Ahlfeld, Johann Friedrich - Das Leben im Licht des Wortes Gottes - Die Geschwister

Ahlfeld, Johann Friedrich - Das Leben im Licht des Wortes Gottes - Die Geschwister

Psalm 133.
Ein Lied Davids im höheren Chor. Siehe, wie sein und lieblich ist's, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen. Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupt Aarons herab fleußt in seinen ganzen Bart, der herab fleußt in sein Kleid, wie du Tau, der vom Hermon herab fällt auf die Berge Zion. Denn daselbst verheißet der Herr Segen und Leben immer und ewiglich.

Gnadenreicher Gott, du hast große Erbarmung an uns armen Leuten geübt, indem du uns aus Gnaden Brüder und Schwestern gegeben hast. Sie sind uns von dir als teure Freunde geschenkt, du hast sie von Kindesbeinen an mit uns verbunden. Du hast sie uns geschenkt als eine teure Mitgift, sie sollen uns liebe Gehilfen zum ewigen Heil und auch zum Fortkommen in der Pilgerzeit werden. Ach Herr, gib uns doch Gnade, dass wir dir recht innig dafür danken. Ein Bruder oder eine Schwester ist ja mehr denn jedes irdische Gut! Erbarme dich doch unser, dass wir mit unsern Geschwistern von Herzen Frieden halten. Lass nicht Habe und Gut, nicht eitle Ehre, und nicht andere Menschen, welche dazwischen treten möchten, das teure Band lockern oder zerreißen. Gib vielmehr allen Geschwistern, dass zu der Blutsfreundschaft auch noch die rechte Freundschaft im Glauben komme. Mache sie alle zu deinen Kindern, also dass sie sich auch in dir von Herzen Bruder und Schwestern nennen. Und so hilf, dass die, welche von gleichen Eltern geboren und in demselben Hause erzogen sind, aus dir wiedergeboren bis an ihr Ende in der einen Hütte der Gnade bleiben und dann in das eine Haus der Herrlichkeit wandern. Ach ja, Herr Jesu, zu solchem Bruderbunde bist du unser Bruder geworden, in solcher Brüderschaft erhalte und befestige du uns durch dein teures Wort. Amen.

Unter dem 18. Juni, also unter dem Datum, welches mit so blutiger Schrift in die neuere Geschichte eingeschrieben ist, stehen in alten Kalendern die Namen Marcus und Marcellinus. Das klingt gleich so brüderlich. Marcus und Marcellinus waren auch Brüder, und zwar christliche Brüder in den Tagen des Kaisers Diocletianus, des gewaltigsten Verfolgers der Gemeinde des Herrn. Auch sie fielen um ihres Bekenntnisses willen unter sein Gericht, sie wurden lebendig neben einander auf spitze Pfähle gespießt. Und indem sie da hingen und sich ansahen, fing einer von ihnen an zu singen: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen.“ Über diesen ihren Gesang und ihr sonstiges tapferes Bekenntnis ergrimmte der Kaiser so sehr, dass er sie auf der Stelle mit Schwertern durchbohren ließ. Sie kamen dadurch schneller los von ihrer Marter und gingen schneller ein in ihre Herrlichkeit. - Vielleicht ist dies in der ganzen Geschichte der christlichen Kirche der Fall, wo sich die volle herzliche Bruderliebe von beiden Seiten bis zum letzten Augenblicke am Treuesten bewährt hat. Ein Bruder half selbst sterbend dem andern sterben. Wir sehen, was die Bruderliebe leisten, was ein Bruder dem andern sein kann. So sollte ja unter allen Geschwistern die Liebe in gleicher, heller Flamme bis ans Ende brennen.

Außer Eltern und Kindern, und wiederum außer Ehegatten hat Gott Niemand näher und enger zu einander gestellt als Geschwister. Ein Vater hat sie gezeugt, eine Mutter hat sie unter ihrem Herzen getragen, eine Liebe hat sie gehegt und gepflegt, aus denselben Herzen ist für sie das Gebet zum Gnadenthrone aufgestiegen. Unter einem Dache haben sie gewohnt, an einem Tische haben sie gegessen und in einem Garten mit einander gespielt. Viele Jahre hat sie die Gewohnheit des gemeinsamen Lebens umschlungen; in der Jugend, wo ein Herz sich so leicht an das andere hingibt, sind sie durch Gottes Ordnung an einander gewiesen gewesen. Eine Ordnung, eine Zucht, eine Schule, eine Arbeit, eine Freude hätte aus ihnen fast Eins machen sollen. Fast möchte man glauben, Geschwister müssten mit einander gewisser verbunden bleiben als Eheleute. Bei der Ehe ist eigene Wahl dabei, bei dem Bunde der Geschwister ist es allein Gottes Ordnung. Die Ehe wird oft in sündlicher Selbstsucht geschlossen, sie kann eine übereilte Tat sein; der Bund der Geschwister kann es nimmer sein. Gottes Ordnung liegt zu Grunde, und die Gewöhnung einer ganzen Jugend kommt dazu.

Da siehst du schon, dass der Bund der Geschwister vor Gott sehr hoch geachtet ist. Wenn wir aber in die Heilsgeschichte eingehen, wird uns dies noch klarer. Jesus Christus ist unser Bruder geworden. Er hat sich dieses Namens und dieser Stellung zu uns nicht geschämt. Er hat mit seinem Hereintreten als unser Bruder den Stand der Geschwister geadelt. - Dazu wusste er seine aus ihm wiedergeborene Gemeinde unter einander in kein innigeres Verhältnis zu setzen, als in das brüderliche. Dem Vater gegenüber sind wir Kinder; dem Sohne gegenüber ist die Gemeinde und die Seele die Braut, unter einander sind wir Brüder und Schwestern. Die Apostel grüßen die Gemeindeglieder als Brüder und Schwestern. Brüder in Christo ist der Ausdruck des engsten Einsseins im Glauben. Die Gemeinde küsset sich mit dem brüderlichen Kuss. Diese Bruderliebe schlingt sich als das Band der Vollkommenheit um die ganze Gemeinde. Da gilt keine Ausnahme. Auch den armen Sklaven Onesimus empfiehl Paulus dem Philemon zu Colossä als seinen lieben Bruder. Einen Bruderbund also hat der Herr auf Erden gegründet. Von diesem singen die Engel auf dem Felde zu Bethlehem in den Worten: „Friede auf Erden“, und der Herr selber nennt sich unsern Bruder.

Was sollen nun Geschwister nach Gottes Rat unter einander sein? Angestammte, angeborene Freunde, welche uns Gott selbst mitgegeben hat, welche man sich nicht erst zu erwerben braucht. Wie an einer Tanne oder Fichte an einem Punkte mehrere Zweige zugleich aus dem Stamme wachsen, so sind die Geschwister neben einander aus einem Stamme entsprossen. - Geschwister sollen sich gegenseitig Ergänzungen sein. Keinem hat Gott alle Gaben und Kräfte anvertrauet; dem Einen hat er dies Pfund, dem Andern ein anderes verliehen, damit sie einander dienen mit der Gabe, welche sie empfangen haben, als die guten Haushalter Gottes, und zusammen ein Ganzes ausmachen. Eins soll von dem Andern annehmen, was ihm Gott Gutes gegeben hat: das Heftige von dem Sanften die Sanftmut, das Träge von dem Rührigen den Fleiß, das Verzagte und Kleinmütige von dem Tapferen den fröhlichen Mut und so auch die andern christlichen Tugenden. Die Familie ist eine Schule Gottes, in welcher man sich durch das gemeinsame Leben gegenseitig unterweiset und fördert. Man merkt es oft an einzigen Söhnen und Töchtern, wie viel sie entbehrt haben. Der Eigenwille und die andern Ecken sind bei ihnen oft weniger abgeschliffen als bei Kindern aus einem großen Geschwisterkreise. - Geschwister sind einander Schild und Wehr gegen allerlei Not. Ein Bruder stehet mit dem andern gegen seine Feinde, er schützt ihm Leben, Eigentum und Ehre; er springt ihm bei, wenn der Versucher seine Seele in den Abgrund ziehen will. Ein Bruder kommt zum andern in der Not. - Geschwister sind so eng mit einander verbunden, damit eins das andere zum Herrn ziehe und ihm auf dem Heilswege forthelfe. Wer könnte wohl die Familien alle aufzählen, in denen Geschwister sich unter einander Führer zu Christo geworden sind. Im neuen Testamente, gleich beim Auftreten des Herrn begegnet uns Andreas, der, nachdem er selbst in Jesu den Messias erkannt hat, nichts Eiligeres zu tun weiß, als seinen Bruder Petrus auch herbeizurufen. Ähnlich ist es bei Jacobus und Johannes. Der große Zeuge des Herrn im vierten Jahrhundert Gregor von Nazianz hat nicht eher geruhet, bis er seinem Bruder Cäsarius, der das Amt eines kaiserlichen Leibarztes am Hofe des Constantins und des abtrünnigen Julianus bekleidete und ziemlich tief in das lustige Weltleben versunken war, auch das wahrhaftige Leben nahe gebracht hatte. Bernhard von Clairveaux, dieser gewaltige Knecht Gottes im Mittelalter, trat mit seinem Zeugnis immer und immer wieder vor seine fünf Brüder. Er, der dritte in dieser ritterlichen Schaar - sie gehörten einem alten adeligen Geschlechte an - überwand endlich alle Fünf zum Dienste des Herrn. Als er mit den vier älteren von dem väterlichen Hause Abschied nahm, sagte der älteste zu dem kleinen Ricard, dem jüngsten Bruder, der mit andern Knaben auf der Straße spielte: „Siehe einmal, unser ganzes Erbgut gehört nun dir!“ Darauf antwortete der Knabe in kindlicher Einfalt: „Also euch der Himmel, und mir die Erde, das ist keine gleiche Teilung!“ Und bald folgte er seinen Brüdern nach ins Klosterleben, welches damals in der Form, wie es Bernhard ordnete, in der Tat mit viel größerem Rechte ein Dienst des Herrn genannt werden konnte, als das wilde Weltleben in Fehde, Jagd und Völlerei. - So hat denn Gott die Geschwister an einandergebunden wie Kettenglieder, damit eins das andere hineinziehe in sein Reich. Auch die natürliche Liebe hat für ihn ihre Bedeutung. Er kann Alles für seinen großen Bau brauchen.

Eine besonders hohe Stelle in der Familie hat er dem erstgeborenen Kinde angewiesen, und weise Eltern sollen auch auf die Erziehung dieses ersten Pfandes göttlicher Gnade ganz besondere Sorgfalt verwenden. Ist dieses auf dem rechten Wege, so folgen die andern Kinder bald nach. Geht aber dieses den Gang der Welt, dann haben die Eltern mit den jüngeren doppelte Mühe. Ein Mann, der mit seinen heranwachsenden Kindern viele Not hatte und mit ihrer Zucht gar nicht fertig werden konnte, kam einmal als Gast in das Haus eines Bekannten, in welchem er es ganz anders fand. An den ganz und halb erwachsenen Söhnen bemerkte er eine solche Demut, Willigkeit und Freundlichkeit gegen die Eltern und einen solchen Frieden unter einander, dass ihm unser Psalm in diesem Hause tatsächlich dargestellt erschien. Er seufzte in tiefster Seele über sein eigen Haus. Zu guter Stunde fragte er den Freund, wie er es denn angefangen habe, eine solche Zucht in die lauge Reihe der Kinder zu bringen. Dieser antwortete: „Ich habe gar nicht Viel getan. Hast du im Herbst schon einmal eine Schaar Kraniche gesehen, wenn sie gegen Süden ziehen?“ - „Schon oft,“ antwortete der Andere. - „Du weißt“, fuhr der Hausvater fort, „worauf es bei diesen ankommt. Wenn sie einen tüchtigen Vordermann haben, der die Luft durchbricht und die Richtung nach dem Süden fest inne hält, dann fliegt ihm die ganze übrige Schaar nach. Das habe ich bei meinen Kindern beherzigt An den Erstgebornen haben wir viel Mühe gewandt und von Anfang an fleißig für sein Gedeihen gebetet. Der Herr hat unser Flehen gehört und Gnade zu der Arbeit gegeben. Er ist der Vordermann, er zeigt die Bahn nach der Heimat; die Andern halten ihn lieb und wert und ziehen ihm nach.“ - Hat auch der Erstgeborne bei uns nicht die hohen Rechte wie in den Familien der Patriarchen und unserer Fürsten und Könige, so kann er doch ein gesegneter Nothelfer an der Erziehung der Geschwister werden. Viele jüngere Kinder haben durch ältere Brüder und Schwestern den Herrn kennen und zu ihm beten gelernt. Oft haben ältere Geschwister an den jüngeren Vater - und Mutterstelle vertreten. Wenn es aber dessen auch nicht bedarf, wenn die Eltern auch sämtliche Kinder selbst groß ziehen können, so hat doch die Erstgeburt ihre große Pflicht. O ihr Erstgebornen, es gibt in der Geschichte viele eures Gleichen, die haben ihre Stellung im Hause verscherzt. Isaak, ob er gleich wollte, konnte über Esau nicht den ersten Segen aussprechen und die große Heilsverheißung auf sein Haupt legen. Jacob konnte zu Ruben nicht reden von dem heiligen Zepter und von dem Meister über Israel. Jacob musste bei seinem Segen über Josephs Söhne, Manasse und Ephraim, die Hände über das Kreuz legen und über den jungem den größeren Segen aussprechen. David konnte seinem erstgeborenen Sohne Amnon die Königskrone nicht auf das Haupt drücken. Er war längst umgekommen, als der Vater dies größte irdische Erbteil abgab. Wenn er aber auch gelebt hätte, wäre er um seiner Sünde willen des Thrones unwürdig gewesen. Auch seinen übrigen älteren Söhnen durfte er das Reich nicht anvertrauen, der jüngere Salomo war der Mann für diesen hohen Beruf. - Ihr Erstgebornen, handelt es sich bei euch auch nicht um Kronen, so doch um die erste Stellung vor dem Herrn, um das erste Zeugnis für seinen großen Namen in Wort und Wandel. Ihr könnt daher auch noch wie Esau und Ruben eure Erstgeburt verachten und verscherzen. Wenn Vater und Mutter klagen müssen: „Der Älteste oder die Älteste hat das teure Amt, die Ehre des Herrn verkündigen zu wollen unter den Geschwistern, nicht übernommen,“ so steht ihr da, wie Esau und Ruben in der Patriarchenfamilie. Und selbst wenn die Eltern gestorben sind, wenn alle Kinder ihren selbstständigen Hausstand haben, kann die Erstgeburt noch von Bedeutung sein. Die jüngeren Geschwister schauen doch auf den ältesten Bruder noch als auf das Familienhaupt, er kann ihnen doch noch ein Segen werden. Es träuft herunter von ihm wie der Balsam von Aarons Haupte und wie der Tau vom Hermon.

Bis hierher, liebe Leser, haben wir zumeist gehandelt von Geschwistern, unter denen der Friede Gottes wohnt, die außer der natürlichen Geburt auch durch die Wiedergeburt mit einander verbunden sind. Aber wir müssen nun auch hinüber zu denen, welche unsern Psalm vergessen haben, wir müssen hinaus in die Nacht. Nachtstücke sind es eben, wenn Geschwister unter einander entzweiet sind. Und wie viele solcher Geschwister hat es gegeben und gibt es noch! Zwischen den ersten Menschenkindern, den ersten Brüdern, Cain und Abel, ist kein Friede gewesen. Cain hat seinen Bruder totgeschlagen. Esau hat gedroht, er wolle seinen Zwillingsbruder Jacob erwürgen. Neun Söhne Jacobs wollen zuerst ihren Bruder Joseph töten, und verkaufen ihn dann als Sklaven nach Ägypten. Absalom hat seinen Bruder mit erheuchelter Liebe zu einem Feste geladen und bei demselben ermorden lassen. Romulus, der Gründer von Rom, hat den Grundstein dieser Stadt mit dem Blute seines Bruders Remus befleckt. Der erste Städtebauer ist ein Brudermörder gewesen, (1 Buch Mose, Kap. 4, v. 17), der Erbauer dieser Weltstadt auch. Im Laude Sachsen haben einst zwei Brüder die Waffen gegen einander erhoben und sich in offenem Kriege bekämpft. Dasselbe ist auch bei unsern Lebzeiten in Portugal noch geschehen. Auch außerdem weiß die Geschichte Viel von feindlichen Brüdern auf Thronen und Fürstenstühlen zu erzählen. Will man endlich die Brüder aus allerlei Volk noch hinzunehmen, die sich sonst mit bitterem Hasse verfolgt, mit einander vor Gericht gestanden, sich gegenseitig das Haus verboten, und sich nicht mehr angesehen noch gegrüßt haben: wie groß ist dann die Zahl! wie groß und mannichfaltig ist dann dies Nachtstück! Die, welche Gott am Engsten mit einander verbunden, ja gleich in die gegenseitige Liebe hineingepflanzt hat, verfolgen sich oft mit dem bittersten Hasse! Und aus welchen Gründen? Was gibt den Anlass dazu? Oft sind es die größeren oder andere Gaben, welche eins der Geschwister empfangen hat. Das eine sieht hochmütig auf das andere herab, das minder Begabte liegt flugs seine ganze Jugend hindurch darnieder unter der Verachtung und dem Spotte des reicher. Ausgestatteten. Sehr oft begegnen uns in der Sage und in den Erzählungen unseres Volkes drei Brüder oder drei Eck western, von denen zwei klug sind, eins aber töricht ist Die klugen halten sich für berechtigt, das törichte zu verhöhnen und zu allem niederen Dienst zu gebrauchen. Der Gang der Dinge in Sagen und Märchen ist dann gewöhnlich der, dass die klugen durch Gottes Gericht herabkommen in Elend und Armut, und Hülfe bei dem früher verachteten Bruder oder der dritten Schwester suchen müssen. Dieses Dritte ist dann häufig so gezeichnet, dass sich gerade unter der Verachtung der Mensch Gottes in ihm gebaut und entwickelt hat. Die Liebe gegen die beiden andern ist unter aller Misshandlung nicht erstorben, und das Herz steht den beiden Gedemütigten in ihrer Not offen. Das Ganze schließt wohl mit Buße und Frieden. So ist es aber in der Wirklichkeit selten. Unter der Zurücksetzung seht sich in dem Schwächeren gewöhnlich eine Bitterkeit an, die das ganze Leben hindurch den Bruder- oder Schwesternamen Lügen straft. O ihr Eltern, säet nicht selber durch Bevorzugung des Einen den Samen der Zwietracht in euer Haus. Denkt an Isaak und Rebecca, denkt an Jacob. Die haben es teuer bezahlen müssen, dass sie Lieblinge unter den Söhnen hatten. Ihr von Gott reicher Ausgestatteten, wisst ihr nicht, dass zu den größeren Gaben, wenn sie wirklich Wert haben sollen, auch die größere Liebe gehört? Die großen oder seinen Außenblätter machen das Leben der Pflanze nicht, im Herzen ruhet es. So machen auch die Gaben und Talente den Wert des Menschen nicht aus, er ruhet in der aus dem Herrn geborenen Liebe. - Fast noch öfter, als in der Verschiedenheit der Gaben und der sündlichen Bevorzugung des einen Kindes durch die Eltern hat der Hader unter Geschwistern seinen Grund in dem Mein und Dein. Ich habe es wiederholt erlebt, dass sie nicht einmal alle bei der Bestattung des Vaters oder der Mutter erschienen, weil eins oder etliche glaubten, der Sohn oder die Tochter, bei welchen die Eltern ihre letzten Tage zubrachten, sei auf Kosten der übrigen Geschwister zu reichlich im Erbe bedacht worden. Möge doch ja keins der Kinder zu weit greifen und den Bruder im Erbe bevorteilen! Möge doch ja keins seine nähere Stellung zu den Eltern und die Schwachheit derselben im Alter benutzen, um vor den andern im Erbe bevorzugt zu werden! Es ist ein elender Tausch, wenn du hundert oder tausend Taler, oder drei oder vier Acker Landes gewinnst, ein Brandmal dabei ins Gewissen bekommst und noch dazu einen Bruder oder eine Schwester verlierst. Du sündigest, und deinen Bruder machest du auch sündigen. Es ist ein heilloser Besitz, der sich zwischen dein und deines Bruders Herz wie ein Berg lagert. - Das Mein und Dein scheidet ferner Geschwister oft auch in der Art, dass der reichere und höher gestellte Bruder mit dem ärmeren nicht umgehen will. Ich habe einst einen angesehenen Mann gekannt, welcher dem Bruder seiner Frau, der übrigens ein gar wackerer Arbeiter in seinem Berufe war, nicht gestattete, sein Haus zu betreten. Ja, er hatte ihm aufgegeben, Niemand zu sagen, dass sie Schwäger seien. Aber Gott offenbarte seinen mächtigen strafenden Arm kaum irgendwo gewaltiger, als gerade hier. Der Sohn jenes stolzen Mannes musste später in dem Hause dieses armen Oheims seine Zuflucht suchen und von ihm Gaben der Barmherzigkeit annehmen.

Gold und Ehre und Würde soll Seelen nicht scheiden, die Gott mit einander verbunden hat. - Selbst wenn ein Bruder oder eine Schwester sehr tief gefallen wäre, sollen sich die andern Geschwister nicht in pharisäischem Stolze von ihnen lossagen. Ein Weinrebe, den der Sturm vom Spalier gerissen und zur Erde geworfen hat, rankt sich an den andern Reben wieder empor. So sollen sich auch Geschwister an einander von ihrem Falle wieder aufrichten. Der verlorene Sohn war doch noch seines Vaters Sohn^ und der gefallene Bruder ist auch noch dein Bruder. Obgleich Lot gegen den Abraham ein undankbarer Neffe gewesen war und bei dem Mein und Dein selbstsüchtig genug nur an sich gedacht hatte, kann ihn der treue Alte in seiner Not doch nicht verlassen; er zieht mit seinen 318 Knechten aus, ihn aus den Händen der Feinde zu reißen. E? soll ein Bruder noch viel mehr seine ganze Macht aufbieten, seinen von dem alten Erzfeind gefangenen Bruder aus den Banden zu befreien. - Die feste Gewissheit, dass der Herr die verschiedenen Gaben gegeben hat, dass der Unterschied in Habe und Gut nur eine kurze Zeit dauert, und die Demut, welche dem Herrn die Ehre gibt, wo wir selbst vor tiefem Fall bewahrt geblieben sind - sie bleiben die beste Schutzwehr gegen jene gott- und heillosen Trennungen. In dem Hause des Lazarus in Bethanien wohnten drei Geschwister von recht verschiedenem Charakter. Martha war offenbar von ganz anderer Art und Natur als Maria, und Lazarus war wieder anders ausgestattet. Die Verschiedenheit, namentlich zwischen den beiden Schwestern, offenbarte sich in Gegenwart des Herrn recht augenfällig. Es fehlte auch nicht an kleinen Anstößen unter ihnen. Aber sie kamen doch nicht auseinander, weil sie alle Drei, jedes in seiner Weise, dem Herrn dienen wollten. In Jesu, in welchem Himmel und Erde Eins geworden sind, blieben auch diese Drei Eins. Über ihrem Hause blieb doch die Überschrift stehen: „Siehe, wie sein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen.“ Mag sie auch über deinem Hause stehen bleiben. Wenn sie erlischt, ist es mit deinem Christentum gewiss nicht mehr richtig. Denn wer seinen Bruder nicht liebet, den er flehet, wie will er seinen Gott und Heiland lieben, den er nicht sieht? - Herr Jesu, erhalte uns in deiner Liebe, und aus derselben auch in herzlicher Liebe und Treue unter einander. Amen.

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