Sam. 24, 3. 26, 2). Daß Saul in der letzten Zeit gegen Davids Leben nichts Besonderes unternommen, hat lediglich darin seinen Grund, daß der Philisterkönig Achis den Verstoßenen und Verfolgten in seinen Schutz genommen. Außerdem vergesse man nicht, daß David sowohl wie seine ganze Mannschaft um Sauls willen die Gemeinschaft ihres Volkes und ihrer Familien haben aufgeben und bei Fremden haben Gäste werden müssen, weshalb denn auch eine erbitterte Stimmung nur zu natürlich war. Endlich ist es ja bekannt, daß feindliche Parteien eines und desselben Volkes, wenn es erst zum Aeußersten gekommen ist, heftiger gegen einander aufgeregt zu sein pflegen, wie internationale Feinde. Außer diesem aber übersehe man nicht den Zauber, welcher in dem Umstände enthalten war, daß die herrenlos gewordenen Insignien des saulischen Königthums dem David entgegen getragen werden. Das Alles erwogen betrachte man folgende Scene: „und David faßte seine Kleider und zerriß sie und gleichfalls alle Männer, welche bei ihm waren, und sie trauerten und weineten und fasteten bis zum Abend um Saul und um Jonatan seinen Sohn und um das Volk Jehovas und um das Heer Israels, daß sie gefallen waren durchs Schwert“ (s. 2 Sam. 1, 11. 12). Und was noch merkwürdiger ist, David traf Fürsorge, daß dieser Moment großer und allgemeiner Trauer um die erschlagenen Brüder nicht wie ein flüchtiger Durchgang vorübereile, sondern durch ein bleibendes Denkmal in Israel fixirt werde. David dichtete einen Klaggesang über Saul und Jonatan und befahl den Seinen, diesen Klaggesang zu, lernen, wie er denn aufgenommen wurde in das Volksbuch „vom Rechtschaffenen“ (s. V. 17. 18). Wie schon die Nebeneinanderstellung Sauls und Jonatans beweist, wird hier von dem finsteren Schatten, der durch Sauls Königthum hindurchgeht, ganz und gar abgesehen, gefeiert wird er hier als tapferer Kriegsheld, der im Vergleich mit der voraufgehenden Zeit Israels Wohlstand gehoben hat (s. V. 24). So singt nicht ein Günstling oder Schmeichler am Hofe Sauls, sondern, man übersehe es nicht, so singt David, der Flüchtling, der von Saul auf den Tod gehaßte und verfolgte Mann; so singt nicht Einer, der mit Sauls Ende den besten Theil seines Glückes verliert, sondern es ist die Klage Davids, für den der Tod Sauls die geöffnete Pforte ist für den Anfang der ihm längst verheißenen Macht und Ehre. In der That spricht David in diesem Liede so, als wenn Sauls Name für seine Vergangenheit keinerlei Bitterkeit und für seine Zukunft keine Hoffnung in sich schlösse^ so selbstlos, so völlig in den gegenwärtigen Moment versenkt, läßt er seine Klage ertönen. Das vermag Keiner, als wer sein individuelles Bewußtsein und Leben ganz rein in das allgemeine Bewußtsein und Leben aufgelöst hat, mit andern Worten, der die wahrhaft königliche Gesinnung in sich ausgebildet und vollendet hat. Und eben diese Macht einer solchen reinen und heiligen Selbstlosigkeit ist der Strom, welcher alle bitteren Tropfen in den Seelen der Männer Davids getilgt und verschlungen hat, so daß das trauernde Lager Davids in Ziklag sich nicht anders ausnimmt, als die andere Abtheilung des auf dem Gebirge Gilboa geschlagenen Heeres, denn nicht ihre Feinde und Verfolger sehen sie in den Erschlagenen, sondern das Volk Jehovas, das Heer Israels (s. V. 12). Ja diese kleine ausgestoßene, verbannte Schaar der Sechshundert, dieses von dem Gesammtleibe abgehauene Glied im Lande der Philister ist das wahre Lager Gottes (s. 1 Chron. 12, 22), denn hier webt und waltet der Geist und die Kraft des Gesammtbewußtseins, die die schroffsten Gegensätze zur Einheit und Gesammtheit verbindet; der Klaggesang Davids um Saul und Jonatan in dem trauernden Lager zu Ziklag ist die Weihe der Vollendung, welche sich über die Bewährung seiner königlichen Gesinnung ergießt.

Mit der Gesinnung, welche sich in dem Klagelied Davids um Saul und Jonatan ausspricht, steht in vollem Einklang sein Benehmen gegen den amalekitischen Boten einerseits und die Bürger von Jabes andererseits. Weil jener Amalekiter selbst bekennt, daß er die letzte Hand an das Leben des. Gesalbten gelegt, so muß er ohne Schonung sterben (s. 2 S. 1, 13 -16). Dagegen empfangen die Männer von Jabes, welche sich mit großer Bravour und Treue der Leichname Sauls und seiner Söhne bemächtigt hatten, um sie zu begraben (s. 1 Sam. 31, 11. 12), von David Lob und Segensgruß (s. 2 Sam. 2, 5 - 7). Wie nun aber David sich weiter gegen das saulische Haus benimmt, das ist verflochten in seine politische Gesammtstellung, zu welcher er nach Sauls Tode übergeht.

Auf Jehovas Geheiß verläßt David nach der eingetretenen Veränderung der öffentlichen Lage die Philisterstadt und siedelt mit seiner Mannschaft über nach Hebron, einer weItberühmten Stadt in dem Stamme Juda, welchem David angehörte (s. 2 Sam. 2, 1 - 3). Mehr thut David für den Augenblick nicht, also nicht mehr und nicht weniger, als durch das Aufhören der Verfolgung unbedingt geboten war. Alles Weitere wartet er ab, weil sein Königthum auf freier Zustimmung des Volkes beruhen soll. Und da dieses Abwarten Davids nicht in einem Mangel an Entschlossenheit und Thatkraft begründet war, sondern in der wahren Eigenthümlichkeit seiner Königswürde, so wird seine Hoffnung auch nicht getäuscht. Sobald David mit seinen Sechshundert in Hebron Wohnsitz genommen, versammeln sich seine Stammgenossen, die Männer von Juda, die er während seiner Leidenszeit mit einem Antheil von der den Feinden abgenommenen Beute bedacht hatte (s. 1 Sam. 30, 26-31), zu Hebron und machen David zum König über Juda, indem sie die Salbung Samuels wiederholen (s. 2 Sam. 2, 4). Was man jetzt vielfach als eine Schmälerung, ja als eine gottlose Antastung der Macht und des Rechtes der Krone betrachtet, das ist nach dem göttlichen Gesetz in Israel normal (s. 5 M. 17, 14. 15) und die Männer von Juda handeln in vollem Einklang mit diesem göttlichen Gesetze, wenn sie sich das Recht beilegen, den von Samuel erwählten und gesalbten König noch einmal zu weihen und damit als den Ihrigen anzuerkennen. Weshalb aber halten sich die übrigen Stämme zurück, da doch David über das ganze Haus Israel zum Könige berufen und diese seine Berufung hinlänglich bewährt hat, zumal auch von anderen Stammen in seiner Schaar sich Repräsentanten finden (s. 1 Chron. 12)? Ewald mag wohl darin Recht haben, wenn er meint, die, wenn auch noch so lose Verbindung, in welche David in der Zeit seiner Nothwehr sich mit den Philistern eingelassen, sei das Hinderniß gewesen, daß nicht schon jetzt alle Stämme das Königthum Davids freudig anerkannten. Das Vorurtheil gegen David wegen dieser ausländischen Verbindung mag in dieser Zeit noch um so stärker gewirkt haben, als nach Sauls Tode die Ueberlegenheit der Philister auf dem Lande noch beschwerlicher lastete, als früher (s. 1 Sam. 31, 7). Die Kehrseite dieser Zurückhaltung der übrigen Stämme von David ist eine gewisse Fortsetzung des saulischen Königthums. Der Schildhalter dieses Königthums ist der Feldhauptmann Sauls, Abner, welcher dem David schon früher gegenüber gestanden. Dieser erreicht es, daß nach fünf Jahren Isboseth, ein schwächlicher Sohn Sauls, jenseit des Jordans zum König über ganz Israel ausgerufen wird (s. 2 Sam. 2, 8-10). Diesem Königthum Isboseths gegenüber erschien nun Davids Königthum in Hebron als Usurpation und Abner zog aus mit Heeresmacht gen Gibeon, um das Recht seines Königs geltend zu machen (s. V. 12). Da war denn David in die Nothwendigkeit versetzt, sein göttliches Recht gegen seine Brüder vertheidigen zu müssen. David selber enthielt sich des Kampfes und übergab die Führung seinem Feldherrn Joab, der, nachdem er Abner wieder über den Jordan zurückgeschlagen, siegreich nach Hebron heimkehrte (s. V. 13-32). Mehr aber noch als diese Niederlage Abners wirkte der innere Antagonismus zwischen den beiden Königshäusern: „David ging und nahm zu, das Haus Sauls ging und nahm ab“ (s. 2. Sam. 3,1). Immer mehr zeigte sich die innere Stärke Davids, und immer deutlicher offenbarte sich die innere Haltlosigkeit Isboseths. Dieser innere Erfolg Davids schlägt endlich durch, Abner, durch Isboseth beleidigt, geht zu David über und verspricht ihm die Zuwendung des ganzen Volkes und David vergißt auch hier die alte Fehde und nimmt Abner gastlich auf, und als Joab den Abner meuchlings tödtet, um an ihm das Blut seines Bruders Asahel zu rächen, wird David in solche Betrübniß versetzt, daß alles Volk und auch die Anhänger Abners es merken mußten, daß Davids Friede mit Abner ehrlich gewesen und er keinen Theil an seinem Tode habe (s. 2 Sam. 3, 32-38). Es ist richtig, daß David, wenn er sich in dem Stand der Nothwehr befand, die ihm verliehene Klugheit öfter zu List und Verstellung gebrauchte; sehr verkehrt aber wäre es, wenn man mit Ewald diese davidischen Kriegslisten mit strenger Miene moralisiren wollte. Auch in Bezug auf die Wahrheit gilt Christi Regel, daß man sich hüten solle, Mücken zu seihen und Kameele zu verschlucken. Es giebt Menschen, welche von oben bis unten in der Lüge stecken, die desungeachtet und vielleicht eben deswegen in der Kleinkramerei mit einzelnen Wahrheiten eine peinliche Scrupulosität sich zur Regel gemacht haben. Das Gegentheil dieser Heuchler ist David, er ist ein geschworener Feind aller Falschheit und Lüge, „die Lügner gedeihen nicht bei mir“ (s. Ps. 101, 7), ist sein Wahlspruch, bringen ihn aber seine Feinde in Verlegenheit und Noth, da macht er sich aus einer nützlichen Unwahrheit kein Gewissen. Daß diese Listen nichts Anderes sind, als der leichte Staub, der bei seinem schweren Gange durch die Wüsten des Lebens seinen Füßen anklebt, das zeigt sich ganz deutlich dann, wenn, wie im erwähnten Fall, es ihm vollständig gelingt, bei seinem Volke auch die letzte Spur eines nahe liegenden Verdachtes zu vertilgen. Sein Volk weiß stets, wie es mit ihm daran ist, denn zwischen ihm und seinem Volke gilt keine Diplomatie und keine Politik, sondern die ehrliche Sprache des treuen Herzens und des wahrhaften Mannes. David hatte Abner viel zu vergeben, aber die Klagen und Thränen Davids über den erschlagenen Abner beweisen dem ganzen Volk, daß, wollte man den Frieden Davids mit Abner eine Amnestie nennen, dieser Ausdruck, wenn er auch noch so voll und ehrlich genommen wird, bei weitem nicht an die Sache reichen würde. Wir werden bei allen Hauptactionen Davids auf einen tief verborgenen Grund geführt, in welchem die herrschenden Triebe und Leidenschaften der menschlichen Natur ausgelöscht sind, dieser Grund ist die Tiefe und Weite seines königlichen Herzens, welches alle Zerklüftungen des Volkslebens immerdar zur lebendigen Einheit zusammenfaßt. Das zeigt sich auch, als die beiden angesehenen Mörder Isboseths zu David kommen. Sie haben das letzte Hinderniß der vollen Entfaltung der davidischen Königsmacht hinweggeschafft und glauben, gestützt auf menschliche Natur und Erfahrung, auf einen sehr willkommenen Empfang rechnen zu dürfen. David aber redet sie an: „böse Männer sind es, die einen gerechten Mann in seinem Hause auf seinem Lager tödten, und nun sollte ich sein Blut nicht fordern von eurer Hand und euch nicht vertilgen von dem Erdboden“ (s. 2 Sam. 4, 11)?

Sieben Jahre und sechs Monate hat David in Hebron gewohnt, sich mit der Herrschaft über Juda begnügend und Sauls Haus mit Schonung und Langmuth tragend. Inzwischen ist nun die Ueberzeugung von seinem göttlichen Anrecht an Israels Königskrone in dem ganzen Volk von Dan bis Beersaba zur vollen Reife und Kraft gediehen und nicht so bald ist Isboseth dahin, da macht sich diese Ueberzeugung mit solcher ursprünglichen Gewalt und Reinheit geltend, daß niemals und nirgends eine Königswahl gewesen ist, wie die zweite Erwählung Davids zu Hebron durch alle Stämme Israels. Jetzt wurde auf gegebenen Anlaß plötzlich offenbar, was schon längst die Gemüther im Stillen bewegt hatte; das, was nur diejenigen, welche tiefer blickten, erkannten, wurde jetzt vor Aller Augen deutlich. Die Oberflächlichen entrinnen nie dem Schicksal, bei jeder neuen Wendung überrascht zu werden, und da die Ueberraschung ihren Leichtsinn selten so tief ergreift, daß sie nunmehr nachholen, was sie versäumt haben, so pflegen sie durch die Ueberraschung nur zu einer neuen Oberflächlichkeit überzugehen. Diese letzte Erfahrung giebt den Beweis, daß der Ueberblick einer abgeschlossenen Entwickelungsreihe an sich selbst noch keineswegs vor oberflächlichem Urtheil sichert, daß mithin eine Geschichtsbetrachtung eben so leichtsinnig verfahren kann, wie die Beobachtung der meisten gleichzeitig Lebenden. Es darf uns also eine Beruhigung sein, daß wir durch das, was im achten Jahre der Regierung Davids zu Hebron geschah, so wenig überrascht werden, daß wir es vielmehr schon längst erwartet haben, und wir werden aus diesem Grunde auch in der rechten Verfassung sein, jenen Vorgang nach seiner wahren Bedeutung zu verstehen und demnächst auch die weiteren Folgen zu begreifen.

Nach dem Tobe Isboseths versammeln sich die Aeltesten aller zwölf Stämme Israels zu Hebron, um David das israelitische Gesammtreich zu übertragen (s. 2. Sam. 5,1-3). Die Chronik zählt alle einzelnen Stämme namentlich auf und fügt noch hinzu die Zahl der Bewaffneten, welche die Stammesältesten begleiteten (s. 1 Chron. 12, 23-40). Da ohnehin bei den biblischen Geschichten in Folge des längst und allgemein verbreiteten Unglaubens der Zweifel immerfort in der Ecke lauert, um bei der ersten besten Gelegenheit hervorzuspringen, so wird die hier von der Chronik angegebene, obwohl genau detaillirte, Zahl von über dreihunderttausend Bewaffneten sehr leicht als eine unglaubliche beanstandet. Wem es aber gegeben ist, das Hochgefühl, welches ganz Israel bei der endlichen Gelangung Davids zu seinem Ziele durchdringen mußte, zu verstehen, der wird sich über diese Hunderttausende nicht im Mindesten wundern. Denn wie wir es nicht anders erwarten können und wie es sich auch aus den näheren Angaben ergiebt, um ein Volksfest im größesten und edelsten Stil handelt es sich hier.

Also sprachen die Aeltesten aller Stämme zu David in Hebron: „siehe, wir find dein Gebein und dein Fleisch sind wir, auch gestern und ehegestern, als Sau! König war über uns, bist du es gewesen, der Israel ein- und ausgeführet hat, und gesprochen hat Jehova zu dir: du sollst weiden mein Volk Israel und du sollst Fürst sein über Israel“ (s. 2 Sam. 5, 1. 2). Achten wir zuvörderst auf das, was die feierliche Gesammterklärung der israelitischen Aeltesten über Davids Vergangenheit aussagt. Jetzt wissen alle Aeltesten Israels, was wir bisher nur aus dem Munde Einzelner, wie Jonatans, Abigails, Amasais und in hellen Augenblicken aus dem Munde Sauls vernommen haben, jetzt drücken alle Aeltesten sich über die göttliche Berufung Davids zum Königthum über Israel so correct aus, als wären sie bei der Salbung Samuels zugegen gewesen. Wie konnte das, was jetzt so gemeinkundig ist, einst so verborgen sein? Oder wie konnte das, was Jahre lang verdeckt und wie verloren ist, jetzt plötzlich so ausgemacht und entscheidend werden? Es ist dies weiter Nichts, als das Geheimniß aller wahren Entwicklung und Geschichte. Die göttliche Berufung Davids hatte zur Voraussetzung seine thatsächliche Selbstbewährung; deshalb hat die Kunde von dieser Berufung auch nur so weit Bedeutung, als diese Selbstbewährung erkannt und verstanden wird, und ohne dieses Verständniß ist jene Kunde eine unfruchtbare historische Notiz. Die Selbstbewährung Davids zu verstehen, das war früher nur verhältnißmäßig Wenigen gelungen, die entweder vermöge ihres inneren Sinnes oder durch ihre äußere Lage vor Andern dazu befähigt waren, jetzt aber, nachdem diese Selbstbewährung völlig reif und vollendet vorliegt und zugleich jedes äußere Hinderniß ihrer Anerkennung beseitigt ist, jetzt leuchtet dieses Verständniß plötzlich auf wie ein Blitzstrahl und was bisher Anstoß und Aergerniß gewesen war, Davids Schmach und Leiden, erscheint jetzt umgewandelt in eben so viele Beweisthümer seiner königlichen Gesinnung. So müssen wir es verstehen, wenn die Aeltesten zu David sagen, auch in den Tagen Sanis hast du Israel aus- und eingeführt. Selbst wenn sie mit diesen Worten nur auf das hindeuten wollten, was 1 Sam. 18, 5. 16 erzählt wird, so konnte ihnen diese ferne Vergangenheit Davids nur dann gegenwärtig und entscheidend sein, wenn ihnen seine Verbannung und Absonderung von Israel keinen Anstoß mehr darbot. Wahrscheinlich aber wollen die Aeltesten mit jenen Worten noch mehr sagen und wir erinnern nur an das, was Abner schon vorlängst zu den Aeltesten Israels gesprochen hat: „ihr seid schon seit gestern und ehegestern“, sagte Abner, „in dem Bestreben begriffen, David zu eurem König zu erhalten“ (s. 2 Sam. 3, 17). Wir werden schwerlich fehl greifen, wenn wir annehmen, das was einst Abigail zu David sprach, als er noch in der Wüste war: „du führest Jehovas Kriege“, sei jetzt auch den Aeltesten Israels klar geworden, daß nämlich David auch damals, als er verstoßen und elend war, mitten in seinem Leide die wahre Führerschaft Israels ausgeübt und seine Schaar wirklich ein „Lager Gottes“ gewesen, daß endlich sein beschränktes und rein defensives Königthum zu Hebron bereits die richtige Leitung des ganzen Volkes, wenn auch nur im Geheimen, gewesen sei. Auf dieser Grundlage ihrer Anschauung von Davids Vergangenheit können sie nun sagen: „siehe, wir find dein Gebein und dein Fleisch.“ Dies ist die Sprache des unmittelbaren Selbstbewußtseins der blutverwandtschaftlichen Einheit und Gemeinschaft. Ein sehr bedeutsames Zeichen! Die Israeliten waren ähnlich geartet, wie die Deutschen von Anfang bis heute. Ihr kräftiges Freiheitsbewußtsein forderte die Freilassung der natürlichen Unterschiedlichkeit und Mannichfaltigkeit. Diese Eigenthümlichkeit ist in Israel durch das Beibehalten der Stammeseintheilung sehr scharf ausgeprägt. Die Schattenseite dieser lebendigen Freiheit und selbstständigen Individualisirung ist die Schwierigkeit, die Einheit der Nation zur wirklichen Macht zu erheben. Bei denjenigen Nationen, in denen Freiheit und Selbstständigkeit ein weniger constitutives Moment bilden, genügen Zweckbegriffe wie Machtentfaltung und Ruhmerwerbung, um die Einheit durch ein äußerliches Centralisationsprincip zu verwirklichen. In dem israelitischen Volke aber, wo jede irgendwie äußerlich vermittelte Einheit das ursprüngliche Freiheitsbewußtsein verletzt und daher auf die Dauer nicht haltbar ist, kann die Einheit nur auf dem Boden der realen Natureinheit, der einheitlichen Abstammung und der gemeinschaftlichen Geschichte gewonnen werden. So lange nun das ursprüngliche Volksbewußtsein in Israel noch ungeschwächt und ungebrochen waltet, finden wir die Gesammtheit ungeachtet aller individuellen Unterschiedlichkeit in allen Hauptactionen mit der Kraft einer Einmüthigkeit handeln, wie sie sonst nirgends in der Geschichte sich zeigt. Aber eben aus dem Grunde, weil diese Intensivität des Volksbewußtseins nicht mehr vorhanden ist, wird das Bedürfniß des Königthums empfunden. Soll nun aber das Königthum in Israel nicht ein äußerliches Centralisationsprincip werden, was in Israel nicht möglich ist, wie schon der saulische Versuch gezeigt hat, so muß sich das Königthum als die Neubelebung der ursprünglichen Kraft des Volksbewußtseins offenbaren, was eben nur so geschehen kann, daß in dem König die verloren gegangene Einheit des gesammten Volkslebens wieder zur Erscheinung kommt. Das ist es nun aber, was sich in dem ganzen bisherigen Verhalten Davids auf eine so unzweideutige Weise gezeigt hat, und was wir als in dem Wiederscheine der davidischen Persönlichkeit an seiner Schaar der Sechshundert erkannt haben, ich erinnere nur an die Trauerfeier zu Ziklag und das nachherige Verhalten Davids zu Hebron gegen das Haus Saul und gegen Abner hat dieses aufs Neue vor aller Augen bestätigt. David hat sich als denjenigen Israeliten bewährt, der trotz der empfindlichsten und anhaltendsten Reizungen zum Gegensatz und zur Feindschaft unwandelbar an der israelitischen Volkseinheit festhält, in welchem die israelitische Volkseinheit, wie sie in den Tagen Moses und Josuas sich offenbart, eine den Tod und die Verwesung aller inzwischen eingetretenen Zertrennung des Volkslebens überwindende Auferstehung feiert. Israel erkennt in David jetzt seinen wahren und ächten König, weil es in ihm sich selbst wiedergefunden hat. Darum sagen die Aeltesten aller Stämme in der ursprünglichsten Natursprache zu ihm: „wir sind dein Gebein und dein Fleisch“; getilgt ist alle Gegensätzlichkeit der Stämme und Parteien, wir, obwohl in den Stammesverschiedenheiten beharrend, fühlen uns mit dir in der Einheit der gleichen Naturbasis.

Und David geht seinerseits auf diesen Sinn der israelitischen Aeltesten vollständig ein und er schließt einen Bund mit ihnen vor Jehova (s. 2 Sam. 5, 3). Einen Bund kann er nämlich mit den Aeltesten nicht schließen, wenn er sie nicht als selbstständig sich gegenüber anerkennt. Dieses Königthum, obwohl so sehr von Gottes Gnaden, wie kein zweites in der Welt, ist also nicht das Grab der nationalen Selbstständigkeit, sondern eine neue und feierliche Bestätigung dieser Selbstständigkeit. Die durch den Bund von David besiegelte Selbstständigkeit des Volkes kommt auch sofort zur Geltung, indem sich David zum dritten Mal von den Repräsentanten des Volkes salben läßt (s. V. 3). Israel findet seinen König, indem es in seinem König sich selbst wiederfindet, das ist der Nerv dieses unvergleichlichen Volksfestes zu Hebron, bei welchem David sein Königthum über ganz Israel antritt. Der schlichte Bericht des Chronisten giebt uns eine Anschauung von dieser Festlichkeit; nachdem er die Tausende aus allen Stämmen Israels aufgezählt, fährt er fort: „alle diese Kriegsmänner kamen in geordnetem Zuge nach Hebron mit dem festen Entschluß, David über ganz Israel zum König zu machen und auch das ganze übrige Israel war einmüthigen Herzens, David zum Könige zu machen, und sie waren bei David drei Tage und aßen und tranken, denn ihre Brüder hatten ihnen Vorrath geschafft; und zwar führten die Nahen sowohl als die Fernen bis zu Isascher, Sebulon und Naphthali, ihnen Brod, Gebäck, Feigen, Rosinen, Wein und Oel, Rinder und Kleinvieh herbei mit Eseln, Kameelen, Maulthieren und Ochsen, denn Freude war in Israel“ (s. 1 Chr. 12, 38-40). Das ganze Volk, nicht bloß die Hunderttausende, welche in Hebron anwesend sind, sondern auch Alle, die zu Hause bleiben, wählen einmüthig und entschlossen David zum König. Hier ist in der That eine unzweifelhafte, unzweideutige Einmüthigkeit des gesammten Volkswillens vorhanden, ein Ergebniß, welches alle künstliche Ursachen ausschließt, welches nur auf dem Boden einer Alles überwindenden geschichtlichen Thatsächlichkeit entstehen kann. „Denn Freude war in Israel“. Diese Freude offenbart sich nicht bloß darin, daß die Hunderttausende mit David drei Tage ein gemeinschaftliches Mahl halten, sondern noch weit mehr, und eben darauf weist der Text hin, darin, wie die reichen Vorräthe für diese kolossalen Festmähler herbeigeschafft wurden. Das Volk wußte, daß David noch nicht in der Lage war, seine Hunderttausend bewirthen zu können. Auch das kam den übrigen Stämmen nicht in den Sinn, dem Stamm Juda, der sich bereits sieben Jahre des Königthums David erfreute, die Last dieser Bewirthung zuzumuthen, sondern das war der einmüthige Entschluß, der von Dan bis Beersaba gefaßt wurde, Alle, welche Ueberfluß hatten, sollten ihre Schätze aufthun und sollten, mochten sie nun an den Grenzen des Landes wohnen oder nahe bei Hebron zu Hause sein, ihre Vorräthe nach Hebron liefern für das gemeinsame Fest des Königs und des Volkes. So geschah es, daß das ganze Volk bei diesen Freudenmählern wirklich erschien, wie es so oft genannt wird, als ein Haus, als eine Familie von Brüdern, aufgelöst und ausgeglichen waren alle Gegensätze zwischen den Stämmen, zwischen Reichen und Armen, zwischen den beiden Lagern, die sich Jahre lang in Waffen gegenüber gestanden. Dieses Fest war eine Erfüllung dessen, was David am Schluß des 22. Psalms als die Frucht seines unschuldigen Leidens geweissagt hatte. „Freude ist in Israel“, denn Israel hat seinen König gefunden, weil es in seinem König sich selbst wieder gewonnen hat.

Durch Hoffen und Harren, durch Stillesein und Dulden hat David nunmehr das ersehnte Ziel erreicht; aber jetzt soll sich zeigen, daß all seine bisherige Zurückhaltung nicht Schlaffheit gewesen ist, sondern das kraftvolle Anziehen einer starken Bogensehne. Der dreimal gesalbte David, dessen Königthum auf dem Willen Gottes und auf dem Willen des Volkes ruht, ist der Mann der königlichen Initiative, welche beginnt, sobald die Festtafel von Hebron aufgehoben ist und ohne Abspannung anhält, bis er sein Scepter in die Hand seines Sohnes übergiebt.

Mitten im Lande auf dem Berge Zion saß noch ein Rest der alten canaanitischen Stämme, nämlich die Jebusiter. Eine größere Schmach gab es für Israel nicht, als daß die Aufgabe, welche dem Volk vor vierhundert Jahren gegeben war, das Land der Canaaniter in Besitz zu nehmen, noch so wenig erfüllt war, daß der Jebusiterkönig die Burg in der Mitte des Landes inne hat und schon durch diese seine Existenz die Zerrissenheit und Ohnmacht Israels unwiderleglich darthut. Doch ist weder Einem der Richter noch dem König Saul diese Schmach an der Stirne Israels gebührend zu Herzen gegangen; es ist der erste königliche Entschluß Davids, diese brennende Schmach zu tilgen. Auf gen Zion, hin zum Berge der Jebusiter! so lautet Davids Parole, sobald der letzte Freudenlaut des Festes von Hebron verklungen ist, und „wer den ersten Jebusiter schlägt,“ fährt er fort, „der soll Haupt und Fürst sein“ (s. 1 Chron. 11, 6). Nicht leicht war dieses Unternehmen, denn so fest und trotzig saß der Jebusiter auf seiner Felsenburg, daß er sich vernehmen ließ: „die Blinden und Lahmen würden den Feind abtreiben“ (s. 2 Sam. 5, 6). Aber das ist der königliche Sinn Davids, daß er nicht nach der Schwierigkeit eines Unternehmens fragt, sondern nach seiner Notwendigkeit. Und David weiß es, daß er seiner eingeschulten und hart gewöhnten Kerntruppe Etwas zutrauen darf und Joab, der Ungestüme, läßt es sich auch nicht nehmen, der Erste zu sein auf der Jebusiterzinne und den Ehrenpreis zu gewinnen (s. 1 Chron. 11, 7). Aber eben so königlich, als dieses erste kühne Unternehmen Davids, ist sein sofort ausgeführter Entschluß, die eben eroberte Burg der Jebusiter zur königlichen Residenz zu erheben und sich auf dem Berge Zion von den Cedern des Libanon einen königlichen Palast zu bauen (s. 2 Sam. 5, 9. 11). Nicht bloß ist dieser Gedanke, wie der Verfolg ausgewiesen hat, geographisch richtig gewesen, er hat auch einen acht historischen Gehalt. Die Verwandlung der jebusitischen Burg in die Stadt Davids, diese Verwandelung der nationalen Schmach des Landes in die höchste Zierde und Herrlichkeit des Volkes ist das schönste tatsächliche Symbol der neuen königlichen Aera. Auf diesem wahrhaft königlichen Anfang des davidischen Waltens ruhte auch sofort der sichtbare Segen des Himmels.

Unsere Erzählung sagt: „und David ging und nahm zu und Jehova der Gott Zebaot war mit ihm; und David erkannte, daß Jehova ihn zum Könige über Israel bestätigte und daß er sein Königreich erhöhete um seines Volkes Israel willen“ (s. 2 Sam. 5, 10. 12).

Das Nächste, was nun für König David unumgänglich nothwendig erscheinen mußte, war die Dämpfung der Philister. Diese zähen Feinde wohnten innerhalb der israelitischen Grenzen und waren deshalb gefährlicher und lästiger, als alle übrigen, dazu kam, daß sie in den letzten Tagen Sauls mächtiger geworden waren, denn seit lange. Der Krieg Davids mit diesem Erbfeind war übrigens um so nothwendiger, da die Philister, sobald sie die Thronbesteigung Davids hörten, zur Offensive übergingen, ohne Zweifel in der Voraussetzung, daß, da der Krieg zwischen ihnen und David doch nicht zu vermeiden, die Gelegenheit am günstigsten sei, so lange David noch neu sei im Königthum. David schlug die Philister zweimal aufs Haupt (s. 2 Sam. 5, 17-25) und verbrannte ihre im Stich gelassenen Götzenbilder (s. 1 Chron. 14,12). Kurz, David erreichte es durch diese Siege, daß er, wie es der Bericht summarisch ausdrückt, „den Dienstzaum den Philistern aus der Hand nahm“ (s. 2 Sam. 8, 1), also der schmählichen Abhängigkeit, in welche Israel von Zeit zu Zeit den Philistern gegenüber gerieth, gänzlich ein Ende zu machen.

Wäre David ein gewöhnlicher König, so hätte er nach diesen Siegen über Jebusiter und Philister, durch welche er Israels Machtstellung wesentlich verbesserte, ausruhen mögen. Aber so wenig denkt König David an Ausruhen, daß er diese Siege und Erfolge als die notwendigen Grundlagen ansieht, auf denen der eigentliche Bau seines königlichen Wirkens und Waltens sich erheben soll. Dieses königliche Wirken und Walten Davids ist nun weder durch Willkür noch durch Zufall bedingt, sondern hat einen sehr bestimmten und innerlich nothwendigen Inhalt. Paulus sagt von dem König David, er sei bestimmt gewesen, den gesammten Willen Gottes auszuführen (s. Apostelg. 13, 22) und dieses Bewußtsein hat David selber über seine Bestimmung: „einstmal habe ich gesprochen“, sagt er Ps. 40, 8. 9, „siehe, ich komme, in der Buchrolle ist mir vorgeschrieben; zu thun deinen Willen, mein Gott, ist meine Freude, und dein Gesetz ist tief in meinem Innern“. Diese Worte Davids erinnern sehr stark an die Vorschrift des alten Königsgesetzes 5 M. 17, indessen wenn man nun meinte, durch die Vorhaltung eines gegebenen und fixirten göttlichen Willens werde das menschliche Thun und hier das königliche Wirken einen äußerlichen gesetzlichen Charakter oder Beigeschmack erhalten, so würde man sehr im Irrthum sein. Nicht erst der Apostel Paulus hat es gelehrt, daß das wahrhaft sittliche Wirken, die rechte Erfüllung des göttlichen Willens und Gesetzes nur aus dem innersten Gesammttriebe des Menschen hervorgehen könne, sondern diese Erkenntniß ist bereits eine alttestamentliche und speciell eine davidische. In demselben Athem, in welchem David von der geschriebenen Buchrolle redet, bezeugt er, daß das göttliche Gesetz in seinem Herzen ist. Und daß dieses Selbstzeugniß wahr ist, beweist sein gesammtes königliches Wirken, welches überall einen unverkennbar innerlichen und persönlichen Charakter hat. Wir haben uns überzeugt, daß die tiefe und feste Grundlage des davidischen Königthums die Bildung und Bewährung der königlichen Gesinnung Davids ist; und diesem Charakter genau entsprechend ist nun auch der ganze wundervolle Bau seines königlichen Wirkens.

Die früheste Charakteristik, welche von David vorliegt, schreibt ihm kriegerische und musikalische Anlage zu und es konnte uns nicht entgehen, daß damit von vornherein eine ungewöhnliche und viel versprechende Verbindung geistiger Talente angedeutet ist. Es beweist nun den gesunden Kern der davidischen Persönlichkeit, daß diese beiden sich gegenseitig hebenden und verklärenden Anlagen, indem sie von der Macht der Gesinnung in Besitz genommen werden, mit und neben einander zur Vollendung fortgebildet werden. Die Signatur der innersten Gesinnung Davids ist Frömmigkeit, das zeigt sich in allen charakteristischen Aeußerungen und konnte er auch nur als Solcher, in welchem das religiöse Leben persönliche Gestalt gewonnen, der rechte König des priesterlichen Volkes werden und bleiben. Die Frömmigkeit nun ist es, welche die natürlichen Anlagen Davids geweiht und geheiligt hat. Unmittelbar auf Jehova führt er all seine kriegerische Tüchtigkeit zurück, wenn er sagt: „Jehova lehret meine Hände streiten und daß meine Arme den ehernen Bogen spannen“ (s. Ps. 18, 35. 144, 1). Durch Jehova weiß er sich also aus einem Hirten der Heerde, der seine Schafe gegen das Gethier des Feldes vertheidigt, verwandelt in den Hirten des Volkes, der Israel schützt vor seinen Feinden und die Kriege Jehovas streitet (s. 1 Sam. 25, 28). Gleicherweise ist es nach seinem eigenen Bekenntniß Jehovas Geist, welcher sein Schäferspiel zu der Erhabenheit und Heiligkeit der Psalmen erhoben hat (s. 2 Sam. 23, 1. 2). Nach diesen beiden in der Natur Davids angelegten Seiten breitet sich seine Persönlichkeit aus und das ist das wahrhaft Königliche in seiner Regierung, daß er eben durch Kraft und Wirkung seiner Persönlichkeit dieselbe Zweiseitigkeit seinem Volke aufzuprägen vermag. Wir haben gesehen, daß David dadurch König von Israel geworden ist, daß er sein individuelles Bewußtsein in den Gesammtzustand seines Volkes erweiterte und vertiefte, daß ihm Alles, was das Volksleben bewegt und insbesondere auch das, was sich sonst dem fürstlichen Blick am meisten entzieht, heimisch und vertraut war und er, was in der Wirklichkeit des Volkslebens verrenkt und zerbrochen war, zunächst in seinem Innern wiederum in das Ganze einfügte. Diese Selbstversenkung Davids in die zerrissene Wirklichkeit seines Volkes, von welcher Geistesmacht sich jedes Glied des Volkes erfaßt und getragen fühlen mußte, verleiht ihm die persönliche Ueberlegenheit, mit welcher er das ganze Volk von innen zu beleben, zu begeistern und zu seiner eigenen lichten Höhe emporzuheben im Stande ist. Dieses Höchste, was überall ein Herrscher erreichen kann, ist nur dann erreichbar, wenn er die Einwirkung seines persönlichen Sinnes nicht durch Macht- und Kunstmittel, die ihm reichlich zu Gebote stehen, stört, sondern nur solche Mittel anwendet, welche mit der Reinheit der persönlichen Gesinnung in innerer Verwandtschaft stehen. So finden wir es bei David. Das Hauptmittel, durch welches er seinen persönlichen Sinn in sein Volk verbreitet, ist die natürliche und unmittelbare Aeußerung des Inneren, nämlich das Wort. Das Wort braucht David in seiner lautersten Kraft und Gestalt, das Wort, welches er mit sich selber und mit seinem Gott im tiefsten Inneren wechselt, dieses Wort macht er öffentlich ohne Vorbehalt und ohne Scheu. Wir werden noch einzelne Fälle namhaft zu machen haben, in denen sich diese gänzlich unverholene Wahrheit des davidischen Wortes auf eine wahrhaft weltgeschichtliche Weise zu erkennen giebt und Jedem mit völliger Sicherheit bemerklich macht. Darin liegt die unmittelbar anziehende Macht der Psalmen Davids; vermittelst der Psalmen schaute das Volk in die innersten Tiefen und Regungen seines königlichen Herzens und darum ist es nicht zu verwundern, daß sich auf diesen geflügelten Worten der reinsten Geisteswahrheit der königliche Sinn bis in die Peripherie des ganzen Volkslebens verbreitete, so daß wir auf den Höhepunkten der davidischen Geschichte das gesammte Volk mit seinem Fürsten in so unmittelbarem und naturgemäßem Zusammenhang und Einklang finden, wie die Glieder eines Leibes mit ihrem Haupte. Wir wollen uns dieses, ehe wir das königliche Wirken Davids nach den beiden genannten Seiten weiter verfolgen, an einem Beispiele deutlich machen. In dem 101. Psalm, den selbst Ewald für davidisch hält, übergiebt König David seinem Volke folgendes Regierungsprogramm: In Unschuld meines Herzens will ich wandeln im Innern meines Hauses, Heilloses soll nicht vor meine Augen kommen, Das Thun der Falschen hasse ich und mir soll es nicht ankleben; Das Herz des Betrügers soll von mir weichen, Den Bösen will ich nicht kennen; Wer im Geheimen verleumdet seinen Nächsten, den will ich vertilgen; Wer hohe Augen hat und gieriges Herz, den ertrag ich nicht, Meine Augen ruhn auf den Treuen des Landes, daß sie bei mir wohnen, Wer auf dem Wege der Rechtschaffenheit wandelt, der soll mir dienen, Nicht soll bleiben in meines Hauses Inneren, wer Betrug übet, Wer Lügen redet, soll nicht bestehen vor meinen Augen. Früh des Morgen vertilge ich alle Frevler des Landes, Um auszurotten aus Jehovas Stadt alle Uebelthäter. Mit solchen dem ganzen Volk verkündeten Grundsätzen weihte David die Burg der Jebusiter zur Stadt Jehovas und heiligte sein Cedernhaus zum königlichen Palast und Jedermann in Israel konnte nun genau wissen, was er von dem gesalbten König auf Zion zu hoffen oder zu fürchten hatte. Betrachten wir nun zuvörderst die auswärtigen Verhältnisse, in denen sich die kriegerische Tapferkeit und Tüchtigkeit Davids und seines Volkes bewährte. Israel war nicht aufs Erobern angewiesen, sondern auf friedliches Wohnen innerhalb seiner Grenzen. Aber da Israel ein Volk war, so konnte es auch seine friedliche Bestimmung, nur dann erreichen, wenn seine politische Selbstständigkeit gesichert und von außen nicht angetastet wurde; auch für das Volk Gottes, auch für das Priestervolk der Erde war ungehemmter Besitz seiner Selbstmacht eine Bedingung seiner Existenz. Nun war Israel noch niemals zum ungestörten Besitz seiner Selbstständigkeit gelangt, nicht bloß die Philister, sondern eine große Zahl von angrenzenden streitbaren Völkerschaften machten sich die Mängel der israelitischen Verfassung zu Nutze und störten unaufhörlich den Frieden und den Besitz des Landes. Aus diesem Grunde konnte auch Niemand das wahre Königthum Israels antreten und verwalten, als wer sich als Kriegsheld bewährt hatte. Das gilt nun nicht bloß, wie wir öfter gesehen, von David persönlich, sondern er hatte sich auch in seinen sechshundert Helden und ihren Führern eine Schaar herangebildet, welche für die kriegerischen Aufgaben seines Königthums einen festen und zuverlässigen Stützpunkt abgab. Ohne Zweifel war die Kriegführung Davids gegen die Heiden, welche allenthalben von Sieg und von dem Segen Jehovas gekrönt wurde (s. 2 Sam. 8, 6. 14), und welche Israel zum ersten Mal völlige Sicherheit nach allen Seiten verschaffte, eine langwierige und gefährliche Arbeit, die einen großen Theil von Davids Regierungszeit ausgefüllt hat. Das israelitische Volk, obwohl an Tapferkeit keinem Volke nachstehend, ist aber im Bewußtsein höherer Güter auf Kriegsruhm weniger eifersüchtig, als andere Völker, und darum sind die Nachrichten über Davids Kriege nur eben ausreichend, um uns einen Begriff theils von der gemachten äußersten Kraftanstrengung, theils von dem allgemein glücklichen Erfolge zu geben.

Die Moabiter sind das erste Grenzvolk, welches den kriegerischen Arm Davids zu fühlen bekam (s. 2 Sam. 8, 2). Darauf kamen die Völker von Aram, die Syrer, welche in Hadadeser, König von Zoba, einen Mittelpunkt hatten, an die Reihe (s. 2 Sam. 8, 3-6). Diese Völker bilden nicht bloß einen zahlreichen Complex, sondern sind durch ihre schwere Rüstung mit Streitwagen und Reisigen für Israel, welches im Vertrauen auf Jehova und seine eigne persönliche Tapferkeit in der Zeit Davids das Streitroß verschmäht (s. Ps. 20, 8), besonders furchtbar. Schon Saul hatte mit diesen Völkern nicht ohne Erfolg angebunden (s. 1 Sam. 14, 47), nach der Erschlaffung dieses ersten Königs waren sie aber natürlich nur um so feindlicher und gefährlicher geworden. David besteht den Kampf gegen die große Zahl und die überlegene Ausrüstung, er macht sich Alles dienstbar bis an den Euphrat und bringt die reiche Beute und die furchtbaren Waffen Arams nach Jerusalem (vgl. 1 Chr. 18, 4). Noch ausgedehnter und verwickelter ward das Kriegstheater bei einer späteren Gelegenheit. Nach dem Tode des Königs der Ammoniter, welcher David eine Wohlthat erwiesen, vielleicht in der Zeit seiner Bedrängniß, sandte David Boten an den jungen König, den Sohn seines Wohlthäters, mit friedlichen Aufträgen (s. 2 Sam. 10, 1. 2). Da auch die Ammoniter zu den nachbarlichen Erbfeinden Israels gehörten (s. Richt. 3, 13. 10, 7-9), so sehen wir aus diesem Beispiel, daß David sich bemühte, so viel an ihm war, mit den Nachbarn Friede zu halten. Aber seine Friedensbotschaft an Hanon den Ammoniter ward der Anlaß des schwersten Krieges, den David zu bestehen gehabt. Ohne allen Grund vermutheten die Ammoniter in den Boten Davids feindliche Kundschafter und schickten die königlichen Gesandten mit Schimpf und Schande heim. Wo Geduld und Demuth eine Tugend war, konnte David viel Unbill schweigend hinnehmen, aber weil seine Demuth keine Schwäche war, so wußte er auch genau, wo das Dulden ein Ende hatte und wo das Handeln eintreten mußte. In der Beschimpfung seiner Gesandtschaft sieht er eine ernsthafte Ehrenkränkung von Seiten der Ammoniter und diese, sobald sie den Ernst Davids merken, rüsten sich zum Kriege und wissen die Hülfe der mächtigen Syrer, welche sich inzwischen von ihrer Niederlage erholt haben, zu gewinnen. Gegen die vereinte Streitmacht von Ammon und Aram sandte David seine beiden Feldherren Joab und Abisai. Die drei Söhne seiner Schwester Zeruja, die beiden Genannten und der von Abner erschlagene Asahel haben sich nämlich von den Zeiten der Verfolgung an als tapfere Führer bewährt und obwohl sie wegen ihres Ungestüms dem König öfter lästig wurden (s. 1 Sam. 26, 8. 2 Sam. 3, 39. 16, 10. 19, 22), waren sie ihm doch wegen ihrer kriegerischen Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit unentbehrlich. Von Joab und Abisai wird aus dem ammonitisch-syrischen Kriege ein Zug berichtet, den wir uns merken müssen. Sie finden offenbar den Feind mächtiger, als sie sich gedacht haben, und eine nicht geringe Schwierigkeit tritt ihnen darin entgegen, daß der Feind sich in zwei Armeen theilt und Israels Heer einzuschließen droht. In dieser gefährlichen Lage ordnet Joab an, daß die auserlesene Mannschaft unter seiner Führung sich gegen die streitbareren Syrer stellen, das übrige Heer unter Abisai den Ammonitern Stand halten soll, und nach dieser Verabredung mit seinem Bruder sagt er die denkwürdigen Worte: „wohlan, so laß uns stark sein für unser Volk und für die Städte unseres Gottes, und Jehova wird thun, was gut ist in seinen Augen“ (s. 2 Sam. 10, 12). In der Stunde der Gefahr hören wir hier aus dem Munde des rauhen Joab den Geist und die Sprache der davidischen Frömmigkeit, und es ist uns dieses Wort ein Beleg dafür, daß der tiefste Zug der Persönlichkeit Davids auch da verstanden und empfunden wird, wo man es durchaus nicht erwartet. Joab gewinnt übrigens den Sieg über die Syrer und demnächst auch Abisai über die Ammoniter; aber Hadadeser von Zoba, jetzt vor der Züchtigung wegen seines Abfalls in Furcht, wendet sich sogar nach Mesopotamien um Hülfe (s. 2 Sam. 10, 16). Diese ungewöhnliche Anstrengung der ohnehin durch ihre schwere Rüstung gefährlichen Syrer veranlaßt David, selbst die Führung zu übernehmen und das ganze Israel zu den Waffen zu rufen, und es gelingt David abermals, die Macht der syrischen Wagen und Rosse zu brechen (vgl. 2 Sam. 10,18. 1 Chron. 19, 18). Diese wenigen Thatsachen aus einer gewiß langwierigen Kriegsgeschichte werden genügen, um uns die folgenden zusammenfassenden Worte der Chronik: „und es ging aus der Name Davids in alle Lande und Jehova legte seine Schrecken auf alle Heiden“ (s. 1 Chron. 14, 12) vollkommen verständlich zu machen.

In den Tagen Davids ist Israel, wie nur jemals eine Nation, ein Volk in Waffen, aber eben dasselbe Israel ist zu gleicher Zeit die heilige und priesterliche Gemeinde Jehovas. Weil David ganz Israel in sich aufgenommen, so wird Israel im Ganzen und Großen der vervielfältigte David. Denn in David ist Kriegsmuth und Frömmigkeit, Waffengeklirr und Psalmengesang in Eins verschmolzen. Grade so denkt sich David im begeisterten Augenblick sein ganzes Volk, er sagt zu Jehova: Ganz Edelmuth ist dein Volk am Tage deiner Schlacht, Im heiligen Schmuck kommt aus dem Schoß des Morgens der Thau deiner Jugend (Ps. 110,3). Ganz Edelmuth oder ganz Willigkeit denkt sich David sein Volk im Verhältniß zu seinem Gott, gehe es nun zum Kampf mit dem Feinde oder zum feierlichen Lobpreiß Jehovas. Daß der Dienst Jehovas in Israel mit Bewußtsein und Nachdruck von Anfang her als ein freiwilliger aufgefaßt wurde, haben wir schon früher gesehen. Von David wissen wir nun außerdem noch ausdrücklich, wie es auch nach seiner ganzen Persönlichkeit nicht anders zu erwarten steht, daß er bei allen Leistungen des Volks auf die Freiwilligkeit ein großes Gewicht legt (s. 1 Chron. 29, 14. 17). Er konnte nun auch mit Sicherheit darauf rechnen, daß seine eigene Frömmigkeit, wie er sie Angesichts seines Volkes in Wort und That bewies, einen innerlich bestimmenden und persönlich befreienden Eindruck machen mußte. Denn seine Frömmigkeit war eine durchaus gesunde, kräftige und wahrhaft volksthümliche. Außerdem wußte er ja, daß der heilige Name Jehovas mit der Geschichte seines Volkes von Anfang an verwebt war und daß es nur darauf ankam, die Macht und Herrlichkeit dieses Namens lebendig und persönlich zu vergegenwärtigen, um in dem ganzen Volke das schlummernde Bewußtsein seiner heiligen Bestimmung wach zu rufen. So wird es uns denn begreiflich, wie David das ganze Volk zur Neubelebung des heiligen Dienstes auffordern kann und daß es nur des voranleuchtenden Beispieles und des aufmunternden Wortes des Königs bedarf, um ganz Israel als die heilige und feiernde Gemeinde Jehovas erscheinen zu lassen. Denn nicht um Erlernung und Einübung von heiligen Formen und Buchstaben handelt es sich, sondern um Darlegung und Ausübung dessen, was tief im israelitischen Volksbewußtsein angelegt und nun durch Davids königliche Gesinnung und Persönlichkeit lebendig angeregt worden war.

Die Chronik hat es auch nicht unterlassen, ausdrücklich zu bemerken, daß David nicht im Geiste königlicher Autokratie, sondern in dem Geiste persönlicher und brüderlicher Verständigung mit seinem ganzen Volke seinen Entschluß, den vernachlässigten Dienst Jehovas neu aufzurichten, zur Ausführung bringt. Das vornehmste Heiligthum Israels war bekanntlich die Lade mit den beiden Gesetzestafeln. Daß Saul nicht der rechte König Israels war, kam wohl in keinem Stück deutlicher zur Erscheinung, als daß die heilige Lade in der Zeit Sauls zu einem bloßen Privatheiligthum herabgesunken war. Sobald nun David auf dem Berge Zion den neuen und bleibenden Mittelpunkt seines Königthums und seines Volkes gefunden hat, ist seine erste Sorge, die heilige Lade an eben demselben Mittelpunkte des Reiches in ihr ursprüngliches Recht wieder einzusetzen. Zu dem Ende versammelt er die Hauptleute des ganzen Volkes und spricht zu dieser Repräsentation der nationalen Gesammtgemeinde: „Gefällt es euch und ist es von Jehova unserem Gotte, so laßt uns eilen und hinschicken zu unseren Brüdern, den Anderen in allen Landen Israels und namentlich zu den Priestern und Leviten in ihren Bezirken, auf daß sie sich zu uns versammeln, damit wir die Lade unseres Gottes zu uns holen, denn nicht haben wir nach ihr gefragt in den Tagen Sauls; und die ganze Versammlung bejahte, solches zu thun, denn es schien recht die Sache in den Augen des ganzen Volkes“ (s. 1 Chron. 13, 1-4). Nach dieser voraufgegangenen Verständigung versammelt David aus ganz Israel dreißigtausend Mann und bringt in zwei feierlichen Festzügen die heilige Lade zuerst aus dem Hause Abinadabs, sodann aus dem Hause Obed-Edoms nach dem Berge Zion (s. 2 Sam. 6). David tritt bei diesem feierlichen Anlaß auf als König und Priester. Zu Hebron konnte er die Tausende Israels nicht bewirthen, jetzt läßt er es sich nicht nehmen, alles Volk, Männer und Weiber, mit königlicher Freigebigkeit zu versorgen (s. V. 19); und nach Verrichtung des Opfers entließ er das Volk mit dem priesterlichen Segen in dem Namen Jehovas der Heerschaaren (s. V. 18). Wie sehr aber David persönlich von dem Geist dieser heiligen Feier ergriffen war, davon erhielt das ganze Volk einen unmittelbaren Eindruck, indem David nicht in königlichem Gewände, sondern in dem einfachen levitischen Leibrock vor dem Lande Jehovas „mit aller Macht“ tanzte (s. V. 14). So fremdartig uns dieser Aufzug erscheinen mag, so verständlich mußte derselbe in dem israelitischen Alterthum erscheinen, da die gewöhnliche Bezeichnung der großen Jehova- und Volksfeste vom Umkreisen des Tanzes entlehnt ist, da die Reisenden Korte, Della Valle, Tournefort uns gottesdienstliche Tänze als orientalische Sitte beschreiben.

Ohne Zweifel hat das Volk in seinem natürlichen Instinkt seinen König in diesem jedenfalls ungewöhnlichen Aufzug begriffen, Israel hat aufs Neue gefühlt, „wir sind dein Fleisch und Gebein“, zwischen uns und dir ist keine Kluft' der König auf dem Thron schämt sich nicht, zu empfinden mit jedem Gliede seines Volkes, „und sein Herz erhebt sich nicht über seine Brüder“ (s. 1 M. 17, 20); und schwerlich wird der Volksgemeinde entgangen sein, daß diese natürliche Gemeinschaft des Königs mit seinem Volke auf seiner frommen Demuth vor Jehova ruht. Jedoch die Königstochter Micha! ärgert sich an diesem Benehmen ihres königlichen Gemahls, sie sieht darin eine unkönigliche Gemeinheit und macht dem David Vorwürfe. Es dient aber dieser Umstand nur dazu, daß offenbar werde, David habe mit vollem Bewußtsein so gehandelt und nichts Anderes als seine heilige Ehrfurcht für Jehova habe ihn dazu bestimmt (s. V. 20-22). In diesem Bewußtsein seiner Demuth vor Gott ist David auch völlig sicher, daß keine Gleichstellung mit seinem Volke seine königliche Würde beeinträchtigen kann, ja er überläßt sich ganz sorglos jedem natürlichen Gefühl, wohl wissend, daß er eben in solcher reinen Gesinnung eine Kraft besitzt, die Majestät seines Amtes weit sicherer zu bewahren und, wo es nöthig ist, geltend zu machen, als wenn er auf irgend äußere und künstliche Weise seine königliche Würde zu isoliren suchen würde. Bei diesem Festzuge der heiligen Lade kam nun eine Eigentümlichkeit zu Tage, welche für die Zukunft des heiligen Dienstes wichtig wird und die uns den bedingenden Einfluß der davidischen Persönlichkeit auf das gesammte Volksleben recht veranschaulicht. Es wird erzählt, daß der Festzug begleitet wurde mit dem Spiel der verschiedensten musikalischen Instrumente (s. V. 5. 15). Wer sieht nicht, daß die Lieblingskunst Davids von Jugend auf sich hier zur volksmäßigen Uebung erweitert hat? Und dürfen wir zweifeln, daß David dafür gesorgt haben werde, dem Spiele der Instrumente begleitende Worte hinzuzufügen? Wird der musikliebende und liederreiche König, den wir bei diesem großen Acte in so gehobener Stimmung finden, es haben unterlassen können, aus dem Schatze seines Herzens der heiligen Gelegenheit angemessene Hochgesänge anzustimmen? In der Psalmensammlung finden wir unter Davids Namen zwei Lieder, welche sich auf den Einzug Jehovas und auf das Wohnen bei seinem Heiligthum beziehen, Ps. 24 und Ps. 15, und es ist eine sehr wahrscheinliche und unter den Auslegern verbreitete Annahme, daß sich diese Psalmen auf die feierliche Einholung der heiligen Lade Jehovas und deren Niederlassung auf dem Berge Zions beziehen.

Wer wird hinaufgehen auf Jehovas Berg?
Wer wird feststehen an der Stäte seiner Heiligkeit?
Der unschuldig ist an Händen und rein von Herzen;
Der seine Seele nicht erhebt zum Eitlen,
Und der nicht schwöret zum Truge.
Hebet ihr Thore eure Häupter empor,
Erhebet euch hoch, ihr Pforten der Urzeit,
Damit einziehe der König der Ehre.
Wer ist dieser König der Ehre?
Jehova stark und gewaltig,
Jehova der Held des Krieges.

Wer wird weilen in deinem Zelte, Jehova?
Wer wird wohnen auf dem Berge deiner Heiligkeit?
Der rechtschaffen wandelt und Gerechtigkeit übet,
Und redet Wahrheit mit seinem Herzen;
Der nicht verleumdet mit seiner Zunge
Und seinem Nächsten nichts Böses thut,
Und nicht Schmach bringt über seinen Genossen.

Es war aber dies nur ein Anfang des heiligen Spieles und Liedes, mit der Festgründung der heiligen Lade auf dem Berge Zion sollte dieser Anfang zu einer festen stehenden Ordnung werden. David hielt nicht bloß in seinem Hause Sänger und Sängerinnen (s. 2 Sam. 14, 35), sondern vor Allem sorgte er dafür, daß die Leviten das neu aufgerichtete Heiligthum und den nunmehr wiederum hergestellten regelmäßigen Dienst mit dem heiligen Spiele und Liede verherrlichten (s. 1 Chron. 25). Der mosaische Gottesdienst war überwiegend symbolisch, David ist es, der das Liturgische hinzufügte und ihn dadurch neu belebte und vergeistigte. Hier erhielten nun die alten und neuen Lieder des Königs eine feste und würdige Stäte und senkten ihre wunderbare Kraft und Weihe in das ganze geistige Leben des Volkes ein. Nunmehr wurde David „der liebliche Sänger Israels“ (s. 2 Sam. 23, 1) in einem ganz neuen Sinn, und nachdem Israel das Singen von seinem Könige einmal gelernt hat, finden wir Sänger und Sängerinnen sowohl in den Zeiten der israelitischen Herrlichkeit als in denen der tiefsten Niedrigkeit (vgl. Predig. 2, 8. Esr. 2, 65. Neh. 2, 67. 73). Und ganz natürlich war es, daß indem David in seinem ganzen Volke den Gesanggeist erweckte, sein großes Beispiel auf begabte Naturen befruchtend wirken mußte. Gleichwie Davids Tapferkeit ihm drei Heerführer erzog, so erweckte seine Psalmenpoesie unter den levitischen Sängern drei produktive Dichter, Assaph, Heman und Etan (s. 1 Chron. 15, 17. vgl. Ps. 50. 73-83. 88. 89).

Die tapferen Kriege gegen die Heiden und die heiligen Lieder auf dem Berge Zion, das sind die beiden Pole der Axe, um welche sich Israels Volksleben unter David bewegt. Ein Volk, gleich wahr und stark nach jeder der beiden Seiten dieses Gegensatzes, ist gewiß eine außerordentliche Erscheinung der Geschichte, Davids Geist aber ist es, der sein Volk beseelt und zu dieser Höhe erhoben hat.

Wäre es auch nicht ausdrücklich berichtet, wir hätten vollgenügenden Grund, vorauszusetzen, daß ein königliches Regiment, welches das gesammte Volksleben nach so entgegengesetzten Bahnen in Bewegung zu bringen vermag, auch auf der ebenen Heerstraße der Verwaltung der öffentlichen Dinge wird correct gewesen sein. Indessen unsere beiden Berichterstatter haben nicht verfehlt, über den Gesammtcharakter der laufenden Verwaltung Davids mit gleichlautenden Worten ein zusammenfassendes Urtheil zu überliefern; der prägnante Satz lautet: „und es herrschte David über ganz Israel und David war begriffen in steter Uebung von Recht und Gerechtigkeit für sein ganzes Volk“ (s. 2. Sam. 8, 15. 1 Chron. 18, 14). Da die Participialconstruction in dem Urtext offenbar absichtlich gewählt ist, so hat Luther dem Satze nicht Genüge gethan, es ist von der Handhabung der Gerechtigkeit als von einer habituellen Eigenschaft die Rede. Dieses geschichtliche Urtheil ist die summarische Bestätigung, daß David sein Regierungsgelübde, welches er in dem 101. Psalm vor dem ganzen Volke abgelegt hat, mit seiner That erfüllt hat. David ist von der reinen Liebe zur Gerechtigkeit erfüllt, ja überschwenglich begeistert, das liegt in unzähligen authentischen Aussprüchen vor; er kennt aber außerdem die Schäden der Bedrückung und Ungerechtigkeit aus persönlicher Erfahrung und aus vertrautem Umgang mit den Gekränkten und Leidenden; sodann hat er einen scharfen Blick, dem im ganzen Lande, wie das kluge Weib von Tekoa sagt, Nichts entgeht (s. 2 Sam. 14, 20); und endlich betrachtet er sein Königthum nicht als etwas Selbstständiges, als eine Selbstherrlichkeit, um deren willen das Volk existirt, sondern umgekehrt ist nach alttestamentlicher Lehre das Königthum um des Volkes willen (s. 2 Sam. 5, 12. 1 Kön. 3, 8. 9). So geschieht denn das Große und Seltene, daß Davids Königthum ein heiliges Walten des Rechtes und der Gerechtigkeit ist für alle Stande und alle Glieder des gesammten Volkes.

Israel hat von Anfang an eine- priesterliche Stellung unter den Völkern, es soll die Heiden aus der Weltferne wiederum zur Gottesgemeinschaft zurückführen. Auf dieser Bestimmung beruht sein Erstgeburtsrecht (s. 2 M. 4, 22) und sein oberhäuptlicher Rang unter den Völkern (s. 5. M. 28, 13). Darum übt dieses Volk zu allen Zeiten, wenn es seinem wahren Wesen entspricht, eine anziehende und gewinnende Macht aus über die Heiden (s. 5 M. 4, 6-8. 28, 9. 10). David nun ist sich dessen bewußt, daß das Volk Gottes nicht bloß aus dem Zustande der vorhandenen inneren und äußeren Zerrüttung befreit, sondern auch zu einer höheren Stufe seines ganzen Daseins erhoben werden wird, und eben deshalb ist er auch von der Ueberzeugung durchdrungen, daß dieses neue Leben des Gottesvolkes auf das Gewissen der Heiden, die Gott vergessen haben, eine bekehrende Wirkung ausüben muß (s. Ps. 18, 45. 46). Aus dieser lebendigen Ueberzeugung erklärt es sich auch, daß David in seinen Psalmen die Heiden und ihre Könige unmittelbar anredet, als wären sie gegenwärtig und müßten seine Sprache und seinen Geist verstehen. Wir wollen diese merkwürdige Erscheinung hier nicht weiter verfolgen, sondern uns nur merken, daß diese Hoffnung Davids nicht ohne Erfüllung geblieben ist. Die beiden heidnischen Könige Hiram von Tyrus und Toi von Hamat suchten eifrig Davids Freundschaft (s. 2 Sam. 5, 11. 8, 9-11). Es ist möglich, daß dieser Anschluß der beiden Könige an David nur äußerlich blieb und lediglich auf der Anerkennung der Machtverhältnisse beruhte, ohne mit Jehovas Verehrung Etwas gemein zu haben. Andere Heiden aber finden wir mit David in Verbindung, von denen wir dieses Letztere entweder mit Bestimmtheit voraussetzen dürfen, oder auch ausdrücklich erfahren. Unter denen, die sich bereits in der Zeit der Verfolgung David angeschlossen, mithin unter der berühmten Heldenschaar, diesem Grundstamm der davidischen Armee, finden wir zwei Hetiter, also heidnische Canaaniter, den Ahimelech (s. 1 Sam. 26, 6) und den Uria (s. 2 Sam. 23, 39. 1 Chron. 11, 41), von welchem Letzteren wir wissen, daß er später in Jerusalem vermählt und ansässig war (s. 2 Sam. 11), und außerdem wird in diesem Heldenverzeichniß ein Ammoniter (s. 2 Sam. 23, 37. 1 Chron. 11, 39) und ein Moabiter aufgeführt (s. 1 Chron. 11,46). Von diesen vier alten Streitgenossen Davids ist es nun nicht gedenkbar, daß sie sollten Jahre lang in dem Lager Davids, welches das Lager Gottes war (s. 1 Chron. 12, 22), ihren Stand und ihre Würde gehabt haben, ohne daß sie zuvor ihre Götter verlassen und sich Jehova zugewendet hatten. Die beiden merkwürdigsten Fälle heidnischer Bekehrung bezeichnen aber die Namen Itai der Gathiter und Arafna der Jebusiter. Itai ist ein angesehener Philister von Gath, mit welcher Philisterstadt David frühzeitig Verbindungen hatte. Dieser siedelte mit seinem ganzen Anhang über nach Jerusalem und zwar zu einer Zeit, als David in größter Gefahr schwebte. David macht den philistrischen Fremdling aufmerksam auf seine eigene höchst unsichere Lage und räth ihm, wieder umzukehren. Darauf entgegnet dieser Philister: „so wahr Jehova lebet und beim Leben meines Herrn, des Königs, an dem Orte, wo mein Herr, der König, sein wird, sei es zum Tode oder zum Leben, daselbst wird dein Knecht auch sein“ (s. 2 Sam. 15, 21). Dieser Heide bekennt sich also in einem Satze mit ausdrücklichen Worten zu Jehova und zu seinem Gesalbten, und da Itai sein Glaubensbekenntniß sofort mit Dransetzung seiner ganzen Existenz bekräftigt, trägt David kein Bedenken, ihm einen Theil seines Heeres anzuvertrauen (s. 2 Sam. 18, 2). Gleicherweise bekennt sich Arafna der Jebusiter zu Jehova und seinem König David (s. 2 Sam. 24, 23). Dieser Arafna wird an dem angeführten Orte König genannt, was nicht damit in Widerspruch steht, daß er nach 1 Chr. 21,20 mit seinen vier Söhnen zur Zeit Davids auf seiner Tenne Weizen drosch. Die Nachricht I Chron. 4, 8: „und Joab läßt am Leben den Rest der Stadt“, darf weder der Deutung von Bertheau noch der Conjectur von Thenius preisgegeben werden; beide Gelehrte haben nicht beachtet, daß die Chronik offenbar andeuten will, es sei zur Zeit Davids, welche in der Geschichte Israels durchweg eine neue Ordnung begründet, von der mosaischen Vorschrift, alle Canaaniter zu tödten, Umgang genommen. So geschah es denn, daß es dem letzten Jebusiterkönig gestattet wurde, sich auf dem Berge Moria niederzulassen. Diese Schonung wird durch das freiwillige Bekenntniß Arafnas zu Jehova und seinem Dienste auf das Schönste verherrlicht, und was Ps. 68,19 gepriesen wird: „selbst Widerspenstige dienen zum Wohnen des Gottes Jehova“, ist durch keine Thatsache so begründet, wie durch die Bekehrung des letzten Canaaniterfürsten, der auf Moria dem Tempelberge ansässig war.

Israel führt Jehovas Kriege, Israel singt Jehovas Ruhm und Preis, Israel lebt unter dem Schutz und Schirm des für Alle gleichgewogenen Rechtes und die Könige der Heiden bekennen sich zu Jehovas Namen und ehren seinen Gesalbten. Das ist es, was König David nicht durch Zufall und Gunst der Umstände, sondern durch die Kraft seiner Gesinnung, durch die Wirkung seiner Tugenden erreicht hat. Ist das nicht die biblische Verwirklichung des himmlischen Königthums Jehovas? Ist damit nicht derjenige thatsächlich erwiesen, der den Willen Jehovas zu dem seinigen gemacht und die höchste Gewalt auf Erden zur Vollbringung der göttlichen Gedanken und Rathschlüsse über Israel und die Völker verwendet, der die königliche Machtvollkommenheit zur Erfüllung der göttlichen Verheißung für die Menschheit gebraucht? Ist nicht das göttliche Reich ein menschliches geworden und hat sich nicht der himmlische Thron auf den Berg Zion herniedergelassen? Allerdings ist das der tiefste Sinn von jedem Königthum unter den Völkern, denn überall wo das Königthum irgend naturgemäß entsteht und besteht, da beruht es auf dem Bewußtsein, daß das Volk in sich selber nicht mehr das Vermögen besitzt, die zu seiner Existenz nothwendige Machteinheit hervorzubringen und für das jedesmalige Bedürfniß herzustellen, in welchem Bewußtsein sodann das Weitere gegeben ist, daß nur ein Solcher dieses Bedürfniß zu befriedigen im Stande sein wird, in welchem die ihrer selbst nicht mehr mächtige Volkseinheit auf eine ursprüngliche, also göttliche, Weise gesetzt ist. Man sieht leicht, daß diese Vorstellung auf das Höchste deutet, dessen überall die menschliche Persönlichkeit fähig ist, wir werden deshalb bei der menschlichen Unvollkommenheit von vornherein darauf gefaßt sein müssen, daß wir uns mit vielen mangelhaften Realisirungen dieser höchsten Idee zu begnügen haben, ja auch das wird uns nicht unerwartet sein können, daß Nichts so sehr entstellt und gemißbraucht wird, wie diese göttliche Natur des Königtums. Eben deshalb ist aber dieses biblische Ideal des davidischen Königthums für alle Zeiten zur Norm und zum Correctiv aufgestellt.

Wenn im Morgenlande zu Babel, Ninive, Schuschan und Persepolis, wenn später im Abendlande zu Rom die höchste Herrschermacht als Incarnation der höchsten Gottheit gedacht und verehrt wurde, so ist dieses das Zerrbild jener Idee, denn das göttliche Attribut der Herrschaft ruht hier nicht auf Heiligkeit der Gesinnung, auf Einheit des menschlichen Willens mit dem göttlichen, sondern auf dem Besitz der Gewalt; die göttliche Hoheit wird nicht gewonnen und errungen durch tiefste Selbstentäußerung und schwersten Kampf des Geistes, sondern weggenommen und festgehalten wird sie als ein Raub mit dem Arm des Fleisches. Auf diesem Wege wird an dem höchsten Orte der Weltmacht die State bereitet, wo sich die letzte Bosheit der Weltgeschichte vollenden muß und wird. In diesem Lichte der Geschichte des Weltreiches wird uns das davidische Königthum erst völlig verständlich. Der Weg, auf welchem Davids Königthum begründet und befestigt wird, ist ein so lichter, daß nicht bloß Israel, welches David auf diesem Wege mit seinen Augen begleitete, sondern alle nachfolgenden Zeiten und Völker die in jedem menschlichen Gewissen verzeichneten Fußstapfen des reinen und heiligen Wandels, die unverfälschbaren und untrüglichen Spuren der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Liebe und Treue, die ächten und wahren Kennzeichen der nach Gottes Bilde geschaffenen Menschheit wieder erkennen können. Wir werden uns daher, sobald wir diesem leuchtenden Gange der Geschichte aufmerksam folgen, leicht überzeugen, daß in diesem davidischen Königthum diejenige Stäte bereitet wird, an welcher die göttliche Gnade und Wahrheit ihr Werk für die Menschheit ausführen will. Das Volk Israel hat eine Bestimmung für alle Völker und alle Zeiten, denn von den Juden kommt das Heil und die Rettung (s. Joh. 4, 22), nur durch Israel kann der durch die Sünde verloren gegangene Segen Gottes der Menschheit wieder zugewendet werden. Israel konnte aber, in sich selber zerrissen und zerklüftet, seine Bestimmung nicht erfüllen, es bedurfte des Königthums als des zur Wiederherstellung seiner Einheit notwendigen Organs. Dieses Organ ist nunmehr gefunden und aufgerichtet. Da nun Israel nur durch dieses heilige Organ des Königthums zur einheitlichen Thätigkeit zusammengefaßt werden kann, so muß auch das Königthum währen, so lange Israels Bestimmung noch nicht erfüllt ist, das Königthum muh die Zeiten Israels begleiten, und da die Zeiten Israels kein Ende nehmen (s. Sirach 37, 28), so muß Davids Königthum eben so ewig sein, wie Israels Dasein.

Diese ewige Bedeutung des davidischen Königthums ist aber ein so wichtiges und wesentliches Moment, daß dieselbe durch eine förmliche und feierliche Verheißung Jehovas verkündigt wird. Das Wort des Propheten Natan und die Danksagung Davids bezeichnen den Höhepunkt der davidischen Geschichte.

Als David in seinem Cedernhause auf dem Berge Zion saß und Jehova ihm Ruhe gegeben vor allen seinen Feinden, kam der Prophet Natan zu ihm und verkündigte ihm im Namen Jehovas Folgendes: „gleichwie jetzt das Volk eine feste State gefunden, von welcher es nicht mehr solle vertrieben werden, wie vor dem, so will Jehova dem David ein Haus gründen, denn,“ fährt Jehova fort, „deine Tage werden sich erfüllen und du wirst ruhen bei deinen Vätern, so will ich aufrichten deinen Samen nach dir, der von deinem Leibe kommt und will bestätigen sein Königthum; derselbe soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will bestätigen den Thron seines Königreichs ewiglich; ich will ihm Vater sein und er soll mein Sohn sein, und wenn er sich vergehen wird, so will ich züchtigen mit Menschenruthen und mit Schlägen der Menschenkinder, und meine Gnade soll nicht von ihm weichen, wie ich sie genommen habe von Saul, den ich weggethan habe vor dir; und fest soll bleiben dein Haus und dein Königthum ewiglich vor meinem Angesicht, dein Thron soll beständig sein ewiglich“ (s. 2 Sam. 7, 1 - 16). Hätte dieses Gotteswort einen Inhalt, dem mit dem bisherigen Leben und Denken Davids kein aufweisbarer Zusammenhang innewohnte, David würde nicht gewußt haben, wie er sich dabei benehmen sollte; denn einem Manne von solcher gesunden Kraft und Selbstbewußtheit darf man nicht kommen mit einem sogenannten objectiven Worte, bei dem die Seele, wie sie meinen, sich verhalten soll, wie eine leere Schreibtafel. Die lebendige Erregtheit in der Danksagung Davids zeigt auch ganz deutlich, daß, wie überschwenglich ihm auch die göttliche Verkündigung erscheint, er ihren Inhalt selbstthätig und innerlich sich aneignet, indem er ihn mit seinem ganzen Sein und Denken verknüpft. Es bestätigt sich durch diese Danksagung aufs Neue, daß der Grund und Boden, auf dem allein die wahre Göttlichkeit und Ewigkeit des Königthums ruhen kann, die Reinheit und Heiligkeit eines demüthigen Herzens ist, die innige und lebendige Demuth der Danksagung Davids mag uns also als die sicherste Gewähr gelten, daß hier wirklich der Gipfel alles Königthumes thronet.

„Und es kam der König David und blieb vor dem Angesichte Jehovas“, fährt unsere Erzählung fort. Wir müssen uns daher denken, daß David seinen Palast verläßt und sich in das von ihm errichtete Zelt mit dem Heiligthum begiebt. Hier am heiligen Ort spricht er sein bewegtes Dankgebet. „Wer bin ich und was ist mein Haus“, so beginnt König David, „Herr Jehova, daß du mich bis so weit geführet hast! Und ist dieses noch zu wenig in deinen Augen, Herr Jehova, und redest sogar über das Haus deines Knechtes für ferne Zeit, und zwar dieses nach der Weise der Menschen, Herr Jehova.“ Es ringen in diesen Anfangsworten die Gefühle der göttlichen Hoheit mit den Gefühlen der menschlichen Niedrigkeit, aber darin kommt dieser Gegensatz zur Ruhe, daß David in der Verheißung über die Ewigkeit seines Hauses und Reiches eine solche wohlthuende Herablassung erkennt, als wäre Jehova ein Mensch, der Davids tiefsten Wunsch menschlich nachempfinden könnte, um ihm die höchste Befriedigung zu gewähren. So wenig ist ihm Jehovas Wort etwas schlechthin Transcententes; im Gegentheil sagt David, es giebt in der gesammten Menschensprache und Menschenweise schlechterdings Nichts, was sein innerstes Verlangen und Sehnen als ein so Homogenes und Entsprechendes aufzunehmen vermöchte. „Und was soll David noch weiter reden zu dir?“ fährt der König in seiner unnachahmlichen Kindlichkeit und Hoheit fort, „und du, Herr Jehova, kennst deinen Knecht. Um deines Wortes willen und nach deinem Herzen hast du alle diese Großheit bereitet, sie deinem Knechte zu verkündigen. Derohalben bist du groß, Gott Jehova, denn Keiner ist dir gleich und kein Gott ist außer dir, nach Allem, was wir vernommen haben mit unseren Ohren. Und giebt es wohl wie dein Volk, wie Israel, irgend ein Volk auf Erden, zu welchem Gott sich genahet hat, um es sich zu erlösen zum Volk und um es sich zu setzen zum Ruhm, und um demselben Großthaten und Wunder zu erweisen, indem du vertrieben hast vor deinem Volke, welches du aus Aegypten erlöset hast, Heiden und ihre Götter; und hast bestätigt dein Volk Israel zu deinem ewigen Volk; und du, Jehova, bist ihm sein Gott geworden. Und nun, Gott Jehova, das Wort, welches du geredet hast über deinen Knecht und sein Haus, bestätige es ewiglich und thue, wie du geredet hast, auf daß groß werde dein Name ewiglich, indem es heißen muß, Jehova Zebaot ist Gott über Israel und das Haus deines Knechtes David ist festgegründet vor deinem Angesicht. Denn du, Jehova Zebaot, Gott Israels, hast geöffnet das Ohr deines Knechtes, indem du sprichst, ein Haus will ich bauen; derohalben hat dein Knecht sein Herz gefunden, zu dir zu beten dieses Gebet. Und nun, Herr Jehova, du bist Gott und deine Worte sind Wahrheit, und geredet hast du über deinen Knecht solche Gutthat, und nun so hebe an und segne das Haus deines Knechtes, damit es ewiglich sei vor deinem Angesicht, denn du, Herr Jehova, hast es gesprochen und durch deinen Segen möge gesegnet sein das Haus deines Knechtes ewiglich“.

Wer spürt nicht in diesen Worten das vor kindlicher Freude zitternde Herz des großen Königs, dem nun nach unendlichem Leiden und Kämpfen von dem höchsten Verwalter der menschlichen Geschicke das lieblichste und herrlichste Loos zugesprochen wird, das überall nur von einer Menschenseele gefaßt werden kann? Und dennoch, obwohl das Gebet Davids, wie es ja wohl auch ganz natürlich und nothwendig ist von der über sein Haus und Königthum ausgesprochenen Verheißung ausgeht und darauf schließlich zurückkommt, dennoch vergißt David auch auf dieser göttlichen Höhe seines Königthums seines Volkes nicht; im Gegentheil, auch jetzt ist ihm Israel das Volk Jehovas Anfang und Ende, um dessen willen Alles ist und auch das Königthum, so daß schließlich doch Alles ausgeht zur Verherrlichung Jehovas inmitten seines ewigen Volkes.

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