Zeller, Samuel - Haus-Andachten - II.

Zeller, Samuel - Haus-Andachten - II.

Jes. 13,11-3
Dies ist das Gesicht Bejaias des Sohne Amoz, welches er sah von Juda und Jerusalem zur Zeit Usias, Jothams, Ahas und Jehiskias, der Könige Judas. Hört ihr Himmel, und Erde, nimm zu Ohren! Denn der HErr redet: Ich habe Kinder auferzogen und erhöht, und sie sind von mir abgefallen. Ein Ochse kennt seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt es nicht, und mein Volk vernimmt es nicht.

Der Ton, mit dem der Prophet Jesaia anfängt, ist den andern Propheten nicht eigen. Derselbe Prophet, der hier so klagend beginnt, kommt später mit schöneren Melodien. Ich freue mich auf diesen Propheten, weil uns da alles scharf aufgedeckt wird; allein es ist auch wieder reicher Trost bei ihm zu finden, wie bei keinem andern. Wer das erste Kapitel recht versteht, wird gerade darin finden, was ein gesundes Christentum schafft. Es hebt mit einer schmerzlichen Klage Gottes an. Es ist etwas Eigentümliches, Gott klagen zu hören; Menschen klagen zu hören, ist man gewohnt. Wie verschwinden aber alle Klagen der Menschen vor der Klage Gottes! Über wen klagt Gott? Über uns. Er gebe, dass wir dies Klagelied recht verstehen: „Ich habe Kinder auferzogen und erhöht, und sie sind von mir abgefallen.“ Der Jammer, den Gott über uns empfindet, wird wenig erkannt. O kommt doch zum HErrn, seht seinen Schmerz! Die Menschen kommen vor lauter Jammer über sich selbst nicht dazu, Gottes Jammer über uns zu hören, zu bedenken. Jeder meint, er habe das größte Leiden, ist voll von sich selbst. Ach, könnten wir uns einmal so von außen beobachten, da würden wirs erkennen und sehen, wie selbstsüchtig wir sind, wie wenig unsere Herzen auf den HErrn gerichtet sind. Gebt doch nur einmal acht auf euch, belauscht euch; selbst wenn ihr euer Herz vor Gott ausschüttet, dreht sich oft alles um das Liebe Ich. So, wenn dich der Gedanke an deine Sünde plagt; und es ist nur die Strafe, die dich beunruhigt. Das „Ich, Ich will,“ bringt uns viele Schmerzen. Gar mancher Christ muss bis zur letzten Stunde büßen, weil er eigene Wege gegangen ist. Vergiss dich, dein Leiden; höre Gottes Klage und lerne sie verstehen - du kommst eher nicht zur Ruhe. Ich will einmal mit diesem Wort der Klage deinem geistlichen Leben auf den Puls fühlen. Hast du in den Tagen, da du von dem Geist und dem Wort Gottes erfasst wurdest, deinen oder Gottes Schmerz angesehen? Du hast ja deine Sünden erkannt, es wurde dir angst und bange; aber von welchem Licht und Feuer wurde dein Sündenleben erleuchtet? Aus Gottes Schmerz, muss unser Sünden- und Bußschmerz kommen; das gibt danach auch wahre Freude, wenn man sieht, wie Jesus, der über uns jammerte, sich nun über uns freuen kann. Hast du je schon den Schmerz und die Freude Gottes recht bedacht? Gott sieht, indem Er klagt, vor sich alle seine Vaterliebe, womit Er sein Volk und auch dich gezogen hat; wenn Er dir seine Gnade preist, klopft er an deinem Herzen an. Daraus, aus seiner Liebe, kommt allein das rechte Sündengefühl. Die Gnade allein bekehrt uns, wirkt gründliche Buße. Eine Mutter hat oft viel gesagt mit Tränen, aber wenig mit Worten; und doch gingen ihre Kinder auf ihren Sündenwegen fort, bis der HErr eingriff. Und der HErr griff gewaltig ein in das Leben solcher Kinder. Vater oder Mutter werden todkrank. Da stehen vor dem Kinde zwei Dinge: die unendliche Liebe der Eltern, und der Jammer, den es ihnen bereitet hat. Das zählt ihm sein Gewissen genau auf; das schneidet ein. Wie manches Kind ist schon am Sterbebett der Eltern gerettet worden, wenn der HErr so ernst und gewaltig bei ihm anklopfte!

Jesaia ist der Prophet, durch den der HErr also an unserem Gewissen anklopft; der Paulus des alten Bundes. Er greift den Menschen sogleich mit den schärfsten Waffen an, möchte sogleich in die Herzen bohren, Breschen schießen. Sein gewaltigstes Geschütz ist die unendliche Liebe Gottes, die mit solcher Klage auf uns eindringt: „Ich habe Kinder auferzogen, und sie sind von mir abgefallen.“ Hast du, als du deine Sünden erkanntest, recht die zwei Seiten angeschaut? Auf dem ersten Blatt steht: „Seele das tat ich für dich?“ auf dem andern: „Was tust du für mich?“ Das ist auch das Motto für den ganzen Propheten, in welchem das herrliche Wort vorkommt: „Fürwahr, Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ Das beugt, solche Liebe führt in die rechte Buße. Als der HErr bei Petrus im Schiff war, sagte dieser: „HErr, gehe hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch,“ und Jesus hatte doch keine niederschmetternde Rede gehalten. Seine Liebesmacht ist das kräftigste Mittel für uns zur Buße. Schaut die Liebe Gottes recht an, wenn Er klagt: „Ich habe mir Kinder auferzogen, und sie sind von mir abgefallen.“ Welche schwere Anklage wider uns! Und doch heißt es: „Schmeckt und seht, wie freundlich der HErr ist!“ Man muss sich ja selbst anschauen, seine Sünden gründlich erkennen; aber man muss auch Jesum recht anschauen in seiner Liebe. Die Menschen würden Helden werden, wenn sie mehr Jesum in seiner Liebe, als sich in ihrer Schlechtigkeit anschauten. Erkennen, fassen wir seine Liebe nicht, so kommt er freilich strenger: „Ein Ochse kennt seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt es nicht, und mein Volk vernimmt es nicht.“ Was muss es für den Vater im Himmel für ein Schmerz sein, seine Kinder unters Tier gesunken zu sehen, so dass sie sich nicht mehr durch Liebe locken lassen, ihre Bestimmung gar nicht mehr kennen. Ein Ochse kennt doch seinen Herrn, ein Esel weiß, wo er sein Futter zu holen hat; der Mensch, der seinen Schöpfer nicht mehr kennt, nicht mehr weiß und wissen will, woher ihm all die unzähligen Wohltaten fließen, ist der nicht unters Tier gesunken? Und das sollte Gott, den HErrn nicht schmerzen? Ja, das menschliche Geschlecht ist tief gesunken. Wie viele Sünden könnte ich aufdecken, die das bezeugen! Ich will nur einmal an die Trunkenheit erinnern, und noch an eins, das manche Seelsorger zu wenig erwähnen und ihnen einst heiß machen wird: - denkt einmal an das eheliche Leben. Wie sieht es da aus auch unter vielen Christen, die nicht bedenken, dass man auch in der Ehe keusch und züchtig sein muss! Diejenigen, die sich getroffen fühlen, verstehen mich schon. Wie traurig sieht es in dieser Hinsicht bei der Jugend aus! So mancher Jüngling und junges Mädchen hat in Lüsten seine Jugend verlebt, und brütet dann wie tiefsinnig darüber, denkt aber nur an die schrecklichen Folgen der Sünde, nicht an den Schmerz, den sie Gott, ihrem Heiland, gemacht. O wie viel wird gegen dies Gebot bei Verheirateten und Unverheirateten gesündigt! Wie viel schon allein in Gedanken! Wie wenige bedenken, dass ihr Leib ein Tempel des heiligen Geistes sein soll! Mehr sage ich nicht - der Mensch ist oft in der Tat unters Vieh gesunken, und es ist eine Schande, dass die Menschen ihrem Schöpfer und HErrn solchen Schmerz bereiten. Ich will euch damit nicht zurückstoßen, sondern nur auf den Schmerz hinweisen, den ihr Gott gemacht und Ihm ferner bereitet, wenn ihr nicht Buße tut. Gott hätte ein Herz von Stein, wenn er seine Kinder im Elend könnte versinken lassen. Ist es nicht lauter Liebe von unserem Heiland, dass Er ins Elend dieser Welt herabkam, um die gesunkenen und verlorenen Kinder zu suchen und zu retten? Und doch: der Esel weiß seine Krippe, wo er sein Futter hat aber das Menschenkind, das ein Gotteskind sein soll, hat vergessen, wo es seine Speise holen soll; lässt seine Seele verhungern, kennt nicht den Brunnquell, die Gnade des HErrn, die allein die lechzende Seele erfrischen und stillen kann. Wenn die Menschen dieses ihr geistliches Elend mehr erkannten, so würden sie nicht so jammern über das leibliche. Wer Vater oder Mutter ist, weiß, wie viel Gebet nötig ist zur Erziehung der Kinder, und welch' ein Schmerz für sie, zu sehen, die Kinder nehmen die Strafe nicht mehr an. Sehet da recht den Schmerz Gottes; Er hat Zucht angewendet, ist mit harten und Liebesschlägen gekommen, und immer wieder haben sie seiner vergessen und gesündigt. Schon im Anfang klagt Gott: „Die Menschen wollen sich meinen Geist nicht mehr strafen lassen.“

Soll das kein Schmerz für ihn sein, statt weiche Herzen solche harte breitgeschlagene Herzen zu finden, welche die Züchtigung nicht annehmen? Es tut ihm weh, dass Er uns schlagen muss; aber noch weher, wenn wir es nicht verstehen wollen. Betrachtet es recht und nehmts zu Herzen das Wort: „Ich habe Kinder auferzogen, und sie sind von mir abgefallen. Ein Ochse kennt seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber mein Volk kennt und vernimmt nichts.“ O, bedenkt es recht, wie ihr den HErrn so oft betrübt habt und unters Vieh gesunken seid! wie oft seine Schläge an euch umsonst waren! Die Liebestrompete Gottes ertönt heute Abend wieder und jeden Tag; wer hört sie und lässt sie in sein Herz dringen? Wird Jesu Schmerz uns zu einem rechten Schmerz, so kann daraus eine Gott wohlgefällige Pflanze werden. Lasst uns täglich auf Ihn schauen und bewegen: „Seele, das tat ich für dich, was tust du für mich?“

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autoren/z/zeller_samuel/zeller_hausandachten/zeller_hausandachten_ii.txt · Zuletzt geändert: von aj
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