Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 6. Sonntag nach Trinitatis.

Brenz, Johannes - Evangelienpredigten - 6. Sonntag nach Trinitatis.

1537.

Matth. 5,20-26.
Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha, der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig. Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst, und wirst allda eindenken, dass dein Bruder etwas wider dich habe; so lass allda vor dem Altar deine Gabe, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder; und alsdann komm, und opfere deine Gabe. Sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf dass dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir: Wahrlich, du wirst nicht von dannen heraus kommen, bis du auch den letzten Heller bezahlst.

Das Evangelium, das wir verlesen haben, ist entnommen aus jener langen, herrlichen Predigt, welche Christus (bei Matthäus) auf einem Berge an seine Jünger gehalten hat; in dieser Predigt aber eignet sich Christus das Amt des Mose an, und legt das Gesetz aus. Denn obschon das Gesetz von Mose deutlich überliefert und von den Propheten ganz klar ausgelegt war, hatten die Pharisäer das Gesetz dennoch durch ihre Überlieferungen so verdunkelt, dass Niemand verstehen konnte, welches der wahre, rechtmäßige Brauch und Sinn des Gesetzes wäre. Christus aber erwählte seine Jünger und vornehmlich die Apostel, damit sie Lehrer des ganzen Erdkreises wären, und nennt sie daher in dieser Predigt das Salz der Erde und das Licht der Welt. Deshalb unterweist er sie im wahren Sinne des Gesetzes, damit sie zuvor recht lernen, was sie Andere lehren sollen.

Indem nun Christus das Gesetz nach seinem wahren, rechtmäßigen Verstande auslegen wollte, tadelt er zu allererst die falsche Auslegung der Pharisäer und ihre erdichtete Gerechtigkeit mit den Worten: „Ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Mit solchem Worte tadelt er sowohl die Lehre als das Leben der Pharisäer. Sie lehrten nämlich, dem Gesetze werde Genüge getan durch äußerliche Werke. Wenn z. B. das Gesetz sagte: „Du sollst nicht töten,“ vermeinten sie, diesem Gebote sei Genüge getan, wenn man mit der Hand nicht getötet habe. Hat man aber durch Neid oder ein Wort dem Nächsten Böses getan, so urteilten sie, das wäre keine Verletzung dieses Gebotes: „Du sollst nicht töten.“ So verstanden sie: „Du sollst nicht stehlen“ nur vom Diebstahl der Hände, nicht vom Geiz und Betrug. So erklärten sie: „Du sollst deinen Nächsten lieben“ nur vom Freunde und Wohltäter, nicht vom Feinde und Übeltäter, und Vieles dergleichen. Was aber geschrieben stand von den Opfern, den Zehnten, das hielten sie aufs strengste. Sie lebten auch gottlos; denn sie bemühten sich zwar, äußerliche Ehrbarkeit in Speisen, in Kleidung, in Gebräuchen zu haben, waren aber dabei voll der größten Ruchlosigkeit gegen Gott, und geplagt von Geiz, Neid und den allerschlechtesten Leidenschaften. Darum sagt Christus: „Es sei denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Das Himmelreich heißt hier das Amt der evangelischen Prediger. Ihr könnt also keine guten Prediger werden, so ihr nicht gelehrter und gerechter werdet als die Schriftgelehrten und Pharisäer. Und um sie gelehrter zu machen und besser zum Verständnis der wahren Gerechtigkeit vorzubereiten, erklärt er ihnen etliche Hauptpunkte des Gesetzes, damit sie demgemäß auch die anderen verstehen.

Er nimmt aber erstlich zur Hand das Gebot im Gesetze, dass man nicht töten soll. Ihr habt gehört (spricht er), dass zu den Alten gesagt ist: „Du sollst nicht töten.“ Das heißt: Die Pharisäer haben das Gebot bisher auf die Weise ausgelegt, dass demselben Genüge geschehen sei, wenn Jemand nicht mit der Hand getötet habe. Ich aber werde euch das Gebot besser erklären, und sage, dass in diesem Gebote nicht nur verwehrt wird der Totschlag der Hand, sondern auch der Totschlag des Herzens, d. i. Neid und der übelwollende Zorn; ferner der Totschlag des Mundes, d. i. Beschimpfung und Schmähung. Demgemäß wird in diesem Gebote vor Allem Liebe verlangt, welche in dem Maße gefordert wird, dass ihretwegen sogar die Gabe zu unterlassen und das Opfer aufzuschieben sei. Man muss also beachten, dass, wie die Pharisäer in der Auslegung dieses Gebotes arg geirrt haben, so die Sophisten noch viel ärger geirrt haben in Bezug auf das Verständnis der Rede, worin Christus das Gebot erklärt. Da ist nämlich das Erste, dass sie gesagt haben, Christus lehre in dieser Rede keine uns verpflichtende Gebote, sondern nur Ratschläge, die man ungestraft bei Seite lassen dürfe. Das ist ein großer Irrtum; denn Christus lehrt hier keine Ratschläge, sondern sehr strenge Vorschriften, weil das, was er lehrt, eine Auslegung des Gesetzes ist. Vom Gesetze aber sagt er kurz vorher: „Ich sage euch wahrlich: bis dass Himmel und Erde zergehe, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch Ein Titel vom Gesetz, bis dass es Alles geschehe.“ Darum sind, was Christus in dieser Rede lehrt, sehr strenge Vorschriften, wie andere Stellen beweisen; denn Christus sagt bald darauf: „Wer eins von diesen kleinsten Geboten auflöst, und lehrt die Leute also, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich.“ Hier siehst du, dass Christus selber seine Lehre Gebote nennt. Und er sagt, derjenige sei der Kleinste, d. h. ein böser und unrechter Prediger im Dienste des Himmelreiches, der anders von diesen Geboten denke und lehre. Außerdem hat er sich noch mit anderen Worten dagegen verwahrt, so dass es keine Ratschläge, sondern Gebote sind. Er setzt nämlich in Bezug auf den Zorn hinzu: „er ist des Gerichts schuldig,“ und bezeichnet damit die äußerste Art des Todes, welche man den Totschlägern oder den Ehebrechern anzutun pflegt. In Bezug auf die Beschimpfung [sagt er]: „sie ist des Rats schuldig,“ und damit wird die Strafe der Ketzer dargetan, welche weiter gehen als einfache Frevler. In Bezug auf die Schmähung wird hinzufügt: „sie ist des höllischen Feuers schuldig,“ und damit wird die allerschrecklichste Strafe dargetan, womit man diejenigen zu belegen pflegt, welche die Welt für einen Fluch hält, oder es wird die ewige Strafe des höllischen Feuers bezeichnet. Wo aber die Todesstrafe entschieden wird und ewige Pein, da ist gewiss kein Ratschlag, sondern das strengste Gebot Gottes. Was Christus daher an dieser Stelle und in seiner ganzen Rede lehrt, das sind die strengsten Gebote Gottes.

Andere meinen, Christus lehre in dieser Rede ein neues Gebot. Deshalb sagen sie, das neue Gebot sei viel wichtiger als das alte, weil im alten nur der Totschlag der Hand verboten sei; im neuen aber wird auch die Leidenschaft und Anderes verboten. Allein auch das ist ein weit verderblicherer Irrtum als alle andere. Christus ist ja nicht vom Himmel gekommen, um ein neues Gesetz zu lehren, sondern um das Evangelium zu bringen. Denn das Gesetz des Herrn war zuvor der menschlichen Vernunft eingeprägt, aufs vollkommenste gegeben und aufgeschrieben durch Mose, und aufs fleißigste ausgelegt durch die Propheten. Denn Mose sagt (5. Mose 30,15) von seinem Gesetze: „Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse.“ Wenn es aber nicht vollkommen wäre, so könnte er nicht Leben und Tod vorlegen. Und 3. Mose 18,5: „Ihr sollt meine Satzungen halten und meine Rechte; denn welcher Mensch dieselben tut, der wird dadurch leben.“ Also ist das durch Mosen gegebene Gesetz vollkommen. Und Psalm 19,8.9: „Das Gesetz des Herrn ist ohne Wandel, und erquickt die Seele; das Zeugnis des Herrn ist gewiss, und macht die Albernen weise. Die Befehle des Herrn sind richtig, und erfreuen das Herz; die Gebote des Herrn sind lauter, und erleuchten die Augen.“ Es würde aber die Augen nicht erleuchten, wenn es nicht vollkommen wäre. Wahrlich! betrachte die Gebote selber und wenigstens etliche Hauptpunkte derselben, und du wirst sehen, das Gesetz sei ganz vollkommen. Denn es heißt: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten als dich selbst“ (Luk. 10,27). Was kann Vollkommeneres geboten werden? So ist nun das Gesetz des Herrn ganz vollkommen, und Christus hat in dieser Rede kein neues Gesetz gegeben, sondern das gelehrt, was zuvor im Gesetz befohlen und geboten war.

Vom Zorne [heißt es] 1. Mose 4,5: „Da ergrimmte Kain sehr gegen Abel;“ sofort aber wird er angeklagt und getadelt. Und 3. Mose 19,17: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen.“ Von einem Worte der Beschimpfung und des Hohnes [heißt es] Hiob 12,4: „wer von seinem Nächsten verlacht wird, der wird Gott anrufen; der wird ihn erhören.“ 2. Kön. 2,23.24 verlachen Knaben in Bethel den Kahlkopf Elisas und halten ihn zum Narren; darum kommen zwei Bären aus dem Walde und zerreißen einen großen Teil der Knaben. Siehe auch das Gebot an: „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“ Matth. 7,12: „Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen.“ Christus hat also kein neues Gesetz gegeben, sondern nur das alte ausgelegt.

Endlich gibt es noch Andere. Wenn diese hören, Christus heische Werke des Gesetzes, so meinen sie, dieselben seien eine Sühne für Sünden. Darum beten sie, fasten und geben Almosen (denn auch diese Werke werden in dieser Rede erklärt), um ihre Sünden durch die Verdienste solcher Werke zu sühnen. Aber auch das ist ein sehr verderblicher Irrtum, weil Christus allein der Sühner unserer Sünden ist. Was also bedeutet es in dieser Rede, wenn er weder Ratschläge noch ein Gesetz, noch Werke lehrt, dadurch für die Sünden Genugtuung geschehen soll? Gewiss will er nichts Anderes, als das alte Gesetz auslegen und uns im Gegensatze zu der Meinung der Pharisäer zeigen, was das Gebot von uns fordert. Es fordert aber, dass wir nicht bloß nicht mit der Hand, sondern auch weder mit dem Herzen, noch mit dem Munde töten, und, so wir das getan haben, des ewigen Fluches schuldig seien. Das will Christus; deshalb sind wir alle verdammt, wenn sich die Sache also verhält; denn wer ist so rein, dass er nicht von Zorn erregt würde, oder zuweilen von Schmähungen wider den Nächsten?

Hier merke erstlich, dass dieses Gebot und seine Auslegung allgemein ist; es finden sich aber Solche, welche persönliche Vorrechte haben, so dass sie ungestraft töten dürfen, z. B. die Obrigkeiten, zürnen, z. B. Eltern gegen ihre Kinder, welche sündigen, einfältig reden, z. B. ein Lehrer, der seinen Schüler zurechtweist. So [tut] Christus, so nennt Paulus die Galater unverständig (Gal. 3,1), aber ungestraft. Das sind persönliche Vorrechte, im Allgemeinen aber ist's verboten. Ferner legt Christus dieses Gebot aus, um uns die Sünden und unsere Verdammnis zu offenbaren. Es gibt nämlich Keinen, auch wenn er ein Vorrecht hat, der nicht gegen dieses Gebot gesündigt hat. Deshalb wird es ausgelegt, dass wir darin wie in einem Bilde unsere Sünden erkennen und gezwungen werden, eine Arznei wider unsere Sünden zu suchen; und da finden wir denn Niemanden als Christum. Haben wir aber Christum durch den Glauben gefunden, so werden wir mit dem Heiligen Geiste beschenkt. Sodann bringt der Heilige Geist die Gerechtigkeit mit sich, und schafft in uns ein reines Herz, soweit das im Fleische geschehen kann, so dass wir nicht nur mit der Hand nicht töten, sondern auch Lauterkeit haben gegen unseren Feind und wandeln im Berufe Gottes.

Das ist die Auslegung des Gebotes vom Totschlag, welches uns vorgehalten wird, damit wir dadurch zu Christo getrieben werden und in Christo Vergebung der Sünden erlangen, damit wir von Sünden ablassen und das ewige Leben haben. Amen.

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