Schopf, Otto - Von den Grundsprachen, der Schrift und den Handschriften des Alten und Neuen Testaments

Schopf, Otto - Von den Grundsprachen, der Schrift und den Handschriften des Alten und Neuen Testaments

Die Sprache des Alten Testamentes

Das Alte Testament ist mit verschwindenden Ausnahmen in hebräischer Sprachegeschrieben; die Schrift hat dafür den Ausdruck „Sprache Kanaans“. (Ausnahmen von der hebräischen Sprache bilden die Abschnitte: Daniel 2,4 bis 7,28 sowie Esra 4,8 bis 6,18; 7, 12-26; ferner zwei Worte in 1. Mose 31, 47 und Jeremia 10,11, die in westaramäischer Sprache geschrieben sind.)

Das Hebräische gehört mit dem Phönizischen und Punischen (der Sprache Karthagos) zum kananäischen oder mittelsemitischen Zweig des semitischen Sprachstammes. Zu demselben Stamm gehört das Arabische und Äthiopische - südsemitischer Zweig - das Syrische und Mandäische, das Westaramäische oder palästinensisch Aramäische, das Samaritanische und Nabatäische - nordsemitischer oder aramäischer Zweig; die Sprache der assyrisch-babylonischen Keilinschriften bilden den ostsemitischen Zweig dieses Sprachkreises.

Was den Charakter der semitischen Sprachen anlangt, so sei nur soviel gesagt, daß diese Sprachen, und so auch die hebräische, nicht sehr elastisch sind. Die Folge davon ist, daß Begriffe schwerer zu bilden sind als in den indogermanischen Sprachen wie z.B. im Deutschen, wo man durch Vorsatzwörter Dutzende von Begriffen bilden kann (z.B.: An-, Ab-, Auf-, Vor-, Nach-, Rück-, Umsicht) oder in den slawischen Sprachen, wo sich nach Manassewitsch von einem Wort 150 Begriffe bilden lassen. Die Unveränderlichkeit des Hebräischen hat sich aber nicht nur in der Wortbildung, sondern auch in der Geschichte gezeigt, indem sie, wie andere semitische Sprachen, z.B. das Arabische, fast keine Sprachentwicklung zeigt.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich:

  1. Das alttestamentliche Volk und Buch der Offenbarung besitzt eine Sprache, die zwar dem größten Teil der in der alttestamentlichen Zeit eine Rolle spielenden umliegenden Völker nicht fremdartig war, aber doch zunächst nur auf das auserwählte Volk und wohl seiner Grenznachbarn sich beschränkte;
  2. Diese Sprache erfuhr im Laufe der Jahrhunderte eine so geringe Veränderung, daß die Überlieferung des Inhaltes des Alten Testamentes und das Verständnis der Überlieferung erleichtert war;
  3. Die wenig beweglichen semitischen Sprachen, so auch das Hebräische, „bieten dem genauen, scharf begrenzten Begriff keinen scharfen, allseitig bestimmten Ausdruck dar“ (Bertheau, S. 614). Gerade dadurch eignet sich diese Sprache für die vorbereitende Offenbarung, für die Prophetie, die in tiefsinnigen, mehrdeutigen Wörtern das Kommende ankündigt, vorbereitet und herbeiführt, zum Forschen und Sinnen anregt und endlich, wenn die Erfüllung da ist, dieselbe bestätigt, indem dann erst, je mehr die Weissagung Erfüllung wird, der tiefe und reiche Sinn des prophetischen Wortes sich enthüllt.

Wir können das Bisherige zusammenfassen in

These 1: „Die im wesentlichen auf einen engen Volkskreis beschränkte, Begriffe weniger scharf ausprägende semitische Sprache des Alten Testamentes entspricht dem vorbereitenden Charakter der alttestamentlichen Offenbarung.“

Die Sprache des Neuen Testamentes

Die Sprache des Neuen Testamentes ist griechisch. Das klassische Griechisch ist ein feines, klares, durchgebildetes, schmiegsames Erzeugnis griechischen Geistes, dessen Dichter für geistige Dinge die entsprechenden Wortbilder, dessen Denker für die feinsten Verästelungen und Gliederungen der Gedanken die Formen fanden. Aber die griechische Sprache des Neuen Testamentes, die viele Vorzüge des klassischen Griechisch teilt, ist doch nicht die Sprache der Klassiker oder überhaupt der Schriftsteller und Hochgebildeten, sie ist auch nicht so sehr, wie man bis vor kurzem meinte, eine auf dem Boden des sogenannten hellenistischen Griechisch entstandene, von der „Septuaginta“ (der griechischen Übersetzung des hebräischen Alten Testamentes) stark beeinflußte Sondersprache, zu der der christliche Geist noch erst einen neuen Wortschatz schaffen mußte; die sprachwissenschaftliche Arbeit der letzten Jahrzehnte hat vielmehr ergeben, daß „daß Neue Testament im großen und ganzen ein Denkmal der spätgriechischen Umgangssprache ist, in seinem weit überwiegenden Teil der mehr oder weniger volkstümlichen Umgangssprache“ (Deißmann, „Licht vom Osten“, S. 42). Diese Sprache wurde in Italien und Frankreich, in Afrika und tief hinein bis nach Asien gesprochen. Ein anderer Gelehrter sagt: „Grammatik und Wortschatz zeugen laut gegen die Männer, die den heiligen Schriften den Vorzug einräumen möchten, in einer andern Form aufzutreten, als in der vom Volk verstandenen.“ (Moulton, S. 6). Sogar das Griechische der Offenbarung Johannes „scheint keinen seiner Schnitzer dem Hebraismus zu verdanken“ (Moulton, S. 12). Deißmann kommt zu der Feststellung (siehe „Licht vom Osten“, S. 50): „Die Zahl der wirklichen Neuschöpfungen ist in der ältesten neutestamentlichen Zeit eine geringe; viel mehr als 50 „christliche“ oder „biblische“ Wörter wird es, so schätze ich, unter den fast 5000 Wörtern nicht geben, eher weniger…. In der religiös schöpferischen Urzeit ist die wortbildende Kraft des Christentums bei weitem nicht so groß, wie seine begriffsumbildende Wirkung.“ (Seite 49 a.a.O. fügt Deißmann hinzu: „Daß es spezifisch biblische und spezifisch neutestamentliche Wörter gibt, habe ich niemals geleugnet“, und Moulton sagt Seite 25: „Semitische Denkweise mußte zuweilen in eine Sprechweise und in einen Stil verfallen, der ungriechisch war“; ferner Seite 28: „Daß in den Evangelien eine Fülle von Übersetzungen steckt, hat man offen zugegeben.“) - Daß trotzdem die neueren Forschungen einen engeren Zusammenhang der Sprache des Neuen Testamentes mit der Umgangssprache ergaben, als man früher annahm, im Neuen Testament nicht nur Begriffsumbildungen, sondern auch neue Worte, hebraistische Wendungen und besonders da, wo aus alttestamentlichen Stellen oder aus der aramäischen Umgangssprache übersetzt wird, sich ein „Übersetzergriechisch“ herausbildete, geben die neueren Forscher bereitwilligst zu, nur fordern sie, daß man anerkenne, „wie selten eine Phraseologie ist, die ganz greifbar dem Griechischen Hohn spreche“ (Moulton, S. 26). Und wo nicht auf den ersten Blick ein Wort sich als jüdische oder christliche Neuschöpfung ergibt, da ist es bis zum Erweis des Gegenteils als gemeingriechisches Wort anzusprechen („Licht vom Osten“, S. 50). Doch genug hiervon!

Diese neueren Sprachforschungen haben ihre Grundlage in den Denkmälern, Papyrushandschriften und Tonscherben (dem Papier der armen Leute), die man in den letzten Jahrzehnten durchforschte, und die, in der Sprache der vorapostolischen Zeit geschrieben, uns zeigen, daß die Mehrzahl der Ausdrücke, die man irrtümlich für hebraistisch und neutestamentlich hielt,, aus der Umgangssprache entnommen waren. Diese Forschungen haben aber auch dazu gedient, uns zu zeigen, wie angelegen es sich die Apostel sein ließen, nicht in einer neutestamentlichen Sprache Kanaans zum Volke zu reden, sondern in der allgemein gebrauchten volkstümlichen Umgangssprache. Weiter haben diese Forschungen dann gezeigt, wie die Apostel die Form, das Gefäß der damals modernen Sprache und Anschauung mit neuem Inhalt füllten, so daß man z.B., wenn man von „Frieden“ sprach, nicht mehr nur an häuslichen oder politischen Frieden, sondern an den „Frieden mit Gott“, an die tiefste Seelenharmonie und gesicherte und gesegnete Stellung eines Gliedes des Volkes Gottes denken lernte, im Anschluß an die im Alten Testament wurzelnde und im Neuen Testament vollendete tiefe Fassung des Wortes „Frieden“.

Quelle: Es steht geschrieben! Entstehung und Geschichte der Bibel, Kelle und Schwert 64/65 Bundes-Verlag Witten/ Ruhr, 1935

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