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Tauler, Johannes - Sechster Brief.

Tauler, Johannes - Sechster Brief.

Von demüthiger Gelassenheit, wahrer Anschauung und rechter Vollkommenheit.

In Christo Jesu! Ich begehre gesättigt zu werden mit Lazarus von den Brosamen des Gebetes aller Freunde Gottes, die da fallen von dem Tische der überschwänglichen, heiligen Dreifaltigkeit. Niemand gab ihm aber etwas. Darum ergreifet das Garn in der rechten Seite des Schiffes, das ist, abgeschiedene Demuth, bescheidene Gelübde, erleuchtende, liebende Entzündungen; so werfet ihr euch selbst gänzlich in die rechte Seite des Schiffes, das ist, in ein Wohlgefallen des ewigen, göttlichen Willens, und das mit einem Nachfolgen aller eurer Kräfte des innern und des äußern Menschen, so viel als es möglich ist. So findet ihr, was kein Auge gesehen, kein Ohr je gehört und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott gelobt hat denen, die dieß sind in Christo Jesu.

O geliebte Kinder und Freunde Gottes, Kronen und Freude unserer Seele! Wir wünschen euch all das Gute, das Gott seinen Freunden je gethan hat im Himmel und auf Erden, in unserem Herrn Jesus Christus. Wisset, daß unsere Seele und Leib für euch zu Pfand steht! Erschreckt auch nicht! Euch gebührt noch sehr viel zu streiten, als den jungen, kühnen Rittern in der Kraft Gottes und in dem Tode unsers Herrn. Mit der Hülfe aller Heiligen sollt ihr sicher fechten und zunehmen in allen Tugenden, nicht wie andere gemeine, gute Menschen, sondern als besondere, erwählte Freunde Gottes. Darum nehmet dieß wahr, und lasset die Todten ihre Todten begraben, und nehmet wahr die Güte und Wohlthaten Gottes wegen Gottes, der in dir spricht also: Alle, die Eines Willens sind mit mir, in denen bin ich zu ihrer ewigen Seligkeit, allen Heiligen zu einer Freude, der heiligen Dreifaltigkeit zu einer ewigen Ehre. Willst du ein lauterer Mensch werden, so laß mich in dir leben, und lerne in mir sterben.

Wer heimlich will werden dem Einigen Einen, der muß auch heimlich werden von Herzen allen Creaturen. Wer in Anschauung der göttlichen Wahrheit verbleiben will, der muß wohl geübt seyn im demüthigen Gehorsame, und durchbauet in den allerniedersten, verachteten Werken der Tugend. Wer wandeln will in den obersten Wegen, der übe sich in den allerniedersten Wegen, in Entbehrung des Trostes aller Creaturen, auf daß Gott sein Trost sey; auch soll er sich versuchen, alle Betrübniß und alle Armuth, alle Verachtung und alles Leiden, das auf ihn fallen kann, zu leiden für die Gerechtigkeit. Mit solcher Uebung wird der Mensch fähig, durch die Gnade Gottes zu schauen die Wahrheit; wer aber solche demüthige Werke nach dem Bilde unsers Herrn Jesu Christi verachtet, der verschmäht die Gnade Gottes.

Nun liegt alle Vollkommenheit, zu welcher der Mensch in diesem tödtlichen Leben kommen kann, in drei Punkten. Der erste ist, daß wir vernünftig bekennen einen einigen Gort, und was die heilige Kirche glaubt. Der andere ist, daß wir feurig und süß lieben den einigen Gott. Der dritte ist, daß wir in Demuth des Herzens und Geistes entsinken und gelassen sind ganz, was wir sind, in den verborgenen, unbekannten und bekannten Willen des Einigen Einen; denn das Niederste der Demuth berührt das Oberste der Vollkommenheit, und die Vollkommenheit in sich verläßt den Unterschied aller Tugenden. Nun gehört zu einem lautern Beschauer Muße und Abgeschiedenheit von allen Dingen, besonders äußerer Erinnerung, auf daß er lauter und anhaftend die Wahrheit beschauen könne. Das ist wahr, aber doch, wenn er wieder absinkt in die Sinne, so soll er sich in den vorher genannten Tugenden üben, nach dem Bilde unsers Herrn Jesu Christi, der in süßer Demuth die Füße seiner Jünger wusch, und viele andere demüthige, tugendhafte Werke ausgeübt hat, uns zu einer Lehre.

Ferner sind viele Beschauer, die sich in zweierlei Licht üben. Die einen gehen aufwärts in dem erkennenden Erkennen mit sich selbst, suchend sich selbst in dem Allerhöchsten, und finden und besitzen sich selbst in Irrthum; denn wegen jener Verwandtschaft und Ähnlichkeit, die sie in Gott haben, trachten sie auch dahin, daß sie sich selbst genug sind und gänzlich Niemandes bedürfen; aber sie irren und verschmähen Gott, und sie werden verschmäht. Die andern gehen aufwärts in einem verläugnenden Erkennen, suchend in lauter Demuth des Geistes den einigen Gott, seine Eigenschaften und seine Herrlichkeit (die abgründig fern ist über alle geschaffenen Geister) in einem zitternden, entsinkenden Verläugnen ihrer selbst, sich freuend ihrer Ohnmacht, und der alleinigen Macht Gottes. Diese Beschauer läßt der gütige Gott mit keinem unrechten Lichte irre gehen, gleichwie der Geist der Unwahrheit die zuerst besprochenen Beschauer nicht ungeirrt läßt, da sie sich selbst suchen und führen, und Gottes Ehre zerstören. Gott der heilige Geist erleuchte uns mit seinem wahren, göttlichen Lichte durch seine göttliche Erbarmung.

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