Seckendorff-Gutend, Henriette Freiin von - Hausandachten - 4. Andacht. Gründonnerstag.
Psalm 66.
Meine Lieben! Dieser Lobgesang und Dankpsalm sollte heute ganz besonders einen Wiederhall in unsern Herzen finden, da uns in diesen Ta die Seele gestellt wird. Heute ist der Tag, an dem unser Herr und Heiland den Donner des Gerichtes hat über sich ergehen lassen, als Er, von Gericht zu Gericht geschleppt, verspottet und verhöhnt wurde, und das Alles uns zu gut. Ach, es ist dies gar nicht auszudenken! Wir müssen in tiefster Beschämung bekennen: „Solch Erkenntnis ist uns zu wunderlich!“ Ja, dem natürlichen Menschen ist es ganz und gar unmöglich, sich nur annähernd einen Begriff zu machen von der Größe und Tiefe des göttlichen Erbarmens, von dem, was der Herr für uns elende, sündige Menschen getan, was Ihn unsere Erlösung gekostet hat, nämlich Sein heiliges, reines Blut, das Blut des Sohnes Gottes. Das kann einer Seele nur durch den heiligen Geist geoffenbart werden; ja, seinem ganzen Umfang nach werden wir dieses größte Wunder der göttlichen Liebe und Gnade erst im Licht der Ewigkeit fassen können. Aber dennoch sollen wir nicht ablassen, uns hinein zu versenken in diese göttlichen Tiefen, anzubeten „die Macht der Liebe.“ Wir sollen durch diese Macht unsere kalten, harten Herzen erweichen und schmelzen lassen. Wenn ein Mensch vor ein Schwurgericht gestellt, und seine Vergehungen vor einer ungeheuren Versammlung bekannt gemacht würden, ein Anderer aber ließe sich, aus Liebe zu dem Verbrecher, an dessen Statt richten und verdammen, damit demselben die gerechte Strafe ganz erspart würde, wie müsste er sich ihm ferner zeitlebens dankbar und verbunden fühlen. Was ist aber das im Vergleich zu dem Opfer, das der heilige, reine Gottessohn uns gebracht hat, der Schöpfer den Geschöpfen, der Herr den Knechten, die Ihn doch fort und fort beleidigt und erzürnt haben? Von solch einer reinen, heiligen, brennenden und vollkommenen Liebe können wir sündige Menschen uns gar keinen Begriff machen, da können wir nur anbeten, knien und niederfallen, loben, rühmen und danken. Aber wie steht es damit bei uns? Haben wir nicht alle, wie wir hier sind, uns des größten Undanks anzuklagen? Haben wir nicht schon oft diese heiligen Gedächtnistage der göttlichen Gnadenwunder in Gleichgültigkeit und Undank an uns vorüber gehen lassen? Nachdem die Israeliten trockenen Fußes durch das rote Meer gegangen, und die sie verfolgenden Ägypter darinnen ihren Untergang gefunden hatten, und zwar so vollständig, dass auch nicht Einer übrig blieb; da wird von Mirjam, der Schwester Aarons, erzählt, dass sie eine Pauke in die Hand genommen habe, und alle Weiber ihr nachgefolgt seien mit Pauken am Reigen, und dass sie den Lobgesang angestimmt haben: „Lasst uns dem Herrn singen; denn Er hat eine herrliche Tat getan, Mann und Ross hat Er in's Meer gestürzt.“ 2 Mos. 15,21. Wollen wir uns von Mirjam beschämen lassen, wir, die wir noch viel mehr Ursache zum Lob und Dank haben, da unser hochgelobter Herr und Heiland durch Sein blutiges Leiden und Sterben alle unsere Feinde überwunden hat? Der Satan ist ein Gerichteter, und die ganze Macht der Finsternis kann uns nichts mehr anhaben, wenn wir ihr nicht selber ein Recht einräumen. Unsere Feinde sind alle geschlagen; wir sind frei. Ja
„Bis zum Schwören kann ich's wissen,
Dass mein Schuldbrief ist zerrissen“
Und doch gibt es noch so viele, die daran zweifeln, die nicht glauben wollen, dass die Versöhnung auch ihnen gilt, dass der Herr an ihrer Statt gebüßt, und ihnen eine ewige Erlösung gestiftet hat. Das sind die Abtrünnigen, von denen es V. 7 heißt: „Sie werden sich nicht erhöhen können,“ d. h. der Herr kann solche einmal nicht erhöhen zur Rechten Seiner Majestät und es ist gewiss nicht gleichgültig für uns, ob wir zu Seiner Rechten oder zur Linken gestellt werden. „Ein kleines Mädchen von 3 Jahren bat einmal Abends beim Schlafengehen seine Mutter sehr ernstlich, ihm doch zu zeigen, welches seine rechte und seine linke Hand sei, und war sehr sinnend dabei. Als die Mutter den Grund dieser angelegentlichen Frage wissen wollte, sagte ihr das Kind, es habe den Papa lesen hören, dass einmal die Guten zur Rechten, die Bösen zur Linken des Heilandes gestellt würden, und da es durchaus zur Rechten des Herrn kommen wolle, so müsse es doch wissen, welches die rechte Hand sei, damit es gleich auf die rechte Seite springen könne.“ Sehet, meine Lieben, wie schon ein dreijähriges Kind um sein Seelenheil bekümmert sein kann, sollten wir uns da nicht angetrieben fühlen, doch auch ernstlich darüber nachzudenken, wohin wir einst gestellt werden, und mit Furcht und Zittern schaffen, dass wir selig werden. Der Herr hat geschworen, uns selig zu machen, darum versucht Er Alles, damit Ihm die Seelen einst drüben keinen Vorwurf machen können. Wer sich nicht durch Güte zur Buße leiten lässt, bei dem versucht es der Herr mit Strenge, aber immer hat Er unser Seelenheil im Auge. In V. 10 heißt es: „Du, Gott, hast uns versucht und geläutert, wie das Silber geläutert wird.“ Ja, gleich wie das Gold und Silber in der Gluthitze, im Tiegel, von allen Schlacken rein geläutert werden muss, also müssen auch unsere Herzen durch und durch geläutert und von aller Unreinigkeit befreit werden, ja auch von den subtilsten Banden, die uns noch an die Welt fesseln. Das tut freilich nicht wohl, so im Tiegel der Trübsal geläutert zu werden. Gewöhnlich schreien und klagen wir darüber, anstatt die Hand zu küssen, die uns züchtigt, um uns dadurch zur Erkenntnis unseres bösen Herzens zu bringen. Der Herr nimmt es eben genau, und vor Seinen heiligen Augen kann kein Unreiner bestehen; darum sollten wir bitten:
„Zerbrich, verbrenne und zermalme,
Was Dir nicht völlig wohlgefällt;
Ob uns die Welt an einem Halme,
Ob sie uns an der kette hält,
Ist alles Eins vor Deinen Augen,
Weil nur ein ganz befreiter Geist,
Der alles andere Schaden heißt,
Und nur die laut're Liebe taugen.“.
Wir sollten mehr loben und danken, als klagen und seufzen, denn, würden wir Ihn mehr loben, so könnte uns der Herr viel mehr Gutes gewähren. Bei den Gläubigen des alten wie des neuen Bundes finden wir, dass sie immer wieder zurückblickten auf das, was der Herr während ihres ganzen Lebens an ihnen getan, wie auch der Psalmist im 8. Vers sagt: „Lobet ihr Völker unsern Gott, lasst Seinen Ruhm weit erschallen, der unsere Seelen im Leben behält, und lässt unsere Füße nicht gleiten.“ O, wie viel Ursache haben auch wir zum Loben und Danken, wenn wir zurückblicken auf die gnädige Führung des Herrn in unserm ganzen Leben. Hätte Sein Auge nicht Tag und Nacht über uns gewacht, in wie vieles wären wir hineingeraten? Wie viele Beweise göttlicher Güte und Treue finden sich auf unserem Lebensweg? Wenn ich in früherer Zeit öfters am Gefängnis in St. vorbeiging und die traurigen Gesichter an den Gittern sah, so musste ich allemal sagen: „Herr, womit habe ich das verdient, dass Du mich nach Deiner großen Treue und Barmherzigkeit bewahrt hast, dass ich nicht auch an diesen Ort gekommen bin?“ Das ist lauter unverdiente Gnade; denn wenn uns auch der treue Herr vor groben Sünden in Gnaden bewahrt hat, so haben wir dennoch die Wurzel jeder Sünde in uns. Dann betete ich noch herzlich für die armen Gefangenen. Zuerst müssen wir uns beugen unter alle, auch die schwersten Sünder, alsdann können wir für sie beten. Wo wir gehen und stehen, haben wir immer Ursache genug zum Dank und zur Fürbitte.
Der Psalmist sagt ferner vom 16. Vers an: „Kommt her, hört zu alle, die ihr Gott fürchtet, ich will erzählen, was Er an meiner Seele getan hat. Zu Ihm rief ich mit meinem Mund und preiste ihn mit meiner Zunge. Wo ich Unrechtes vorhätte in meinem Herzen, so würde der Herr nicht hören. Darum erhört mich Gott und merkt auf mein Flehen. Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch Seine Güte von mir wendet.“ Ja, Er ist treu, Er verwirft unser Gebet nicht und merkt auf unser Flehen, besonders wenn wir bitten:
„Gib Vater deine Gaben
Den Herzen, die schon haben,
Weil die so nötig sein!
Du kannst dem Geistesleben
Nur Unterhaltung geben;
Drum kommen wir zu Dir allein!
Herr Jesu, die Gemüter
Verlangen Himmelsgüter,
Die deine Kinder sein.
Du Pfleger jener Hütte
Erhöre unsre Bitte;
Wir kommen vor Dich allgemein!“
Was ist das für ein tröstliches Bewusstsein, dass wir in jedem Anliegen zu Ihm kommen dürfen, und wissen, dass Er auf unser Flehen merkt! Freilich hört man oft die Klage, dass, obwohl man viel bete, der Herr doch so wenig erhöre; aber ich kann es euch vor Seinem heiligen Angesicht versichern, dass ich mich seit fünfzehn Jahren nicht einer einzigen Bitte erinnern kann, die ich für mich getan, und die Er nicht erhört hätte. Der Fehler ist an uns, wenn der Herr unsere Bitten nicht erhören kann. Er will, dass wir planmäßig beten nach dem Wort Gottes, und Er nimmt es damit genau. In Seinem Wort haben wir klare Anleitung dazu, wie wir zu beten haben. Der Herr erhört uns nicht um unsres Gebetes willen, sondern um Seiner Verheißungen willen, deshalb sollen wir beten im Blick auf das Wort Gottes mit gebrochenem Willen. Sobald wir im eigenen Willen, hauptsächlich um irdische Dinge, um das Leben unserer Lieben und dergleichen beten, erhört der Herr unsere Bitten entweder gar nicht, oder Er erhört sie, lässt uns aber dann auch die Folgen unseres eigenen Willens tragen. Dieser Tage waren einige liebe Damen aus St. bei mir, die auch über das Gebet mit mir sprachen, und unter Anderem erzählten, dass eine ihrer Bekannten auch um die Erhaltung eines todkranken Kindes gebeten habe; der Herr habe die Bitte gewährt; nun aber sei das Kind den Eltern mehr zur Rute als zur Freude. Ich musste den lieben Seelen sagen, dass der Wille der Beterin nicht gebrochen gewesen, und sie nach ihrem eigenen Willen ihre Bitte erhalten habe. „Dagegen will ich euch, meine Lieben, ein Beispiel erzählen, an welchem ihr seht, von welchem Segen ein Gebet begleitet sein kann, das in der rechten Art vor Gott gebracht wird. Ein Herr Gerichtsnotar N. N. kam neulich zu mir, welcher seit 20 Jahren an dem von Ärzten bekanntlich unheilbaren Schreibkrampf litt, weshalb er von seiner 1800 fl. eintragenden Stellung zurücktreten musste, was für ihn und seine zahlreiche Familie sehr schwer war, da er nur eine Pension von 400 fl. zu beziehen hatte. Er kam zu mir, bekehrte sich gründlich, und der Herr segnete ihn so, dass er nach ganz kurzer Zeit auch Heilung seiner Hand empfing, und zwar so völlig, dass er jetzt wieder in sein Amt eingesetzt, den ganzen Tag schreiben kann und nun seiner Familie ein Geruch des Lebens zum Leben ist.“
Wenn wir beten, so müssen wir zuerst unsern Willen zu den Füßen des Herrn legen, dann aber freudig Ihm Seine Verheißungen vorhalten, wie mein lieber Urgroßvater Pfeil es tat, welcher sagte:
„Ich nahm das Buch des heilgen Bundes,
Und sagte: siehe da, Dein Wort,
Sind das nicht Reden Deines Mundes,
Bist Du es nicht, o Gott, mein Hort,
Der dies verheißen hat, was da
Geschrieben steht? Du bist es ja!“
Im Blick auf die Verheißungen haben wir schon unsere Bitte, weil wohl Himmel und Erde vergehen, aber das Wort des Herrn ewiglich bleibt. Meine Lieben, es ist ein seliges Geheimnis, das rechte Gebets- und Glaubensleben, eine unversiegliche Trost- und Freudenquelle, denn wenn wir treu bei dem Herrn bleiben, und uns fest auf Sein Wort stellen, auf den Felsen, der nicht wankt, so ist alles unser, denn so wahr der Herr lebt, so gewiss hält Er, was Er verspricht, darum wollen wir Ihn ohne Unterlass bitten, dass Er uns durch Seinen heiligen Geist das selige Geheimnis des rechten Gebets lehren, und uns von einer Klarheit zur andern führen möge! Ja, der Herr ist treu, Er wird es auch tun. Gelobt sei Sein heiliger Name immer und ewiglich! Amen.