Gerok, Karl - Die Apostelgeschichte in Bibelstunden – VI. Der Pfingstsegen.
Kap. 2, V. 37-47. Da sie aber das hörten, ging es ihnen durchs Herz, und sprachen zu Petro und zu den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße, und lasse sich ein Jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden; so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euer und eurer Kinder ist diese Verheißung, und aller, die ferne sind, welche Gott, unser Herr, herzurufen wird. Auch mit viel andern Worten bezeugte er, und ermahnte, und sprach: Lasst euch helfen von diesen unartigen Leuten. Die nun sein Wort gerne annahmen, ließen sich taufen; und wurden hinzu getan an dem Tage bei dreitausend Seelen. Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, und in der Gemeinschaft, und im Brotbrechen, und im Gebet. Es kam auch alle Seelen Furcht an; und geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig waren geworden, waren bei einander, und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter und Habe verkauften sie, und teilten sie aus unter alle, nach dem Jedermann not war. Und sie waren täglich und stets bei einander einmütig im Tempel, und brachen das Brot hin und her in Häusern, nahmen die Speise, und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen, und hatten Gnade bei dem ganzen Volk. Der Herr aber tat hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeine.
Wir haben in diesem Kapitel zuerst das Pfingstwunder betrachtet, dann die Pfingstpredigt gehört, nun dürfen wir zum Schlusse noch den Pfingstsegen sehen. Und fürwahr einen lieblichen Pfingstsegen, dabei man erinnert wird an die alte Weissagung des 110ten Psalms: Deine Kinder werden dir geboren wie der Tau aus der Morgenröte. Ja nun werden dem himmlischen König seine Kinder geboren wie ein himmlischer Tau. Reichlich wie die Tautropfen in der Sommerfrühe an Gras und Kraut hängen; wunderbar wie die Tautropfen plötzlich am Morgen da sind, man weiß nicht, sind sie aus den Pflanzen gekommen oder vom Himmel gefallen; lieblich wie die Tautropfen auf der Wiese funkeln und in tausend Farben spielen und tausendfach das Bild der Sonne spiegeln - so steht hier die Menge der Gläubigen vor uns. Diese Zeit nach dem Pfingstfest ist die goldene Morgenstunde im Reich Gottes, die holde Frühlingszeit der Kirchengeschichte, die schöne unschuldige Kindheit der Christenheit, daran man nach achtzehnhundert Jahren noch in der Erinnerung sich erquicken mag, wie man in trüben Herbsttagen an die holde Maienzeit sich erinnert, oder wie ein alternder Mann an die seligen Tage seiner Kindheit gedenkt. Möchte auch uns diese Erinnerung heute gesegnet sein, indem wir
den Pfingstsegen
betrachten. Dreierlei tritt uns in dem verlesenen Abschnitt vors Auge:
1) Wie die Pfingstpredigt einschlägt in die Herzen;
2) Wie Petrus seine Pfingstgarben einsammeln darf;
3) Wie der Pfingstgeist ruht auf der ersten Gemeinde.
1.
Wie die Pfingstpredigt einschlägt in die Herzen, das lesen wir V. 37-40.
V. 37. „Da sie aber das hörten, ging es ihnen durchs Herz, und sprachen zu Petro und zu den andern Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ „Da sie das hörten, gings ihnen durchs Herz.“ Seht da den ersten Predigtsegen in der christlichen Kirche, den mächtigen Eindruck von Petrus' gewaltigem Zeugnis. Seht da den herrlichen Beweis zu dem Paulusspruch: „Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidiges Schwert und dringt durch bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter unserer Gedanken und der Gesinnungen unseres Herzens.“ So wie ein zweischneidiges Schwert ging ihnen das Wort durchs Herz: „Den Jesum, den ihr gekreuzigt, hat Gott zu eurem Herrn und Christ gemacht“. So erwies sich Gottes Geist und Gottes Wort an ihnen als ein Richter ihrer verkehrten Gedanken und leichtfertigen Gesinnungen, darin sie das unschuldige Kind Gottes erwürgt hatten. Das ist der rechte Eindruck der Predigt, wenn sie den Hörern durchs Herz geht, nicht nur durch die Ohren, zum einen hinein, zum andern hinaus, auch nicht nur übers Herz hin, wie ein schmeichelnder Wind, wie eine streichelnde Hand, die wohl eine vorübergehende Empfindung bewirkt, aber keinen tieferen Eindruck hinterlässt, sondern ins Herz hinein, durchs Herz hindurch wie ein Schwertstreich, wie ein Blitzstrahl, dass der verborgene Herzensgrund aufgedeckt wird, dass aus diesem Herzensgrund Bekenntnisse und Fragen aufsteigen, wie die „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ Ja, wo es einmal zu dieser Frage kommt: was soll ich tun, dass ich selig werde; was soll ich tun, dass ich meine Verschuldungen und Versäumnisse gut mache; was soll ich tun, dass ich dem Zorne Gottes entrinne; was soll ich tun, dass ich meinem Heiland und Erlöser für seine Liebe danke? - wo eine Seele einsieht: es muss anders mit mir werden, und fragt: wie soll ich's anfangen? wo das zuvor sichere Herz unruhig wird, wo der zuvor selbstgenügsame Geist lernbegierig wird und zu fragen anfängt nach dem verachteten Wort Gottes, nach den verachteten Dienern Gottes, demütig und freundlich zu fragen: „Ihr Männer, liebe Brüder, was soll ich tun?“ - da ist schon viel gewonnen. Von solchem Predigtsegen, der mehr wert ist als wenn die Leute beim Nachhausegehen sagen: „es ist eine schöne Predigt gewesen,“ lasse der Herr auch euch, liebe Zuhörer, manchmal etwas erfahren, und uns, eure Prediger, je und je etwas erleben. Eine Antwort auf die Frage: was sollen wir tun? bleibt dann auch nicht aus: zuerst eine apostolische Forderung, dann eine apostolische Verheißung.
V. 38. Petrus sprach zu ihnen: „Tut Buße, und lasse sich ein Jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes.“ „Tut Buße und lasst euch taufen“, mit andern Worten: Tut Buße und glaubt an Christi Evangelium; das ist die apostolische Forderung auf die Frage: was sollen wir tun? Wie Johannes der Täufer und Christus selbst, so beginnt auch die Kirche ihre Heilsarbeit mit dem Zuruf: Tut Buße, denn der Anfang alles Christentums ist die Buße, die göttliche Traurigkeit eines Herzens, das im Angesichte der beleidigten Gerechtigkeit, aber auch im Andenken an die schnöde verachtete Barmherzigkeit Gottes, seine Sünden erkennt und bereut und sich nach dem Heil und Frieden in Christo sehnt. Bei wem es zu solcher Buße gekommen war unter den Zuhörern Petri, dem konnte man dann auch zumuten: Lasst euch taufen auf den Namen Jesu, bekennt durch Übernahme der Taufe, dass ihr Jesum, den kürzlich noch von euch Verschmähten, von seinem Volk Verstoßenen, annehmt als den, welchen Gott selbst zu einem Herrn und Christ gemacht hat für alle Welt, also auch für euch. Also tut Buße und glaubt an das Evangelium, so werdet ihr der Vergebung eurer Sünden teilhaftig! Auch heute noch, meine Lieben, wenn heilsbedürftige Seelen uns fragen: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun, um selig zu werden? so dürfen und können wir keine andere Antwort geben als die: Tut Buße und glaubt an das Evangelium. Tut Buße, rufen wir ihnen zu, denn der Buße bedarf nicht nur, wer Jesum ans Kreuz geschlagen hat, wie jene Juden, nicht nur, wer grober Verbrechen sich schuldig weiß, wie der Schächer am Kreuz, sondern jeder natürliche, unwiedergeborne Mensch, der sich selbst prüft im Licht vor Gottes Angesicht. Und glaubt an den Herrn Jesum, rufen wir ihnen zu, denn getauft allerdings seid ihr schon auf seinen Namen, aber solang ihr nicht wirklich an Jesum glaubt als an euren Herrn und Heiland und durch den Glauben in ihn eingepflanzt und eingesenkt seid, so lang ist eure Taufe ohne Kraft, ohne Frucht, ohne Segen. Wo man aber diesem apostolischen Gebot nachkommt, da darf man auch der apostolischen Verheißung sich getrösten: Ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen, denn
V. 39. „Euer und eurer Kinder ist diese Verheißung und Aller, die ferne sind, welche Gott herzurufen wird.“ Das ist ja eben die Herrlichkeit des Pfingstgeistes, dass Alle sein teilhaftig werden können, die nach diesem himmlischen Segen verlangen; dass also nicht bloß, wie im Alten Testament, auf einzelne begnadigte Häupter von Königen und Propheten die himmlischen Strahlen sich herniedersenken, sondern dass Kinder und Greise, Söhne und Töchter, Knechte und Mägde, dass alles Fleisch seinen Anteil haben soll an diesen himmlischen Gaben, und dass nicht bloß dem altauserwählten Volk Israel solcher Segen zugehört, sondern dass über alle Völker diese Lichtstrahlen sollen ausgegossen werden, dass auch die, welche jetzt noch ferne sind, noch in Finsternis und Todesschatten sitzen, herzugerufen werden sollen zu der großen Pfingstgemeinde. Wie musste das so einem gläubigen Israeliten das Herz erheben, wenn er denken durfte: Also auch mein und meiner Kinder ist diese Verheißung, auch an mir und den Meinen soll von heute an erfüllt werden die uralte Weissagung: ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Wie musste das so einem Sohn Abrahams seinen Blick erweitern, wenn er's zum ersten Mal fasste: Die Schranken der Nationen sollen fallen, aus den fernsten Heiden will mir der Herr Brüder zuführen und Schwestern, vereinigt in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Und mit welch dankbarer Rührung müssen wir heute diese Verheißung vernehmen von denen, welche ferne sind und welche Gott auch noch herzurufen will! Wie Viele, die damals noch ferne waren, hat inzwischen der Herr herzu geführt durch den mächtigen Zug seines Geistes; auch unsere damals noch in der Finsternis ihrer Eichenwälder begrabenen Voreltern hat Gott herzu geführt, auch hier in diesem Tal, auf dieser Stelle, wo damals vielleicht ein blutbefleckter heidnischer Opferaltar stand, steht jetzt ein christlicher Altar, und ist eine christliche Gemeinde versammelt. Wie tröstlich klingt es da auch in unsere Mitte herein: Euer und Eurer Kinder ist diese Verheißung! Auch ihr, du und dein Haus, könnet den Heiligen Geist haben als Lehrer der Wahrheit, als Führer zum Guten, als Tröster in Trübsal, so ihr ihm nur die Tür aufmacht in Haus und Herz.
So lasst euch denn helfen von diesen unartigen Leuten (V. 40), d. h. Lasst euch erretten von diesem verkehrten Geschlechte, lasst euch helfen aus der Welt heraus in Christum hinein, aus dem Unglauben in den Glauben, aus der Sünde in die Heiligung, aus der Unruh in den Frieden durch diesen himmlischen Führer, den Geist des Herrn! Wie die Pfingstpredigt einschlug in die Herzen, haben wir gesehen. Nun schaut:
2.
wie Petrus seine Pfingstgarben einsammeln darf. V. 41. „Die nun sein Wort gerne annahmen, ließen sich taufen; und wurden hinzu getan an dem Tage bei dreitausend Seelen.“ Bei dreitausend Seelen auf Einen Tag, fürwahr eine reiche Ernte! War das Pfingstfest Israels ein Erntefest von Alters her: welch' schönes geistliches Erntefest ist dies christliche Pfingsten geworden! Wem fällt bei diesen dreitausend Seelen auf Einen Tag nicht ein jenes prophetische Wort des Herrn am Jakobsbrunnen: Seht in das Feld, es ist schon weiß zur Ernte! Ja, nun war der Erntetag angebrochen, diese dreitausend Seelen waren der erste Garbenwagen, der eingeführt wurde in die Scheunen des Herrn, und seitdem geht mit dem Säen auch das Ernten fort und noch immer ist das Feld weiß zur Ernte, noch immer stehen die Schnitter Gottes draußen an ihrer heißen Arbeit und sammeln Garben, noch immer werden neue Seelen hinzugetan, noch immer gilts zu bitten, dass der Herr Knechte aussende, denn die Ernte ist groß und Wenige sind der Arbeiter. Wer gedenkt nicht ferner bei diesem reichen Seelenfang des Petrus jenes seines einstigen. Fischzugs, da er sein Netz auswarf im See Genezareth aufs Wort des Herrn und so viel Fische fing, dass das Netz zerriss und der Herr zu ihm sprach: Fürchte dich nicht, von nun an sollst du Menschen fischen! Luk. 5, 10. Ja, nun war er ein Menschenfischer worden. Nun war er hinausgefahren auf die hohe See der Welt; nun hatte er zum ersten Mal kühn das Netz des Evangeliums ausgeworfen nach seines Meisters Gebot, und siehe er durfte Menschen fangen und das Netz zerriss diesmal nicht, und es ist bis auf den heutigen Tag noch nicht zerrissen, so viel Seelen schon drin gefangen sind, so manches Meerungetüm auch dran genagt hat und hat sich aus dem Netz herausreißen wollen; es hält noch, dieses Netz des Evangeliums, es zieht noch und fängt noch. Wenn auch solche Fischzüge und Wunderernten selten sind, wie am ersten Pfingstfest, wenn auch nur da und dort eine Seele gerettet wird aus dem Meer der Welt, wenn auch heute noch manch treuer Knecht seufzen muss: wir haben die ganze Nacht gefischt und haben nichts gefangen, immer noch wird die Verheißung wahr, die der Vater dem Sohne verliehen: ich will ihm große Menge zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben. Immer noch wird die Zusage erfüllt, die der Sohn seinen Knechten gegeben: Ihr sollt Menschen fahen! So lasst uns fleißig bitten, dass der Herr den Dienst seiner Menschenfischer segne draußen in der Heidenwelt und innen in der Christenheit, und lasst uns Ihn bitten, dass wenn einmal das Netz ans Land gezogen wird und man die Fische ausliest, wir unter den guten möchten erfunden und nicht weggeworfen werden mit den faulen; Lasst uns Ihn bitten:
Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
und wehr des Teufels Trug und Mord,
gib deiner Kirche Gnad und Huld,
Fried, Einigkeit, Mut und Geduld. 1)
O war alles das beisammen in der ersten Kirche!
Wie lieblich schaut noch:
3.
wie der Pfingstgeist ruht auf der ersten Gemeinde. V. 42-47.
Lieblich ist's, wie wir jetzt hier beisammen sind in dieser Abendstunde; draußen Nacht, hier innen Licht; draußen Lärm, hier innen Stille; draußen Menschengewühl, hier innen Gottes Wort; draußen Wind und Regen, hier innen sichere Ruhe. Aber noch viel lieblicher war jene erste Pfingstgemeinde beisammen inmitten der noch finstern Welt. Da war auch Licht, während draußen Finsternis herrschte, auch Friede, während draußen Stürme tobten, auch göttliche Ordnung, während draußen die Sünde herrschte, auch Freude im Heiligen Geist, während draußen Jammer und Elend die Welt erfüllte. Wie eine blühende Insel im öden Meer, wie eine grüne Dase in der weiten Wüste, wie ein einsames Sternlein in wolkiger Nacht steht diese Pfingstgemeinde da eine Hütte Gottes bei den Menschen. Betrachtet einmal das Bild dieser Mustergemeinde, Zug für Zug.
V. 42. „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, und in der Gemeinschaft, und im Brotbrechen, und im Gebet.“ Seht da den göttlichen Grund, auf dem ihre Gemeinschaft ruhte: Der Apostel Lehre, das Brotbrechen und das Gebet. Wort, Sakrament und Gebet, das sind die rechten Grundsteine eines christlichen Gemeindelebens, die rechten Gemeinschaftsbande, welche die Herzen zusammenhalten. Wo man demütig und lernbegierig bleibt in der Apostel Lehre und Gottes Wort über alle Menschensatzungen stellt, wo man im Brotbrechen bleibt, fleißig und liebreich nach dem Vermächtnis Christi um den Tisch des Herrn sich sammelt und die Sakramente verwaltet und empfängt nach der Einsetzung des Herrn, wo man im Gebete bleibt und fleißig mit einander und für einander hintritt vor den Gnadenthron des ewigen Hohepriesters, da ist gut sein, da blüht christliches Leben, da gedeiht christliche Gemeinschaft, da ist eine christliche Kirche. Und da fehlts dann auch nicht an einer achtunggebietenden Stellung nach außen.
V. 43. „Es kam auch alle Seelen Furcht an; und geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel.“ Die Draußenstehenden ergreift ein heiliger Schauer, eine fromme Ehrfurcht vor diesem schönen Bund, vor diesem neuen Leben, vor diesem kleinen Häuflein, in welchem so sichtbar der Geist Gottes wirkte und der Segen des Heiligen Geistes sich kund tat. So müsste auch heute noch die draußen eine Furcht ankommen, so müssten auch die Verächter unseres Glaubens uns achten, auch die Spötter schweigen, wenn wir ihnen das Beispiel gäben eines wahrhaft evangelischen Lebens, eines aufrichtigen Glaubens, einer herzlichen Liebe, eines unsträflichen, des Evangelii würdigen Wandels. Wie der ganze Wandel jener ersten Christen durchdrungen war vom Heiligen Geiste, wie auch ihr äußeres Leben sich christlich umgestaltet hatte, wie sie als eine Familie von Gotteskindern zusammenlebten, das schildert uns
V. 44 und 45. „Alle aber, die gläubig waren geworden, waren beieinander, und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter und Habe verkauften sie, und teilten sie aus unter Alle, nachdem Jedermann not war.“ Das war der vielbesprochene Kommunismus, die berühmte Gütergemeinschaft der ersten Christen. Freilich kein unchristlicher Kommunismus, wie er heutzutage manchmal gepredigt wird von revolutionären Parteien, sondern ein christlicher Kommunismus. Der christliche Kommunismus sagt: „was mein ist, ist dein“; der unchristliche sagt: „was dein ist, ist mein“; bei jenen ersten Christen hieß es: „nimm hin, was ich habe!“ Die heutigen Kommunisten möchten sagen: „Gib her, was du hast!“ Jene christliche Gütergemeinschaft beruhte auf dem Geist der Liebe gegen die Armen, die jetzt gepredigte beruht auf dem Geiste des Hasses gegen die Reichen.
Auch sieht jedermann ein, dass eine solche Gütergemeinschaft, wie sie damals im kleinen Kreis der ersten Gemeinde, im Feuer der ersten Liebe möglich war, nun unter einem so gemischten Haufen und in so großen Kreisen, wie die heutige Christenheit sie umschließt, gar nicht mehr möglich wäre. Aber was heute noch möglich ist, und was wir lernen können von jenen ersten Brüdern und Schwestern, das ist nicht die Form, die längst zerbrochen worden, sondern der Geist ihrer Gemeinschaft, der Geist der Liebe, die nicht das ihre sucht, der Geist der Selbstverleugnung, die da hat, als hätte sie nicht, der Geist des Gehorsams, der sich mit allem, was er ist und hat, seinem Herrn zur Verfügung stellt. Da fehlts, da müssen wir uns schämen, da haben wir zu lernen.
V. 46. „Und sie waren täglich und stets beieinander einmütig im Tempel, und brachen das Brot hin und her in Häusern.“ Der Herr hatte den Tempel Jerusalems noch nicht abgebrochen, drum hielten ihn auch die Christen noch heilig als die Stätte öffentlichen Gottesdienstes und gemeinsamen Gebets. Nur ihr eigenstes Heiligtum, das Sakrament des Neuen Bundes, das Liebesmahl Jesu Christi feierten sie im engeren Kreise, in den eigenen Häusern. Denn dieses heilige Mysterium ist allein für die Glieder am Leibe Christi. Dadurch wurden auch ihre Wohnungen geheiligt zu Hütten Gottes unter den Menschen, und Haus und Kirche, stilles Gebet im Kämmerlein und lautes Lob Gottes im Tempel schmolzen harmonisch zusammen. Eine ernste Mahnung an die heutige Christenheit, die zerbrochenen Hausaltäre wieder aufzurichten, die erstorbenen Hausgottesdienste wieder ins Leben zu rufen, damit der Herr gepriesen werde nicht nur hier an heiliger Stätte, sondern auch daheim, nicht nur am Sonntag, sondern alle Tage. Dadurch würde dann auch unser tägliches Leben geheiligt.
V. 47. „Nahmen die Speise, und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen, und hatten Gnade bei dem ganzen Volk. Der Herr aber tat hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeine.“ Ein Geist kindlicher Heiterkeit, harmlosen Frohsinns weht uns aus dieser Schilderung an. Auch im geselligen Leben des Christen offenbart sich die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, die in lieblicher Eintracht sich gern zusammentun, um mit Danksagung die Gaben Gottes zu preisen. Nicht ein grämlicher Ernst, der allen Umgang flieht und jeden Lebensgenuss verdammt, nicht ein gesetzliches Wählen und Beobachten der Speisen, aber auch kein fleischliches Schwelgen und rohes Prassen, sondern eine kindliche Freude in dem Herrn - das ist Christentum, das echte und gesunde. Kein Wunder, dass eine solche Gemeinde Gnade hat vor dem ganzen Volk, nach dem Worte Christi: Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euern Vater im Himmel preisen. Kein Wunder auch, dass eine solche Gemeinde eine Mutter vieler geistlicher Kinder wird, und von Tag zu Tag eines gesegneten Zuwachses sich erfreut und in einem gedeihlichen Wachstum steht, indem der Herr täglich hinzutut, die da selig werden, zu der Gemeine. Ach, meine Lieben, dass es noch so wäre in der Christenheit; ach, dass es wieder so würde in der Kirche! Machen können wirs nicht, aber wir hoffen, es wird einmal wieder so werden, wenn der Herr kommt, sein Friedensreich aufzurichten auf Erden. Inzwischen aber wollen wir die Kirche, unsere ehrwürdige Mutter, auch in ihrer gegenwärtigen vielfachen Erniedrigung nicht lieblos schmähen und hochmütig verlassen, sondern wollen Gott bitten, dass er seinen Geist, den Geist der Wahrheit und der Liebe, der Kraft und der Gnade, ihr immer wieder zum Tröster und Helfer sende, und dass er uns unter einander und mit ihm selber verbunden halte in Glauben, Liebe und Hoffnung, und wollen mit einander und für einander beten:
Erhalt uns, Herr, im wahren Glauben,
Noch fernerhin bis an das End,
Lass nichts uns Deine Schätze rauben,
Dein heilig Wort und Sakrament.
Erfülle Deiner Christen Herzen,
O Gott, mit Deinem Gnadenheil,
Und gib nach überwundnen Schmerzen
Uns droben einst das bess're Teil! (Nach Friedr. Konr. Hiller.)
Amen.