Schopf, Otto - Es war schon immer so

Schopf, Otto - Es war schon immer so

Der Kleinigkeitskrämer kennt in einem entfernten Teile unseres Vaterlandes eine Dorfkirche, in der niemals die erste Zeile eines Liedes gesungen wird. Dieselbe zu singen ist vielmehr die Sache des Organisten; erst bei der zweiten Zeile singen die übrigen Kirchenbesucher mit. So kommt es, daß z.B. die erste Strophe des Liedes: „Ach bleib mit deiner Gnade“ dort so heißt:

„Bei uns, Herr Jesu Christ,
Daß uns hinfort nicht schade,
Des bösen Feindes List.“

Als dort ein Fremder einmal fragte, warum dieses und manches andere so sei, wußte ihm niemand Auskunft zu geben, als daß es immer so gewesen, womit wohl gesagt sein sollte, daß es deshalb auch so zu bleiben habe.

An diese Dorfgemeinde dachte der Kleinigkeitskrämer, als er einmal in eine unserer Gemeinden kam. Warum dachte er gerade hieran und warum verglich er ein unserer Gemeinden mit einer „solch toten, kirchlichen Geschichte?“ Er konnte einfach nicht anders; denn hier in unserer Gemeinde ging man noch einige Schritte weiter. Dort ließ man einen andern den Anfang des Liedes singen; machte einer oder höchstens einige ganz allein den Anfang der ganzen Versammlung. Wenn nämlich zu Anfang der leitende Bruder sagte: Laßt uns Lied No. so und so singen,„ so waren diese uns in der Regel 3 Personen; bei der zweiten Strophe wurden es schon mehr, bis daß ausgesungen war, hatte sich schon die Hälfte der Versammlungsbesucher eingefunden, nach dem Lesen des Schriftabschnittes mit Gebet schon ca. dreiviertel, aber nach dem 2. Singen waren unbedingt alle, vielleicht gegen 150, da. Man erzählte auf dem Nachhausewege nicht, wie es in andern Gemeinden schon geschehen soll, daß der und der, oder die und die zu spät kam, sondern man wunderte sich über das Gegenteil, wie auffallend früh der Bruder Peinlich und die Schwester Ängstlich gegangen seine und fragte sich zu welchem Zweck sie dieses in der Regel täten. Als der Kleinigkeitskrämer in seiner Neugierde einmal verschiedene fragte, warum dies hier so und nicht anders, erhielt er auch zur Antwort, es sei immer so gewesen und es mochten es alle Geschwister so. Als er dann seiner Wege ging, mußte er doch denken, ob es nicht schöner und richtiger anders sei; ob das Anfangslied, die Schriftlektion, das Eingangsgebet, oder auch nur die erste Zeile des ersten Liedes nicht auch mit zur Versammlung gehörten, weil solche doch auch schon Wahrheiten enthielten, vielleicht auch gar Segen und Gnade vom Herrn vermitteln sollten und das am Ende gerade für den Zuspätkommenden, der dann hernach durch eigene Schuld leer heimgehen müsse. Auch daran dachte er noch, daß durch diese ungute Gewohnheit wie er, so auch alle andern, besonders die unbekehrten Besucher und Neulinge einen schlechten Eindruck bekämen von Gottes Volk und der Wertschätzung, den dieses für das Seinige und die Sache seines Meisters besitze. Er wollte auch schon darauf hinweisen, daß unser Gott ein Gott der Ordnung ist; aber er unterließ dies, weil man ihm sonstwo einmal gesagt hatte, er sei in solchen Dingen gar zu gesetzlich, und bat nur den Herrn, er möge obigen Hinweis selber bei den Geschwistern geben.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1908

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