Tauler, Johannes - Auf den Ostermontag. - Die andere Predigt.

Tauler, Johannes - Auf den Ostermontag. - Die andere Predigt.

Von fünferley Graden wahrer göttlichen Liebe, die genannt sind: bewegliche Wirklichkeit, Verharrung, Hitzigkeit, Scharfheit und überlaufende Liebe.

Brannte unser Herz nicht in uns, da er mit uns auf dem Wege redete, und uns die Schrift auslegte? (Luk 24,32)

Lieben Kinder, ihr habt im Evangelio gehört, wie, als Christus, unser Herr, vom Tod erstanden war, er sich zween seiner Jünger auf dem Wege in Pilgrims - Gestalt geoffenbaret, deren einer Cleophas, der andere (wie etliche meinen) Lucas hieß; und diese zween redeten ernstlich von Christo, aus großer Liebe und Andacht, die sie zu ihm hatten, wiewohl ihre inwendige Augen verhalten wurden, daß sie ihn nicht erkannten. Darum sagt Gregorius: Nach der Weise, wie sie inwendig zweifelten, und lieb hatten, also offenbarte sich auch ihnen unser lieber Herr in einer Pilgrims-Gestalt, und war äußerlich bey ihnen. Aber er offenbarte ihnen das nicht, daß er es war, und darum, daß sie von ihm sprachen, gab er ihnen seine Gegenwart, aber weil sie zweifelten, gab er sich nicht zu erkennen. Er redete mit ihnen, er strafte ihre Härtigkeit des Herzens, ihre Unverständigkeit. Er bedeutete ihnen die Heimlichkeit der Schrift, die von ihm geschrieben war. Weil er in dieser Jünger Herz wie ein Pilgrim war, erzeigte er sich, als ob er fürder gehen wollte. Ihr Glaube war noch mit Zweifel vermenget, und da sie dennoch lieblich von ihm redeten, so ward ihr Herz mit größerer Liebe entzündet.

Dionysius sagt: Die Liebe hat fünf Grade. Die erste ist, eine bewegliche Wirklichkeit Wirkens, die hat weniger von Gott, denn die andern, weil sie zuerst sich zu kehren beginnet, und ihren Gott in mancherley wirkender Sorgfältigkeit lieb zu haben anfanget, und ist allezeit beflissen allerley gute Uebung mit Ernst zu thun, auf daß sie nicht in dem Wege erkalte, sondern suche und allezeit ihrem Geliebten folge. Wie die liebhabende Braut sagt: In meinem Bettlein habe ich die Nacht gesucht, den meine Seele lieb hat. Wenn aber diese wirkliche Liebe dem Bräutigam zu kurz und schmal ist, auf diesem Bette der Wirklichkeit zu liegen, so kann er seine Geliebte zu seinem Willen nicht haben, noch finden, und doch lässet die Seele nicht ab, sie begehrt ihn allezeit mit angstfältiger Liebe zu suchen und zu finden. Wie Zachäus auf einem Baum unsern Herrn Jesum zu sehen begehrte. Dieser kleine Zachäus ist ein jeder Liebhaber Gottes, wenn er erst zu der Wahrheit der Liebe Gottes bekehrt wird. Dieser ist ein Fürst der offenen Sünder, weil er sich nun selbst ein offenbarer großer Sünder zu seyn erkennet, und sich nicht schämet, sich selbst mit der Beichte zu beweisen, alles was er gesündiget hat. Wie St. Paulus offenbar beichtet, da er sprach: Jesus Christus ist um der Sünder willen gekommen, deren ich der allererste und größte bin. Diese Sünder werden von Gnaden reich, denn da der Sünden viele geworden sind, so soll auch die Gnade überflüssig seyn. Darum soll Niemand wegen seiner Sünden verzweifeln, wie groß auch die gewesen oder seyen, sondern sich mit Zachäus befleißen, in diesem ersten Grad der Liebe, der Wirklichkeit, sich zu üben, denn wie St. Augustinus sagt: Gott vergibt nicht allein seinen Liebhabern ihre Sünde, sondern er will dazu große Gaben geben. Diese wirkende Liebe hatten diese zween Jünger, da sie von einer Stadt zu der andern wanderten, und mit dem Munde die Liebe ihres Herzens von außen aussprachen. Und wiewohl ein jeglicher guter, liebhabender Mensch so lange, als er hier ist, recht in Egypten wohnet, in großer Arbeit, Furcht und Sorgen, dennoch geschieht es, daß unterweilen aus diesem ersten Grad der Liebe eine übergroße, herzliche Fröhlichkeit über alle Gebrechen geboren wird, durch inwendige Gedanken des ewigen Lebens. Doch kommt eine kleine kurze Zeit, wo Gott seine Freunde zuweilen zu begraben pflegt, also, daß die Seele mit Sara, Abrahams Hausfrau, wohl sprechen mag: Der Herr hat mich in meiner Unfruchtbarkeit erfreut, und wer das hört, der so ! sich mit mir erfreuen. Wenn aber die Freude vorüber ist, so spricht sie mit dem Propheten: Wehe mir, denn meine peinliche Uebung ist in diesem Elend verlängt. Und hierin war Hiob, da er sprach: Wer soll mir geben, daß ich werde, wie ich in dem Tage war, da mich der Herr behütete, und ich mit seinem Licht in der Finsternis) wanderte, und seine Leuchte über meinem Haupt schien, da ich meine Füße mit Butter wusch, und die Felsen mir mit Oel flossen. Was ist die Leuchte anders, als die göttliche Gnade? und daß die Leuchte auf sein Haupt scheint, was ist das anders, denn das Haupt des menschlichen Gemüths, wenn die göttliche Gnade das Gemüth inwendig erleuchtet? Denn scheint die Leuchte auf sein Haupt und wenn wir mit der vorgenannten Gnade aus dem ersten wirkenden Grad der Liebe gekommen sind, dann wandern wir in der Finsterniß mit seinem Lichte. Die Füße sind alle begierliche Kräfte des Liebhabers, denn wie die Füße den Menschen dahin tragen, wo er seyn will, also wird der Mensch inwendig getragen, mit den begehrlichen Kräften der Liebe. Das Ueberfließen des Oels sind Zähren der Süßigkeit, wobey süß ist zu wohnen.

Der andere Grad der Liebe ist Verharrung, durch Liebe und Leid bis an das Ende zu dauern mit einem finstern Wirken, und was sie anfangt, dabey bleibt sie, und lässet nicht ab bis zu dem Ende. Das that Maria Magdalena, da sie bey dem Grabe blieb, vor allen Jüngern. Und darum ward ihr zuerst die Auferstehung der neuen Gnade kund, denn wer standhaft in seiner Gnade bleibt, der soll selig werden. Dieß wird uns in dem alten Testament bewiesen, da kein Thier ohne den Schweif durfte geopfert werden, und dieß bedeutet die Vollständigkeit. Man liest, daß Joseph einen langen Rock hatte, bis auf die Füße, und bedeutet diesen selben Sinn, standhaft bis zu dem Ende in dieser finstern Uebung der Liebe zu bleiben. Dieß sagt die liebhabende Seele: Meine Seele ist weich geworden, da mein Lieber redete. Ich habe ihn gesucht und nicht gefunden, ich lief durch Steige und Straßen, ihn zu suchen, und die Wächter der Stadt, die fanden und schlugen, und verwundeten mich, und die Hüter der Mauern nahmen mir meinen Mantel, das ist meine Beharrlichkeit, Darnach Ermahnet sie sich wieder, sagend: Thut zu wissen meinem Lieben, daß ich von seiner Liebe wegen schwach und krank bin.

Der dritte Grad der Liebe ist Hitzigkeit, wie Hiob saget: Wenn dein Land mit dem Süden oder Mittagswind durchwehet wird (wenn das menschliche Herz mit der Gnade Gottes entzündet ist), dann sollen deine Kleider heiß werden, das ist beyde, Verstand und Liebe sollen davon entzündet und erwecket werden. Hievon sagt Hugo! Wenn du nicht hitziglich oder ernstlich zu dem Geliebten gehest, so bleibest du draußen, unverständig und träge, getrennt von den rechten Liebhabern. Augustinus sagt: O Liebe, die du allezeit brennest, und nimmer gelöschet wirst, wie spät habe ich dich lieb gehabt; du warest innen, und ich suchte dich auswendig, du wärest bey mir, aber ich nicht bey dir. Die Liebe ist der Dornbusch, den Moses brennen sah, der mit Hitzigkeit der Liebe entzündet war, und doch nicht verbrannte, denn wiewohl der Liebhaber von der Liebe gepeiniget ist, doch wird er von derselben getröstet und wohlgefällig gemacht. Diese Hitzigkeit hatten diese zween Jünger, Lucas und Cleophas, da sie sprachen: War aber unser Herz nicht brennend in uns, da er zu uns sprach. Aber die andere Gnade hatten sie auch, da sie starken Glaubens nach Jerusalem gingen, und den ersten Grad hatten sie, da sie aus Beweglichkeit Christo wirkende Liebe bewiesen, indem sie ihm, als Pilger, Almosen gaben und ihn dazu zwangen.

Der vierte Grad ist Scharfblick der Liebe, wie Jakob der Patriarch saget: Ich habe den Herrn von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist gesund geworden. Ich habe gesehen, das ist, ich bin zu der Erkenntniß der Liebe gekommen, und in dem lieblichen Verstehen seiner Erkenntniß verstand ich von ihm, daß ich von ihm erkannt war. St. Augustinus sagt: O Herr, hilf mir, daß ich dich und mich erkennen möge! Also erkannten diese zween Jünger unsern Herrn nach vielen guten Worten, in dem Brechen des Brods. Also durchdringet die Scharfheit und der Unterschied der Liebe, und gehet durch, daß die Liebe klar erkannt wird, also, daß der Liebhaber von vielen Beschwerden enthoben wird. St. Augustinus sagt in dem Buche seiner Beichte: O Herr, wenn ich dir anhange, mit allem, was ich vermag, so entledige ich mich meiner selbst, und dann habe ich keine Arbeit, noch Beschwerde, und mein Leben ist voll von dir, und wer soll mir geben, daß du in meinem Herzen wohnen könnest, und mich trunken von Liebe machest, daß ich alles meines Leids vergesse. Hugo sagt: Diese Hitzigkeit der Liebe ist anders nichts, denn eine Treibung, die aus kräftiger, brennender Liebe kommt, denn die Liebe höret nicht auf, so lange bis sich der Liebhaber mit den Geliebten vereiniget hat, und das spricht die liebhabende Seele: Ich habe ihn ergriffen, ich will ihn nicht gehen lassen, bis ich ihn in meiner Mutter Haus und in meine Schlafkammer eingeführt habe. Und das geschiehet, wenn die Scharfheit der Liebe das Inwendigste bekommen und erlangen mag, denn man hat mehr Liebe, als man verstehen kann, und der Liebhaber gehet hinein, wo der Verstand hier aussen stehen muß, und nicht erkennen kann.

Der fünfte Grad ist eine übersiedende oder überlaufende Freyheit, und gehet über die Scharfheit, wie wenn etwas in dem Sieden überläuft, also wird sie mit einer Gewalt des Herzens von dem Feuer über sich selbst geworfen, und über sich selbst aufgehoben, und wallet oder macht eine große Berührung wegen der Hitzigkeit des Feuers, das darinnen ist, was man aber nicht sehen kann, dabey man eine große Kraft und Gewalt erkennen kann, dessen so darin verborgen ist. Im Buch Hiob steht von Elihu geschrieben, der sprach: Nehmet wahr, mein Bauch ist wie neuer Wein oder Most, der zugestopfet ist, und die neuen Fässer zerbricht. Also war die liebhabende Seele, als sie sprach: Da mein Liebhaber zu mir sprach, ward meine Seele geschmolzen wie Gold, Silber oder einiges Metall zerschmilzet, also empfängt sie die Gestalt dessen, worauf sie geschmolzen wird. St. Paulus sprach: Gott hat uns gegeben, ihm gleichförmig dem Bilde seines Sohnes zu werden, denn Gott ist ein verzehrendes Feuer. Und wenn die Seele von seiner Liebe geschmolzen wird, und allein auf ihm rastet und ruhet, so wird sie durch die Liebe also mit ihm vereiniget und gekläret, daß sie eins in der Liebe wird, und wohl sprechen kann: Alle Dinge sind mir gemein mit ihm, weil wir ohne ihn nichts Eigenes haben, und ist es auch ein Haus, ein Erbe, eine Tafel, ein Stuhl, ein Bettlein. Wenn denn einige Krankheit, oder einiges Mittel zwischen ihn kommt, so fällt sie in Qual, und sagt: Ach, thut meinem Geliebten zu wissen, daß ich von Liebe krank bin, denn sie kann von ihm nicht seyn. Wegen ihrer eigenen Liebe aber scheidet der Liebhaber, und also muß die Seele gequälet und gedrängt werden, wiewohl die Liebe an sich selbst nicht gequälet ist oder leidet, sondern wenn sie bey der Seele ist, so ist sie allezeit thuend und wirkend in den Uebungen der Liebe. Gilbertus sagt: Wo die Liebe stark ist, da ist starkes Verlangen zu dem, was man lieb hat, wenn es nicht gegenwärtig ist. Der fromme Prophet Daniel quellte (war krank) hiervon, denn er ward ein Mann der Begehrung genannt, und aus Liebe und Begierde ward er krank und siech. Desgleichen diese zween Jünger, die quelleten auch also, da sie nicht rasteten oder ruheten, bis daß sie wahrhaftig seine Auferstehung erfraget und erkundiget hatten, und mit ihm vereiniget wurden; dazu helfe uns Gott allen. Amen.

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autoren/t/tauler/tauler-auf_ostermontag_2.txt · Zuletzt geändert: von aj
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