Schlatter, Wilhelm - Der Tag Jesu Christi und seine heilsame Ungewißheit

Schlatter, Wilhelm - Der Tag Jesu Christi und seine heilsame Ungewißheit

Es ist gewiß, daß Jesus Christus, der Herr über alles, in der Herrlichkeit Gottes wiederkommen und offenbar werden wird. Es ist gewiß, daß dann, angesichts seiner selbst, aller Unglaube, der den Herrn bis dahin leugnete, zu Schanden werden, aller Glaube aber, der trotz Schmach und Schande an ihm, dem Unsichtbaren, festhielt und ihn bis ans Ende bekannte, endgültig und vor aller Welt gerechtfertigt werden wird. Es ist gewiß, daß Christus bei seiner Wiederkunft die große, letzte Scheidung unter den Menschen vollziehen und seine Auserwählten sich auf ewig beigesellen wird. Es ist gewiß, daß dann seine Gemeinde, der Vermengung und Zertrennung enthoben, eins und vollkommen werden wird, als die eine Herde unter dem einen Hirten.

Das ist gewiß! Aber es ist ungewiß, wann der Herr Christus in der Herrlichkeit wiederkommen wird, und es soll ungewiß bleiben bis zum Tage seiner Erscheinung - so ist es von Christo ausgesagt und von Gott geordnet, und so soll es für die christliche Gemeinde heilsam sein. Heilsame Ungewißheit! …

Wir sollten innerhalb der christlichen Gemeinde wissen, daß beides fromm ist: das Rechnen mit dem baldigen Hereinbrechen des Tages Christi und die Geduld, die sich auf eine lange Wartezeit gefaßt macht. Die Dränger gefallen ihrem Herrn um nichts besser, als die Zögernden, und wenn sie den Glaubensstand dieser verdächtigen, handeln sie eher unfromm. Denn die Ungewißheit ist nun einmal von Gott verordnet als das, was der Gemeinde Christi frommt, und wer diese Ordnung umstoßen will, und sich zur Behauptung erkühnt, er habe die Zeit des Kommens erforscht, der hilft nicht mit an der wahren Erbauung der Gemeinde Christi; denn die Ungewißheit in Bezug auf den bevorstehenden Tag des Herrn ist für die Erbauung der Gemeinde Christi gerade heilsam und notwendig; sie vereinigt beides in ihrem Schoße: das Warten und das Eilen.

Es ist notwendig für das christliche Leben, daß es geführt werde unter beständigem Ausblick auf die Möglichkeit, daß der Herr Christus bald und plötzlich erscheine. Denn dadurch bleibt dem Bewußtsein des Christen die Tatsache eindrücklich, daß die ganze, gegenwärtige Ordnung der Dinge unbeständig ist und vergehen muß; er wird demgemäß kühles Blut behalten, wenn Zeitströmungen ihm angepriesen werden und Schlagwörter des Tages ihn umtönen, und frei darüber stehen als einer, der der anbrechenden neuen und ewigen Ordnung der Dinge, wie sie Christus bringen wird, schon angehört. Das Rechnen aber mit der Möglichkeit, daß der Herr noch lange verziehen mag, treibt den Christen ins Gebet: O Herr, laß mich bewährt werden in dieser sich dehnenden Zeit; laß mich beweisen, daß der Glaube Geduld wirkt und das Herz still macht in allen Widerwärtigkeiten; laß mich in Treuen tun, was mir an dieser Welt zu wirken obliegt!

… Wer vom großen Anliegen des Seligwerdens mit seiner umfassenden Heiligungsarbeit und Zeugnispflicht ergriffen ist, der muß der unfruchtbaren Neugierde absterben, durch welche kostbare Geisteskräfte unnütz gebraucht werden zur Erforschung von Dingen, die Gott als sein Geheimnis sich vorbehalten hat; denn die wirklichen, gegenwärtigen, von Gott gestellten Aufgaben des Glaubens sind so groß, daß sie einen derartigen Kräfteverlust nicht ertragen. O, es ist eine kostbare Errungenschaft, wenn der Glaube die von Gott seiner Erkenntnis und Arbeit gesteckten, unverletzlichen Grenzen wahrnimmt und innehält und innerhalb derselben alle seine Kräfte konzentriert; so treibt er richtig Gottes Werk, weil Gott dem Demütigen Gnade gibt.

Quelle: Gärtner - Eine Wochenschrift für Gemeinde und Haus 1912

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