Zwingli, Huldrych - Die 67 Artikel Zwinglis

Zwingli, Huldrych - Die 67 Artikel Zwinglis

Artikel für das 1. Religionsgespräch zu Zürich, 29. Jan. 1523

Ich, Huldreich Zwingli, bekenne, daß ich diese nachher angeführten Artikel und Meinungen in der löblichen Stadt Zürich gepredigt habe, auf Grund der heiligen Schrift, die theopneustos - d.h. von Gott inspiriert - heißt, und ich anerbiete mich, gemäß der heiligen Schrift diese Artikel zu verteidigen, und mich, falls ich die heilige Schrift nicht recht verstünde, eines Andern belehren zu lassen, doch nur aus der heiligen Schrift.

1. Alle, welche reden, das Evangelium sei nichts ohne die Bewährung der Kirche, irren und schmähen Gott.

2. Die Summe des Evangeliums ist, daß unser Herr Christus Jesus, der wahre Sohn Gottes, uns den Willen seines himmlischen Vaters kundgetan und mit seiner Unschuld uns vom Tode erlöst und mit Gott allem menschlichen Geschlecht von Gott verheißen und auch geleistet.

3. Somit ist Christus der einzige Weg zur Seligkeit für alle, die je waren, sind und sein werden.

4. Wer eine andere Tür sucht oder zeigt, der irrt, ja, der ist ein Mörder der Seelen und ein Dieb.

5. Deshalb irren alle diejenigen, die andere Lehren dem Evangelium gleich oder höher stellen; sie wissen nicht, was Evangelium ist.

6. Christus Jesus ist der Wegführer und Hauptmann, allem menschlichen Geschlecht von Gott verheißen und auch geleitet,

7. daß er ewiges Heil und Haupt ist aller Gläubigen, die sein Leib sind, der aber ohne ihn tot ist und nichts vermag.

8. Aus dem folgt erstens, dass alle, die in dem Haupte leben, Glieder und Kinder Gottes sind. Und das ist die Kirche oder Gemeinschaft der Heiligen, Christi Ecclesia catholica.

9. Zweitens, daß, wie die leiblichen Glieder ohne Leitung des Hauptes nichts vermögen, so in dem Leibe Christi niemand etwas vermag ohne sein Haupt, Christus.

10. Wie es um den Menschen schlecht bestellt ist, wenn die Glieder etwas ohne das Haupt tun - sie reißen, verwunden, schädigen sich selbst -, ebenso ist es, wenn die Glieder Christi etwas ohne ihr Haupt, Christus, unternehmen - es ist schlecht um sie bestellt, sie schlagen und beschweren sich selbst mit unweisen Gesetzen.

11. Deshalb sehen wir, daß die Satzungen der sogenannten Geistlichen über ihren Prunk, Reichtum, Stand, Titel, Gesetze eine Ursache aller Torheit sind; denn sie stimmen mit dem Haupt nicht überein.

12. Also handeln sie töricht, nicht von des Hauptes wegen - denn man gibt sich alle Mühe, dieses durch die Gnade Gottes wieder ans Licht zu bringen -, sondern weil man sie nicht mehr länger will törichtes Zeug treiben lassen, sondern nur auf das Haupt hören.

13. Wenn man auf das Haupt hört, erlernt man den Willen Gottes deutlich und klar, und der Mensch wird durch seinen Geist zu ihm gezogen und in ihn verwandelt.

14. Darum sollen alle Christenmenschen ihren höchsten Fleiß darauf verwenden, dass überall allein das Evangelium Christi gepredigt wird;

15. denn im Glauben besteht unser Heil und im Unglauben unsere Verdammnis; alle Wahrheit ist nämlich klar in ihm.

16. Im Evangelium lernt man, dass Lehren und Satzungen der Menschen zur Seligkeit nichts nützen.

Vom Papst

17. Daß Christus ein einiger, ewiger, oberster Priester ist. Daraus ersehen wird, daß die, die sich als oberste Priester ausgegeben haben, der Ehre und Gewalt Christi widerstreben, ja, sie verwerfen.

Von der Messe

18. Daß Christus, der sich selber einmal aufgeopfert, ein in die Ewigkeit wirkendes und bezahlendes Opfer sei für die Sünde aller Gläubigen. Daraus wird erkannt, daß die Messe nicht ein Opfer, sondern ein Wiedergedächtnis des Opfers, und eine Versicherung der Erlösung sei, die Christus uns geleistet hat.

Von der Fürbitte der Heiligen

19. Daß Christus allein Mittler ist zwischen Gott und uns.

20. Daß uns Gott alle Dinge will in seinem Namen geben. Daraus ergibt sich, daß wir für das Jenseits keines Mittlers bedürfen als seiner.

21. Daß wir, wenn wir auf Erden für einander bitten, es also tun, daß wir darauf vertrauen, daß uns allein durch Christus alle Dinge gegeben werden.

Von den guten Werken

22. Daß Christus unsere Gerechtigkeit ist. Daraus ermessen wir, daß unsere Werke, soweit sie aus Christus sind, gut, soweit sie aber aus uns sind, nicht gut sind.

Vom Gut der Geistlichen

23. Daß Christus die Habe und Pracht dieser Welt verwirft. Daraus ermessen wir, daß die, welche Reichtümer in seinem Namen an sich ziehen, ihn schwer schädigen, da sie ihn zu einem Deckmantel ihres Geizes und Mutwillens machen.

Vom Speiseverbot

24. Daß kein Christ zu den Werken, die Gott nicht geboten hat, verpflichtet ist. Er darf also zu jeder Zeit jegliche Speise essen. Daraus zu lernen ist, daß Käse- und Butterbriefe1) ein päpstlicher Betrug sind.

Von Feiertagen und Wallfahrten

25. Daß Zeit und Ort den Christenmenschen unterworfen sind und nicht der Mensch ihnen. Daraus wird erlernt, daß die, welche Zeit und Ort beschränken, die Christen ihrer Freiheit berauben.

Von Kutten, Kleidung, Abzeichen

26. Daß Gott nichts mißfälliger ist als Heuchelei. Daraus können wir erlernen, daß Alles, das sich vor den Menschen heuchlerisch für besser ausgibt, als es ist, eine schwere Heuchelei und Verruchtheit ist. Hier fallen dahin Kutten, Abzeichen, Tonsur etc.

Von Orden und Sekten

27. Daß alle Christenmenschen Brüder Christi und untereinander Brüder sind und keiner sich zum Vater über die andern erheben soll. Hier fallen hin Orden, Sekten, Rotten.

Von der Ehe der Geistlichen

28. Daß Alles, was Gott erlaubt oder nicht verboten hat, recht ist. Daraus wird erlernt, daß die Ehe allen Menschen zieme.

29. Daß alle die, die man Geistliche nennt, sündigen, wenn sie, nachdem sie inne geworden sind, daß Gott ihnen Enthaltsamkeit versagt hat, sich nicht durch die Ehe bewahren.

Vom Gelübde der Keuschheit

30. Daß all die, die Keuschheit geloben, kindisch oder närrisch zu viel versprechen. Daraus erlernt man, daß die, welche solche Gelübde abnehmen, frevelhaft an den frommen Menschen handeln.

Von dem Bann

31. Daß den Bann kein einzelner Mensch auflegen kann, sondern die Kirche, das heißt: die Gemeinschaft derer, unter welcher der zu Bannende wohnt, gemeinsam mit dem Wächter, das heißt: Pfarrer.

32. Daß man nur den mit dem Bann bestrafen darf, der öffentlich Ärgernis gibt.

Von unrechtmäßigem Gut.

33. Daß unrechtmäßiges Gut nicht den Tempeln, Klöstern, Mönchen, Pfaffen, Nonnen, sondern den Bedürftigen gegeben werden soll, wenn es dem rechtmäßigen Besitzer nicht wieder zurückerstattet werden kann.

Von der Obrigkeit

34. Die sogenannte geistliche Gewalt hat für ihre Herrschaft keinen Grund in der Lehre Christi.

35. Aber die weltliche Gewalt hat Kraft und Bestätigung in der Lehre und Tat Christi.

36. Alle Gerichtsbarkeit, welche sich die sogenannte geistliche Obrigkeit anmaßt, kommt der weltlichen Obrigkeit zu, sofern diese christlich sein will.

37. Der weltlichen Obrigkeit sind auch alle Christen, Niemand ausgenommen, Gehorsam schuldig,

38 wofern sie nichts gebieten, das wider Gott ist.

39. Darum sollen alle ihre Gesetze dem göttlichen Willen gleichförmig sein, also daß sie den Gedrückten schirmen, auch wenn er nicht klagt.

40. Sie allein hat das Recht, ohne den Zorn Gottes auf sich zu ziehen, Todesstrafe auszusprechen, und zwar allein gegen die, welche öffentlich Ärgernis geben, Gott gebiete denn etwas Anderes.

41. Wenn sie nach Gerechtigkeit Rat und Hülfe denen gewähren, für die sie vor Gott Rechenschaft ablegen müssen, so sind diese auch schuldig, für deren leiblichen Unterhalt zu sorgen.

42. So sie aber untreu und außer der Richtschnur Christi fahren würden, mögen sie mit Gott entsetzt werden.

43. Summa: Dessen Reich ist das aller beste und festeste, der allein mit Gott herrscht, und dessen Reich ist das böseste und schwächste, der nach seiner eigenen Willkür herrscht.

Vom Gebet

44. Die wahren Anbeter rufen Gott im Geist und in der Wahrheit an, ohne alles Geschrei vor den Menschen.

45. Heuchler tun ihre Werke, damit sie von den Menschen gesehen werden; sie empfangen auch ihren Lohn in dieser Zeit.

46. So muß daraus folgen, daß Tempelgesang oder Geschrei ohne Andacht und nur um Geldes willen entweder Ruhm vor den Menschen oder Gewinn sucht.

Vom Ärgernis geben

47. Ein Mensch soll lieber den leiblichen Tod erleiden, als daß er einem Christenmenschen Ärgernis gebe oder ihn in Schande bringe.

48. Wer aus Schwäche oder Unwissenheit ohne Ursache Ärgernis nimmt, den soll man nicht schwach oder unwissend bleiben lassen, sondern ihn stark machen, damit er nicht für Sünde halte, was nicht Sünde ist.

49. Größeres Ärgernis kenne ich nicht, als daß man den Geistlichen zu heiraten nicht erlaubt, aber gegen Bezahlung einer Summe Geldes Huren zu halten gestattet.

Vom Vergeben der Sünde

50. Gott allein vergibt die Sünde durch Christus Jesus, unsern Herrn.

51. Wer solches der Kreatur erlaubt, der entzieht Gott die Ehre und gibt sie dem, der nicht Gott ist. Das ist aber eigentliche Abgötterei.

52. Deswegen soll man die Beichte, die man dem Priester oder dem Nächsten ablegt, nicht für ein Vergeben der Sünde, sondern für ein Fragen um Rat halten.

53. Aufgelegte Bußwerke kommen aus menschlichem Ermessen - den Bau ausgenommen -; sie nehmen die Sünde nicht weg, sondern werden nur aufgelegt, damit andere darob erschrecken.

54. Christus hat alle unsere Schmerzen und Leiden getragen. Wer nun den Bußwerken zuschreibt, was allein Christi ist, der irrt und schmäht Gott.

55. Wer sagt, daß dem reuigen Menschen irgend eine Sünde nicht vergeben werden könne, der wäre nicht an Gottes, noch Petrus, sondern an des Teufels Statt.

56. Wer gewisse Sünden nur um Geldes willen vergibt, ist Simons und Bileams Genosse und ein richtiger Apostel des Teufels.

Vom Fegfeuer

57. Die wahre, heilige Schrift weiß nichts von einem Fegfeuer nach diesem Leben.

58. Das Gerichtsurteil über die Abgeschiedenen ist nur Gott bekannt.

59. Je weniger uns Gott davon hat wissen lassen, um so weniger sollen wir versuchen, etwas davon zu wissen.

60. Wenn ein bekümmerter Mensch Gott für die Gestorbenen um Gnade anruft, so verwerfe ich dies nicht. Doch das an eine bestimmte Zeit binden und um des Gewinnes willen lügen, ist nicht menschlich, sondern teuflisch.

Von der Priesterschaft

61. Von dem Charakter, den sich die Priester in den letzten Zeiten beigelegt haben, weiß die heilige Schrift nichts.

62. sie kennt überhaupt nur solche Priester, welche das Gotteswort verkündigen;

63. diesen heißt sie Ehre erweisen, d.h. ihnen leibliche Nahrung bieten.

Vom Abstellen von Mißbräuchen

64. Alle, welche ihren Irrtum erkennen, soll man nichts entgelten lassen, sondern sie in Frieden absterben lassen und dann mit ihren priesterlichen Einkünften nach christlicher Liebe verfahren.

65. Die ihren Irrtum nicht erkennen wollen, mit denen wird Gott wohl handeln. Darum soll man mit ihrem Leib keine Gewalt vornehmen, es wäre denn, daß sie so ungestaltlich sich aufführten, daß man nicht ohne das auskommen könnte.

66. Es sollen alle geistlichen Vorgesetzten sich eilends demütigen und allein das Kreuz Christi aufrichten, nicht die Geldkiste, sonst gehen sie zu Grunde; die Axt ist an den Baum gelegt.

67. Wenn Jemand begehrte mit mir eine Disputation zu halten betreffend die Zinsen, Zehnten, die ungetauften Kinder, die Firmung, so anerbiete ich mich gerne zur Beantwortung.

Hier versuche Keiner zu streiten mit Sophisterei oder menschlichem Geschwätz, sondern komme, indem er die heilige Schrift als Richter anerkenne, damit man entweder die Wahrheit finde oder, so sie, wie ich hoffe, schon gefunden ist, behalte. Amen!

Das walte Gott!

Quelle: Meltzer, Hermann - Kirchengeschichtliches Quellenlesebuch

1)
Vom Papst erlassene „Butterbriefe“ erlauben in Gegenden, in welchen Speiseöl schwer zu erhalten ist, den Genuß von „Lacticinien“ (d.h. Milch, Butter, Käse, Eier) in der Fastenzeit.
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