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Tauler, Johannes - Erster Brief.

Tauler, Johannes - Erster Brief.

Wie man in einem Kloster leben soll.

An Christo Jesu und in seiner ewigen Liebe seyd gegrüßt alle gottliebende Menschen, die Gott nicht allein nach seinen Geboten dienen wollen, sondern auch nach seinen getreuen sieben evangelischen Räthen, und insbesondere, die in heiligen Versammlungen wohnen, oder andere arme Kinder. Die sollen mit Ernst wahrnehmen und folgen den nachgeschriebenen Lehren: denn so leben sie Gott wohlgefällig, und sich selbst fruchtbar.

Zum Ersten, sollt ihr wissen und gewarnt seyn, daß die bösen Geister den geistlichen Versammlungen und Personen sorgliche Stricke und Lagen legen, mehr denn der ganzen Welt mit einander; nicht allein um sie zu tödtlichen Sünden zu bringen, sondern auch sie in eine auswendige Unachtsamkeit aller Tugenden und innigen göttlichen Lebens zu verleiten, nach gerechter göttlicher Liebe. Darum fallen sie in manche grobe, blinde Sünden, die von ihnen mit rechter Reue nimmermehr erkannt werden bis an ihren Tod. Die dann Almosen essen und die Häuser der Versammlungen, die Gott gegeben sind, also besitzen, die müssen große, schwere Buße und Pein dafür leiden, und es wäre ihnen besser gewesen, daß sie geistlichen Schein und Namen nie gewonnen hatten.

Nun nehmet wahr, wie die Ordnungen seyn sollen, womit eine heilige Versammlung in Gottes Willen bestehen soll. Zum Ersten sollen sie sich darauf setzen, daß sie Freude, Liebe und Eintracht unter sich selbst haben, und sollen Niemand gestatten, daß er irgend einen Wandel oder eine Heimlichkeit außerhalb des Hauses habe, mit keinem Menschen, womit sein Herz unordentlich verbildet werden konnte, als: mit thorhafter Liebe oder mit unnützlichem Zeitverlieren. Dasselbe soll man auch innerhalb des Hauses also halten unter einander. Ist jemand hierin krank oder schuldig, das soll man innerhalb des Hauses gütlich strafen und bessern, und sollte die Gemeine unter sich heimlich halten und ausrichten, daß es vor Niemand käme, der sich darüber ärgern könnte.

Sie sollen auch ernstlich halten und wahrnehmen des siebenten Rathes unter zwölfen unsers Herrn, als von Einfachheit der Worte, daß ihre Worte seyen Nein und Ja, und sollen allezeit ihr Schweigen halten vor der Gemeine von allen Worten, ausgenommen allein nothdürftige Worte, welche man halb flüsternd zu denen sprechen soll, welchen sie zugehören; oder es wäre auch, daß man mit Erlaubniß von Gott sprechen, oder etwas Gutes der Gemeine vorlesen dürfte. Zu dieser Zeit soll niemand reden, es sey denn mit Erlaubniß; denn man weiß, daß eine ungezähmte Zunge den geistlichen Menschen den meisten Schaden thut, den keine Vernunft ergründen noch schätzen kann, wie der heilige Jakobus spricht: Wer da wähnet, daß er geistlich sey, und bezwinget seine Zunge nicht, der verleitet sein Herz, und seine Geistlichkeit ist eitel.

Auch soll niemand den andern urtheilen nach Essen, nach Schlafen oder auch darnach, daß er große geistliche Uebungen auswendig an sich nicht hat, wie uns Paulus lehrt; es wäre denn ein starker, junger, ungeübter Mensch, welchen man gütlich und ernstlich mahnen soll, daß er sich leiblich übe, mit geordneter Kasteiung des Leibes, nach Bescheidenheit. Wenn dann die inwendigen, geistlichen Uebungen aus göttlicher Gnade in ihm geboren werden, so soll er der leiblichen Uebungen so viel behalten, als er merken kann, daß die inwendigen Uebungen davon gefördert werden können, in einem innigen Zunehmen; er soll inwendig seinen Grund, seine Meinung und Liebe in Gott aufrichten lernen, mit gänzlicher Bekennung seines eigenen Nichts. Aus dieser Erkenntniß soll er sich selbst unterdrücken und übergeben unter Gott und unter seine Obern und alle Creaturen.

Die inwendigen Uebungen nach dem ersten Grade beginnen mit einem demüthigen Bekenntniß und mit einem reuhigen Beklagen vor Gott über sich selbst und über sein sündhaftes Leben, ohne Verzweiflung an der Gnade Gottes, und das soll der Mensch so lang treiben, bis daß er die göttliche Zuversicht in sich selber findet, daß ihm Gott seine Sünden vergeben will. Dieß ist einem anfangenden Menschen nützlicher, als alle Gebete und Uebungen; die er ohnedieß thun könnte. Von einem starken, gesunden, anfangenden Menschen heischt Gott auswendige, leibliche Uebungen und Kasteiungen, nach Bescheidenheit, und so viel, als es die innwendigen Uebungen fördern kann; aber von einem alten oder kranken anfangenden Menschen verlangt Gott die vorher genannten innwendigen Uebungen, und dazu, daß sie ihre Krankheit und alle Leiden, die Gott auf sie fallen läßt, willig und geduldig von Gott nehmen und leiden, und dazu sollen sie sich in einer schweigenden Abgeschiedenheit halten, ohne unnützliches Zeitverlieren. Dieß will auch Gott von allen Menschen haben, die da begehren von ihm zu empfangen die ewige Seligkeit.

Demjenigen, welcher diesen Lehren also folgt, wird von Gott ein übernatürliches Licht gegeben, in dem ihm durch Gott der Unterschied der Tugenden und Untugenden gelehrt und zu seinem größten Nutzen vorgehalten wird das liebliche Bild unsers lieben Herrn Jesu Christi in leidender und wirkender Weise, und es wird dann der Mensch von Gott aufgefordert, daß er mit einem Verläugnen und Uebergeben seiner selbst seinem geliebten, milden Herrn Jesu Christo nachfolge, durch seine Menschheit in seine Gottheit. Wer aber geistlichen Namen oder Schein hat und diesen Weg nicht nachfolgt, der ist betrogen, und sein ganzes Leben ist falsch.

Auch sollen heilige Versammlungen nicht zu viel sich selbst oder jemand andern auf auswendiges Mundgebet treiben, wodurch ihre innwendige Andacht zerstört werden konnte. Es soll auch niemand den andern darnach urtheilen, ob er viel oder wenig bete, es wäre denn ein Mensch, der keinen Ernst hätte, noch suchen wollte von Gott; dem ist es nützlicher, daß er viel bete mit dem Munde auswendig. Den Siechen soll man mit Fleiß vorangehen und dienen, gleich als ob es unser Herr Jesus Christus selbst wäre; denn er spricht: Was ihr den geringsten von den Meinen thut, das thut ihr mir. Man soll auch gläubig seyn, wie Augustinus spricht: Wenn Gottes Diener sagt, daß ihm wehe oder krank sey, so soll man ihm ohne Zweifel glauben.

Es geschieht auch bisweilen, daß der Mensch innerlich und ernstlich mit inbrünstiger Liebe zu Gott gekehrt ist und von Gott besonders berührt wird; und etliche werden so sehr übergossen mit Reichthum göttlicher Gnaden, daß sie sich nicht enthalten können und mit mannigfaltiger seltsamer Weise auszubrechen, was bisweilen auch von Weichheit der Naturen herkommt. Dieß sollen die andern lieben Brüder oder Schwestern der Versammlung gütlich nehmen und leiden, und vor fremden Leuten verbergen, und dieselben nicht viel herausgehen lassen unter die Leute, noch in die Kirche, wenn sie sich da nicht der Ausbrüche enthalten können und wenn sie den häufigen Empfang des Leibes unsers Herrn nicht entbehren können, so soll man ihnen hierin willig und heimlich helfen.

Es werden auch etliche Leute auf besondere Weise in einer gewissen Stille berührt, und diese Gnade kommt bisweilen reichlich mit besondern Berührungen in der Kirche. Können sie dann den andern, wenn sie heimgehen, nachfolgen ohne Verlust der gegenwärtigen Gnaden, so sollen sie es thun, und im Hause bei sich selbst bleiben, bis daß die Gnade ausgelitten ist; kann aber das nicht seyn, so sollen sie in der Kirche bleiben, bis daß sie ohne Hinderniß der Gnaden wieder kommen können; und dieß soll niemand urtheilen. So lange sie in besonderer Weise sind, soll sie niemand zu auswendigen Werken treiben, auf daß sie in der Gnade gestärkt und wohl geboren werden. Dieß ist, was unser Herr sprach im Hohenliede: Ihr Töchter von Jerusalem! ich beschwöre euch bei den Geisen und Hirschen der Felder, daß ihr meine Liebste nicht aufwecket und reget, bis daß sie selbst will.

Da nun der Feind in besonderer Weise diesen Menschen gehässig ist, so soll man sie warnen, daß sie nicht allen Lichten und Einfällen folgen, die man mit den heiligen Schriften und dem Leben der Heiligen nicht bewähren kann, und daß sie sich besonders hüten vor geistlicher Hoffart und vor Verkleinerung anderer Menschen. Man soll diese Leute auch nicht in übermäßigem Fasten oder Wachen halten, und wenn man merkt, daß sie krank sind, so soll man sie zum Essen zwingen, wenn es gleich dann ein Tag wäre, daß man fasten sollte. Man soll sie auch warnen, daß sie in ihrer Einkehr zu Gott weder empfindbare Süßigkeit, noch große Vernunft und Offenbarung, noch irgend etwas Anderes suchen, als allein die Ehre Gottes und seinen liebsten Willen, und daß sie sich mit Gottes Hülfe üben, lernen durch diese ausbrechende, wunderliche Weise in einem lautern, erhabenen Gemüthe in ihren höchsten Kräften, mit einem freien Eingang in Gott. Denn diese auswendigen, seltsamen Weisen liegen in den niedersten Kräften der Seele, und es geht diesen Menschen wie dem Weine, der in einem verdorbenen Fasse ist; er ist weder so gut, noch so gesund, als wenn er in einem guten Faß läge. Also ist es auch mit diesen Menschen; wenn sie diese seltsame Weise durchbrechen, so kommen sie in ein höheres, reineres Leben, und bleiben zufrieden und still, und sind ihrer selbst mächtig, und werden edler und vollkommener mit Gott vereinigt, als sie zuvor waren.

Ihr sollt auch sorgfältig darauf merken, daß der Feind den Frieden unter euch nicht zerstöre, in keinen Dingen, es seyen Vorgesetzte zu wählen, oder es sey zu bauen. Alle euere Werke sollen von Gott gehen, und die ganze Versammlung soll alle ihre Werke und Thaten und allen Anfall Gott befehlen, und mit ganzem Herzen Gott bitten, daß er alle Dinge ordne nach seinem liebsten göttlichen Willen.

Ein jeder hüte sich, daß er nicht hartnäckig bestehe auf seinem eigenen Sinn und Willen; denn wer das thut, der soll wissen, daß der Geist Gottes in ihm nicht ist, noch rastet auf ihm, sondern der böse Geist von der Hölle jaget und treibet ihn. So lang er in seinem hartnäckigen Eigensinn bleibt, läßt der böse Geist ihm nimmer Rast noch Friede, sondern treibt ihn stets weiter hin in mehrere und größere Sünden, so lang, bis er seinen Willen mit ihm thut.

Ihr sollt auch mit ganzem Ernst und Bereuung euere Herzen reinigen, mit steter Untersuchung eueres innersten Willens und Meinens. Ich könnte noch viele Stücke hierüber schreiben, die zu dieser Materie gehören. Das ist aber nicht nothwendig; denn wer diesen Lehren mit lebendiger Uebung folgt, dem wird von Gott alle die Wahrheit gelehrt werden, die ihm zu kennen nothwendig ist. Ich begehre durch alle Heilige, die im Himmel und auf Erden sind, daß alle Menschen, die dieser Lehre folgen und leben wollen, die Kraft des Vaters unterstütze, und die ewige Weisheit ihren Fortgang erkläre, und die grundlose Liebe des heiligen Geistes sie umfange, in Christo Jesu.

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