Zütphen, Gerhard von - Über das Lesen der Bibel in der Muttersprache

Zütphen, Gerhard von - Über das Lesen der Bibel in der Muttersprache

Gerardus de Zutphania (oder Zerbolt), geb. 1365 gestorben am 4. Dezember 1396 schreibt Gründe über das Lesen der Bibel in der Muttersprache (überliefert bei Revius, Daventria illust. p. 41-60):

  1. Das kanonische Recht macht den Gläubigen die Kenntniß der heiligen Schrift ausdrücklich zur Pflicht; und ohne das Lesen einer Uebersetzung kann diese Kenntniß nicht erlangt werden.
  2. Die heilige Schrift ist nicht für einen einzelnen Stand in der Welt gegeben, sondern sie enthält ein Gebot, das für Jung und alt, für Laien und Geistliche gleich verbindend und heilsam ist.
  3. In dem alten Testament wird das fleißige Lesen der Propheten anbefohlen; das neue Testament ist viel vortrefflicher, und muß daher nicht weniger von Jedem gelesen werden.
  4. Die Kirche gebietet den Laien, zu bestimmten Zeiten zum Anhören der Predigt des göttlichen Wortes zu kommen. Dieses können sie aber nicht mit Nutzen thun ohne gehörige Bibelkenntniß.
  5. Die Kirchenväter ermuntern Jeden, selbst die Weiber, zum Lesen der heiligen Schrift.
  6. Die heilige Schrift ist gegeben zur Vervollständigung und zur Stütze des Naturgesetzes, das jeder Mensch in seinem Herzen hat, und muß also auch für einen Jeden zugänglich sein.
  7. Die Laien haben viele unerbauliche und verderbliche Bücher. Sie lesen in der Landessprache die Geschichte von Troja, von Roland, von der schönen Diana und andere lügenhafte Märchen der Art: warum will man sie denn abhalten vom Lesen dessen, was sie tugendhafter und heiliger macht?
  8. Man verlangt von den Laien das Lesen und Verstehen der zehn Gebote; warum sollten sie denn die übrigen Theile des Gesetzes nicht lesen?
  9. Unwissenheit entschuldigt Keinen, wenn er gegen Gottes Gesetz handelt: Jedem gebührt also, die heilige Schrift aufmerksam zu lesen, um den Inhalt derselben gut kennen zu lernen.
  10. Die ganze heilige Schrift ist ursprünglich in der Landessprache desjenigen Volkes geschrieben, an das damals das göttliche Wort gerichtet ward; es kann daher nicht unerlaubt sein, das Volk auch gegenwärtig mit dem Inhalte des Buches bekannt zu machen.
  11. Viele Heilige haben sich mit der Verdolmetschung der heiligen Schriften in die Landessprache des Volks, unter dem sie lebten, beschäftigt.
  12. Die heilige Schrift ist lateinisch übersetzt worden, nicht um einigen Menschen unbekannt und verborgen zu bleiben, sondern weil damals das Latein die am meisten allgemein verbreitete Sprache war.
  13. Die ägyptischen Kirchenväter trieben fleißig die heiligen Schriften; und da nur Wenige unter ihnen das Lateinische oder Griechische verstanden, so haben sie ohne Zweifel Uebersetzungen in der Landessprache gehabt.
  14. Fast alle Völker, z.B. die Hebräer, die Griechen, die Chaldäer, die Araber, die Syrer, die Gothen, die Indier, die Russen, die Slaven, die Gallier, haben Uebersetzungen der Bibel; warum sollten denn die Niederländer dieses Recht entbehren?
  15. Das Lesen der heiligen Schrift in der Landessprache würde unerlaubt heißen müssen, wenn es mit dem Naturgesetz stritte oder verboten wäre. Da nun keines von Beidem Statt findet, und im Gegentheil die alten Kirchenväter zum Gebrauche der Bibel ermuntern; so erscheint es keinesweges unrecht, sondern vielmehr verdienstlich und auf alle Weise lobenswerth zu sein, die heilige Schrift in der Landessprache zu besitzen und zu lesen.

—- Quelle: Delprat, G.H.M. - Die Brüderschaft des gemeinsamen Lebens

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