Schopf, Otto - Der Heiland als Tröster.

Schopf, Otto - Der Heiland als Tröster.

(Aus einer Grabrede)

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das weißt du jetzt nicht, du wirst’s aber hernach erfahren.
Johannes 13,7.

Da wir vor einem Trauerfall stehen, der uns überraschend und unbegreiflich ist, werden wir gut tun, wenn wir auf ein Wort Jesu hören, das er zu seinen Jüngern gesprochen hat, kurz bevor ein für sie gänzlich unerwartetes und unfaßbares Leid über sie hereinbrach. Dieses Wort hat die nun im Herrn Entschlafene auf ihrem letzten schweren Gang, von dem sie nicht lebend zurückkehren sollte, begleitet; es möge nun auch allen, die sie liebten und die ihren Verlust beklagen, auf ihrem weiteren Weg eine Hilfe sein. Es redet von dem Tun Gottes mit uns; von unserer Unwissenheit, und von der endlichen Lösung aller Rätsel dieses Lebens.

Unser Textwort erinnert uns zunächst an Gottes und unseres Heilandes Tun in der Welt. Es geschieht nichts in der Welt ohne Gottes Willen, nichts Großes und nichts Kleines. Ohne den, der die Welten lenkt, fällt kein Sperling vom Dach und kein Haar vom Haupte. Und es geschieht kein Glück und kein Unglück in der Stadt ohne den Herrn. Er läßt die Menschen handeln wie sie wollen und wählen, und doch kann ihr Tun und Lassen Gottes Wege nicht kreuzen. Er vermag in seiner Allwissenheit, Weisheit und Macht es so zu lenken, daß, wie es die Menschen auch machen mögen, schließlich doch sein Wille geschieht. Und keine Macht des Himmels und der Erde kann abhalten und aufhalten, was er will, keine Macht des Himmels kann ihn zwingen, zu tun, was er nicht will. Aber weil Gott die Liebe ist, so tut er nichts, was gegen seine heilige Gerechtigkeit und Liebe ist. Und selbst in den unbegreiflichsten Ereignissen des Lebens kann er seine heilige Liebe nicht verleugnen, so oft er sie auch verbergen mag.

Sein Tun ist aber nicht immer ein verborgenes, seine Liebe ist nicht immer verhüllt, sondern sie ist sehr oft offenbar und klar vor aller Augen. Seine Liebe ist offenbar an der Art, wie er alles in der Welt so herrlich eingerichtet hat. Und jeder, der acht darauf hat, kann etwas von Gottes wunderbarer Liebe in der Natur merken.

Aber damit wir sein Tun noch besser verstehen möchten, damit wir seinem Tun Zutrauen schenken möchten, selbst dann, wenn wir es nicht verstehen können, hat er einen unwiderleglichen Beweis seiner unbegreiflichen Liebe gegeben, indem er seinen Sohn der Menschheit gab, ihn wahrhaftiger Mensch werden ließ, der ein Mannesalter lang alle Mühsal des Lebens mit den Menschen zusammen menschlich trug, und der zugleich in seinem Tun und Lassen uns Gottes Liebe, Gottes Gedanken und Handlungsweise erklärte, so daß wir, wenn wir wissen wollen, wie Gott ist, wie Gott es mit uns meint, nur Jesum anzuschauen brauchen; wer ihn siehet, siehet den Vater. Aber Jesus hat nicht nur ein Mannesalter lang mit den Menschen gelebt und geredet, an ihrem Elend und Leid, an ihrer Sünde und Verkehrtheit mitleidig und helfend und ratend Anteil genommen. Nein, er hat als der einzig sündlose Mensch die Strafe der Sünde getragen, Gott hat ihn diese Strafe leiden lassen, damit kein Teufel Gott anklagen könne und sagen: du hast die Sünde nicht gestraft. Nein, Jesus hat der Welt Sünde getragen. Er ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt. Und weil er dieses große Opfer gebracht hat, heißt es nun: Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu. Das Blut Jesu Christi macht uns rein von aller Sünde. Er hat den Schuldbrief, der wider uns war, hinweggetan und an das Kreuz geheftet.

Und wer an diese große Gottestat glaubt, wer sein Vertrauen setzt auf den Heiland, dem kommt zugut, was er getan hat am Kreuz. Wer an ihn glaubt, der hat Vergebung der Sünden und ewiges Leben.

Und das ist bei aller Trauer und bei allem Rätselhaften dieses Todesfalles, den wir heute hier beklagen, unser Trost und unsere Freude, daß die, die wir hier begraben, geglaubt und erfahren hat, daß diese größte Gottestat am kreuze auch für sie geschehen ist. Sie hat geglaubt und gewußt, daß der Herr Jesus für sie gestorben ist, daß er ihr Heiland ist, der ihr alle ihre Sünde vergibt. Sie ist durch diesen Glauben an Jesum ein Kind Gottes geworden und hat eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens gehabt.

Ja, vieles von dem, was Gott an ihr getan, wissen wir, verstehen wir. Er hat sie keine leichten Wege geführt, aber er hat sie gnädig geführt. Sie hat frühe ihre Mutter verloren und deshalb frühe des Lebens Sorge und Mühe tragen müssen, sie hat viel Leid erlebt, viele, die sie liebte, vor sich ins Grab sinken sehen. Aber dennoch hat Gott Großes an ihr getan. Er hat sie frühe ihren Heiland finden lassen, hat sie frühe gelehrt, nicht sich selbst, sondern andere zu lieben; sie hat ihren jungen Geschwistern die Mutter ersetzt; sie hat manche ihrer Verwandten gepflegt, bis sie heimgerufen wurde; sie ist ihres Vaters und ihres verwitweten Bruders Stütze und Trost gewesen. Und sie ist acht Wochen lang dem Manne, der sie heute betrauert, eine liebevolle Gefährtin, seinen Kindern eine zweite Mutter, ihrem Vater ein liebes Kind gewesen, das ihm tat, was sie ihm an den Augen absehen konnte. Sie ist allen, die mit ihr in nähere Berührung kamen, durch ihr liebevolles Wesen ein wirklicher Segen gewesen und lieb geworden. Und wie konnte sie so sein, wie konnte sie alles das tun? O, wenn wir sie gefragt hätten, sie hätte uns gesagt, daß sie es nicht in eigener Kraft getan habe, sondern daß es Gottes Gabe und Gottes Werk an ihr tat. Ja, es ist offenbar, Gott hat Großes an ihr getan. Wenn sie mit ihren 34 Jahren von so vielen beweint und vermißt wird, so ist es eben um des willen, was Gott an ihr getan und aus ihr gemacht hat.

Aber nach alle dem, was wir wissen und verstehen können, hat Gott etwas ganz Unerwartetes getan. Er hat dem Tode gestattet, sie aus unserer Mitte zu nehmen, nachdem sie sich vor erst zwei Monaten mit ihrem Gatten verbunden hatte. Es war ihr solch ein ernstes Anliegen gewesen, nicht ihren, sondern des Herrn Willen zu tun. Sie hat es nicht leicht genommen, ihr Vaterhaus zu verlassen, sie hat Gott gebeten, sie vor einem irrigen Wege zu bewahren. Und ein gleiches Anliegen, des Herrn Willen zu tun, war es ihrem Manne, dem sie erst dann die Hand reichte, als sie überzeugt war, daß Gott ihr durch alle Verhältnisse den Weg gebahnt und klar gemacht habe.

Wie haben wir alle, die wir ihren Mann kannten, uns gefreut, daß nach langen Jahren geduldigen Wartens ihm eine neue Gefährtin und seinen Kindern eine zweite Mutter wurde. Wie hat sie es verstanden, rasch der Kinder Herzen zu gewinnen, deren zweite Mutter sie sein sollte; wie freute sich unsere Gemeinde, sie in unseren Kreis treten zu sehen. Die wenigsten wußten, daß sie nicht gesund war, und sie selber ahnte nicht, daß eine kleine Beschwerde, die sie manchmal fühlte, der Anfang eines schweren und gefährlichen Leidens sei. Und als sich nun plötzlich ihre Leiden mehrten und der Arzt erklärte, daß sie, wenn sie sich nicht einer Operation unterziehe, nur noch eine kurze Frist zu leben habe, da hat sie nach betender Erwägung sich entschlossen, sich den Händen des Arztes und noch mehr der nie irrenden und fehlenden Hand ihres Gottes anzuvertrauen. Und nun hat unser Gott es für gut gefunden, sie zu sich zu nehmen, und er scheint auch zu uns zu sprechen: Was ich tue, weißt du jetzt nicht. Ja, wir wissen es nicht, was er tut. Wir wissen nicht, wozu es gut ist, wir wissen nicht, warum er sie nicht noch da lassen konnte und wollte, wir wissen nicht, warum es schon jetzt Zeit für sie war. Und wir fühlen die ganze Unzulänglichkeit menschlichen Wissens aufs empfindlichste.

Ja, wir Menschen, die wir oft so stolz sind, wir wissen doch, wenn es darauf ankommt, so wenig. Wer von allen Menschen weiß, wie lange er lebt. Keiner weiß, was in einem Jahr, was er morgen tun wird. Viele Millionen wissen nicht, ob sie selig werden oder verloren gehen; manche von denen, die hier sind, wenn wir ihn fragten: Hast du Vergebung der Sünden, wirst du auch in den Himmel kommen? wird sagen müssen: Ich weiß es nicht.

Aber, wird vielleicht jemand sagen, ihr behauptet doch, Gottes Kinder zu sein; ihr behauptet doch, Gottes Wort zu kennen; ihr behauptet doch, mit eurem Herrn in Gebetsumgang zu stehen und seinen Geist zu haben; versteht Ihr denn euren Vater nicht; wisset ihr denn nicht, was er tut?

Wir antworten: Nein, wir wissen es jetzt nicht. Unser Gott ist größer als wir, seine Gedanken sind höher als unsere Gedanken und seine Wege als unsere Wege. Petrus und die anderen Jünger wußten am Abend vor Jesu Kreuzigung auch nicht, was Gott im Begriffe war zu tun, sie wußten nicht, wozu Jesu Tod nötig und gut war.

Als über Hiob, den Mann Gottes, ein Unglück über das andere hereinbrach, da wußten seine Feinde und er selbst auch nicht, was der Herr tat. Unbegreiflich reihte sich Schlag an Schlag, Verlust an Verlust. Seine Freunde redeten viel Weises und Törichtes von seiner Sünde und Gottes Absicht, aber die Lösung stand bei Gott.

In den Tagen seines Fleisches wußte selbst unser Heiland nicht die Stunde, die sich der Vater vorbehalten hatte. Und in Gethsemane hören wir ihn fragen: „Vater, ist’s möglich?“ und am Kreuz: „Warum, warum hast du mich verlassen?“ Ja, es ist so, hier unten wissen wir nicht allezeit alles, was Gott tut, und warum er es tut.

Und eben das, was wir nicht wissen, gibt uns Gelegenheit, ihm zu trauen. Wenn wir alles wüßten, wo bliebe unser Glaube?

Wenn wir auch nicht wissen, was er jetzt tut, so wissen wir doch, was er getan hat, und was er einst tun wird. Wir wissen, daß er die Entschlafene lieb gehabt und zu seinem Kinde gemacht hat. Wir wissen, daß er die trauernden Angehörigen liebt trotz allen Leides, und daß die meisten von ihnen Kinder Gottes sind. Wir wissen, daß wir durch viel Trübsal ins Reich Gottes müssen, daß aber Trübsal Geduld, Erfahrung und eine nicht zu schanden werdende Hoffnung, ja ein Gewicht von Herrlichkeit nach sich zieht. Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen, und daß unser himmlischer Vater weiß, was wir bedürfen, daß er Gedanken des Friedens und nicht des Leides hat, daß er die Reben reinigt, daß sie mehr Frucht bringen. Daß er das Gold im Feuer läutert, nicht das Blei, daß, wenn wir ohne Leid und Leiden wären, wir fürchten müßten, nicht seine Kinder zu sein. Wir wissen, daß, wie unser Heiland durch Leiden vollkommen gemacht wurde, durch Leiden gehorsam lernte, in Leiden seinen Glauben, seine Liebe und Hoffnung bewies, so auch wir es müssen.

Und wenn wir es auch mit Tränen auf den Wangen sagen, so sagen wir es doch, und wollen es immer vertrauensvoller und ergebungsvoller sagen lernen: Dein Wille geschehe! Der Herr hat das auch nicht mit Jauchzen gesagt, aber er hat es gesagt. Und er ist durch Leiden zur Herrlichkeit, durch’s Kreuz zur Krone gegangen, und das ist auch der Weg seiner Kinder.

Wir wissen, das steht auch in unserem Textwort, was auch Menschen dabei getan haben, - zuletzt ist es doch der Herr, der es getan hat, und er irrt nicht und fehlt nicht.

Und wir wissen, weil sein Wort es verbürgt hat: Wir werden es hernachmals erfahren. Vielleicht hienieden noch manches, aber drüben noch mehr. Wir wissen, dieses Grab wird einst sich wieder öffnen. Die Zeit, da unser Wissen Stückwerk ist, wird aufhören, und wir werden wissen und schauen und haben, wozu es gut war.

Wir sind gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, noch irgendeine Kreatur uns scheiden wird von der Liebe Gottes. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Mit solchen Worten trösten wir uns untereinander.

O möchte jeder, der dies hört, Anteil haben an dem ewigen Trost, an der lebendigen Hoffnung des ewigen Lebens, den Gott allen gibt, die da glauben. Amen!

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