Tauler, Johannes - Wie man das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit in sich suchen soll

Tauler, Johannes - Wie man das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit in sich suchen soll

Trachet am ersten nach dem Reiche Gottes rc. Ach, es ist ein elend, jämmerlich Ding, daß Geistliche und Weltliche alle ihre Gedanken, Sinne und Fleiß Tag und Nacht nur wenden auf äußerliche Werke und Uebungen, auf daß sie zeitlich Gut überkommen mögen, darüber sie sich dermassen ängsten und quälen, daß sie in ihren Herzen gar selten an ihren treuen Gott gedenken, wie es sich gebühret, und wenn sie schon bisweilen ein wenig an ihn gedenken, so sind doch ihre Herzen von allerlei Bildern, Sorgen und Unruhen dermassen zerstreuet, daß es kein reines und lauteres Gedenken sein kann, das Gott gefallen möge, denn das eingenommene zerstreute und unruhige Herz kann sich nicht lauterlich zu Gott kehren. Nun stehet geschrieben: Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen: Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorget für euch. Niemand will es aber zu Herzen nehmen, sondern sie bekümmern sich alle um das Zeitliche, und vergessen das Ewige, als das Reich Gottes zu suchen.

Es bringet die Bekümmerniß der irrdischen Dinge halben dem Menschen drei große Schaden. Erstlich, verblendet sie ihm seinen Verstand und Witz, daß er nicht bescheidentlich handeln kann. Für's andere, löschet sie aus das Feuer der Liebe, daß der Mensch aufhöret brünstig und geflissen zu seyn. Für's dritte, verstopfet sie die innere Wege, durch welche man zu Gott gehet. nicht anders, als wie ein böser NEbel und dicker Dampf, der dem Menschen den Athem benimmt, daß er nicht wohl fort gehen kann: Eben also thut die Bauch-Sorge auch, welche da entspringet aus der bösen Wurzel des Geitzes. Darum, liebe Christen, gebet fleißig Achtung auf euer Thun und Lassen, so lange ihr noch seid in der Gnadenzeit, und trachtet vor allen Dingen und am meisten nach dem Reiche Gottes und nach seiner wahren Gerechtigkeit, daß dasselbe in euch wahrhaftig gefunden und entdecket werde in eurem innerlichen Grunde, da es verborgen liegt, und gar leichtlich erdämpfet wird, daß es unfruchtbar in euch bleibet, denn ich sage euch in höchster Treue und Wahrheit, was ihr hier in dieser Zeit durch eure Sorgfältigkeit der irrdischen Güter halben versäumet, dessen werdet ihr dort in Ewigkeit entbehren und mangeln müssen. Damit ihr aber das Reich Gottes in euch finden möget, so ist vonnöthen, daß ihr stets und heftig streitet, wie tapfere Helden, wider den Teufel, wider die Welt, ja auch wider euer eigen Fleisch und Blut. Denn wenn nicht allerlei Untugend und Laster, und besonders die Bauch-Sorge und Bekümmerniß mit der Wurzel gründlich ausgerottet werden, so kann das Reich Gottes in uns nicht gefunden werden. Der verdammliche Eigennutz der Natur übet sich so heimlich in allen Menschen, daß er sich auch nicht scheuet, in Gott selbst das Seine zu suchen, indem er von ihm begehrt, zu empfangen Trost, empfindlichen Geschmack und Andacht, auch das Himmelreich selbst, und begehret Gott nicht zu dienen, als um des Lohns und Vergeltung willen.

Ich sage, liebe Christen, und vermahne euch abermal, hütet euch fleißig für dem subtilen und verborgenen Eigennutz der Natur, daß ihr nicht geistliche gute Uebungen um leibliche und vergängliche Dinge gebet. Denn dies ist ein Stück der schweren Simoni-Sünde und verdammt. Denn da Gott selbst das höchste Ziel und Ende ist aller Dinge, so wird hier eine schnöde und vergängliche Creatur an Gottes statt gesetzet, weil dieselbe über alle Dinge, auch über Gott selbst geliebet und gesucht wird. Nun heißet uns aber der Herr, am ersten suchen, nicht Geld und Gut, sondern die Gerechtigkeit Gottes, darum ist wider die Gerechtigkeit Gottes, daß die Menschen am ersten nach weltlichem Reichthum trachten. So gebt nun, liebe Christen, in euch fleißig Achtung auf euren Grund, wie er sei, und lernet, allein das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen, das ist, suchet allein den rechten und wahren Gott, der da ist allein das ewige und wahrhaftige Reich, welches er allein seinen treuen Dienern geben will. Und dies Reich begehren wir auch alle Tage, wann wir beten und sprechen: Unser Vater im Himmel, dein Reich komme zu uns, die wir auf deinen Befehl darum bitten. Denn es ist das Gebet des Herrn so hoch, so edel, so nutz und gut, daß ich gänzlich dafür halte, ihrer viel beten zwar die Worte, und verstehen doch die Sache nicht, darum sie in den Worten beten. Daß wir nun sprechen, dein Reich komme zu uns, so ist Gott selbst sein Reich, und in solchem Reich kommet Gott in alle vernünfige Creaturen, und regieret sie. Darum ist das, was wir bitten, wahrhaftig Gott selbst mit allen seinen Schätzen und Gütern.

In diesem Reich wird Gott unser lieber Vater, und hier beweiset er seine väterliche Treue gegen uns, wenn er anders in uns Raum findet, sein edel lauter Werk in uns zu vollbringen, und wenn das geschieht, so wird sein Name in uns erkannt, geheiligt und erhöhet. Denn Gott wird in uns geheiligt, wenn wir ihm Raum geben, in uns zu regieren, und sein Werk in uns zu wirken ohne einige Verhinderung. Hier geschieht auch sein Wille auf Erden, wie im Himmel, das ist, in uns, wie in ihm, nemlich in dem Himmel, welcher Gott selbst ist. Darum, meine Allerliebsten, suchet am ersten das Reich Gottes, das ist, Gott selbst, und sonst nichts anders. Denn wenn die Liebe und Neigung der vergänglichen Creaturen in euch verlöscht und aufhöret, alsdann geschieht Gottes Wille, wie im Himmel, also auch auf Erden, wie nemlich Gott der Vater solches von Ewigkeit gewollt hat im Himmel, das ist, in seinem geliebten Sohne. Wer nun so weit gekommen ist, daß er nichts wünschet, begehret, suchet und meinet, als daß solcher Wille Gottes in ihm, aus ihm und durch ihn geschehe, der ist selbst Gottes Reich worden, und Gott regiert in ihm. Und sitzt also der ewige und unsterbliche König ganz herrlich in seinem königlichen Thron, regiert, gebeut, und herrschet ganz nach seinem Willen in einem solchen Menschen.

Es ist aber dies Reich eigentlich in dem innersten Grunde der Seele. Denn wenn einer den äusserlichen Menschen mit aller seiner Uebung zeucht in den innerlichen vernünftigen Menschen, nemlich, die sinnliche und vernünftige Kräfte mit einander ganz in die Verborgenheit des Geistes, darinn das wahre Bild Gotts liegt, und da wirft sich alles mit einander in den göttlichen Abgrund, darinn der Mensch von Ewigkeit her gewesen ist, auch ehe er erschaffen worden. Wenn nun der gütige und barmherzige Gott siehet, daß sich der Mensch ganz lauterlich und blos zu ihm gewendet hat, so neiget sich alsbald der göttliche Abgrund zu dem lautern und zu ihm gewandten Grund des Menschen, und verwandelt den erschaffenen Grund in ein unerschaffenes Wesen, ja, er vereinbaret des Menschen Geist mit sich, daß, wenn der Mensch sich in solchem Stande recht anschauen könnte, so würde er sich so herrlich sehen, daß er würde meinen, er wäre Gott worden, und würde auch auf einmal und vollkömmlich erkennen alle seine und anderer MEnschen Gedanken, Werke, Worte, Weise und Uebungen; alsdann würde auch alle Sorge und Bekümmerniß von ihm weichen und dahin fallen. Endlich aber, damit wir ddas Reich Gottes also suchen, daß wir es auch wahrhaftig finden mögen, so wird vor allen Dingen erfordert, daß wir uns selbst verläugnen, und alle fremde Sorge und Bekümmerniß ferne von uns absondern, und verlieren. Denn also spricht der Herr: Wer sein Leben wird verlieren, der wird's erhalten. Welches denn in uns recht vollbracht wird, wenn wir uns in allen Dingen, darinn wir uns finden, wahrhaftig verläugnen. Und hierzu wolle uns allen Kraft und Gnade verleihen unser Herr Jesus Christus, der aus rechter und vollkommener Liebe sich selbst verläugnet und verlohren hat um unsert willen. Ihm sei Lob, Ehre und Preis gesagt in alle Ewigkeiten, Amen.

Quelle: Sander - Der Menschenfreund

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/tauler/tauler-reich_gottes.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain