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Harms, Claus - Erste Rede -

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Das Predigtamt ist jetzt ein anderes Ding geworden rücksichtlich der Wissenschaft, des Glaubens und des Wandels der Prediger, gleichwie auch der Frequenz der Candidaten

Der ich in Ihnen hier künftige Prediger sehe, lieben Freunde, ich begrüße Sie bey unsrer ersten Zusammenkunft mit einem Wort Luthers, - ist doch eben auch heute Luthers Geburtstag - mit diesem Wort: „Unser Amt ist nun ein ander Ding worden, es ist nun ernst und heilsam worden.“ Sie finden dieß Wort in Luthers Vorrede zu seinem kleinen Katechismus, auf welche ganze Vorrede Sie Sich wollen von mir aufmerksam machen lassen; es ist mancher schöner Pastoralwink in ihr. Aus welchen Gründen Luther so schrieb, das lehret Sie die Geschichte der damaligen Zeit, die von Ihnen gehörte oder noch zu hörende, oder noch einmal zu hörende und in weiterm Umfang zu lesende Geschichte der damaligen Zeit; einige Notizen indeß giebt schon die genannte Vorrede selber. Wenn ich Sie aber empfange, mit diesem Wort empfange, so habe ich natürlich unsre und nicht die damalige Zeit gemeinet. Erkläre ich mich denn näher.

Gebe ich zuvörderst eine Zeitbestimmung. Luther sagt: „denn es unter dem Papst war“; ich sage: denn unser Amt vor dreyßig, zwanzig und noch vor ungefähr zehn Jahren war. Ja, nennen wir als Wendepunct die dritte Säcularfeyer der Reformation, das Jahr 1817, welches in der That für Schleswig und Holstein, freylich etwas weiter noch, ein Andersgewordenseyn wieß und ein Anderswerden. Von diesem Jahre selbst will ich nichts sagen: Sie verstehen mich; zu lesen darüber findet sich in der Evang. Kirchen-Zeitung 1829, Juni, Juli; doch über „das andre Ding“ will ich mich näher erklären. Freylich eine Gestaltung, ein Zeitproduct, oder metonymisch, eine Zeit lässet sich nicht mittendurch schneiden, daß nach beyden Seiten hin ein Theil fällt, dahin das Alte, dahin das Neue, denn in dem Alten ist schon das Neue vorhanden und in dem Neuen ist noch Altes übrig. Wer keinen Geburtsschein hat, bekommt keinen Paß, und wenn der Reisende keinen alten Paß vorzeigt, so bekommt er keinen neuen. Aber doch, wann die Mehrzahl ergriffen wird von etwas, das früher nur die Minderzahl bewegte; wann Minderbeachtetes das Mehrbeachtete wird; wann Kräfte sich zeigen, die sonst schlummerten oder gar nicht vorhanden waren, und Bestrebungen, die auf ein anderes, bis dahin unbekanntes Ziel gehen; wann diesem gemäß neue Anforderungen gemacht werden; wann die frühern Ritter des Worts Fußgänger geworden sind und umgekehrt; wann das Angespieene jetzt geküßt und das Geküßte jetzt angespieen wird; wann leere Kirchen wieder voll geworden sind und halbleere ganz leer, genug: - das sind Zeigen, das Ding sey anders geworden, und so lassen Sie uns das Predigtamt ansehn als ein nun anders gewordenes.

Zuerst, was die Wissenschaft betrifft. Ich meine nicht, daß gegenwärtig Professoren, die fünfzig Semester schon gelehrt haben, anbefohlen wird, wie das irgendwo geschehen ist, philosophischer, wissenschaftlicher als bisher zu lehren. Machen Sie Sich anderswo damit bekannt, worauf ich hier anspiele, gleichwie auch wenigstens Kenntniß davon zu nehmen ist, was unter dieser Wissenschaftlichkeit verstanden werden, was daran sey u.s.w. Aber dieß meine ich nicht, sondern ich meine, daß gegenwärtig ein gründlicheres und ein umfassenderes Wissen gefordert werde. Es muß doch wol. Zwar ist keine neue Verordnung für das Candidaten-Examen seit 177, Aug. 6, gegeben, und meines Wissens haben die Examinatoren auch keine neue Instruction erhalten, es wäre denn, daß sie jetzt darauf bedacht sind, wie bekannt ist, die beyden Examina, das in Schleswig und das in Glückstadt, im Punkt der Abschätzung gleichförmiger zu machen. Allein das glaube ich behaupten zu können: Eben so Schwache, wie ehemals im Examen bestanden, bestehen jetzt nicht mehr. Es falle denn, wer nicht stehen kann, so steht er nachher auch doch dem Würdigern nicht im Wege; sitzt er und grämt sich nach einem unglücklichen Examen, oder, durch das Examen noch so eben gekommen, nach einer für ihn unglücklich ausgefallenen Meldung oder Wahl: er ist zu bedauern, ja doch der Gemeinde, die sein geworden wäre, der ist Glück zu wünschen, daß ihm es so ging. Sie wissen von der Verordnung, welche bestimmt den minder gut im Examen bestandenen Candidaten bey Präsentationen gegen den besser bestandenen zurückzusetzen befiehlt. Es ist die angezogene Holsteinische Candidaten-Verordnung von 1777, Aug. 6, in der es heißt §9: Wie Wir dann auch zu den Klöstern, Landsassen, Magistraten und Kirchen-Collegien das Vertrauen haben, daß sie bey Ausübung ihres Patronats-Rechts vorzüglich auf solche Candidaten, die vor andern in der Prüfung wohl bestanden sind, das Absehen richten werden. Freilich, so lange noch die Gastpredigten üblich waren, (wir werden zu andrer Zeit mehr davon sprechen), so lange machte eine angenehme Gastpredigt einen schlechten Examens-Charakter gut und eine unangenehme einen guten Charakter schlecht, allein die Gastpredigten sind vor ein zwanzig Jahren verboten worden. So nun von außen betrachtet. Allein daneben ist auch der Blick in das Innere des Predigtamts weiter aufgegangen; man sieht wieder mehr auf den Prediger und verlangt mehr von ihm, und der Prediger selber der gegenwärtigen Zeit verlangt mehr von sich; dieß ist noch das schönste edelste Verlangen. Wohlan , Sie, die Sie noch in der Erwerbung begriffen sind - - wünsche ich selber zu Zeiten noch einmal wieder in Ihren Stand treten zu können, da man nur zu erwerben braucht!

Ein Anderes, in Betracht welches unser Amt ein ander Ding geworden, das ist der Glaube. Bis gegen das genannte Jahr 1817 war eigentlich nur Ein Glaube in der deutschen Christenheit, wenigstens, wovon ich genauer weiß, in unserm Lande. Sie kennen ja meinen Sprachgebrauch und daß ich ein Supernaturalist bin, - bitte auch, wenn hier Worte fallen wider den Rationalismus, daran es wol nicht mangeln wird, diese Worte sich gefallen zu lassen; wer es nicht kann, der weiß ja, daß sein Wegbleiben eben so frey ist, wie sein Kommen frey gewesen ist. - Den Glauben, der bis gegen 1817 im Lande herrschte, nennt der Supernaturalist a potiori parte und proper defectum principalium Unglauben. Dessen Werk, das von ihm geforderte, war nur ein jeweiliges Schlagen auf den geschlagenen Glauben, eine Bekämpfung des sich hin und wieder findenden physicalischen und dämonischen Aberglaubens, zu allermeist jedoch eine Moral in Lehren, Vermahnungen und Strafen nebst einigen Eigenschaften Gottes, die man in Natur-, Lebens-, Leidens- und Sterbescenen sich verklären ließ. Das ist Gottlob überall anders. Wo auch Gemeinden sind, die allerdings noch immer nicht selten sind, in welchen der Unglaube bis jetzt herrschet, so finden sich doch, muß ich annehmen aus Nachrichten von hie und da, auch in den rationalisirtesten Gemeinden Mitglieder, die den Glauben kennen und ihn fordern. Man predigt ihn, was giebt es dann für Kampf und Arbeit, äußerlich und innerlich, um die ganze Zahl der Gemeinde herumzuholen! Hat man es auch ja vornämlich mit den Großen, den Honoratioren, die in der Gemeinde sind, zu thun. Aeußerlich hat man zu thun wie innerlich, auch innerlich, innerlich zweimal: daß man nicht fremdes Feuer auf den Altar bringe, zu verstehen, daß man nicht sich selber, die eigene Ehre, suche oder allmälig während des äußerlichen Streites zu suchen, nebenbey mit zu suchen anfange - man hüte sich! - und zum andern innerlich: daß auch das eigene innerliche Leben sich nicht allein in der Zucht des gepredigten Wortes halte, sondern auch wo möglich ein Quell selber werde, der hinzuströmt bis zu Ununterscheidbarkeit, wieviel von der Predigt von außenher und wieviel von innenauf als eigne geistliche Erfahrung gekommen sey. Denn glauben Sie mir, so steht es bereits hie und da im Lande, man unterscheidet zwischen dem Wort der Wahrheit und zwischen der Wahrheit des Wortes und begehrt dieses, mit Unwillen von dem, der nur jenes hat, sich wegwendend, sich entfernt haltend unter dem Spitz- und Witzwort: Unser Prediger ist freylich rechtgläubig, aber schwerlich ist er recht gläubig.

So wird denn auch der Wandel eines Predigers mit andern Augen angesehen zu unsrer Zeit. Der dritte Punct, in Betreff welches unser Amt ein ander Ding worden ist. Ich verstehe hier besonders des Predigers äußerliche Erscheinung, sein Auftreten außerhalb des Amtes, seinen Umgang u. dgl. Es steht ihm nicht mehr frey, was noch vor ein zehn, zwanzig Jahren ihm frey stand. Ich meine nicht, daß sich keine Prediger mehr finden, die sich noch ganz eben so tragen und betragen, wie vormals die Prediger thaten, sondern ich meine, schärfer ist jetzt das Auge und das Urtheil, das sie trifft. Des Predigers Kleidung, wir kommen später wieder darauf: Ich habe noch Prediger gekannt: die außer ihrem Predigerrock nur einen Schlaf- und einen Reiserock hatten, aber ich habe auch Prediger kennen lernen, an welchen, wenn sie nicht in einer Amtshandlung begriffen waren, kein schwarzer Faden sich fand und der ganze Anzug nach der neuesten Mode war, rechte Elegants. So geht es nicht mehr an. Das alte Rescript vom 6. Jan. 1680, demzufolge die Priester sich ihrem priesterlichen Stande gemäß bezeigen und von aller übermäßigen Kleidung abstehen sollen - das scheinet ganz vergessen zu sein;; aber das veränderte Urtheil des Volks hat eine neue Kleiderordnung geschrieben; in andern Ländern haben es in den letzten Jahren die Regierungen gethan. Eine alte, heidnischen Priestern gegebne, Vorschrift forderte, daß der Priester sub divo non sine abice gehe, sub tecto, uti libet; lassen auch wir uns öfter im Summar sehen in welchem man uns gerne sieht! Wo? Ueberall, - überall, wo Menschen zusammen sind. Der katholische Pfarrer Boos sagt zu einem Freund, der ihn einladet, im Ort umherzugehen: „Laß uns dieses nicht thun; wir müssen uns vor dem Volke nie, als in unserm Berufe sehen lassen. Wenn sie uns außer dem Berufsgeschäft zu viel und zu oft sehen, sehen sie uns nicht in unserm Berufe - als solche, wie sie uns sehen sollen.“ (Martin Boos, von Goßner, Leipzig 1826). Ich nenne hier Jahrmärkte, Vogelschießen, Wirthshäuser und vielbegangne Spaziergänge. Man ist schärfer jetzt im Urtheil geworden. Besuche machen: Julian schreibt an einen Oberpriester von Galatien: Die Befehlshaber der Provinz besuche selten in ihrem Hause, schreibe aber desto häufiger an sie (Epistel 49.) Eben so wird es jetzt auch minder vertragen, wenn der Prediger den Sonntagabend beym Amtmann, Landvogt, Kirchspielvogt zubringt, bey einem Befehlshaber, der nicht zur Kirche gehet. Und die Clubbs und die öffentlichen Mahlzeiten, da man für sein Geld zehret - auf einem Concil zu Chalcedon ist verordnet, daß die Christen zu keinen öffentlichen Gastereyen sich halten sollen, zu welchen jeder seinen Antheil an den Kosten hergiebt. Die Gemeinden scheinen jetzt von diesem Canon etwas zu wissen. Jagd (die sogenannte kleine Jagd verstattet ein Pastorallehrer unserer Zeit; ich begreif' ihn nicht; zwar hat Luther auch gejagt), Jagd, die große wie die kleine, Schauspiel, Kartenspiel, Tanz - sind minder wie vor Jahren einem Prediger verstattet. Und die jüngern Prediger unsrer Herzogthümer richten sich auch nach dem veränderten Volksurtheil im Punkt ihres Wandels, so daß ich habe sagen hören: Es ist jetzt eine ganz andere Zeit! Die jetzigen alten Prediger sind die jungen von ehemals. So ist unser Amt nun ein ander Ding worden; lassen Sie das Amt immer noch mehr ein ander Ding werden durch Sich, durch Sich!

Noch Eines erwähne ich, worin es gegenwärtig anders ist, die Frequenz. Damals, zu Luthers Zeit, fehlte es an Händen, das Werk anzufassen. Hier in Kiel kam ein Kürschner, Melchior Hoffmann, zum Predigtamt; in Tellingstedt in Norderdithmarschen, schreibt Fehse in seiner Geschichte der norderdithm. Prediger, ein dasiger Tischler. So noch in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat ein Kirchencollegium auf die verweisende Frage des Oberconsistoriums, warum es die Vacanz so lange offen lasse, geantwortet: Es haben sich nur zwey gemeldet, wir hören aber, es werden nächsten Michaelis einige Candidaten examinirt, von diesen möchte sich wol einer und anderer bey uns melden. Es meldete Einer sich, und der wurde gewählt. Nicht wahr, die Zeiten sind nicht mehr? Nein, und seit ungefähr zehn Jahren hat sich die Zahl der Theologiestudirenden über die Hälfte, auf 150 vermehret, bey ungefähr 450 Prediger- und Schulstellen. Was ist bey so gestalteter Sache für Rath, als daß man sich einer größern Gelehrsamkeit, eines lebendigeren Glaubens, eines empfehlenderen Wandels befleißige, vor seinen Competenten voraus? Freilich, alle Höhergesinnten bedürfen eines solchen Rathes nicht und verschmähen einen solchen Rath, der - schmutzige Füße hat.

Quelle: Harms, Claus - Der Prediger, wie ihn die Pastoraltheologie thun lehret

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