Hoffmann, Heinrich - Die Ohnmacht des Gesetzes und die Macht der Gnade. - I. Römer 7,7-25.

Hoffmann, Heinrich - Die Ohnmacht des Gesetzes und die Macht der Gnade. - I. Römer 7,7-25.

Pastor zu St. Laurentii zu Halle a. S.

Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht, ohne durchs Gesetz. Denn ich wusste nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: „Lass dich nicht gelüsten.“ Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot, und erregte in mir allerlei Lust. Denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. Ich aber lebte etwa ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig. Ich aber starb, und es befand sich, dass das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war. Denn die Sünde nahm Ursache am Gebot, und betrog mich, und tötete mich durch dasselbige Gebot. Das Gesetz ist je heilig, und das Gebot ist heilig, recht und gut. Ist denn, das da gut ist, mir ein Tod worden? Das sei ferne! Aber die Sünde, auf dass sie erscheine, wie sie Sünde ist, hat sie mir durch das Gute den Tod gewirkt, auf dass die Sünde würde überaus sündig durchs Gebot. Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß nicht, was ich tue; denn ich tue nicht, das ich will, sondern das ich hasse, das tue ich. So ich aber das tue, das ich nicht will, so willige ich, dass das Gesetz gut sei. So tue ich nun dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Denn ich weiß, dass in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. So ich aber tue, das ich nicht will, so tue ich dasselbige nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt. So finde ich in mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, dass mir das Böse anhanget. Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. Ich elender Mensch! wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? Ich danke Gott durch Jesum Christ, unsern Herrn. So diene ich nun mit dem Gemüte dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetze der Sünde.

Nicht ohne Bedenken verlese ich dies Schriftstück. Es allen verständlich zu machen, wird mir nicht möglich sein. Aber freilich, wenn nur das zu predigen wäre, was allen begreiflich gemacht werden kann, müsste ich aufhören, Christentum zu predigen. Das vorliegende Schriftstück ist doch voll Licht und Kraft; wenn es vielen zu statten kommen kann, ist das Grund genug, es auf die Kanzel zu bringen.

Den Anlass dazu gibt mir das Evangelium des heutigen 4. Trinitatis-Sonntags. Da malt Jesus im Gleichnis den Pharisäer im Tempel und ihm gegenüber den Zöllner. In Römer 7 lässt uns ein bekehrter Pharisäer einen Blick in seine Herzensgeschichte tun. Man sieht aus ihr, wie ein Pharisäer ein Zöllner wurde. Einer der strengsten Pharisäer war doch der nachmalige Apostel von Jugend auf gewesen. Indem er diesen Abschnitt schrieb, ist es nicht eigentlich seine Absicht gewesen, Selbstbekenntnisse abzulegen; auch nicht Aufschlüsse über den Bekehrungsgang zu geben. Aus dem Zusammenhang seines Briefs ergibt sich vielmehr, dass er in diesem 7. Kapitel zeigen will, was Gottes heiliges Gesetz, wenn es an einem Menschen wirksam wird, auszurichten imstande sei und was es nicht ausrichten könne. Im Gegensatz dagegen bezeugt das 8. Kapitel, was die Gnade Gottes in Christo großes schaffe. Dabei schweben dem Apostel die Erfahrungen vor, die er an sich selbst gemacht hatte, zuerst von der Kraft, und doch dabei von der Ohnmacht des Gesetzes Gottes. Durch sein Gesetz hat Gott soviel erreicht, dass aus dem Pharisäer ein Zöllner wurde, denn durch das Gesetz ist ihm die rechte Erkenntnis der Sünde aufgeschlossen, ist er in tödlichen Zwiespalt mit sich selbst versetzt, ist er in eine hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit geworfen. Aus dem Bekenntnis des Apostels muss für uns zu lernen sein, da wir nach unserm natürlichen Herzenssinn geborene Pharisäer sind und es doch nicht bleiben sollen.

1.

Paulus greift in diesem ganzen Abschnitt in seine Lebenszeit vor seiner Bekehrung zurück, wo er Saulus hieß und war. Er denkt zunächst an Zeiten, wo er ohne das Gesetz lebte. V. 9. „ aber lebte weiland ohne Gesetz.“ Wohl kannte er als israelitischer Knabe und Jüngling von klein auf die Gebote wie sie unsere Kinder in den Schulen lernen; aber die Majestät des Gesetzes Gottes war ihm noch verborgen; sie drückte nicht auf ihn. Und ohne das Gesetz war die Sünde in ihm tot. (V. 8.) Untugenden hat er an sich gehabt, Übertretungen hat er gewiss begangen; aber dass er eine tödliche Macht in sich trage, eine Macht, die Seel und Leib verdirbt, war ihm unbewusst. Die Sünde war tot in mir wie die Unkrautwurzeln im Acker während des Winters scheinbar tot liegen. Richtiger gesagt: die Sünde hatte sich noch nicht seines bewussten Willens bemächtigt, um ihn mit Gott zu entzweien.

Das wurde anders, als das Gesetz des HErrn (wir wissen nicht, wann und wo?) ihm nahe rückte, sein ernstes Nachdenken auf sich zog, ihm tiefe Eindrücke von seiner Hoheit und Gewalt gab. Es hing dies damit zusammen, dass ihm das letzte Doppelgebot des Gesetzes auf das Gewissen schlug: du sollst nicht begehren, lass dich nicht gelüsten. Paulus sagt: ich erkannte die Sünde nicht, ohne durch das Gesetz, denn ich hätte nicht gewusst von der Lust dass sie aller Sünde Anfang und Triebkraft ist wenn nicht das Gesetz in seinem Schlussgebot gesagt hätte: lass dich nicht gelüsten. Es ist ja eben unser aller Naturart, dass wir die Wünsche, Begierden, Neigungen im Herzen wenig achten; sie sollen doch nichts Schlimmes sein? In Wahrheit aber sind sie das Schlimmste an der Sünde, denn wie die Lebenskraft der Pflanze in der Wurzel liegt, so liegt die Triebkraft zu aller Auflehnung gegen Gottes Gebot in der Lust. Darum hab acht auf deine Gedankenwelt in deiner verschwiegenen Brust, auf die Bilder, welche deine Phantasie dir vorstellt, auf die Vorstellungen, über denen du gerne brütest, auf die Gemütsbewegungen, die da ihre Wellen schlagen, auf die Wünsche, die in dir aufsteigen. Wenn du aus Gottes heiligem Gebot wissen kannst, was recht, heilig und gut ist, was züchtig, keusch und rein ist, so spüre den Wurzeln der Sünde in dir nach.

Hören wir weiter, was der Pharisäer Saulus an sich erlebte, als Gottes Gebote wie starke Gewappnete mit Fackeln, Spießen und Schwertern über ihn kamen und Haussuchung nach der Sünde in seinem Innern hielten. Er sagt (V. 9), dass da die Sünde in ihm lebendig ward; dass sie Ursache nahm am Gebot und in ihm allerlei Lust erregte (V. 11), dass sie ihn betrog und ihn tötete durch dasselbe Gebot. Also das Gebot reizte die Neigung nur auf, es zu übertreten, statt sie zu ersticken. Welche bestimmten Neigungen das im Einzelnen bei Saulus waren, wird nicht gesagt. Genug für uns, dass er ausspricht, was seine und unsere Naturart ist. Das Verbot reizt das Widerstreben auf. Verbiete dem Kind, einen Ort zu betreten, so ist auch schon die sträfliche Neugier da, welche dahin strebt. Ein weiser Heide sagt: „nach dem Verbotenen streben wir und verlangen das Versagte.“ Jener betagte Mann hatte nie die Tore seiner Vaterstadt überschritten. Der König hörte von dem Sonderling. Bei schwerer Strafe ließ er ihm verbieten, je seine Vaterstadt zu verlassen. Von Stund an ließ es dem alten Mann keine Ruhe mehr, er musste ins Freie, wollte endlich wissen, wie es draußen aussehe und brach das Verbot. Wenn uns nun das Gebot des HErrn zur Übertretung reizt, so zeigt es sich, dass ein böser Wille hinter den Neigungen des Herzens lebt, dass die Gedanken des Herzens Feindschaft wider Gott sind. Und dieser böse Eigenwille ist die tiefste Wurzel der Sünde, ist eigentlich die Sünde selbst.

Als dem Saulus unter vielen Schrecken diese Erkenntnis im Gewissen aufging, zerstoben ihm seine pharisäischen Gedanken, der Mensch zu sein, welcher wohl mit seiner Frömmigkeit und Tugend vor Gott bestehen könne. Er musste sich des Todes schuldig geben. Der Pharisäer in ihm begann zu sterben.

2.

Wohl denen, die, wie einst Paulus, dennoch unter der Zucht des Gesetzes bleiben, sich nicht über Gottes Gebote hinwegsehen, sondern ihnen nachzuleben trachten und sie auf sich wirken lassen. Das führt zunächst freilich den ganzen Menschen bald in einen tödlichen Zwiespalt hinein. Auf der einen Seite das Gesetz des HErrn, welches geistlich ist; ist es doch der Ausdruck des Willens Gottes, untadlig und schön wie Gott selbst. Wer das fühlen kann, in dem lebt doch auch ein inwendiger Mensch (V. 22). Der inwendige Mensch ist auch nicht der neue Mensch; jener ist der Sinn für das Rechte und Gute, ist eigentlich ein Ding mit dem wachen Gewissen. Der inwendige Mensch kann schon im Heiden unter Einwirkung des göttlichen Gesetzes sich entwickeln man denke an einen römischen Hauptmann Cornelius. Der inwendige Mensch hat Lust daran, dass Gottes Name und Feiertag geheiligt werden soll, dass der Zornmut in Sanftmut erstickt werde, dass die Seele in Züchten wie ein Kind rein erhalten werden soll. Mit dem heiligen Gesetz Gottes stimmt ein Gesetz im Gemüt (V. 23) überein.

Aber daneben strebt auf der andern Seite die Macht der Sünde im Menschen auf. Der arme schwache inwendige Mensch kann nicht, wie er will. Er gleicht dem Gefangenen, der laufen möchte, aber eiserne Ketten an den Beinen trägt, dem Kranken, der gern spränge und tanzte, wenn nur die Brust nicht an Atemnot litte. Im Andenken an jene Zeit, wo die Hoheit und Heiligkeit des Willens Gottes ihm schrecklich wurde (so lebendig schwebt sie ihm vor, dass er von ihr spricht, als wenn sie noch Gegenwart wäre), schreibt Paulus V. 14: wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft. V. 15: denn ich weiß nicht, was ich tue; denn ich tue nicht, was ich will, sondern das ich hasse, das tue ich. V. 18: wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht. Dasselbe erlebt, wer sträfliche Neigungen ersticken will, die ihm verhasst wurden, und doch immer wieder von ihnen mitgenommen wird; wer seine Zunge, das unruhige Übel, gern zähmen will, aber die Gewöhnung, ihr den Lauf zu lassen, ist zu stark; wer seine Gefallsucht, seine Sinnenlust, seinen Hang, hoch hinaus zu streben, seine Reizbarkeit und Empfindlichkeit, sein argwöhnisches Wesen erkennt und gern ausreuten möchte, und doch gelingt es nicht. Es wird wahr: wollen das Gute hab ich wohl, aber das Gute vollbringen finde ich nicht. Das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Zwiespalt und immer wieder Zwiespalt, der sich in der bitteren Klage Luft macht: ich habe ein ander Gesetz (eine zwingende Macht) in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt, und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes?

Das war also die Wirkung des göttlichen Gesetzes auf den nachmaligen Apostel. Es hat einen inwendigen Menschen in ihm groß gezogen, und ihm doch nicht zur Übermacht über den natürlichen Menschen helfen können. Nebenbei gesagt: es wird jetzt soviel von ethischem Christentum geredet, es sollen die sittlichen Normen des Christentums allein bleibenden Wert haben. Wer darin seine Genüge zu finden meint, dessen Gedanken von Sittlichkeit müssen doch tief, tief unter dem Gesetze Gottes stehen denn dies, wie wir an Paulus sehen, kann nur tödlichen Zwiespalt und Schrecken des Gerichts über die Menschenseele bringen.

3.

Es war eine klägliche Zeit seines früheren Lebens, die Paulus hier schildert. Für hoffnungslos verloren musste er damals seine Seele ansehen. Wie sich tief Unglückliche oft den Tod wünschen, musste er damals rufen: „ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Nicht bloß der Körper, dessen Glieder ja auch der Sünde dienten, war ihm ein Leib des Todes, sondern sein von Lust und Eigenwillen geknechtetes Seelen- und Geistesleben wogegen sein besseres Ich mit seinem Wohlgefallen an Gottes heiligem Gesetz vergeblich rang. Er sah, wie seine Seele in ihrem Zwiespalt dem Ruin und Untergang entgegenging. So weit hatten ihn seine Bemühungen gebracht, den heiligen Geboten Gottes untadelig nachzuleben. Sie haben ihm nur seine verborgene Feindschaft wider Gott aufdecken können. Das Gesetz wusste keinen Rat, wie er zu wahrer gottgefälliger Heiligung gelangen sollte. Er war im vollen Sinne hoffnungslos.

Und doch war es eine hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit. Es war nur gut, dass der Pharisäer in ihm den hier geschilderten Todeskampf durchrang. Er ward dadurch vorbereitet für den Tag, wo es Gott gefiel, ihm seinem lieben Sohn zu offenbaren. Der Mann lechzte nach Vergebung seiner Sünde, die ihm dann Christus kraft seines Todes und seiner Auferstehung brachte. Da lernte er verstehen, wie hoch erhaben über das Gesetz, über alle Sittenfrömmigkeit die Macht der Gnade ist, die den inwendigen Menschen aus seiner Ohnmacht erlöst und einen neuen Menschen aus ihm schafft. „Ich danke Gott durch Jesum Christum unsern HErrn „ ruft er hier schon dazwischen, indem er seine düsteren Erinnerungen so lebhaft schildert, als erlitte er sie erst jetzt. Auf dem dunklen Grund des 7. Kapitels erhebt sich dann das lichthelle 8. mit dem Lobpreis der Gnade, die das Unmögliche möglich macht: die Sünde in Wahrheit zu überwinden, in den Stand eines freien Kindes Gottes zu treten und einer ewigen und über die Maßen wichtigen Herrlichkeit entgegenzuleben.

Was dem Gesetz unmöglich war, zu geben,
Das bringt alsdann die Gnade selbst herfür;
Sie wirket Lust zur Heiligkeit in dir
Und ändert nach und nach dein ganzes Leben,
Indem sie dich aus Kraft in Kräfte führt,
Und mit Geduld und Langmut dich regiert. Amen. 1)

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