Kähler, Carl Nikolaus - Moses in Christo - VI. Selig sind die Armen.

Kähler, Carl Nikolaus - Moses in Christo - VI. Selig sind die Armen.

Gnade sei mit euch, und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo. Amen.

Ein merkwürdiges Wort finden wir Lukas 16, 9: Ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn ihr nun darbt, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Das sagt Christus zu den Reichen, und die Sprache, die er hier führt, ist eine ganz andere, als die gewöhnliche, die man gegen die Reichen führt. Ihren Reichtum nennt er Mammon. Bekanntlich führte diesen Namen ein heidnischer Götze. Es ist demnach, als ob Christus sagen wollte: Euer Götze, ihr Reichen, ist das Gold, um dessen Altar ihr hinkt, wie einst die Israeliten um Baals Altar hinkten und ritzten sich mit Messern und Pfriemen, dass er sie erhören möchte. Ach, wie martert und plagt ihr euch mit Sorgen um das Geld! Euer Beten und Rufen ist kein anderes, als dies: Mammon, erhöre uns! Aber nicht nur gibt Christus eurem Reichtum den Namen Mammon, sondern er nennt ihn sogar einen ungerechten Mammon. Dies Wort ungerecht kommt mir vor wie ein Gerichtsdiener, den Christus aussendet, Haussuchung bei euch zu tun. Er soll eure Kisten und Schränke öffnen und untersuchen, ob unter dem Gut, das ihr das eurige nennt, auch fremdes sich befinde. Wie mancher Mensch trägt einen Rock, den er nicht den Lohn seiner Arbeit nennen kann! Ein armer Mann hat die Arbeit getan, deren Frucht der Reiche erntet. Vielleicht das Wenigste von dem, das ihr habt, ist euer im vollen Sinne des Wortes. Ihr habt es aber nun einmal und sprecht: Selig ist der Besitzer! Ihr habt es, und kennt keine größere Sorge, als die, noch mehr zu bekommen als ihr habt. Sagt euch doch los von diesem abscheulichen Mammonsdienst! Bedenkt ihr denn nicht, dass eine Zeit bevorsteht, wo ihr darben werdet? „Wir darben?!“ Ja, auch keinen Pfennig wird Gott in eurer Hand lassen; Haus und Hof, Tisch und Bett, Kleider und Geld wird er euch wegnehmen; ihr werdet ärmer sein als ein Lazarus, der vor der Tür des reichen Mannes liegt. Nehmt denn einen Rat an, Christus sagt: Macht euch Freunde mit eurem Mammon. „Wo?“ Unter den Armen. Das ist ein seltsamer Rat und gegen alle Ordnung der Welt. Die Armen müssen den Reichen nachlaufen und um ihre Freundschaft sich bewerben: Christus will's umkehren? Ja, und er fügt den Grund hinzu: „damit sie euch aufnehmen.“ - Uns aufnehmen? fragt ihr. Ist das nicht geredet, als ob wir Bettler wären, die um eine Herberge bitten? Ganz so. Die Reichen werden arm, die Armen werden reich werden. Christus ehrt die Armen ungemein. Es sind Leute, sagt er, um deren Gunst sich die Reichen bewerben sollen. Es sind Leute, die den Reichen die Tür des Himmels öffnen und verschließen können. Es sind Leute, die unvergängliche, ewige Wohnungen haben. Freut euch, ihr Armen, fasst Mut. Christus ehrt euch. Christus erhebt euch weit über die Reichen. Auch in unserem heutigen Texte tut er es.

Hört das Wort, welches wir lesen

Matthäi 5, 3. Selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr.

Die da geistlich arm sind? Die gewöhnliche Erklärung will, dass darunter zu verstehen sind die gebeugten und demütigen Seelen, die erkannt haben, dass sie elend und jämmerlich seien, arm, blind und bloß. Andere, z. B. Luther, verstehen darunter die leiblich Armen. Ihre Gründe sind diese: Meistens waren es arme Leute, die Christo nachfolgten. Ihn jammerte derselben, da er sie sah, denn ihre Lage war drückend und traurig. Die Armen standen in solcher Verachtung, dass man sogar sagte, sie würden am Reiche des Messias keinen Anteil haben. Wie nahe lag es daher, dass Christus zunächst sich an sie wandte! In einer verwandten Stelle beim Lukas heißt es, Kapitel 6: Selig seid ihr Armen, und werden dort die Armen den leiblich Reichen entgegengesetzt. Der Apostel Jakobus sagt, Kapitel 2: Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind? Er redet von leiblich Armen und scheint auf unsere Stelle im Matthäus zu zielen. Endlich geben auch die, welche unsere Textes-Worte von den geistlich Armen verstanden wissen wollen, zu, dass die leiblich Armen nicht ausgeschlossen seien. Nun, wir wollen denn heute von den leiblich Armen reden und auf diese unsern Text deuten.

Selig sind die Armen.

Die Frage ist:

1. welche Armen?
2. worin besteht ihre Seligkeit?

1. Selig sind die Armen. Alle? alle ohne Ausnahme?

Lasst uns die Wurfschaufel in die Hand nehmen und auf die Tenne der Armut gehen. Alle Armen, in Einen Haufen zusammengedrängt, sind wie ein großer Haufen Korn, worin nicht nur Weizen ist, sondern auch Spreu. Nehmen wir denn die Wurfschaufel, um den Weizen von der Spreu zu sondern. Welche Armen sind selig zu preisen? oder vielmehr, welche sind es nicht? Lieben, ihr wisst, dass Mancher von denen, die auf der Straße gehen und bald an diese Tür klopfen, bald an jene, zwar arm ist, aber nicht nach Gottes Willen, sondern durch eigene Schuld. In der Schrift wird von keinem Menschen erzählt, der einen gesunden Körper gehabt, dass er gebettelt habe. Lazarus lag vor des reichen Mannes Tür, aber er war mit Schwären bedeckt von der Fußsohle bis an den Scheitel. Christus fand einst, da er nach Jericho ging, einen Mann am Wege, der bettelte, aber der Mann war blind. Sucht in der Schrift, ihr werdet keinen Gesunden, keinen Starken finden, der bettelte. Selbst Hagar, die irre ging in der Wüste bei Bersaba und sah ihr Kind unter dem Baum liegen, das verschmachten wollte vor Hunger und Durst; selbst die Witwe zu Zarpath, die nichts hatte als eine Hand voll Mehl und ein wenig Öl im Kruge, diese und viele Arme sonst, sie wollten lieber sterben, als von Tür zu Tür gehen mit der Bitte: Gebt uns zu essen. Damals tat man wie Jesus Sirach spricht, Kapitel 40: Mein Kind, gib dich nicht aufs Betteln, es ist besser sterben, denn betteln. In unsern Tagen aber braucht man nicht weit zu gehen und nicht lange zu suchen, um solche zu finden, die hin und her gehen und betteln, tun es selbst oder lassen ihre Kinder es tun, und haben doch einen gesunden Fuß, einen gesunden Arm, einen gesunden Körper. Wie viele von denen, die erbetteltes Brot essen oder Brot aus der Armenkasse, könnten ihr eigenes Brot essen, wenn sie zu beten verständen und zu arbeiten Lust hätten. Ihre Zahl ist groß und wird immer größer, dass nach gerade alle Welt erschrickt über diesen Heuschreckenschwarm von Armen, die das Land verwüsten. Nehmt hinzu die, welche zwar nicht betteln, aber bettelarm sind durch eigene Schuld. Du bist arm? O das wundert mich nicht, denn wie leichtsinnig tratst du in die Ehe, von der vorauszusehen war, dass sie bald für dich ein Wehe werden musste. Du bist arm? Lieber, du bist es durch deine eigene Schuld, denn dein oder deiner Gattin unordentliches Haushalten macht, dass dein Tisch von Speisen leer und dein Herz von Sorgen voll ist. Du bist arm? Es wäre ein Wunder, wenn du wohlhabend wärest, da du deinen Arm und Fuß nicht brauchen magst, wozu ihn dir Gott gegeben hat. Was sollen wir nun sagen von allen denen, die durch Mutwillen arm sind, denen die Sünde die weite Pforte war, durch die sie auf den breiten Weg des Verderbens gingen sind sie selig zu preisen? Nein, ihre Armut ist eine Biene, aber eine Biene, die keinen Honig, sondern bloß einen Sündenstachel hat, womit sie verwundet. Sagt selbst, ihr mutwillig Armen, wohnt Seligkeit in eurem Herzen? Ach nein, müsst ihr antworten, nein, unsere eigene Schuld und Sünde liegt vor der Himmelstür, dass wir nicht hinein kommen können.

Doch, liebe Christen, wir wollen nicht zu hart richten und über alle diese Armen den Stab brechen. Es ist wahr, wir finden unter den Armen tausend zu unserer Rechten und tausend zu unserer Linken, welche, wenn sie aufrichtig sind, sagen und klagen müssen: unsere Sünde war das Messer, womit wir uns den Bettelstab schnitten. Aber wie? wenn nun ihrer etliche wären, die in sich geschlagen haben wie der verlorene Sohn und sind mit einem „Vater ich habe gesündigt“ zu ihrem Gott zurückgekehrt? Wie, wenn ihre Armut für sie geworden wäre die Stimme eines Predigers in der Wüste, der zu ihnen sprach: Tut Buße und bekehrt euch, und sie hätten es getan? wären zwar arm geblieben an Brot, aber doch reich geworden in Gott: sollten wir sie dann gleichwohl mit dem Stab Wehe hinwegtreiben von dem Worte, das in unserm Texte steht: Selig sind die Armen? Keineswegs! Fasst nur Mut, ihr Armen, die ihr zwar durch die Tür der Sünde in die Armut, aber wiederum durch die Tür der Armut in das Himmelreich gegangen seid. Christus hat eure Sünde weggenommen mit seiner erlösenden Hand, Christus hat das Schloss eurer Übertretung und Schuld entzweigebrochen, hat die Tür geöffnet und gesprochen: Kommt her. Wenn ihr nur wirklich euch bekehrt habt, wenn ihr nur wirklich durch die Tür der Armut ins Himmelreich gegangen seid. Aber vielen, das wisst ihr auch, ist Die Armut eine Tür, durch die sie in die Sünde gehen. Die müssen ja nicht auf sich ziehen das Wort unsers Textes: Selig sind die Armen, und wenn sie es gleichwohl täten, so würde ihr Herz und ihre Zunge und ihre Hand und ihr Fuß sie Lügen strafen. Es ist von denen die Rede, deren Tisch leer ist, aber noch viel leerer ist ihr Herz; deren Kleid zerrissen ist, aber noch viel zerrissener ist ihr Gewissen. Die sind zweimal arm, ihnen fehlt nicht nur das Brot, ihnen fehlt auch Gott, ihnen fehlt nicht nur das Kleid, ihnen fehlt auch die Seligkeit; ihnen fehlt nicht nur das Gut, ihnen fehlt auch der Mut; sie leiden nicht nur Mangel an Speis und Trank, sondern auch an Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, an Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Auf ihrem Tische findet man doch noch Brot und Salz, aber in ihrem Herzen ist es wie in einem dunklen Gefängnis, wo kein Licht brennt und in der Finsternis die Ketten der Sünde klirren. Ich ziele auf dich, der du in deiner Armut keinen größeren Schmerz hast als den, dass du nicht alle Tage herrlich und in Freuden leben kannst, du möchtest es so gern und deine Seligkeit setztest du daran, wenn du den Stein deiner Not könntest in Brot verwandeln. Du kennst nur Eine Sorge und nur Ein Gedanke bewegt dein Herz und nur Eine Frage macht dir zu schaffen, die Frage: Was soll ich essen, was soll ich trinken, womit soll ich mich kleiden? Ich ziele auf dich, dessen Armut die Mutter des Unmuts ist; unmutig bist du, wenn du aufstehst, unmutig, wenn du zu Bette gehst; mit Klagen und Murren wider Gott, mit Schelten und Toben wider die Deinigen gehst du durch den Tag. Du bist eine Gestalt, vor der die Kinder fliehen und der deine Gattin aus dem Wege geht. Auf deiner Stirne liegen Furchen der Sorge, in deinem Auge liegen Pfeile des Zorns, auf deiner Wange liegt der Schnee des Kummers. Ich ziele auf dich, der du die 30 Silberlinge nimmst und verrätst Christum durch dein Bösestun. Du nimmst, was dir nicht gehört, du lügst und betrügst deinen Nächsten, um nur zu Brot zu kommen. Du nimmst den Schilling, wo du ihn bekommen kannst, auch wenn du zehn Sünden dafür zahlen müsstest. - Ich ziele auf dich, der du zwar das nicht tust in deiner Armut, aber dein Herz ist neidisch auf die Reichen und deine Zunge schmeichlerisch, du bist nicht zufrieden mit dem, das man dir gibt, und hasst den, der mehr bekommt als du. Will man solche Untugenden sehen, so trete man unter die Armen, da findet man sie. Geiz, Ungenügsamkeit, Neid ist nirgends größer als in Spitälern und Armenhäusern, daher man fast sagen kann, wer ein Armenhaus baut, der baut dem Teufel eine Kapelle. Wie nun? kann man auf diese alle anwenden das Wort: Selig sind die Armen? Nein, liebe Christen, sie sind nicht selig, sondern zweimal unselig. Hier ziehen sie am Karren der Armut, dort werden sie am Wagen der Verdammnis ziehen müssen. Die Unglücklichen! sie dienen dem Teufel und dienen ihm um nichts, denn er gibt ihnen nicht einmal das tägliche Brot; gleichwohl bleiben sie in seinem Dienst und lassen's sich's blutsauer werden, in die Verdammnis zu kommen, da sie doch mit leichter Mühe könnten selig werden. Der reiche Mann, wovon das Evangelium erzählt, empfing doch noch sein Gutes in dieser Welt; der lebte alle Tage herrlich und in Freuden und kleidete sich in Purpur und köstliche Leinwand, und wenn er gleich zur Hölle fuhr, so fuhr er doch in einer Kutsche hin. Aber die Armen, von denen ich rede, gehen unter Hunger und Durst den Höllenweg, sie haben weder Essen noch Trinken, weder Kleider noch Schutz, und müssen, den schweren Bettelstab in der Hand, zu Fuße gehen.

So steht's, traurig stets. Was sollen wir nun anfangen mit dem Wort: Selig sind die Armen? Sind jene Armen selig? Nein! ruft die Erfahrung, ruft der gesunde Menschenverstand, sie sind es nicht. Und warum nicht? Antwort: der Bettelstab bringt Niemanden in den Himmel, und wo die Armut haust, da hausen so viele Sünden als Frösche in Ägypten zur Zeit des Königs Pharao. Wo bleiben wir denn nun mit unserm Wort: Selig sind die Armen? Doch wir haben ein Wort in unserm Texte übersehen. Es heißt nicht: Selig sind die Armen, sondern: selig sind die geistlich Armen. Christus preist selig die, welche leiblich arm sind und zugleich geistlich arm. Sollten sich solche nicht unter uns finden? Ja, man trifft sie nicht bloß hier, sondern aller Orten. Wie viel Spreu auch in dem großen Haufen der Armen sein mag, es bleiben noch viele schöne Weizenkörner übrig. Das sind die geistlich Armen. Petrus, Johannes, Jakobus, Paulus und hundert Andere verließen Alles was sie hatten und folgten Christo ohne Beutel, Schuhe und Tasche nach. Von dir wird nicht gefordert, dass du dein Haus verlassen und den Apostelstab ergreifen sollst: aber wenn Gott es forderte, wenn er einen Elias zu dir sendete und würfe dir das Apostel-Kleid um die Schulter: würdest du wie Elisa den Pflug stehen lassen und ihm nachfolgen? Und wenn du einmal arm bist und nichts zu verlieren hast: folgst du deinem Erlöser nach, wie und wohin er dich führt und bist ihm mit ganzer Seele ergeben? Möchtest du lieber sterben, wie die Witwe zu Zarpath, als dein Gefäß mit fremdem Mehl und deinen Krug mit ungerechtem Öl füllen? Wenn du dein Gut verloren hast durch anderer Leute Bosheit und Schuld: hast du's ihnen vergeben und bist ohne Feindschaft, Rache, Zorn, und trägst den Raub deiner Güter mit Freuden wie die Hebräer? Wenn du durch eigene Schuld arm bist: hat dich die Armut gebeugt und bist du hingegangen zu deinem Vater und hast gesprochen: Vater, ich habe gesündigt in dem Himmel und vor dir, ich bin nicht wert, dass ich dein Sohn heiße? Oder wenn weder fremde Schuld, noch eigene, sondern Gottes Hand dich arm gemacht hat: zürnst du ihm darum so wenig, dass du ihm vielmehr für deine Armut wie für eine Wohltat dankst und zu deinem Kinde sprichst wie Tobias sprach, Kapitel 4: Sorge nur nicht, mein Sohn, wir sind wohl arm, aber wir werden viel Gutes haben, wenn wir Gott fürchten, die Sünde meiden und Gutes tun? Wenn es dir geht wie dem Propheten Habakuk, dass dein Feigenbaum nicht grünt und kein Gewächs ist an deinem Weinstock, dass die Arbeit am Ölbaum fehlt und die Äcker keine Nahrung bringen, dass die Schafe werden aus den Hürden gerissen und keine Rinder in den Ställen sind: sprichst du dann gleichwohl mit jenem Propheten: Aber, aber ich will mich freuen des Herrn und fröhlich sein in Gott meinem Herrn? - Lieber lass es dich nicht verdrießen, dass meine Fragen wie Schnee vom Himmel auf dein Haupt fallen. Bist du nur wirklich arm, nicht nur leiblich, sondern auch geistlich arm, so fallen meine Fragen sanft auf dein Haupt und verwunden dich nicht. Noch einige Fragen denn, den früheren verwandt. Der du arm bist, so arm, dass du dein Brot essen musst im Schweiße deines Angesichts und kommst trotz der täglichen Arbeit und Mühe in tausendfache Not und Verdrießlichkeit: lässt du dich gleichwohl die Arbeit nicht verdrießen? stehst du früh auf und gehst spät zur Ruhe? bist fröhlich im Angesicht Gottes und im Angesicht deiner Gattin und Kinder? isst ein Stück Brot als wäre es Fleisch von einem gemästeten Ochsen und trinkst einen Becher kalten Wassers, als wäre es Wein? Freust du dich am Sonntag, dass der Montag kommt, wo du arbeiten sollst, und am Sonnabend, dass der Sonntag kommt, wo du dich erquicken kannst an der Predigt? Arbeitest du, als ob beten, und betest du, als ob arbeiten nichts hilft? Betrübt es dich nicht, dass du arm bist, sondern freut es dich, dass dein Name im Himmel geschrieben steht? Nimmst du, wie wenig du auch hast, gleichwohl von dem Wenigen ein wenig ab und gibst dem Hungrigen einen Schnitt Brot und dem Nackenden eine Weste? Siehst du des Nächsten Wohlstand mit Vergnügen an und freust dich, wenn er Korn in seine Scheune fährt, als ob Korn und Scheune dir gehörten? - Halt! sprichst du, das ist zu viel, das ist mehr, als ein Menschenkind vermag. Ich bin deines Fragens müde, schweige nur stille. Reise durch die ganze Welt, du findest einen solchen Armen nicht Meinst du das? Nun, dann wollen wir von den Armen sagen, was Christus von den Reichen sagt: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Armer ins Reich Gottes komme. Ich muss der Wahrheit die Ehre geben; die so sind, wie ich eben die geistlich Armen dargestellt habe, auf die geht das Wort unsers Textes: Selig sind die Armen.

2. Nun gehen wir in den 2ten Teil der Predigt. Die Frage ist: worin besteht die Seligkeit solcher Armen?

Christus sagt: Selig sind die Armen. Das läuft nun zwar gegen aller Welt Urteil. Die Welt erklärt sich für das Edle, Reiche, Prächtige; die Armen mag sie nicht und die Armut hält sie für ein Stück von der Verdammnis. Darum fällt auch den Reichen alles Lob, alle Ehre zu, aber die Armen gehen leer aus. Tut man daran recht? Im Allgemeinen traue ich einem Armen mehr Gutes zu, als einem Reichen. Wenn Gott zwei Menschen vor mich hinstellte, die ich beide gar nicht kennte und wüsste weder Gutes von ihnen, noch Böses; der eine wäre reich, der andere wäre arm, der eine trüge die dreifache Krone des Reichtums, der Ehre und Macht; der andere aber das dreifache Kreuz der Armut, der Verachtung und Ohnmacht; - die stellte Gott vor mich hin und spräche: Wähle, einer von diesen beiden sollst du sein. Dann wäre ich zwar sehr in Verlegenheit, aber wenn ich wählen müsste, und könnt' es nicht umgehen, so möcht' es um der Seelen Seligkeit willen ratsam sein zu sprechen: Ich will der Arme sein. Christus sagt: Selig sind die Armen. Willst du die Armen kennen lernen, mein Christ, so gehe hin und studiere die Reichen. Erforsche die Gedanken, die sie hegen, und die Neigungen, die sie pflegen; betrachte die Wege, die sie gehen und die Stricke, die der Teufel ihnen auf ihren Weg legt; beschaue die tausend mal tausend Reichen, die in geistlichem Elend darniederliegen und ganz verloren sind, wenn nun endlich auch ihr äußeres Glück anfängt zu wanken; schließe dich ihnen an, rede mit ihnen, geh mit ihnen um, lerne ihre Bedürfnisse kennen, ihre Launen, ihre geheimen Sünden und wenn du das 10 Jahre getan hast, so wirst du den Palast fliehen, worin der Reichtum wohnt, und wirst sprechen: Selig sind die Armen. So sagt Christus in unserm Texte, er weiß wohl, was er sagt. Wir hören auch den Grund, warum er sie seligpreist: „denn das Himmelreich ist ihr“. Nun sagt doch, wem ein ganzes Reich gehört, ist der nicht selig? Den Armen gehört es, ihrer ist das Himmelreich; folglich sind sie selig. Da mögen nun die Leute kommen und sagen: Unglücklich sind die Armen, denn sie haben kein Geld; lass dich das nicht irre machen, lieber Armer, dein Erlöser schlägt der Welt Urteil nieder und spricht: Selig sind die Armen; denn das Himmelreich ist ihr. Das Himmelreich aber ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Nun sage doch, wenn du zwar arm bist, aber Gott einen Strich gemacht hat durch deine Sündenschuld und deinen Namen in das Buch des Lebens geschrieben hat, da steht er und soll nicht wieder ausgetilgt werden in Ewigkeit; - wenn du zwar arm bist, aber Frieden hast mit Gott durch Jesum Christum - du sprichst: Mein Vater, er antwortet: Mein Kind; er ist dir teuer und du bist ihm teuer; du ließt ihn nicht für Alles aus deinem Herzen und er ließe dich nicht für Alles aus seinem Herzen; wenn du zwar arm bist, aber auch fröhlich im Heiligen Geiste, der dich berufen hat, erleuchtet, geheiligt und dich erhält, und wenn auch tausend Wetter der Trübsal über dich kommen an einem Tage, doch das Haupt über dem Wasser behältst durch fröhliches Vertrauen: sage mir, lieber Christ, wenn's so um dich steht, bist du dann nicht selig? Selig sind die geistlich Armen, denn das Himmelreich ist ihr. Und welche seltene Erfahrungen machen sie! Erfahrungen? Ja, Erfahrungen, ähnlich der, die Elias machte, da er vom Bache Crith trank und gespeist wurde von den Raben. Solche Speisung würde den Armen jetzt nicht mehr zu Teil? Ja freilich.

Ich will euch eine kleine Begebenheit mitteilen, die mir in diesen Tagen erzählt wurde von einem benachbarten Prediger. Ein Mann kam aus der Ferne und suchte Arbeit an der Eisenbahn. Als er sich aber wandte an einen der Herren, die dort die Aufsicht führen, wurde er abgewiesen und ihm bedeutet, es sei keine Arbeit für ihn da. Traurig geht er von dannen und will wieder zurück in die Heimat. Von ungefähr kommt er durch ein Dorf und geht über den Kirchhof daselbst; als er die Gräber steht mit dem Friedenskreuz, denkt er: Ach, schliefst du dort und deine Seele wäre bei Gott! Er geht weiter und steht die Kirchtür offen stehen. Da fühlt er in sich ein Verlangen, das ihn in die Kirche zieht. Er stellt sich an den Altar, sinkt nieder auf seine Knie und betet: Lieber Gott, du hast so viele Kinder in deinem Hause, die Brot die Fülle haben und ich vergehe vor Hunger. Weißt doch, dass ich Frau und Kinder zu Hause habe und bin ausgegangen, Arbeit zu suchen, und kann keine finden. Menschen weisen mich zurück, so hilf du mir, denn du siehst ja, dass ich gerne arbeiten will. So betet er und steht dann auf und geht gestärkt von dannen. Da er noch nicht weit gegangen ist seines Weges, begegnet ihm der Mann, der ihn zurückgewiesen hatte, ruft ihn zu sich und spricht: Hör', Freund, warst du es nicht, der Arbeit bei mir suchte? Komm nur, es ist ein guter Platz für dich leer. So fand also der Mann, was er suchte, fand noch mehr, als er suchte und dankte Gott. Solche Erfahrungen machen die Armen, machen sie vielfältig, sind sie demnach nicht selig? denn was ist seliger, als sich getragen fühlen, sich geleitet und geführt sehen von dem treuen Gott, der vor den Seinigen die Hand austut, wenn sie kommen auf den Flügeln des Gebets, und setzen sich wie Vögel auf seine Hand und essen daraus, er aber blickt sie freundlich an und lockt sie und macht sie satt, und das tut er alle Tage. O wahrhaftig, das ist eine Seligkeit, wogegen die Herrlichkeit der Reichen eine wahre Bettelei ist. Fast möcht ich dir raten, du vornehmer Mann, der du mit Gold und Silber so reichlich versehen bist, dass du alle Tage herrlich und in Freuden leben kannst, fast möcht ich dir raten, dass du einmal deinen reich geschmückten Saal mit der armseligen Kammer eines Tagelöhners vertauschen möchtest, und deine köstliche Leinewand mit seinem Kittel und deinen Sessel mit seiner Bank und deine Feder mit seinem Spaten wahrhaftig! das wäre eine Schule, wo du lernen könntest, dass du ein Mensch bist und dass ein Gott im Himmel ist. Selig sind die Armen. Sie sind's, sonst wollt ich sagen, sie werden es. Ihre Aussicht ist herrlich. Das Himmelreich ist hier das Reich der Gnade, dort das Reich der Herrlichkeit. Aus dem Reich der Gnade treten sie in das Reich der Herrlichkeit, wo Gott die Tränen aus ihren Augen trocknet, wo kein Leid mehr ist, noch Geschrei, noch Schmerz mehr ist, denn das Erste ist vergangen. Nun, seid getrost, ihr Armen, wenn ihr anders zu den geistlich Armen gehört. Es kommt vor allen Dingen darauf an, wenn jemand arm ist, dass er wisse, zu welchen Armen er gehört. Arm und unbekehrt? Es ist genug, dass ihr arm seid, wollt ihr auch noch gottlos sein? Den verlornen Sohn trieb die Armut zu seinem Vater hin: wollt ihr nicht auch von der Armut euch hinweisen lassen zu Gott? Wisst, die Trübsal, die ihr duldet, ist eine Stimme Gottes, die euch ruft. Geht denn hin zu eurem Erlöser, zu eurem Gott. Von David heißt es 1. Samuelis 22: Es versammelten sich zu ihm allerlei Männer, die in Not und Schulden und betrübten Herzens waren, und er ward ihr Oberster. Ein solcher Mann ist Christus; er will euer Oberster werden, ihr Armen, so versammelt euch zu ihm. Ihr wisst ja, wo ihr ihn zu suchen habt; er steht unter freiem Himmel, wo jeder zu ihm kommen kann. Die Propheten sandte Gott meistens an die Könige; Christus dagegen wendet sich an die Armen, wie er ja auch selber sagt: den Armen wird das Evangelium gepredigt, und beginnt seine Bergrede mit der tröstlichen Anrede an die Armen: Selig sind die da geistlich arm sind. Ihr seht, Christus ist ein Freund der Armen. Mit einem Herodes dagegen redet er kein Wort; der König fragt ihn mancherlei, er antwortet ihm aber nichts, Lukas 23. David sagt von ihm Psalm 72: Er ist gnädig den Geringen und den Seelen der Armen hilft er. Geht denn hin zu ihm, die ihr arm seid, Christus macht euch reich, indem er euch sein Himmelreich schenkt. Darum betrübe es euch nicht, dass ihr keine Güter habt. Der euch den Sohn gab, der hätte euch auch Gold und Silber geben können. Er tat es nicht, weil zu besorgen war, der Teufel möchte Fesseln daraus machen, wie einst die Israeliten aus ihren goldenen Spangen und Ohrringen ein goldenes Kalb machten. Was ist besser: arm ins Himmelreich gehen, oder in goldenen Ketten zum Teufel fahren? Darum betrübe es euch nicht, dass ihr in Armut lebt. Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind? Christus selbst, war er nicht arm? Die Füchse haben ihre Gruben, die Vögel haben ihre Nester: Christus hatte nicht, wohin er sein Haupt legte. Er hatte nichts Eigenes und lebte von Almosen, Luca 8. Seid getrost, ihr Armen, seid fröhlich, ob ihr gleich dürftig seid. Es kostet zwar Kampf, Augen und Ohren vor der Armut zu verschließen, zu hoffen, wo nichts zu hoffen, zu trauen, wo nichts zu greifen, zu hoffen, wo nichts zu brechen ist. Aber kämpfet nur getrost diesen Kampf, der Herr ist mit euch. Vertraget euch mit der Armut, als wäre sie euer Weib. Sprechet zu ihr: Wir wollen mit einander leben und sterben, der Tod 'soll uns scheiden und das Band trennen, das Gott geknüpft hat zwischen uns. Dir, Gefährtin meines Lebens, verdanke ich's, dass ich auch geistlich arm und durch Christum selig geworden bin. Selig sind die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_mose_in_christo-predigt_6.txt · Zuletzt geändert: von aj
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