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Tauler, Johannes - Zweiter Brief.

Tauler, Johannes - Zweiter Brief.

Wie man mancherlei Irrwege in dem innwendigen Leben kennen und schauen, und den rechten Weg zu der Vollkommenheit treffen soll.

In Christo Jesu liebe Kinder! Ihr sollt wissen, wenn sich ein Mensch mit ganzem Ernst zu Gott kehrt mit einem erhabenen, freien, ganzen Gemüthe und Willen, Abschied zu geben allen Creaturen, die ihn zu Gott hindern, und Gott und seinen Freunden gehorsam seyn will bis in den Tod, mit einer rechten, demüthigen, unterworfenen Gelassenheit, und sich ganz muthvoll Gott gibt, und sich ganz kühn zu der ewigen Wahrheit kehrt; ach, was thut dann Gott! Gott gewinnt dann in seiner großen, lieblichen Barmherzigkeit eine so große Liebe zu den Menschen, daß er nicht unterlassen kann, seine Gnade in den Menschen zu gießen, die dann den Menschen heftig berührt in seinen niedersten Kräften. Nun sollt ihr wissen, daß diese Berührung nicht in Einer Weise geschieht. Darum ist allen Menschen noth, daß sie sich nicht stoßen in ihren Weisen; denn unser lieber Herr hat viele verborgene, fremde Weisen in seinen Freunden, die nicht viele Leute erkennen.

Von diesen großen, reichen Gaben wird ein Theil Menschen jubilirend, daß sie sich nicht enthalten können, auszubrechen mit Worten oder mit Geberden. Wollen diese Menschen zu einem näheren vollkommneren Leben kommen, so müssen sie diese Weise lernen erdrücken und tödten in sich, so bald sie können.

So sind dann andere Menschen in einer andern Weise, die sich selber entgehen; die heißt man schlafende Menschen. Dieß Schlafen geschieht wegen der großen, reichen Gnaden, die Gott in den Menschen gießt. Will dieser Mensch zu einem näheren Leben in Gott kommen, so muß er sich auch hindurchbrechen lassen, nach Rath der Freunde Gottes.

Noch sind andere Menschen in einer andern Weise; das sind Menschen, die da haben von Natur einen behenden Verstand oder Vernunft, mit vielen Worten. Wenn dann diese Menschen überfließende Gnade empfangen, so geschieht es gern, daß diese Menschen stolz werden und mit vielen Worten ausbrechen. Diesen Menschen ist besonders noth, daß sie sich niederschlagen und drücken lassen. Thun sie das nicht, und wollen sie also bleiben, so steht es gar sorglich um sie; denn sie können gar schädliche Menschen werden für die heilige Christenheit.

Wieder sind andere Menschen, die Gott in einer andern Weise bilderreiche Formen sehen läßt, daß sie nicht anders meinen, als sie haben einen Engel gesehen, oder ein anderes Bild. Diese Menschen sind sogleich gar froh, und meinen nicht anders, als sie seyen große Menschen vor Gott. Ich spreche nicht, daß es böse sey; es kann wohl gut seyn, aber es ist noch fern zu dem Nächsten. Ihr sollt aber wissen, daß es von den Gebrechen dieser Menschen kommt, daß ihnen diese reiche Gabe vorgehalten wird; denn unser Herr erkennt sie noch also weichherzig, daß er ihnen noch nicht wohl zutrauen kann, den harten, dornigen Weg zu gehen.

Auch sind andere Menschen in einer andern Weise, die also weichherzig in ihrer Natur sind, daß sie sehr berührt werden in den niedersten Kräften, wenn sie die große Gnade rührt. Au diesen Menschen mengt sich gern der böse Geist Lucifer und schleicht heimlich zu ihrer Natur, und thut, wie er kann, daß er diese Menschen gern wieder zurückzöge. Hier rührt Lucifer die weiche Natur, und spricht zu dem Menschen ganz verborgen, er habe eine kranke, zarte Natur, er dürfe nicht mehr leiden, sonst hindere er die Werke, die Gott mit ihm wirken sollte. Dieser Reden ist der Mensch sogleich froh, und nimmt sich an, Gott habe ihm dieß eingesprochen, während es Lucifer gewesen und seine eigene Natur.

Wenn der Mensch in diesen Dingen steht, so verläßt der barmherzige Gott seine Freunde nicht; er kommt ihnen zu Hülfe. In diesen Nöthen weiset ihn Gott zu einem weisen, erleuchteten Freund Gottes, der viel mehr Unterscheidung hat. Dieser erleuchtete Freund Gottes sieht den Menschen an, und spricht zu ihm: Lieber Mensch, sag mir, wie steht es zwischen dir und Gott? Es spricht der Mensch: Ich nehme alles von Gott für gut. Es spricht wieder der Freund Gottes: Lieber Mensch, was ist deine Uebung? Es spricht der Mensch gar geschwind, er habe nicht mehr zu üben, noch zu leiden, noch zu sterben, er habe dieß alles ausgelitten. Diese Rede erschreckt den Freund Gottes gar sehr, und er spricht gütig zu diesem Menschen: Ach, lieber Mensch! wollest du dich nicht erzürnen, was ich zu dir reden will. Du sollst wissen, daß ich von Grund meines Herzens erschreckt bin wegen der Reden, die du mir gesagt hast, und willst du diesen Weg folgen, so gehst du sehr irre und wirst betrogen, da du wider Gott und wider die heilige Schrift redest, und bleibst du in dieser Weise, so wird es gar übel um dich stehen und sorglich. Willst du den Worten Christi glauben, so mußt du dich umkehren. Christus sprach: Wer zu mir kommen will, der verläugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir nach. Ich will dir sagen, lieber Mensch: als der heilige Paulus entzückt ward, und er wider sich selber war gelassen, sogleich ward ihm ein Kreuz aufgelegt, das er tragen mußte bis in seinen Tod. Ach, lieber Mensch! nimm selber wahr, wie uns Christus vorgegangen ist, und alle seine lieben Freunde ihm nachgefolgt, und sieh an die heilige Schrift, die hievon voll von Zeugnissen ist, und gedenk, daß alle die wahren Nachfolger Christi, die zur Zeit noch leben, (deren leider nur wenige sind) sprechen, daß sie erschrecken, wenn sie nicht einiges Leiden empfinden; denn sie sehen das Bild Christi und aller seiner Nachfolger an, und sorgen, daß Christus spreche: Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt.

Noch sind andere Menschen in einer andern Weise, denen Gott etwas in einer bildlichen Form sehen läßt, daß sie nicht anders wähnen, als sie haben die heilige Dreifaltigkeit mit dem Unterschiede gesehen. Unter diesen sind etliche Menschen, die gar stolz werden, und nicht anders wähnen, als sie seyen so fern geführt, daß sie alle Dinge überstiegen hätten. Ich spreche Nein, einfältiger Mensch! du bist noch nirgends vollkommen, du bist noch in den niedersten Kräften. Gedenk, haltest du das für das Nächste, was man mit Worten ausdrücken oder mit dem Verstande begreifen kann, so bist du sehr betrogen, du sollst wissen, daß es noch lauter Bilder sind. Gedenk selber, haben wir einen Gott, den man mit Worten oder mit der Vernunft begreifen kann, so haben wir einen gar kleinen Gott, und wäre jemand, der das glaubte, dessen Glaube wäre noch sehr krank und unrecht.

Ferner findet man Menschen in einer andern Weise, von welchen einige, wenn ihnen die Gnade wird, daß sie berührt werden in den niedersten Kräften, gar stolz in ihrem Gemüthe werden wegen des Reichthums, den sie in sich empfinden. Wenn unser lieber Herr ihnen dieß so lang läßt, bis an die Stunde, wo er sie gern weiter vorwärts hätte, so nimmt er ihnen, wenn dann Zeit ist, all ihren Reichthum, und schlägt sie nieder in eine elende Armuth, und macht sie so arm, als ob sie von Gott nie etwas empfunden hätten. Das ist eine große, besondere Gabe von Gott; denn er gibt diese Gabe niemand, außer dem, der einiges Zutrauen zu ihm hat. Dieser großen Gaben wegen erschrickt mancher Mensch sehr, deren er sich billig freuen soll und gedenken an das Wort, das unser Herr sprach: Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Gedenk lieber Mensch, wie der heilige Paulus geschlagen ward bis an seinen Tod; gedenk an die große Herrlichkeit dieser Gaben, und gibt sie dir Gott, sieh zu, daß du sie dankbar empfangest mit großer Geduld. Thust du das nicht, so bist du nicht ein wahrer, tapferer Ritter, für Gott zu streiten.

Alle Menschen nun, die gern auf das Nächste kommen wollen, wozu uns Gott geladen hat, die ihren Willen Gott aufgeben, und ihm gehorsam seyn wollen, denen thut noth, daß sie wahrnehmen mit rechtem Ernste, ob sie sich in irgend einer dieser vorher genannten Weisen finden, die in diesem Buche stehen, daß sie ihre unordentlichen und sorglichen Weisen unterdrücken und tödten lernen, und sich Gott wiederum gefangen geben; denn diejenigen, welche sich in einer dieser vorgenannten Weisen noch finden, wissen, daß sie noch alle erst in den niedersten Kräften berührt sind, und haben noch gar fern zu ihrem Nächsten. Darum soll doch niemand diese Weise verwerfen, noch sich daran ärgern; hätten wir dieser Leute nur recht viele auf Erden, es stände dann besser in der heiligen Christenheit; denn diese Menschen ergeben sich Gott, und wollen sich selbst weder meinen noch suchen. Aber ihr sollt wissen, daß diese Menschen noch gar fern sind von den seligen Menschen, worauf Gott die Christenheit stehen läßt, deren leider gar wenige sind auf Erden. Darum wenn irgend ein Mensch sich noch in einer der vorhergenannten Weisen findet, und gern vorwärts käme zu einem näheren Leben, der muß mit der heiligen Maria Magdalena vor die Füße Christi fallen, mit einer rechten, demüthigen, unterworfenen Gelassenheit, sich Gott zu geben und zu lassen auf seine grundlose Barmherzigkeit, daß er mit ihm thun in Zeit und Ewigkeit, was er will; er soll seinen Willen gar von Grund auf verlassen, und sich demüthig unterwerfen und geben unter einen Freund Gottes (der erleuchtet ist in den obersten Kräften) recht als ein anfangender Mensch, der von Gott nie etwas empfand, und er soll sich selbst demüthig bekennen, daß er bisher den nächsten Weg nicht gegangen ist, und daß er aus seinem eigenen Grunde bisher gelebt hat. Deßwegen muß sich dieser Mensch Gott gar von Grund aus lassen, daß er hierin gleich stehe, er gebe ihm oder nehme ihm. Welcher Mensch sich in dieser aufgegebenen, demüthigen Weise findet, Gott sich getrost zu lassen, ihm zur Ehre, und sich selbst in keinen Dingen zu meinen, noch zu lieben, der kann billig ein großes Zutrauen zu Gott haben, soll sich aber doch demüthig aller göttlichen Gaben unwürdig halten. Wenn dann der Mensch so lang auf diesem Wege stehen bleibt bis an die Stunde, wo es der grundlosen Barmherzigkeit Gottes Zeit dünkt, daß der Mensch der großen Gnaden empfänglich sey, dann nimmt ihn Gott und führt ihn zu dem lebendigen Brunnen, der ewig geflossen ist und noch fließt in alle empfängliche Herzen. Welcher Mensch in dieser Zeit dazu kommt, daß ihm nur ein Tröpflein dieses Brunnens wird, dem werden sogleich alle zeitlichen Dinge zu nichts; er wird so fern geführt, daß er es mit der Vernunft weder begreifen, noch mit Worten aussprechen kann, da es zu erkennen über alle Sinne, über alle Bilder und Formen ist. Dieser Mensch wird sogleich von Gott erleuchtet in den obersten Kräften, und hat mehr wahres Licht und Unterscheidung, denn alle oben beschriebene Menschen, die aus ihren eigenen Weisen leben.

Diese Menschen, die dazu gekommen sind, daß sie nur ein Tröpflein dieses wahren Brunnens versucht haben, sind nicht gut zu kennen; denn sie sind gar einfach mit Worten und mit allen ihren Weisen, sie haben nicht gern viele Worte mit den Leuten, es wäre denn eine redliche Weise, und sind gar kindlich gehorsam der heiligen Kirche. Diesen Menschen geschieht gar wehe, wenn sie mit den Leuten reden müssen, die viel kluge, behende Worte führen, die man nicht wohl wiederlegen kann mit der heiligen Schrift. Diesen Menschen werden ihre innwendigen Augen gar weit aufgethan, daß sie fern und weit sehen können, und wenn sie dann um sich sehen und sehen ihren Nebenmenschen in Leiden oder in Sünden, so geschieht ihnen gar wehe, aus rechtem Mitleiden, das sie zu ihnen haben. Hiebei ist gut zu merken, daß die in falscher Freiheit befangenen Menschen die gutherzigen Menschen irre machen, da sie ihnen sagen, sie dürften nicht mehr leiden; denn welcher Mensch recht fromm ist, der erschrickt innwendig, wenn es Gott ihm läßt wohl gehen mit Glück und mit Gesundheit der Natur, und wenn sie die Natur im Gedränge finden, deß sind sie zufrieden; denn sie sehen an das Bild Christi und aller seiner wahren Nachfolger.

Ach, alle wahre, gottliebende Herzen! laßt euch erbarmen, daß Christus nun so gar wenig wahre Nachfolger hat in diesen Zeiten, die er zu diesem würdigen, überfließenden Borne laden könnte. Es ist sehr noth allen Christen, daß sie sich gar streng hüten und fliehen; denn viele Verführer sind ausgegangen in die Welt, die mit schönen glänzenden Reden viele Menschen betrügen, so daß man kaum einen erleuchteten, wahren Freund Gottes finden kann, dem man sicher das Herz öffnen darf. Darum ist allen gutherzigen Menschen zu rathen, daß sie fliehen zu dem gekreuzigten Christus, der Niemand verläßt in der Noth, der ihn recht suchen will. Diese warnenden Lehren hat ein armer Mensch geschrieben, der von Gott dazu gezwungen ward.

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