Waldenser - Aus der "Nobla Leyczon"

Waldenser - Aus der "Nobla Leyczon"

O Brüder, höret einen edlen Unterricht:
Wir müssen fleißig wachen und beten.
Denn wir sehen, daß die Welt ihrem Ende nahe ist.
Darum solten wir besorgt seyn, gute Wercke zu thun:
Sintemalen wir sehen, daß es mit der Welt zum Ende geht.
Nun sind tausend und hundert Jahre verflossen,
Da es schon hieß: Es ist die letzte Stunde.
Wir solten also wenig begehren;
denn wir leben in der letzten Neige. Wir sehen die Zeichen täglich in ihre Erfüllung gehen.
Das Böse nimmt zu, das Gute hingegen ab.
Dieses sind die bösen Zeiten, davon die Schrift redet,
Und davon das Evangelium redet, und St. Paulus geschrieben hat.
Da aber kein Mensch das Ende wissen kan,
So haben wir uns desto mehr zu fürchten, je ungewisser wir sind,
Ob uns der Tod heute oder morgen abfordern werde.
Aber wenn JEsus am Tage des Gerichts kommen wird,
So wird ein ieglicher seinen völligen Lohn empfangen,
Sowol wer Böses, als auch wer Gutes gethan wird haben.

Aber die Schrift sagt es, und wir müssen es glauben,
Daß alle Menschen auf der Welt zweierley Wege gehen werden:
Die Frommen in die Herrlichkeit, die Bösen in die Quaal.
Wer nun dieser Eintheilung nicht glauben will,
Der sehe nur in die Schrift von Anfang,
Und von der Zeit an, da Adam zu diesem Leben geschaffen worden.
Hier wird er, wo er Verstand hat, finden,
Daß wenige, in Ansehung der übrigen, selig geworden.

Ein ieglicher aber der gute Wercke thun will,
Muß den anfang davon durch die Liebe zu GOtt machen.
Die Hülfe seines und der heiligen Marien Sohns sich dazu ausbitten,
Und den Heiligen Geist zu seinem Geleitsmann nehmen.
Diese drey sind die heilige Dreyeinigkeit,
Und der einige GOtt, der von uns anzubeten ist,
Voller Allmacht, Weisheit und Gütigkeit.
Der ist es, zu dem wir öfters beten, und ihn fleißig anruffen sollen,
Daß er uns Kraft und Stärcke wider unsre Feinde geben wolle,
Damit wir sie vor unserm Ende überwinden mögen;
Nemlich die Welt, den Teufel, und unser eigen Fleisch und Blut;
Und uns Weisheit und Genade verleihen,
Den Weg der Wahrheit zu erkennen,
Die Seele, die er uns gegeben, unbefleckt zu bewahren,
Und Leib und Seele auf dem Wege der Liebe zu erhalten;
So, daß wir die heilige Dreyeinigkeit,
Und unsern Nächsten lieben: denn das hat GOtt geboten.

Und weiter unten, wann daselbst von dem Zustande, darinnen GOtt den Menschen geschaffen hat, geredet wird, so heißt es:

Er hatte das Vermögen Gutes oder Böses zu thun:
Doch war ihm das böse verboten, und das Gute anbefohlen.
Hier kan man aber sehen, wie schlecht er solches gehalten,
Und daß wir das Gute unterlassen, das Böse hingegen gethan haben:
So wie Cain der erste Sohn Adams that,
Der seinen Bruder Abel ohne Ursache erschlug.
So wir aber Christum lieben und seine Lehre wissen wollen,
So müssen wir wachen und in der Schrift forschen:
Denn wenn wir diese lesen, werden wir darinnen finden,
Daß Christus darum verfolget worden, weil er Gutes gethan.
Es gibt auch heute zu Tage ihrer noch viel,
Ob sie gleich nur wenigen bekannt sind,
Die den Weg JEsu Christi zeigen wollen,
Aber darüber so verfolgt werden, daß sie wenig ausrichten können.

So sind auch die falschen Christen dergestalt durch Irrthum verblendet,
Und zwar vor allen andern die Lehrer selbst,
Daß sie dieienigen, so besser sind als sie, mishandlen und tödten,
Hingegen aber die falschen und Betrüger im Frieden leben lassen.
Aber hieran kan man erkennen, daß sie nicht gute Hirten seyn,
Weil sie die Schaafe nur der Wolle wegen lieben.
Aber die Schrift saget, und wir können es auch sehen,
Daß, so iemand ist der GOtt liebet, und JEsum Christum fürchtet,
Er nicht verleumdet, nicht schwöret noch leugt,
Nicht der Ehe bricht, nicht tödtet, noch einem andern das seine nimmt,
Noch sich selber an seinen Feinden rächet,
Sie sagen, dieser ist ein Waldenser; also des Todes werth,
Da erdenckt man Lügen und ein Haufen Betrügereyen.
Um ihm den Lohn vor seine Arbeit zu entreissen.
Jedoch wer dergestalt um seine Gottesfurcht verfolget wird, der kan sich damit trösten,
Daß er, bey seinem Ausgang aus der Welt, den Himmel offen findet,
Und daselbst an statt der Schande lauter Ehre haben werde.

Allein, hieran offenbaret sich recht ihre Bosheit:
Nemlich, so iemand afterreden, lügen, schweren,
Sein Geld auf Wucher leihen, tödten, ehebrechen,
Oder sich an seinen Feinden rächen kan:
Der heißt bey ihnen ein kluger und rechtschaffener Mann.
Ein solcher aber sehe sich wohl vor, daß er zuletzt nicht betrogen werde,
Wann der Tod wird kommen, und er wenig mehr wird reden können,
Da ihn denn der Priester fragen wird, ob er noch beichten wolle?
Allein, nach der Schrift ist es da schon zu lange geharrt, die da befiehlt und sagt,
Daß man seine Buss nicht soll sparen bis ans Ende.
Fragt ihn der Priester dann, ob er gesündigt habe?
So antwortet er kaum zwey oder drey Worte, und sodann ist er fertig.
Hierauf sagt ihm dann der Priester, daß er ihn nicht absolviren könne,
Es sey denn, daß er alles Gestolne wieder gegeben, und das Unrecht, so er einem angethan, wieder vergütet habe,
Hört er nun dieses, so wird er darüber tiefsinnig,
Und denckt bey sich selbst, geb ich alles wieder,
Was wird dann vor meine Kinder übrig bleiben, und was werden die Leute von mir sprechen?
Seinen Kindern befiehlet er sodann, daß sie sein begangenes Unrecht verbessern sollen,
Und vergleicht sich darauf mit dem Priester, daß er ihm die Sünde vergibt:
Wann er auch gleich ein oder zwey hundert Pfund, von dem Entwendeten behält,
So spricht ihn der Priester darum doch um hundert Groschen los,
Und kan er auch das nicht kriegen, so thut er es auch noch wohl um weniger.
Da stellt er ihm dis und jenes vor, und verspricht ihm die Vergebung,
Woferne er für sich und die Seinigen will Messen lesen lassen.
Geschieht dieses, so spricht er nebst den Frommen auch die Bösen los,
Legt ihnen die Hand aufs Haupt,
Und wer ihm denn das meiste gibt, mit dem macht er viel Wesens,
Mit der Versicherung, daß ihm nunmehro alles vergeben sey.
Aber der ist schlecht gebessert, dem die Sünden so vergeben werden,
Dann er wird damit betrogen,
Und wer es ihm überredet, begehet eine Tod-Sünde.
Denn ich unterstehe mich es frey zu sagen, und man wird finden, daß es wahr sey,
Daß alle Päbste, vom Sylvestro an, bis ietzund,
Alle Cardinäle, Bischöffe und Geistlichen zusammen,
Die Macht nicht haben, dergestalt loszusprechen und Vergebung zu ertheilen,
Von Todtsünden, an irgend eine Creatur.
Nur GOtt allein vergibt die Sünde, und sonst niemand.
Hingegen ist die Pflicht der Lehrer,
Dem Volke zu predigen, und zu beten,
Es fleißig auf die Weide des göttlichen Wortes zu führen.
Die Sünder mit guter Zucht zu strafen,
Und sie durch gute Vorstellungen zu Busse zu vermahnen,
Damit sie dem HErrn JEsu nachfolgen, und seinen Willen thun,
Seine Gebote feste halten,
Und wissen, wie sie den Ante-Christ fliehen sollen,
Ohne sich durch seine Worte oder Wercke verleiten zu lassen.
Dann die Schrift sagt, es seynd schon viele ante Christi,
Denn alle dieienigen sind Ante-Christi, so dem HErrn Christo zuwider sind.

Johan Legers algemeine Geschichte der Waldenser oder der evangelischen Kirchen in den thälern von Piemont Aus dem Französischen übersetzt von Hans Friedrich Freyherrn von Schweinitz Breslau, zu finden bey Johann Jacob Korn, 1750

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