Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Sechzehnte Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Sechzehnte Predigt.

Erhebe dich, und suche nie
Dein ganzes Glück auf Erden.
Hier ist viel Eitelkeit. und Müh';
Ein Christ muss himmlisch werden.
O hilf denn, mein Erlöser, mir,
Dass ich mich dir ergebe!
Hilf, dass ich jetzt und ewig dir
Zu Ehren denk' und lebe!

Als der König Demetrius die Stadt Athen eingenommen hatte, wünschte er besonders des Lachares, eines weisen Mannes, der dort lebte, habhaft zu werden. Dieser aber legte ein schlechtes Kleid an, entstellte sein Angesicht, nahm einen Korb in seine Arme, und ging so unerkannt durch ein kleines Tor zur Stadt hinaus. Da nun dies kund ward, und der König ihm Reiter nachsandte, die ihn ergreifen sollten, setzte sich Lachares auf ein Pferd und streute Geld, welches er bei sich führte, hinter sich auf den Weg. Während die Soldaten nach dem Geld griffen, und es aufsammelten, entwischte ihnen der Mann, kam nach Böotien und rettete Freiheit und Leben. So also warf er Etwas weg, um etwas Anderes zu behalten, verlor Etwas, um etwas anderes zu gewinnen. - Christen, ich sage euch das, um euch daran zu erinnern, dass es noch etwas Besseres, etwas Höheres gibt, als die irdische Freiheit und das irdische Leben, und dass wir dies Höhere nur gewinnen können, wenn wir etwas Anderes dafür hingeben wollen. Christus sagt: das Himmelreich ist gleich einem verborgenen Schatz im Acker, welchen ein Mensch fand und ging hin und verkaufte Alles, was er hatte, und kaufte den Acker (Matth. 13), und in einem andern Gleichnis spricht er: Das Himmelreich ist gleich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und da er eine köstliche Perle fand, ging er hin und verkaufte Alles, was er hatte, und kaufte die Perle. - Was ist also das Höhere, das Höchste, das wir gewinnen können? Es ist das Himmelreich, es ist Christus mit dem Segen an himmlischen Gütern, den er uns anbietet, und dass wir nun dafür alles Andere hingeben sollen, dazu fordert der heutige Text uns auf. Die Worte lauten:

Phil. 3, V. 7 bis 11:
Aber das mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es Alles für Schaden gegen die überschwängliche Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Dreck, auf dass ich Christum gewinne, und in ihm erfunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird, zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung, und die Gemeinschaft seiner Leiden, dass ich seinem Tod ähnlich werde, damit ich entgegenkomme zur Auferstehung der Toten.

Hier lehrt uns nun der Apostel, nicht bloß mit Worten, sondern, was mehr ist, auch mit seinem Beispiel, er lehrt uns, was ich zuvor gesagt: Dass wir Alles hingeben sollen, um Christum zu gewinnen.

Fragen wir denn 1. was das heißt: Alles hingeben, und 2. was wir mit solcher Hingabe in Christo gewinnen.

O, überzeuge uns, lieber Heiland, dass nichts in der Welt so gut und köstlich ist, das nicht an Wert weit zurückstände hinter dir und deinem Himmelreich; und wenn das ist, so mache dein heiliger Geist uns willig und bereit, Alles fahren zu lassen, was uns von dir scheiden könnte.

1.

Der Apostel hatte immer und überall mit solchen Feinden des Evangeliums zu kämpfen, die ihre Vorrechte als Israeliten geltend machten, und in dem Wahn standen, dass sie durch das Mosaische Gesetz und durch die Vollbringung der äußerlichen Werke dieses Gesetzes selig würden. Aber hieß das nicht Christum unter Mosen stellen und das Evangelium unter das Gesetz? hieß das nicht, das Leiden und Sterben Christi, des Sohnes Gottes, gering schätzen und eine Gerechtigkeit aufrichten, die nicht aus dem Glauben an Christum, sondern aus den Werken der Menschen kommt? Was solche äußerliche Vorzüge und Werke betrifft, so übertraf ja Keiner darin den Apostel. Auch er stammte aus reinem israelitischen Blut, war aus einem angesehenen Geschlecht, gehörte von Geburt an zum Volke Israel. Keiner hatte es mit Vollbringung der Gesetzeswerke strenger gehalten, als er, denn er hatte sich fast zu Tode geeifert für das Gesetz der Väter, und konnte irgend Jemand für gesetzlich gerecht und untadelhaft gelten, so war er's! Hätte nun seine fleischliche Neigung entscheiden sollen, so wäre er geblieben, was er war, und hätte festgehalten, was er hatte. In welchem Ansehen stand er nicht früher bei seinem Volk! Welche Ehre genoss er nicht und welche äußerliche Sicherheit! Fürwahr! das Fleisch sagte nicht zu ihm: höre auf ein Jude zu sein, und werde ein Christ. Denn da vertauschte er ja die Ehre mit der Schmach, und die Sicherheit mit der Gefahr, und den heiteren Lebensgenuss mit der Armut und Entsagung Christi, und die Freundschaft der Welt mit der Feindschaft der Welt, und die stolze Selbstgerechtigkeit eines Pharisäers mit der Herzensdemut eines armen Zöllners; kurz, er verlor Viel, verlor Alles, und, äußerlich die Sache angesehen, gewann er Nichts. Aber, spricht er, dennoch hab' ich mich nicht bedacht und nicht mit Fleisch und Blut mich besprochen, sondern was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen, von dem es mich ferne hielt, für Schaden geachtet und daher von mir abgetan. Denn es war unmöglich, dass, so lange ich jene jüdisch-fleischliche Gesinnung hegte, ich des seligen Gewinns teilhaftig werden konnte, den mir die Gemeinschaft Christi verhieß. Daher fragte ich nichts nach dem Adel meines Geschlechts, nichts nach dem Ansehen meines Ordens, nichts nach meinem Eifer im Gesetz, nichts nach dem Ruhm aus meinen Werken, fragte nichts nach all den Vorteilen, die mir meine frühere Lage darbot, sondern gab es hin und opferte es auf um Christi willen. Das hatten auch die übrigen Apostel getan. „Wir haben (sagen sie) Alles verlassen und sind Christo nachgefolgt.“ - Bereute nun vielleicht unser Apostel später den Schritt, den er getan? Es waren ja so Manche, die, ergriffen von der Predigt des Evangeliums, in ihrem ersten Glaubenseifer alle äußeren Vorteile ihres Lebens aufopferten und zu der Gemeinde Christi übertraten, später aber, da ihr Eifer abgekühlt war und sie nun nichts als Entbehrung, Mühe und Kampf vor sich sahen, falls sie bei Christo verharrten, die Hand zurückzogen von dem evangelischen Pflug und wieder zurücktraten zur Welt. Denkt nur an einen Demas, von dem unser Apostel klagt: er hat mich verlassen und die Welt lieb gewonnen. Was hatte nicht Paulus bisher schon gelitten! Jetzt war er gefangen in Rom, hatte unablässig zu kämpfen mit seinen erbitterten Widersachern, und das Ende war - er sah es deutlich vorher - sein Tod durchs Schwert. Bereute er denn nun etwa, was er getan, und wäre, wenn's möglich gewesen wäre, wieder zurückgetreten in seinen früheren Pharisäerstand? Nein, spricht er, nein! Ich habe nicht nur, was mir äußerlich Gewinn war, für Schaden geachtet, sondern fürwahr! ich achte es auch, achte es auch jetzt noch, alles für Schaden wegen der Unübertrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu. Denn das muss ich bekennen, was ich gefunden habe, seit ich, Christum kenne, das ist besser und edler, als was ich verloren habe, ja besser und edler als die Güter der ganzen Welt. O seliger Verlust! o reicher Schade! Äußeres habe ich verloren und Inneres gefunden; Vergängliches habe ich verloren und Unvergängliches, Ewiges gewonnen. Moses wollte nicht mehr ein Sohn heißen der Tochter Pharaos, denn er achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens: so will ich nicht mehr heißen ein Hebräer, ein Israelit, ein Pharisäer, denn ich achte den Reichtum in Christo höher denn alle Schätze Israels. Darum nenne ich, in der Freudigkeit meines Glaubens und in der Dankbarkeit meines Herzens ihn meinen Herrn, was er auch bleiben soll in alle Ewigkeit, Er, um welches willen ich des allen verlustig geworden bin und achte es für Unrat, auf dass ich Christum gewänne - gewänne, sage ich in Bezug auf den erwähnten Verlust, der ja nun aufgehört hat, Verlust zu sein, weil er mir zu einem ewigen und unübertrefflichen Gewinn geworden ist.

So redet Paulus. Selig, wer in seine Fußtapfen tritt! O, lernt von ihm, Teure, dass ihr Alles hingeben sollt, um Christum zu gewinnen, Christum, ja, ihn selbst, denn es lässt sich das Christentum, das Himmelreich nicht trennen von seiner Person; in ihm, nicht bloß in seinem Wort, liegen verborgen alle Schätze des Himmelreichs. Wollt ihr nun ihn gewinnen samt diesen Schätzen, so dürft ihr nicht bleiben, was ihr seid, und müsst werden, was ihr nicht seid. Der alte Mensch in euch muss aufhören, wie auch die Schrift sagt: die Christo angehören, kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden. Es ist der alte Mensch zunächst daran zu erkennen, dass er meint, er könne durch sich selbst, durch sein Werk und das Verdienst seiner Werke zu Gott kommen. Gebt diese Meinung auf, die hohe Meinung von euch selbst. Unser Herr sagt (Matth. 5): Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr; selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Wie könnt ihr nun meinen, dass ihr des ewigen Lebens werdet teilhaftig werden, so lange ihr nicht von Herzen demütig seid, eure Sünde und Schuld erkennt und als die Mühseligen und Beladenen zu dem hingeht, der für uns den Fluch am Kreuz getragen hat? O, werft allen Selbstruhm, alle Selbstgerechtigkeit weg, die euch nicht trösten kann, wenn ihr auf eurem Sterbebett liegt, und die euch nicht retten kann, wenn ihr einst müsst offenbar werden vor dem Richterstuhl Gottes. Nur wer im Glauben die Gnade Gottes ergreift, die ihm in Christo geboten wird, nur der ist gerecht; alle andere Gerechtigkeit ist Unrat, ist Dreck, wie Paulus spricht.

Sodann erkennt man den alten Menschen daran, dass er nicht lassen will von seinen Sünden. Augenlust, Fleischeslust, hoffärtiges Wesen, das ist seine irdische Dreieinigkeit: wie könnt ihr aber Christi eigen, oder wie kann Christus euer sein, so lange noch euer Herz voll sündlicher Lüste und Begierden ist? Prüft euer Herz, blickt euer Leben an, und was ihr da an Sünde und böser Lust findet, das ist der Unrat, den ihr ausfegen müsst. Wollt ihr lieber den zeitlichen Genuss der Sünde als den ewigen Genuss der Gnade Gottes haben? Wie nichtig, wie armselig ist doch das, was die Kinder der Welt ihren Himmel nennen, wenn man es gegen den Himmel hält, in dem wir unter Christo leben, nachdem wir der Sünde abgestorben sind! -

Endlich ist es dem alten Menschen eigen, dass er mit seinem Herz an der Welt hängt und an den Gütern der Welt. Das Gold der Erde ist ihm mehr wert als das Gold des Himmelreichs, die Ehre vor den Menschen mehr als der Ruhm vor Gott, die Freundschaft der Menschen mehr als die Freundschaft Gottes. Er liebt es, herrlich und in Freuden zu leben; er flieht die Trübsal und sucht Ruhe und Bequemlichkeit; er scheut den Kampf und das Leiden um der Gerechtigkeit willen. Kann man bei solcher Weltliebe Christum gewinnen? Paulus wäre nimmer geworden, was er wurde, wenn er nicht auf Ruhe, Freude, Menschengunst und dergleichen mehr verzichtet hätte. Werft von euch die Liebe der Welt, die mit der Liebe Christi nicht bestehen kann. Es wird nicht von uns gefordert, dass wir verkaufen was wir haben, den Verkehr mit Menschen fliehen und in die Wüste geben; manche haben das getan und haben doch die Welt mit sich genommen - ein jedes Herz hat seine Welt; - nein, Christen, wir in der Welt, aber die Welt nicht in uns; den Fuß auf der Erde, aber das Herz im Himmel; haben, aber so haben, als hätten wir nicht; genießen, aber so genießen, als genössen wir nicht; Alles besitzen können und Alles verlieren und hingeben können mit willigem Herzen und fröhlichem Mut, wie es in dem bekannten Lied heißt: Nehm'n sie uns den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, lass fahr'n dahin, sie haben's kein'n Gewinn, das Reich Gottes muss uns bleiben, oder wie Assaph sagt: Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Teil: - solcher Sinn wird gefordert, wenn wir Christum gewinnen wollen. Gebt nur den alten Menschen hin mit seiner Selbstgerechtigkeit und Sicherheit, mit seiner Sünde und Weltliebe, so habt ihr Alles hingegeben und könnt Christum gewinnen.

2.

Worin besteht nun aber dieser Gewinn? Es ist das unsere zweite Frage, auf die Paulus Antwort gibt. Was das heißt, Christum gewinnen, das sagt er in den Worten: dass ich erfunden würde in ihm, demnach nicht meine selbsterworbene, aus dem Gesetz kommende Gerechtigkeit hätte, sondern die durch den Glauben an Christum, die von Gott empfangene, durch seine Gnade zugerechnete Gerechtigkeit, auf Grund des Glaubens. - Da nennt er uns zwei schöne Güter, die wir in und mit Christo gewinnen, nämlich die Gemeinschaft mit ihm und die Gerechtigkeit, die mit dieser Gemeinschaft verbunden ist. „In Christo erfunden werden,“ was ist das anders als Eins sein mit ihm, wie der Herr selbst es nennt: ihr in mir und ich in euch. Warum weint ein Kind und will sich durch Gesang und Schlüsselgeklirre nicht beruhigen lassen? Es hat ein Verlangen nach der Mutter. Ruht es an der Mutter Brust, so ist ihm wohl; nichts in der Welt und wenn es Salomos Herrlichkeit wäre, kann ihm die Mutter ersetzen. Hätte die Rebe Verstand und Sprache, so würde sie sagen: der Weinstock ist der Ort, wo ich sein und gesunden werden will; bin ich am Weinstock, so hab' ich Saft und Kraft, bin ich aber anderswo, so vertrockne und verdorre ich. Also will Paulus nirgends sonst sein, als bei Christo, da sollen nicht nur die im Himmel, sondern auch die auf Erden sind, ihn finden, mag es äußerlich mit ihm gehen wie es will. Der Tag soll nicht kommen, wo ihn Jemand anderswo findet als bei Christo Jesu, seinem Herrn, so glücklich und so selig fühlt er sich in der Gemeinschaft seines Erlösers. „Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, wenn ich in deiner Liebe ruh?!“ Nun, das werdet auch ihr sagen, liebe Christen, wenn ihr mit dem Herrn verbunden seid. Die Kinder der Welt kennen diese Gemeinschaft mit Christo nicht, sonst würden sie auf der Stelle ihre unheilige, unselige Verbindung mit Fleisch, Welt und Teufel aufgeben, und sich von Stund an mit ihrem Herzen, Sinn, Leben und Wandel nirgends anderswo finden lassen als bei Christo. Sind sie da glücklich und selig, wo man sie jetzt findet? Der Eine ist mit seinem Herzen beim Silber- und Goldklumpen, der Zweite beim üppigen Wohlleben, der Dritte in der Kammer der Unzucht, und wo sonst sie gefunden werden mögen; aber da ist allenthalben viel Ach und Weh, viel Sorge und Herzeleid. Selig ist nur, wer bei Christo ist, schon um der Gerechtigkeit willen, die er dort findet. Das ist nicht eine solche, die Jemand sich wie einen Kranz aus seinen Werken flicht, denn wer, wenn er auch tausend gute Werke aus seinem Leben zusammensuchte, könnte damit vor Gott und vor dem Gesetz bestehen, und könnte darauf seinen Trost im Leben und seine Hoffnung im Sterben gründen? Wo Sünde ist, da ist keine Gerechtigkeit, kein wahrer Friede, daher auch die, welche an Christum nicht glauben, in so mancher Stunde ihres Lebens ohne Freude, Frieden und Trost in ihrem Herzen sind. Bin ich aber mit Christo verbunden, wie eine Rebe mit ihrem Weinstock, so empfange ich aus der Hand der Gnade Gottes, was ich mir selbst nicht erwerben und verdienen kann, so weiß ich, dass mich weder hier noch dort irgend Jemand verklagen und verdammen kann, denn Gott hat mich frei gesprochen, hat mich für sein Kind erklärt, und der kindliche Geist in meinem Herzen bezeugt es mir, dass alle meine Sünden mir auf ewig vergeben sind.

Ist das nicht ein großer Gewinn? Doch der Apostel führt uns noch weiter. In Christo, spricht er, will ich erfunden werden. Warum? Um zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich mich gleich gestalte seinem Tode. Das Erkennen bedeutet hier nicht ein bloßes Wissen, sondern eine lebendige innere Erfahrung und Teilnahme. Die selige Frucht der Gemeinschaft mit dem Herrn oder des in ihm Erfundenwerdens ist, dass wir nicht nur Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott durch ihn erlangen, sondern auch völlig seiner teilhaftig werden, nämlich nicht nur seines Lebens, sondern auch seines Leidens und Sterbens, durch welches er eingegangen ist in die Herrlichkeit, gleichwie im christlichen Ehebund Mann und Weib immer mehr sich erkennen, das heißt, immer mehr innerlich Eins werden und teilnehmen Einer an des Andern Freude und Leid, so dass es heißen muss: Was dein ist, das ist mein; deine Freude ist meine Freude, dein Leben mein Leben, dein Gut mein Gut, dein Leiden mein Leiden; also stehen sie bei einander, leben in einander und reifen mit einander heran zur Vollendung. Ist es nicht so, dass wir teilnehmen an der ganzen Herrlichkeit des Auferstandenen? Er sagt ja selbst: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Ist denn nun nicht wirklich die Lebenskraft von ihm auf uns übergegangen? Wir sind dem Fleisch, sind der Sünde, sind der Welt abgestorben, und nun leben wir, oder vielmehr Er lebt in uns. Wenn Leben so viel ist als göttlich gesinnt sein: tragen wir nicht in uns einen heiligen, göttlichen Sinn, so dass wir nicht mehr trachten nach dem, das auf Erden, sondern nach dem, das oben ist? Wenn Leben eine kräftige Bewegung, Trieb und Regsamkeit bedeutet: ist nicht unser Herz ein Acker, wo der Winter vergangen ist und die Frühlingssaat des Geistes grünt, und wo alle jene Tugenden gefunden werden, die wir Galater 5,22 verzeichnet finden? Wenn Leben so viel als Lieben ist: lieben wir nicht von ganzem Herzen Gott und die Brüder? Wenn Leben so viel ist als Unsterblichsein: haben wir nicht alle Furcht des Todes überwunden, also dass, ob wir gleich sterben, wir dennoch selig in Hoffnung sind? Seht, was irgend Leben bedeuten mag, davon haben wir eine lebendige Erkenntnis, Erfahrung, und das ist die von Paulus gepriesene „Kraft der Auferstehung“ Christi, die auf uns übergegangen ist. Aber wollen wir Teil haben an seinem Leben, so müssen wir uns auch nicht weigern, Teil zu nehmen an seinen Leiden; wollen wir mit ihm erhöht werden, so müssen wir es uns gefallen lassen, auch mit ihm erniedrigt zu werden. Er selber fordert das. Will mir Jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir (Matth. 16). Auch das erfahren wir an uns. Wir wandeln hienieden nicht auf einem breiten, bequemen Pfad, wo rechts und links Blumen der Freude zu pflücken sind; nein, der Christenpfad ist schmal, ist rau, dornig, steil. Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen. Die Leidensgestalt Christi findet sich auch bei uns. Wir tragen nicht nur äußerlich seine Dornenkrone, denn abgesehen davon, dass wir mit den übrigen Menschen alle Leiden tragen müssen, die der Sterblichen Los sind in dieser Welt, so müssen wir außerdem auch noch um unsers Glaubens und um der Gerechtigkeit willen einen bitteren Kelch trinken. Für wen ist dieser Kelch bitterer gewesen, als für den Apostel Paulus, der um Christi willen so viel gelitten hat, wie Keiner von uns je leiden wird? Er war stets als ein Fluch der Welt und ein Fegopfer aller Leute (1 Kor. 4). Ganz geht freilich dieser Kelch auch an uns nicht vorüber. Je besser der Christ, desto schärfer die Dornen, die die Welt ihm auf sein Haupt drückt.

Aber tragen wir die Dornenkrone nicht äußerlich, so tragen wir sie jedenfalls innerlich. Bei Christo war das äußerliche Leiden nicht das größte, sondern viel größer war die Last, die er auf seinem Herzen trug, als er sprach: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; als er zitterte und zagte; als er rief: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Etwas von diesem Seelenleiden muss jeder Christ tragen. Die Welt sieht nicht, was in ihm vorgeht; aber er selbst weiß zu reden von mancher großen Angst und Traurigkeit, die auf seinem Herzen liegt. In seiner stillen Kammer weint er manche Träne und klagt Gott seine Herzensangst und Not und bittet: Wenn's möglich ist, so gebe dieser Kelch an mir vorüber. Er hat's ja auch nicht bloß mit sich selbst zu tun, sondern der Welt Sünde, der Kirche Notstand, ach, das sind scharfe Nägel, die durch sein Fleisch getrieben werden. Solches alles nun ist die Gemeinschaft der Leiden Christi, und darin werden wir oder machen uns seinem Tode gleichgestaltet oder gleichförmig.

Aber wie? gehört denn auch das zu dem Alles „Übertreffenden der Erkenntnis Christi Jesu,“ um dessen willen Paulus für Schaden geachtet hat, was ihm Gewinn war? Ist dies Leiden mit Christo einer jener Vorzüge, für die wir hingeben sollen Alles, was wir haben? Wer so fragt, an den richte ich die Gegenfrage: Möchtest du, der du so mit Christo leidest, dies Leiden hingeben, wenn du dir dafür die Herrlichkeit dieser Welt erkaufen könntest? Hätte der gefesselte Paulus diese Frage zu beantworten, so würde er etwa sprechen: Stände es in meiner Macht, mich auf Salomos Stuhl zu setzen und aller seiner Herrlichkeit teilhaftig zu werden, so wollt ich sprechen: Nein, nein! ich bleibe, der ich bin, der gefesselte Paulus, der mit Christo leidet und bereit ist, selbst für Christum zu sterben. Denn solches Leiden, weil es die Gemeinschaft der Leiden Christi ist, führt zugleich einen Trost und eine Freudigkeit mit sich, deren nicht wert ist selbst ein fünfzigjähriger Genuss derer, die alle Tage herrlich und in Freuden leben. Mir ist es eine Ehre und ein unübertrefflicher Ruhm, dass der Herr mich würdigt, mit ihm aus Einem Kelch zu trinken. -

Doch es kommt noch ein Anderes hinzu, dessen am Schluss unsers Textes Erwähnung geschieht. Das mit Christo Leiden hat auch darum einen so großen Wert, weil es der schmale Weg ist, auf dem man zum ewigen Leben geht. Dessen gedenkt der Apostel, wenn er spricht: Ich mache mich ähnlich dem Tod Christi, ob ich etwa gelangen möge zur Auferstehung der Toten. Er meint nicht die Auferstehung überhaupt, denn auferstehen werden Alle, aber nicht Alle zum Leben, sondern Viele zum Gericht. Die Auferstehung der Gerechten ist gemeint, welches Auferstehen zugleich ein Eingehen ist in die ewige Herrlichkeit. Zweifelt denn der Apostel, ob' er werde an dieser seligen Auferstehung teils nehmen? Nein, er ist seiner Sache gar gewiss. Das Wort „ob ich gelangen möge“ drückt nur seine Demut und sein eifriges Ringen und Streben danach aus. Er weiß wohl, dass die Seligkeit ein Geschenk der Gnade Gottes ist, deren Keiner sich würdig halten kann, der seiner vielen Sünden und Mängel gedenkt. Die sicheren Weltkinder leben in den Tag hinein und haben doch keine Sorge wegen ihrer Seligkeit; die, meinen sie, müsse ihnen schon zufallen, und könne ihnen nicht entgehen. Aber wenn selbst ein Paulus spricht „ob ich gelangen möge,“ so sollten ja billig jene sichern Leute erschrecken und erblassen vor Furcht und Zweifel. -

Wenn es nun aber um den frommen, gläubigen Christen so steht, dass er die Aussicht hat auf das ewige, selige Leben, wo kein Tod mehr ist, noch Leid, noch Geschrei, wie Paulus anderswo sagt: Hinfort wird mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit (2. Tim. 4): o sagt doch, Teure, ist dann nicht der Gewinn in Christo in Wahrheit ein Unübertreffliches? Nehmt Alles zusammen, was der Apostel uns vorhält in unserem Text: die Gemeinschaft mit Christo, in ihr die Gerechtigkeit vor Gott; in ihr die Teilnahme an dem Leben des Herrn; in ihr die Gemeinschaft seines heiligen Leidens und Sterbens, und in Folge davon das Gelangen zu der ewigen Herrlichkeit Christi, so ist doch das Etwas, dem nicht gleichkommt die Herrlichkeit der ganzen Welt. Rechnet ihr auch Alles zusammen, was die Welt Schönes hat, so verliert's doch seine Schönheit, wenn es gegen jenes Bessere und Beste gehalten wird. Wer verwundert sich nicht über den schönen Himmel, der in finsterer Nacht voll brennender Lichter ist? Aber geht die Sonne hervor, so löscht sie den Glanz der Sterne aus, als wären sie nie dagewesen. So ist auch dem Apostel das Sternenlicht seiner früheren jüdisch-pharisäischen Herrlichkeit erloschen, seit ihm Christus, dies Licht der Welt, aufgegangen ist. Und ist es nicht auch uns aufgegangen? Ja, wir kennen die Herrlichkeit, die jedem zu Teil wird, der von ganzem Herzen an Christum glaubt. Sollten wir uns denn bedenken, das alles als Unrat wegzuwerfen, was uns von Christus trennt? Töten wir in uns den alten Menschen mit seiner Selbstgerechtigkeit, mit seiner Sicherheit, mit seiner Weltliebe. Und dazu, treuer Heiland, verleihe uns deinen heiligen Geist, dass er uns stark mache, Allem zu entsagen, was uns hindert, in Gemeinschaft mit dir zu treten.

Alles können wir entbehren;
Mangel und Verlust ist klein,
Wenn wir dir nur angehören,
Und gewiss sind, dein zu sein.
Alles wirst du uns ersetzen,
Und mit welchen reichen Schätzen!
Müssen wir nicht selig sein?
Alle Himmel, Herr, sind dein!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/kaehler_c/kaehler_philipperbrief_16_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain