Binde, Fritz - Was ist wahre Buße?

Binde, Fritz - Was ist wahre Buße?

„Tut Buße und glaubt an die Heilsbotschaft!“
Mark. 1,15

Die Frage: Was ist wahre Buße? ist von grundlegender Bedeutung für jedes heilsuchende Menschenherz. Denn, o Mensch, wie deine Buße so ist dein Glaube, und wie dein Glaube so ist dein Friede, und wie dein Friede so ist dein Heil, und wie dein Heil so ist deine Erlösung.

Das Erkennen und Erleben wahrer Buße ist und bleibt der genaueste Gradmesser der Erkenntnis und des Erlebens Gottes. Je gründlicher ein Mensch den Unterschied zwischen seinem eigenen Wesen und dem Wesen Gottes erkennt, desto gründlicher und wahrer wird seine Buße sein. In diesem Sinne ist Buße überhaupt nichts anderes als die Rückwirkung jeder im Herzen gewirkten Gotteserkenntnis. So weit ein Mensch von Gott entfernt lebt, so weit lebt er entfernt von wahrer Buße.

Warum gibt es so wenig wahrhaft Gläubige? Weil es so wenig wahrhaft Bußwillige gibt. Und warum gibt es so wenig wahrhaft Bußwillige? Weil es so wenig wahrhaft Gottwillige gibt. „Sie taten nicht Buße“, so lautet das letzte biblische Urteil über den ausgereiften Unglauben des gottfeindlichen menschlichen Eigenwillens (Offb. 16,9+11). Der ganze Sündenfluch der menschlichen Selbstbehauptung Gott gegenüber drückt sich in dieser Unbußfertigkeit aus.

Wahrlich, wahre Buße ist das gewisseste Ergebnis wahrer Gotteserkenntnis und das sicherste Kennzeichen wahren Gottgehorsams.

So oberflächlich nun die Gotteserkenntnis im allgemeinen ist, so oberflächlich ist die landläufige Auffassung vom Wesen und Sinn der Buße. Ja, selbst in den Kreisen der Gläubigen kennen viele die wahre Buße nicht. Und wie bedauerlich drückt sich diese Unkenntnis in ihrem Glaubensleben aus!

Wahrlich, die Oberflächlichkeit des menschlichen Wähnens und Meinens tritt in nichts so zutage, wie in der allgemein üblichen seichten Auffassung von dem, was Buße sei. Der Inhalt der wahren Buße wird eben überhaupt nicht gemessen und ermessen mit dem unzulänglichen Maßstab menschlichen Denkens, sondern nur die Wahrheit der Heiligen Schrift, die uns die Gedanken Gottes offenbart und schenkt, läßt uns erkennen und ermessen, was wahre Buße ist. Daß man heute so weit entfernt von wahrer Buße lebt, kommt hauptsächlich davon her, daß die aus dem Boden der sogenannten Aufklärung aufgeschossenen menschlichen Gedanken die Weisheit der Gedanken Gottes im Bibelbuche mißachtet, überwuchert und preisgegeben haben. So ist dem selbstweisen, selbstherrlichen Menschen von heute beides, Gottes biblisch offenbarte Wahrheit und die biblisch wahre Buße, unerträglich und unbekannt geworden. Redet man da überhaupt noch von Buße, so meint man etwas wesentlich anderes als das, was die Bibel meint. Und nicht zum wenigsten flieht man die Bibel, weil man die biblische Buße flieht. „Warum streiten Sie so wider die Bibel?“ ward einer gefragt. Unverzüglich gab er die Antwort: „Weil die Bibel so wider mich streitet!“ Wer keine wahre Buße will, kann nicht die Wahrheit der Bibel wollen. Denn die Bibel zerstört alles und jedes, was die Menschen Buße nennen und was doch nicht wahre Buße ist.

Unerbittlich zeigt sie uns: Wahre Buße ist mehr als gefühlsmäßige Rührung.

Denn gar zu häufig hält man rührselige, religiöse Stimmungen bereits für Buße. Ein wenig gefühlige Ergriffenheit, ein wenig seelisches Bewegtsein, ein wenig Augenfeuchtigkeit oder gar perlendes Tränenwasser, und schon bildet sich das irrselige Menschenherz ein, es habe wahre Buße erlebt. So ist man gerührt von schönen blumigen oder gewaltig großartigen, glänzenden Predigtworten, die auf Stimmungsmache abzielten oder es sogar auf die Herauslockung von Tränen abgesehen hatten. So ist man hingenommen von wohlmeinenden Ermahnungen, moralischen Erwägungen, sittlich religiösen und sozialen Idealen, schwungvollen patriotischen Reden, flammenden energischen Protesten, lichtvollen überzeugenden Darlegungen, packenden und fesselnden Schilderungen, machtvollen ergreifenden Erlebnissen und von allerlei erschrecklichen oder erhebenden Geschehnissen, und im Nu rechnet man sich diese Empfindungsfähigkeit als sittlich religiöse Leistung zu, die man als ausreichende Buße für voraufgegangene Unzulänglichkeiten und Verfehlungen auffaßt.

Aber auch das gefühlsmäßige Ergriffensein vom Ernst der unleugbaren Wahrheit eines gehörten oder gelesenen Bibelwortes oder etwa das rührselige Bewegtsein von der Macht und Größe der Liebe Gottes oder von der Liebe und Güte der Person Jesu oder vom recht schwelgerisch ausgemalten Kreuzesleiden des unschuldig sterbenden Gottessohnes oder von der schauerlichen Darstellung der kommenden Zorngerichte Gottes wird nicht selten als erlebte Buße gerühmt.

Ja, das bloße Anhören einer erschütternden Bußpredigt, die man geduckt und geduldig mit bösem Gewissen über sich hingehen läßt, rechnet sich das Menschenherz schon als Buße zu. Der hat uns aber die Wahrheit gesagt, heißt es da. Das war aber einmal ernst! Da hat man einmal gehört, wer man ist! Da ist’s einem einmal gezeigt worden, wie man sein sollte! Oh, windelweich ist’s einem dabei geworden! Derartige Bezeugungen über die erlebte Erregung des Gemütslebens gelten weit und breit als Ausdruck einer bereits genügenden Buße.

Und ach, wie weit sind solche Rührseligkeiten von wahrer biblischer Buße entfernt! Denn sie sind trotz ihrer moralischen oder religiösen Veranlassung und Gebärde doch nur der Ausdruck der menschlichen Selbstgefälligkeit.

Eine derart gerührte Seele bekannte mir einst, daß sie nach dem Anhören einer Bußpredigt sich in ihrem Kämmerlein in Tränen aufgelöst auf die Knie geworfen und ihre Schlechtigkeit beklagt habe, dann aber habe sie im Aufstehen ihr wehklagendes, tränenüberströmtes Angesicht plötzlich im Spiegel erblickt und im selben Augenblick gewünscht: Ach, könnte ich mich doch so photographieren lassen! Welch ein schönes Bild einer büßenden Magdalena gäbe das!

Der widerspruchsvolle russische Sittlichkeitsapostel Graf Tolstoi schildert in seinem Roman: „Die Auferstehung“ etwas Ähnliches. Und der irrselige englische Schönheitsapostel Oskar Wilde bezeichnet den Empfindungsreichtum der Buße sogar als die genußreichste Frucht der Sünde.

Ja, tatsächlich ist solche Gefühlsbuße nichts als ein schwelgender Selbstgenuß. Man gefällt und genießt sich in eben dem Sündenjammer, in dem man sich beklagt. Wie könnte solche selbstgefällige Rührseligkeit wahre biblische Buße sein?

Wahre Buße ist, zweitens, aber auch mehr als gelegentliche ernsthafte Reue.

Es gibt wohl kaum einen Menschen auf Erden, der nicht schon gelegentlich seine Unzulänglichkeit, Sündhaftigkeit, ja Abscheulichkeit und Erbärmlichkeit eingesehen und mindestens still sich selber zugestanden hat. Denn so selbstgerecht und selbstgefällig der Mensch bis in die Knochen ist, so beschleicht ihn doch zuweilen ein Grauen vor sich selbst, gerade wegen seiner Selbstgefälligkeit. Dann spöttelt er leichthin über sich selbst oder gelangt zu einer ernsthafteren Reue über geschehene Dinge, die er schließlich doch Sünde nennen muß.

Traurigkeit, Scham, bittere Selbstanklage, ja, quälende Pein können dann die reuige Seele befallen und kürzere oder selbst längere Zeit beschweren, ja sogar schwermütig machen. Meistens aber verfliegt solche Reue ebenso schnell, wie sie gekommen ist. Die Traurigkeit löst sich auf in Gleichgültigkeit oder schlägt gar jäh um in leichtsinnigen oder trotzigen Übermut. Der plötzliche Ernst weicht dem plötzlichen Scherz, oder aber man stürzt sich, um die nagende Pein der Reue loszuwerden, kopfüber in den nächsten Lust- und Sündenrausch. Nichtsdestoweniger rühmt man sich gewöhnlich später solcher erlebten gelegentlichen Reue und hält sie bereits für die erlebte Buße. Ich habe meine Sünden oft und bitter bereut, heißt es dann. Es ist mir leid, daß ich so schlecht gehandelt habe. Ich sehe ein, wie unvollkommen ich noch bin und wie viel mir noch fehlt! Aber dabei bleibt es; denn man lebt weiter, wie man bisher gelebt hat. Und oft genug bereut man obendrein die Reue, die man gefühlt hat, und schämt sich vor sich und anderen solcher Schwachherzigkeit.

Somit erweist sich diese Reue gewöhnlich nur als eine gelegentliche Betrübnis des Menschen über seine unleugbare Unzulänglichkeit. Die Grundstimmung dabei ist ein peinlicher Ärger über die eigene Unvollkommenheit. Man ist erbost über sich selbst, daß man nicht klüger, nicht vorsichtiger, nicht stärker gewesen ist. Man schämt sich vor sich selbst, daß einem dies und jenes passieren konnte. Man ist traurig über den Verlust an Selbstachtung, den man vor sich selbst erlitten hat. Es verletzt die Eitelkeit, so unschöne Züge am eigenen Bilde haben erkennen zu müssen. Man ist unglücklich wegen der gesunkenen Selbstzufriedenheit. Man ist gequält wegen des verlorenen inneren Gleichgewichtes. Aber alles dies zusammen beweist nur, daß man bei dieser menschlichen Betrübnis und Reue über die eitle Selbstgerechtigkeit nicht hinausgekommen ist.

O, ein Menschenherz kann seiner Gebrechen und Verbrechen wegen zerknirscht sein in Scham, und doch ist’s nur Scham vor sich selbst, bei der dennoch das stolze Ich Mittelpunkt und Maßstab bleibt. Von biblischer Buße ist da keine Spur vorhanden; denn es fehlt da durchweg die nötige biblisch lichtvolle Bezugnahme auf Gott und Christus.

Oder aber der Mensch kennt irgendwie Gott und Christus und trotzdem bleibt seine Reue eine eitle selbstgerechte. Es betrübt und ärgert diesen Menschen, daß seine religiösen Leistungen nicht so glänzend ausgefallen sind, wie er sie zur Zufriedenheit Gottes und zur Selbstzufriedenheit gerne vollbracht hätte. Da kann man sich in Bußkrämpfen zerfleischen, und doch ist da keine biblische Buße. Wohl mißt sich hier der Mensch bereits an Gott, aber er steht noch in der blinden Selbstvermessenheit des eigenen Könnens und Vermögens. Und ach, wie viele stehen so!

Ein ungläubiger Pfarrer zerquält sich wegen seiner Wahrhaftigkeit. Er möchte in seiner Predigt kein Wörtlein mehr sagen, als er wirklich glaubt. Er fiebert in Reue und Qual des Gewissens wegen jeder vermeintlichen Unwahrheit, aber von der eigentlichen biblischen Buße ist er, ach, wie weit, wie weit entfernt!

Eine geachtete Frau erliegt den Verführungskünsten eines Lebemannes. Nachher begeht sie Selbstmordversuch um Selbstmordversuch. Niemand in ihrer Umgebung weiß warum. In meiner Sprechstunde spricht sie sich aus. „O, daß das mir, mir, mir passieren konnte! O, ich darf und kann die Schande nicht überleben!“ so lautet ihr Reueschrei. Aber für die Gnade Gottes in Christus Jesus bleibt sie blind und taub. Kein Raum für biblische Buße. Ihre Reue gilt nur ihrer geschändeten Ehre.

Kein Wunder, daß solche Reue entweder zur Gleichgültigkeit verebbt oder zum Selbstmord oder ins Irrenhaus führt. Es ist „die Traurigkeit der Welt“, die schließlich irgendwie „den Tod bewirkt“ (2. Kor. 7,10).

Drittens ist wahre Buße viel mehr als Trauer über die Folgen der Sünde.

Tatsächlich bereuen nur wenige Menschen die Sünde als Sünde, nämlich als Verfehlung vor dem heiligen Gott. Die allermeisten reumütigen Sünder sind nur betrübt über die für ihr liebes Ich unangenehmen Folgen der Sünde. Gäbe es eine Möglichkeit, weiter sündigen zu können, ohne die bösen Folgen der Sünde tragen zu müssen, so würden sie unbedenklich weiter sündigen; sündigt man doch noch trotz der Folgen weiter.

Dabei fürchtet man die zeitlichen Folgen der Sünde weit mehr als die ewigen Folgen. Es ist schauerlich zu sagen, aber es ist wahr: das „Verlorengehen in Ewigkeit“ ist den meisten Menschen ganz gleichgültig geworden. Die Mißachtung des Gotteswortes und des göttlichen Wertes der eigenen Seele haben da schauerlich verwüstend gewirkt. Ganz allgemein fürchtet man Schaden an Ehre, Leib und Gut mehr als den Schaden der Seele vor Gott. „Ewiges Leben“ gilt unserem Geschlechte weniger als nichts. Was kümmert man sich also um den „Verlust des ewigen Lebens“! Denn auch den Zorngerichten Gottes gegenüber, soweit diese das ewige Seelenheil betreffen, bleibt man gleichgültig. Wie wenige Kanzelredner glauben an ein wirkliches ewiges Verlorengehen und an ein wirkliches ewiges Errettetwerden der Menschenseele! Wie selten sind die biblisch echten Gerichtspredigten geworden! Wie tot ist man der ewigen Heiligkeit Gottes und der ewigen Abscheulichkeit der Sünde gegenüber! Was Wunder, daß man die Sünde als Sünde kaum noch erkennt und bereut, sondern sie meistens nur wegen ihrer verderblichen zeitlichen Folgen beklagt. Darum sinkt die sogenannte Reichsgottesarbeit immer mehr zur sogenannten Sozialarbeit herab. Wenn ein Trinker nicht mehr dem Alkohol frönt, so gilt er schon als „gerettet“. Wenn Forderungen sozialer Gerechtigkeit verwirklicht werden, so glaubt man schon „die Gerechtigkeit des Reiches Gottes“ nahe herbeigekommen. Welch eine Verflachung!

Aber auch wenn man „das ewige Verderben“ als Folge der Sünde erkennt und erwägt, so ist damit doch noch keine Gewähr für wahre Buße gegeben. Denn nun möchte man, vielleicht geängstigt durch nervös machende Höllenpredigten, das geliebte Ich an den Höllenqualen vorbeiretten, und dann ist die Buße nur ein selbstsüchtiger Angstschrei vor der heißen Flammenglut des Feuersees, der man entgehen möchte. Oder aber „die ewige Herrlichkeit“ ist einem im Gegensatz zum „ewigen Verderben“ so verlockend sinnlich ausgemalt worden, daß man sich einen Narren schelten müßte, wollte man nicht zugreifen, und dann ist die Buße wiederum nur eine selbstsüchtig berechnende Handlung, die man zur Erlangung des ewigen Gewinnes nun einmal mit in den Kauf nehmen muß. Freilich ist man sich meistens in beiden Fällen der Unzulänglichkeit solcher Buße gar nicht bewußt. Ebensowenig erkennt man gewöhnlich die Betrübnis und Trauer über die zeitlichen Folgen der Sünde als unzulängliche Buße.

Sodann ist, viertens, wahre Buße viel mehr als das Fassen guter Vorsätze.

Ach, wenn das Fassen guter Vorsätze weiter nichts ist, als das erneute Fassen nach der eigenen Kraft, in der man sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Sünde ziehen möchte, so gibt es nichts Betrüglicheres als die guten Vorsätze. Sie sind geradezu der Tod wahrer Buße. Denn gewöhnlich folgen die guten Vorsätze der eben geschehenen Sünde hinterdrein. Sie sind meistens das unmittelbare Ergebnis der schamvollen Ernüchterung, die nach geschehener Sünde eintritt. Nie ist der Mensch moralischer, als in diesen Augenblicken. Nun, angesichts des wiederum offenbar gewordenen Betruges der Sünde, ist er zu allem Guten bereit. Nun will er die Sünde „ganz und ganz und ganz gewiß“ nicht mehr wieder tun. So faßt er die bekannten guten Vorsätze, mit denen er sich jetzt noch ärger betrügt, als ihn die Sünde betrogen hat. Denn kaum zum Bewußtsein seiner Sünde gekommen, tröstet er sich sofort mit den schnell gefaßten guten Vorsätzen und gefällt sich in seiner vermeintlichen moralischen Tapferkeit, in der er sich der Sünde fürderhin weit überlegen glaubt. Und gerade so reift er in süß betörendem Selbstvertrauen unfehlbar für die nächste Sünde aus. Und gerade so hat er sich durch das billige Fassen guter Vorsätze um das kostbare Erlebnis wahrer Buße gebracht. Aber das Schlimmste ist, daß er das jedesmalige Fassen von guten Vorsätzen ganz geläufig mit dem Erlebnis wahrer Buße verwechselt.

Und dieser Irrtum bleibt derselbe, auch wenn man die guten Vorsätze in Form eines frommen Gelübdes unter dem Zusatz: „Mit Gottes Hilfe“ faßt. Denn sofern ein solches Gelübde nicht bereits auf dem Boden wahrer Buße gefaßt worden ist, trägt es stets den Stempel eitlen Selbstvertrauens. Man glaubt noch an die eigene moralische Kraft. Nur erlaubt man dem lieben Gott, im Falle die eigene Kraft versagen sollte, kräftigst einzugreifen und die steckengebliebene Karre wieder vorwärts zu bringen. Gott will aber das Selbstvertrauen des Menschen keineswegs stärken, sondern es vielmehr vernichten, damit er selbst dem Menschen alles werde. Dazu fordert er allerdings unseren ganzen Willen heraus, aber gerade dazu muß er auch jeden eigenmächtigen Selbsterlösungsversuch in uns zerstören. So fördert und belohnt Gott jedes aufrichtig auf Gott gerichtete menschliche Wollen, aber er vernichtet dabei unerbittlich jedes eigenmächtige menschliche Können. Deswegen läßt er alle guten Vorsätze, die irgendwie den Stempel des Selbstvertrauens tragen, über kurz oder lang erbärmlich zuschanden werden; denn die geringste Spur von Selbstvertrauen ist noch ein Hindernis wahrer Buße. Wo aber dieses Selbstvertrauen bleibt, da sind die guten Vorsätze tatsächlich nur „Pflastersteine zur Hölle“.

Wer nur gute Vorsätze faßt, der faßt in eigener Kraft nach der eigenen Brust, wer aber in wahrer Buße Jesus faßt, der faßt die Kraft Gottes, die ihn erfaßt hat.

Heute, wo eine Reihe amerikanischer Schriftsteller (Emerson, Trine, Marden, Christliche Wissenschaft) es fertiggebracht hat, in blendender, großzügiger, pantheistischer Aufmachung das religiöse Selbstvertrauen als Grundlage einer Philosophie der Erlösung zu empfehlen und eine schwindelhafte Falschmünzerei mit biblischen Begriffen betreibt, die jeder wahren Buße entgegenarbeitet, ist die Warnung vor dem Kultus der Gedanken- und Willenskraft ganz besonders nötig. Nie wird der Mensch durch sich selbst über sich selbst hinausgelangen; seine Selbsterlösung ist nur Selbsttäuschung.

Und allezeit scheiden sich hier falsche und wahre Buße.

So ist, fünftens, wahre Buße auch viel mehr als das Bemühen, die eigenen Sünden gut machen zu wollen.

Denn nicht nur glaubt der Mensch durch das Fassen guter Vorsätze in Zukunft Herr über die Sünde werden zu können, sondern er wähnt sich auch befähigt, seine Vergangenheit von der Sünde reinigen zu können.

Wohl gehört es mit zu den rechtschaffenen Früchten wahrer Buße (Matth. 3,8), daß man an Menschen verübtes Unrecht nach Möglichkeit wieder gut zu machen sucht, indem man etwa veruntreutes Gut auf irgendeine gangbare Weise wieder zurückzuerstatten sucht, wie Zachäus so gesetzestreu tat (Luk. 19,8), oder daß man Menschen, an denen man sich durch Lieblosigkeit oder Unwahrhaftigkeit in auffälliger Weise versündigt hat, auf irgendwelchem Wege um Verzeihung bittet, wozu jedoch viel Leitung durch die Weisheit von oben gehört; denn oft wird da mehr verdorben, als „gut gemacht“.

Aber nimmermehr kann durch solches „Gutmachen“ die geschehene Sünde als Tat und Schuld getilgt werden. Aber das ist auch gar nicht der Sinn und Zweck der wahren biblischen Buße; denn ihr Inhalt ist nicht menschliche Tilgung der Sünde, sondern völlige Übergabe des ganzen sündigen Menschen an den sündentilgenden, gnädigen Gott.

Darum besteht auch die wahre Buße nicht in dem sogenannten „Abbüßen“ der Sünden.

O, es ist für die gefallene menschliche Natur so bezeichnend, daß sie sich um jeden Preis selber helfen und heilen möchte, um den Ruhm der Selbsterlösung zu gewinnen. Mit Recht hat jemand behauptet, daß, wenn am Kanal, der Meerenge zwischen dem europäischen Festland und England, Tafeln mit der Aufschrift: „Wer den Kanal durchschwimmt, bekommt den Erlaß seiner Sünden zugesichert“ ständen, sich täglich Menschen ins Meer würfen, um sich heilig zu schwimmen.

Ja, das Abbüßen seiner Sünden ist dem Menschen gerade recht. Er dünkt ihm eine glatte, gutverständliche Rechnung oder eine rechte Heldentat oder sogar eine Wollust.

Wie wäre es sonst möglich, daß der heutige Bildungspharisäer, der sich so weit, weit den mittelalterlichen klösterlichen Bußübungen entwachsen fühlt, in so hellen Haufen der modern gewordenen indisch-theosophischen „Karma“- und Wiederverkörperungslehre zufällt, die da lehrt, daß der Mensch in einem etwa elftausendmal wiederholten Erdenleben sich von jeglicher Sündenschuld reinbüßen müsse, um dann ins Nirvana (Vereinigung mit der indisch gedachten Gottheit) eingehen zu können. Also lieber elftausendmal ins Bußgefängnis des Erdendaseins zurückkehren, als einmal in wahrer biblischer Buße sich die Vergebung aller Sünden durch das ein für allemal geschehene stellvertretende Opfer des Leibes und Blutes Jesu Christi durch Gottes Liebe, Gnade und Barmherzigkeit schenken lassen! Wie sehr entspricht diese Wahl dem ichverliebten, unternehmungslustigen, ruhmsüchtigen, hochmütigen Menschenherzen!

Ja, lieber will man „büßen an Händen und an Füßen“, an Gut und an Blut, wenn man nur damit das stolze Ichleben retten kann.

Ein Kranker liegt jahrelang auf dem Siechbett. Sein Leiden ist zweifellos die Folge seiner Sünden. Aber zur biblischen Buße ist es bei ihm noch nicht gekommen. Warum? Das Sühneopfer seines Erlösers am Kreuz scheint ihm unvernünftig, ungerecht und folglich unannehmbar. Aber vernünftig, gerecht und annehmbar scheint es ihm, ein halbes Jahrzehnt und noch länger durch Krankheit an dem Gliede gestraft zu werden, mit dem er gesündigt hat. „Ich werde meine Sünde einfach abbüßen bis zum letzten, und mehr kann Gott nicht von mir verlangen“, erklärt er in harter, heldenstolzer Büßer-Selbstgerechtigkeit.

Eine reiche, vornehme Sünderin gibt nach jeder Sündentat der Reihe nach den Armen eine größere Geldsumme. Das sei die unumgängliche Bußsumme für ihre Sünde, bekennt sie. Gott werde sie ihr in ausgleichende Rechnung setzen.

Ein „gläubiger“ Kaufmann verstand es in rücksichtsloser Geschäftsklugheit die Kriegsjahre auszunutzen. Nun gibt er, wo es nottut. Das soll die Sühne sein. Ob es wohl noch zur biblischen Buße bei ihm kommt?

Bei einem „Bruder“ war es eine billige Rede zu sagen: „Herr, ich tue Buße!“ Sich vor Gott und Menschen „bis in den Staub hinab“ zu demütigen, das sollte die Sühne sein für sein herrisches, ungerechtes Wesen, mit dem er so vielen wehe tat. Aber mit welcher Selbstverliebtheit führte er den Büßerschlag gegen die Brust. Und zufrieden aufstehend, erklärte er: „So, ich habe nun Buße getan, nun sollen die anderen fortfahren!“

O Menschenherz, wie schaurig unfähig bist du in dir selbst zur wahren Buße!

Will dich Gottes Güte zur Buße leiten, so beachtest du es nicht und verachtest wie lange den Reichtum seiner Güte, Geduld, Langmut (Röm. 2,4). Und schlägt die Strenge Gottes mit schwerem Hammerschlag gegen dich, so brüstest du dich auch dann noch, ach, wie lange in deiner steinernen, unfruchtbaren Härte!

Es ist unsagbar traurig, wie wenig Menschen sich durch Gottes Güte zur Buße leiten lassen. Wie oft habe ich in großen Evangelisationsversammlungen gefragt, ob ein Mensch da sei, den die reine Güte Gottes zur Buße leiten konnte. Beinahe immer meldeten sich nachher Seelen, aber selten erwies sich ein Fall als echt. Nebenher der Güte Gottes hatte auch die Strenge Gottes mitwirken müssen.

Aber von einem Landmann weiß ich, der durch die reine Güte Gottes zur Buße geführt werden konnte. Auf abgekürztem Wege eilte er an einem Samstag nachmittag im Spätsommer zur Stadt. Plötzlich mußte er denken: Wenn deine Äcker aus solchem unfruchtbaren Schieferboden beständen, wie der ist, über den du jetzt hinschreitest, so hättest du auch nicht die Ernte unterm Dach und das Vieh im Stall, wie du beides jetzt hast. Und einen Schritt weiter hieß es: Hast du Gott jemals recht dafür gedankt? Und im nächsten Augenblick blitzte es durch sein Herz: Weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leiten will? Wie erschlagen und vernichtet durch diese Frage sank der Mann in die Knie und empfing so unmittelbar das Himmelsgeschenk einer gründlichen Buße, von der er, sofort heimkehrend, seinem ganzen Hause berichtete, und von der auch die Seinen und viele im Dorfe ergriffen wurden, so daß dieses Mannes Haus eine Gebets- und Versammlungsstätte der zu Gott Bekehrten werden konnte und noch ist.

Ja, wahre Buße ist ein Gnaden- und Himmelsgeschenk, das alle die empfangen, deren Herz allmählich oder plötzlich dafür reif wird.

Das gegebenste Mittel zur Erzielung solcher Herzensreife ist das Lesen und Hören des Wortes Gottes, in dem sich sowohl die Güte als die Strenge Gottes offenbart. Da soll die innere Führung durch das Wort Gottes auch zum Licht auf dem Wege der äußeren Lebensführung werden, so daß der Mensch Weg und Willen Gottes erkenne und in demütiger Herzensbuße annehme. Aber dies vermag nicht der Buchstabe, sondern nur der Geist des Wortes Gottes zu bewirken. Geist und Leben des Wortes Gottes müssen eine Sinnesänderung im Menschen herbeiführen können. Doch wird diese Sinnesänderung am entscheidungsreichsten erlebt vor dem Bilde des Sohnes Gottes. Nur vor Jesus Christus, dem Abbild des unsichtbaren Gottes und dem Urbilde unserer gottebenbildlichen Menschlichkeit, kann der Mensch das Zerrbild seines von Gott abgefallenen Wesens erkennen und damit zur völligen Sinnesänderung in wahrer Buße gelangen. Denn nur in dem Maße, wie ein Herz Jesus Christus erkennt, erkennt es Gott und sich selbst, und darum ist Selbsterkenntnis die erste Stufe hinab in die Tiefe biblischer Buße.

Das Rätsel unseres Wesens und Lebens löst sich nur vor unserem gottgesandten Erlöser. Er allein ist der Maßstab aller Dinge, an dem Mensch und Welt gemessen werden müssen. Alle Schätze der Erkenntnis Gottes, ja, die Fülle der Gottheit selbst, wohnen in ihm. Durchquere, wenn möglich, das ganze Gebiet des menschlichen Wissens, und sieh, ob du zur Selbsterkenntnis kommst. Weder mit alter noch neuer Menschenweisheit wirst du Gott und dich selbst ermessen können. Darum bleibst du in deinem alten Sinn und Wesen, wieviel Menschenweisheit du auch in dich aufnehmen magst. Aber laß dich durch Gottes Wort auf Gottes Wegen zu Jesus bringen, und vor Christi Sinn und Wesen müssen dein Sinn und Wesen sich ändern. Dann wirst du folgendes erleben.

Jesu Gesinnung richtet die deine. Seine Herzensdemut enthüllt deines Herzens Hochmut. Seine göttliche unveränderliche Liebe offenbart deine menschlich-eitle Selbstliebe. Sein in Gott ruhender Wille richtet deinen selbstsüchtigen Eigenwillen. Sein stiller Gottgehorsam entlarvt deinen bösen Ungehorsam. Seine Einfalt richtet deine Winkelzüge. Seine Armut brandmarkt deine Habsucht, seine Niedrigkeit deine Ehrsucht, seine Entsagung deine Genußsucht, seine Selbsthingabe deine Selbstsucht, seine Heiligkeit deine Gemeinheit, seine Herrlichkeit deine Abscheulichkeit.

O, du weißt ja längst, daß Christi Sinn deinem Sinn entgegensteht. Darum hast du bisher Jesu Nähe und Gegenwart so viel als möglich gemieden. Und du hattest tausend Vernunftgründe, dich von ihm fern zu halten. In Wirklichkeit gab es nur einen Grund, deine Selbstliebe. Du fürchtest sein Licht. Denn du wußtest ganz genau, daß sein Licht, wenn es dich und deine Werke belichten und richten würde, deine Selbstherrlichkeit verzehren würde. So liebtest du die Finsternis mehr als das Licht, und gerade darin bist du schon gerichtet; denn offenbar sind deine Werke böse (Joh. 3,17-19).

Auf dreierlei Art sucht sich der unaufrichtige Mensch der peinlichen Selbsterkenntnis zu entziehen, die er vor Jesus Christus erleben soll. Erstens, er leugnet die Lebenswahrheit der Person und des Werkes Christi. Zweitens, er kritisiert Jesus, um nicht von ihm kritisiert zu werden. Drittens, er verehrt Jesus als den unnachahmlichen, um sich in seinem Glanze zu sonnen, anstatt richten zu lassen. Gehörst du noch zu diesen Leuten, die nicht aus der Wahrheit, das heißt, die nicht aus Gott sind? Die Verblendetsten unter ihnen sind die, die immer nur von Jesus als von ihrem Vorbild reden, dem sie nachstreben wollen. Wäre ihre Rede wahrhaftig, so müßten sie innerhalb vierundzwanzig Stunden die wahre Buße erleben; denn die echte Nachfolge Jesu beginnt mit dem Bankrott vor Jesus. Alle diese Schwätzer haben ihn weder gesehen noch erkannt!

Zur ausreichenden Selbsterkenntnis gelangst du nur vor dem Kreuze Christi. Nur dort entdeckst du völlig die Strenge Gottes, die dich richtet, und die Güte Gottes, die dich rettet. Nur aus dem Schnittpunkt des Kreuzes Christi quillt dir die Gotteskraft entgegen, die dir das Erleben der wahren Buße ermöglicht. Dort sollst du erkennen, wie Gottes Heiligkeit die Sünde am hingeopferten Gotteslamme richten muß, das auch deiner Sünde wegen sterben mußte. Nun weißt du, wie verderbt und abscheulich du bist. Was ist nun noch Gutes an dir? Und dort sollst du erkennen, wie Gottes Barmherzigkeit den Sündlosen nicht verschonte, um dich, den Sünder, zu schonen und zu retten. Nun weißt du, wie kostbar und geliebt du deinem Gott und Heiland bist, und wie du, bluterkauft, nun deinem Erretter zugehörst. Was darf nun noch in dir wider Gottes Liebe streiten? Wahrlich, nur diese Erkenntnis deines Gerichtetseins durch Gottes Heiligkeit und deines Gerettetseins durch Gottes Barmherzigkeit im Kreuzes-Sühnetode des sündlosen Mittlers ist wert, Gottes-, Christus- und Selbsterkenntnis genannt zu werden; denn sie allein entspricht dem Wesen und Werte deiner Seele!

Im Lichte der Heiligkeit Gottes ist deine Sünde geoffenbart, im Blute des Lammes Gottes ist deine Sünde getilgt. Diese Doppelerkenntnis macht nun all deiner bisherigen Unwissenheit, die Gott bis jetzt übersah, ein Ende. Nun aber gebietet er dir, auf Grund deiner erlangten Selbsterkenntnis Buße zu tun, damit du durch Glauben errettet werdest vor dem kommenden Gerichtstag Christi und Gottes (Apg. 17,30-31). Es ist die Selbstbeschämung im Selbstgericht, als zweite Stufe hinab in die Tiefe der biblischen Buße, wohin du nun geführt werden sollst.

Denn du sollst nicht nur das Urteil Gottes über dich am Kreuz erkennen, sondern du sollst es auch bedingungslos anerkennen. Du sollst dich nicht nur als sündiger Mensch gerichtet sehen, sondern du sollst auch dieses Gericht erleben, das heißt, du sollst dich nun selber so richten, wie du dich am Kreuz gerichtet siehst.

Ach, wie viele, die vom Kreuz und Blut Christi schwatzen, haben das gar nie getan und erlebt! Wie könnten sie sonst so ichgroß weiterleben? Sie haben nur einen für sich sterben lassen, um nun um so erleichterter, wie sie meinen, ihr selbstbewußtes Erdenleben fortsetzen zu können. Sie kommen mir vor wie Leute, die sich ja wohl bemüht haben, die Geschichte, die da auf Golgatha geschehen ist, gebührend in Augenschein zu nehmen, auch sachlich ihre Zustimmung gaben, dann aber möglichst schnell von Kreuz und Grab fortzukommen suchten, um sich als lächelnde Erben des großen Toten von Golgatha in der Welt gütlich zu tun. Das sind die, die ihres Glaubens leben möchten, ohne eine vollständige Buße erlebt zu haben. Sind sie wohl je irgendwie vor dem Gekreuzigten zur Selbsterkenntnis gelangt?

Denn nur wie die Selbsterkenntnis gewesen ist, so ist nachher die Selbstbeschämung. In der Selbsterkenntnis lernt man sich selbst sehen, in der Selbstbeschämung lernt man sich selbst hassen. Nichts ist der Menschennatur fremder als dieses. O, wie selten sind die Menschen, denen man es anmerkt, daß sie sich so tief auf Golgatha erkannt haben, daß sie sich seitdem selber hassen müssen! Und doch sind das die einzig wahren Jesusjünger, das heißt die, die wirklich von Jesus gelernt haben und weiter lernen wollen. Die andern sind Mitläufer, deren Selbstverliebtheit immer irgendwie unheilvoll offenbar werden wird. Es wimmelt von solchen. Sie alle haben die wahre Buße versäumt.

Willst du, teure Seele, ihre Zahl vermehren? Nein, sondern laß ein ganzes Bußwerk an dir geschehen! Der dir Gnadenlicht zur Selbsterkenntnis gibt, der gibt dir auch Gnadenkraft zur Selbstbeschämung. Erbitte die volle Willigkeit, dich jeder Selbstzufriedenheit berauben zu lassen. Laß dich auf der zweiten Stufe wahrer Buße grundsätzlich für alle Zeit deines Erdenlebens mit dir selbst entzweien. Beurteile dich nur noch vom Standpunkte Gottes aus, und wisse es unverlierbar, daß der Standpunkt Gottes ausschließlich der des Kreuzes Christi ist. So wisse, was Paulus wußte, nämlich, daß in dir selbst, das ist in deiner angeborenen fleischlichen Natur, nichts Gutes wohnt. Also hasse dich im Bilde des irdischen Adams mit göttlichem Hasse. In diesem Haß teilst du den Abstand der Heiligkeit Gottes von allem sündigen Fleisch. Ja, laß deine Selbstbeschämung über deine Sündhaftigkeit zum vollen Haß gegen dein selbstweises, selbstgerechtes, selbstgefälliges Ich werden. Halte dich für mit Christus gekreuzigt, gestorben und abgetan. Betrachte dich als einen, der für sich selbst nicht mehr in Betracht kommt, der um seiner selbst willen weder Rechte noch Ansprüche geltend zu machen hat. Setze keinerlei Hoffnung mehr auf dich und trage auch keinerlei Trauer mehr um dich. Wenn du so über dich vor Christi Kreuz urteilen lernst und grundsätzlich in diesem Selbstgericht bleibst dein Leben lang, so werden alle vier Kennzeichen der Auserwählten Gottes dein eigen, nämlich du wirst sein töricht, schwach, gering, nichts (1.Kor. l,27–29), und wirst nach einem gottgewollten Eingang durch die enge Pforte ein Jünger Jesu nach Lukas Kapitel 14, werden, der dem Lamme nachzufolgen vermag, wohin es geht.

Und damit bist du auch willig reif geworden zur Selbstverwerfung, als der dritten und tiefsten Stufe biblischer Buße.

Lerntest du dich in der Selbsterkenntnis selbst sehen und in der Selbstbeschämung selbst hassen, so lernst du dich nun in der Selbstverwerfung selbst lassen.

Das ist das Schmerzlichste und zugleich das Seligste in der wahren Buße. Zweierlei treibt dich unter der Schwere des Selbstgerichtes in diese Bußtiefe hinab. Erstens, die erschaute und aner- kannte Größe deiner Sünde, zweitens, die geschaute und angenommene Größe seiner Gnade. Die Größe deiner Sünde, unter der du dir selbst zum Ekel geworden bist, macht dir deine Verwerflichkeit so gewiß, daß du nicht mehr zaudern magst, dich loszulassen und preiszugeben. Aber fast noch mehr als die Größe deiner Sünde treibt dich die Größe seiner Gnade zur Selbstverwerfung. Du hattest nichts als Zorn verdienet und sollst bei Gott in Gnaden sein? Angesichts dieser unfaßbaren Gnade, die dich, wie gesagt, fast noch mehr als deine Sünde beschämt, kannst du nur empfinden: keiner Gnade bin ich wert. Also kann auch die Gnade nur deine Selbstverurteilung und Selbstverwerfung vollenden. So treiben dich „deine Schuld“ und „seine Huld“ vereint in die tiefste Tiefe der Buße hinab, wo du dich grundsätzlich und endgültig losläßest, preisgibst und verwirfst.

Und wenn du dich nun so verwirfst, wo könntest du dich anders hinwerfen als zu den Füßen deines für dich gekreuzigten und auferweckten Erretters und Erlösers Jesus Christus? Denn die Größe deiner Sünde nahm ja Er hinweg, und die Größe der Gnade Gottes ist ja Er für dich. Darum wirf dich jetzt nur zerschlagen, geängstigt, vernichtet vor Ihm hin. Denn sieh, jetzt, wo du aufhören mußtest an dich zu glauben, jetzt bleibt dir ja gar nichts anderes übrig, als an Ihn zu glauben. Sieh, so gebiert die wahre Buße aus sich selbst den lebendigen Glauben.

Und Er, dein Erretter, der den zur Selbsterkenntnis gekommenen „verlorenen Sohn“ im Gleichnis in Selbstbeschämung sprechen läßt: Ich habe gesündigt! und in der Selbstverwerfung bekennen läßt: Ich bin nicht wert! er ist es ja, in dem der Vater mit Vergebung der Sünden und Heil und Frieden dir entgegenkommt. Darum liege du nur vor Ihm. Aber, sieh, Er läßt dich nicht unterm Gewicht deiner Sünden liegen und in der Tiefe deiner Verwerflichkeit und Unwürdigkeit verderben. Seine Arme heben dich auf und bergen dich an sein Herz. Sein Mund küßt dich und seine Hände beschenken dich, dich, den Verlorengewesenen und Wiedergefundenen, den in Sünden Totgewesenen und in wahrer Buße und Glauben Lebendiggewordenen!

Nur wähne nicht, daß die wahre Buße mit deiner Annahme bei Christus beendet und vorüber sei. O nein, die wahre Buße hält an, solange du auf Erden lebst. Gerade je mehr du nun Christus als deinen überströmenden Lebensquell kennen und erleben lernst, desto mehr wirst du in wachsender Selbsterkenntnis deine Sündhaftigkeit und Verdorbenheit wahrzunehmen vermögen. Und je mehr du Christi Wesen aufnimmst, desto mehr wird dir in zunehmender Selbstbeschämung vor deinem eigenen Wesen grauen. Und je mehr du so die Züge des Wesens Jesu Christi annimmst, desto mehr wirst du in ausreifender und endgültiger Selbstverwerfung dein fleischliches Eigenwesen preisgeben, loslassen und loswerden wollen. Dies erfordert unausgesetzte Buße.

So werden die lebendige Tatkraft deines Glaubens und die dich tragende Fülle deines Friedens allezeit von der Tiefe und Dauer deiner Buße abhängig bleiben. Allezeit mißtrauisch gegen dich, glaubst du um so zuversichtlicher an Ihn. Fortgesetzt beschämt von dir selbst, erfreust du dich unausgesetzt deines Heilands. Immerdar dich verwerfend, gewinnst du immer mehr Ihn. Das ist auch der ganze Sinn des wachsamen und betenden guten Glaubenskampfes unter der warnenden, führenden und herrschenden Leitung des Heiligen Geistes. Und so wird dein ganzes Glaubensleben eine einzige angenehme Frucht deiner wahren Buße werden.

Dabei werden deine Bußempfindungen die allerwandelbarsten sein. Die Bußgefühle mögen immer mehr verebben. Das macht nichts. Ein Kaufmann sieht seinen Bankrott nicht aus seinen Gefühlen, sondern aus seinen Büchern. Der Geist Gottes und das Wort Gottes sind deine Leiter, nicht deine windigen Gefühle, die nur wechselnder Widerschein sind. Bußstimmungen gehören meist nur zu den Rührseligkeiten im Ichleben, die nicht wahre Buße sind. Bußkämpfe und Bußkrämpfe werden immer Ausnahmen bedeuten. Hüte dich, deine Seele in solche hineinzusteigern. Bußübungen sollen alle deine Gedanken, Worte und Werke werden. Daneben mögen dir besondere Bußübungen auf dem Boden der Gnade zur Vollendung deiner Heiligung sehr förderlich sein (1. Kor. 9,24–27).

Aber das unverlierbare Kennzeichen der wahren Buße sei und bleibe deine unwandelbare Selbstverleugnung als williges Kreuztragen in Jesu Jüngerschaft.

Bist du dazu bereit?

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/b/binde/binde_-_was_ist_wahre_busse.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain