Tholuck, August - Apostelgeschichte 2,42 - "Die erste Christengemeinde ein Vorbild für unsere kirchliche Verbindung."

Tholuck, August - Apostelgeschichte 2,42 - "Die erste Christengemeinde ein Vorbild für unsere kirchliche Verbindung."

Das Wort der Andacht, welches wir in unserm letzten Gottesdienste erwogen haben, hat in dem Herzen manches von euch, meine Andächtigen, eine gute Statt gefunden. Es ist dies davon die Folge gewesen, daß unsere Betrachtung sich unmittelbar an das Bedürfniß des Lebens angeschlossen hat. O daß nur öfter die Worte der Predigt unmittelbarer in das Leben der Gemeinde hineingriffen; sie würden sich auch öfter als eine Macht über dasselbige offenbaren. Die Predigt soll nicht aus den irdischen Verhältnissen herauswachsen, aber vom Himmel stammend soll sie sich als ein fruchtbarer Keim in die irdischen Verhältnisse versenken. Einer rechten Predigt soll man es anmerken, daß sie den Himmel zum Vater und die Erde zur Mutter hat. Warum geht der eine Theil der Predigten so kühl über Kopf und Herz hin, weil zwar die irdischen Verhältnisse nach allen Seiten hin beleuchtet werden, aber in dem von unten entsprungenen Lichte statt in dem von oben gegebenen. Sie haben die Erde zur Mutter, aber nicht den Himmel zum Vater. Warum geht eine andere Hälfte der Predigten über Kopf und Herz hin? Weil zwar die himmlischen Dinge darin betrachtet werden, aber ohne sie einzuführen in die Straßen, Hütten und Werkstätten der Erde. Sie haben den Himmel zum Vater, aber nicht die Erde zur Mutter. Vielleicht darf ich annehmen, daß in manchem von euch der Ton von jener letzten Andacht nicht verhallt ist. Was thut unserm Gottesdienste Noth, damit er ein rechter Gottesdienst sei? so fragten wir uns. Lasset eine verwandte Frage am heutigen Tage uns zu Herzen gehen: was thut unserer kirchlichen Verbindung Noth, damit sie eine rechte sei? Wir finden das ausgesprochen in den Worten der Apostelgeschichte Kap. 2, V. 42. „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, und in der Gemeinschaft, und im Brotbrechen, und im Gebet.

Die erste Christengemeinde ein Vorbild für unsere kirchliche Verbindung; dies sei die Wahrheit, die wir zu Herzen nehmen wollen. Ihr habt vielleicht alle einmal, meine Geliebte, einen Hausstands von etwa zehn bis zwanzig Menschen kennen lernen, welche die Liebe verbunden hat; vielleicht habt ihr sogar solche kennen lernen, welche der Glaube verbunden hatte, der Glaube an den Vater unsers Herrn Jesu Christi. Wer so ein Bild einmal in seinem Leben gesehn hat, der vergißt es nicht wieder. Und nun denkt euch hier eine Familie von bereits dreitausend Menschen, zu denen täglich neue hinzukamen, und die zu einander eine solche Liebe hatten, daß sie alle Tage zusammen waren, und daß ihrer aller Gut gemein war, die gegen die Menschen außerhalb eine solche Liebe hatten und erwiesen, daß sie, wie es heißt, „Gnade hatten bei allem Volke,“ und die zu ihrem Gotte so standen, daß das Lob Gottes der Grundton ihres ganzen Lebens war. Da habt ihr das wunderbar erhabene Bild von dem, was die christliche Kirche seyn soll, wie Paulus im Briefe an die Epheser sie schildert - „ein Leib, an dem Christus das Haupt ist, und wo ein Glied an dem andern hänget durch allerlei Fugen und Gelenke, und der Leib aufwächst zu seiner selbst Besserung, und das alles in der Liebe.“ Und wenn die zweihundert Millionen auf der Erde, die jetzt Christen heißen, Christen wären, und wenn die zweihundert Millionen nur Eine solche Familie bildeten - o Christen, dann brauchten wir nicht mehr zu sterben, um in den Himmel zu kommen, dann wäre der Himmel auf Erden da. Je mehr ein solcher Gedanke uns nur vorkommt, wie ein Ideal, das der Würklichkeit durchaus fern steht, o Christen, desto deutlicher ist es, wie Noth es sei, daß unsere kirchliche Gemeinschaft ganz erneuert werde nach dem Vorbilde der Kirche der ersten Zeiten.

Und zwar lasset uns genauer betrachten, in welchen Stücken jene Gemeinde der ersten Christen unserer kirchlichen Gemeinschaft ein Vorbild seyn soll. Zwei Stücke werden an ihnen gerühmt: 1) daß sie beständig blieben in der Apostel Lehre, und 2) daß sie beständig blieben in der Gemeinschaft, in dem Brotbrechen und dem Gebet, denn diese drei Stücke machen ein Ganzes aus.

Sie blieben beständig in der Apostel Lehre, also in der Einheit des Glaubens, und diese Einheit des Glaubens ist ihre Einheit im Lieben und Leben gewesen. Wie es nun in dem Stücke unter uns steht, brauche ich euch es zu schildern? Wohl tönt jenes Bekenntniß, das, aus den Zeiten der ersten Christenheit herstammend, den Namen des apostolischen Glaubensbekenntnisses führt, und welches die verschiedenen christlichen Confessionen zu Einer Kirche vereinigte sechzehn Jahrhunderte hindurch, auch noch an unsern Altären, noch spricht nicht bloß in seinem, sondern eurer aller Namen der Priester an jedem Sonntage: „Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, und an Jesum Christum seinen eingebornen Sohn.“ Noth sprechen es nicht bloß die Lippen, sondern auch die Herzen von Hunderttausenden nach, aber wo wäre die christliche Versammlung, wo nicht heut zu Tage der eine und der andere gefunden würde, der, wenn die Gemeinde ein freudiges Amen jauchzt, nur einen leisen Seufzer hat, mit dem er es begleiten kann!

Ach, die Einheit unseres apostolischen Glaubens ist zerrissen, und der Riß, der die Mauern der Kirche zerspalten hat, ist weiter durchgegangen durch die bürgerlichen Verhältnisse, durch das gesellige Leben, durch die Kreise der Familien und durch viele einzelne Christenherzen. Der Prediger kann nicht mehr mit der Gemeinde, der Vater nicht mehr mit dem Sohne, der Gatte nicht mehr mit dem Gatten ein gemeinsames Glaubensbekenntniß ablegen. Und indem wir die Einheit des Glaubens an göttliche Wahrheit verloren haben, so haben wir auch die Einheit in der menschlichen Wahrheit verloren. Blicket hin auf die bürgerlichen und geselligen Verhältnisse: welcher Kampf der Parteien und der Meinungen! Wir wissen es in unsern geselligen Kreisen, wie unsere Ansichten auch über unzählige Punkte der menschlichen Wahrheit sich feindlich entgegen stehen, und nur behutsam gehen wir mit einander um, um den wunden Fleck nicht zu berühren. Absichtlich werden die gemeinen Dinge des Tages der Mittelpunkt unserer Gespräche, dieweil wir uns fürchten, daß, wenn wir in tiefere Regionen eindringen, unaufhaltsam die Zwietracht herausbreche. Und ist das eine christliche Gemeinschaft? Woher aber der Zwiespalt? Weil unser Glaubensband in göttlichen Dingen zerrissen ist. Der religiöse Glaube aber, dem ich solche Macht über das übrige Denken und das ganze Leben zuschreibe, ist freilich nicht ein bloßes Meinen. Der Glaube, von dem der christliche Prediger spricht, ist niemals ein bloßes „meinetwegen,“ er ist ein „Amen,“ das der ganze Mensch mit Leib und Seele spricht. Wenn aber ein Mensch mit solchem Glauben an göttliche Dinge glaubt, dann, begreift ihr auch wohl, giebt es keine größere Macht in einem Menschenleben, als den Glauben, dann werden auch die Ansichten und Meinungen über alle andere Dinge von diesem Mittelpunkte aus regiert werden. Ja, eine solche Macht ist das, was ein Mensch in göttlichen Dingen glaubt, über ihn, daß man sagen kann: Was du glaubst, das lebst du! - ja, nicht nur dies, sondern auch das kann man sagen: Was du nicht glaubst, das lebst du. Eine eben solche Macht ist nämlich gleicherweise der Unglaube; denn es ist eine ganz falsche Meinung, Geliebte, wenn ihr den Unglauben an die Wahrheit bloß für ein Nicht glauben an die Wahrheit anseht. Mit Nichten! Man kann nicht auf dem Gebiete der Religion zur Wahrheit Nein sagen, ohne daß man zur Lüge Ja sagt. Auch der Unglaube an die Wahrheit ist ein Glaube, und ist eine Macht über das Leben, über das Denken und Treiben, er ist ja der Glaube an die Lüge. Glaubst du nicht, daß Gott dein König und Herr ist, so bist du dein eigener König und Herr; glaubst du nicht, daß du Christum als Erlöser brauchst, so glaubst du, daß du dein eigener Erlöser seyn kannst; glaubst du nicht, daß der Thronengel Gottes deiner wartet an dem Rande der Ewigkeit, so glaubst du an die Würmer, die in der Grube deiner warten; glaubst du an keinen Himmel und keine Hölle, so glaubst du an die ewige Vernichtung. Es giebt kein Nein im Reiche des Glaubens, das nicht auch sein Ja bei sich hätte, darum auch die Schrift nur von zwei Reichen weiß, und wer nicht ein Kind ist des Reiches des Lichtes, der ist ein Kind des Reiches der Finsterniß. Ist aber das Glauben und das nicht Glauben von solchem Einflusse auf alle Ansichten, ja ist es eine solche Macht im Leben, so sehet ihr, Geliebte, indem wir das Glauben der ersten Christengemeinde verloren haben, haben wir zugleich ihr Leben verloren, und soll die Einheit ihres apostolischen Liebens unser Vorbild werden, so muß zuerst die Einheit ihres apostolischen Glaubens unser Vorbild werden.

Und wie finden wir diese Einheit wieder? Und wer heilt den Riß, der durch die Mauern Jerusalems gegangen ist vom Scheitel bis zu den Grundvesten? O ihr Jünglinge, die ihr euch bewußt seid, wie ihr erst aus Akademien in ein Meer von Meinungen und Zweifeln hineingestürzt worden seid, von denen euer glückliches Knabenalter nichts wußte, ich begreife es wohl, wenn viele von euch als zu den einzigen Helfern in dem Stücke zu den Gelehrten und zu den Meistern der Schulen auf den Lehrstühlen aufblicken. Das mögt ihr, aber wißt ihr, Geliebte, zu wem ich, wenn davon die Rede ist, die alte Kraft und die alte Einheit des Glaubens in die Mauern unserer Kirche zurückzuführen, wenigstens zunächst aufblicke? - nicht zu den Meistern auf den Lehrstühlen und nicht zu den Häuptern der gelehrten Welt, sondern zu euch Müttern und Vätern in der Kinderstube, zu euch allen, denen das Heiligthum von Kinderherzen anvertraut ist oder anvertraut werden wird. Allzunahe liegt es dem, der den Wissenschaften obliegt, zu vergessen, wie alle großen Umwälzungen wenigstens im Reiche der theologischen Wissenschaft ihrem letzten Grunde nach nicht aus dieser selbst, sondern auf ganz anderm Boden den Anfang nehmen. Denket zurück an die großen Gottesmänner des christlichen Alterthums, deren Geist sein Scepter durch Jahrhunderte hin streckte, und ,deren Wort für Millionen ein Lebensstern wurde, auf einen Augustinus, Chrysostomus und Bernhard - wo sind sie geworden, was sie waren? Wo hat des Glaubens heilige Flamme zu ihrem Herzen den Weg gefunden? Zu den Füßen der Weisen der Welt? In den Hallen der Wissenschaft? Nein, in der Kinderstube, sage ich euch, an der Brust treuer, betender Mütter. Es ist nur kurze Zeit verflossen, seit in unserer Hauptstadt ein Gottesgelehrter starb, den Deutschland unter seine ersten Männer zählte; er starb, wie ihr es wissen werdet, nachdem er in der letzten Stunde, in klarem festem Geiste die Seinigen um sein Sterbelager versammelt, sich selbst und ihnen das Gedächtnißmal der Versöhnung gereicht, mit lautem Bekenntnisse bekannt hatte, im Leben und im Sterben keinen andern Trost zu wissen, als Christum, den Sohn des lebendigen Gottes. Wohl hat auch dieser Mann an der Zerwürfniß und dem Meinungszwiespalte der Zeit Antheil gehabt, dennoch ist er durch das, was er vom Glauben sich erhalten und von der Wahrheit in Christo auf Kanzel und Katheder verkündigt und mit großer Geistesgabe gerechtfertigt hat, in den Zeiten des Abfalls ein Zeichen geworden, um das viele von den Gebildeten unseres Geschlechts sich versammelt haben, und haben aufs Neue ihre Kniee beugen lernen vor dem eingebornen Sohne Gottes voller Gnade und Wahrheit. Und wo hatte der würdige Dahingeschiedene die heilige Flamme der Verehrung Jesu in sein Herz aufgenommen? In den Hörsälen der Weltweisen? Zu den Füßen der Schriftgelehrten? Ich sage euch: nein! dort ist er in die Kämpfe hineingeschleudert worden. Aber an treuer Mutterbrust, im Kreise einer Gemeinde, wo, während auf den meisten andern Altären die Opferflamme erloschen war, auf einem stillen Hausaltare sie fortbrannte in der kalten, öden Zeit: da hat der Knabe das heilige Samenkorn gefunden, das in dem Manne aufgegangen ist unter allen Kämpfen mit einer Weisheit, welcher der Gekreuzigte eine Thorheit war! O ihr meine Brüder, denen es am Herzen liegt, daß die Einheit des apostolischen Glaubens wiederkehre; o möchte ich euch mit allem dem Ernste, den es werth ist, das Heiligthum der Kinderseelen an das Herz legen können! Die segensreichsten Umwälzungen in der Kirche, ich sage euch, sie weisen in ihren ersten Anfängen in die Kinderstube zurück. Der christliche Glaube ist nämlich eine Sache, die auf Erfahrung beruht. Ist erst der Mensch in die Jahre der Verstandesentwickelung hineingetreten, so schiebt sich leicht ein Riegel vor, daß diese Erfahrung nicht mehr in das Herz hinein kann. Dann kennt aber auch der Zweifler gar nicht seinem wahren Wesen nach das, worüber er streitet. Aus diesem Grunde ist es so außerordentlich wichtig, daß die Erfahrung des Lebens aus Gott schon beim Kinde, das sich willig und vertrauungsvoll denen hingiebt, die es leiten, gepflanzt werde. Die nimmt es dann mit, und wie sehr dann auch in den Jahren der Verstandesentwickelung der Zweifel sie antaste: der auf Erfahrung gegründete Glaube wird den Verstand selbst in einen Bundesgenossen umwandeln, der für ihn streiten muß. Manche Aeltern sind unter uns, Hunderte von gegenwärtigen oder künftigen Erziehern von Kinderseelen: wollt ihr die Einheit des Glaubens in den Schooß der Kirche zurückführen, o Geliebte, pflanzet ihn in die Kinderseelen! Aber das lasset euch dabei gesaget seyn, ihr künftigen Erzieher eines kommenden Geschlechts, Religion kann man nicht lehren, ohne sie zugleich zu wecken; unverstandene Klänge sind es, was ihr von Gott, von der Ewigkeit und von Christus zu ihnen redet, so bald ihr dieselbige Erkenntniß nicht zugleich in ihrem Herzen wecket. Und wie wollet ihr sie wecken? Wie anders, als durch das Gebet! Das Gebet, das ist das einzige Mittel, um jenes unmittelbare Bewußtseyn der heiligen Wahrheit in den Kinderseelen hervorzurufen. O wer von euch so glücklich war, in seiner Kindheit einmal einen seiner Lehrer aus voller Inbrunst über das beten zu hören, was er ihn gelehrt hatte, ihr werdet es wissen, es ist ein unvergänglicher Segen für die Kinderherzen, wenn die Erzieher mit ihnen beten. - Doch die Fluren haben lange Zeit brach gelegen, und so wie eure Jugend zum Theil ohne das Gebet eurer Lehrer gereift seyn wird, so wachsen noch Hunderttausende ohne dasselbe auf. Noth stärkere Züge Gottes werden erforderlich seyn, wenn die Einheit des Glaubens wiederkehren soll; vielleicht werden auch diese nicht aus den Gelehrtenstuben kommen. Ihr wißt es, durch einen Theil unserer Kirche ist ein Lebenshauch hindurch gegangen. Und wo ist der hergekommen? Aus den Gelehrtenstuben und Hörsälen? Ich sage euch Nein - von den Schlachtfeldern. Mit Blut hat Deutschlands Boden gedüngt werden müssen, ehe es wieder auf die Stimme Gottes und unsers Erlösers merken hörte. Vielleicht daß noch einmal der Herr der Heerschaaren die Zuchtruthe schwingen muß, daß noch einmal die Grundvesten der Erde erbeben müssen, damit die Götzentempel der Zeit stürzen.

Die rechte Einheit des Glaubens, haben wir gesehn, sie führt auch nothwendig herbei die Einheit im Leben und Lieben. Sie blieben, heißt es, beständig in der Gemeinschaft, und darunter ist verstanden theils die Gemeinschaft hin und her in den Häusern, theils die in dem Tempel zu Jerusalem, denn das war der Ort, wo sie damals noch sich zur Anbetung versammelten. Wie nun die Gemeinschaft, die sie außer dem Tempel hatten, beschaffen gewesen sei, das er, sehen wir aus dem Zusatze: im Brotbrechen und im Gebet. Ihre Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft gewesen im Gebet. Von zweierlei Art ist das Gebet seiner Form nach und nach seinem Inhalt. Es ist ein leises Zwiegespräch mit Gott, welches still im Herzen fort und fort tönt - es wird laut im Worte: das ist seine Verschiedenheit in der Form. Dieses laute Gebet, es erhebt seine Schwingen, wenn jenes stille Gebet mit steigender Macht die Brust durchwogt. So haben jene Jünger des Herrn ihr Leben lang und auch in ihren Versammlungen das ununterbrochene Zwiegespräch mit dem Heilande geführt, der, nachdem ihr leibliches Auge ihn nicht mehr sah, unvergänglich vor dem Auge ihrer Seele stand; namentlich aber bei ihren Versammlungen ist es laut geworden. Wiederum ist, dem Inhalte nach, das Gebet der Ausdruck des Lebens und Dankens, und der Ausdruck der Sehnsucht und des Verlangens. Sie hatten so viel empfangen, des waren sie sich bewußt, wie ihre Briefe es aussprechen: und so war voll Betens und Lobens ihre Seele alle Wege. Und doch hatten sie nur die Erstlinge, und noch viel mehr sollte ihnen zu Theil werden: so strömte ihre Seele immerdar aus Gebete der Sehnsucht und des Verlangens. Ihr Gebetsdrang ist aber so stark, daß er sich verleiblichen muß, und es geschieht im Genusse des heiligen Abendmahls. Zum Gedächtniß hatte der Herr es verordnet, und wie die Art des Genusses es bezeugt, zum Gedächtniß seiner versöhnenden Liebe. Diese nun hatten sie gekostet, und riefen aus, wie es Paulus thut: „So wir denn nun gerecht geworden sind durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott.“ So war der Genuß des heiligen Mahles nur der Ausdruck dessen, was sie schon hatten, er war ein erhöhetes Dankgebet. Aber „wir sündigen alle mannichfaltig“, so sagten sie mit Jakobus, und darum, wie ihr Gebet ein Gebet der Sehnsucht und des Verlangens war, so war auch der Genuß des heiligen Mahles der Ausdruck der Sehnsucht und des Verlangens, täglich der versöhnenden Liebe aufs Neue gewiß zu werden. Wiederum giebt Paulus eine andere Bedeutung des heiligen Mahles uns an, indem er spricht: „Denn Ein Brot ist es, so sind wir viele Ein Leib, dieweil wir alle Eines Brotes theilhaftig sind.“ Auch der geistlichen Gemeinschaft unter einander werden wir inne durch das heilige Mahl, und anschaulich drückt es aus, daß nur Eine Seelenspeise uns alle nährt. Wie lebendig ist unter jenen ersten Gliedern der Gemeinde der Trieb nach Gemeinschaft! Christen sollen nicht einzeln stehen, sonst verdorren sie, gleich wie der Zweig, der vom ganzen Baume abgehauen wird; Christen sollen nicht vereinzelt stehen, sonst verlöschen sie, gleich wie die Kohle, die vom Feuer hinweggenommen wird; Christen sollen nicht einzeln stehen, sonst ersterben sie, gleich wie das Glied, das vom ganzen Leibe getrennt wird! Mit diesem Bewußtseyn sehen wir nun auch jene ersten Jünger immer zu Haus, und in der Seligkeit dieses Bewußtseyns drängt es sie, auch im heiligen Nachtmahl diese Einheit aller Glieder darzustellen und zugleich zu kräftigen.

Wie steht es nun in allen diesen Beziehungen mit uns? Zuerst in Bezug auf diesen Trieb nach christlicher Gemeinschaft? Jünger Christi, kennt ihr allesammt diesen heiligen Trieb nach Verbrüderung in Christo? Tragen eure geselligen Kreise das Gepräge, daß ihr Jünger Jesu Christi seid? Sehet, bei jenen ersten Jüngern werden unwillkührlich ihre geselligen Vereine zu gottesdienstlichen. Das Feuer, das still ihre Brust durchglüht, schlägt auf in der Flamme des Gebets! Kennt auch ihr ein solches Zusammenseyn mit Genossen eures Glaubens, das die Sehnsucht weckt zum gemeinschaftlichen Gebet? Ihr, die ihr gemeinsam mit einander lebet, betet ihr auch gemeinsam mit einander? Ach wenn ja der Trieb zum gemeinschaftlichen Gebet erwacht, sind es da nicht immer die Kirchen und immer wieder nur die steinernen Kirchen, wo ihr jenem Triebe Worte gebet? Warum kennt ihr den Segen der Familienandachten nicht?

Und wenn ihr dann betet, o ist es nicht in der Regel nur das Gebet der Sehnsucht und des Verlangens, das ihr kennet? Oder kommt es würklich vielfach in eurem Leben vor, daß es euch drängt, betend auszuströmen Lob und Dank auch für den empfangenen Frieden, für die erfahrene Versöhnung?

Und wie mit dem Gebet, so verhält es sich auch mit dem heiligen Abendmahl. Täglich es zu genießen, war jener ersten Jünger Bedürfniß, und ihr - nach Jahren kommt wohl etwa wieder einmal das Verlangen! Und wenn es kommt, ist es dann nicht auch wieder nur das Verlangen zu nehmen? Kennet ihr denn auch jenes Abendmahl, zu welchem das lebendige Bewußtseyn des empfangenen Friedens mit Gott, der vorhandenen Gemeinschaft mit den Brüdern im Glauben hindrängt?

Jünger Christi in der gegenwärtigen Zeit, werdet ihr es euch bewußt, welch' ein Abstand zwischen unserer kirchlichen Gemeinschaft ist und jenem Vorbilde der apostolischen Kirche? Brüder, laßt uns bauen! Laßt uns auf's Neue bauen die zerfallene Hütte Davids, das Haus Gottes, welches ist die Kirche! Daß nur keiner meine, er könne dazu nichts beitragen! Wohl dürfen wir hoffen, daß der Herr unser Gott auch durch große Ereignisse mitwürken werde, die Einheit im Glauben und in der Liebe wiederherzustellen: aber auch wir müssen würken. Das Wort Kirche im Neuen Testament wird nicht bloß gebraucht von der Gemeinde der Christen im Großen und Ganzen; es spricht das Neue Testament auch von Kirchen in Häusern hin und her, von Hausgemeinden und von Hauskirchlein. Bauet denn eurem Herrn Hauskirchlein! Stiftet Gemeinschaft mit Christo zunächst in euren Familien! Ihr Erzieher, pflanzet vor Allem den apostolischen Glauben, der, wie wir sahen, der Quell aller rechten Gemeinschaft und Einheit ist! O wenn sie nur aufsteigen zum Himmel die Hauskirchlein hin und her, im Geiste Gottes gebaut, glaubet mir, so wird der Herr mit seinem allmächtigen Arm auch das Band hinzufügen, das sie mit einander verbinde; es werden die Hauskirchlein dereinst zusammenstoßen, und eine Weltkirche wird aus ihnen erwachsen, in deren Schirm und Schatten die Vögel des Himmels sich sammeln werden. -

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