Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Pisga)

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Pisga)

Einundsechzigste Predigt.

Text: 4. Buch Mosis 23, 13-21.

Zum Gedächtnis der langwierigen Reise der Kinder Israels durch die Wüste nach Kanaan, zum Gedächtnis der wunderbaren und gnädigen Führung Gottes während derselben, empfahl nicht nur Moses: Gedenke alle des Weges - sondern Gott selbst verordnete ein achttägiges Fest, welches das Laubhüttenfest hieß. Einmal sehen wir auch unsern Herrn Jesum auf dem Fest, nach Joh. 7. und hören ihn nach Vers 37 sagen: Wen da dürstet, der komme und nehme des lebendigen Wassers umsonst. An diesem Feste pflegten die Feiernden insbesondere das Hosianna zu singen und zu rufen. Sie waren auch sehr fröhlich und hatten Ursache dazu. Denn fünf Tage vorher war der große Versöhntag gewesen und das vorbildliche Blut vergossen, wodurch sie vorbildlich gereinigt waren. Von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn. Und wer keine Sünde mehr hat, der kann ja wohl fröhlich sein.

An diesem Abend hatten wir die letzte sonntägige Versammlung. Nur noch Ein Tag und dies Jahr ist mit seinen 366 Tagen ins Meer der Vergangenheit untergangen. Billig gedenken auch wir des Wegs, den wir zurückgelegt haben. Fassen wir dabei bloß uns selbst ins Auge, so haben wir unsererseits nichts als Sünden aufzuweisen. Und hast du wirklich auch viel oder einiges Gute aufzuweisen, so hast du es nicht dir, sondern Gott und seiner Gnade zuzuschreiben; hast es überdies auf mannigfaltige Weise besudelt und befleckt, so dass Augustinus sich noch wohl zu gelinde ausdrückt, wenn er die guten Werke, auch der Christen, verzeihliche Sünden nennt. Und was habt ihr, die ihr noch nicht bekehrt, also böse Bäume, Dornen und Disteln seid? nicht anders denn böse Früchte gebracht, obschon ihr's wegen eurer Blindheit nicht sehen könnt. Fassen wir bei so bewandten Umständen, bei diesem Jahresschluss, Gott bloß als Gott ins Auge, ohne Mittler, in seiner wesentlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, so müssen wir Sünder erschrecken und Zittern uns ankommen; denn wer will bei einem verzehrenden Feuer, bei der ewigen Glut wohnen? O! erschreckt denn heilsam, ihr Sünder, über den neuen Zuwachs eurer Schuld, über die vermehrte Rechnung, die euch zur Last ins Schuldbuch eingetragen ist, und die bezahlt werden muss, oder ihr geht ewig zu Grunde. Was wollt ihr aber geben, womit eure Seele lösen? Ist derjenige, welcher an einem fehlt, des ganzen Gesetzes schuldig, wie viel der, welcher gering angeschlagen jeden Tag sich neuer Übertretungen schuldig macht? Dies ist eine Betrachtung, die dem größten Haufen unter euch dringend nötig ist. Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter desselbigen Flügeln. Beschließt und beginnt das Jahr im Namen dessen, welcher der Erste und der Letzte; beschließt es im Angesicht des großen Versöhntages, wo das Opfer gebracht ist, das da ewig gilt. Beschließt und beginnt es so, dass ihr weder euch selbst noch Gott außer, sondern in Christo anschaut, folglich als solche, die kein Gewissen mehr haben von ihren Sünden, weil sie einmal gereinigt sind, keine Sünde mehr haben, als welche samt ihrem Solde aufgehoben ist, als solche, gegen die keine Handschrift mehr stattfindet, die ans Kreuz geheftet und aus dem Mittel getan ist, als solche, die vollkommen sind in ihm. Wagt's auch ferner auf den Ersten. Denn er sieht keine Mühe, er wird nicht leiden, dass Jakob Mühe und Israel Unglück angetan werde, denn er sieht keine Sünde in Jakob und keine Ungerechtigkeit in Israel. O seliges Israel! Als so herrlich muss auch ein widerspenstiger Mund es preisen.

Den ersten Segensspruch Bileams über Israel haben wir vernommen. Hier hören wir den zweiten, noch vortrefflicheren und erhabeneren. Balak macht einen neuen Versuch, Israel durch den Propheten zu verfluchen. Diesen neuen Versuch und seinen Erfolg betrachten wir jetzt.

Der König macht dem Propheten heftige Vorwürfe über seinen Segen, wodurch er seinen Absichten, warum er ihn habe kommen lassen, schnurstracks zuwider handele. Ich habe dich holen lassen, zu fluchen meinen Feinden, und siehe, du segnest. Der Prophet entschuldigt sich auf eine merkwürdige Weise und versichert den König, er segne das Volk höchst ungern und ganz wider seinen Wunsch und Willen. Aber er müsse eben das reden, was der allmächtige Gott ihm in den Mund gebe. Er werde wider seinen Willen und zu seinem großen Verdruss dazu gezwungen und könne deshalb nicht anders. Vers 12. Vernünftigerweise hätte man sagen sollen, beide hätten von ihrem Vorhaben abstehen müssen, da sie deutlich erkannt, Gott selbst sei auf eine allmächtige Art ihnen zuwider. Denn einen vernünftigen Menschen dahin zu bringen, dass er Dinge sagen muss, die er durchaus nicht sagen will, das kann nur durch ein Wunder der göttlichen Allmacht geschehen. Aber so groß ist unsere Feindschaft gegen Gott, dass wir uns unter keiner anderen Bedingung ihm biegen, es sei denn, dass seine Allmacht sich als Gnade an uns erweise, und uns der göttlichen Natur teilhaftig mache. Wohltaten, Trübsale und unwiderlegliche Überzeugungen sind sonst an uns Allen verloren und vergebens. So sehen wir denn Balak einen neuen Versuch machen. und den Propheten darauf eingehen. Vers 13. Ort und Ansicht werden verändert. Der Ort war ein freier Platz, eine Warte, von wo aus man eine freie und weite Aussicht hatte, die auf Pisga hoch lag. Von da aus konnte man das israelitische Lager wohl sehen, aber doch nicht in seinem ganzen Umfange. Der König, welcher dem doch so ganz nicht traute, was ihm der Prophet von der Unmöglichkeit, anders zu reden, wie er tue, vorsagte, wählte diesen Platz aus kluger Absicht. Er besorgte, Bileam möchte sich durch den Anblick des weiten und prächtigen israelitischen Lagers imponieren lassen, dass er den Mut verlöre, den Fluch darüber auszusprechen. Diese Besorgnis schöpfte er daraus, dass Bileam ein Wort von der Menge der Kinder Israel hatte fallen lassen. So klug kann Jemand in weltlichen Dingen, und doch zugleich so ungläubig und blind in geistlichen sein.

Abermals wurden auf sieben Altären 14 Brandopfer dargebracht, um den Gott Israels zu bestechen, als ob dem mit Ochsenfleisch und mit dem Fett von Widdern gedient wäre. Aber so blind ist der Mensch in der Erkenntnis Gottes, und der natürliche Mensch vernimmt nichts von den Dingen, die des Geistes Gottes sind; sie sind ihm Torheit und er kann sie nicht begreifen. Welche heimliche Zurüstungen wider Israel im Reiche der Finsternis! Israel weiß nichts von den gefährlichen Dingen, womit man gegen dasselbe umgeht; Niemand ahnt das drohende Ungewitter. Sie liegen, schlafen und erwachen ganz mit Frieden, während der Feind umherschleicht, wie eine Pest im Finstern. Sähen sie den ganzen Umfang der Gefahr, sie würden erschrecken und über die Hilfe jauchzen. Steht's nicht noch also um das Reich Gottes auf Erden? Und wer weiß genau, was für finstere Kräfte sich eben gegenwärtig regen und rüsten, und indem sie sich nähern, zugleich einschläfern? Darum seid wacker allezeit und betet, denn die Absicht ist nur, Israel zu verfluchen und zu verderben.

Bileam stimmt damit überein, und entfernt sich ein wenig, um zu warten, ob ihm nämlich der Herr Etwas offenbaren wolle. Wie schändlich verleugnet er die Wahrheit, die er bald darauf ausspricht, dass Gott kein Menschenkind sei, dass ihn etwas gereue, da er nicht aufhört, Versuche zu machen, ihn zu bewegen, er möge seinem einmal gegebenen Worte zuwider handeln. Dennoch begegnet ihm der Herr und legt das Wort in seinen Mund und spricht: Gehe hin zum Balak und rede also. Dies also, was Bileam nun sagen wird, ist eine unzweifelbare, wörtlich von Gott eingegebene Offenbarung, woran Bileam weiter keinen Anteil hat, als dass er sie ausspricht, etwa wie die Saiten einer Harfe nach dem Willen des Künstlers erklingen. Er findet den König mit einem glänzenden Gefolge auf ihn warten und Balak fragt mit einer schlecht belohnten und gänzlich getäuschten Neugier: Was hat Jehova gesagt? - Lasst uns auch so fragen, aber mit bessern Gesinnungen, nämlich um zu glauben und zu folgen.

Bileam beginnt. Er beginnt mit einer emphatischen Vorrede, wodurch er die Erwartung spannt und die Aufmerksamkeit spornt, eine Aufmerksamkeit, welche der erhabene Inhalt seiner Rede im höchsten Maße verdient. Stehe auf, Balak, Vers 18. Nimm zu Ohren (besser wäre es gewesen, sie hätten es alle Beide zu Herzen genommen) - was ich sage, du Sohn Zippor, d. i. flatterhafter Vogel. Aber ein hörendes Ohr und sehendes Auge, die macht beide der Herr, der zu dem Wort auch das Ohr und Herz geben muss und den Seinen gibt. Jetzt folgt die inhaltreiche Rede des Propheten selbst, die zwei Gegenstände hat. Der erste bezieht sich auf Gott, der andere auf sein Volk. Bileam redet zuerst von Gott und preist insbesondere seine Wahrhaftigkeit und Unveränderlichkeit. Das tut er erst verneinend, wenn er alle Lügenhaftigkeit und allen Wankelmut weit von ihm zurückweist. Er ist nicht ein Mensch, dass er lüge. Den Menschen gibt der Prophet ein böses, aber leider wohlgegründetes Zeugnis, welches David und Paulus bestätigen, wenn sie sagen: Alle Menschen sind Lügner, und dieser Prophet war ein Erzlügner, selbst indem er die Wahrheit sagte, die für ihn und in seinem Munte zur Lüge wurde, da sein Herz nicht damit übereinstimmte. Menschen sind wankelmütig. Was jetzt bei ihnen Ja, ist oft in der nächsten Stunde Nein, was sie jetzt wollen - in der nächsten Stunde wollen sie's nicht mehr. Mit und ohne Grund verwandelt sich ihr Wohlwollen in Abneigung, ihre Liebe in Widerwillen und Hass. Ihre Versprechungen nehmen sie zurück, oder erfüllen sie nicht. Sie sind unzuverlässig, und wer sich auf Menschen, ja wer sich auf sich selbst verlässt, ist nicht nur ein Narr, sondern auch verflucht. Sie sind schwach und können nicht, was sie vielleicht wohl wollen, oder wollen nicht, was sie könnten. Kurz, David ruft mit Recht aus: Wie gar nichts sind doch alle Menschen! Sie wiegen allesamt und wenn es Fürsten wären weniger als Nichts. Davon glaubt Balak viel, und will deswegen lieber mit über- als mit natürlichen Kräften wider Israel streiten.

Dies alles weist der begeisterte Prophet weit von Gott zurück, den er absichtlich mit dem Namen El, den Starken, bezeichnet, des Beides ist, Rat und Tat. Deshalb setzt er fragend hinzu: Sollte er etwas sagen und nicht tun, halten oder zur Ausführung bringen? Nein. Was er versprochen hat, nimmt er nie wieder zurück, und was er zugesagt hat, führt er auch allmächtig aus, trotz aller Hindernisse. Er ist der Gott Amen, er ist zugleich der El Schaddai, der allgenugsame Gott. Darum ist es ein fester Gnadenbund. Möchten auch Berge weichen und Hügel hinfallen, so wird doch seine Gnade nicht weichen, noch der Bund seines Friedens hinfallen. Möchte auch ein Weib ihres Kindes vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes, so will ich doch dein nicht vergessen; siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet. Was einmal gesegnet ist, ist und bleibt es ewig. Es ist ein Salzbund, der auf unwandelbaren Fundamenten beruht, dem Eide Gottes und seinem allmächtigen Blut. Ist Jemand einmal in diesen Gnadenbund aufgenommen, so hält derselbe ihn auch ewig fest. Was wäre es doch auch sonst getan, da wir aus uns selbst so schwach sind, dass wir nicht einen Augenblick bestehen können. Ohne die Unwandelbarkeit des Gnadenbundes wäre es schlimm, ein Christ zu sein. Bileam selbst ist ein ausnehmender Beweis dafür. Der ganze Wunsch dieser giftigen Schlange, dieses Teufels in der Gestalt eines Engels des Lichts, sein ganzes Bestreben ging darauf aus, Israel zu schaden, ja es ganz zu verderben und auszurotten. Aber der Allmächtige lässt es ihm nicht zu. Wider seinen Willen muss er bekennen: Sieh, zum Segnen bin ich hergebracht. Ich segne und kann es nicht wenden. Vers 20. Wohl mag der Apostel sagen: Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, auch wenn sie's nicht wollen, sondern das Gegenteil beabsichtigen. Ist es nicht ein großes Wunder, dass ein vernünftiger Mensch, wie Bileam war, sich in die unabweisbare Notwendigkeit versetzt sieht, Worte zu reden, die er gar nicht, sondern das Gegenteil sagen will. Ja, Israel, aller Zeug, der wider dich zubereitet wird, dem soll es nicht gelingen. Werden uns, wie des Elisä Knaben, die Augen geöffnet, so sehen wir, dass derer, die mit uns sind, mehr sind, denn derer, die wider uns sind; dass, der in uns ist, größer ist, denn der in der Welt ist.

Bileam selbst muss die erhabenen Vorzüge des Volkes Gottes preisen, obschon er weder Teil daran hat, noch begehrt. Er preist aber, weil sich Gott seines Mundes zu diesem Preisen bedienen will, wie er sich früher des Mundes seiner Eselin bedient hatte, den Propheten zu belehren: 1) den herrlichen Stand Israels, Vers 21. 22; 2) seine Sicherheit, Vers 23. Es hilft kein Zauberer wider Israel; 3) seine jetzige und künftige Verherrlichung, Vers 23. 24. Den herrlichen Stand, worin das Volk Gottes sich schon jetzt befindet, drückt der Prophet in den merkwürdigen Worten des 21. Verses also aus: Man sieht keine Mühe in Jakob und keine Arbeit in Israel. Diese Worte werden auch etwas anders übersetzt. Ein gottseliger und gelehrter Engländer (Gatacker) übersetzt sie folgendermaßen: Er kann, wird es nicht ansehen, dass Jakob Mühe und Schmerzen, und Israel Unglück und Kummer werde. Alle Übersetzungen in der reformirten protestantischen Kirche, außer der lutherischen, dolmetschen diese Worte auf folgende Weise: Er sieht keine Sünde in Jakob und keine Ungerechtigkeit in Israel. So hat's namentlich die holländische, französische und englische Bibelübersetzung. Alle drei Übersetzungen sind zulässig, sind nicht nur dem Glauben ähnlich, d. h. stimmen mit den übrigen Lehren des Evangelii überein, sondern sind auch Beweise von der Tiefe der göttlichen Worte, die einem so unwürdigen Munde entströmen. Alle drei zusammen genommen zeigen uns den Sinn dieser unmittelbaren göttlichen Worte in ihrer herrlichen Fülle und Reichtum, indem uns die eine Übersetzung mehr diese, die andere mehr jene strahlende Seite dieses schimmernden Diamanten sehen lässt. (Die Verschiedenheit der Übersetzung beruht übrigens auf der verschiedenen Bedeutung zweier Worte, die auf Hebräisch Aven und Amal heißen.) Ich denke, wir erwägen den göttlichen Ausspruch nach seiner dreifachen Übersetzung, und obschon die letzte das Fundament des Ganzen darstellt: Er sieht keine Sünde in Jakob, so fangen wir doch mit derjenigen an, die uns unsere köstliche Übersetzung des seligen Doktor Luther darbietet; man sieht keine Mühe in Jakob und keine Arbeit in Israel, betrachten also die Frucht eher, als den Baum und die Wirkung vor der Ursache. Wir sehen denn erstens auf die Personen, zweitens auf die Sachen, die von denselben verneint werden.

Die Personen sind Jakob und Israel, zwei Namen des nämlichen Patriarchen, dem seine Eltern den Namen Jakob gaben, Gott selbst aber hieß ihn Israel; „denn“, sagt er, „du hast mit Gott und Menschen gerungen und bist obgelegen.“ Seht die genaue Kenntnis dieses Sehers Bileam. Er nennt den Namen Jakob zuerst, dann Israel, wie der heilige Erzvater auch wirklich jenen Namen eher führte, als diesen. Doch führten nicht nur seine unmittelbaren Nachkommen diesen Namen, sondern auch das ganze Volk Gottes heißt sein Israel. Denn ich will Wasser gießen auf die Durstigen und Ströme auf die Dürre. Ich will meinen Geist auf deinen Samen gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen. Dass sie wachsen sollen, wie Gras, wie die Weiden an den Wasserbächen. Dieser wird sagen: Ich bin des Herrn, und Jener wird genannt werden mit dem Namen Jakob; und dieser wird sich mit seiner Hand dem Herrn zuschreiben und wird mit dem Namen Israel genannt werden, - heißt es Jes. 44, 5. Jakob bezeichnet mehr die streitende, Israel aber die triumphierende Gemeine. Aus dem kämpfenden und über dem Kampf sich die Hüfte verrenkenden Jakob wird, wenn ihm die Sonne aufgeht, ein siegreicher Israel. Erst jenes, dann dieses. Erst Kampf, dann Sieg.

Bileam redet von Mühe und Arbeit, und sagt, die sehe man nicht in Jakob, da ist keine Mühe oder Kummer und Schmerz. Aber sollte man nicht sagen, diese Worte seien ein deutlicher Beweis, dass Bileam ein falscher Prophet sei, und sich gänzlich irre? sollte man nicht vielmehr dem Anschein, ja dem Worte Gottes nach, fragen: wo ist Schmerz und Mühe anzutreffen, als eben bei Jakob? Bestätigen das nicht die Klagen so vieler Glieder der Gemeine und ihre vielfachen Erfahrungen? Hört einen Jakob sagen: Es geht Alles über mich; einen David: Ich bin zu leiden gemacht und mein Schmerz ist immer vor mir; hört ihn sagen: Ich glaube, darum rede ich, ich werde aber sehr geplagt. Hört einen Assaph sich beschweren, dass er täglich gezüchtigt werde und seine Plage alle Morgen da sei; hört einen Haman winseln: Meine Seele ist voll Jammers und mein Leben ist nahe bei der Hölle. Ich bin wie ein Mann, der keine Hilfe hat. Mein Geist verzehrt. Hört einen Jeremias fragen: Wo ist ein Schmerz, wie mein Schmerz? - Lest den Hiob. Seht den Daniel unter den Löwen, den Stephanus unter den Steinen, hört Paulum seine Trübsale beschreiben, und betrachtet euch selbst. Ist also nicht die Erfahrung aller Zeiten, der einen mehr, der andern weniger, dem zuwider, was dieser falsche Prophet sagt? Aber auch die Heilige Schrift selbst. Wer Jesu nachfolgen will, muss sein Kreuz auf sich nehmen täglich und sein eigenes Leben verlieren, durch viel Trübsale ins Reich Gottes eingehen. Seid ihr ohne Züchtigung, so seid ihr Bastarde, und nicht Kinder, die der Vater der Geister züchtigt, ihnen zu Nutz, dass sie Heiligung erlangen. Und so redet die Schrift von denen, welche droben anlanden, geschmückt mit weißen Kleidern und Siegespalmen in den Händen, als von solchen, die aus großen Trübsalen hergekommen sind. Wie will denn nun ein Bileam herkommen und sagen, man sehe keine Mühe, keinen Kummer in Jakob, da vielmehr ein Assaph sagt, die Gottlosen eben seien es, die nicht im Unglück seien, wie andere Leute, und würden nicht wie andere geplagt. Wie viel Schmerz und Mühe ist da im Anfang, wenn dem Sünder seine Sünden aufgedeckt und es ihm fühlbar gemacht wird, welch einen Schmerz es bringt, den Herrn seinen Gott verlassen, worüber er einen geängsteten Geist und ein zerschlagenes Herz bekommt und sich fürchtet vor dem Worte Gottes, dass ihm die Haut schauert. Wie viel Schmerzen werden in dem Ofen der Anfechtungen erlitten, und wie mancher Jakob wandelt im Finstern, wo es ihm nicht scheint. Sah also dieser feile Prophet keine schmerzhafte Mühe in Jakob, so scheint er keine Augen gehabt und nicht gewusst zu haben um das Herz der Fremdlinge, weil er selbst keiner war.

Aber er fährt fort zu sagen: Und keine Arbeit in Israel. Das verhielt sich im Äußeren wirklich so. Sie säten nicht, sie ernteten nicht, und ihr himmlischer Vater ernährte sie doch. Sie spannen und webten nicht, denn ihre Kleider und Schuhe veralteten nicht. Sie taten nichts, als Manna sammeln, es nach ihrem Geschmack zuzurichten, von Zeit zu Zeit ihre Lagerstätte verändern, die Hütten abbrechen, und wieder aufrichten, sich waschen, sich an- und auskleiden. Was das geistliche Israel betrifft, so ist es freilich der größten Zahl nach aller Mühe und Arbeit entronnen und in die volle, himmlische Ruhe eingegangen. Das Israel hienieden ist freilich größtenteils voll Arbeit. Da ist die Arbeit der Buße, die Arbeit des Streitens, der Bekämpfung und Ausrottung des Bösen, ja es wird wohl Alles Mühe und Arbeit und nichts als das. Da geht es nach den Sprüchen: Wirkt, ringt, schafft, widersteht, tut allen euren Fleiß daran, reicht dar, kämpft, lauft, so dass man singen und sagen muss: Der Weg ist müh- und arbeitsvoll, den ich zum Himmel wandeln soll. Dennoch ist's der Geist der Wahrheit, welcher den Lügenpropheten Bileam nötigt zu sagen: Man sieht keine Mühe in Jakob und keine Arbeit in Israel, und das ist in mehr als einem Betracht wahr, als z. B. das Wort Mühe auch Eitelkeit heißt. Aber Jakob hat es nicht mit eitlen Dingen zu tun, sondern mit lauter großen und wahrhaftigen Gütern, mit der Rechtfertigung, mit der Heiligung, mit dem Herrn Jesu, mit der ewigen Seligkeit, mit dem Heiligen Geist, denn er ist aus der Wahrheit und hat einen Sinn empfangen, zu sein in dem Wahrhaftigen. Er lässt sich nicht mit Wind abspeisen, sondern will Licht und Recht. Arbeit heißt auch Unglück. Aber eigentliches Unglück naht sich den Hütten Jakobs nicht, denn denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge mitwirken zum Guten. Mag Balak sich auch alle erdenkliche Mühe geben, Israel zu verderben, und Bileam ihm aus allen Kräften beistehen wollen - es gelingt doch nicht. Es gibt eine Zeit, wo die Führung der Seele andern Sprüchen gemäß ist, als den soeben angeführten. Ich meine jene Stellen, wo es heißt: Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser, und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst, kommt her und kauft ohne Geld und umsonst, beides, Wein und Milch. Warum zählt ihr Geld dar, da kein Brot ist, und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden könnt? Hört mir doch zu, und esst das Gute, so wird eure Seele in Wollust fett werden. So ihr stille bliebt, würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Ich sah ihre Wege an und heilte sie, und gab ihnen wieder Trost. Sei nun stille, meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes.

Wirkt Speise, die nicht vergeht, sondern die da bleibt in das ewige Leben, welche euch der Sohn Gottes darreichen wird. Wer nicht wirkt, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit. Christus hat die Arbeit wegen unserer Sünde übernommen, und die Mühe weg und abgetragen. Dadurch hat Jakob die Pflicht und das Recht, von aller Arbeit zu ruhen, und zu genießen die Früchte dessen, was er ausgemacht, da er uns in dem Gerichte längst mit Ehren durchgebracht. Von diesem Recht machen wir Gebrauch, diese Pflicht bringen wir in Ausübung, wann und insofern wir glauben. Denn wir, die wir glauben, gehen in die Ruhe. Und wer zu seiner Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken, wie Gott von den seinen. Er hat uns auch den Sabbat gegeben zum Zeichen, dass der Herr es ist, der uns heiligt. Durch den wahren Glauben wird der Mensch aus sich selbst in Christum übersetzt, und verliert sich gleichsam in seiner Fülle. Sein Beten wird Genießen. Aber wie mangelhaft ist unser Glaube, wie mangelhaft deshalb auch seine Frucht. Recht gesehen sieht man also keine Mühe in Jakob und keine Arbeit in Israel, in Israel, das sich über dem Ringen die Hüfte verrenkt hat, und dem nichts übrig geblieben ist, als am Halse seines Überwinders hängen zu bleiben.

Bileam hat also Recht. Wo der Glaube recht lebendig geworden ist durch Erkenntnis alles des Guten, was wir haben in Christo Jesu, da weicht auch Mühe und Arbeit, Kummer und Sorgen, denn er tut Wunder, und bringt die schönen Gebote in Ausübung, wo es heißt: Bekümmert euch nichts, sorgt nichts; denn im Lichte des Glaubens besehen wofür sollten sie sich fürchten? Warum sollten sie bei solch einem Herrn sorgen? Etwa wegen ihrer bezahlten Sünden, wovon die Schuldverschreibung an seinem Kreuze hinweg getan ist? über ihre Gebrechen, die er alle heilt, nachdem er sich selbst für sie geheiligt hat, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit, und die er alle mit seiner Unschuld und Heiligkeit vor dem Angesicht Gottes bedeckt? Sollten sie sorgen wegen Mangels an einer eigenen Gerechtigkeit, da Er selbst ihre Gerechtigkeit ist; wegen ihre Schwachheit, da seine Kraft in derselben vollbracht wird? Sollte ihnen grauen vor der Macht, Menge und Bosheit ihrer Feinde, bei einem solchen Herzog und Durchbrecher? Ist nicht selbst das Kreuz lauter Segen? so dass Jakobus den Mann seligpreist, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen. Ist nicht der Tod nur eine vollkommene Absterbung der Sünden und Eingang ins ewige Leben? Wer darf sie doch auch nur beschuldigen, will geschweigen verdammen? Christus ist hier, und das ist genug.

So glaubt denn und werdet dadurch ein Jakob, worin man keine Mühe, und ein Israel, worin man keine Arbeit sieht. Begreift es je länger je mehr, dass ihr in euerm Haupte mit Allem reichlich versorgt seid. Er ist euer Manna. Sammelt, esst es. Dies wird euch nicht faul und unfruchtbar sein lassen, sondern reichlich wird euch dargereicht werden Allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, und Gott selbst wird in euch wirken Beide, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. Amen.


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