Zinzendorf, Nikolaus von - Reden über den 2. Artikel - Die zehnte Rede.

Zinzendorf, Nikolaus von - Reden über den 2. Artikel - Die zehnte Rede.

Vom Tode und von der Gewalt des Teufels.

Wie die Kinder Fleisch und Blut haben, ist Er es gleichermaßen theilhaftig worden, auf daß Er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hat, das ist dem Teufel, und erlösete die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten. Ebr. 2, 14. 15.

Man kann gleich daraus überführt werden, was man für einen Herrn hat, wenn einem dargethan wird, von wem man seinen Gehalt oder Sold kriegt. Die heilige Schrift demonstriert's auch so (s. Röm. 6, 19. u. f.). Wer die Gabe Gottes zum Solde hat, das ist ein Zeichen, daß man ein Knecht Gottes sei. Hat man den Tod zum Lohne, so ist's ein Zeichen, daß man ein Knecht des Verderbens ist, ein Knecht deß, der nur den Tod geben kann, er verspreche einem gleich, was er wolle, man kann sich gar auf sonst nichts mit ihm einlassen: denn er hat nichts; der Teufel hat nichts Bessers in seinem Vermögen, als den Tod.

Der Tod ist nicht das Sterben aus dem Bette oder bei anderer Gelegenheit, welches man gemeiniglich pflegt den Tod zu nennen. Das sehen wir aus den Worten des Heilands, der gewiß nichts Anders redete, als was durch die Erfahrung bestätiget ward, und in dessen Reden allenthalben die erfahrungsmäßigste Weisheit liegt. Wer an mich glaubet, der wird leben, wenn er gleich stirbt, und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Joh. 11, 25. 26.

Es ist also sehr billig, daß wir uns über diese Worte ein wenig besinnen, weil in denenselben der Beweis liegt, daß das, was die Menschen das Sterben nennen oder das Ablegen der äußerlichen Leibeshütte, das rechte Sterben nicht ist, weder an sich selbst, noch in seinen Folgen. Daher hat auch die Schrift eine weise Unterscheidung gemacht zwischen dem ersten und andern Tode.

Wär's für sich selbst ein Tod, wenn man aus der Welt ginge: so bliebe es eben dabei, daß die Gottlosen einmal stürben.

Weil aber der liebe Heiland weiß, und Seine Knechte, die Apostel, wußten, daß der Tod, der nach diesem Leben ist, gar nicht zur eigentlichen Connexion des sogenannten Sterbens gehöre, so nennen sie ihn den andern Tod.

Alle Dinge, alle Menschen, die geboren werden, gehöre unter den ersten Tod, nämlich unter denselbigen, der freilich durch die Sünde ist in die Welt kommen.

Worinnen besteht derselbe Tod? darinnen, daß ein Mensch in derselben Schwäche, in derselbigen Kraft, in denselben Umständen, wie wir sie alle vor unsern Augen in der Welt sehen, geboren wird; das heißet den Tod am Halse haben. Von der Stunde an, da ein Mensch gezeuget ist, so hat er den Tod in sich.

Die Seele, die an sich nicht sterben kann, noch wird, die ist von derselben Zeit an in einen Todesleib eingeschlossen, und muß mit demselben in der Welt herumgehen. Sie muß die Bewegungen, Empfindungen und Erfahrungen, die sie als eine Seele, als eine freie Seele, haben konnte, durch ein ander Wesen stören, und manchmal durch ein Bleigewicht pressen, durch einen Zufall verrücken, sich hinderlich und im Wege sein lassen: daß also das ganze natürliche Leben eines Menschen ein beständiger Tod ist.

Darum will der Heiland sagen: „Ich kann meinen Kindern und Jüngern nicht läugnen, daß sie sterben, sie sterben alle Tage; aber wenn sie an mich glauben, können sie versichert sein, sie werden ins Leben kommen, es wird besser mit ihnen werden. Wenn sie nun leben, und glauben an mich, so stehe ich ihnen davor, daß sie ewiglich nicht mehr sterben werden.„ Nun können wir's ganz deutlich sehen, was der Heiland damit haben will. Meinte der Heiland den natürlichen Heimgang, so müßte es so viel sagen, daß die Menschen, die Jesum hätten, nicht wie andere Menschen aus der Welt kämen.

Wie kommt's aber, daß, da man Exempel gehabt hat von Leuten, die gen Himmel gefahren sind, man doch itzt keine hat, seitdem der Heiland gen Himmel gefahren ist wenigstens keine bekannt sind?

Darum kann der Heiland nicht gemeint haben, meine Jünger sollen nicht aufgelöst werden, was man in der Welt sterben nennt, sondern Er sagt: sie sterben von ihrer Gehurt an, sie tragen den Todesleib an ihnen, das ist wahr. Indem sie aber sterben, indem sie alle Tage erfahren müssen, daß sie eine zerbrechliche, vergängliche Hütte haben, damit ihre Seele beschweret ist, einen Leib, der sie hindert aus mancherlei Weise: so sollen sie sich besinnen, und darin decken, und sich damit trösten, es wird bald dazu kommen, daß wir recht leben werden, daß der Tod in Gliedern ganz aufhöret. Daher sagt Paulus: es wird mir wohl bekommen, wenn ich sterbe, Sterben ist mein Gewinn. Phil. 1,21. Etwas gewinnen, heißet es besser kriegen. Wo das nun nichts Bessers wäre, wenn die Seele von der Hütte befreiet würde, wo bliebe der Vortheil?

Es ist also ein wahrer Gewinn bei dem sogenannten Todesgange. Es ist eine Scheidung der seligen, der keusch gemachten, der versöhnten Seele von ihrer armseligen Hütte, von einer großen Last, die sie getragen hat in Demuth und Geduld, nach dem Befehl und Ordnung Gottes, nach dem Exempel unsers Heilandes Jesu Christi, der auch einen solchen Leib an sich getragen, und der nicht eher gesagt hat: Es ist vollbracht, bis die Stunde da war, sich von dem Leibe zu scheiden, und Seine Seele in Seines Vaters Hände zu übergehen. Das ist also der Anfang des Lebens, so bald die Hütte abgeleget ist. Darnach kommt kein Sterben mehr. Dann kriegt die Seele keine solche Last mehr aus den Hals, sondern kommt gleichsam in die freie Lust. Das, was vorher gestorben war, dessen Tod wir so lange gefühlet, und es itzt auf die Seite geleget hatten, das wird unterdessen kurieret, und durch die Wunderkraft Gottes in einen unverweslichen Stand gesetzet.

Wenn wir also hören, daß uns unser Heiland erlöset hat vom Tode, so heißet es so viel: Er hat Seinen Gläubigen gegeben, daß, so bald der äußere Lauf aufhöret, so bald die Schulzeit vorbei ist, so bald sie in der niedrigen Gestalt ausgestanden die Tage und Jahre, darinnen sie, nach dem Urtheil und Recht des Falles, haben mit sterben sollen: so sollen sie dann auf einmal auf ewig ins Leben eingehen, sie sollen auf einmal ihres Todes los werden, sie sollen da stehen in einer Seele, die mit dem Blute Jesu Christi gesalbet ist: so bald das Haus der Hütte, oder der zerbrechliche, der elende, der tödtliche, der verderbte und verwesliche Körper eingerissen, zerbrochen und aus einander genommen worden: so soll die Seele gleichwohl bekleidet, und nicht bloß sein. 2 Cor. 5, 3. Denn sie tragen die Gerechtigkeit Jesu als einen Rock, wenn sie, wie es der Apostel ganz deutsch sagt, den Herrn Jesum Christ in der Zeit angezogen haben (Gal. 3,2), und in dem Kleide gefunden werden.

Die andern Menschen insgesamt haben nichts als Schrecken zu gewarten, wenn die Stunde des Abschiedes kommt. Warum? Hier sind sie zwar den Kindern Gottes gleich, sie haben's nicht besser dem Äußern nach; dem Innern nach aber haben sie einen Tod, den sie nicht fühlen, den allergefährlichsten, einen viel beschwerlichen Tod, als die Kinder Gottes. Warum? Die Jesu angehören kreuzigen ihr Fleisch, samt den Lüsten und Begierden, Gal. 5, 24. die wissen den Leib des Todes in der Zucht und in der Ordnung zu halten. Die können durch Arbeit, durch Treue, durch Mühe, durch Enthaltung sehr viele Ausbrüche des Todesgifts verhindern, und sich so einrichten, daß ihnen, über ihren Geschäften in Gott und über ihrem geständigen Auswärtssein mit ihrem Herzen bei ihrem Schatz, der in der Höhe ist, über ihren Gemüthsarbeiten um andere Seelen und des Herrn Sache, das Andenken, die Empfindung und die Überlegungen vergehen, daß sie im Sterben sind. Sie denken nicht an das elende Leben, weil Gott ihr Herz erfreuet. Pred. 5, 19.

Sie werden auch darum der vergänglichen Hütte weniger als andere Menschen gewahr, weil sie sie weniger pflegen. Da die andern Menschen nichts Anders zu thun haben, als daß sie ihren Tod auf das allerempfindlichste fühlen, weil sie in einer anhaltenden Sorge und Beschäftigung mit den Dingen sind, die die Schmerzen und das Nachdenken vergrößern.

Gehen dann die armen Weltmenschen ohne Geist aus der Zeit: so haben sie nichts zu hoffen, sondern wenn sie erlöset sind von der beschwerlichen Hütte, welches wahr ist und man ihnen gestehen muß, und die Seele wird nun frei vom Körper: so gehet der zweite Tod an, so kommt eine neue Qual, so wird die Seele wieder in etwas Anders eingekleidet, denn sie ist bloß. Und dieser unglückselige und befleckte Rock hat eine Wirkung, die die arme Seele weit empfindlicher drückt, als alles Elend der Hütte, die man noch ablegen konnte.

Hier in der Welt wußte man sich noch des Todes Bitterkeit zu vertreiben durch allerhand Dinge und Umstände, die der Satan erfunden hat, seinen Knechten die Gedanken ein wenig zu verfälschen, die nützliche Sorge zu verhüten, das gute Nachdenken zu verhindern, und Alles, was sie nüchtern machen könnte aus seinem Stricke, abzuhalten. 2 Tim. 2, 26.

Wenn sie aber in der Ewigkeit sind, da ihr Zeitvertreib ein Ende hat; dann halten alle dieselbe Vernunftsgründe, alle diejenigen Ausweichungen, damit man sich in der Zeit beholfen, nicht Stich, die Sinnen sind zerstöret, den guten Gedanken von sich selbst ist der Weg versetzet, die Schlüsse sind vergessen, die den Verklagungen im Herzen geantwortet zur Entschuldigung: da versinkt die Seele in den Tod; denn sie ist gerichtet, weil sie nicht geglaubt hat an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. Joh. 3, 18.

Und das ist ein unwandelbares Unglück, so bald die Seele in der Ewigkeit, wo nichts als Wahrheit ist, nichts mehr in falschen Bildern, sondern Alles in der wahren Gestalt erscheinet, mit allem ihrem Wissen, Überzeugungen, Gefühl und Empfindung in den andern Tod geräth.

Weil nun dergleichen bevorstehende Schicksale, ob sie schon aus tausenderlei Art verredt und verzaubert werden, doch immer so ein sorgsames Ahnen bei sich fühlen: so werden die Seelen eben dadurch in der Knechtschaft gehalten, und Satan macht mit ihnen, was er will, weil er den Tod in Händen hat, den Tod, mit dem wir in einer so genauen Connexion stehen, der uns um unserer Sünde willen gehört, und mit dem kann er sie in die Furcht jagen, wenn er nur will. Er kann ihnen ihre besten Tage und vergnügtesten Stunden so auf einmal verderben, daß sie nicht wissen, wo ihnen der Kopf stehet. Das stehet Alles in seiner Macht. Er ist der Fürst der Finsterniß, der sein Werk hat in den Kindern des Unglaubens. Eph. 2, 2.

Und wie die Knechte und Mägde Jesu Christi sagen: Er ist unser Gott, auf den wir harren; Jes. 25, 9. so müssen die armen Seelen, die unter dem Verderben stehen, und unter der Tyrannei des Satans, denselben als ihren Herrn und Haupt erkennen, und dürfen sich nicht dagegen rühren, er ist ihr Gott. 2 Cor. 4, 4.

Es ist bekannt, daß natürlicher Weise die freien Leute alle Dinge in viel besserer Ordnung halten, wenn sie gleich auch unterthan sind. Sie beobachten auch ihre Schuldigkeiten, aber das hat sein gewisses Maaß, das hat sein Ziel, wenn es noch so schwer ist. Sie wissen gleichwohl: das Haus ist mein, der Acker ist mein, das Land ist mein, sie haben Lust drinnen zu arbeiten, und was zu thun. Wenn man aber in die Länder kommt, da es von alter Zeit her Brauch ist, daß die Menschen lediglich denen Herren gehören, die an demselben Ort wohnen und desselben Guts oder Landes halben, das sie besitzen, leibeigene Knechte sind; da sieht man nichts als Elend und Jammer, und bei den allerweitläuftigsten Ländereien nichts als Armuth und böse Zeit. Sie bringen nichts vor sich. In guten Tagen können sie sich kaum erhalten, in bösen Tagen müssen sie Hungers sterben, oder ihren Herren zur äußersten Last werden. Woher kommt's? Sie haben keine Lust, was zu thun, sie haben keinen Sinn, etwas recht anzugreifen. Sie haben die entweder wahre oder falsche Idee in ihrem Gemüth, durch Veranlassung der äußern Umstände: was soll ich mich mit etwas plagen, das mir alle Stunden genommen werden kann? Auf eben die Art geht's allen Sklaven des Satans, allen natürlichen Leuten, allen Menschen, die nicht wissen, wo sie mit ihrer Seele hin sollen, wenn sie noch so viel daran gewendet, ob sie ihre oder eines Andern ist. Wenn sie gleich die allerschönsten Sachen hören, lesen, Überzeugung davon haben; wenn sie gleich denken, ja, das wäre gut, so wär's hübsch; wenn sie es gleich sollen angreifen, so haben sie kein Herz. Warum? Sie sind durch Furcht des Todes Knechte, und das durch ihr ganzes Leben, durch ihr ganzes in der Welt sein.

Und darum muß der Anfang alles Guten von der Gnade des Herrn Jesu, von Seiner Erbarmung, von Seiner Versöhnung und Erlösung aus der Gewalt des Satans gemacht werden. Darum hat Er geschworen, uns zu geben, daß wir erlöset aus der Hand unserer Feinde, Ihm dienen können, und das ohne Furcht unser Leben lang, in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die Ihm gefällig ist. Luc. 1,74.75.

Das bringet mich ganz natürlich darauf, von dem Kampf mit der Sünde zu reden.

Alle redliche Gemüther, die viel gelesen, oder sonst einen guten zusammenhängenden Verstand haben, sind damit einstimmig, daß man seinen Affecten, seinen sündlichen Gedanken, Reizungen, Neigungen, Begierden nicht freie Hand lassen müsse. Das sind leichtsinnige Menschen, das sind ruchlose Leute, die das nicht eingestehen. Es weiß ein jeder ehrlicher Mann von einer Überwindung zu reden, und zu erzählen, wie man sich in der Welt, in der oder jener Sache Gewalt angethan habe, wie man sich da im Zorn gehalten habe, dort den Willen gebrochen; wie man dies und jenes hätte haben können, weil man aber eine Ungerechtigkeit hätte begehen müssen, es gedarbet hat; wie man sich da oder dort hätte rächen, und Jemand unglücklich machen können, hätte aber der Vernunft und Billigkeit Platz gelassen, und es nicht gethan. So sieht's sonderlich mit den schändlichen Dingen, mit den Wollustsünden und dergleichen aus. So kann man sich nach und nach ein ganzes System der Tugend zusammen machen, sonderlich von Tugenden, die uns Ehre und Ansehen bringen. Der Mann, heißt's, der sonst so zornig ist, ist ganz freundlich; der Mann hält sonst so sehr über dem Seinen, er hat da eine große Freigebigkeit bewiesen, er hat viel an dem und jenem gethan. Jener Mensch ist sonst überaus leichtsinnig und wollüstig, hat aber ungemeine Standhaftigkeit in einem oder anderm gezeigt; man hat sich verwundern müssen. Der ist sonst so bequemlich, und macht sich nicht gern Feinde, aber er hat über der oder jener Sache so viel gewagt (bloß aus Ehrlichkeit, bloß aus einem redlichen Gemüth), daß man es kaum hat begreifen können. Nun man muß gleichwohl in seinem Urtheil nicht unbillig sein. Es geht in der Welt nicht so gar leichtsinnig zu, wie man denken möchte; es wird auch Überlegung gebraucht; es hat sich mit Manchem überworfen im Gemüth, bis endlich die Tugend die Oberhand behalten, und man gethan hat was recht ist.

Nun einen solchen unaufhörlichen Kampf erzählt der Apostel von ihm selbst, da er noch ein großer Philosophus und ein Lehrer unter den Pharisäern war, da er gewiß Alles begriff und verstand, was ein Mann wissen und verstehen mußte. Er erzählt weitläuftig: Wenn er habe wollen was Gutes thun, so habe er nicht gekonnt; er hatte Neigung dazu, er wurde aber bald wieder übern Haufen geworfen, es nahm ihn immer wieder was gefangen, daß er thun mußte, was er nicht wollte, was er nicht für recht erkannte, was ihm selber nicht gefiel. Endlich kam's doch so weit, daß er nicht mehr durste ein Sklave sein von dem Leibe dieses Todes; denn er dankt Gott durch Jesum Christum, und macht den Schluß aus seinem Exempel: „Christus hat mich erlöset von dem Gesetz des Todes, Er hat mich davon los gemacht; folglich, wer in Christo Jesu ist, der wandelt nicht mehr nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist; es ist keine Verdammung weder über das vorige, noch zum künftigen Sündigen an denen, die m Christo Jesu sind, das Gesetz des Todes ist für sie nicht mehr.“ Röm. 8,1.2. So lange er räsonierte, so lange er sich die Gebote vorstellte, die Pflichten und Schuldigkeiten, da war's unmöglich, das Gesetz richtete immer Zorn bei ihm an, es machte ihn confus, und brachte ihn wider Gott auf.

Aber was hatte Gott gethan? Er hatte Seinen Sohn um der Sünde willen, in der Gestalt des sündigen Fleisches in die Welt geschickt, und die Sünde im Fleisch condemniert. V. 3. Das erfuhr Paulus, da war er fertig, da war er auf einmal von der Gewalt der Sünde und des Todes frei gemacht.

So lange wir also Jesum nicht haben, so lange wir Den nicht kennen, so lange wir unsere Rettung und Erlösung in Seinem Blute nicht funden haben, so lange müssen wir uns mit der Sünde herum ringen, kämpfen und martern. Und das gehet, nachdem ein Mensch ein gut redlich Gemüth hat, nachdem er ein gutes natürliches Einsehen hat, wohl so weit, daß der Mensch zuletzt nicht weiß, was er thun soll, und daß man mehr als ein Exempel hat von Leuten, die wirklich über ihren guten Vorsätzen sind rasend worden, aus keiner andern Ursach, als sie haben wollen fromm werden, haben's gern wollen recht machen, haben aber nicht durch gekonnt. Wer solche Exempel läugnen wollte, der würde wider die Erfahrung reden.

Wer aber dieses Bekenntniß mißbrauchen wollte, der würde nur seinen Unverstand verrathen. Denn das ist gar nicht zu läugnen; die Menschen, die aus eigener Vernunft und Verstand, aus eigener Überzeugung und Persuasion, in eigenem Kämpfen und Streiten die Sünde überwinden wollen, die sind aller Gefahr unterworfen, die einer ohnmächtigen Creatur zustoßen kann, die sich mit einer mächtigern überwirft. Sie sind dem exponiert, daß die Sünde Herr wird, daß sie der Teufel alles ihres Dämpfens und Ringens ungeachtet, unter die Füße tritt, daß es ihnen gehet, wie David sagt. Der Feind verfolget meine Seele, und schlägt mein Leben zu Boden, er leget mich ins Finstere wie die Todten in der Welt. Ps. 143, 3. Sie sind nicht zur Freiheit gelangt, weil sie in dem Kämpfen und Streiten müde und matt wurden, und endlich aus allen Arten der Meinungen und Einfälle entweder in ein leichtsinniges Wesen geriethen, da man wenig mehr an Gott, an den Heiland aber gar nicht gedenkt, darum, weil einem Alles, was man sich von Ihm versprochen, gefehlet hat, weil alle Mühe und Arbeit vergebens gewesen ist, und weil die Leute, wenn sie's dann ohne Ihn zwingen und durchsetzen wollen, beinahe um ihren Verstand, um alle ihre Kräfte, um Gesundheit und Leben kommen waren, und doch nichts ausgerichtet hatten. Das kam aber Alles daher, daß sie eben Knechte der Sünde waren, sie hatten keine Macht so zu thun, sie wurden als Verbrecher an dem Gesetz der Sünde angesehen, wenn sie der Sünde eine Absage wollten thun lassen. Sie dürfen bei keinem Andern sein, als bei ihrem selbsterwählten Herrn und Manne. Das ist schon so.

Wer aber durchschauet in das vollkommen Gesetz der Freiheit und die Seligkeit kennet, daß uns Jesus am Stamme des Kreuzes mit Seinem Blute und Tode frei gekaufet hat, daß Der dem Tode die Macht genommen, und Leben und unvergänglich Wesen ans Licht gebracht hat, 2 Tim. 1, 10. daß die Sünde nicht mehr herrschen kann über uns, weil wir nicht mehr unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade, Röm. 6, 14. der verstehet auch das Geheimniß, wie man's machen soll, daß man, auf eine ganz leichte Weise, ohne Beschwerung, ohne Klage und Marter von der Sünde los wird, und so los von ihr wird, daß sie fliehen und weichen, oder sterben muß, daß der Satan, der sie in Händen hat, und der sie brauchet, die Menschen nach seiner Lust zu führen, sich selbst nicht mehr an uns waget. Man bewahret sich entweder, daß er uns nicht antastet, oder widerstehet dem Teufel, daß er endlich flüchtig werden muß.

Wie geschieht das? Man lässet sich vom Heilande Alles geben, alle Seine Sieges- und Heldenkraft; man lässet sich von seinem Erlöser alle Seine Gerechtigkeit schenken, man bekennt's Ihm: „Mein Heiland! ich kann nichts, ich bin ein Arbeitender, ich bin ein Mensch, der beladet ist, ich habe mich ermüdet, nimm Dich meiner an, erbarme Dich meiner, ich kann nicht mehr Athem holen, ich komme mit der Sünde nicht zurechte, erlöse mich von dem Leibe dieses Todes, mache mich frei von meinem Verderben, laß mir das mütterliche Erbarmen Deines Herzens, laß mir Dein Blut und Tod zu gute kommen, sage zu meinen Feinden: Seid vertilget, wirf meine Sünde hinter Dich, verschlinge den Tod in den Sieg.„ so wird sich der Heiland Seiner Leute und Sache bald annehmen; Er wird uns aufnehmen, der da saget: Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen. Joh. 6, 37. Er weiß es wohl zuvor, daß man ohne Ihn nichts thun kann, man sagt Ihm nichts Neues.

Wenn also ein solcher armer Mensch, der sich müde gearbeitet und damit doch nichts ausgerichtet hat, nach dem Worte Jesu zu Ihm kommt, so ist das eine der ersten Arbeiten, die der Heiland an uns thut, Er leget uns in die Geduld (wie man zu reden pflegt von den Gebäuden), Er tritt zwischen uns und dem Widersacher und spricht: Dies Kind soll unverletzet sein.

Seelen, die itzt erst Gnade gekriegt haben, die erst aus dem Tode ins Leben kommen sind, die erst gezeuget sind, die erst gefunden sind, da sie vorher versteckt waren unter des Todes Gewalt, oder dem Geiste nach gar todt waren, denen der Heiland nun erst zum Leben verholfen, die lässet Er erst ausruhen und schlafen, und darnach fänget Er an, ihnen zu essen und zu trinken zu geben. Er ernähret sie mit Seinem Fleische und Blute, pfleget und wartet ihrer, und will sie nun gern aufbringen, daß was aus ihnen werden soll, daß sie wachsen, daß sie eine Gestalt kriegen, und eine rechte Größe erlangen sollen. Davon heißet es: Seid begierig nach der vernünftigen lautern Milch, als die itzt gebornen Kindlein, daß ihr durch dieselbe zunehmet. 1 Petr. 2, 2. In der Zeit muß uns der Satan gehen lassen, in der Zeit sind wir wie ein Kind in der Wiege, das seine Leute um sich hat, die es bewahren. Das Kind lieget in einer vollkommenen Ruhe, so daß die erste Liebe, davon in der Offenbarung Johannis stehet, die edelste und vollkommenste ist. Sie ist bei den Anfängern so brennend, so frei, so lebhaft, daß die guten Seelen sich nicht ohne Grund dünken lassen, es könne kaum weiter gehen, man könne es in der Welt nicht besser haben.

Es ist wahr, man kann in der höchsten Vollständigkeit des Alters Christi nicht mehr Ruhe haben von allen seinen Feinden. Daher ist es eine thörichte, unbesonnene Rede und ein Zeichen der äußersten Unerfahrenheit, wenn es heißet: der Mensch ist nicht weit gekommen, er ist nur ein Anfänger; darum thut er noch die und die Sünde, darum hat er noch dieses und jenes Unrichtiges an sich. Ein Anfänger ist der beste, ein Anfänger im Reiche Christi, der erst Gnade gekriegt, der erst Vergebung empfangen, den der Heiland kaum erst auf Seine Achseln genommen hat, und traget ihn mit Freuden heim, der ist in einer solchen Sicherheit, die sich kein Mensch vorstellen sollte, der ist vor aller Gefahr geborgen, der kann mit David sagen. Du erhebest mich aus den Thoren des Todes. Ps. 9, 14. So sagt Er von Seinen Jüngern, da Er aus der Welt ging: Die Du mir gegeben hast, die habe ich bewahret. Joh. 17, 12. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Joh. 10, 27. 28.

Wenn sich die Leute wunderten, daß den Jüngern so wohl war: Lasset die Leute gehen, sagt Er, der Bräutigam ist bei ihnen, es wird die Zeit kommen, da wird der Bräutigam von ihnen genommen werden, da werden sie fasten, da werden sie trauern; es wird aber auch wieder gut werden, ihre Traurigkeit wird in Freude verkehret werden, Joh. 16, 20. und darnach hört sie nicht wieder auf.

Es kommen freilich wieder Zeiten, es kommen wieder Stunden, wenn wir zugenommen haben, wenn wir gewachsen sind, wenn wir Kraft genug haben, wenn wir Stärke fühlen, Glaubensstärke, und angethan sind mit der Waffenrüstung Gottes, wenn die Schultern was tragen können; darnach wird dem Feinde Erlaubniß gegeben, zu versuchen, was die Kinder Gottes für Leute sind, was der Herr aus uns Sündigen hat lassen werden, wozu Er uns geholfen hat, aber da geht man mit dem Teufel auf eine ganz andere Art um als vorher. Da ist es unläugbar: Man kämpfet mit ihm. Der Welt gehet man aus dem Wege, man fliehet vor ihr, und da ist man am besten dran. Dem Satan aber, wenn er sich an uns macht, hält man Stand, und überwindet ihn durch die mächtige Gotteskraft und Geistesfreudigkeit. Und der Herr tritt den Satan unter unsere Füße in kurzem.

Die Sünde ist das elendeste, miserabelste Ding, ein Schandfleck, eine Sache, die nicht werth ist, daß man sie in die Gedanken nimmt, und wenn was von den alten Dingen vorkommt, wenn sich was regen und melden will, so muß es auf die verächtlichste Art getödtet werden, wie sonst ein Ungeziefer. Die Sünde, die sich regt, hat weder Recht noch Macht. Sie ist gar im geringsten in keine Konföderation zu ziehen. „Fleuch vor der Sünde, wie vor einer Schlange, denn wenn sie dir zu nahe kommt, so sticht sie dich.“ Sir. 21, 2. Das wird neutestamentisch so ausgesprochen: „Lasset die Sünde nicht herrschen in euerm sterbenden Gebeine.“ Röm. 6, 12. „Wer Christo angehört, der kreuzige sie.“ Gal. 6, 24. Man muß ihr das nicht einräumen, daß sie was thun oder ausführen darf. Denn ihr Zusammenhang ist zerstöret, der Heiland hat ihre Festung zerbrochen und eingerissen, Er hat ihr ihren Bau verderbet. Läßt sie sich doch wieder sehen, so hat ein Streiter Jesu Christi nur zu wachen, daß ihre mancherlei blaue Dünste sich nicht wieder zusammenziehen können, sondern immer aus einander bleiben müssen. Da kann wohl wieder einmal ein Gedanke geflogen kommen, da kann sich wohl wieder einmal von den Saaten, die der Satan durch seine List oder Unverschämtheit gesäet hat, etwas blicken lassen; aber man tritt drauf. Man wirft die Augen nicht einmal hin, man würdiget die Sünde keines Anblicks. Der Glaube, den ein Kind Gottes hat, sonderlich aber ein Streiter Jesu Christi, der ist so geschäftig, wenn sich die Sünde von weitem merken läßt, bei solchen Gelegenheiten und Fällen, wobei sie sich etwa sonst einschleicht: gleich ist die Salbung vorhanden, und warnet uns; und diese Erinnerung des Geistes ist so anhaltend und kräftig, daß, ehe sich die Sünde fassen und in eine Positur stehen kann, so hat ihr ein Gläubiger schon den Garaus gemacht.

Johannes hat also beidemal recht. Einmal, wenn er sagt: So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. 1 Joh. 1, 8. Denn die Sünde bleibet bis ins Grab in uns 1), das ist in unserm Fleisch. Aber auch, wenn er ausrufet: Wer Sünde thut, der ist vom Teufel; wer da sündiget, der hat Ihn nicht gesehen noch erkannt. Wer aus Gott geboren ist, der sündiget nicht, Sein Same bleibet in ihm; er kann nicht sündigen, denn er ist aus Gott geboren. 1 Joh. 3, 6. 8. 9.

Woher kommt dann eine so große Gegengewalt wider einen so mächtigen Feind? daher, daß uns Gott errettet hat von der Obrigkeit der Finsterniß, und versetzt hat in das Reich Seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden. Col. 1, 13. 14.

Das war etwas Weniges gesagt vom Tode und von der Gewalt des Teufels, und dann von unserer Gewalt, die wir haben, so bald wir leben, so bald der Tod von uns gewichen ist, so bald wir in unserm ganzen gegenwärtigen menschlichen Leben nichts thun, als hoffen, nichts thun, als warten auf die Offenbarung Jesu mit allen Gläubigen.

Da heißt es unter allen Todesschmerzen der Hütte: Immerhin! es wird schon eine Zeit kommen, da mein Tod vergehen wird. Jetzt bin ich todt, ich bin gestorben, ich bin mit Christo gekreuziget; aber ich weiß, es wird eine Stunde kommen, da die Leute werden denken, ich bin vorbei, ich soll nur begraben werden, sie werden meinen, nun ist es aus mit dem Freunde, nun ist er gestorben ; ich aber werde in meiner Seele anders denken, ich werde entgegen sehen der Auferstehung. Das ist gewiß, ich werde zu dem zerbrochenen Hause dieser Hütte nicht mehr umkehren. In dieser Todesgestalt werden wir einander nicht wieder sehen, ich und mein Leib; der Kopf wird mir nicht mehr wehe thun.

Aber ist das Tod oder Leben? das ist wohl ein seliger Zustand; über so viele Schwierigkeiten, über so viel Unglück, über so viele Mühseligkeiten und trübselige Ideen, damit die Welt umfangen ist, einmal ganz hin sein.

Kein irdischer Gott, der unter der Gewalt des Satans ist, kann den allergeringsten, den allerelendesten und ärmsten Spittelmann ohne Neid ansehen, der Jesu dienet. Denn der hat nothwendig einen fürstlichen Geist, einen Heldenmuth, der da Gut und Blut gern um Jesu willen dahin gibt, weil er weiß, daß er so selig werden kann, als der Herr ist.

Gewiß, wie man durch Furcht des Todes im ganzen Leben ein Knecht gewesen ist, so ist man auch durch Hoffnung des Lebens ein Herr.

Es ist kein Wunder, daß man uns gerne zurück hätte, und deswegen allerlei mit uns probiert. Aber wir können uns unmöglich zurück bereden lassen. Es ist uns keine Sache so groß oder so wichtig mehr, daß wir sie könnten auskommen lassen in unserm Gemüthe gegen der Seligkeit, die wir besitzen, gegen dem Leben, das in uns ist, und dahin müssen wir uns Tag und Nacht ausstrecken, weil wir wissen, daß wir sollen verkläret werden in Sein Bild, 2. Cor. 3, 18. daß derjenige, der Jesum von den Todten auferwecket hat, unsere sterbliche Leiber, unsere irdische Hütten auch wieder lebendig machen wird, um deßwillen, daß Sein Geist in uns wohnet. Röm. 8, 11.

1)
Der Leser ist zu benachrichtigen, daß ich damals noch sehr in den hohen Adel der Seele vertieft war, und nicht wußte, wie sehr die Menschheit mit dem Falle und der Erbsünde angesteckt sei. Ich habe seitdem in der Materie anders denken lernen, und wünsche, daß ein Jedes die Gnade habe, seine Seele keusch gemacht zu bekommen, so wird's mit den Gliedern nicht bald die Noth haben.
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