Textor, Gustav Adolph - Am Sonntag Sexagesimä.

Textor, Gustav Adolph - Am Sonntag Sexagesimä.

Du hast uns berufen, o Vater im Himmel, durch Jesum Christum, dass wir sollen deine Kinder heißen, du hast uns ein köstliches Erbe zum Ziel gesetzt, danach wir ringen und laufen sollen in dieser Gnadenzeit; du aber kennst unseres Fleisches Schwachheit, und dass wir mannigfaltig fehlen. Darum bitten wir dich, erfülle uns mit herzlichem Verlangen nach den himmlischen Gütern. Lass deinen Geist uns ziehen und leiten, dass wir täglich und vornehmlich trachten nach dem, was droben ist. Segne, o Herr, auch in dieser Stunde die Predigt deines Wortes. Schenke uns rechte, stille Andacht, festen Glauben, und Herzen, welche begierig sind, das Wort von deiner Gnade zu ergreifen. Amen!

Geliebte Christen! Als der alte Feind des menschlichen Geschlechtes unsere ersten Eltern verführte, da war das Hauptnetz, womit er sie gefangen nahm, der Hochmut, den er in ihnen durch die Worte erregte: „Gott weiß, dass welches Tages ihr davon esst, so werden eure Augen aufgetan und werdet sein, wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ - Da däuchte ihnen gut und lieblich, von dem Baume zu essen. Schon hieraus können wir lernen, wie der Hochmut eine sehr gefährliche Wurzel in dem Herzen des Menschen ist; denn was anderes konnte den argen Feind bewegen, dass er es gerade von dieser Seite anfing, als weil er wohl wusste, dass hier die gefährlichste Seite des Menschen sei, wo er seinen listigen Anlauf machen könne. Der Hochmut mit seinen Töchtern, als da sind Eitelkeit, Ehrsucht, Ruhmsucht und dergleichen, zeichnet sich wirklich vor den meisten anderen Sünden aus als ein unglaublich feines Gift. Die anderen Sünden haben ihr Wesen doch nur in bösen Werken und Gedanken, der Hochmut aber schleicht sich überall auch in die guten Handlungen, welche wir durch Gottes Gnade und nach Gottes Willen vollbringen, mit ein, und vergiftet, was uns zum Heil und Segen gereichen sollte. In dieser Rücksicht konnte ein alter Lehrer der christlichen Kirche über die Tugenden der alten Heiden den Ausspruch tun, sie seien glänzende Laster; denn er sah wohl ein, dass der Grund und die Triebfeder ihrer größten Taten nichts anderes war, als die Ehr- und Ruhmsucht, welche vor Begierde nach einem unsterblichen Namen brannte. Und wer sieht nicht ein, dass dieselbe arge Triebfeder noch heute Viele von denen entflammt, welche Jesum nicht kennen. Ein unsterblicher Ruhm däucht ihnen das höchste Glück, wahrend sie die Unsterblichkeit selbst, d. h. das ewige Leben nicht suchen noch achten. Können wir es leugnen, dass viel Gutes, was auch unter uns geschehen mag, um des Namens und um der Ehre willen geschieht, dass die Leute darauf sehen, und sagen sollen: „Das ist der?“ Können wir es leugnen, dass wir unsere Ehre vor den Menschen oft viel sorgfältiger bewachen, viel eifriger im Auge haben, als die Unbeflecktheit unseres Herzens vor Gott? Und wie gewaltig und verderblich dringt dieses Gift nicht oftmals in die Herzen ein, welche Gott in seine besondere Zucht genommen hat, und richtet des Satans Stuhl mitten im Tempel Gottes auf. Das soll so viel heißen: „Tempel Gottes“ nennen wir die Menschen, welchen Gott Buße und Glauben durch den heiligen Geist gegeben hat, in solchen Menschen stellt sich zuweilen durch die besondere List des Satans der Hochmut ein, sie rühmen sich des Glaubens, rühmen sich der Erkenntnis, die ihnen zu Teil geworden, rühmen sich des Vorzuges, dass Gott sie erleuchtet und zu Zeugen seiner Wahrheit gemacht habe, werden stolz und sicher in ihrem Glauben, und siehe, dann ist Satans Stuhl aufgerichtet, und Gottes Tempel verderbt. - Auch ist das Gift des Hochmutes ein gar heimliches Gift, und hat so viele Gestalten, dass man nirgend sicher ist. Bald geht er mit hohen Augen einher, bläht sich auf und ist voll vom Ruhm seiner selbst, bald kleidet er sich in selbsterwählte Geistlichkeit und Demut der Engel, bald in die Niedrigkeit der Bettler. Bald trägt er seine Tugenden zur Schau, bald seine Fehler und Schwachheit, um den Ruhm eines armen Sünders zu haben. Ja wir müssen es mit Schmerz bekennen, es gibt keine Gestalt, unter welche sich der Hochmut nicht verbergen könnte, nur die Herzenseinfalt der kleinen Kinder scheint ihm verschlossen zu sein, darum auch unser Heiland zu seinen Jüngern sagte: „Wer sich nun selbst erniedrigt, wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“

Unsere heutige Epistel wird uns Veranlassung geben von der rechten und beständigen Demütigung eines Christen näher zu reden, und wir wollen uns dazu den Segen Gottes erflehen in einem stillen und andächtigen Gebet.

Epistel: 2. Korinther 11,19 - 12,9.
Denn ihr vertragt gerne die Narren, dieweil ihr klug seid. Ihr vertragt, so euch jemand zu Knechten macht, so euch jemand schindet, so euch jemand nimmt, so euch jemand trotzt, so euch jemand in das Angesicht streicht1). Das sage ich nach der Unehre, als wären Wir schwach geworden. Worauf nun jemand kühn ist, (ich rede in Torheit) darauf bin ich auch kühn. Sie sind Ebräer, ich auch. Sie sind Israeliter, ich auch. Sie sind Abrahams Same, ich auch. Sie sind Diener Christi; (ich rede törlich) Ich bin wohl mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin öfter gefangen oft in Todes-Nöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal empfangen vierzig Streiche weniger eins. Ich bin dreimal gestäupt, einmal gesteinigt, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht habe ich zugebracht in der Tiefe (des Meers.) Ich habe oft gereist; ich bin in Gefahr gewesen zu Wasser, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr unter den Juden, in Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern; in Müh und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; ohne was sich sonst zuträgt, nämlich, dass ich täglich werde angelaufen, und trage Sorge für alle Gemeinen. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert, und Ich brenne nicht? So ich mich je rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, welcher sei gelobt in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge. Zu Damaskus, der Landpfleger des Königs Areta verwahrte die Stadt der Damasker, und wollte mich greifen. Und ich ward in einem Korb zum Fenster aus durch die Mauer niedergelassen, und entrann aus seinen Händen. Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze, doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn. Ich kenne einen Menschen in Christo, vor vierzehn Jahren, (ist er in dem Leib gewesen, so weiß ich es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen, so weiß ich es auch nicht; Gott weiß es); derselbige ward entzückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselbigen Menschen, (ob er in dem Leib, oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es). Er ward entzückt in das Paradies, und hörte unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. Davon will ich mich rühmen; von mir selbst aber will ich mir nichts rühmen, ohne meiner Schwachheit. Und so ich mich rühmen wollte, täte ich darum nicht törlich; denn ich wollte die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber des, auf dass mich Jemand nicht höher achte, denn er an mir sieht, oder von mir hört. Und auf dass ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans-Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf dass ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreimal dem Herrn gefleht habe, dass er von mir wiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.

Diese Epistel ist uns zu reich an Umfang und Inhalt, als dass wir sie ganz betrachtend und anwendend durchgehen könnten. Wir werden uns daher für heute nur an den letzten Abschnitt derselben halten, und das miteinander zu Herzen nehmen, was der Apostel Paulus von dem Pfahl sagt, der ihm ins Fleisch gegeben sei, und von der Antwort, welche er von dem Herrn auf sein dreimaliges Flehen erhalten habe. Wir wollen in diesen Worten des Apostels die beständige Demütigung und den beständigen Trost eines Christen zu erkennen suchen.

Der Apostel Paulus hat, wie ihr gehört habt, von den hohen Gnaden und Offenbarungen berichtet, welche ihm von Gott zu Teil geworden sind. Das hat er ungern erzählt, denn seinem Herzen war das Rühmen zuwider; nur etliche törichte Menschen, welche eitler Ehre geizig waren, und welche ihn in ihrer Torheit gering achten wollten, hatten ihn gezwungen, an den Tag zu bringen, dass sie gegen ihn allerdings nur anzusehen wären, wie ein Knabe gegen einen alten, in vielen Kämpfen bewährten Krieger. Hatte er es nun jenen eitlen Menschen in Erfahrung, in Kämpfen, in Gefahren, in Leiden um Christi willen weit zuvor getan, hatte Gott ihn viel größerer Offenbarungen und Gnade gewürdigt; so sollten sie nun erkennen, wie er dessen ungeachtet von sich nichts zu rühmen habe, sondern aller Ruhm Dem allein zustehe, der sich der Sünder erbarmt hat. „Auf dass ich mich der hohen Offenbarung nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch.“ Hier lernen wir zuerst, dass einem Christen die beständige Demütigung allezeit nötig ist. Wir müssen uns wundern, dass ein Mann wie Paulus, der so ganz dem Herrn Jesu hingegeben war, solcher Demütigung bedürftig war. Bedenken wir, welche Tiefen der Erkenntnis diesem Apostel gegeben waren, bedenken wir, wie er besser, als wir Alle, die Gefahren des Hochmutes, des sich Überhebens, kannte, wie er besser, als wir Alle, wusste, dass nur die wahre und klare Herzensdemut Christo gefällig sei: aber siehe diese Erkenntnis, dieses Wissen schützte ihn noch nicht hinlänglich, er blieb in Gefahr, sich zu überheben. Bedenken wir ferner, mit welcher Geisteskraft er von Gott ausgerüstet war, wie er geübt und gewohnt war, seine Begierden zu beherrschen, wie er hoch und niedrig, hungrig und satt, in Frost und Blöße, in Banden, in Schmach, in Gefahren, im Angesicht des Todes stehen konnte, und doch fest, unbeweglich, unerschütterlich Den bekannte, der ihn zum ewigen Leben erkauft und berufen hatte: aber siehe, diese Kraft des Willens im heiligen Geist schützte ihn noch nicht genug gegen die Gefahr des Hochmuts. Bedenken wir, durch wie viel Demütigungen die Lebensbahn dieses Apostels ging, wie er in Gefängnissen, unter Geißeln, unter Verfolgungen, gesteinigt, geschmäht, verspottet, verlästert, nach seinem eigenen Geständnis sein musste ein Schauspiel der Welt, und den Engeln und den Menschen, ja ein Fluch der Welt, und ein Fegopfer aller Leute: aber dies Alles schützte ihn vor der Gefahr des Hochmuts noch nicht hinlänglich. Bedenken wir endlich, während jene Verfolgungen und Drangsale ihm meistens nur von Feinden Jesu Christi widerfuhren, wie betrübende Erfahrungen er auch unter seinen Freunden und unter falschen Brüdern machen musste, wie oft seine eigenen Kinder im Glauben ihn verließen, wie oft die Gemeinden, welche er mit viel Tränen und Kämpfen gesammelt hatte, von falschen Lehrern sich irre leiten, zerrütten, und zerstreuen ließen: aber auch diese niederbeugenden Erfahrungen schützten ihn nicht genug vor der Gefahr des Hochmutes. Der rechte Hirte seiner Seele musste ihm über das Alles noch den Pfahl im Fleische lassen, nämlich des Satans Engel, der ihn mit Fäusten schlage, dass er sich nicht überhebe. Da sehen wir nun wohl Alle ein, wie sehr wir über uns zu wachen haben, dass wir dieses Gift der Seele im Glauben überwinden, denn um stolz oder hochmütig zu sein, bedarf es keiner großen Gaben oder Ehren. Ist das Herz einmal gefangen, so weiß es sich aus den nichtigsten, oft aus sündlichen Dingen einen Ruhm zu machen. Wir dürfen nie sicher werden vor dem Hochmutsteufel, denn ist er heute geschlagen, so ist er morgen wieder bereit, uns anzugreifen. Vor ihm schützt keine Erkenntnis, keine Niedrigkeit und Armut, keine Schmach, Verachtung oder Verfolgung. Man kann auch auf die Niedrigkeit und Armut stolz sein, die man tragen muss, man kann auf die Schmach und Verachtung stolz sein, die man erdulden muss; denn der Hochmut spricht: „du trägst die Schmach Jesu Christi, und bist ein Märtyrer seines Namens; du bist in der Welt verachtet, aber vor dem Herrn und seinen Engeln bist du darum herrlich angesehen.“

Sehen wir also, dass uns die beständige Demütigung notwendig ist, so lasst uns weiter fragen, wie und worin wir dieselbe finden sollen? Der Apostel Paulus sagt: „mir ist gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, dass ich mich nicht überhebe.“ Wir würden hier sehr irren, wenn wir diese Worte so verstehen wollten, als wenn der Apostel von besonders bösen Begierden geplagt worden wäre. Wir haben ja nur am vorigen Sonntag gehört, wie er von sich sagen konnte: „Ich laufe aber also, nicht als aufs Ungewisse, ich fechte also, nicht als der in die Luft streicht, sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, dass ich nicht den Anderen predige und selbst verwerflich werde.“ Der Pfahl im Fleisch bedeutet die Sündhaftigkeit, welche ihm, als Menschen, ob er schon wiedergeboren, und ein Kind Gottes geworden war, doch immer noch anklebte und ihn aufhielt in seinem Lauf. Das deutet er an einem anderen Ort mit den Worten an: „Nicht dass ich es schon ergriffen habe, oder schon vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo ergriffen bin.“ Er sah also in seiner Seele noch unverneuerte Stellen, wo die Sünde noch haften und des Satans Pfeile noch Eingang finden konnten; er sah sich täglich angelaufen von dem argen Feinde, und fühlte täglich in sich selbst die Ohnmacht, demselben aus eigener Kraft zu widerstehen. Das beugte ihn nieder und demütigte sein Herz allezeit. Dafür flehte er zu dem Herrn, er möchte diese Schwachheit von ihm nehmen. Als unser Heiland von dem Teufel versucht war, da musste der Feind zuletzt von ihm weichen, und wir finden nicht, dass er forthin seine Seele noch habe anfechten dürfen. So möchte wohl der Apostel Paulus auch wünschen und hoffen, dieses stolzen Feindes ganz mächtig und los zu werden, und flehte darum den Herrn an.

Liebe Christen, wie viel Ursache haben wir nicht, diesen Pfahl im Fleisch, diesen Satans-Engel auch bei uns zu erkennen, der mit unserem Glauben seinen Spott treiben möchte. Diese Unvollkommenheit, diese Schwachheit und Sünde, die uns allenthalben anklebt und träge macht, diese Lässigkeit und Trägheit zum Guten, das sind die offenen Stellen, auf welche der Widersacher seine Pfeile richtet. Lasst uns doch nicht vergessen, hierauf unsere Gedanken fleißig zu richten, auf dass wir uns nicht überheben. Welch' eine Kleinigkeit kann uns nicht schon zu Fall bringen, dass wir die Liebe vergessen, und Christum verleugnen. Hier hat ein Jeder noch seine besonderen, schwachen Seiten, wo er mit einem leichten Anlauf des Feindes verwundet wird. - Die Knechte des Lasters sind gewohnt, auch ihre Fehler und Laster, denen sie ungescheut nachgehen, als z. B. Lügen, Völlerei, Unzucht, und dergleichen, „schwache Seiten“ zu nennen; so aber meine ich es nicht, ich rede von Christen, die ihr Fleisch kreuzigen samt den Lüsten und Begierden. Auch diese, wenn sie auf ihren Seelenzustand merken, müssen gewahr werden, dass sie täglich und stündlich hingegeben sein würden in die Gewalt des Feindes ihrer Seelen, wenn nicht die Gnade Gottes sie bedeckte. Der Beweis dafür ist, dass wir täglich und stündlich fehlen, und die Lehre, die wir daraus zu nehmen haben, ist die, dass wir uns täglich und stündlich demütigen vor Gott, und erkennen, dass wir nichts sind ohne seine Gnade, und dass in uns, das ist in unserem Fleische nichts Gutes wohnt.

Wir haben nun noch von dem beständigen Trost des Christen zu reden. Der Apostel Paulus erhielt auf sein dreimaliges Flehen zur Antwort: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ Die Gnade Gottes in Christo Jesu, die sich des Verlorenen annimmt und des Schwachen wartet, ist der beständige, und genügsame Trost des Christen. Wer sehnt sich nicht danach, alle Sünde so weit zu überwinden, dass er von der Anfechtung unberührt bleiben möchte; aber so ist es Gottes Rat nicht, sondern in täglichem Kampf sollen wir unsere Schwachheit erkennen, und uns an seinem Gnadenbeistand genügen lassen, denn seine Kraft ist es, die den Schwachen stark macht, und dem Kämpfenden zum Sieg hilft. Die Gnade Gottes ist das köstlichste und teuerste Kleinod, welches wir sündige Menschen auf Erden haben. Es ist uns wohl bewusst, dass etliche verstockte Menschen die Gnade Gottes verachten, und halten es für etwas Niedriges und Verächtliches, nach Gnade zu suchen. Sie meinen, sie wollen nur nach ihren Verdiensten in Gerechtigkeit belohnt werden; denn sie kennen ihre Sünde nicht, und werden erschrecken, wenn der Herr mit ihnen ins Gericht gehen wird. Ein Christ aber, der da weiß, dass wir ohne die Gnade Gottes nichts, und stündlich verloren sind, achtet dieselbe für das teuerste Kleinod. Die Gnade Gottes hat uns bis hierher gebracht im Leiblichen und Geistlichen. Von seiner Gnade haben wir dies Wort, die rechte Seelenspeise und tägliche Erquickung. Durch seine Gnade sind wir in Christi Tod getauft, zur Buße geleitet, zum Glauben gebracht im heiligen Geist. Durch seine Gnade wissen wir, dass der Weg dieser Welt ein Weg des ewigen Verderbens ist, und dass der Glaube an Jesum Christum von dem Verderben errettet. Durch seine Gnade nennen wir Jesum einen Herrn, und wissen, dass er unsere Sünde versöhnt hat. Durch seine Gnade stehen wir fest gegen des Satans Anfechtung, der uns den Glauben so gern aus dem Herzen reißen, und uns in Unglauben, Verzweiflung, Schande und Laster stürzen möchte. Durch seine Gnade dürfen wir stündlich zu ihm nahen, alle unsere Sorge auf ihn werfen, und gewiss sein, dass er uns erhöre. Durch seine Gnade dürfen wir kein Unglück fürchten, wie geschrieben steht Ps. 23,4: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Durch seine Gnade dürfen wir auf die ewige Erlösung und Seligkeit zuversichtlich hoffen, sofern wir Glauben halten nach seinem Worte, denn aus Gnaden rechnet er uns den Glauben zur Gerechtigkeit um Jesu Christi willen, wie geschrieben steht Eph. 2.8-9: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden, durch den Glauben; und dasselbige nicht aus euch. Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme.“ - Diese kostbare Gnade Gottes ist allen Gläubigen erworben, und wird allen Menschen angeboten, dass sie Buße tun und sich von ihren Sünden zu Gott bekehren, denn so steht geschrieben Tit. 2,11 sq.: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen, und züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt, und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi.“ Die Gnade Gottes ist mächtiger, als unsere Sünde, wie geschrieben steht Röm. 5,20: „Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden; auf dass, gleichwie die Sünde geherrscht hat zum Tod, also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben.“ Hieran sollen sich alle bekümmerten Seelen stärken und aufrichten, alle Seelen, welche vor der Sünde zittern und in dem Kampf zagen. Ist die Sünde mächtig geworden, so ist doch die Gnade viel mächtiger geworden. Die Gnade Gottes ist überschwänglich groß, wie seine Liebe, welche ihn bewogen hat, auch seines eingeborenen Sohnes nicht zu verschonen. Die Gnade Gottes ist fester und zuverlässiger, als ein Felsengrund, wie geschrieben steht: „Es sollen wohl Berge weichen, und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.“ - Und an dieser Gnade sollen wir uns genügen lassen, denn sie hilft dem gläubigen Christen alle Anfechtung überwinden, alle Not durchbrechen, das ewige Leben ergreifen. So lange diese Kraft bei uns ist, wollen wir gern schwach sein. Wenn es aber nach Gottes Rat und Gnade Zeit sein wird, dass das Unvollkommene und das Stückwerk aufhöre, so wird er uns ausspannen aus diesem Erdenjoch, und uns aus Gnaden den ewigen Sieg verleihen. Bis dahin lasst uns in rechter Demut erkennen, dass wir arme, sündige Menschen sind, und Gottes Gnade preisen, der sich der Sünder erbarmt, und uns in seinem eingeborenen Sohn die Hoffnung des ewigen Lebens gegeben hat. Ihm aber, dem großen Überwinder des Todes und der Hölle, dem ewigen Gottessohne sei Preis und Anbetung in Ewigkeit. Amen.

Ich lieg' im Streit und widerstreb'.
Hilf, o Herr Christ! dem Schwachen;
An Deiner Gnad' allein ich kleb',
Du kannst mich stärker machen.
Kommt nun Anfechtung her, so wehr',
Dass sie mich nicht umstoße.
Du kannst machen,
Dass mir's nicht bring' Gefahr;
Ich weiß, Du wirst's nicht lassen. Amen!

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