Schopf, Otto - Zur Casseler Bewegung

Schopf, Otto - Zur Casseler Bewegung

Motto: Weissager aber lasset reden zween oder drei, und die andern sollen richten. 1.Cor. 14,29. 1)

Quelle: Verlag: Johannes Schergens, G.m.b.H. Bonn am Rhein. 1907

I.

Eigene Beobachtungen.

Am Donnerstag, den 25 Juli, traf der Schreiber dieser Zeilen mit zwei anderen Brüdern in Cassel ein. Wir hatten auf der Reise die einschlägigen Schriftstellen miteinander durchgesprochen und uns gesagt, daß wir möglichst jeden Segen empfangen wollten, der für uns zu haben sei, und daß wir im Aufblick zum Herrn möglichst vorurteilsfrei alles prüfen wollten. Ebenso hatten wir uns gesagt, daß wir uns bei Äußerlichkeiten möglichst wenig aufhalten wollten, da selbstverständlich bei einer außerordentlichen Geistesbewegung, welcher Art sie immer sein mag, auch ungewöhnliche Begleiterscheinungen sich zeigen müssen.

Vor der ersten Versammlung besuchte ich einen älteren Bruder, der die Vorgeschichte der Bewegung genau kennt und dieselbe sorgfältig verfolgt hat. Er stand der Sache nicht kritiklos, aber wohlwollend gegenüber und war ängstlich, sich und der Sache durch irgendein zu weit gehendes Urteil zu schaden. Eine unverkennbare Segensfrucht schien ihm das zu sein, daß viele Gläubige ihre Gebundenheit bekannten. Er selbst hatte Gelegenheit gehabt, mit einer großen Zahl solcher zu reden. So kam ich mit einem möglichst günstigen Vorurteil in die erste Versammlung. Im ganzen habe ich drei Versammlungen angewohnt.

Die erste Versammlung fand Freitag Nachmittag statt. Dieselbe wurde nach dem Gesang eines Liedes von Prediger Heinrich Dallmeyer eröffnet. Er verlas und erläuterte eine Bekanntmachung, die ungefähr folgenden Inhalt hatte: Nichtberechtigt an den Versammlungen teilzunehmen sind folgende; erstens, Leute, die nicht mit jeder erkannten Sünde brechen wollen; zweitens, diejenigen, die nur gekommen sind, um zu kritisieren; drittens, diejenigen, die nicht ihr ganzes künftiges Leben in des Herrn Hand legen wollen. Wer von den drei genannten Klassen trotz der Bekanntmachung hier bleibt, ist ein Spitzbube, denn er stiehlt uns den Platz und hemmt das Werk des Herrn. Es handelt sich, so wurde erklärt, hier nicht um Evangelisationsversammlungen, sondern um Versammlungen, die dazu dienen sollen, das Erfülltwerden der Kinder Gottes mit dem Heiligen Geist vorzubereiten und herbeizuführen. Wenn dieses Werk des Herrn geschehen ist, dann wollen wir uns an die Unbekehrten mit der Evangelisation wenden. Für die Versammlungen maßgebend ist der Grundsatz: Alles Fleisch sei stille vor dem Herrn (Sach. 2,17) d. h. alles, was dem Fleisch entstammt, soll schweigen. Die mit dem Geist Gottes Erfüllten, auch die Zungenredner, sollen sich in der Zucht halten, aber nicht den Geist Gottes, wo er wirkt, dämpfen. Wer mit dem Geist Gottes erfüllt ist, der mag tun, wozu der Geist ihn treibt. Wer schreien muß, der schreie, wer in Zungen reden muß, der rede in Zungen.

Der Redner las den Anfang von 1. Kor. 12. Die Brüder, die gekommen sind, nicht um zu kritisieren, sondern um, wie es berechtigt und schriftmäßig sei, zu prüfen, machte er besonders auf den dritten Vers aufmerksam, in dem darauf hingewiesen wird, daß niemand, der im Geist Gottes spreche, sage: verflucht sei Jesus, d. h. niemand, der im Geiste Gottes spreche, dürfe so reden, als ob er seine Ehre suche, sondern es müsse offenbar sein, daß die Verherrlichung des Herrn allein gesucht werde. Wenn wir also bei dem Reden und Beten der Geschwister inne werden, daß man die Verherrlichung des Herrn suche, so sei klar, aus welchem Geiste die Sache sei. Der Herr habe schon verschiedene Geistesgaben gegeben, und man hoffe, er werde alle in 1. Kor. 12 besprochenen Gaben mitteilen. Manche seien mit dem Geist Gottes erfüllt worden: die einen still auf ihren Stühlen sitzend oder auf ihrem Lager zu Hause oder auf der Heimreise; andere erst, nachdem sie zu Boden geworfen worden seien, und auf andere Weise der Herr sie gereinigt habe.

Wenn Br. D. sprach oder betete, schien er eine einfache und ruhige Sprechweise zu suchen.

Nach der Einleitung begann eine Anzahl Geschwister meist sehr kurz zu danken für die empfangene Geistesfülle oder zu bitten um völlige Zubereitung. Zuweilen beteten einzelne, zuweilen eine Anzahl gleichzeitig. Nach einiger Zeit begannen die Zungenredner, zunächst in unverständlicher Sprache etwas zu sagen, alsdann das Gesagte auszulegen. Die Laute klangen ungefähr: »schello mo dal dadbad notschifrei«. Sofort, nachdem der Zungenredner solche Laute ausgesprochen hatte, legte er dann das Gesagte auch selbst aus. Zunächst wurde gesagt, daß noch viele Geschwister mit alten Sünden da seien, besonders auch auswärtige, derentwegen der Herr in den Versammlungen nicht wirken könne. Alsdann wurden einzelne, noch nicht durch ein Bekenntnis gerichtete Sünden genannt: Eitelkeit, Fressen, Saufen, Hurerei, Unehrlichkeit.

Prediger D. nahm wiederholt auf diese Aussprüche in folgender Weise Bezug: Der Herr hat uns jetzt gesagt, daß noch die und die Sünden da seien. Ich bitte diejenigen Geschwister, die das angeht, den Saal zu verlassen und zu einem Seelsorger zu gehen und ihre Sünden zu bekennen. Wenn sie dann so ihre Sünden geordnet haben, mögen sie zurückkommen, und wie die Geschwister, die ihre Angelegenheiten geordnet haben, die Fülle des Geistes empfangen.

Im Verlauf der Versammlung wies er dann noch besonders darauf hin, daß ein in den gläubigen Kreisen hochangesehener Bruder gesagt habe, ihm sei in seiner Praxis bis jetzt nur in einem Fall die Sünde wider den heiligen Geist begegnet; aber wenn der Herr seine Geistesgaben und die Fülle des Geistes wiedergebe wie jetzt, so werde es wieder mehr vorkommen, daß diese Sünde begangen werde. Br. D. bat deshalb, daß doch niemand dem heiligen Geist widerstehen und sich scheuen möge, hinauszugehen; auch er und andere geisteserfüllte Geschwister haben erst allerlei mit dem Herrn in die Reihe machen müssen; darum sei es keine Schande, hinauszugehen.

Über die Begleiterscheinungen des Zungenredens und des stillen und lauten Betens, die für manche Beobachter und Beurteiler der Versammlungen sehr im Vordergrund zu stehen scheinen, möchte ich zunächst wenig sagen, da es mir für die Beurteilung der Sache nicht ausschlaggebend erscheint. Das Zittern und Beben einzelner Körperteile oder das ganzen Körpers und das Zu-Boden-fallen kann je nach der körperlichen und seelischen Veranlagung der Einzelnen eintreten oder unterbleiben. Es kann sich finden bei heiliger Erregung, bei Begegnungen mit dem Herrn; es kann sich finden bei rein oder unrein menschlich-seelischen Veranlagungen und endlich unter dämonischem Einfluß. Wenn, wie in diesen Versammlungen, solche Erscheinungen sich gleichzeitig bei einer ganzen Anzahl von Personen zeigen, so ist das ja allerdings für die, die das hören und sehen, unter Umständen besonders aufregend und auffallend, aber das Wesen der Sache, oder maßgebend für die Beurteilung des Wesens der Sache, sind diese auffallenden körperlichen Erscheinungen nicht. Sie scheinen mir nur zunächst zu zeigen, daß das schwache Gefäß des Körpers für die geistige oder seelische Erregung zu schwach ist.

Die folgenden zwei Versammlungen verliefen in den Grundzügen wie die soeben geschilderte, nur waren sie viel bewegter. Die Abendversammlung war jedenfalls zahlreicher besucht. Der vielleicht 500 Personen fassende Saal war fast ganz besetzt. Auch die Versammlung am Freitag früh schien mir zahlreicher besucht zu sein als am Donnerstag Nachmittag. Die Abendversammlung wurde nach dem Gesang eingeleitet mit einer kurzen Besprechung des Anfangs des 103. Psalms. Es wurde darauf hingewiesen, daß jede Sünde, wenn sie längere Zeit in einem Menschen herrscht, dämonische Kraft bekomme, weshalb der Dämon ausgetrieben werden müsse. Daher erklärt es sich auch, daß auch zum Teil manche unter großem Schreien zu Boden fallen. Solange der Dämon in uns sei, könne natürlich nicht alles, was in uns ist, den Herrn loben.

Einer der ersten Aussprüche der Zungenredner am Abend war, der ganze Saal, in dem doch vorwiegend Gläubige waren, sei voll von Dieben. Mit einem Schrei des Schreckens wurde diese Offenbarung des Herrn aufgenommen. Die Zungenredner wiesen dann darauf hin, daß Leute da seien, die Äpfel gestohlen, beim Militär Geld aus dem Spind genommen hätten, daß Schneiderrechnungen nicht bezahlt seien, daß Eheleute da seien, die Einnahmen, welche sie haben, vor ihrer Ehehälfte verbergen, daß Leute da seien, die in ihren Häusern Plätze haben, wo sie ihr gestohlenes Geld hinlegen, daß Steuerhinterziehungen vorgekommen seien.

Es wurden nun wieder die Unaufrichtigen aufgefordert, den Saal zu verlassen und ihre nicht geordneten Dinge in die Reihe zu machen. Diese Aufforderung wurde wiederholt und unterstützt durch weitere Aussprache der Zungenredner, die im Namen des Herrn sagten: »Ich werde noch mehr offenbar machen; ich werde noch schärfer schneiden; ich werde eure Sünde an eure Stirn schreiben; ich werde Namen nennen – Bruder Soundso soll hinausgehen (es wurde dann ein Namen genannt, der soviel verbreitet ist, wie der Name Meier)«. Ich konnte nicht feststellen, ob der Träger dieses Namens – denn ein solcher war gegenwärtig – schon hinausgegangen war oder dann erst hinausging. Dann wurde im Namen des Herrn bekannt gegeben: »Ich werde noch mehr Namen nennen.« Dies unterblieb jedoch.

Am Abend war außer den männlichen Zungenrednern auch eine norwegische Schwester mit ihrer Übersetzerin da. Der Inhalt ihrer Aussagen bestand zum großen Teil aus Bibelsprüchen, und zwar solchen, die vorwiegend Evangelium enthielten, während die Aussprüche der männlichen Zungenredner sich hauptsächlich mit den vorhandenen Sünden beschäftigten. Die Versammlung war wie ein wogendes Meer, je schärfer die Aussprüche der Zungenredner waren, desto mehr Äußerungen des Schmerzes und des Schreiens wurden in Seufzern und Stöhnen und Schreien laut. Wenn ein tröstlicher Ausspruch kam, so wurde derselbe von einem großen Teil der Versammlung mit begeistertem Freudenausruf aufgenommen. Unter den Betenden waren unverkennbar viele aufrichtige Geschwister, denen es ein großer Ernst zu sein schien, von jedem bewußten Sündenbann los und voll Geistes zu werden. Unter denen, die durch ihr Benehmen besonders auffielen, waren zwei weibliche Personen: die eine vielleicht Mitte der 20er, die andere etwa 17 Jahre alt. Die Ältere machte sich fast den ganzen Abend teils durch lautes Jubeln und Händeklatschen, teils durch Mark und Bein erschütternde Schreie bemerkbar. Bald pries sie den Heiland, bald klagte sie über den Sündenbann, der auf der Versammlung laste. Wenn die Ältere zum Herrn etwa sagte: »Wie bist du doch so gut«, so sagte die Jüngere etwa: »Wie bist du doch so lieb«; wenn die Ältere sagte: »O, wie ist alles so finster im Saal«, so sagte die Jüngere: »Ach, wie ist es so dunkel«. Sie meinten damit wohl den auf der Versammlung lastenden, durch verheimlichte Sünde verursachten Druck.

Gegen Schluß der Versammlung kamen die Zungenredner auf die Sünden des Ehelebens zu sprechen. Als es dem Schreiber dieser Zeilen schien, daß die äußerst zulässige Grenze dieses Gebiets erreicht sei, brach der Leiter der Versammlung ab, indem er aufforderte, die auf dieses Gebiet bezüglichen Dinge nicht in der Versammlung, sondern zuhause, zwischen Mann und Frau auszusprechen und zu erledigen.

Aus der dritten Versammlung, der ich anwohnte, am Freitag Morgen, ist noch zu erwähnen, daß sich die Zungenredner hauptsächlich mit der Kirche, den Gemeinschaften und den christlichen Vereinen beschäftigten. Es wurde hingewiesen auf das Formenwesen, den Schein und die Heuchelei, die herrschen, daß große Gebäude gebaut werden, und dabei fehle es an Leben. Dann wurde auch wieder hingewiesen auf Hindernisse, die bei einzelnen in der Versammlung Anwesenden dem Herrn noch im Wege stehen. Es sei jemand da, der einen falschen Ring am Finger trage, d. h. einen Ring, den er aus Eitelkeit trage. „Du hängst an deinem Goldschmuck“, „Du hast deine Kuh lieber als mich“, „Sieht es in deinem Hause aus wie bei den armen Leuten?“ Dazwischen hinein auch einzelne verheißungsvolle Worte. Zwischen den einzelnen Beterinnen und den Zungenrednern entspannten sich förmlich Zwiegespräche, d. h. die Beterinnen wandten sich an den Herrn, und die Antwort der Zungenredner wurde in der ersten Person, also als Aussprüche des Herrn gegeben. Die Versammlung war, wir können es nicht besser ausdrücken, wie ein Klavier, auf dem man, je nachdem man die Tasten anschlägt, bald hohe, bald tiefe Töne hervorbringen kann; je nachdem die Zungenredner Beugendes oder Ermutigendes sagten, folgte stets die Versammlung mit ihren Freudens- und Schmerzensäußerungen. Die Zungenredner erklärten dann noch, was sie gesagt haben, sei „kein Schwindel“. Einer sagte auch, die Geschwister achteten noch zu viel auf die Zungenredner und zu wenig auf den Herrn. Ein Zungenredner bat, doch zu glauben, was sie sagen; es liege ihnen so sehr an, nichts zu sagen, als nur, was sie müssen. Dann erklärte auch noch Br. D., daß der Herr ihm die Gabe der Geisterprüfung gegeben habe. Der Herr habe ihm diese Gabe schon früher gegeben, ihm aber gesagt, er werde noch eine besondere Anweisung des Herrn bekommen, an welchem Zeitpunkte er bekanntgeben dürfe, daß er im Besitz dieser Gabe sei. Dieser Zeitpunkt sei heute gekommen; und er bezeuge kraft seiner Gabe der Geisterprüfung, daß alles, was die Zungenredner am Vorabend gesprochen haben, Wahrheit sei. Eine ganze Anzahl von den Sünden, welche der Herr durch die Zungenredner am Vorabend offenbar gemacht habe, seien noch am Abend bekannt geworden. In dieser Versammlung und am Vorabend wurde noch ein anderer Ausspruch des oben erwähnten angesehenen Bruders zitiert und bestätigt. Derselbe habe gesagt, es sei von vornherein zu bedauern, daß diese Versammlungen offenstehen für jedermann, auch für Unbekehrte, und für solche, die nach ihrer inneren Geschichte noch nicht reif seien für den Empfang der Geistesfülle.

Aus der Tatsache, daß die Versammlungen so gemischt seien, erklärte auch der Leiter derselben zum Teil ihren stürmischen Verlauf und das Ausbleiben noch größerer Segnungen für die einzelnen und für die Gemeinschaft der Geisterfüllten.

Der Bruder, den ich gleich nach meiner Ankunft in C. vor der ersten Versammlung, der ich anwohnte, besucht hatte, hatte mich gebeten, ihm auch nachher meine Eindrücke und mein Urteil mitzuteilen. In dieser Unterredung hatte ich Gelegenheit, zu bemerken, daß er doch mehr Fragen und Besorgnisse über die Bewegung hatte, als er mir in der ersten Unterredung sagte.

Soweit der Bericht über das von mir selbst Gesehene und Gehörte, das ich, was die sachliche Richtigkeit anlangt, vollkommen vertreten zu können glaube. Ich bin bemüht gewesen, möglichst nur Tatsachen zu berichten, um alles Sensationelle zu vermeiden. Deshalb gab auch mein Bericht zunächst nicht den Eindruck wieder, den die Versammlungen auf mich machten.

II.

Gesammeltes.

Ich möchte nun im Folgenden einiges über die Vorgeschichte dieser Versammlungen mitteilen, was geeignet ist, zum Verständnis der Bewegung mitzuhelfen.

Was im Folgenden über die Geschichte der Casseler Bewegung mitgeteilt wird, beruht nicht auf eigener Beobachtung, sondern auf der Mitteilung von Augen- und Ohrenzeugen, besonders von zwei anerkannten kirchlichen Brüdern, die genau orientiert sind:

Prediger HEINRICH DALLMEYER kam im Juni in Hamburg in Berührung mit zwei norwegischen Schwestern, von denen jedenfalls eine die Gabe des Zungenredens besaß. D. empfing in H. die Geistestaufe, sowie Heilung eines langjährigen Leidens und wünschte, die erfahrene Segnung auch einem Geschwisterkreis aus den verschiedenen Gemeinschaften in Cassel mitzuteilen; er erbat und erhielt vom Vorstand des Blaukreuzvereins die Erlaubnis, im Saale dieses Vereins Versammlungen abzuhalten. Es wurden an die Mitglieder der verschiedenen Gemeinschaftskreise eine bestimmte Anzahl von Eintrittskarten ausgeteilt, um möglichst nicht dem Evangelium Fernstehende, sondern vorbereitete Gläubige als Teilnehmer an den Versammlungen zu gewinnen. Diesen Teilnehmern wurde in Aussicht gestellt, daß sie Dinge erleben würden, wie sie sie bis jetzt noch nicht gesehen haben in Zusammenhange mit einem „reinem Herzen“, der „Fülle des Geistes“ und den damit in Beziehung stehenden Geistesgaben. Bald machten auch verschiedene Geschwister Erfahrungen, aufgrund deren sie bekannten, daß der Herr ihnen ein reines Herz und die Taufe mit seinem Geiste geschenkt habe.

Zwei Brüder begannen in fremden Zungen zu reden: der eine, ein bekannter gläubiger Lehrer, der andere, wenn ich nicht irre, ein Schuhmacher. Der erstere soll an schwachen Nerven gelitten haben, der letztere sonst leidend gewesen sein. Beide erfreuten sich eines guten Rufes unter den Gläubigen. Diese beiden sind die oben erwähnten männlichen Zungenredner. Die in meinem Bericht erwähnte weibliche Zungenrednerin ist eine norwegische Schwester, deren Aussprüche in norwegischer Sprache ausgelegt und dann von einer Schwester aus Hamburg übersetzt wurden. Die Casseler Zungenredner konnten zunächst, was sie sagten, nicht auslegen. Man bat deshalb auch um die Gabe der Auslegung, und alsbald wurden die Zungenredner in die Lage versetzt, ihre Aussprüche auch selbst zu verdolmetschen. Es kamen auch Krankenheilungen vor, und die Zungen kündigten an, daß noch Größeres zu erwarten sei, und daß von C. aus eine Bewegung über Deutschland gehen würde, in der der Herr in ganz anderer Weise, wie bisher in unserem Vaterlande geschehen, sein Werk treiben würde.

Infolge von Mißverständnissen wurde die Austeilung der Eintrittskarten nicht in der beabsichtigten Weise durchgeführt, und so kam es, daß wenig vorbereitete Gläubige sowie auch Unbekehrte in die Versammlung kamen. Diesem Umstand wird es zugeschrieben, daß einerseits die erwarteten noch größeren und auffallenden Segnungen nicht eintrafen, weil der Herr in den nicht gereinigten Versammlungen nicht ungehindert wirken konnte, und es kamen andererseits seelische und dämonische Faktoren in die Bewegung hinein, infolge deren die Versammlungen einen ungemein stürmischen Verlauf nahmen. So stürmisch sollen dieselben gewesen sein, daß die von mir geschilderten drei als ruhig bezeichnet wurden.

Wer weiß, wie leicht erregbar die hessische Bevölkerung zum großen Teil ist, und wie lebhaft viele dem Schmerz und der Freude Ausdruck geben, wird dieses Moment der Charakterveranlagung in erster Linie in Betracht ziehen.

Der Umstand, daß die Versammlungen eine von ihren Veranstaltern nicht gewünschte und beabsichtigte Mischung der Zuhörerschaft erfuhren, gibt zum Teil die Erklärung dafür, daß man in der von mir geschilderten Weise durch Wort und Zungenredner die Versammlungen zu reinigen suchte. So soll auch, als der Saal überfüllt und eine Parallelversammlung unberaumt war, ein anderer Bruder die Anwesenden aufgefordert haben, durch Aufstehen und Handaufheben zu erkennen geben, ob sie glauben, daß der Herr im Blaukreuzhaus in C. ein neues Pfingsten geben wolle. Diejenigen Geschwister, die das nicht glaubten, wurden aufgefordert, als den anderen Geschwistern und dem Geist des Herrn hinderlich, das Lokal zu verlassen.

Ein zur Prüfung der Bewegung herbeigerufener älterer kirchlicher Bruder sprach von Anfang an den Eindruck aus, daß sein Geist sich nicht mit dem in der Versammlung herrschenden verbinden könne; er habe den Eindruck, es handle sich um einen „Mischgeist“, der dadurch in die Sache gekommen sei, daß die Versammlungen öffentlich geworden waren. Der betreffende Bruder rief auch zum Abbruch der Versammlungen. Allein die Leiter der Versammlungen, durch Aussagen der Zungenredner bestimmt, hielten sich für verpflichtet, fortzufahren und versuchten nun auf die oben geschilderte Weise, die dem Geist des Herrn im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen. Dies muß im Auge behalten werden, wenn man das Vorgehen der Brüder, das den Eindruck des Gewaltsamen, ja Rohen machen mußte, gerecht beurteilen will.

Was nun die Geisterfüllten betrifft, so wurde von Brüdern, die mit denselben in Berührung kamen, von einem Teil derselben wenig Ermutigendes erzählt: Eine Frau sagte einem Bruder, in ihrer Haushaltung stehe alles auf dem Kopf. Sie wisse gar nicht mehr, was sie tue. Eine andere begegnete einem anderen Bruder und klagte ihm, daß die ganze empfangene Fülle wieder fort sei, und sie gar nichts mehr fühle und habe. Andere wieder sollen auf die Brüder, die mit ihnen in Berührung kamen, einen ganz verwirrten verstörten Eindruck gemacht haben, kaum zu erkennen gewesen sein und die betreffenden Brüder nicht erkannt haben.

Demgegenüber steht das Zeugnis des mehr erwähnten Bruders, der eine Woche lang so sorgfältig, wie ihm nur möglich, die Bewegung prüfte, manche der beteiligten Persönlichkeiten näher kennt und manches Gute von den Früchten der Bewegung gehört hat. So soll durch das Zeugnis zweier geisterfüllter Mädchen in einem Jungfrauenverein eine gründliche Erweckung entstanden sein; ebenso in einem Hause, in welchem eine Anzahl junger Männer zusammenwohnte. Ältere, christliche gereifte Männer sollen bezeugt haben, daß sie bestimmte positive Segnungen empfangen haben. Es wurden die Namen von mehr als einem halben Dutzend gläubiger Pfarrer mit zum Teil sehr bekannten Namen genannt, die bekannten, mehr oder weniger gesegnet worden zu sein, und die auch an der Bewegung in verschiedenem Maß aktiv Anteil nahmen. Prediger HEINRICH D. und sein Bruder AUGUST D., der Herausgeber der gut redigierten und vielfach geschätzten Zeitschrift Der Reichsgottesarbeiter, sind Männer, die weithin einen guten Ruf und viel Vertrauen genießen, und deren Aufrichtigkeit ich außer Frage stelle, ebenso wie die Ehrlichkeit der in Zungen redenden Brüder. Ein wegen seiner Nüchternheit und Gediegenheit innerhalb und außerhalb der Kirche geschätzter Vorsteher einer Anstalt zur Ausbildung von Reichsgottesarbeitern soll der an der Bewegung besonders beteiligten norwegischen Schwester und ihrer Auslegerin aufgrund längeren Verkehrs ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt haben. Und dieses gute Zeugnis wurde im Hause eines allbekannten und geschätzten kirchlichen Predigers, der auch mit den Schwestern verkehrt hat, unwidersprochen wiederholt.

Hierdurch wird es verständlich, daß trotz allem Besorgniserregenden in dieser Bewegung viele Brüder sehr zurückhaltend in ihrem Urteil sind, um nicht am Ende ein in seinen Anfängen und auch vielleicht in gewissen Abzweigungen seiner Fortsetzung göttliches Werk aufzuhalten und sich am Herrn zu versündigen.

Der Schreiber dieser Zeilen hat weder die Anfänge der Bewegung gründlich studieren können, noch auch Gelegenheit gehabt, die gesegneten positiven Früchte der Bewegung kennenzulernen und zu prüfen. Er enthält sich deshalb des Urteils in dieser Richtung vollständig und betont nur noch mal ausdrücklich, daß er die Leiter und einen großen Teil der Teilnehmer an der Bewegung für aufrichtig und ernsten Willens hält. Andererseits ist es auch ihm selbstverständlich ein redliches und tiefes Verlangen, nicht irgendwie als wider Gott streitend gefunden zu werden. Er hält es jedoch im Interesse des Volkes Gottes für dringend wünschenswert, daß nicht nur eine ernsthafte, gründliche und noble Prüfung der Casseler Bewegung aufgrund persönlicher und persönlich gefärbter, menschlicher Eindrücke stattfinde, sondern daß man unter möglichster Beiseitelassung des Äußerlichen und Persönlichen den Blick aufs Wesentliche richte und an der Hand der Schrift die verschiedenen Haupterscheinungen in der Bewegung prüfe.

III.

Versuch einer Beleuchtung durch die Schrift.

Manche Beobachter blicken vorzugsweise auf das Zungenreden.

Wer aus der Kirchengeschichte die montanistische Bewegung, die Geschichte der Camisarden und die Anfänge der Irvingianer kennt, der weiß, was bei Wahnsinnigen, Somnambulen, Ekstatikern, Besessenen und andererseits in Erweckungsbewegungen (z. B. in den Ostseeprovinzen vor mehr als 10 Jahren) vorkam und immer wieder vorkommt, für den ist die Tatsache des Redens in unverständlichen Lauten, oder in fremden, vom Redner nicht gelernten Sprachen nichts Unerhörtes. (Siehe KREYER, Erscheinungen des Seelenlebens, Stuttgart, Steinkopf S. 194.)

Die Tatsache, daß jemand in Zungen redet, ist weder ein Beweis dafür, daß der Betreffende unter dem Einfluß eines krankhaften oder gar dämonischen Zustandes redet, noch daß er unter dem Einfluß des Geistes Gottes redet, auch wenn er fromme Worte gebraucht. Entscheidend für die Beurteilung des Inhalts ist auch noch nicht einmal das, daß der Redende es gut meint und den Herrn verherrlichen will.

Von ausschlaggebender Bedeutung ist zunächst die Frage: entspricht das, was der Zungenredner sagt, dem Wort und Geist Christi; paßt es seinem Gesamtinhalt nach zu dem Gesamtzeugnis der Schrift; trägt es bei allem Ernst den Stempel der im Evangelium und in der Person Jesu Christi geoffenbarten heiligen Gnade und Liebe Gottes; und dann kommt die weitere Frage in Betracht: Ist das Gesamtgepräge der Bewegung, innerhalb der sich das Zungenreden zeigt, im Einklang mit dem Gesamtzeugnis der Schrift?

Das Zungenreden, wenn es Gabe des Heiligen Geistes ist, ist als solche Gabe wertvoll. Sie ist so wertvoll, daß der Apostel es allen Korinthern wünscht, 1.Kor.14,5. Der mit Zungen redet, redet Gott V.1, wer mit Zungen redet, bessert sich selbst, wörtl. erbaut sich selbst V.4.

Vor allem aber muß es gesagt werden, daß innerhalb der Casseler Bewegung, wie auch innerhalb der Bewegung in Christiania, Los Angeles das Zungenreden in einer Weise im Vordergrund steht, wie es die Apostelgeschichte nicht zeigt. Noch viel weniger aber weist Paulus in 1. Kor.12, und 14 Zungenreden einen solchen Platz an und legt ihm die Bedeutung bei, die es heutzutage gewonnen hat.

In 1.Kor.12,10 steht die Sprachengabe an letzter Stelle, in den genannten Bewegungen steht sie an erster Stelle und beherrscht jedenfalls in C. das Ganze. In 1.Kor.14,22 sagt der Apostel: Darum, so sind die Zungen zum Zeichen nicht den Gläubigen, sondern den Ungläubigen – in den Casseler Versammlungen wurde ausdrücklich betont, daß es sich hier um Versammlungen für Gläubige handelt.

Wenn man nun darauf hinweisen will, daß in C. sich das Zungenreden in Verbindung mit Weissagung findet, so ist nicht zu verstehen, warum die Ungläubigen hinausgewiesen wurden. Denn 1.Kor.14,24 wird gesagt: so sie alle weissagten, und käme ein Ungläubiger oder Laie hinein, der würde von denselbigen allen gestrafet und von allen gerichtet; und V.25: und also würde das Verborgene seines Herzens offenbar. Also der Ungläubige soll nach diesem Wort nicht hinausgewiesen, sondern durch die Macht des vorhandenen Geistes überwältigt werden. Dies scheint weniger erreicht worden zu sein, wohl aber das, was der Apostel nach V.23 vermeiden will, nämlich daß die Leute, die Laien und Ungläubigen, sagen, die Redenden seien unsinnig. (Vergl. hierzu die Zeitungsberichte.) Wir wollen nun dahingestellt sein lassen, ob es richtig ist, daß die Gabe der Weissagung sich gerade in Verbindung mit dem Zungenreden zeigt, und nur fragen, wieweit trägt der Inhalt der Aussprüche der Zungenredner Weissagungscharakter.

Hier ist von manchen darauf hingewiesen worden, daß sich doch eine ganze Anzahl der Leute gemeldet haben, deren Sünden durch die Zungenredner geoffenbart wurden. Allein die von Zungenredner angegebenen Sünden, wie Steuerhinterziehung, Äpfelstehlen, Verheimlichung von Einnahmen sind leider so häufig und bekannt, daß es nicht überraschend ist, wenn in einer Versammlung von 400 bis 500 Personen sich einzelne finden, die sich einer solchen Sünde schuldig gemacht haben. Aber auch Dämonen können wahrsagen. Darum ist selbst die Kundmachung von Unbekanntem und nicht zu Vermutendem kein unwidersprechliches Zeichen der Gegenwart des heiligen Geistes. Vielleicht aber möchte jemand die Bedeutung der Weissagung mehr darin sehen, daß mit einer besonderen Kraft Sünden gestraft wurden, die man unter den Versammelten vermuten darf. Wenn solche Kraft vorhanden war, so muß ich sagen, daß deren Vorhandensein jedenfalls verdunkelt worden ist, und daß der Hinweis auf die Sünde wider den heiligen Geist, dieser mit menschlichen Mitteln herbeigeführte psychologische Druck, bei jedem Durchschnittsmenschen ausreichen konnte, ihn zum Verlassen des Saales und zum Bekennen seiner Sünden zu veranlassen.

Der geistliche Charakter der Weissagung erweist sich im Reden zur Erbauung, Ermahnung, Tröstung nach 1.Kor.14,3. Das Gesamtgepräge der Zungenreden war, das zeigen die mitgeteilten Beispiele, weder die Erbauung noch die Tröstung. Tröstende und zu Christo hinweisende, besonders aber Christum und sein Werk verklärende Worte waren weitaus in der Minderheit. Der herrschende Ton war der der scheltenden Aufzeigung grober Sünden. Der Schreiber dieses hat begierig ausgeschaut nach Spuren der Liebe Christi im Gesichtsausdruck, Ton und vor allem im Inhalt der Aussprüche der leitenden Persönlichkeiten. Er war dankbar, als er einmal einen freundlichen Blick im Auge des leitenden Bruders sah; er war um der armen aufgeregten Leute willen froh, wenn neben den vielen niederschmetternden und scheltenden Worten auf das Wehegeschrei der Versammlung oder die begleitenden Gebetsworte einzelner auch einmal ein Wort der Zungenredner oder des Leiters kam, das an die Gnade des Herrn erinnerte. Wir kennen wohl auch einen scheltenden Heiland, einen solchen allerdings vorwiegend den Pharisäern gegenüber; wenn er seinen Jüngern gegenübersteht, so schilt der auf Erden wandelnde viel weniger als wir zu erwarten geneigt sind; und der vom Himmel herabredende – wir denken an die Sendschreiben – erkennt zunächst das an, was von ihm in Herz und Leben der Seinen gewirkt ist. Und die erschütterndste Anklage schließt er mit den erhebendsten Verheißungen. Und wenn der Herr und seine Apostel an den Gläubigen Sünden aufzeigen, so bleiben sie nicht stehen bei den groben, nach außen sich offenbarenden, im bürgerlichen Leben allgemein als solche anerkannten Sünden, die allerdings auch genannt werden. Sondern das Seele und Geist scheidende Gotteswort verfolgt die Sünde in ihre frömmsten Verkleidungen und geheimsten Verästelungen. Hiervon war gar nichts oder sehr wenig zu hören.

Doch richten wir nunmehr unseren Blick auf den Gesamtcharakter der Versammlungen, in denen das Zungenreden ja nur eine Erscheinung bildet: Die anderen hervorstechenden Momente sind erstens das Gebet, das den größten Teil der Versammlungen ausfüllte, zweitens das Sündenbekenntnis, und drittens der priesterliche Seelsorger.

Es tritt hier zunächst einmal die Wortverkündigung zurück, die beim Herrn und seinen Aposteln im Vordergrund steht. Es scheint, daß Prediger D. hierauf aufmerksam gemacht worden ist. Denn er nahm in einer Versammlung hierauf Bezug und sagte: es handle sich hier nicht um Evangelisation, sondern um Reinigung des Volkes Gottes. Wir haben entschieden den Eindruck gewonnen, daß es dem Bruder ein ernstes Anliegen ist, daß Gottes Volk gereinigt, und dann auch das Evangelium den Unbekehrten gebracht werde. Aber wir glauben doch hier darauf aufmerksam machen zu sollen, daß das Evangelium und der Kern desselben, die Botschaft vom Kreuz und der Auferstehung Jesu Christi, nach der Schrift durchaus nicht nur für die Unbekehrten bestimmt ist; sondern der größte Teil der Texte und des Inhalts einer guten Evangelisationsansprache von heutzutage, in welcher der Sündenzustand des Menschen und der Heilsweg gezeigt werden, ist nicht geschöpft aus den Evangelisationsansprachen in der Apostelgeschichte, wo die Apostel zu unbekehrten Juden und Heiden reden. Sondern unsere Evangelisationstexte, unsere Darlegung des Versöhnungswerkes, wie des ganzen Ratschlusses Gottes schließt sich an diejenige Darbietung des Evangeliums an, wie sie die Apostel in ihren Briefen den Gläubigen geben.

Darum sind wir auch der Meinung, daß das Evangelium, sei es speziell, sei es voller gefaßt, auch in die Versammlungen der Gläubigen gehört, und besonders in solche Versammlungen, in denen die Reinigung des Volkes Gottes erstrebt wird. Wir kommen hierauf nachher zurück.

Die erste der oben genannten charakteristischen Erscheinungen in den Casseler Versammlungen ist Das Gebet.

Beim sorgfältigen Durchlesen der apostolischen Briefe wird der Leser, wenn er einmal diesem Punkte seine besondere Beachtung zuwendet, erstaunt sein, welch kleinen Raum in den Ermahnungen und Belehrungen der Apostel das Gebet einnimmt, da wo es sich um die Reinigung des Volkes Gottes handelt. Nicht weil die Apostel keine Gebetsleute waren, nicht weil sie nicht glaubten, daß das Gebet des Einzelnen wie der Gemeinde ein bedeutender Faktor ist, reden sie in Zusammenhang mit der Reinigung des Volkes Gottes wenig davon, sondern, weil das Gebetsleben der Gemeinden herauswachsen und ruhen muß auf dem reichlich und klar dargereichten Wort. Nicht nur nach Apg. 2,42 steht für die Gemeinde an erster Stelle das Wort, sondern das Wort ist überhaupt die Grundlage von allem. Ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. Er trägt alle Dinge mit seinem mächtigen Wort. Aus dem Wort ist auch die Gemeinde gezeugt. Am Wort soll sich ihr ganzes Leben nähren, auch das Gebetsleben. Und so ist denn das Wort der Lehre und das Verheißungswort die unerschütterliche Grundlage und die untrügliche Richtschnur auch für das Gebet. Übrigens ist es leichter, hundert Worte zu beten, als ein Wort des Herrn sich tief ins Herz dringen zu lassen. Wohl eben deshalb, weil das Leben der Apostel und der ersten Gemeinden so tief im Wort wurzelte, finden wir trotz der wenigen aufs Gebet bezüglichen Ermahnungen und Belehrungen der Apostel in den Briefen, hinwiederum in der Apostelgeschichte eine so reichliche Erwähnung sowohl der Ausübung des Gebets als der Früchte des Gebets.

Dann finden wir allerdings auch kein Beispiel in der Schrift, und noch weniger eine Anweisung die dahin ginge, daß die geheimsten und am tiefsten gewurzeltseinsollenden Anliegen der Herzen der Einzelnen in der Regel in der Öffentlichkeit einer großen Versammlung vorgebracht werden sollen. Soweit wir erkennen können, soll sich unser gemeinsames Gebet in erster Linie auf die gemeinsamen Anliegen der gläubigen Gemeinde erstrecken. Doch wie man auch darüber denken mag, jedenfalls zeigt das Neue Testament uns kein Bild derartiger Gebetsversammlungen, wie die Casseler Bewegung sie regelmäßig zeigte, und wir haben jedenfalls Grund, alle Vorsicht anzuwenden, wenn es uns an biblischen Vorbildern für irgendetwas fehlt.

Also nicht gegen das Gebet an sich, besonders nicht gegen das Gebet der Vorsteher der Gemeinde, auch nicht gegen das gemeinsame Gebet der gläubigen Gemeinde möchten wir etwas sagen; sondern wir sind nur bedenklich gegenüber der Verdrängung des Wortes Gottes durch das Wort des Menschen, auch durch das betende Wort des Menschen. Wir sind bedenklich dagegen, wenn beabsichtigt oder unbeabsichtigt durch die Gebete Einzelner oder der Gesamtheit in einer Versammlung eine Unruhe zustande kommt, die wie es manchmal in C. in den Gebeten ausgesprochen wurde, es den Betern schwer machte, sich zu konzentrieren und ihrem Herrn zu begegnen. Wir sind ferner besorgt, wenn durch das Durcheinanderbeten eine Stimmungs- und Gefühlsbewegung in der Versammlung hervorgerufen wird und andauernd fort einen anderen Teil in eine Gefühls- und Körperverfassung versetzt, wo sie nicht mehr Herr ihrer selbst sind.

Weiter: Hört man nicht auch unter uns Pietisten von ehrlichen und ernsthaften Geschwistern vielfach die Klage, daß es ihnen verhältnismäßig leicht werde, in den Versammlungen und vor den Ohren anderer zu beten, daß sie aber wenig Lust und Trieb und Vermögen besitzen, im Kämmerlein mit ihrem Herrn und den ganzen Tag hindurch innigen Umgang mit ihrem Herrn zu pflegen? Ein solch anhaltender Gebetsumgang mit dem Herrn scheint uns mehr Gewähr für die Solidität eines Gebetslebens wie auch für die Erhörbarkeit der Gebete zu geben als die erregten Gebete in einer großen Versammlung Bekehrter und Unbekehrter.

Wir kommen nun zum zweiten der genannten Punkte, zum Bekenntnis:

Es ist keine Frage, daß die Schrift uns zum Bekenntnis unserer Sünden Menschen gegenüber auffordert. Ausdrücklich und deutlich geschieht das allerdings nur einmal in Jak. 5. Aber selbst angenommen, daß auch die vom Bekennen der Sünden redende Stelle in 1. Joh. 1 aufzufassen sei, daß sie sich auf das Bekenntnis den Brüdern gegenüber beziehe, so sind damit doch alle Stellen in den apostolischen Briefen angeführt, die zum Bekenntnis auffordern. Nehmen wir noch die Zachäus- und Davidsgeschichte hinzu, so haben wir zwei Beispiele von Sündenbekenntnissen vor Menschen. Endlich noch die Bekenntnisse derer, die zu Johannes dem Täufer kamen. David allerdings scheint mir im 32. Psalm zu sagen, daß es ihm umgekehrt ging, wie es uns Menschen und Christen von heutzutage noch vielfach geht. Seine Sünde war wohl manchem Menschen bekannt. Was ihm schwer fiel, war, daß er mit der vollen Erkenntnis seiner furchtbaren Sünde in die heilige Gegenwart Gottes treten sollte, der ihn so unaussprechlich begnadigt hatte. Endlich kam er auf den Punkt, daß er sagen konnte, „da bekannte ich dir meine Sünde“. Und auch Zachäus hat das indirekte Bekenntnis, das er ablegte, zunächst dem Herrn gegenüber abgelegt. Aber abgesehen von den genannten wenigen Stellen und einigen anderen, die etwa noch angeführt werden mögen, muß doch, wenn wir das gesamte neutestamentliche Schriftzeugnis ins Auge fassen, gesagt werden, daß dort das Bekenntnis Menschen gegenüber eine ganz andere Stellung und Bedeutung einnimmt als vielfach heutzutage in der Verkündigung und auch in den Casseler Versammlungen. Das Sündenbekenntnis an Menschen steht vollständig im Hintergrund, und selbst in der Jakobusstelle scheint es sich nach dem Zusammenhange um Fälle zu handeln, wo eine Krankheit den Zweck hat, einen Bruder, der nicht auf andere Weise zur Selbstprüfung und inneren Lösung von der Sünde kommen konnte, durch die Krankheit zur Selbstprüfung zu führen und die Befreiung von der den Bruder bindenden Sünde durch ein Bekenntnis einem Bruder gegenüber vorzubereiten. Es ist der katholischen Kirche vorbehalten geblieben, das Sündenbekenntnis Menschen gegenüber zu kultivieren und als einen Hauptbestandteil der Buße, als eine Hauptbedingung der Vergebung der Sünden darzustellen. Schon die Tatsache, daß die entgeistlichte katholische Kirche so großen Wert auf die Beichte legt, scheint mir eine ernste Mahnung zur Vorsicht auf diesem Gebiet zu sein.

Bei der Neigung des menschlichen Herzens, die auch in der Regel bei einem Kinde Gottes nicht ausgerottet ist, auf etwas, was der Mensch getan hat, seine Hoffnung zu setzen, ist zu fürchten, daß die Forderung des Sündenbekenntnisses nur zu oft eine willkommene, aber trügerische Grundlage des Friedens für den Bekennenden bedeutet.

Es ist mit großem Recht in der nach vielen Seiten hin sehr empfehlenswerten Schrift „Bauet euch“ von PASTOR CONRAD* (früher in Nümbrecht, jetzt im Emden), darauf hingewiesen worden, wie auf dem Boden der Natur und des Gesetzes ein Bekenntnis in der Regel dem Bekennenden ein Gefühl der Erleichterung und des Friedens verschafft. Und es ist zu befürchten, daß sowohl in der Evangelisation wie bei der Reinigung des Volkes Gottes oft dieses natürlich und psychologisch zu erklärende Gefühl verwechselt wird mit dem vom Herrn geschenkten Frieden der Vergebung und der Freude des heiligen Geistes, die im Herzen der von ihm Erfüllten gewirkt wird.

Der Umstand, daß in einer Bewegung Sündenbekenntnisse herbeigeführt worden sind, ist kein sicherer Beleg für die Geistlichkeit einer Bewegung. Jeder katholische Missionsprediger und jeder evangelisch sich nennende Gesetzesprediger wird, je mehr er es versteht die Gewissen zu ängstigen, solche Bekenntnisse, besonders bei durch die Sünde Geschwächten und den durch Naturveranlagung Schwächeren, unschwer hervorrufen. Brüder, die in katholischen Städten wohnen, haben es manchmal bezeugt, wie oft nach den Missionen der Patres Gestohlenes zurückerstattet und andere Sünden bekannt wurden.

O, wie ist es doch etwas ganz anderes, wenn der heilige Geist einen Sünder zu der Erkenntnis führt, die David in dem erschütternden Wort ausspricht: „an dir allein habe ich gesündigt, Herr“. Wenn die Sünde nicht nur darum, weil sie Strafe herbeiführt, und weil sie die Ruhe unserer Seele stört, bekannt wird, oder weil man um den Preis des Bekenntnisses Vergebung und Verschonung haben will; sondern wenn die Sünde erkannt ist in ihrer Abscheulichkeit und Unverantwortlichkeit, als schreckliches Unrecht gegen Gott und Menschen, als Empörung gegen die höchste und gnädigste Majestät, als besteckende, schändliche Unreinlichkeit und als ein Undank gegenüber der unermeßlichen Liebe unseres Gottes.

Das Drängen auf das Sündenbekenntnis vor Menschen wird aber noch gefährlicher und bedenklicher dadurch, daß in einem Teil der neueren Evangelisations- und Heilsbewegung der priesterliche Seelsorger, „die Priesterseele“, wieder einen Platz gewinnt, wie wir ihn nicht in der Schrift, wohl aber in der vom Wort und Geist Jesu Christi abgewichenen katholischen Kirche wiederfinden. Es sei ferne von uns, auch nur im entferntesten andeuten zu wollen, daß wir zu viel Seelsorger hätten, von denen man sagen könnte, daß die Seele ihrer Seelsorge die Sorge um die Seele sei, oder daß wir nicht mehr Brüder und Schwestern bedürfen, die im Heiligtum zuhause sind und allezeit in der Gegenwart Gottes stehen. O, nein, wir bedürfen noch vielmehr solcher Geschwister, die jammert der Not unseres Volkes, auch des Volkes Gottes, die aus demütigem Herzen, mit unerschütterlichem Glauben, mit lebendiger Hoffnung und mit heißer, mitleidender Liebe den Herrn anlaufen, für ihre Brüder und für alle Menschen. Wir bedürfen sicherlich noch mehr Geschwister, deren Leben das Gepräge des Dank- und Schlachtopfers trägt, die mit Christo gekreuzigt, und denen die Welt gekreuzigt ist, und für die das Leben Christus bedeutet – Leute, die sagen können: „Ich lebe, doch nun nicht ich; sondern Christus lebt in mir – der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ Was sage ich „noch mehr?“ Das Gepräge des ganzes Volkes Gottes muß es ja werden, daß wir ein königliches Priestergeschlecht sind. Und auch das ist wahr, daß wir uns mehr umeinander kümmern und auch mehr den Vertrauenswürdigen anvertrauen sollen. Aber all das Gesagte hebt die Tatsache nicht auf, daß nirgends in der Schrift der Seelsorger die Stelle einnimmt, die ihm neuerdings vielfach wieder angewiesen wird. Nicht weil wir blinde Antikatholiken sind, nicht weil wir uns nicht vor Brüdern beugen und demütigen wollen, möchten wir hier in aller Liebe, aber auch mit allem Ernst warnen. Der Schreiber dieser Zeilen hat mit Bewußtsein und Überlegung und mit innigen Dank unausgesetzt von der Gnade Gebrauch gemacht, ein oder zwei vertraute Brüder soweit in die geheimsten Falten seines Herzens hineinschauen zu lassen, als er selbst sein Herz kannte. Er scheut also für sich nicht das Bekenntnis. Aber wir fürchten, daß in dem Maße, wie Beichtvater und Priester in den Vordergrund tritt, der Herr in den Hintergrund geschoben werden wird. – Die Überwindung unseres Hochmutes, kraft dessen wir vor anderen nicht sein wollen, was wir nach unserem Gewissen sind; die Beschämung, die uns unser Bekenntnis einem Bruder gegenüber bringt, kann leicht aufgewogen und entwertet werden durch das erhebende Bewußtsein, daß wir es so ernst mit uns und unserer Sünde nehmen. Manche Geschwister sind nur zu bereit, mit den Lippen zu bekennen, aber die Überwindung der Angst vor der Schande ist noch kein Ersatz für den tiefen Schauer, für den zermalmenden Schrecken, der die Seele überfällt, die mit ihrer Sünde und Schuld dem dreimal heiligen Gott selbst gegenüber tritt. Wir fürchten, die tiefwurzelnde unbewußte Neigung unseres gottentfremdeten Wesens, nur um jeden Preis es nicht mit Gott selbst zu tun zu haben, wird durch die Dazwischenschiebung des priesterlichen Seelsorgers gestillt und gefördert. Der Seelsorger mag den großen Hohepriester mit Worten noch so preisen – es wird großer Gnade und Selbstzucht bedürfen, um nicht in der Tat doch zwischen die Seele und ihren Heiland zu treten. Dabei bleibt es bestehen, daß in manchen, ja in vielen einzelnen Fällen die brüderliche Handreichung einem wahrhaft zerbrochenem Herzen eine unaussprechliche Hilfe und Wohltat sein kann. Nicht dagegen wenden wir uns. Aber gegen einen Grundsatz und gegen eine Neigung, wo man in bester Meinung die klar gezogenen heiligen Schranken des schmalen Weges verläßt.

IV.

Aus und zu anderen Schriften.

Inzwischen sind eine Reihe von Presseäußerungen über die Casseler Bewegung erschienen. Ich beziehe mich zunächst nur auf die Nr. 32 und 33 des „Evang. Allianzblattes“, sowie auf einiges in den „Sabbathklängen“ von Nr. 31 an veröffentlichte und schließlich auf BR. DALLMEYERS eigene Broschüre über die Bewegung mit dem Titel „Sonderbare Heilige in Cassel“.

Überrascht hat mich ein Ausspruch BR. HEINR. DALLMEYERS im Allianzblatt Nr. 32, wo er sagt: „Oft muß man es sich gefallen lassen, daß in den Versammlungen das Dämonische neben dem Göttlichen hergeht, damit man nicht den Geist dämpft“. Ich hätte den Satz verstanden, wenn irgend ein anderer Bruder ihn geschrieben hätte; aber aus der Feder des Br. D. ist er mir völlig unverständlich, nachdem Br. D. doch ausdrücklich erklärt hat, daß er vom Herrn die Gabe der Geisterprüfung empfangen habe. Ich meine, wenn ein Bruder diese Gabe besitzt, so hat er die Möglichkeit und deshalb auch die Verpflichtung, das Dämonische vom Göttlichen zu scheiden und beide unversöhnlichen Gegensätze nicht nebeneinander hergehen lassen (Vergl. Apg. 16,18).

BR. MODERSOHN berichtet Nr. 32 der „Sabbathklänge“, S. 508: „Ein Bruder geriet in Zuckungen und stieß immer sehr schnell das Wort ‚raus‘ hervor, sehr oft nacheinander. Ein anderer in meiner nächsten Nähe wurde so hin und her geschüttelt, daß er fast vom Stuhle geworfen wurde.“ – „Manche demütigten sich und bekannten ihre Sünden. Es war viel Weinens und Seufzens. Dazwischen rief der eine, der von Anfang an sein ‚raus, raus, raus‘ gerufen hatte, seine immer wiederholte Aufforderung: ‚raus, raus!‘ ‚Kreaturenliebe, hinaus‘, lautete wieder eine Botschaft. Dann war’s, als ob Öl auf stürmische Fluten gegossen wurde bei der Botschaft: ‚Ich bin das Lamm, das die Sünde trug!‘ “ Ein anderer Zungenredner sagte dazu, oft wiederholt: „Seid still, seid still”. Es legte sich auch eine feierliche Stille auf die Versammlung. Dann klagte der Zungenredner, indem er zu Boden fiel und liegen blieb: „Die Hälfte glaubt nicht!“ „Neugierige heraus“ forderte er auf. „Ungläubige hinaus“. „Raus, raus!“ rief der andere. D. ließ die Versammlung aufstehen und forderte die Ungläubigen auf, sich zu entfernen. Es ging aber niemand. Da wurde die ganze Versammlung geschlossen und entlassen, nachdem sie nur eine halbe Stunde gedauert hatte. „Raus, raus, raus,“ forderte der Zungenredner auf. Nun stelle man sich unseren geliebten Herrn Jesum vor – denn er ist es ja, der nach der Überzeugung der Brüder durch die Zungenredner redet – man stelle sich ihn vor, wie er unzähligemal „raus, raus, raus“ schreit! Mir ist es einfach nicht möglich, ihn mir so vorzustellen. Der Jesus, der den Tempel reinigt mit der Geißel in der Hand, der Jesus, mit den Augen wie Feuerflammen, der die Lauen auszuspeien droht, ist eine majestätischere Erscheinung als die, in der er uns hier gemalt wird. Da die Zungenredner sich aber vollständig eins waren, und der mit der Gabe der Geisterprüfung begabte Bruder nichts dagegen einzuwenden hatte, so hat entweder der Herr Jesus so gerufen, oder die Brüder sind im Irrtum. Haben die Brüder wirklich die Tragweite dessen erwogen, daß sie jeden Ausspruch eines Zungenredners als Worte des Herrn bezeichnen? Paulus ist vorsichtiger, indem er anordnet: „Weissager aber lasset reden zween oder drei, und die anderen lasset richten.“ 1.Kor. 14,29. Nicht nur einer, der im Besitz der Gabe der Geisterprüfung zu sein glaubt, sondern die Gesamtheit der gläubigen Gemeinde soll richten. Wenn man schon unter dem Gesetz den Namen des Herrn nicht vergeblich führen durfte, wieviel mehr Sorgfalt sollten wir unter der Gnade anwenden, denen die Herrlichkeit dieses Namens ganz anders aufgeschlossen ist.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir dann auch die andere Frage aussprechen, wo in der Schrift ist die Reinigung einer Versammlung von vorwiegend Gläubigen auf solche Weise bewerkstelligt worden? Wo in der Schrift ist gesagt, daß, wenn zwischen den Gläubigen sich auch Ungläubige befinden, der Geist Gottes nicht wirken kann? Oder ist es zulässig, daß die Stelle 1.Kor. 5,13 so ausgelegt wird?

Als Elias den Hunderten von Baalspriestern und den Tausenden von ungläubigen Israeliten gegenüberstand, als ein Mose inmitten der Hunderttausende seines Volkes stand, war der Herr nicht gehindert zu wirken. Wenn Jesus unter den ungläubigen Nazarenern keine einzige Tat tun konnte, so lesen wir doch nirgends, daß er auch unter den Gläubigen nichts habe tun können, wenn Ungläubige dazwischen waren. Wie soll man es verstehen, daß der Herr in jener von BR. MODERSOHN geschilderten Versammlung immer wieder den erschütternden Vorwurf des Unglaubens macht, und dazwischen hineinklagt: „ihr seid so zerstreut“, und daß er dann plötzlich nochmals die Tonart ändert und die Versammlung still wird, als ob Öl auf die stürmische Fluten gegossen würde bei der Botschaft, „ich bin das Lamm, das die Sünde trug“, worauf sich dann fast unmittelbar nachher das „raus, raus, raus“-Schreien wiederholt?

Überraschend ist der Ausspruch des Br. D. in den „Sabbathklängen“, S. 506: „Wenn die Gemeinde – ich rede nicht von einzelnen – die geringste Gabe nicht hat, dann hat sie auch die größte nicht!“ Entweder hat hier der Bruder etwas anderes sagen wollen, als was die Worte sagen, oder er hat die Tragweite dieses Satzes nicht ermessen, oder die Gemeinde hat die geringste und die größte Gabe nicht, wenn sie das Zungenreden nicht hat.

In Nr. 33 des „Allianzblattes“ schreibt Bruder W. G. „Wir haben bei ernsten, erfahrenen und angesehenen Kindern Gottes, sowohl ausgesprochen kirchlicher als auch mehr freierer Richtung, die an Ort und Stelle gewesen sind, Rückfrage gehalten, haben aber noch keinen gefunden, der nach der einen oder andren Seite hin ein abschließendes Urteil gehabt hätte. Die meisten sind darin einig, daß große Gefahren vorhanden seien, und es vieler Fürbitte bedürfe.“

Der Bruder W. G. schreibt im Allianzblatt weiter: „Wir finden in der ganzen Schrift keinen Anhalt dafür, daß die mit dem heiligen Geist erfüllten Gläubigen von ihm zur Erde geworfen werden, daß er sie in Krämpfe wirft u. s. w., diese Erscheinungen gelten erfahrungsgemäß als das Kennzeichen der höchsten seelischen Ekstase, ja des Dämonischen, nach 1.Kor. 14,32 und 33 sind die Geister der Propheten den Propheten untertan. In 1.Kor.14,26 ff. ist ganz bestimmt und unzweideutig eine heilige Ordnung gefordert. Es ist uns nach den vorliegenden Berichten fraglich, ob sich in diesem Stück die Bewegung ganz auf dem Boden der Schrift befindet. Im unmittelbaren Anschluß daran gebietet der heilige Geist durch Paulus in unleugbarer Hinweisung auf das Zungenreden, daß die Frauen in der Gemeinde schweigen sollen. In den erwähnten Bewegungen aber scheinen sie sehr in den Vordergrund zu treten. Man kann sich gegenüber solch klaren Worten nicht einseitig auf Joel 3,1 und Apostelgeschichte 21,8 und 9 stützen.“

Nun hat aber auch Br. D. selbst in einer Broschüre mit dem Titel „Sonderbare Heilige in Cassel“ über die Bewegung berichtet. Es ist nur eins von den vielen kleinen und großen Dingen, die mich bei der Beobachtung der Casseler Bewegung aufs tiefste erschüttert haben, daß der Bruder einen solchen Titel für seine Schrift wählte. Man kann sagen, das ist eine Geschmacksache. Er hat die Titelwahl damit begründet, daß eine weltliche Zeitung die Geschwister in C. so nannte. Aber ich meine, wenn wirklich etwas so unsagbar Großes und Herrliches geschieht, daß der Herr in einer seit der Apostelzeit nicht dagewesenen Weise sich in seiner Gemeinde offenbart und eine Bewegung ins Leben ruft, „in der Feuer und Fluten über das Land gehen soll“, dann dürfte das erste literarische Zeugnis des Vermittlers dieser unsagbaren Gottestat in Deutschland einen anderen Titel als den gewählten tragen. Das Heftchen ist flott und glatt geschrieben. Hier wie in seinen Aussprachen sucht der Verfasser schlicht und nüchtern zu reden. Aber ich kann nicht umhin zu sagen, dieses Schriftchen läßt wirklich den Leser kaum völlig ahnen, welches Bild die Casseler Versammlungen boten.

Die Proben der Zungenredner am Schluß sind sehr gut ausgewählt. Man wird kaum einen der von mir mitgeteilten Aussprüche darunter aufgeführt oder angedeutet finden. Kreuz und Blut und Liebe Christi treten in den ausgewählten Reden und in der ganzen Schrift weniger zurück als dies in den von mir besuchten Versammlungen der Fall war.

Ich möchte auch jetzt noch nicht behaupten, daß eine absichtliche Milderung der grellen Töne des Bildes der Casseler Bewegung hier vorgefallen sei. Aber wie anders klingt es doch, wenn Br. D. schreibt: „Es war die Regel, daß vor der Versammlung bekannt gegeben wurde, daß die Besucher 1) ihre Vergangenheit im Lichte Gottes durchrichten lassen möchten; 2) bereit sein müßten, sich von jeder inneren Gebundenheit durch Jesu Macht lösen zu lassen; 3) eine völlige Hingabe an Gott zu machen hätten“, im Vergleich zu dem, wie er nach meinem obigen Bericht die kritischen Spitzbuben hinauswies, die den Geschwistern den Platz stehlen und den Geist des Herrn hindern. Und wenn der Br. sagt: „Auch der größte Kritiker muß, wenn er der Wahrheit die Ehre geben will, zugeben, daß keine Gewalttat auf die Seelen ausgeübt wurde“, so kann das nur insofern gelten, daß Br. D., wie ich schon oben gern hervorhob, sich befleißigte, ruhig und einfach zu reden. Aber ich habe niemals in meinem Leben den Eindruck gewonnen, daß ein solcher seelischer Druck auf die Gemüter ausgeübt wurde als in C., wo man unter dem Hinweis auf die schreckliche Sünde wider den heiligen Geist und auf die unmittelbaren Aussprüche des erhöhten Herrn durch den Mund der Zungenredner die Seelen zum Sündenbekenntnis nötigte. Außerdem will mir scheinen, daß, wenn der Herr Jesus und sein heiliger Geist in so ungewöhnlicher Fülle und Macht gegenwärtig und wirksam war, man doch ruhig hätte seiner Kraft es überlassen können, daß er dieselbe Wirkung hervorgerufen hätte, wie in Johannes 8, wo sie alle unaufgefordert hinausgingen, von ihrem Gewissen überzeugt. Mehr Zutrauen zum heiligen Geist seitens der Leiter der Versammlung würde auch manchem Zuhörer mehr Zutrauen in diesen Versammlungen eingeflößt haben!

BR. MODERSOHNS weniger vorsichtig geschriebener Bericht in den „Sabbathklängen“ gibt ein deutlicheres Bild von dem Verlauf der Versammlungen. Aber auch sein Bericht ersetzt die eigene Anschauung entfernt nicht. Ich kann mich auch jetzt noch nicht entschließen, eine solche Schilderung zu entwerfen, wie dies möglich wäre. Aber ich muß doch sagen, so alt ich werde, werde ich kaum je das Weh und Grauen vergessen, das mich in den Casseler Versammlungen ergriff, inmitten der wogenden, bald jammernden, bald jauchzenden, zum Teil ihrer selbst nicht mehr mächtigen Menge. Es ist mir unverständlich, wie Br. D. angesichts dieser Versammlungen schreiben kann: „Außer dem Zungenreden war nichts Außergewöhnliches – das ‚unangenehmste‘ und das, was die meiste Kritik herausgefordert hat, was wir auch selber lieber nicht gehabt hätten, war das Geschrei und die Unruhe in den Versammlungen.“ Wie kann man als „unangenehm“ und als etwas, „was man lieber nicht gehabt hätte“ es bezeichnen, wenn, um mit dem Verfasser zu reden, „das irdene Gefäß die göttliche Kraft nicht zu ertragen vermöchte, das Seelische mit dem Geistlichen verwechselt wurde, und Satan das Werk Gottes nachzuäffen suchte.“ Nicht unangenehm, sondern beugend, schmerzlich und schrecklich war das. Ich konnte nur immer wieder zum Herrn schreien: Erbarme dich; laß dich doch des Volkes jammern; denn sie sind wie die Schafe, die keinen Hirten haben.

Ich wage durchaus nicht zu denken, daß gerade ich die Gabe der Geisterprüfung in einem ungewöhnlichen Maße empfangen hätte; aber ich muß doch bezeugen, daß ich bei so verschiedenen Männern, wie SPURGEON und F. B. MEYER, wie BR. SCHRENK und BR. POLNICK, wie BR. S. ZELLER und BR. STOCKMAYER, daß ich bei Kleinen und Ungebildeten und Schwachen in den verschiedensten Bildungsstufen die Gemeinschaft des Geistes Jesu Christi in den Betreffenden und mir selbst habe wahrnehmen dürfen. Ich kenne auch wohl die Schrecken des Herrn, wenn sein Feuer in die Tiefen unseres Wesens hineinleuchtet und richtend und verzehrend die Sünde aufdeckt. Ich kenne seinen Geist, wenn er den gebeugten Herzen die Vergebung zusichert, wenn er das heilende Wort lebendig macht und die Liebe Gottes in Christo Jesu der Seele verklärt, so daß man es fast nicht zu ertragen vermag. Aber vielleicht nie ist es mir so schwer gewesen, den Geist und die Stimme des Herrn herauszuhören und die Gemeinschaft des Geistes wahrzunehmen, wohl nie so schwer zum Herrn im Gebet zu nahen als in C. Und hierin stehe ich nicht allein. Das haben viele bezeugt, die da waren, erst kürzlich noch ein Bruder, der seit langer Zeit draußen auf dem Missionsfeld steht und viele Seelen zu Jesu gewiesen hat, und der mit verlangendem Herzen und sich selber prüfend nach C. gegangen war. Woher diese Unsicherheit erfahrener und erprobter, oft vom Herrn legitimierter Knechte Gottes gegenüber der Casseler Bewegung? Liegt das wirklich an den Menschen? Ist es wirklich wahr, was Br. M. (Sabbathklänge, S. 507) sagt: „Ich habe ein Wort zu sagen als ein Wort des Herrn; alle die sich verwirren lassen, gehören zu den törichten Jungfrauen?“ Br. D. gibt in seiner Broschüre für das Geschrei und die Unruhe in den Versammlungen als Ursache an: den dämonischen Widerstand der Personen, von denen der heilige Geist Besitz nehmen wollte; die Verwechslung des Seelischen mit dem Geistlichen seitens mancher Besucher und den Versuch des Satans, das Werk Gottes nachzuäffen. Wo aber lesen wir in der Pfingstgeschichte oder nachher bei den außerordentlichen Geistesmitteilungen in Samaria und Cäsaräa und Ephesus davon, daß, um mit Br. D. zu reden, „das Dämonische neben dem Göttlichen herging“?

Fassen wir nun das bisher Gesagte zusammen, so kommen wir zu folgendem Resultat: Aus meinen eigenen Schilderungen und denen anderer, soweit sie hier wiedergegeben sind, nach den Zeugnissen und Urteilen erfahrener Brüder, die ich anführte, und nach Br. Dallmeyers eigenen Darlegungen, besonders aber nach eingehender Vergleichung mit der heiligen Schrift handelt es sich in C. um eine Bewegung, in der im besten Falle „Göttliches, Seelisches und Dämonisches nebeneinander herging“, oder wie der oben erwähnte angesehene kirchliche Bruder es nannte, ein „Mischgeist“* vorhanden war. Es handelt sich jedenfalls um eine Bewegung, bei der die größte Vorsicht geboten ist und die, wenn sie wirklich im Geist angefangen, sich nicht ihrem Anfange entsprechend weiterentwickelt hat. Es handelt sich um eine Bewegung, in der bei den Leitern, Teilnehmern und Beurteilern sich soviel Mangel an Erkenntnis, Gabe, die Geister zu unterscheiden und zu scheiden, soviel Mangel an Kraft, Umsicht, Weisheit und Fähigkeit, die Irrenden in einer durchschlagenden Weise zurechtzubringen, geoffenbart hat, daß alle genannten Klassen von Geschwistern sowie das ganze Volk Gottes in Deutschland dringende Veranlassung haben zur Demütigung über unseren mannigfaltigen und großen Mangel.

Für mich ist das Resultat und der Segen an der Teilnahme der Casseler Bewegungen gewesen, den Herrn zu bitten und alle aufrichtigen und ernsten Kinder Gottes, denen unser armes Volk und die Ehre unseres Gottes und Heilandes am Herzen liegt, zur Bitte aufzufordern, daß Gott uns mehr „Männer in Christo“ gebe. Wir brauchen Männer mit kühlem Kopf und liebeheißem Herzen; wir brauchen Männer mit einer ehernen Stirn und unerschütterlich wie Felsen und mit einem weichen, liebreichen, beweglichen Geist, der fähig ist, wie Paulus im Galater- und in den Korintherbriefen liebevoll, gründlich und allseitig auf die Gedanken, Empfindungen, irrigen Anschauungen und guten Meinungen und berechtigten Bestrebungen und Erwartungen der Kinder Gottes einzugehen, und Weizen und Spreu zu scheiden. Wir brauchen Männer, die tiefgewurzelt sind in der Schrift und im Herrn, die mit klarem Geist und einfachem Wort unser Volk hineinweisen können in die Wahrheit des Wortes Gottes. Wir brauchen Männer, die nicht erst anderen sagen müssen, daß sie voll heiligen Geistes seien, die es aber in ihrem Wandel und in der stillen Kraft, die von ihnen ausgeht, offenbaren. Die Erwartungen des Volkes Gottes, das Sehnen nach mehr Licht, mehr Kraft, mehr Liebe und mehr Frucht sind vielfach lebendig. Sie bedürfen nur der Vertiefung, der Läuterung und Stärkung durch Wort und Geist der Schrift. Werden sie aber irregeleitet, so sind die Folgen schreckliche.

Schütten wir nun nicht das Kind mit dem Bade aus. Seien wir nicht entmutigt, lassen wir uns nicht verwirren. Es sind uns die allerköstlichsten Verheißungen gegeben. Der Weg ist klar gezeichnet. Unser Herr hat sein Werk auf Golgatha vollbracht. Sein Geist ist an Pfingsten gekommen. Seine Schätze liegen für uns bereit. Wir haben es, Gott sei Dank, nicht nötig, uns mit Unnüchternem und Vermischtem zu begnügen. Unser Herr kann und will solide, tiefgehende und ganze Arbeit tun. Wir können und wollen aus allem lernen. Wir haben kein Recht, von oben herab andere geringschätzig zu verurteilen, die vielleicht ein brennenderes Verlangen als wir selbst nach der Verherrlichung des Herrn in sich trugen und tragen. Es gibt auch eine Nüchternheit, die nahe ans Verhungern grenzt. Aber wir wollen der apostolischen Mahnung gehorchen: Prüfet alles, prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind; niemand halte sich selbst für klug angesichts des Mangels und der Gefahren, in denen wir größere und bessere sehen, als wir sind. Lasset uns mit unserer Schwachheit, unserer Möglichkeit zu irren und zu fallen, zu unserem allgenugsamen und zuverlässigen Herrn und Heiland in kindlichem Glauben flüchten, er wird das Irrende zurechtbringen, des Schwachen warten und handeln nach dem Wort: Das Verlangen der Elenden hörst du, Herr; ihr Herz ist gewiß, daß dein Ohr darauf achtet.

V.

Schriftgedanken über Geistesgaben, Evangelisation und Reinigung des Volkes Gottes.

Die Casseler Bewegung wartet auf ein Pfingsten. Die Schrift kennt nur ein Pfingsten. Dagegen redet sie allgemein von Geistesausteilungen, erzählt auch von besonders auffälligen Geistesmitteilungen bei besonderen Gelegenheiten. An besonderen Punkten der Geschichte finden, wie PFARRER STOCKMAYER voriges Jahr in Blankenburg ausgeführt hat (Bericht über die 21. Allianzkonferenz, Seite 28 ff.), besonders auffallende Geistesmitteilungen an ganze Versammlungen statt. Für besondere Aufgaben werden einzelne besonders mit dem Geist erfüllt (Apostelgesch. 4,8; 7,55; 13,9).

Den Geistesmitteilungen an ganze Versammlungen geht eine Wortverkündigung unmittelbar voraus, jedenfalls in Apg. 10 und 19, im weiteren Sinn auch in Apg 2. und 8. In Kap. 10 und 19 geht das Gebet und die Handauflegung der Apostel voraus, in Kap. 10 das Gebet des Kornelius, in Kap. 2, wenn man 1,14 heranziehen darf, das Gebet der Gemeinde. In Kap. 8 und 19 geht die Taufe der Gläubiggewordenen vorher, in Kap. 10 folgt sie alsbald. In diesen drei Fällen handelt es sich aber um besondere Geistesmitteilungen an soeben durch die Evangelisation zur Erkenntnis Jesu Christi Geführte. Wir meinen, alle diese Fälle und besonders die Pfingstgeschichte können nicht als Parallelen zu den Casseler Vorgängen herangezogen werden, da die Casseler Bewegung in ihren ersten Stadien es nur mit den Kindern Gottes und ausdrücklich nicht mit der Evangelisation zu tun haben will.

Daß wir derartige auffallende Geistesausgießungen auf eine ganze Versammlung zu erbitten und zu erwarten hätten, sagt, soweit die Gemeinde in Betracht kommt, die Schrift meines Wissens nirgends. Die Zeit, wo Joel 3 sich an Israel vollständig erfüllen wird, kommt hier nicht in Betracht. Dagegen ist es schriftgemäß und für die Gemeinde zu beachten, daß die Gemeinde nach den Gaben des Geistes streben soll 1.Kor.12,31. Die Korinther brauchten nach dem Zungenreden nicht streben, weil sie es hatten. Zudem schienen sie es überschätzt zu haben. Das Streben nach den Gaben des Geistes scheint mir mancherorts vernachlässigt worden zu sein. Und wer die ganze Schrift beachten will, selbst angesichts offenkundiger Gefahren, der darf auch jetzt dieses Apostelwort nicht übergehen; ebensowenig wie Paulus im 1. und 2. Thessalonicherbrief die eschatologischen Fragen überging, weil die Thessalonicher auf falsche Bahnen geraten waren. Nicht, als ob die Gaben des Geistes in der Gemeinde nicht vorhanden waren. Sie sind da, und es ist mir oft eine Freude gewesen, die Verschiedenheit und den Reichtum geistlicher Begabung in manchen Gemeinden und Gemeinschaften der Gläubigen zu betrachten. Aber trotzdem muß ein unparteiischer Beobachter sagen, es fehlt vielfach das gesunde Streben nach geistlichen Gaben, besonders da, wo man den Pfarrer oder Prediger alles für sich tun läßt und nicht Raum hat für die heilige Arbeitsteilung, die der Herr nach der Schrift vorgesehen hat. Aber hier ist eben auch ein Krebsschaden des christlichen Lebens unserer Tage. Man treibt praktische, zerstörende Bibelkritik in vielen christlichen Kreisen, während man sich gegen die wissenschaftliche Bibelkritik mit allem Eifer und oft mit Übereifer und mangelndem Verständnis wendet. Was ist schlimmer, wenn ein liberaler Theologe, dem die Bibel nur eine Sammlung menschlicher Urkunden ist, gewisse Bibelteile für unecht oder unverbindlich hält, oder wenn solche, die die Bibel feierlich für Gottes Wort erklären, Gesetze und Methoden aufstellen, die in der Bibel keinen Grund haben, und dafür deutlich gelehrte biblische Wahrheiten, weil sie unbequem zu werden drohen, oder langsamer zum Ziele führen, bei Seite schieben, oder lieber nicht genauer darüber forschen und nachdenken wollen?

Wenn man sich entschließen könnte, auch in Bezug auf das Gemeindeleben, zum königlichen Gesetz der Freiheit und zum Zeugnis des Herrn und seiner Apostel zurückzukehren, würde vieles besser sein. Dafür pflegt man das Vereinsleben, das jedenfalls nicht die Verheißungen hat, wie das biblische Gemeindeleben. Wir meinen die Gemeinde der Gläubigen, nicht die Gemeinde, in der Wiedergeborene und offenbar Unbekehrte gleichberechtigt nebeneinander sind. Zwei Gegensätze wie Licht und Finsternis, Leben und Tod 2.Kor.6,14 –18. Je mehr biblisches Gemeindeleben, wohlgemerkt! nicht nur Form, sondern Leben, desto mehr Aussicht, daß die Gaben des Geistes sich entfalten und an der Gesamtheit der an der Schrift genährten und geklärten Gemeinde ein Correktiv, eine Ausgleichung und eine Stütze haben.

Ebenso ist es mit der Heiligung. Statt mannigfacher gutgemeinter, aber in der Wirklichkeit des Lebens nicht stichhaltiger Theorien, die redlichen Seelen Mißerfolge und Entmutigungen bringen, beachte man doch mehr, darum möchten wir in herzlicher Liebe bitten, die biblische Norm für das Gemeindeleben, für die Gemeinde der Gläubigen. Noch immer hat unseres Erachtens die Evangelisation- und die Heiligungsbewegung in unsern Tagen diesen gottgeordneten, segensreichen Heiligungsfaktor viel zu wenig beachtet. Die örtliche Einzelgemeinde der Gläubigen ist ein Hilfsmittel und ein Prüfstein der Heiligung wie wenig anderes. Nicht ist eine biblische Gemeindeverfassung das Allheilmittel für alle Schäden. Das Allheilmittel ist Jesus, das Haupt der Gesamtgemeinde und der Herr und Regent und Lebensquell auch der Einzelgemeinde.

Wir sollen also streben nach den Geistesgaben, besonders nach der Gabe zur Erbauung, zur Ermahnung und zur Tröstung, zu reden, d. h. zu weissagen, und welche Gabe könnten wir entbehren? Die Vernachlässigung irgend einer Schriftwahrheit zieht immer eine einseitige Betonung derselben als Reaktion nach sich. Wir streben nach solchen Gaben teils, wie nach allen Gaben Gottes, durchs Gebet, teils durch Weckung der in uns liegenden Anlage 1.Tim.4,14; 2.Tim.1,6. Nicht, um damit zu glänzen, nicht damit unser Gemeindebild stimmt mit dem Schriftbuchstaben, sondern zum Dienst an andern und zur Verherrlichung des Herrn sollen wir nach den Geistesgaben streben. Denn diese sind ja dazu da, das Wachstum der Früchte des Geistes in der Gemeinde zu fördern.

Aber wie das Schriftwort sich nicht vorwiegend mit den Gaben des Geistes beschäftigt, sondern mit der Frucht des Geistes, Gal.5,22, so wollen auch wir unser Hauptaugenmerk auf die Frucht des Geistes lenken, besonders auf diejenige, die der Apostel als den „köstlicheren Weg“ am Schluß von 1.Kor.12 bezeichnet, und dann in 1.Kor.13 so herrlich schildert, und auch am Eingang von Kap. 14 nochmals voranstellt.

Wir wenden uns nunmehr einer andern Seite der Casseler Bewegung zu:

Die Casseler Bewegung soll auch eine umfangreiche Verkündigung des Evangeliums in unserem Vaterlande vorbereiten. Vor ihr und neben ihr haben viele andere dasselbe Verlangen und dasselbe Ziel. Daß im Volke Gottes das Bedürfnis zunimmt, auch anderen, die den Frieden der Vergebung der Sünden noch nicht geschmeckt, und die Jesu in ihrem Leben noch nicht die Herrschaft eingeräumt haben, das lebendig verkündigte Wort vom Kreuz mit seinen Segnungen durch solche zu bringen, die die Rechtfertigung durch den lebendigen Glauben und den heiligen Geist bei ihrer Bekehrung und Wiedergeburt empfangen haben, ist eine beachtenswerte und erfreuliche Tatsache. Es haben sich seit WESLEYS Tagen allerlei Evangelisationsmethoden herausgebildet. Man rät zu allerlei Mitteln und Wegen, um eine wirksame Evangelisation vorzubereiten. Als Hauptmittel und Haupterfordernis der Vorbereitung für ein gesegnetes Evangelisationswerk werden genannt: das Gebet und die Reinigung des Volkes Gottes von Sünden, mit denen seine einzelnen Glieder nicht gebrochen haben.

Wir möchten nur kurz, aber mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß der Segen einer Evangelisationsarbeit sich nicht unbedingt darnach richtet, wie sehr das Volk Gottes gereinigt ist. Die Bekehrung der Menschen ist kein Rechenexempel, sondern ein Werk der souveränen und unergründlichen Gnade Gottes.

Ferner sei noch darauf hingewiesen, daß lange nicht alles Segen ist, was man so nennt, daß der zahlenmäßige Erfolg durchaus nicht gleichbedeutend mit der Ewigkeitsfrucht ist, die im Feuer besteht 1.Kor.3. Gleichwohl ist es klar, daß wir geschickt und fleißig zu jedem guten Werk werden durch die reinigende Gnade Tit.2. und 3.

Es sei uns darum nun gestattet darauf hinzuweisen, wie nach unserer Erkenntnis die Reinigung des Volkes Gottes und eine fruchtbare Verkündigung des Evangeliums vom Herrn und seinen Aposteln erstrebt und erreicht wird: Wenn wir die Schrift und die Bibelkonkordanz zur Hand nehmen, machen wir, wie schon oben kurz erwähnt, eine ganz auffallende Entdeckung:

Wir finden unter der Rubrik „Beten“ in den apostolischen Briefen kaum ein halbes Dutzend Aufforderungen zum Gebet. Bei Petrus und Johannes keine. Bei Jakobus die Aufforderung zum Gebet für Kranke. Bei Paulus findet sich nur im Römer-, Hebräer-, Kolosser- und 1. Thessalonicher die Aufforderung zur Fürbitte für ihn und zum Teil dann auch zum Gebet dafür, daß das Wort des Herrn laufe und Gott ihm eine Tür des Wortes auftue. Nirgends, außer im 1.Tim.2, finden wir eindringliche Aufforderungen für eine verlorengehende Menschheit einzustehen und alle Kräfte im Gebetskämmerlein und ganz besonders im gemeinsamen Gebet einzusetzen, um Erweckungen herbeizuführen; noch weniger finden wir, daß durch Gebetsversammlungen und Gebete in Nachversammlungen vor den Ohren der Unbekehrten auf die Unbekehrten zum Zwecke ihrer Bekehrung eingewirkt wird. Wie sollen wir dieses Verhalten der Apostel verstehen? Lag ihnen, die sich in der Verkündigung des Evangeliums verzehrt und willig ihr Leben dargelegt haben für ihren Herrn, weniger an der Errettung der Seelen und weniger an der Verherrlichung ihres Meisters als uns Christen von heutzutage? Oder waren sie unpraktischer als wir? Verstanden sie nichts von Evangelisationswochen, von Konferenzen zur Vertiefung des christlichen Lebens? Wußten und ahnten sie noch nicht, wie man eine Evangelisation und eine Erweckung vorbereitet?

Ein Blick in die Apostelgeschichte genügt, um uns zu zeigen, was wir ja auch alle mehr oder weniger tief empfinden, daß ihre Arbeit reichliche, herrliche und bleibende Früchte brachte, und daß wir noch weit hinter ihnen zurückstehen.

Was nimmt denn in ihren Briefen den breitesten Raum ein? Es ist die Verherrlichung unseres Herrn Jesu Christi, die Darlegung seines Werkes, die Darlegung seines Bildes, die Verkündigung des Liebesratschlusses Gottes und die Aufzeigung der verborgenen Kanäle, durch die Christi Leben in uns Raum gewinnt. Es ist dann weiter die Warnung vor den mannigfaltigen Abwegen nicht nur zur Linken, sondern auch zur Rechten, und endlich eine einfältige und eingehende Unterweisung darüber, wie die Gläubigen in den mannigfaltigen Verhältnissen des Alltagslebens, in Familie, Beruf und Gemeinde sich zueinander verhalten und ihr Christentum ausleben sollen. Viele hausbackene Tugenden: Gehorsam, Wahrheitsliebe, Fleiß bei der Arbeit, Keuschheit, Mäßigkeit, Besonnenheit, besonders die stummen Tugenden der Sanftmut, Demut und Geduld – alles getragen vom Geist des Glaubens, durchglüht von der Liebe, verklärt durch die Hoffnung. Das sind die Dinge, die sie den Gläubigen schlicht und doch würdevoll, einfältig und doch kraftvoll, mit unermüdlicher Liebe ans Herz legen, im Essen und Trinken und in allem, was sie tun, dem Namen Jesu Ehre zu machen und ihren Gott zu verherrlichen; das ist die grandiose Aufgabe, die sie ihren Brüdern stellen und in deren Erfüllung sie sich als Vorbilder darstellen. Wenig Aufregung ist bei der Sache, wenig außerordentliche Kraftanstrengungen für Augenblicke und kurze Perioden, wenig Kunstgriffe und Mittelchen; aber eine erhabene Ernsthaftigkeit, eine in jeden Winkel dringende Wahrhaftigkeit, eine den höchsten Aufforderungen entsprechende Solidität, heilige Natürlichkeit, nichts Gekünsteltes, königlicher Anstand, eine durchgebildete Noblesse, wohltuendstes Zartgefühl und wahre Männlichkeit. Das sind die Charakterzüge, die wir bei ihnen finden, und die sie anderen aufzuprägen suchen. Alles Züge aus Christi Bild; alles Züge, die nur dem sich aufprägen, der in ununterbrochenen Glaubensverbindung, in innigstem Liebesumgang, in unerschütterlicher Hoffnung auf den zur Rechten Gottes erhöhten Gekreuzigten blickt. Ein Weg der Gründlichkeit mit dem denkbar höchsten Ziel ist der Weg der Apostel. O, wir empfinden es wohl, das ist etwas anderes, schwereres, aber auch schwerwiegenderes, als wenn wir uns für eine oder mehrere Wochen einen Evangelisten bestellen, vorher eine Anzahl Gebetsversammlungen halten, uns gegenseitig und auch dem Herrn einige Unarten und Sünden bekennen, und uns so freundlich zueinander stellen, als wir das mit eigener und Gottes Kraft vermögen. Wir verstehen es: wo die Seelen, wie die Apostel das zu erreichen suchten, an Jesum gekettet, jeden Augenblick an Jesum gewiesen und mit ihm in Umgang gebracht werden, da wachsen von selbst die Gebete empor, die, wie sie selbst dem Himmel entstammt sind, auch wieder zum Himmel reichen, Gebete, denen sich des Himmels Fenster öffnen, so daß Segen in Fülle herabfließt. Solche Gemeinden sind verkörpertes Evangelium, sind mächtige Beweise für die Kraft der Gnade, und mit ihnen im Rücken können die Boten des Evangeliums vordringen von Sieg zu Sieg (vergl. 1. Thessalonicher 1).

Achten wir noch ein wenig genauer darauf, wie die Apostel für die kleinsten wie die größten Dinge Jesum den Seelen vor Augen malen. Wenn Jakobus davor warnen will, daß man den Mann mit den goldenen Ringen und dem herrlichen Kleid dem armen Bruder vorzieht, weist er hin auf den Herrn der Herrlichkeit und sagt, daß der Glaube an den Herrn der Herrlichkeit kein Ansehen der Person leide. Wenn Petrus den Hausknechten zeigen will, wie sie ihren Beruf erfüllen sollen – 1.Petri 2,18 ff. – so weist er sie auf das Vorbild Jesu des Gekreuzigten hin; wenn Johannes zur Bruderliebe ermahnt, so erinnert er an Jesum, der sein Leben für uns gelassen hat, weshalb auch wir schuldig seien, unser Leben für die Brüder zu lassen 1. Joh.3,16. Will Paulus die Männer ermahnen zum rechten Verhalten gegen ihre Weiber, so stellt er ihnen Jesu Beispiel vor Augen, wie er geliebt hat die Gemeinde und sich für sie selbst dargegeben. Und wenn die Korinther das Geben lernen sollen, so weiß er auch hier kein besseres und stärkeres Mittel, als sie zu erinnern an ihren Heiland, der arm wurde, auf daß sie durch seine Armut reich würden 2. Kor.8,9. Wenn die Philipper Frieden halten sollen, so verweist er sie auf Jesum, den Gekreuzigten. Und wenn die Römer die Schwachen tragen sollen und nicht Gefallen an sich selber haben, dann zeigt er ihnen, wie auch Jesus an sich selber kein Gefallen hatte. Wenn die Kolosser in Gefahr sind, dem Engeldienst zu verfallen, so malt er ihnen die zentrale Persönlichkeit Jesu Christi vor Augen. Und für alle Gefahren, die die Epheser bedrohen, hat er ein Mittel, nämlich die Darlegung des unausforschlichen Reichtums Christi. Christum den Leuten vor Augen zu malen, und zwar Christum, den Gekreuzigten, das ist seine Weisheit den weisheitsstolzen und leichtfertigen Korinthern gegenüber, das ist seine Politik gegenüber den Leuten im Mittelpunkt irdischer Politik in Rom, das ist sein Geheimnis gegenüber den die Geheimnisse der Welt erforschenden Asiaten. Man lese den Hebräerbrief, wenn man keinen anderen lesen will, um zu sehen, wie Schwachen aufgeholfen wird, wie Irrende zurechtgewiesen werden, wie man Mutlosen Mut macht, wie man dem Evangelium Bahn und Boden verschafft. Welche gewaltigen Schilderungen des Sohnes Gottes in den ersten 6 Versen des Hebräerbriefes, und dann geht es Zug um Zug weiter: Christus größer als die Engel, größer als Josua, größer als Aaron. Christus der wahre Melchisedek, Christus die wahre Stiftshütte, Christus das wahre Opfer.

Doch wenden wir uns noch dem Gebiet der Reinigung des Volkes Gottes im besonderen zu. Auch hier gilt das Motto: „Deines Wortes stille Kraft“ und „Jesus, der Gekreuzigte“, die Offenbarung der Liebe Gottes. Gewiß weisen dabei die Apostel auf den Untergang der Erde hin und sagen uns: nun das alles soll vergehen, wie sollt ihr denn geschickt sein mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen – 2.Petri 3,11 –, warnen vor der Gefahr, in die bereitete, ewige Ruhe nicht eingehen zu dürfen, das Blut des neuen Bundes für unrein zu achten, und den Geist der Gnade zu schmähen und weisen auf den Richterstuhl Christi und auf den Tag, da Gott das Verborgene der Menschen durch Jesum Christum richten wird „laut meines Evangeliums“ Röm. 2,16. Aber seitdem ihr Meister den Ruf zur Buße eingeleitet hat mit der Begründung: „denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ und noch vom Himmel herab jeden Ruf zur Buße geschlossen hat mit überaus herrlichen Verheißungen, haben die Apostel immer wieder auch zur Reinigung des Volkes vorwiegend den Weg bestritten, daß sie ihnen ihren herrlichen Heiland und ihr herrliches Ziel vor Augen hielten. „Meine Lieben, wir sind nun Gotteskinder, und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; …und ein jeglicher, der solche Hoffnung hat zu ihm, der reinigt sich.“ 1.Joh.3,2.3. So sagt Johannes, und Petrus schlägt denselben Weg ein, indem er zu Eingang seines Briefes das Evangelium kurz zusammenfaßt: „was die Engel gelüstet zu schauen“ – 1. Petri1,1–12 – und dann fortfährt: „darum so begürtet die Lenden eures Gemüts, seit nüchtern usw.“ und nachher gleich wieder: „Die ihr durch ihn glaubet an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, auf das ihr Glauben und Hoffnung haben möchtet. Und machet keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit durch den Geist usw.“

1.Petri 1,21 f.: Herrlichkeit, Hoffnung und Keuschmachen der Seelen hängt für Petrus zusammen.

Ebenso im zweiten Brief: „Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft usw. uns geschenkt ist, so wendet allen euren Fleiß daran und reichet dar“. Und der Hebräerbrief fordert unter Hinweis auf den offenen Eingang in das Heiligtum durch das Blut Jesu seine Leser auf, „hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben, besprengt in unseren Herzen und los vom bösen Gewissen und gewaschen am Leibe mit reinem Wasser. Wegsehend auf Jesum den Anfänger und Vollender des Glaubens“ sollen die Brüder „jede Bürde und die leicht umstrickende Sünde ablegen und mit Ausharren laufen“.

2.Kor.7,1 schreibt Paulus: „Dieweil wir nun solche Verheißungen haben, meine Liebsten, so lasset uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen und fortfahren mit der Heiligung.“

Auf den Unterbau der elf ersten gewaltigen Kapitel des Römerbriefes gründet Paulus die Ermahnungen von Kapitel 12, die beginnen: „Ich ermahne euch nun durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer usw.“

Wir übergehen den in seinem Aufbau dem Epheser- ähnlichen Kolosserbrief und die übrigen Briefe Pauli und verweilen nur noch einige Augenblicke beim Epheserbrief.

Auch hier hat der Apostel das Ziel, daß seine Brüder, oder wie er sie nennt, „seine geliebten Kinder“, alles ablegen, was gottwidrig ist und alles anlegen, was gottgefällig ist. Sein Ziel ist, daß sie voll Geistes werden, daß sie am bösen Tage Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten mögen und fertig seien zu treiben das Evangelium des Friedens. Aber wie bahnt er sich und den lieben Lesern den Weg zu diesem Ziel? Kap.1,3–14, jene gewaltige Darlegung des Liebesratschlusses Gottes vor Grundlegung der Welt V. 15 ff., das unablässige Gebet um den Geist der Weisheit und der Offenbarung zu seiner Selbst, Erkenntnis und erleuchtete Augen des Verständnisses zur Erkenntnis der Hoffnung ihres Berufes und des Reichtums seines herrlichen Erbes und der überschwenglichen Größe seiner Kraft. Dann Kap.2 die Schilderung der Auferweckung der Gläubigen aus den Todesbanden der Sünde und unter dem Hinweis darauf, daß sie geschaffen seien zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet habe, daß sie darinnen wandeln sollen. Dann von einer anderen Seite her: Gottes Werk, wie er die Fernen nahegebracht und die Getrennten eins gemacht. Dann der Hinweis auf das in der Gemeinde sich offenbarende Geheimnis der Weisheit Gottes. Und dann jenes zweite Gebet mit dem Höchsten, was wohl je ein Mensch für seine Mitmenschen gebetet hat, der Bitte um die Erkenntnis der Breite und Länge und Tiefe und Höhe der doch alle Erkenntnis übersteigenden Liebe Christi, um die Erfüllung mit aller Gottesfülle. Und ein solches Gebet noch schließend mit dem Hinweis auf den, der noch Überschwenglicheres tun kann über alles, was wir bitten oder verstehen. Nun noch der Hinweis auf seine Leiden für sie, auf die Einheit des Leibes Christi und seine wunderbare Gliederung und seine Bestimmung, in allen Stücken zu wachsen an dem, der das Haupt ist, Christus, und das alles in der Liebe. Auf solche Weise reinigt er seine Epheser, so sucht er sie willig zu machen, sich zu reinigen. In dem unaussprechlich hellen Licht der Liebe Christi wird die Sünde in ihrer Finsternis und Unreinigkeit so abstoßend und häßlich, wie kein Mensch es sagen kann. Grauenerregend wird im Lichte seiner Liebe jede Regung der Eigenliebe. Wie kleinlich erscheint jede Empfindlichkeit, jede Rechthaberei gegenüber solcher Gnade. Wo bleibt Raum für den Zweifel und den Unglauben gegenüber der Größe dieser Liebe, wo Furcht vor der eigenen Schwachheit und vor den Hindernissen, die der Feind in den Weg legen mag gegenüber der Macht der Liebe, die sich in Jesu offenbart. Wie könnten wir noch auf die Dauer an irgendetwas kleben bleiben, nachdem Gott seinen Sohn uns geschenkt und mit ihm alles, nachdem die Kindschaft und das Erbe, Thron und Krone dem Gläubigen winken. Ja, wer solche Hoffnung hat, der reinigt sich selbst.

Und in dieser Richtung und auf diesem langsamen, schweren und doch sicheren und seligen, auf diesem herrlichen und göttlichen Weg, suchen, erstreben und erwarten wir nach der Schrift für uns selbst und für unsere geliebten Brüder die Reinigung des Volkes Gottes, den Drang zum erhörlichen Gebet und fruchtbare und dauerhafte Evangelisation; auf diesem Weg die Verherrlichung unseres Herrn Jesu Christi und des Vaters, der ihn uns gegeben hat.

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Ein Zeugenbericht zu Anfang der sogenannten Pfingstbewegung in Deutschland.
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