Schuderoff, Jonathan - Am zweiten Pfingsttage.

Schuderoff, Jonathan - Am zweiten Pfingsttage.

Von Jonathan Schuderoff,
Consistorialrathe und Superintendenten in Ronneburg.

Text: Apost. Gesch. 10, 42-48.

Petrus war von einem römischen Hauptmanne, Namens Cornelius, eingeladen worden, nach Cäsarien zu kommen, weil er vom Heiden- zum Christenthume übertreten wollte. Lange schon hatte er den stillen Wunsch gehegt, sich näher mit der von Jesu und den Aposteln verkündigten Weisheit zu befreunden, und weil er sich beständig mit diesem Gedanken trug, so dünkte es ihm einst, eine unbekannte Stimme lasse sich gegen ihn vernehmen, verkündige ihm, dem gutgesinnten und wohlwollenden Manne, Gottes Gnade und Wohlgefallen, und befehle ihm, den Apostel Petrus, welcher sich in Joppe befand, zu sich entbieten zu lassen. Petrus kam auch nach Cäsarien, wo Cornelius sich aufhielt, und nachdem sie sich erst allein mit einander besprochen hatten, so trat Petrus in das Zimmer ein, in welchem Mehrere versammelt waren, die gleichen Drang und Trieb nach christlichem Unterrichte empfanden, wie Cornelius, und der Belebung des Apostels harrten. Hier hielt er nun die treffliche Rede, welche ihr Apost. 10, 34. aufgezeichnet findet und deren Ende ich euch eben vorgelesen habe. Alle Zuhörer wurden durch sie hochbegeistert und sprachen nach ihrer Weise das Lob Gottes und seines Gesandten aus, und Petrus weihete sie mittelst der Taufe zu Bekennern Jesu.

Ohne Zweifel findet ihr zwischen dieser Begebenheit und zwischen der am Pfingstfeste zu Jerusalem erfolgten Begeisterung der zahlreich versammelten Menge große Aehnlichkeit, und da, was ein- und mehreremale geschehen ist, sich unter gleichen Umständen wiederholen kann, so scheint es allerdings, als ließen sich auch jetzt noch übernatürliche Geistesgaben erwarten, und man hat diejenigen wenigstens nicht auf der Stelle zu verdammen, welche entweder von sich selbst, oder doch von Andern glauben, daß sie mit außerordentlichen Kräften von Gott ausgerüstet wären, und nicht bloß Ködere Einsichten in die Wahrheiten der Religion besäßen, sondern wohl auch ausnehmende und wundervolle Thaten verrichten könnten. Es ist der Mühe werth. hierüber zu klarer Erkenntniß zu kommen und Schein und Betrug von der Wirklichkeit sondern zu lernen.

Gibts noch heute übernatürliche Geisteskräfte und Wundergaben? Dieser Betrachtung sei der heutige Vortrag gewidmet.

Zuvörderst erinnere ich euch, daß an übernatürliche Gaben und Kräfte in keiner Wissenschaft und Kunst geglaubt wird, die Menschen müßten denn so roh und ungebildet sein, daß sie jede auffallende Erscheinung, deren Grund sie sich nicht zu erklären wissen und von welcher sie in Erstaunen gesetzt werden, für übernatürlich und wundergleich ansprächen. Männer sind unter allen Völkern, deren Geist erwacht war, aufgetreten, und ließen bald durch eigenes, mühsames Forschen, bald durch besondere Gunst der Umstände in den Wissenschaften ein Licht angezündet welches schnell Alles erhellete, was vordem dunkel war. Künstler sind erstanden, deren Schöpfungen Niemand begreifen konnte und die gleichsam von einer inwohnenden Gottheit getrieben, leisteten, was bisher Jeder für unausführbar und unmöglich gehalten hatte. Nie aber ist es Jemanden eingefallen, im Ernste zu behaupten, jene ausgezeichneten und hochbegabten Männer wären durch unmittelbar göttliche Beihülfe und Eingebung dahin gelangt, daß sie Verborgenes entdeckten, Verkehrtes ordneten, Irrthümer berichtigten, der Kunst und Wissenschaft die Bahn zeichneten und diese immer höherer Vollkommenheit entgegen führten. Sogar die Wissenschaft, welche es vorzugsweise mit Gegenständen zu thun hat, die Jesus dem Menschengeschlechte als Gottes Gebot und Anordnung einschärfte, sogar die tiefsten Untersuchungen denkender und weiser Männer über das Höchste, Heilige und Uebersinnliche und die überaus bedeutenden und schnellen Fortschritte, welche seit einem halben Jahrhunderte auf dem Felde der Religionswissenschaft gemacht worden sind, haben, so viel mir bekannt, noch in keines Menschen Seele den Wahn erzeugt, die Pfleger und Förderer göttlicher und menschlicher Weisheit seien von einer übernatürlichen Kraft getrieben worden, oder haben unter einer wunderbaren und außerordentlichen Leitung Gottes gestanden. Auch haben sich dergleichen Forscher und Erfinder nicht vermessen, daß ihnen die Erzeugnisse ihres eigenen Denkens und Fleißes von oben herab unmittelbar eingegeben worden wären, wiewohl sie jederzeit, je trefflicher sie selbst waren, auch um so williger und dankbarer anerkannten, Gott habe sie vor Vielen ausgezeichnet, und mit vorzüglichen Fähigkeiten begabt. Nun saget selbst, ob diese nicht abzukaufenden Erfahrungen uns nicht gegen die Versicherungen bedenklich machen müssen, daß Gott oder Jesus sich noch heut zu Tage gewissen Menschen offenbare und ihre Seele mit einem besondern Lichte durchstrahle. In keiner menschlichen Kunst und Wissenschaft übernatürliche Erleuchtung und Hülfe; aber in Glaubensachen außerordentliche Belehrung, wunderhaftes Licht in der Finsternis, Eingebung und Eingeistung? Und Alles dieß jetzt, wo das Evangelium Jesu sich bereits in vieler Millionen Herzen und Händen befindet, wo tausend kenntnißreiche Männer es durchforscht haben; wo in Städten und Dörfern die christlichen Glaubens- und Sittenlehren von eigends dazu bestellten und geprüften Predigern vorgetragen werden; wo die scharfsinnigsten Gelehrten, und öfters zugleich die besten und edelsten Menschen sich anstrengen, die Tiefen der Gottheit zu ergründen, und bescheiden gestehen, es gebe für das geistige Vermögen eine Gränze, welche sich nicht ungestraft überschreiten lasse, und man müsse sich mit demjenigen begnügen, was uns von dem Sohne des himmlischen Vaters eröffnet worden sei? Dieß Alles jetzt, da es dem menschlichen Verstände gelungen ist, Manches, was ehedem für ein Geheimniß galt, zu enträthseln und seiner Hülle zu entkleiden, wo man aber auch gelernt hat, daß Vieles in der Religion einer weitern Erörterung weder fähig noch bedürftig sei, und daß man häufig nur bis zu der Erkenntniß des Grundes vordringen könne, aus welchem sich die Unmöglichkeit, weiter vorzudringen, ergibt?

Lasset uns nur tiefer in das Vorgeben derer eingehen, welche in Bezug auf Gott und göttliche Dinge übernatürliche Geistesgaben erwarten, oder zu besitzen glauben, oder auch sich überreden, daß gewisse, besonders begnadigte Menschen das Vermögen hätten, das klar zu erkennen, wessen Hinsicht und Anschauung Gott den Sterblichen verborgen und entzogen hat; lasset uns aber auch diejenigen beachten, welche nicht bloß in Worten, sondern auch in Werken und Thaten als Gottbegeisterte und von Gott vorzugsweise Begünstigte erscheinen wollen. Wessen rühmen sie sich denn? Sie rühmen sich zuerst eines eigenthümlichen richtigen Verstehens der heiligen Schriften. Sie lesen fleißig in der Bibel; vergleichen, dem Sinne ober auch nur dem Buchstaben nach, verwandte Stellen mit einander, bilden sich eine, ihren vorgefaßten Meinungen entsprechende Auslegung derselben; bitten Gott um Erleuchtung und wähnen, weil sie mit Ernst und Andacht zu Werke schreiten, sie müßten nun den wahren und einzig richtigen Sinn entweder gefunden haben, oder noch finden. Was aber nicht mit ihren Ansichten zusammenstimmt, verwerfen sie, nicht selten mit schnöden Seitenblicken auf Andersurtheilende und Unterrichtetere. Und da dergleichen Bibelfreunde gewöhnlich ohne gründliche Kenntnisse des Alterthums, der Sprachen, des Zusammenhanges, der Volkssitten, Gebräuche und Vorurtheile das Geschäft der Auslegung treiben, so berufen sie sich, um Andern und sich selbst ihre Meinungen annehmlich zu machen, auf ein inneres Licht, welches ihnen der Herr angezündet habe, um sie vor Irrthümern zu bewahren. Vermöge dieser Erleuchtung glauben sie nun, sogar selbst neue Offenbarungen zu erhalten, richten in scheinbarer Demuth und Bescheidenheit, gleich als von Gottes Geiste geleitet, ein neues Evangelium auf, ober behaupten noch, das von den Evangelisten und Aposteln hinterlassene müsse nach ihrer Deutung verstanden werden, und setzen sich, wir wollen gern glauben, bewusstlos und ohne böse Absicht, an die Stelle der von Gott erleuchteten Verfasser der Bibel selbst. Von diesem Glauben an ihre besondere Erleuchtung ist aber nur ein Schritt bis zum Glauben an ihre Unfehlbarkeit und von dieser kommt es nur allzuleicht zum Aufdringen ihrer vermeintlichen Weisheit, wenigstens zur weit möglichsten Verbreitung ihrer Lehren und Grundsätze.

Nicht zufrieden mit dem, was der klare Buchstabe des Christenthums vorschreibt, übertreiben sie und fordern eine Selbstverläugnung, eine Selbstpeinigung, eine Ertödtung aller menschlichen Neigungen, eine Furcht vor dem gütigen und gnädigen Vater im Himmel, daß, wenn man ihnen Gehör gäbe, man nimmer zu einem frohen Gedanken kommen würde; schrecken schwache und ängstliche Gemüther; werben Genossen ihrer Meinungen und verwehren das Heer derer, welche, seitdem das Christenthum öffentlich bekannt worden ist, durch ihre schwärmerischen Satzungen und Einfälle der vernunftgemäßesten Religion unter der Sonne weit mehr Schaden zugefügt haben, als der entschiedenste Unglaube. !

Und was sage ich von denen, die sich bereden, besonderer Kräfte theilhaftig geworden zu sein und im Namen des Herrn Wunder thun, Krancke ohne Arzneimittel heilen, Blinden das Gesicht, Tauben das Gehör, Stummen die Sprache, Lahmen den freien Gebrauch ihrer Glieder wiedergeben zu können? Brüsten sie sich nicht mit übernatürlichen Gaben, und vergessen, daß Gott nur Jesu und seinen unmittelbaren Schülern zur Einführung des Christenthums, als allgemeiner Weltreligion, außerordentliche Kräfte verliehen hatte? Sonderbar, aber traurig, daß ihr Vorgeben Glauben findet zu einer Zeit, welche in Sachen der Religion mit Recht für die aufgeklärteste gehalten wird, die es jemals gab, und in welcher auch die gemeinsten Menschen über abergläubigen Wahn erhaben sein könnten und sollten! Aber nicht nur der ununterrichtete Pöbel, auch viele durch Stand, Namen und Verstandesbildung Ausgezeichnete lassen sich bethören, und wenden sich denen zu, welche mit marktschreieerischer Zuverlässigkeit sich als auserwählte Rüstzeuge der Allmacht und als Inhaber außerordentlicher Gnadenspenden darstellen.

Was, meine Zuhörer, haben wir nun von Uebel, natürlichen Geistesgaben in Beziehung auf Religion, oder auf Gott und göttliche Dinge zuhalten? Schon aus dem Gesagten könnet ihr entnehmen, baß diejenigen, welche sich derselben rühmen, sich selbst das Urtheil sprechen. Wie, es gäb' eine neue unmittelbare Einwirkung Gottes auf gewisse Menschen, so daß ihr Meinen, Reden und Thun nichts ausströmte, als Gotteskraft und Gottesweisheit? Gesetzt aber, es treten Mehrere auf, die sich gleicher Gunst des Himmels bewußt zu sein wähnen, welchen von ihnen wollet ihr glauben? Wird es nun nicht heißen müssen, wie geschrieben steht: der eine ist Kephisch, der andere Paulisch, der dritte Apollisch, der vierte Christisch? Wird nicht, wie zur Zeit des Verfalles des römischen Reichs, ein falscher Christus und Christusjünger dem andern das Feld bald streitig machen, bald räumen? Werden nicht Träumereien und Einbildungen an die Stelle erprobter Wahrheiten Schein, trügenden an die Stelle der aufrichtigen Treue gegen Recht und Pflicht, Menschensatzungen an die Stelle göttlicher Gebote, Hoch- und Uebermuth an die Stelle der Bescheidenheit treten, und wo und wann sollen dergleichen neue und neueste Offenbarungen Ziel und Ende finden? Ists nicht die höchste Unverschämtheit, der wichtigsten und heiligsten Angelegenheit sich nicht bloßes Stimmrecht, sondern den Urtheilsspruch anzumaßen? Darf der schwachen Fehlern und Irrthümern unterworfene Mensch, in seiner Gebrechlichkeit sich herausnehmen, Glaubensvorschriften zu machen, oder sich für einen Wunderthäter auszugeben, da das größte Wunder ist, daß er seiner Verblendung und Narrheit nicht inne wird? Und weiß der neue Prophet und Wundermann, daß auch er unter die irrsamen und gewöhnlichen Menschenkinder gehöre, und gibt gleichwohl vor, er sei ein Auserwählter Gottes: stellt er sich dann nicht unter die Verruchten, welche aus Eitelkeit, Ruhmsucht und Eigennutz, Wahn für Wahrheit, und Aberglauben für echte Jesuslehre verkaufen, einfältige Menschen absichtlich täuschen und betrügen, Andern zur Ausführung ihrer gottlosen Entwürfe die Hand bieten und sich zu feilen Werkzeugen derer erniedrigen, welche über verderbensschwangeren Entwürfen brüten?

Können wir aber gleich nicht läugnen, daß öfters ein sehr unrühmliches Streben, und gemeine, niedrige Leidenschaften sich hinter dem Vorspiegeln übernatürlicher Begabungen verbergen, so wollen wir uns doch auch nicht verhehlen, daß Viele von der Einbildung, sie besäßen Wunderkräfte und hätten sich der religiösen Wahrheit vollkommen und in weit höherem Grade als Andere bemächtigt, gleich als von einer Krankheit befallen sind, und sie daher lieber unter die Irrenden und sich selbst Täuschenden zählen, als unter die vorsätzlichen Betrüger. Sollten sie aber nicht bedenken, daß sie von arglistigen und übelwollenden Menschen leicht gemißbraucht wer, den können, ist ihre Eitelkeit nicht leicht zu überreden, sie seien im Besitze vollendeter Weisheit, und werden sie nicht um so geneigter, sich Andern mitzutheilen und sie an sich zu ziehen suchen, je überzeugter sie selbst von dem Werthe ihrer unfruchtbaren und gehaltleeren Meinungen zu sein wähnen? Nicht verdammen wollen wir daher die Verirrten, sondern sie liebreich und freundlich zur Selbsterkenntniß bringen, und Gott bitten, er wolle die Umstände so lenken, daß auch ihnen der Stern aus der Höhe aufgehe und der echte Geist Jesu sie in alle Wahrheit leite.

Jene hohe Begeisterung aber für Wahrheit, Recht und Religion, welche an dem heutigen Feste über die Jünger und ersten Bekenner des Christenthums kam; jene Ueberzeugungstreue, welche selbst unter Verfolgungen, Entbehrungen und Qualen dennoch der anerkannten Wahrheit beharrlich huldigte, jener unerschrockene Muth, welcher die Apostel beseelte, wenn sie umringt von Gefahren, bedroht von der Gewalt und angefochten von den Irrthümern und Leidenschaften unerleuchteter Zeitgenossen dennoch mit Feuer und Kraft gegen das Unwürdige, Verkehrte und Gott Mißfällige eiferten; jene Besonnenheit, mit welcher sie die Lehren und Grundsätze des Christenthums vortrugen und vertheidigten; jene hohe Haltung, mit welcher sie vor Hohen und Niedrigen ihren Christenglauben bekannten; jene Festigkeit, mit welcher sie Verführungen widerstanden; jene Ruhe, mit welcher sie Spott und Schmähungen ertrugen; jene Großherzigkeit, mit welcher sie der Wahrheit und dem Heile des Menschengeschlechts selbst das Leben opferten; jene Bescheidenheit und Demuth, mit welcher sie nur Gott und seinen Gesandten verherrlichen, und nichts sein wollten, als Zeugen der Wahrheit und Boten und Jünger des vom Himmel gekommenen Meisters; diese, diese müssen unser Aller Antheil werden. Und darum lasset uns, Jeder nach seinem, Stande und Berufe, des Herrn Werk treiben, selbst immer treuer und fester im Guten werden, und wo sich uns Gelegenheit darbietet. Böses zu verhüten, Irrthum und Aberglauben zu bekämpfen, den Sinn für Sittlichkeit und Gottesfurcht in die Gemüther zu pflanzen, und Recht, Ordnung und Zucht einheimisch auf Erden zu wachsen, sie freudig ergreifen. Dann wird Gottes und Jesu Geist sich über Alle ergießen und wir werden das Pfingstfest freudig, bewußtvoll und im Hochgefühl unserer Christenwürde begehen. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/s/schuderoff/schuderoff_pfingsten.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain