Tauler, Johannes - Neunundzwanzigster Brief.

Tauler, Johannes - Neunundzwanzigster Brief.

Von sechs Stücken, um mit Gott unbeweglich vereinigt zu bleiben.

Der Mensch, welcher Gottes seyn will, dem gehören sechs Stücke zu halten, deren drei auswendig und drei inwendig sind. Der auswendigen Stücke erstes ist, daß seine Kleider einfach seyen und alle seine auswendigen Dinge, niemand wohlzugefallen, als Gott allein. Das andere ist, daß seine Worte kurz, nothdürftig und einfach, und von göttlichen Dingen seyen. Das dritte, daß all sein Leben, seine Werke, was er auch thue, in keinem Stücke von jemanden zu strafen sey.

Die drei inwendigen Lehren sind diese: Die erste, daß seine Gedanken lauter und himmlisch seyen; die zweite, daß Gott allein in all seinem Meinen und Suchen sey; die dritte, daß man alle Dinge um Gottes willen lassen möge, das ist, daß man von Grund aus zufrieden sey, was ihm geschehe, daß er davon unbewegt zufrieden sey. Gerade so, wie das Wasser still steht, wenn der Wind nicht darüber stürmt, so soll sein Grund still stehen unbeweglich; denn gleichwie in dem Wasser der Mensch sich nicht beschauen kann, so lang es fließt oder wüthet und in Bewegung steht, so kann das lautere, unvermischte Gut, das Gott selbst ist, nimmer in dem Geiste oder in der Inwendigkeit erscheinen, so lang der Mensch in Bewegung von Liebe und Leid steht. Daher möge sich dein Herz weder durch große Liebe, noch wegen Freunden, noch wegen Gut und Ehre, wie groß dir's Glück gibt, in keinem Falle, zu irgend einer Leichtfertigkeit neigen. Ebenso sollst du auch gegen alles Unglück so unbeweglich stehen, daß du von keinem Schaden geirrt oder entsetzt werdest in deinem Grunde; und keinem Menschen sollst du Nebels wünschen weder inwendig, noch von außen, was er dir immerhin thue. Er nehme dir dein Gut, deine Ehre, deine Freunde, all deine Gemächlichkeit und deinen Trost, und risse er dir deine Augen aus und verbrennete dir deine Haut, oder thäte dir Uebels, es sey auch, was es sey; dennoch sollst du nicht mit bösen Gedanken auf ihn fallen oder dich an ihm zu rächen begehren, sondern das alles von Gott und nicht von dem Menschen nehmen, und das Gott danken, daß du ihm ein wenig gleichest. Doch sollst du wissen, daß kein Mensch ist, der nicht die ersten Bewegungen davon haben muß, ausgenommen Christus und die Jungfrau Maria. Die Heiligen hatten sie wohl auch, aber sobald sie ihrer gewahr wurden, so überwanden sie diese mit Gott, daß man es nicht gewahr wurde in ihrem Gesichte, in ihren Worten oder der Gestalt.

Noch gehört ein Ding zu dieser Ruhe: daß der Mensch nämlich so geschickt sey, (wie viel Unruhe und wie viel Mannigfaltigkeit er auch habe) daß davon, sobald er zu Gott kommt mit dem Gebete, kein Bild, Schein oder Schatten bleibe, wovon er in seiner Vernunft und seinem Gemüthe entstellt werde. Daß wir hiezu kommen mögen, das gönne uns Gott, Jesus Christus. Amen.

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