Zeller, Samuel – Haus-Andachten - IV.

Zeller, Samuel – Haus-Andachten - IV.

Jes. 1,6.
Von der Fußsohle an bis aufs Haupt ist nichts Gesundes an ihm, sondern Wunden und Striemen und Eiterbeulen, die nicht geheftet, noch verbunden, noch mit Öl gelindert sind.

Wir haben neulich den dreifachen Schmerz Gottes über das Elend seines Volkes betrachtet, über die Seelen, die Er mit seinem Blut erkauft hat, und das Wort das letzte Mal bewegt: Das ganze Haupt ist krank, das ganze Herz ist matt, und ich habe auch da gezeigt, wie der HErr gründlich heilt. Wir fanden, alles Elend hat zwei Ursachen: erstlich im Haupt, dem Sitz des Denkens, und zweitens im Herzen, dem Sitz des Trachtens, der Liebe. Wenn wir uns täglich prüfen, so kommen wir ganz natürlich auf diese zwei Hauptquellen und finden, dass unser Dichten und Trachten böse ist von Jugend auf. Beides, Denken und lieben ist verfehlt. Ich hoffe, was ich davon geredet, war nicht vergeblich. O betet recht: „Zieh' mich nach dir!“ Unser Glück besteht doch allein darin, dass all unser Sinnen auf Jesum gerichtet ist, und ist es so bei uns, dann können wir sagen: „Wir überwinden weit um deswillen, der uns geliebt hat.“

Heute will ich über den 6. Vers reden: „Von der Fußsohle an bis aufs Haupt ist nichts gesundes an ihm, sondern Wunden und Striemen und Eiterbeulen, die nicht geheftet, noch verbunden, noch mit Öl gelindert sind.“ Wie genau malt der HErr uns da das Herz so mancher unter uns hin! Aber wie schnell und leichtfertig gehen die Menschen über solch ernste Worte und Dinge hinweg! „Striemen, Wunden und Eiterbeulen,“ jedes Wort hat da seine besondere Bedeutung.

Striemen, was ist das? Siehe es kommt einer in eine Kirche, hört da, was mächtig in seine Seele hineinredet, sitzt auf der Bank wie auf glühenden Kohlen, spürt die Unzulänglichkeit seines alten Wesens, der Geist Gottes arbeitet gewaltig und zeigt ihm sein Elend. Das gibt Striemen; aber sie kommen nur an die Haut. Man ist geschlagen, geht hinaus, ändert aber sein Leben nicht, lässt sich die Striemen vom HErrn abwaschen, und es geht im alten Wesen fort - man lässt sich nicht heilen. Bald merkt man nichts mehr von den Schlägen und Striemen. Z. B. Man ist betrübt, geärgert worden, hat sich im Zorn, in der Ungeduld versündigt. Du solltest doch abbitten, gemahnte der Geist durch das Wort Gottes. Aber da heißt es: Was würde der und jener von mir denken, wenn ich um Verzeihung bäte? Nein ich tu es nicht. So hat man zehnmal gefehlt. Es hat einem gereut, aber es ist nicht zur rechten gründlichen Reue gekommen. Man hat vielleicht eine Zeitlang geschwiegen, und war dann wieder freundlich; meint nun man habe gerade genug getan, es wieder gut gemacht. Wo sind die Schläge, die Striemen? O ein jämmerliches Christentum das, dessen Himmel schwere Gewitterwolken in sich birgt! Es ist wahr, der HErr straft mit großer Geduld, aber es muss auch zur Heilung unserer Schäden kommen; die Wunden müssen verbunden werden sonst ists mit dem ganzen Christentum nichts. Wird die Wunde nie verbunden und geheftet, so gerät man wieder in allerlei neue Verstrickungen und bekommt neue und tiefere Wunden dazu. Wie viele haben Striemen, die nicht vom HErrn geheilt; Wunden, die nicht verbunden sind; gehen über neue und alte Sünden hinweg, ohne sie verbinden zu lassen, d. i. ohne Vergebung dafür zu suchen! Wie soll es da besser werden!?

Striemen sind Gnadenheimsuchungen des HErrn, Züchtigungen, auf die man nicht achtet. Wunden sind die Sünden, für welche die Seele noch keine Vergebung erlangt hat. Und Eiterbeulen? Die Striemen und Wunden kommen von außen, die Eiterbeulen, die Geschwüre, von innen, Was sind da für Schäden, für Geschwüre des Herzens gemeint? Eiterbeulen, die nicht ausgedrückt, verbunden sind, tun sehr wehe; man spürt es, sie kommen von inwendig heraus. So ist eine ziemliche Anzahl hier vor mir. Es gibt gewisse Dinge, verletzbare Stellen, auch bei solchen, die sich Kinder Gottes nennen, die den größten Schmerz, die große Erregung verursachen, wenn man sie da anrührt. Sie schweben oft in einem Elysium von Gefühlen, sprechen von hohen geistlichen Genüssen, und bleiben doch die alten, haben nur so lange Frieden, bis sie durch ein Wort, einen Spaß, auf den sie eingehen, aus dem Sattel gehoben, aus der Fassung gebracht werden. Wie leicht ist so mancher Christ aus dem Sattel zu heben! Es geht gut, wenn man ruhig am Tische sitzt, etwas schönes liest, vielleicht den Elias von Krummacher. „O das ist herrlich,“ heißt es da, „man fühlt sich so gehoben!“ Kommt aber die Praxis da steht es schlimm, da stoßt und ärgert man sich schnell wieder. Ja, die Eiterbeulen! Ich weiß noch mehr: da will man überall so geliebt und von jedermann gelobt werden, und ist einem bei solcher Liebes- und Lobsucht nur wohl, wo man in seiner Majestät respektiert wird. Tupft man auf ein solches Herz ein wenig hart, da schreit und klagt es.

Prüft euch! fragt: Bin ich es!? O es braucht nur einen Blick aufs Kreuz, um darüber schamrot zu werden! Greift recht in eure Herzen! Die Empfindlichkeit ist auch eine Eiterbeule, die so viele trotz Karfreitag und Pfingsten noch mit sich herum tragen. Die verlegen das Geheilt-werden ins Jenseits. Aber das rechte Christentum, das Selig-sein, fängt hienieden schon an, und wird bei dir schon anfangen, wenn du, ehe du über andere klagst, unter das Kreuz gehst und dich schämst, dass du deinem Heiland noch nicht anders dafür hast danken lernen, dass Er für dich geblutet. Ach, so viele haben Striemen, Wunden, Liebesschläge vom HErrn, aber so wenige machen Ernst mit der Übergabe des Herzens an Jesum; sie gehen eben über alles Ernst, die Striemen, Wunden und Eiterbeulen hinweg. O, wenn ihr noch Wunden, solch unvergebene Sünden, habet: fahrt nicht so fort, lasst euch heilen durch das Blut des Lammes; denn ohne Sündenvergebung ist es unmöglich, in rechter Liebe zum HErrn zu wandeln. Wenn wir das Leben der ersten Christen in der Apostelgeschichte betrachten, dieses Glaubens- und Liebesleben, da sieht man, was geheilte Striemen und verbundene Wunden sind; aber bei uns sieht man, was Striemen, Wunden und Eiterbeulen sind, die nicht geheftet noch verbunden sind. Ja wahrlich, wie es heißt: „Was aber noch übrig ist von der Tochter Zions, ist wie ein Häuslein im Weinberg, wie eine Nachthütte in den Kürbisgärten, wie eine verheerte Stadt.“ Es ist aber doch noch etwas übrig. Welch ein Trost ist das! Bei allen Gerichten Gottes bleibt etwas übrig (bei der Sündflut ein Noah, bei dem Untergang Sodoms ein Lot rc.) Das ist das große bei allem göttlichen, dass dieses etwas Unzerstörbares in sich hat, es bleibt etwas übrig; es ist ein Auferstehungskeim darin. O fasst und glaubt dies! sucht diesen Keim zu finden! Auch in dem Gesunkensten ist noch etwas übrig. Dabei muss man die die Leute fassen. Wie machte es Elisa bei der Witwe? Er fragte sie, was sie noch übrig habe; und von dem einen Ölkrug konnte sie noch viele füllen. Das schaut an, wenn ihr noch Sorgen und Zweifel wegen eurer Seligkeit habt. Sollte der aus dem Wenigen, das übrig war, so viele Krüge füllte, nicht mit dem, was bei uns noch übrig ist, viele Gefäße füllen können? Aus dem wenigen übrigen, was der HErr in der Seele findet, kann er ein ganzes Herz voll Glauben und Liebe machen. An dem, was noch übrig ist, muss man anknüpfen und den Seelen zeigen, dass noch ein Anknüpfungspunkt da ist. Was ist aber das übrige, das jeder noch hat? Es ist die Sehnsucht nach Gott, und diese Poren haben auch noch die Ungesundesten; durch diese ist noch eine Einwirkung möglich. Viele haben noch einen Zug nach oben, ein Sehnen nach Erlösung, nach Frieden; sie beten aber nicht mehr, die Telegraphenleitung ist zerstört wie im Krieg, bei andern stehen die Stangen noch, aber der Lauf ist unterbrochen; sie haben keinen offenen Zutritt mehr zu Gott, aber doch noch ein Sehnen nach Ihm. An dieses Sehnen nach dem fernen, unbekannten Gott, wie es die Heiden haben, knüpft der HErr oft die schönsten Liebesseile. O gebt diesem Sehnen immer mehr Raum, achtet auf das leise Klopfen des HErrn, und ihr werdet erfahren, was am Schluss dieses Kapitels steht: „Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden.“ Meine verheerte Stadt, ohne ein übriges; keine Züchtigung Gottes, ohne dass Er seine rettende Hand uns entgegenstreckt. Geht heute in euer Herz, seht, wie es darin aussieht. Geht mit euern Striemen und Wunden zu Jesu, der sie allein heilen und verbinden kann. Er hat auch Öl für die Eiterbeulen, drückt sie aber erst aus. Er heilt gründlich, Er demütigt gründlich. Gründliche Demütigung ist der Weg zur Heilung. Amen.

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autoren/z/zeller_samuel/zeller_hausandachten/zeller_hausandachten_iv.txt · Zuletzt geändert: von aj
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