Bender, Ferdinand - Geschichte der Waldenser - Achtes Kapitel. Die Waldenser in der Dauphiné.
„Ob ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch aber vor ihrem Trotzen nicht, und erschreckt nicht.“ 1 Petr. 3, 14,
Die Waldensertäler der Dauphiné bilden mit denen in Piemont, der Lage, dem Glauben und der Geschichte nach, ein unzertrennliches Ganze, das durch die Cottischen und Seealpen, vom Mont Cenis bis zum Mont Viso und Col di Tenda in zwei Hälften geteilt wird. Die evangelischen Glaubensgenossen auf der Ost- und Westseite dieser Gebirgskette standen von jeher mit einander in der innigsten Verbindung. Sie nahmen sich gegenseitig als Brüder auf in den Zeiten der Verfolgung; sie schickten sich gegenseitig Prediger zu; das Schicksal des einen Teiles war vielfach durch das des anderen bedingt. Mag die reine Lehre des Christentums von Abend, oder von Morgen her in die Täler gekommen sein; ihre dortige Verbreitung ist jedenfalls sehr alt, und noch bis auf den heutigen Tag hat sich unter den Talbewohnern die Tradition erhalten, das lautere Evangelium sei lange vor Peter Waldus in ihren Gegenden verkündigt worden.
In der Dauphiné besaßen die Waldenser von Alters her ihre Kirchen zu Faulques und Bauregard in Valentinois; sowie zu la Baume bei Crest. Die berühmtesten Gemeinden aber liegen in den Tälern Fraissinière, Argentière und Loyse, welches letztere von den Feinden der Waldenser Tal der Unzucht (Val Pute) genannt wurde.
Der berühmte Staatsmann und Gelehrte, Jakob August de Thou, gibt uns eine nicht uninteressante Beschreibung der Bewohner des Tales Fraissiniere1). Wir teilen dieselbe hier mit, da sie im Allgemeinen wohl auf alle damaligen Waldenser in den dortigen Gegenden passt.
„Unter allen diesen Tälern ist das von Fraissiniere das schauerlichste und wildeste. Sein Boden ist unfruchtbar und des Anbaues unfähig; weswegen die Einwohner ganz arm sind. Die Kleidung derselben besteht aus Schaffellen, welche, nachdem man sie in einer Salzlake gebeizt und getrocknet hat, auf gleiche Weise von Männern wie von Weibern getragen werden.“ „Statt eines Hutes haben sie eine leinene Haube; sonst gebrauchen sie Leinwand weder an der Kleidung, noch an den Betten, denn in der Regel schlafen sie angezogen auf Streu und unter einem Schafpelze. Sie wohnen im Ganzen in sieben Dörfern. Ihre von Kieselsteinen gebauten Häuser haben flache Lehmdächer. Wird der Lehm durch den Regen aufgelöst, so drücken sie ihn mit einer Walze wieder platt. In diesen Wohnungen hausen Menschen und Tiere neben einander, oft auch unter einander. Außerdem haben sie für unvorgesehene Fälle zwei Höhlen angelegt: in die eine verstecken sie ihre Herden und Zugtiere, wenn sie ein feindlicher Überfall bedroht; in die andere ziehen sie sich selbst zurück. Sie leben von Milch und Wildbret, sind Viehhirten und treffliche Schützen, welche Gämsen, Gazellen und Bären aufs Beste zu treffen verstehen.“ „Diese Güter sind ihre Freude, und bei gleicher Armut Aller haben sie doch keinen Bettler. Sie sind mit sich selbst zufrieden und sehen sich selten nach einer Freundschaft, nie nach einer Verwandtschaft mit Anderen (Andersglaubenden) um.“ „Bei dieser Einfachheit, ja bei diesem elenden und traurigen Leben, was sie auch durch ihr raues und hässliches Aussehen zu erkennen geben, ist es nur zu verwundern, dass sie nicht ganz ungebildet sind. Bei ihnen gibt es keinen, der nicht lesen und gut schreiben könnte. Sie verstehen die französische Sprache, um die Bibel lesen und die Psalmen singen zu können. Man wird unter ihnen nicht leicht einen Knaben finden, der nicht auf die Frage nach dem Glauben, den sie bekennen, fertig und aus dem Gedächtnis Rechenschaft geben könnte. Dies haben sie mit den andern Waldensern gemein. Die Steuern bezahlen sie mit Gewissenhaftigkeit, und das ist, neben der Verehrung Gottes, in ihrem Glaubensbekenntnis ein Hauptpunkt. Sind sie an der Zahlung durch einen Bürgerkrieg verhindert, so hinterlegen sie gleichwohl die zusammengebrachte Steuer, und wenn wieder Friede ist, so lassen sie dieselbe pünktlich an die königlichen Einnehmer auszahlen.“
Jahrhunderte lang können Waldenser in diesen unwirtlichen, abgeschiedenen Tälern unbemerkt und unangefochten von den Häuptern der römischen Kirche gewohnt haben. Während der Albigenserkriege wuchs durch viele Flüchtlinge aus den Provinzen der Grafen von Toulouse die Zahl der Talbewohner, und ihre Verfolgung war unausbleiblich, nachdem die Päpste, seit dem Jahre 1309, ihre Residenz zu Avignon, also ganz in der Nähe der Waldenser, aufgeschlagen hatten.
Im April des Jahres 1373 schrieb Gregor XI. an König Karl V. von Frankreich, dass, außer der Ketzerei der Begharden und Turlupinen, besonders viele Waldenser in Vienne und der Umgegend sich befänden, und den giftigen Samen der Irrlehre immer weiter ausstreuten. Die deshalb dorthin gesandten Inquisitoren, seine geliebten Söhne, fänden aber bei den königlichen Beamten durchaus keine Unterstützung. Im Gegenteil stellten die Letzteren dem heiligen Werke der Ketzervertilgung eine Menge Schwierigkeiten entgegen, so dass es den gedachten Glaubensrichtern nicht möglich sei, gegen die Feinde der Kirche in gehöriger Weise zu verfahren. Der König möge deshalb die geeigneten Mittel treffen, damit die Wirksamkeit der päpstlichen Gesandten in jeder Hinsicht gefördert werde.
Die erste bedeutende Verfolgung gegen die Waldenser in den Tälern der Dauphiné erfolgte im Jahre 1380, und dauerte, mit geringen Unterbrechungen, dreizehn Jahre hindurch. Papst Clemens VII. erließ an die Bischöfe von der Provence und Dauphiné die strengsten Befehle, und belehnte den Franziskanermönch Franz Borrelli mit dem Amte eines Inquisitors, um gegen die Waldenser in den Diözesen Air, Arles, Embrun, Vienne, Genf, Aubonne, Savoyen, Venaissin, Diois, Forest, Orange und Avignon zu verfahren. Der Inquisitor lud dem zu Folge alle Einwohner von Fraissiniere, Argentière und dem Tale Pute, bei Strafe der Exkommunikation, vor seinen Richterstuhl. Sie erschienen aber weder in Person, noch durch Bevollmächtigte. Nun glaubte man sich zu dem schärfsten Verfahren gegen diese Unglücklichen berechtigt. Über zweihundert Waldenser aus den drei Tälern, Männer, Frauen und Kinder, wurden eingefangen, dem weltlichen Arme überliefert und, ohne weitere Prozedur, zu Grenoble den Flammen preisgegeben. Der letzte Urteilsspruch erfolgte im Jahre 1393, zu Embrun. Die Inquisitoren eigneten sich zwei Drittel des konfiszierten Vermögens der Verurteilten zu, während sie dem Landesherrn ein Drittel davon zugestanden. Zugleich erließen sie an die Nachbarn der Verfolgten das Verbot, ihnen auf irgendeine Weise Beistand zu leisten, sie zu verbergen, zu besuchen, zu verteidigen, ihnen Trank und Speise zu reichen, oder auf irgendeine Art mit ihnen zu verkehren. Wer das Verbot übertrete, sei unwürdig, irgendeine Stelle, oder ein öffentliches Amt zu bekleiden, in einem Ratskollegium zu sitzen, als Zeuge aufzutreten, oder eine Erbschaft zu übernehmen. Werden Richter als Freunde und Hehler der Ketzer überführt, so sollen ihre Urteile ohne Rechtskraft sein; Advokaten können nicht als Verteidiger auftreten; Geistliche sind in diesem Falle zu allen Amtshandlungen unfähig, und aller Benefizien verlustig; ihre früheren Amtsbrüder haben ihnen die Sakramente und in dem Todesfall das Begräbnis zu verweigern.
Den habgierigen Richtern gegenüber war Reichtum ebenso gefährlich, als der Verdacht der Ketzerei. Viele der Verurteilten standen mit den Waldensern und ihrer Lehre in durchaus keiner Beziehung, und waren nur ihres Vermögens wegen in die Schlinge des Inquisitors gefallen.
Ebenso willkürlich verfuhren die Glaubensrichter bei den Verfolgungen, welche, im Jahre 1460, der Erzbischof Johann von Embrun gegen die Waldenser in der Dauphiné anordnete. Der: Erzbischof befahl dem Franziskanermönch Johann Veyleti, gegen die Talleute einzuschreiten. Dieser vollstreckte den Befehl mit der schonungslosesten Grausamkeit. Selbst offenbar Rechtgläubige wurden festgenommen, und als Ketzer oder deren Helfer verurteilt2). Viele Katholiken wandten sich darum an den König Ludwig XI. mit der Bitte, den Gewaltschritten des Mannes Einhalt zu tun. Der König erließ hierauf einen offenen Brief, welcher den Zweck und das Verfahren der Inquisitoren zu unumwunden hervorhebt, als dass wir ihn, nicht seinem wesentlichen Inhalte nach, hier mitteilen sollten. „Obgleich die Einwohner der Täler,“ heißt es in diesem königlichen Schreiben, „keinen ketzerischen Glauben haben, und in keinem Aberglauben gegen die katholische Lehre befangen sind, so werden sie dennoch von einigen Bettelmönchen, die sich Glaubensinquisitoren nennen, ungerechter Weise verfolgt, um sich unbefugt ihres Vermögens bemächtigen zu können. Einige Richter und die Inquisitoren selbst ziehen diese armen Leute, ohne allen rechtlichen und vernünftigen Grund vor ihr Tribunal, bringen sie, ohne vorherige Untersuchung, auf die Folter und verurteilen sie wegen Vergehen, deren sie sich niemals schuldig gemacht haben. Dies gereicht nicht bloß diesen armen Leuten, sondern auch uns selbst, dem öffentlichen Wohle und der Dauphiné zum größten Nachteile. Wir wollen darum nicht dulden, dass die Bewohner dieser Täler auf solche Art ferner misshandelt werden; umso mehr, als die armen Leute selbst erklären, nie einen andern Glauben gehabt zu haben, als den christkatholischen. Es soll demnach Keiner als Ketzer verurteilt werden, der nicht hartnäckig solche Glaubenslehren behauptet, die den unsrigen entgegenstehen. Wir verordnen, nach langer und reiflicher Erwägung, um solchem betrügerischen Treiben und unerlaubten Unfug ein Ende zu machen, dass die Supplikanten3) sowohl, als überhaupt alle unsere Bewohner des Dauphinats, dieser Sachen wegen außer Gericht und Prozedur gesetzt werden. Wir schlagen diese Untersuchungen aus eigener Autorität nieder, und erklären dieselben für nichtig. Es sollen an diese Leute keine Ansprüche gemacht werden, weder an Leib noch an Vermögen; es wäre denn, dass Einige darunter sich befänden, die aus Halsstarrigkeit und Widerspenstigkeit Dinge behaupten, welche dem heiligen katholischen Glauben zuwider sind. Damit befehlen wir, dass den Bittstellern und anderen Bewohnern der Dauphiné, die ihnen, oben gedachter Beschuldigungen wegen, oder aus anderen Ursachen entrissenen Güter zurückgegeben, die Schuldscheine verabfolgt, und die etwa bezahlten Gerichtskosten zurückerstattet werden. Und hierzu sollen Alle gehalten sein, welche etwas davon in Empfang genommen haben, sei es durch Kauf, oder Auspfändung, oder Ausweisung aus dem Besitz; und zwar bei Strafe gefänglicher Haft, bis sie den Ersatz an Gütern usw. geleistet, und diesen unseren Willen befolgt haben.“
„Wir verordnen, dass nie mehr Konfiskationen zu unseren, oder unserer Beamten Gunsten stattfinden sollen, indem wir auf die uns daraus etwa entstehenden Ansprüche, zum Vorteil der Kinder und anderen Erben dieser armen Verfolgten, hiermit Verzicht leisten. Um aber allem Betrug und Missbrauch der Amtsgewalt der genannten Glaubensinquisitoren zu steuern, befehlen wir ausdrücklich, dass es nicht mehr solle geduldet werden, dass besagte Inquisitoren künftig, ohne besondere Erlaubnis von uns, gegen irgendeinen Einwohner des Dauphinats gerichtlich verfahren. Wir verbieten daher den Richtern und anderen obrigkeitlichen Personen in den oben bezeichneten oder ähnlichen Fällen eigenmächtig gerichtliche Untersuchungen vorzunehmen, und gebieten, alle Anklagen und Prozesse dieser Art an uns selbst, oder an unseren hohen Rat zu übersenden, dem wir die Entscheidung in diesen Angelegenheiten vorbehalten. Sonach geben wir euch auf, dass ihr diese unsere Befehle, Punkt für Punkt, in Vollzug bringet, in der Art und Weise, die wir oben festgesetzt haben, und wie es die Umstände erfordern. Denn so lautet unser Befehl, und wir erteilen euch hierzu unser Spezialmandat usw. Gegeben zu Arras, am 18. Mai 1478.“
Trotz dieses königlichen Befehls fuhr der Erzbischof von Embrun fort, die Waldenser zu verfolgen, indem er sich auf die Klausel des Briefes stützte: „es wäre denn, dass Einige darunter sich befänden, die aus Halsstarrigkeit und Widerspenstigkeit Dinge behaupten, welche dem heiliger katholischen Glauben zuwider sind.“ Er erpresste von einem Teil der Einwohner von Fraissiniere, Argentiére und dem Tale Loyse eine Erklärung, worin sie die an den König gerichtete Vorstellung als unwahr hinstellten und bezeugten, dass es in der Dauphiné keine größeren Ketzer gäbe, als eben jene, welche sich in der genannten Vorstellung als rein von dieser Sünde erklärt hätten. Die Zeugen, welche der Erzbischof aufstellte, waren fast alle katholische Priester, oder von ihm abhängige Beamte. Zugleich wusste er eine Menge Verleumdungen gegen die Talleute aufzubringen; z. B. dass sie nächtlich sich versammelten, um die schändlichste Unzucht zu treiben: Verleumdungen, mit welchen schon die ersten Christen von ihren heidnischen Feinden waren heimgesucht worden. Diese lügenhaften Dokumente schickte er an den Hof, um den Eindruck zu schwachen, den die Anklage, dass er die Waldenser mehr ihres Vermögens wegen, als aus Eifer für die katholische Lehre verfolgt habe, beim König hervorgebracht hatte.
Der Erzbischof hörte nicht auf, die Waldenser nach Möglichkeit zu verfolgen, so dass sie am Ende ihre Rettung in der Flucht suchen mussten. Noch kurz vor seinem, im Jahre 1487, erfolgten Tode verurteilte der hab- und blutgierige Mann die beiden Bürgermeister von Fraissiniere, Michael Ruffi und Johann Giraud, welche sich seinem eigenmächtigen, dem Willen des Königs widerstrebenden Verfahren entgegengestellt hatten, zum Feuertode.
Bei dem Verfahren gegen die armen Waldenser erlaubte man sich die schändlichsten Betrügereien. Im Besitz der Akten fand Perrin kleine Zettel, in welchen der Franziskanermönch Veyleti die Aussagen der Angeklagten einfach niederschrieb, wie er sie aus deren Mund vernommen hatte. In den Prozessakten aber waren diese Aussagen ganz entstellt, so dass man den Verhörten Dinge sagen ließ, an welche er niemals gedacht hatte. Gefragt z. B., ob er glaube, dass nach den vom Priester in der Messe ausgesprochenen sakramentalen Worten der Körper Christi sich in der Hostie befinde, und zwar so lang und breit, wie er am Kreuze hing - antwortete der Waldenser: nein; Veyleti aber oder dessen Schreiber stellte die Antwort also: er habe bekannt, dass er nicht an Gott glaube. Ferner: gefragt, ob man die Heiligen anrufen solle antwortete der Waldenser: nein; Jene aber schrieben: er habe übel und unehrerbietig von den Heiligen gesprochen. Oder wenn der Angeklagte die Frage: ob man die Jungfrau Maria grüßen und in Nöten anrufen solle? einfach verneinte, so wurde geschrieben, er habe die Maria gelästert. Also war es mit der Wahrheitsliebe jener Mönche beschaffen, und nur dem Finger der göttlichen Vorsehung haben wir die Erhaltung der Akten zu danken, in denen diese Denkmale der Priestermoral und mönchischer Bosheit enthalten sind.
Diese Prozessakten wurden nämlich in den Archiven der Bischöfe von Embrun aufbewahrt, bis diese Stadt, in den Kriegen zwischen der Ligue und den Hugenotten, im Jahre 1585, den Verschworenen entrissen und durch den Marschall von Lesdiguiéres für den König erobert ward. Die Feinde selbst hatten im erzbischöflichen Palast Feuer angelegt, um einen Turm zu verteidigen, in den sie sich zurückgezogen hatten, und einen Gang von Holz zu zerstören, der vom Palast aus in den Turm führte. Bei dieser Gelegenheit wurden die von mehreren Jahrhunderten her aufgehäuften Prozessschriften gegen die Waldenser auf die Straße geworfen. Die damals anwesenden Herrn von Calignon, Kanzler von Navarra, und von Vulcon, königlicher Rat im Parlament zu Grenoble, ließen die Säcke mit Prozessschriften auflesen. Aus diesen Akten sind die hier mitgeteilten Nachrichten entnommen.
Albert von Capitaneis, Archidiakonus von Cremona und Legat Innocenz VIII., ließ, im Jahre 1488, die Waldenser von Dauphiné zuerst mit bewaffneter Macht angreifen. Er sprach den Beistand des königlichen Lieutenants in der Provinz Dauphiné, Hugo de la Palu an. Dieser hob sogleich Truppen aus und zog nach dem Tal Loyse, das ihm Albert als den Aufenthalt der Waldenser bezeichnet hatte. Damit aber die Sade in rechtlicher Form und mit größerer Autorität geführt würde, ließ sich Palu von dem Parlamentsrat Jean Rabot begleiten. Die Einwohner hatten unterdes das Tal verlassen und waren auf die Höhe der Berge entflohen, wo sie sich mit Frauen und Kindern, und was sie sonst von Wert mitnehmen konnten, in Höhlen verborgen hielten. Palu ließ sogleich Holz herbeitragen und am Eingang der Höhlen in Brand stecken, so dass die armen Menschen teils im Rauch erstickten, teils verbrannten. Viele stürzten sich von der Höhe herab und zerschmetterten an den Felsen; die noch Lebenden starben unter den Piken der Soldaten. Man fand in den Höhlen die Leichen von vierhundert kleinen Kindern, teils in Wiegen, teils in den Armen ihrer gleichfalls erstickten Mütter. Allgemein haben die Waldenser der benachbarter Täler behauptet, dass in jener Verfolgung gegen das Tal Loyse mehr als dreitausend den Tod erlitten. In der Tat waren in jenem Tal die Menschen gänzlich ausgetilgt, so dass von dieser Zeit an dasselbe von neuen Einwohnern bevölkert wurde, unter denen sich keine Familie jener früher dort einheimischen Waldenser befand.
Um zu verhüten, dass die Glaubensgenossen der benachbarter Täler das Tal Loyse bezögen und da ihren Wohnsitz nähmen, verteilte Palu die Güter und Besitzungen der gemordeten Einwohner nach Gutdünken. Während dieser Teilungen gewannen die Bewohner von Pragelas und Fraissiniere Zeit, um auf ihre Sicherheit zu denken und erwarteten wohlgerüstet die Feinde an den Engpässen ihrer Täler. Als die Feinde mit Gewalt eindringen wollten, wurden sie überall mutig zurückgeschlagen.
Albert von Capitaneis, der unterdessen eine andere Bestimmung erhalten hatte, ernannte an seine Stelle den Franziskanermönch Franz Ploireri. Im Jahre 1489 setzte derselbe die Verfolgungen gegen die Waldenser von Fraissiniere fort. Er befahl ihnen, vor ihm in Embrun zu erscheinen. Da sie ausblieben, wurden sie exkommuniziert, und als halsstarrige Ketzer, unter Konfiskation ihres Vermögens, dem weltlichen Arm überliefert. Das Urteil wurde in der Kathedrale von Embrun verkündigt, und dann, nebst zwei und dreißig Glaubensartikeln der Waldenser und mehreren von dem Franziskanermönche aufgebrachten Beschuldigungen an dem Haupteingange der Kirche angeheftet.
Viele Waldenser starben auf dem Scheiterhaufen. Wer es wagte, sich für einen der Angeklagten zu verwenden, wäre es auch der Vater für das Kind, wurde sogleich eingezogen und als Ketzerfreund verurteilt.
Mit welcher Gewissenlosigkeit die Untersuchungen auch hier geführt wurden, zeigt das Verhör zweier, im Jahre 1492, ergriffenen Barben, Franz Gerondin und Peter von Jakob. Auf die Frage, warum die Sekte der Waldenser sich so auffallend vergrößere und sich schon von so langer Zeit her in diesen Gegenden ausbreite? ließ der Mönch die Antwort des Barben Gerondin auf folgende Weise niederschreiben: das liederliche Leben der Geistlichen ist daran schuld, die Kardinäle sind habsüchtig, hochmütig und üppig; Jedermann weiß, dass Päpste, Kardinäle, und Bischöfe gemeine Dirnen halten, dass es wenige oder keine gibt, die nicht ihr Serail hätten; es fällt daher den Barben nicht schwer, das Volk zu überzeugen, dass die Religion solcher schamlosen Menschen keine gute sein könne, da sie so schlechte Früchte trage.“ Gleich darauf aber lassen die Richter auf die Frage, was die Waldenser in Beziehung auf unzüchtige Handlungen lehren? denselben Barben antworten: „Unzucht sei keine Sünde, außer der Mutter mit dem Kinde.“ Welch ein Widerspruch! Und wie hätten jene Barben die Leute von der römischen Kirche abwenden können, wenn sie die Priester wegen einer sündigen Handlung verdammen, die sie doch selbst nicht für Sünde halten?
Im Jahr 1494 wurden die Verfolgungen erneuert, Damals erhielt Anton Fabri, Doktor und Kanonikus von Embrun, vom Papst den Auftrag, gegen die Waldenser der Dauphiné zu verfahren. Nicht uninteressant ist hier der Prozess gegen eine gewisse Peironnette von Beauregard, in Valentinois, Witwe eines nicht weiter bekannten Peter Beraud. Gefragt, ob sie schon waldensische Barben gesehen und gehört habe, antwortete sie anfänglich und beharrlich mit Nein. Bedroht, in das Gefängnis geführt, oder auf die Folter gelegt zu werden, bekannte sie endlich: Es mögen etwa 25 Jahre sein, dass zwei graugekleidete Männer in das Haus meines Mannes gekommen sind. Einer davon fragte mich: habt ihr nie von einer Hand voll Leute gehört, ohne welche die Welt ihren Untergang finden würde. Darauf fuhr der Mann fort, er sei da, um mit mir von dieser kleinen Herde zu reden und sie mich kennen zu lehren. Zur kleinen Herde gehörten nämlich die, welche aus den Geboten Gottes wüssten, wie man ihm dienen solle. Sie gingen daher durch die Welt, um die Menschen zu lehren, wie man Gott müsse verehren und anbeten, und wie man die Missbräuche der römischen Kirche abschaffen könne. Auch hat mir der Mann gesagt, dass man Andern nicht tun solle, was man selbst nicht wolle getan haben; dass man den einzigen Gott, indem er allein uns helfen könne, nicht aber die abgeschiedenen Heiligen anbeten solle; dass man nicht solle schwören; dass man die eheliche Treue bewahren müsse; dass man den Sonntag feiern solle, es aber nicht nötig sei, die anderen Feiertage zu halten; dass die Geistlichen zu reich seien, und deshalb ein schändliches Leben führten; dass der Papst so bösartig und gottlos sei, wie jeder andere, und dass er demnach keine (geistliche) Gewalt habe. Ferner hat mich der Mann belehrt, dass es kein Fegfeuer gebe, nur einen Himmel für die Guten und eine Hölle für die Bösen; dass die Gesänge und anderen Handlungen der Priester für die Seelen der Verstorbenen nichts helfen; eben so wenig ihr Umherwandeln auf den Friedhöfen unter dem Absingen des „Herr erbarme dich!“ Dass es besser sei, den Armen zu geben, als den Priestern zu opfern; dass das Kniebeugen vor den Bildern der Heiligen zwecklos sei. Endlich hat der Barbe mir auch gesagt: die Priester, welche Geld nehmen für das Messelesen, glichen dem Judas, der seinen Herrn für Geld verkaufte; und die, welche das Geld für Messen zahlten, seien den Juden ähnlich, welche unsern Herrn um Geld gekauft haben. Die Angeklagte wurde bis auf Weiteres von den Inquisitoren entlassen, nachdem man Alles von ihr erfahren, was ihr von der Waldensern bekannt war.
König Karl VIII. war im Jahre 1498 gestorben, und der neue Erzbischof von Embrun, Rostain, begab sich zur Krönungsfeier Ludwigs XII. Die Bewohner von Fraissiniere beschlossen nun, ein Gesuch um Herausgabe ihrer von Erzbistum und den Inquisitoren eingezogenen Besitztümer an den König zu richten. Dieser empfing die Deputierten der Waldenser gnädig, und verwies die Sache an den Kanzler und seinen hohen Rat. Als hierauf der Kanzler deshalb mit dem Erzbischof Rücksprache nahm, so erwiderte dieser die Rückgabe, welche diese Leute verlangten, betreffe ihn nicht - die Güter seien von den Inquisitoren lange vor seinem Dienstantritt konfisziert worden. Die Waldenser aber drangen darauf, dass dem Erzbischof aufgegeben werde, ihnen namentlich die Grundstücke herauszugeben, welche den Domänen des Erzbistums einverleibt worden waren.
Der König ernannte nun seinen Beichtvater und einen Official von Orleans zu Kommissaren, welche sich, i. J. 1501, nach Embrun begaben, um die ganze Sache sorgfältig zu untersuchen. Beide traten entschieden den Anmaßungen und Kunstgriffen des Erzbischofs entgegen. Der Beichtvater des Königs soll sogar im Gasthofe zu Embrun öffentlich erklärt haben, er wünsche ein ebenso guter Christ zu sein, als der schlimmste in Fraissiniere. Mit Hilfe der Prozessakten welche ungefähr eine Maultierlast betrugen wurde die Sache der Waldenser sorgfältig untersucht und der Bericht, welchen die beiden Kommissare dem Könige über das Leben und die Sitten derselben übergaben, lautete so günstig, dass Ludwig XII. folgenden offenen Brief erließ:
„Ludwig von Gottes Gnaden, König von Frankreich rc. Nachdem zu unserer Kenntnis gekommen ist, dass die Einwohner von Fraissiniere schwere Übel und Verlegungen, Mühen und Verluste erlitten haben, und da wir wünschen, dass ihnen die entzogenen Güter, Mobilien und Immobilien, wiedererstattet werden: so befehlen wir durch Gegenwärtiges allen denen, welche jetzt besagte Güter im Besitz haben, dass sie unverzüglich und ohne Aufschub darauf Verzicht leisten, sie herausgeben und entweder an die Bittsteller selbst oder an deren Prokuratoren, an den betreffenden Wohnorten zurückerstatten. Im Fall einer Opposition, Weigerung oder eines Verzugs werden wir in Rücksicht auf die Armut und die Drangsale, welche diese Leute so lange trugen und noch tragen, ohne Gerechtigkeit erlangen zu können, die wir ihnen doch von ganzen Herzen möchten angedeihen lassen, - uns in eigener Person ihrer Sache annehmen, und ihre Gegner, die ihnen das Recht verweigern, auf einen bestimmten Termin vor uns laden rc.“ Gegeben zu Lyon am 12. Okt. 1501..
Nun erklärten die meisten der Schuldner, weil der Herr Erzbischof den besten und schönsten Teil jener Güter im Besitz habe, so möge er mit gutem Beispiel vorangehen; umso mehr, als dasjenige, was sie von jenen Gütern besäßen, ihnen als Belohnung für ihre Mühewaltung, und zwar aus den Händen seines Vorfahren, Johann, zugeflossen sei. Hierauf erwiderte der Erzbischof Rostain: er besitze keine Güter der Bewohner von Fraissiniére, es seien nur einige Grundstücke von Rechtswegen seinem Erzbistum beigefügt, und mit der Kirche seines Amtsvorfahren vereinigt worden; diese Grundstücke gehörten zu deren Eigentum und Gerichtsbarkeit, wogegen kein Befehl des Königs in Vollzug gesetzt werden könne. Er bezweifle darum auch, dass hierin nach dem Willen des Königs verfahren werde, der gleich seinen berühmten Vorfahren ein Beschützer der Kirche sei. Um jedoch zu zeigen, wie sehr er sich bestrebe, dem Willen desselben nachzukommen, willige er ein, besagte Ländereien den Einwohnern von Fraissiniere in Pacht zu überlassen, vorausgesetzt, dass die anderen Besitzer ihnen gleichfalls die von ihnen erhaltenen Grundstücke in Pacht geben würden,
Also wurden die armen Leute in ihrer Erwartung abermals getäuscht; denn Niemand wollte etwas von dem Erhaltenen herausgeben, und ihre Gegner hatten am Hofe ein Menge der einflussreichsten Freunde. Die Waldenser gedachten sich nun an den Papst Alexander VI. zu wenden, um von ihm eine Absolutionsbulle zu erhalten; aber davon riet man ihnen ab, und gab ihnen den Rat, sich mit dem Kardinallegaten in Frankreich, Georg de Sancto Christo, zu verständigen, indem diese Bulle alsdann mit weniger Kosten erlangt werden könne, und der Beichtvater des Königs ihnen dazu behilflich sein werde.
Sie erhielten hierauf zwei Bullen, welche sich bei den Prozessakten gegen die Waldenser befanden. Die eine Bulle erteilt Absolution für Simonie, Diebstahl, Mord, Wucher, Ehebruch, unrechtmäßigen Besitz von Benefizien, Zerstörung von Kirchengut, gewalttätige Handlungen gegen Kleriker, Meineid, Betrug, Apostasie und Ketzerei; endlich für alle Verbrechen, sie mochten so groß sein, als sie wollten. Und damit der Erzbischof nicht sagen könnte, dass durch diese Bulle die Bewohner von Fraissiniere nicht absolviert seien, da sie durch die vom Papst selbst hierzu berufenen Kommissarien und Inquisitoren verurteilt wären, so empfingen sie eine zweite Bulle, welche die ausdrückliche Klausel enthielt: dass der Kardinallegat vom Papst selbst Machtvollkommenheit empfangen habe, Entscheidung zu geben in allen Dingen, welche von den Deputierten des heiligen Vaters, oder deren Untergebenen, abgeurteilt seien, und er hiermit Alle losspreche, die in solcher Weise verurteilt worden.
Allein auch um diese Bullen kümmerte sich der Erzbischof nicht, und behauptete, dass sie durch Überraschung und ungestümes Drängen erwirkt worden; die Absolution müsse vom Papst selbst erfolgen. Aber wenn auch die armen Leute Absolution vom Papst selbst erhalten hätten, würde er doch nicht nachgegeben haben; denn er wusste wohl, dass damals in Rom Alles mit Geld auszurichten war. Nicht umsonst hieß es: „Papst Alexander verkauft Kreuz und Altäre und Christum, Und er tut es mit Recht; hat er's doch selber gekauft. Tempel, Priester, Altäre und Heiligtümer und Kronen, Feuer, Weihrauch, Gebet ist feil, der Himmel und Gott selbst.4)
Der Erzbischof war schuld, dass auch die Andern im Besitz blieben, obgleich Mehrere vor Gericht gezogen wurden. Die Talbewohner kamen nie wieder zu ihrem Eigentum. Doch genossen sie nun einige Zeit Ruhe.
Unter der Regierung Franz II. suchte der Präsident Truchon, den 16. Nov. 1560, die damals versammelten Stände zu bewegen, neue Verfolgungen gegen die Waldenser anzuordnen, um, wie er sich ausdrückte, diesen alten Sauerteig wegzuschaffen, der im Stande sei, das ganze Dauphinat zu versäuern, wenn nicht bald dazu getan würde. Demnach wurde der Beschluss gefasst, sie mit offener Gewalt auszurotten. Es wurden Truppen ausgehoben, und ein Einfall in die Täler angeordnet; aber als schon die Trommel gerührt wurde, starb plötzlich, am 5. Dezember, der König. Nun unterblieb der Kriegszug gegen das arme Volk.5)