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Schlatter, Adolf - Römerbrief

Schlatter, Adolf - Römerbrief

Kap. 1

Denn Gottes Zorn vom Himmel wird geoffenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen.
Römer 1,18

Ich muss beides wissen, wann ich Gott gegen mich habe und wann ich ihn für mich habe. Paulus gibt mir über beides klaren Bericht. Wann hat der Mensch Gott gegen sich? Wann offenbart sich an ihm Gottes Zorn in seiner himmlischen Allgewalt, gegen die es keine Schutzwehr gibt? Er offenbart sich über jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit. Jede Entehrung Gottes, die ihn missachtet und ihm die dankbare Anbetung versagt, und jeder Bruch des Rechts, der dem Menschen versagt, was ihm gehört, bewirkt, dass Gott mir widersteht. Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit stoßen mich beide in derselben Weise aus Gottes Gnade heraus. Ich verliere sie nicht nur, wenn ich Gott vergesse, sondern auch dann, wenn ich den Menschen entehre. Gottes Zorn schützt den Menschen gegen meine boshafte Gewalttätigkeit. Ich habe aber auch dann Gott gegen mich, wenn ich zwar den Menschen nichts Übles tue und mich gegen sie brav und ehrbar verhalte, aber Gott ausweiche und gottlos bleibe. Gottlos leben heißt für sich selbst leben. Darum hat jeder Gott gegen sich, der nicht nach seinem Willen fragt, sondern nur an sich selber denkt, auch wenn er klug genug ist, um zu begreifen, dass er die anderen nicht verderben darf, da er so auch sich selber schädigte. Paulus lag es sehr daran, dass wir an der für alle gültigen Festigkeit des göttlichen Rechts nicht zweifeln. Er schärft uns ein, dass es keine Gottlosigkeit, worin sie auch bestehen mag, und keine Ungerechtigkeit, von welcher Art sie sei, gebe, bei der wir Gott auf unserer Seite haben. Ausflüchte, die meine Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit entschuldigen, gelten hier nichts, und Hintertüren, durch die ich entwischen und ungestraft gottlos und ungerecht sein könnte, gibt es nicht. Also liegt in meinem Leben Grund genug, dass Gott mir widerstrebt, und jedes Recht, mich aufzulehnen, wenn Er mir entgegentritt, ist mir genommen. Die Wahrheit zwingt mich, ihn zu ehren, auch wenn er mir schwerem Schlag mich trifft. Es ist recht und billig, dass Gott sich jeder Gottlosigkeit und jeder Ungerechtigkeit widersetzt. Eben deshalb, weil es so ist und so sein muss, sagt Paulus, hat Gott seinen Sohn gesandt und deshalb lautet die Botschaft Jesu: glaube mir; dann bist du gerecht.
O Herr, ich preise Deine Gerechtigkeit allein, nicht die meine, keines Menschen Gerechtigkeit. Wer hat Dir Anbetung und Dank gebracht? Wir versuchen es alle, für uns zu leben. Und wer gibt den anderen, was ihnen gebührt? Darum bist Du gerecht, Du allein, gerecht, wenn Du zürnst, und gerecht, wenn Du uns hilfst in deiner göttlich großen Art durch Deinen gekreuzigten Sohn. Amen.

Gottes Gerechtigkeit offenbart sich im Evangelium aus Glauben zu Glauben.
Römer 1,17

Bringt mir nicht das Evangelium Gottes Gnade? O ja, sie ist in Gottes Offenbarung der Anfang und das Ende. Die Gnade macht, dass es eine Offenbarung Gottes für uns gibt, und dass diese Offenbarung durch das Evangelium geschieht, das mir den Christus zeigt, und dass dieses Evangelium mich zum Glauben beruft. Gottes Gnade stellt die Gemeinschaft zwischen ihm und mir her und gibt mir meinen Anteil an Ihm. Wenn ich aber von Gottes Gnade spreche, so rede ich von Gottes Gabe. Der gnädige Gott ist der gebende Gott. Was gibt er mir? Paulus antwortet: Er schafft zwischen sich und dir Gerechtigkeit, Jetzt ist mir die Gnade in ihrer Größe, Wahrheit und Macht gezeigt. Sie stiftet zwischen Gott und mir Gemeinschaft. Sowie aber Gemeinschaft zwischen uns muss so geregelt sein, dass es der Wahrheit entspricht und jedem das Seine gibt. Meine Gemeinschaft mit Gott kann nur dann bestehen, wenn mir Gott als Gott in seiner reinen, von aller Bosheit getrennten Heiligkeit offenbar ist, und ich als Mensch vor ihm stehe, ganz ans Licht gebracht und von allem Schein entkleidet, ganz in die Wahrheit gestellt und ihr gehorsam gemacht, fähig und willig, Gott ganz zu geben, was sein ist. Dächte ich mir eine Gnade, die nicht Gerechtigkeit schüfe, so machte ich aus ihr eine parteiische Gunst, die sich vom göttlichen Gesetz löst und den Widerspruch gegen das Sündliche aufgibt. So mutete ich ihr auch das Böse zu und brächte sie mit dem zusammen, was Gott als sündlich verwirft. Mit dieser Verderbnis meines Gottesbildes hätte ich das Evangelium verworfen und mich von Jesus getrennt. Ich hätte mir damit aber auch verborgen, was mich in Gefahr bringt, wofür ich bei Gott Heil und Hilfe zu suchen habe. So machte ich den Versuch, meine Ungerechtigkeit zu behalten und sie auch in der Gemeinschaft mit Gott zu pflegen. An diesem Versuch würde ich verderben. Darum ist es die Vollendung der Gnade, dass Gottes Gerechtigkeit an mir offenbar wird. Damit tritt Gott heran zu mir, dem Ungerechten, macht das Krumme gerade, das Unreine rein und das Verwerfliche ihm wohlgefällig. Das ist das Meisterstück Gottes, der Triumph seiner Gnade; das ist mein Heil. Wie geschieht nun aber die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes? Paulus sagt mir: Dadurch geschieht sie, dass Gott aus dir den Glaubenden macht. Sie ist deshalb vorhanden, weil ich glaube, und dazu da, damit ich glaube. Nun erhält Gott, was Ihm gehört; Er ist der Schaffende, Er der Gebende, Er allein gerecht; und ich habe empfangen, was ich bedarf; ich bin der Ungerechte, dem verziehen ist; ich bin der, der nicht wirken kann; meine Werke gelten vor Gott nichts; ich bin der, der glauben darf, und gebe damit Gott, was Er von mir verlangt. Nun ist Gott verherrlicht und ich bin in das Leben versetzt. Darin ist Gottes Gerechtigkeit offenbar.
Wenn Du, Herr Gott, uns offenbar wirst, dann jubelt die Seele im Anblick deiner wunderbaren Gerechtigkeit. Eins ist Dein Wille in herrlicher Einheit; eins sind Deine Gnade und Deine Gerechtigkeit und Du einigst, was getrennt war, mich in meiner Schuld und Not und Dich, der Du im Licht wohnst. Was kann ich tun? Das, was Du mir sagst, glauben, danken, mich freuen in Dir. Amen.

Kap. 2

Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich der Juden und auch den Griechen. Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen. Römer 2,9+10

Paulus verkündet uns Gottes heiligen Willen und gültiges Gesetz und dieses erglänzt in Gottes Herrlichkeit, die Licht ist ohne Finsternis. Warum liegt Gottes Missfallen auf mir? Weil mein Auge beschattet und mein Dankvermögen gebunden ist, so dass ich wenig von seiner Regierung verstehe? Nein! Deshalb wird niemand von Gott in Trübsal und Angst gebracht. Oder habe ich deshalb Gott gegen mich, weil mir vieles fehlt, mein Körper mich plagt, Versuchung mich anficht und manche Fessel mein Vermögen beengt, so dass ich vieles nicht kann? Nein! Niemals kommt Trübsal und Angst über einen Menschen um deswillen, was ihm fehlt und er nicht kann. Es gibt nur einen einzigen Vorgang, auf den Gott Trübsal und Angst folgen lässt; das ist das, dass wir das Böse tun. Nicht das, was ich denke, sondern das, was ich tue, nicht das, was mir fehlt, sondern das, was ich erzeuge und bewirke, bringt mich unter Gottes Zorn. Kann ich denn erwarten, dass Gott damit einverstanden sei, dass ich das Böse tue? Was wäre dies doch für ein abscheulicher, verwerflicher Gedanke? Darin besteht Gottes Herrlichkeit, dass er jedem Menschen widersteht, der das Böse tut, sei er Grieche oder Jude oder Christ. Ebenso gerecht und heilig ist Gottes Lob. Wofür soll ich es erwarten? Für meine Reden, für meine Theorien? Sei kein Kind! Willst du aus Gott den dich bewundernden Zuhörer deiner Reden machen? Oder gewinne ich sein Lob, wenn es mir gelingt, mich harmonisch zu bilden, von Flecken mich zu reinigen und mich durch und durch zu heiligen? Beschimpfe Gott nicht, und du beschimpfst ihn, wenn du meinst, du gewinnst sein Wohlgefallen mit deiner gebildeten und geschmückten Gestalt. Es gibt nur einen Vorgang, zu dem Gott Preis und Ehre und Frieden fügt: Gutes tun. Es wäre ein finsterer Gedanke, wenn ich fürchtete, Gott habe für den kein Lob, der das Gute tut, sei er Grieche oder Jude oder Christ. Darf ich aber nicht für meinen Glauben Gottes Lob erwarten? Sei getrost! Gott zertritt keinen Glauben. Dein Glaube ist vor ihm deine Gerechtigkeit. Dass aber Gott meinen Glauben loben soll, das ist eine wunderliche Vorstellung. Soll er mich denn dafür loben, dass er mir gnädig ist, dafür, dass er mir meine Sünden vergeben hat, dafür, dass er mich mit seinen Gaben beschenkt und reich gemacht hat? Nicht das, was mir Gott gibt, sondern das, was ich vollbringe, sei es Böses oder Gutes, steht unter Gottes Gericht. Das ist der Ruhm und die Größe Jesu, dass durch ihn Gottes herrliches und heiliges Gesetz vollständig in Geltung bleibt und wirksam ist. Dadurch, dass wir, die wir an Jesus glauben, aufhören, das Böse zu tun, und anfangen, das Gute zu tun, erweist sich sein Kreuz als der Tod unserer Seele und sein Evangelium als die Kraft Gottes zur Seligkeit.
Erbarme Dich unsrer, barmherziger Gott, wenn wir mit krummen Gedanken deinem hellen Wort ausweichen und uns vor Deinem guten Willen fürchten. Deine Gnade ist wirklich unsere Hilfe, Dein Vergeben wirklich unsere Gerechtigkeit und Dein Wort gewinnt den Sieg über unseren boshaften Willen und stellt uns auf Deinen Weg, dass wir tun, was Du willst, und was Du willst, das ist gut. Amen.

Du lehrst andere und lehrst dich selber nicht.
Römer 2,21

Als Paulus der römischen Christenheit sagte, warum er nicht mehr Jude sei, schalt er nicht einzelne Vorgänge und besondere Gruppen in der Judenschaft. Er hielt ihr nicht vor, dass sie die Herodier frönten, oder dass sie den Pharisäismus mit seiner frommen Schauspielkunst bewundere, oder dass sie den jüdischen Freisinn bei sich pflege, der das Leben mit all dem füllte, wonach das Fleisch Lust hat, und von Gott nicht viel mehr begehrte, als dass er ihn dabei nicht störe. Er kämpfte nicht gegen einzelne Juden, sondern sagte der Christenheit, warum das Judentum ihr die Hilfe nicht bringe und nicht das Bleibende sei, was Gott uns gibt. Darum deckt er die tiefste Not auf, die immer an der Kirchlichkeit entsteht. Sie breitet eine gemeinsame Überzeugung über alle aus und gestaltet das Verhalten aller durch die geheiligte Sitte. Aber dieser gemeinsame Besitz wird nicht zum Eigentum des Einzelnen. Sie werden nur von außen bewegt, nicht von innen. Die Lehre wird nicht Wille; das Wissen wird nicht Kraft. In der Öffentlichkeit gilt die Lehre und wird vor den anderen vertreten; aber dich selber lehrst du nicht. Fürchtete Paulus die Einrede nicht: in deinen Gemeinden sieht es ebenso aus? Die Kirche zeigt in der Tat dieselben Zustände wie die Judenschaft. Aber Paulus verglich nicht die Juden und die Christen miteinander, nicht die Judenschaft und die christliche Gemeinschaft, nicht den Menschen und den Menschen. Er wusste nichts von besseren Menschen, deren Frömmigkeit mehr wert sei als die der anderen, und war nicht deshalb nicht mehr Jude, weil er ein besserer Mensch etwa als Gamaliel geworden sei. Was vergleicht er? Das Judentum und Christus. Diese Vergleichung ergibt für ihn den Beweis, dass er nicht Jude bleiben kann. Denn Christus bringt etwas Neues zustande, nicht nur den sichtbaren Juden, der es durch seine Erziehung gelernt hat, sein wahres Wesen zu verstecken, sondern den verborgenen Juden, der es nicht durch die Schrift ist, sondern durch den Geist. Indem Paulus den Schaden des Judentums enthüllte, leitete er seine Gemeinden zum Glauben an. Zum selben, heilsamen Zweck wird uns immer aufs neue die religiöse Not der Kirche sichtbar gemacht, alle diese peinlichen Zwiespältigkeiten, der Streit zwischen unserem Bekenntnis und unseren tatsächlichen Zuständen, der Riss zwischen unserem Wort und unserem Verhalten, Gerechtfertigte, die über die Rechtfertigungslehre zanken, an das Kreuz Christi Glaubende, die nicht vergeben können, all die bitteren Widersprüche, die uns schänden. Was soll daraus werden? Daran soll ich glauben lernen und soll ohne Schwanken dabei bleiben: nicht der Mensch, sondern Gott, nicht die Kirche, sondern der Christus, nicht das Fleisch, sondern der Geist sind die rettende Macht.
Aus der Tiefe, Herr, rufen wir zu Dir; noch ist es bei uns Nacht. Wenn wir aber aufsehen zu Dir, so steht Deine Sonne über uns und in ihrem Licht verschwinden Schuld und Ohnmacht und das klagen darf nicht zum Murren werden, sondern erweckt die Danksagung, die Deine Gnade preist. Amen.

Kap. 3

Was das Gesetz sagt, das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind, auf dass aller Mund verstopft werde und alle Welt Gott schuldig sei.
Römer 3,19

Wenn ich doch schweigen lernte vor Gott! Aber es braucht einen festen Verschluss, damit mein Mund zugeschlossen und nicht wieder anfange, von mir zu reden, mich zu entschuldigen, Gott zu beschuldigen, mich zu rechtfertigen, Gott zu verklagen, mich zu loben und Gott Vorwürfe zu machen. Was klage ich nicht alles an? Die Natur, die mir versagt hat, was andere haben, die Eltern, von denen ich mein Erbe empfing und die meine Kindheit formten, die Lehrer, die mir nicht gaben, was mich gefördert hätte, die anderen, die mir nicht halfen; kurzum alles ist schuld und alles verkehrt, nur ich nicht. So dumm bin ich, so närrisch spricht mein Mund. Darum ist es ein gnädiges und herrliches Werk Gottes, dass es unseren Mund zumacht, und er hat ein Mittel, das stark genug ist, um uns stumm zu machen, das ist sein Gesetz. Wenn es zu mir spricht, hört mein Gerede auf. Von mir spricht es mit mir, nicht von den anderen, und es hat die Kraft, dass ich es hören muss, und es spricht mit mir nicht von dem, was mir fehlt, sondern von dem, was ich tue, nicht von Mängeln und Unglück und Misserfolg, sondern von meinem Willen und von meiner Tat. Diese verwirft es und sein Urteil ist deutlich und zwingt mich zur Zustimmung. Ich weiß, sowie Gottes Gesetz vor mir steht: ich bin schuldig, und wer das weiß, der schweigt. Und nun spricht Gott und ich höre und das gibt die seligen Stunden. Spricht er, es werde Licht, so wird es Licht.
Lieber Gott! Ich darf vor Dir reden, nicht um mich zu verteidigen und Dich zu beschuldigen. Das hat Deine Gnade weggetan. Reden will ich aber in der Erinnerung an meine Schuld, die ich Dir bekenne. Nun sprich Du Dein gnadenreiches Wort. Du hast es mir durch unseren Herrn gesagt. Sprich es wieder kräftig in meine Seele hinein, dass es mein Licht und meine Kraft sei Tag um Tag. Amen.

Nun aber ist Gottes Gerechtigkeit geoffenbart, nämlich Gottes Gerechtigkeit durch den Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden.
Röm. 3,21.22.

Uns, die wie Jesus kennen, sagt Paulus, ist Gottes Gerechtigkeit sichtbar geworden. Die Natur zeigt sie mir noch nicht. Denn sie spendet ihre Gaben freigebig den Guten und den Bösen und das ihr eingepflanzte Gesetz des Sterbens rafft die Gerechten und die Ungerechten weg. Auch im Verlauf der menschlichen Geschichte ist Gottes Gerechtigkeit noch nicht sichtbar. Sie zeigt nur mit erschütternder Deutlichkeit, daß Gott dem Bösen widersteht und den Menschen an seiner Bosheit verderben läßt, und zeigt ebenso deutlich Gottes Langmut und Geduld, die die Sünde übersieht und ihren Täter durch Güte zur Umkehr bewegt. Auch das Gesetz bringt die Gerechtigkeit noch nicht zustande. Es fordert sie, macht sie mir unentbehrlich und schafft den Hunger und Durst nach ihr; aber es gibt sie mir nicht. Solange Gott nur durch sein Gebot zu mir spricht, bleibt mir seine Gerechtigkeit noch verhüllt. Sie ist größer als der Zorn, an dem wir verderben, und größer als die Geduld, die die Strafe aufschiebt und auf uns wartet, und größer als das Gesetz, das sie von uns fordert. Erst dann ist sie sichtbar geworden, wenn der Bosheit das Ende bereitet ist und ich in das wahrheitsgemäße Verhältnis zu Gott gebracht bin. Gibt es das überhaupt an unserem irdischen Ort? Wo hat Gott seine Gerechtigkeit für mich und alle sichtbar gemacht in wirksamer Tat? Sieh auf Jesus, antwortet Paulus, sieh auf sein Kreuz. Dort ist das Böse beseitigt und die Schuld abgetan und du kommst an den dir gebührenden Platz, bei dem Gott Gott und du Mensch, Mensch bleibst. Nun hat das Verhältnis zwischen Gott und mir die richtige Gestalt. Gott spricht das wirksame Nein, an dem meine Sünde und Schuld vergeht, und das wirksame Ja, das aus mir das macht, was ich sein soll, einen Glaubenden. So wird das böse nicht entschuldigt, sondern gerichtet, nicht mächtig gemacht, sondern abgetan und Gott wird für mich der Gebende und ich das, was ich sein soll, der Empfangende. Nun hat Gott die Herrlichkeit und ich habe das Leben. So hat Gott seine Gerechtigkeit offenbar gemacht.
Alles bleibt an mir krumm, unwahr und ungerecht, bis du mich zurecht bringst, und alles kommt zurecht, weil du mich in den Glauben stellst. Nun sehe ich auf dein Gericht und murre nicht und empfange dein Vergeben und mache keine Erlaubnis zum Bösen daraus und empfange deine Erkenntnis und bereite mir aus ihr keinen Ruhm und empfange deine Leitung und tue mein Werk nach deinem Willen. O du Geber der Gerechtigkeit, du bist die Sonne des Heils. Amen.

Welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut.
Römer 3,25

Wurde ein Tempel gebaut, so war die wichtigste Frage, von der die Heiligkeit des Tempels abhing: was wird in seinem innersten Raum hineingestellt, der nicht der Gemeinde und den Priestern, sondern Gott vorbehalten ist? Die anderen Völker stellten in diesen innersten, verschlossenen Raum ein Bild Gottes, dem sie ihren Tempel weihten. Das tat Mose nicht. Ihn hatte die herrliche Größe des göttlichen Gebots: du sollst dir von mir kein Bildnis machen, sich untertan gemacht. Aber ganz leer ließ er den innersten Raum des heiligen Zeltes nicht. Eine Lade stellte er hinein, in die er das Gesetz legte, und über der Lade war der Deckel, den die Cherubim beschirmen, und dorthin sandte er einmal im Jahr den Priester mit Blut, damit er die Lade besprenge und sich für sich und das Volk die Vergebung hole. Diesen Deckel der Lade nannte die jüdische Gemeinde den „Gnadenthron“. An das, was das alte Heiligtum dem Volk zeigte, hat Paulus gedacht, wenn er auf das Kreuz Christi sah. Freilich war hier ein großer Unterschied sofort sichtbar. Der alte Ort, an dem die Vergebung empfangen wurde, war verborgen und verschlossen. Niemand sah ihn als der Hohepriester allein. Nun aber hat Gott den Gnadenstuhl hervorgestellt und sichtbar für alle gemacht. Dorthin richtet sich nun der Blick eines jeden, dem das Evangelium das Auge geöffnet hat. Was aber jetzt in weltgeschichtlicher Sichtbarkeit für jedermann vorhanden ist, das ist wieder ein Gnadenstuhl wieder eine Stätte, an der die Vergebung empfangen wird, wo die Schuld endet, der Zorn schweigt, die Feindschaft beseitigt und zwischen dem heiligen Gott und dem schuldigen Menschen die Gemeinschaft gestiftet wird. Das, sagt Paulus, hat Jesus geschaffen, als er starb. Das ist die Frucht und der Segen seines Todes. Zweierlei dient Gott als Mittel, durch das er uns die Vergebung darreicht, Jesu Blut und unser Glaube. Sein Blut gibt Jesus und heiligt dadurch Gottes Recht und leidet Gottes Gericht und bringt ihm den vollendeten Gehorsam dar. Gehorsam ist nötig, damit Vergebung möglich sei. Dieser Gehorsam ist Jesu Tat. Und nun erfasst das, was er tat, auch mich und bringt mich zum Glauben. Nun ist die Vergebung mir geschenkt. Nun gibt es für mich und die ganze Welt einen Gnadenstuhl.
Dein Bote, lieber Herr, hat mir wieder das Evangelium gesagt. Ich kann nicht müde werden, es zu hören. Es ist der Grund, auf den Du mich gestellt hast, damit ich vor Dir bestehe und für Dich lebe. Ich will empfangen, was Du mir gibst, mich an deiner Gnade freuen und mit dem Psalmisten danken und sagen: Wohl dem Menschen, dem Du die Sünden vergibst. Amen.

Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist aus. Durch welches Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz.
Römer 3,27

Mächtig ertönt der Ruhm in der Judenschaft: wir sind das heilige Volk und alle anderen Völker sind von Gott verworfen, und mächtig schallte es in Jerusalem: wir sind Gottes Stadt, Rom dagegen ist des Teufels Stadt, und hoch erhob sich jeder Fromme: Ich bin gerecht und nicht wie die anderen, die sündigen. Auch Paulus war, bevor er Jesus kannte, eifrig dabei, sich den denkbar größten Ruhm zu erwerben, einen größeren als den, den die anderen hatten. Nun aber jubelt er in dankbarer Freude: der Anlass zum Ruhm ist verschwunden, vertrieben und hinausgesperrt. Darin erkennt er die herrliche Wohltat Jesu. Warum ist der Ruhm in Wahrheit bitteres Elend? Er ist nicht wahr, sondern entsteht immer dadurch, dass wir uns hübsch färben. Er kann nicht ohne die Verheimlichung dessen entstehen, was an uns verwerflich ist. Darum ist der Ruhm auch immer ungerecht. Der Stolz rühmt sich und fällt damit in die Undankbarkeit und Gottlosigkeit hinab, die vergisst, dass uns das, womit wir uns rühmen, gegeben ward. Darum entsteht aus dem Rühmen immer mit lodernder Flamme der Streit. Jeder erniedrige den anderen, indem er sich erhöht, weil er nur glänzen kann, wenn die anderen verdunkelt sind. Nun aber ist all dieses Elend vergangen. Das Bedürfnis zu lügen ist von uns genommen. Wir erkennen Gottes Gnade und verleugnen seine Gabe nicht und sind miteinander in den Frieden gestellt. Ist es aber wirklich so?
Rühmt sich nicht auch die Christenheit, wenn sie sich mit den anderen Religionen vergleicht, und in der Christenheit jede Gruppe gegen die andere und jeder gegen die, die er für unfromm hält? Das kann uns aber nicht überraschen; denn Paulus hat deutlich gesagt, wie das Ende des Rühmens zustande komme, nicht durch das Gesetz der Werke, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Wenn wir uns in der Christenheit wieder unter das Gesetz der Werke stellen, zum Beispiel so, dass wir aus unserem Glauben das verdienstvolle Werk machen, mit dem wir Gott versöhnen und verehren, dann ist sofort wieder das Rühmen wach und richtet mit seinen Lügen und Bosheiten aufs neue alles Unheil an. Es ist aber in Wirklichkeit beseitigt und verschwunden, wenn uns das Gesetz des Glaubens regiert und uns mit wirksamer Macht gezeigt hat, dass unsere Gerechtigkeit und unser Leben Gottes Werk und Jesu Gabe sind.
Dich, heiliger und herrlicher Gott, rühmen alle deine Kinder. Auch ich wecke meine Seele auf zu Deinem Lob. Damit ist mein eigener Ruhm begraben und dafür preise ich Dich in froher Dankbarkeit. Amen.

Heben wir das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.
Römer 3,31

Wäre ich auf der Flucht vor Gott, dann würde ich sein Gesetz von mir stoßen und mit starkem Verlangen bemühen, ihm nirgends zu begegnen. Nun aber ruft mich Gott zu sich, reicht mir seine Hand, dass sie mich halte, und zeigt mir sein Werk, damit mein Leben in ihm begründet sei. Wie könnte ich nun im Streit mit dem Gesetz verharren? Das Gesetz verwirft alle Bosheit; sie sei verworfen mit ganzer Entschlossenheit! Das Gesetz macht mir die Bosheit zur Schuld; sein Urteil ist wahr und leuchte in meiner Seele. Das Gesetz zeigt mir, wie gut und herrlich Gottes Wille ist; ich sehe dies und will gehorchen. Wie kann ich etwas anderes begehren, als dass ich Gottes Willen tue? Das Gesetz spricht nicht nur zu mir, sondern zu uns allen, vereint uns zur Gemeinde und macht aus unserem gemeinsamen leben den gemeinsamen Gottesdienst. Wie könnte ich Gottes Gnade nur an mich allein ketten, wie mir verbergen, dass sie den Brüdern wie mir gegeben ist und dass sie uns zur einträchtigen Schar verbindet, in der auch ich für meinen Dienst zum Wohl des anderen und zu Gottes Ruhm mein Plätzchen habe? Darum gebietet das Gesetz die Liebe und ich kann und will ihm nicht widersprechen. Gott gibt mir die Liebe dadurch, dass er mir den Glauben gibt. Und doch bleibt es der Glanz in Gottes Regierung, dass sie uns „ohne Zutun des Gesetzes“ die Gerechtigkeit bereitet hat, nicht so, dass Gott gebietet und wir sein Gebot erfüllen, nicht so, dass Gott richtet und wir an unserer Übeltat sterben, nicht so, dass Gott lohnt und wir durch unser Verdienst leben, sondern so, dass die Schuld getilgt ist durch sein Vergeben und der Glaube empfängt, was er erbittet, und die Liebe fruchtbar macht, was der Glaube empfing. Dass Gottes Wort nicht zu mir sagt: Du sollst! Sondern sagt: Sieh, was Gott tut, und nimm, was Gott gibt, das macht aus seinem Wort die Kraft Gottes zur Seligkeit.

Mich verlangt, Herr Gott, nach Deinen Geboten. An Deiner Gnade stirbt der Widerspruch meiner Natur, der Dein Gebot nicht gefällt. Es ist ja höher und herrlicher als unsere menschliche Art und hebt unser Verlangen zu Deinem gnädigen Willen empor. Mache mir ihn nach Deiner Barmherzigkeit sichtbar in allen Dingen, damit ich an Deiner Hand bleibe als Dein dir willig folgendes Kind. Amen.

Kap. 5

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt. Geduld aber bringt Bewährung. Bewährung aber bringt Hoffnung.
Römer 5,3+4

Paulus hat das Rühmen hinausgesperrt und seine verächtliche Hässlichkeit gründlich erkannt. Gerade deshalb war niemand des Rühmens so voll wie Paulus. Es gibt nichts, was ihn nicht stärkt. Überall empfängt er die Mehrung des Glaubens, die Erhebung der Seele zum Lob Gottes, vertiefte Anbetung, erhöhte Freude. Das bereitet ihm sogar der Druck, den der Widerstand der Menschen auf ihn legt. Wie peinlich war er! Er verengt seine Arbeit und umringt ihn mit einer Mauer, die ihn zu den Menschen kommen lässt. Trübsale, das sind bei ihm Synagogen, vor deren wildem Geschrei er weichen muss, Städte, die ihm ihre Tore verschließen, Beamte, die ihn misshandeln, ganz Israel, das sich mit einmütigem Hass gegen ihn empört. Wir würden schon dann staunen, wenn er nichts weiter täte, als dass er die Klage unterdrückte und die ihm auferlegte Last in stiller Ergebung trüge nach der Weise des Psalmisten, der zu seiner Seele sagte: „Was bist du so unruhig in mir, harre des Herrn.“ Paulus bleibt aber nie auf halbem Weg stehen, sondern ist immer entschieden und gewinnt an dem, was ihm widerfährt, nicht nur die Ergebung, sondern den Ruhm. Den natürlichen Bestand des Lebens bewahrt er dabei unversehrt und bereitet sich den Ruhm nicht durch seine Künstelei. Nicht deshalb rühmt er sich der Bedrängnis, weil sie ihn nicht drückt; vielmehr deshalb, weil sie Bedrängnis ist und ihn beständig mit peinlichen Schmerzen belädt, wird sie sein Ruhm. Er erprobt an der Wucht des gegen ihn geführten Stoßes die Festigkeit dessen, was Gott in ihm geschaffen hat. Verschließt sich ihm die Welt, so sieht er, dass er von ihr frei geworden ist. Widerstehen ihm die Menschen, so erfährt er, dass er im Christus lebt und mit seiner Kraft seine Arbeit tut. Er dachte aber nicht nur daran, dass ihm selbst und mit ihm allen denen, die mit ihm leiden, die Standhaftigkeit und Bewährung zuteil wird; denn er vergisst nicht, dass die Bedrängnis seine Arbeit hemmt und seinen Dienst verhindert. Dennoch wird sie ihm zum Grund des Ruhms, weil aus ihr die Hoffnung entsteht. Für sich hofft er, dass er als im Leiden bewährt des Reiches teilhaft werde und den Kranz der Gerechtigkeit empfange, jedoch nicht nur für sich, so dass er nur auf seine eigene Vollendung hoffte, sondern er denkt an Gottes große Ziele. Indem ihm aus der Tiefe der Schmerzen das große Hoffen mit verstärkter Kraft aufsteht, leuchtet über allen Hemmungen seiner Arbeit die Gewissheit: der Herr vollendet sein Werk.
Mir wird bange, wenn ich betrachte, was die Welt mir zeigt. In ihr ist viel Schreckliches zu sehen, viel Zerstörung, viel quälender Jammer, viel Teufelei. Was soll mir dieser Jammer geben? Die Hoffnung, Herr, heiliger Gott, die sich Deiner Verheißung freut. Du bist der Herr über allem Tumult des Menschen und vollbringst Deinen Willen. Das ist unser Ruhm. Amen.

Wir werden je viel mehr durch ihn behalten werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind.
Römer 5,9

Noch haben wir das Ziel nicht erreicht. Hoch ragt es über das empor, was uns die Gegenwart gewährt, denn das Ende der Wege Gottes ist unbeschreiblich groß. Auch die Natur zeigt uns dies; wie grenzenlos ist das, was Gott geschaffen hat! Was uns Jesus gebracht hat, zeigt uns die Herrlichkeit der göttlichen Ziele nicht weniger klar; denn in Ihm ist die vollkommene Gnade erschienen, die alles neu macht, weil sie die Auferstehung wirkt. Das hat im Maß unseres gegenwärtigen Lebens noch nicht Raum, sondern wendet unseren Blick unablässig hin zu dem, was kommt. Der Zorn wird kommen, sagt Paulus. Wenn Gott sein ganzes Wort spricht, flößt es alles Böse aus Gottes Welt hinaus. Es gibt keine Offenbarung Gottes, ohne dass sein unversöhnlicher Widerspruch gegen unsere Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit offenbar wird. Darum vollbringt, wenn Gottes Reich in Herrlichkeit kommt, sein Zorn sein allmächtiges Werk. Muss ich zagen? Wird mein Christenstand zur geängstigten Frage, ob ich wohl selig werde? Wird er durch den Blick auf das Kommende von quälender Sorge beschattet? Viel mehr, sagt Paulus, werden wir behalten werden vor dem Zorn. Indem Paulus nach der Zukunft schaut, lässt er das, was Gott getan hat, nicht verschwinden. Unverwandt ist sein Blick auf den gerichtet, der sein Blut für uns gegeben hat. Indem er für uns starb, hat er die Kette unserer Verschuldung gesprengt und sich zu unserer Gerechtigkeit gemacht. Das ist der Fels, auf den uns Paulus stellt, wenn er unseren Blick zu Gottes kommendem Tag erhebt. Aus Gnade folgt Gnade; aus der durch das Blut Jesu geschaffenen Gerechtigkeit entsteht das Leben. Hat Gott mir den heutigen Tag mit seiner Gnade gefüllt, so füllt er mir auch den morgenden. Macht er aus meinem irdischen Leben seine Gemeinschaft mit mir, so umfasst diese Gemeinschaft auch die kommende Welt. Gottes Liebe treibt die Furcht aus, auch die vor der Allgewalt des kommenden Zorns.
Dein Reich komme, Vater. Das ist die Bitte deiner Kinder. Es komme mit seiner richtenden und mit seiner verklärenden Gerechtigkeit. In Deinem Willen ist beides eins, Dein Zorn und Deine Gnade, Dein Richten und Dein Vergeben. Du lässt uns jetzt Dein Licht scheinen und hast uns seinen Aufgang dazu beschert, damit es nicht in Nacht untergehe, sondern uns ewig leuchte. Fülle mir meine Tage mit Deiner Gnade. Dann wird aus jedem von ihnen ein Schritt hinein in Deinen ewigen Tag. Amen.

Gleichwohl durch eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch eines Gehorsam viele Gerechte.
Römer 5,19

Neben dem Namen Jesu stellt Paulus keinen zweiten Namen. Die gefeierten Namen der Väter, die Israel beständig mit Verehrung nannte, haben keinen Platz mehr neben dem Namen Jesu und ebensowenig gibt es in der Christenheit unter ihren Aposteln und Propheten einen Namen, den Paulus neben Jesus nennt. Was Jesus die Unvergleichlichkeit gibt, spricht Paulus mit dem einem Wort aus: Jesus hat gehorcht. Das stellt ihn neben Adam und macht ihn zur Wende der Weltgeschichte. Dort war es der Ungehorsam, hier der Gehorsam, aus dem das Schicksal der Menschheit entstand. Denn Paulus hielt Gott für die alles bestimmende Wirklichkeit, von der sich der Mensch nie losmachen kann. Wie sich der Mensch zu Gottes Willen verhält, das ist derjenige Vorgang, der über alles entscheidet, was aus ihm wird. Im Streit mit Gott bereitet er sich den Tod. Die Einigung mit Gott bringt ihm Leben und Herrlichkeit. Um im Frieden Gottes zu leben, gibt es aber nur einen einzigen Weg, Gehorsam. Die regierende Herrlichkeit Gottes wehrt jede Verdunkelung ab. Sein Wille muss geschehen. Die Einigung mit ihm geschieht durch die Unterordnung unter ihn, durch die Hingabe des eigenen Willens an den seinen. Jesus hat gehorcht; darum spricht Paulus aus, warum er den anbetet, der am Kreuz hing. Denn das Kreuz gab dem, was Jesus tat, das Merkmal des vollendeten Gehorsams. Dort verschwindet der Mensch und Gott wirkt allein. Sein Wille wird zum Gebet, das ins Innerste hineingreift, die völlige Entsagung fordert und die Selbstverleugnung zur Vollendung bringt. Das gibt dem Leiden seine heilige Majestät. Die natürliche Gegenwehr, die das Leiden ablehnt, muss überwunden sein, und indem Jesus sie überwunden hat, hat er gehorcht. An eine zwecklose Entsagung, die nur feststellt, dass der eigene Wille entwurzelt ist, hat Paulus, wenn er auf den in den Tod gegebenen Christus sah, nie gedacht. Er war vielmehr reich an Worten, die die zweckvolle Weisheit und allmächtige gnade preisen, die sich im Kreuz Jesu offenbaren. Aber sein Glaube, der ihn mit dem Gekreuzigten verband, beruhte nicht erst auf dem, was als Frucht und Segen aus dem Kreuz erwuchs, sondern darauf, dass hier der Sohn dem Vater gehorchte und sein Leben dahingab, damit der Wille des Vaters geschehe. Darin sah Paulus das Neue, allein Unmögliche, nie sonst Geschehene und doch schlechthin Notwendige. Das gab Jesus die Heilandsmacht.
Durch Deinen Gehorsam, o Jesus, erwarbst Du uns, den Verschuldeten, die Vergebung. Durch Deinen Gehorsam kommt die Gnade zu uns, den Ungehorsamen. Durch Deinen Gehorsam bringst Du uns, den im Fleisch Gebundenen, den Geist. Durch Deinen Gehorsam verwandelst Du Sterben in Leben. Dein Gehorsam ist Dein ewig leuchtender Ruhm. Amen.

Kap. 6

Wie sollen wir in der Sünde wollen leben, der wir abgestorben sind? Römer 6,2

Nun juble, Herz! Kannst du dir Herrlicheres denken oder Größeres begehren? Abgestorben sein für deine Sünde, tot, also unerreichbar und unberührbar sein für deinen gottlosen und boshaften Willen und unbeweglich für die an dir zerrende Zuckung deiner falschen Begehrung, welch ein Geschenk ist das, welche Erweisung der göttlichen Gnade, so groß, dass du nie genugsam danken kannst! Schon das war ein großes Geschenk, als das Gesetz Gottes zu dir kam und dich von deiner Sünde schied, so dass du sagen durftest: was ich nicht will, das tue ich, und vollbringe, was ich hasse. Aber das war nach ein schwerer Stand, ein Elend, die Lage des ermüdeten Wanderers, der nach einem fernen Ziel strebt. Nun aber tot sein für das Böse, das ist Erlösung, das ist Freiheit und Neuheit des Lebens an Stelle deiner Erstorbenheit. Gibt es das? Wenn ich mich selbst studiere, kann ich das nicht finden. Meine Sünde ist nicht tot, weder die alte, die einst geschah, deren Folgen nachwirken, noch die kommende, die mich heut und morgen in Gedanken, Worten und Werken schuldig macht. Allein davon, dass meine Sünde gestorben sei, sagt das Wort des Paulus nichts. Er kann mir nicht sagen: deine Sünde ist tot, weil er den Zusammenhang zwischen der Sünde und der Natur nicht verhüllt. Was er uns dadurch sagt, dass er uns „Fleisch“ nennt, kann ich nicht von mir wegschütteln. Das bin ich und mit dem Fleisch ist jene Begehrlichkeit in mir vorhanden, die das Gesetz verdammt, weil sie nur nah dem greift, was mir selber schmeckt und nützt und nicht nach Gottes Willen fragt. Du, sagt mir Paulus, bist der Sünde gestorben. Denn Christus ist gestorben und sein Kreuz ist das Ende nicht nur der Strafe, nicht nur der Hölle, nicht nur des Zorns, sondern des Sündigens. Du kannst nicht von der Strafe frei werden, wenn du nicht vom Sündigen loskommst. Soll ich sagen, das sei eine Verheißung? O nimm es auch als Verheißung in deine Seele hinein. Eine Verheißung zu haben und erst noch eine solche, die dir den Tod für deine Sünde verspricht, ist eine große Sache. Aber ganz habe ich das Wort des Paulus noch nicht gefasst, wenn ich es nur in die Zukunft lege, etwa erst in jene Stunde, da mir der Tod den Leib zerbricht und das Leben an einem neuen Ort den neuen Anfang bekommt. Denn Paulus beschreibt mir Christus und sein Werk nicht nur als zukünftig. Er ist auch gegenwärtig und er ist dies in der Kraft seines Kreuzes mit seiner Heilandsmacht, durch die er für unsere Sünde gestorben ist. Indem der mich zu sich nimmt und mir das gibt, was er wirkt, tritt sein Tod mit seiner Segensmacht in mein Leben hinein und die selige Frucht dieses meines Anteils an seinem Tod ist, dass ich für die Sünde tot geworden bin. Nun habe ich mich an Christus angeschlossen und bin von ihm gehalten und bewegt, und weil das etwas ganz anderes ist als meine Natur und etwas ganz anderes als mein natürliches Begehren, darum steht nun zwischen mir und meiner Sünde eine starke, sichere Scheidewand.

Was ich bin, darf nicht bleiben; es muss sterben und es wurde in den Tod gegeben, als Du, Herr Christus, Dein Kreuz getragen hast. Von Dir her kommt der neue Anfang meines Lebens auf Grund der gerichteten Sünde, auf Grund der vergebenen Schuld, auf Grund der ins Grab gelegten Natur. Neu ist dieser Anfang, durch Dich bewirkt, in Deiner Gemeinschaft mit mir begründet, im Glauben empfangen. Amen.

Wisset ihr nicht, dass alle, die wir in Jesus Christi getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?
Römer 6,3

Entsteht nicht banges Zagen an der großen Verheißung, die in die Taufe eingefasst ist? Am Anfang meines Lebens steht das göttliche Wort: deine Sünden sind dir vergeben. Sie kommen aber erst noch in jedem Kindlein, das wir taufen, und die Dunkelheit, in der ein solches Kindlein sein Leben beginnt, ist oft mit Händen zu greifen. Die ganze Last der Vererbung liegt auf ihm, nicht nur, was seine ihm am nächsten stehenden Ahnen angerichtet haben, sondern die berghohe Masse der Erbschuld, die unser Volk auf sich hat, alles, was die früheren Generationen an den Kommenden gesündigt haben, sondern die berghohe Masse der Erbschuld, die unser Volk auf sich hat, alles, was die früheren Generationen an den Kommenden gesündigt haben, und in all dem wirkt allgewaltig jener Zwang, der aus dem Natürlichen das Sündliche entstehen lässt. Dennoch taufen wir und verkünden beim Beginn eines jeden Lebens: deine Sünden sind dir vergeben; sei versöhnt mit Gott. Woher nehme ich den Mut, an meine Taufe und an die Taufe meines Volkes zu glauben? Wir sind auf Jesu Tod getauft. Die Taufe hat ihren Grund nicht nur in einem Wort, das nur Verheißung wäre, sondern stellt mich auf eine Geschichte und diese Geschichte ist die von Golgatha. Dort erhalte ich nicht nur einen Unterricht über Gottes Gesinnung, der mir eine Güte beschriebe, die nicht sichtbar wird, weil sie in dieser Welt noch nicht zum Wirken kommt. Dort hat Gottes gnädige Gerechtigkeit ihr Werk vollbracht und ist dadurch offenbar geworden, jene Gerechtigkeit, die der Sünde dadurch das Ende bereitet, dass sie sie verzeiht. Die Taufe, die wir allen geben, spricht aus: Christus ist für alle gestorben. Sie bezeugt: Jesus hat auch mir und uns allen sein Blut geschenkt; wir alle stehen unter dem, der für uns zur Sünde gemacht wurde, damit Gottes heilsame Gerechtigkeit uns die Gerechtigkeit des Glaubens gebe. Weil es ein Lamm Gottes gibt, das die Sünde der Welt trug, darum gibt es eine Taufe für die Welt. Unsere Taufhandlung hat deshalb denselben Schluss wie die Taufpredigt der Apostel. Das Ziel ihrer Taufpredigt war die Begründung des Glaubens. Unser Taufen setzt neben die menschliche Sündhaftigkeit Gottes Vergeben. Wie kann der, der vor Gott schuldig geworden ist, die Vergebung besitzen? Dadurch, dass er der göttlichen Gnade glaubt.
Ich merke bei jedem Verkehr mit den Menschen, wie gering und schwächlich mein Glaube ist. Ich kann es nicht festhalten, dass sie in Deiner Vergebung leben, sondern sehe nur, was die Natur aus ihnen macht und sie selbst in ihrer Verkehrtheit anrichten. Ich muss und will das sehen mit ganz klarem Blick; denn vor Dir besteht keine Lüge und gilt kein Schein. Ich soll aber auch deine Gnade sehen, die uns die Vergebung bereitet hat. Mehre mit meinen Glauben so, wie Du ihn uns vermehrst und stärkst, so nämlich, dass wir mit beleuchteten Augen in die Herrlichkeit Deiner Gnade schauen. Amen.

Dass er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu einem Mal; das er aber lebt, das lebt er Gott.
Römer 6,10

Weder im Sterben noch im Leben hat Jesus an sich selbst gedacht. Als er sterben wollte, litt er nicht für sich. Der Sünde wegen wollte er leiden und sterben und diese sitzt in uns, nicht in ihm, und nachdem er lebendig geworden war, lebte er nicht für sich. Vom geplagten Lazarus hat Jesus gesagt: „Einst hat er gelitten, jetzt wird er getröstet.“ Das ist aber nicht die Überschrift zur Ostergeschichte. Sie ist nicht die Jesus gewährte Vergeltung für das, was Gott ihm Hartes aufgelegt hat. Nun lebt er für Gott. Gottesdienst war freilich auch das, dass er das Kreuz ergriff, auch das, dass er dürstet, auch das, dass er seine Verlassenheit von Gott als seine große Not empfand. Damals aber bestand sein Dienst darum, dass er sich zu uns herabbeugte, uns sich gleichstellte und das tat, was unsere Lage notwendig machte, und deshalb gab ihm damals unsere Sünde sein Ziel. Aber sein Name „Christus der HERR“ sprach noch von Größerem, nicht nur vom Dienst des Samariters, der den Sterbenden aus der Wüste in die Herberge trägt, sondern von der Offenbarung Gottes, von Gottes Gnadenmacht und Leben schaffender Herrlichkeit, vom Ziel der Schöpfung, die noch auf die Vollendung wartet, vom ewigen Gut, das nicht innerhalb der Zeit entsteht und uns nicht von der Natur dargereicht wird, zu dem wir durch Auferstehung gelangen. Darum, weil Jesus diese Sendung gegeben ist, lebt er und darum ist sein Leben in neuer Weise ein Gottesdienst. Jetzt lebt er für Gott. Am Gang Jesu, der ihn aus dem Tod für die Sünde in das Leben für Gott führte, erkennt Paulus den für uns alle gültigen Willen Gottes. Alles, was uns die Zukunft bringen wird, gründet er darauf, dass Jesus für uns die Vergebung mit seinem Blut erworben hat. Damit bin ich aber noch nicht an das Ziel gelangt, zu dem mich Gottes Gnade führt. Was soll daraus werden, dass Gott mich durch den, der für die Sünde starb, von meiner Schuld befreit und für meine Bosheit tot gemacht hat? Ein verbesserter Mensch, eine verklärte Seele, ein verewigtes Ich? Nein! Wer für die Sünde gestorben ist, der lebt für Gott. Das ist Gottes Ziel und Gabe; den für ihn lebendigen Menschen macht er aus dir. Das halte fest bei allem, was jetzt dein Leben füllt, und halte es auch fest, wenn du an das ewige Leben denkst. Denke nicht nur an die labenden Früchte und den erquickenden Schatten der Paradiesbäume. Die, die ewig leben, leben für Gott.
Du hast mir, Vater, die Erkenntnis des Bösen und des Guten gegeben. Verwerfliche Bosheit ist es, für mich selbst zu leben. Das zeigst Du mir am Kreuz Deines Sohnes, der sterbend die Last unserer Sünde trug. Und herrliche Gnade ist es, für Dich zu leben. Auch das zeigst Du mir an Deinem Sohn, der nun in Herrlichkeit für Dich lebt und an uns Deinen gnädigen Willen wirkt. Ich schaue anbetend auf das Wunder Deiner Hand, die den Tod und das Leben zusammengebunden und durch beides Dich verherrlicht hat. Amen.

Kap. 7

Die Sünde erkannte ich nicht ohne durch das Gesetz; denn ich wusste nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: lass dich nicht gelüsten.
Römer 7,7

Was zeigt mir Paulus als meinen tiefen Schaden? Ich bin ein Haufen von Wünschen, eine Sammlung von Begehrungen, immer hungrig, immer damit beschäftigt, etwas zu gewinnen, immer der Mehrer meines Eigentums und meines Glücks. Du sollst nicht begehren, sagt Paulus und er entfernt vom Gebot jede Beschränkung. Bei Mose sind diese das Gebot beschränkenden Angaben unentbehrlich; denn Mose gibt der Volksgemeinschaft das Recht, auf dem ihr Bestehen und Gedeihen beruht. Darum ist dort vom Weib und Tier und Haus des Nächsten die Rede. Bei Paulus spricht das Gebot zu mir selbst und ordnet nicht meine Beziehungen nach außen, sondern schafft Klarheit über das, was in meinem Inneren geschieht. Was soll ich denn, wenn ich nicht begehren soll? Gehorchen, nicht selbst mir einen Willen erfinden, sondern Gottes Willen tun, nicht für mich sorgen, sondern Gott dienen. Die Antwort, die wir alle dem Gebot geben, lautet: das ist unmöglich; das können wir nicht. Wenn nur das Gesetz zu mir spricht, hat es die Natur gegen sich und sie entkräftet sein Gebot. Damit es zur Erfüllung komme, muss eine andere Macht in mir wirksam werden als nur das Gesetz, nicht nur Gottes gebietender, sondern sein schaffender Wille, nicht nur das Gesetz und die Schrift, sondern der Christus und der Geist. Nun spricht Gottes Wort nicht nur von außen an mich heran, sondern wird mein Eigentum und bewegt, weil es mir Glauben gibt, mein Begehren von innen her. Nun ist nicht nur das Gebot, sondern das Werk des Gesetzes in mein Herz geschrieben, weil Gottes Wille zu meinem Willen wird. Habe ich dadurch das Wünschen, Planen und Erwerben verloren?
Weil die Natur die Begehrung in mir hervorbringt, kann sie nicht verschwinden. Das natürliche Leben ist und bleibt der Boden, in den Christus das geistliche Leben hineinpflanzt. Fordert die Natur von uns, dass wir uns selbst erhalten, so zeigt sie uns die nie entbehrliche Voraussetzung, ohne die die Liebe zerfällt. Wer nichts erwirbt, kann nichts geben und wer kein einziges Begehren hat, kann nicht gehorchen. Es ist aber etwas völlig Neues entstanden, was die Natur niemals schafft, wenn der gnädige Wille Gottes uns so erfasst hat, dass wir an Ihn glauben.
Mein Begehren schreit beständig: Ich, ich! Du aber, Vater, kannst dieses Getöse zur Ruhe bringen. Denn Dein Wort spricht zu mir von Dir. Ich danke Dir, dass wir Dir gehorchen dürfen. Amen.

Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
Römer 7,19

Wenn Gottes Gebot zu mir kommt, weckt es freilich meinen Widerwillen auf. Denn ich muss empfinden, dass es von meinem Willen gänzlich verschieden ist. Ich kann ihm aber auch zustimmen und meinen Widerspruch zum Schweigen bringen. Dann will ich das Gute. Allein damit ist die in mich hineingelegte große Frage noch nicht erledigt. Denn der Wille ist entwertet und widerlegt, wenn er nicht in der Tat zur Vollendung kommt. Kann ich auch dann, wenn ich das Gute will, so handeln, dass es geschieht? Hier gibt es aber erst wieder Schwierigkeiten, die mir neue Not bereiten, auch wenn das inwendige Gespräch mit dem göttlichen Gebot so zum Abschluss kam, dass ich zum Guten entschlossen bin. Denn zum Handeln brauche ich meinen Leib. Alles, was Tat wird, vollzieht sich im natürlichen Bereich. Das heißt, Lust und Unlust sind aufgewacht und ziehen mich. Glück und Unglück werfen die Bilder in mich hinein und Gott verbirgt sich für mich hinter der massiven Sichtbarkeit des natürlichen Geschehens. Dafür stehen die Menschen als gewaltige Gestalten vor mir, die mir bei jedem Handeln unentbehrlich sind. Mit ihnen, gegen sie, für sie handle ich, und sie legen mir ihren Willen auf, dem ich mich fügen muss. Ihr Lob ist falsch; ihre Ansprüche fordern das Böse; ihre Gemeinschaft erträgt Gottes Ordnung nicht. Diese zum Bösen treibenden Kräfte sind stärker als mein guter Wille. Sowie ich handle, erhält das natürliche Begehren das Übergewicht. Daher sitzt in uns Menschen die Angst vor dem Handeln und wir versuchen es, der Natur zu entrinnen und einen Standort zu erreichen, der uns von der Welt entfernt und uns das Handeln erspart. Sie sind oft rührend, diese Versuche, zwischen unserer Seele und der Welt eine Mauer aufzurichten, hinter der die Seele geborgen sei. Sie scheitern alle; denn sie streiten gegen die Bedingungen, an die unser Leben gebunden ist. Es gibt kein Kloster, und sei es noch so hoch ummauert und in feierlicher Stille eingetaucht, in dem das Wort aufgehoben wäre: Das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wie wird es aufgehoben? Im zentralen Vorgang, der das Innerste in uns ist, entsteht die Änderung. Dort wird uns ein neues Verhältnis zu Gott beschert, nicht nur das, das die Natur uns bereitet, auch nicht nur das, das aus dem uns enthüllten göttlichen Gebot entsteht, sondern das, das der gebende Gott uns schenkt, dessen Gnade zu uns kommt. In Christus sein, sagt mir Paulus, das ist die Befreiung vom Geflecht der natürlichen Notwendigkeit, die stärkere Macht als der natürliche Trieb und als der Menschen Gebot. Das Ende meiner Ohnmacht ist, dass ich im Glauben mit Gott verbunden bin.
Herr Gott, es ist nicht Dein Wille, dass ich auf mich selbst mich stütze und in mir selber ruhe. In mir ist nicht Friede und nicht Kraft und nicht Heil. Das alles ist bei Dir und ist Deines Geistes Werk, Deines Geistes Geschenk. Komm zu mir, Geist des Lebens, dann will und handle ich. Amen.

Kap. 8

Es ist nichts Verdammliches an denen, die in Christus Jesus sind.
Römer 8,1

Paulus hat tief empfunden, was es bedeutet „im Leibe zu sein“. Für unser Sehfeld sind die Grenzen durch das festgelegt, was uns die Sinne geben, und unser Begehren entsteht durch das, was unser Leib bedarf. Freude und Leid, was uns wehtut und was uns erfreut, beides sprudelt in uns durch die Weise hinein, wie die natürlichen Vorgänge uns berühren. Unser ganzer Verkehr mit den Menschen, alles, was wir ihnen geben oder von ihnen empfangen, wird durch den Leib vermittelt, begrenzt, geschwächt und befleckt. Aber unser inwendiger Verkehr mit Gott ist ganz an unser leiblichen Verrichtungen gebunden; auch zum Glauben brauchen wir ein normal arbeitendes Gehirn. Paulus schilt unser Versenktsein in den Leib nicht. So sind wir durch den schaffenden Willen Gottes, der uns durch den leiblichen Vorgang begabt und regiert. Er fragt aber: gibt es nicht noch eine andere Macht, die uns ebenso kräftig umfasst, wie unser Fleisch es tut? Ist die Natur das einzige, was uns trägt und formt? Und er antwortet: Christus ist da und darum sind wir in Ihm. Durch die Natur wird uns Gott nicht so gegenwärtig und wirksam, dass ich ganz und immer in Berührung mit Ihm wäre. Denn sie trägt mir nicht jene Gnade Gottes zu, die mich inwendig in meinem Willen mit Gott einigte. Nun ist uns aber Christus gegeben und in Gottes Weise bei uns gegenwärtig, durch nichts von uns getrennt, in Gottes Macht wirksam, daher Herr über unser ganzes Wesen, auch über die inwendige Bewegung unseres Geistes, der uns verleiht, was uns Gottes Gnade gibt. Was bedeutet nun das, dass wir nicht nur im Leib, sondern in Christus sind? Das ist das Ende der Verurteilung. Als die, die im Leib sind, sind wir unter dem Gesetz, daher im Streit mit ihm, da unser natürliches Begehren dem Gesetz Gottes widerspricht, folglich in der Schuld, die durch die Übertretung des Gesetzes entsteht. Darum bedürfen wir noch einen anderen Ort und Herrn als unseren Leib und dieser ist uns dadurch gegeben, dass Gott uns Christus gab. Nur das ist das Ende der Not, die uns die Natur und das Gesetz bereiten. Nun stehen wir unter der Gnade, sind bedeckt durch das Versöhnen Jesu und von seinem Geist bewegt. Daher gibt es keine Verurteilung mehr für uns. Uns hilft nicht eine stückweise Vergebung, nicht ein Freispruch in diesem oder jenem Fall. Denn die Verurteilung trifft mein Wesen, verwirft das, was ich bin, somit beständig will und tue. Diese Verurteilung ist nun ganz von mir genommen, weil Christus mich in seine Macht und Gnade hineingesetzt hat.
Kehre ich mich weg von Dir, Herr Christus, so entsteht der Jammer. Wende ich mich Dir zu, so beginnt der Dank, der jede Klage verdrängt. Du machst Dich zu unserem Herrn. Was bedarf ich mehr? Das ist Gerechtigkeit und Heil. Amen.

Das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christus Jesus, hat mich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.
Römer 8,2

Überall, wohin Paulus blickt, sieht er ein wirksames, unser Leben bestimmendes Gesetz. Auch in unserem Sündigen waltet ein Gesetz, eine von Gott zugeordnete Notwendigkeit, an die wir gebunden sind. Ebenso ist es ein von Gott uns auferlegtes Gesetz, dass wir sterben. Auch in dem, was unsere Vernunft von uns verlangt, ist ein Gesetz wirksam, das uns Gottes guten Willen zeigt. Wie steht es mit dem Geist? Auch er ist eins mit einem Gesetz, mit einer gültigen, wirksamen Ordnung, durch die der feste Wille Gottes mit einer unbedingten Geltung zur Erfüllung kommt. Der Geist trägt nicht Willkür in mich hinein und bedeutet nicht die freie Bewegung meiner Fantasie, durch die ich mir Ziele erfinde, als wäre mir durch den Geist die Vollmacht erteilt, mein Leben nach meinen Plänen zu ordnen. Der Geist macht Gottes Willen in mir wirksam; denn er trägt Gottes Wirken in mein inwendiges Leben hinein. Er macht mich darum von Launen und Zufall, von schwankendem Wechsel und grundlosem Belieben gänzlich frei. Der Weg, den er mich führt, leitet mich in Stetigkeit und Sicherheit zu Gottes Ziel, und dieses Ziel ist das Leben. Wie kommt dieses Gesetz zu mir? Wo erfasst es mich? In Christus, sagt Paulus. In Christus sein heißt im Gesetz des geistes sein und in Christus handeln heißt im Gesetz handeln. Damit ist der Ausgang meines Lebens gesichert und dem inneren Zwiespalt, der mich entzweit, die Entscheidung gegeben. Ohne den Geist steht meine Vernunft neben dem vom Körper mir gegebenen Trieb und meine Zustimmung zum göttlichen Gebot wird wertlos durch mein Unvermögen, es zu tun. Nun aber, da ich unter das Gesetz des Geistes gestellt bin, tritt eine Kraft in mich hinein, die stärker ist als der sündliche Wille; denn dieser ist der meine, der Geist aber ist Gottes. Führt mich das Sündigen in den Tod, so führt mich der Geist in das Leben und das Leben überwindet den Tod. Das Gesetz der Sünde und des Todes vergeht vor dem Gesetz des Geistes, und durch dieses Gesetz wird mir die Freiheit beschert. Indem ich sündigen und sterben muss, wird meine Unfreiheit sichtbar. Hier wurde über mich verfügt. Bei all dem dagegen, was der Geist mir gibt, bewege ich mich frei. Ich bin selbst der Glaubende und selbst der Liebende. Nun bin ich der Wollende und Handelnde, weil Gott mich bewegt.
Alles, was in mir frei ist, ist Deine Gabe, o heiliger Geist, alles, was ich mit ganzem Willen begehre, ohne dass mich meine Sündlichkeit und Sterblichkeit hindern kann. Daran erkenne ich deine schaffende Gnade, die in uns, die Gebundenen, die Sehnsucht nach der Freiheit legt und uns auch erfahren lässt, dass Du unsere Fesseln sprengst. Amen.

Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsst, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, Vater.
Römer 8,15

An den Knechten hat Jesus gern den Jüngern gezeigt, was ihre Stellung vor Gott sei, dass sie ihm mit allem, was sie sind und haben, gehören und ihre ganze Arbeit für ihn tun. Ebenso hat Paulus zusammen mit der ganzen Christenheit den Namen „Knecht Gottes“ zu seinem Ehrennamen gemacht, der allen sofort das Große zeigte, was ihm gegeben war und durch ihn zu den Völkern kam. Dabei bleibt Paulus auch in unserem Spruch, weil er die Knechtschaft, die die Alten Gott unterwarf, zu seinem Eigentum machte und in seinen Dienst stellte, als das Werk des Geistes beschreibt. Der Gedanke wäre kindisch, ein Mensch machte sich selbst zu Gottes Knecht. Man wird durch Gott zu Gottes Knecht und Gottes Werk geschieht durch seinen Geist. Dennoch haben wir mit dem Geist, der Knechte Gottes macht, noch nicht das vor uns, was Jesu Gabe für uns ist. Über dem Knecht steht der Sohn, und von Jesus, dem Sohne Gottes, geht der Geist der Kindschaft aus. Wie wird dieser Unterschied in unserem Verhalten sichtbar? Aus der Gebundenheit des Knechts an Gott, sagt Paulus, entstand die Furcht; aus der Versetzung in die Kindschaft entsteht der Ruf, der den Vater ruft. Scheu und still muss der Knecht warten, bis das Urteil des Herrn über seine Arbeit erfolgt, wie er in schweigendem Gehorsam das Gebot des Herrn zu empfangen hat. Der Sohn dagegen spricht zum Vater mit lautem Ruf, befreit von scheuer Ängstlichkeit. Hier ist nichts zu verheimlichen; in heller Öffentlichkeit ergeht das Bekenntnis und mit froher Zuversicht wird die Bitte laut. Ist denn die Furcht aus uns, den Kindern, verschwunden? Das kann nie geschehen. So wenig Paulus das Knechtsein vor Gott schielt, so wenig schilt er die Furcht. Sie bleibt ein unentbehrliches Glied unseres inwendigen Lebens. Aber sie ist nicht mehr die Wurzel unserer Frömmigkeit, nicht mehr die treibende Kraft in unserem Gottesdienst. Die Furcht ist uns dazu gegeben, damit sie uns zum Glauben führe, und dieser hat nun seinen Grund darin gefunden, dass uns Jesus zu sich selbst holt und uns mit sich in die Kindschaft Gottes stellt.
Dir zu gehören ganz und gar, Vater, das ist der Reichtum und die Ehre Deiner Knechte und Deiner Kinder. Du beugst uns aber nicht durch Deine Hoheit, sondern hebst uns zu Dir empor durch Deine Gnade und wandelst unsere Furcht in den Glauben, durch den Deine väterliche Liebe uns zu sich zieht. O mache mir Tag um Tag wieder Dein Evangelium hell. Amen.

Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi.
Römer 8,17.

Zuerst werde Gottes Kind, dann wirst du Gottes Erbe. Kehre die göttliche Ordnung nicht um und laß dich nicht verführen, nach dem zu greifen, was Gottes ist, ohne daß du ihn selber suchst und hast. Möchtest du das, was Gottes ist, ohne Gott zu deinem Eigentum zu machen, so wäre dies dein Fall. Die Kindschaft Gottes gibt mir die inwendige Verbundenheit mit Gott und dies ist das höchste Gut, das eine Notwendige, ohne das ich sterben muß. Gottes Werk in mir, daß er mir den Glauben und die Liebe gibt, ist das Köstlichste, was er mir schenkt. Darauf richte deinen Fleiß, daß sein Wort dir deine Gedanken und sein Wille dir dein Handeln geben. Nun aber fahre mit Paulus fort udn sei nicht zaghaft. Weil ich Kind bin, bin ich auch Erbe. Das Kind wird zum Mitbesitzer dessen, was des Vaters ist. Was ist Gottes Eigentum? Einmal die Natur. Weil ich sein Kind bin, wird sie mein Erbe, mein Besitz, den ich vewalte und regiere, so daß sie mir nicht mehr die wilde Eigensucht in die Seele legt, an der ich sterbe, sondern mir zum Lebensmittel wird. Nun wird es wahr, daß alles mir gehört und dient, sei es das Leben, sei es der Tod. Was gehört Gott weiter? Die Welt; denn all das, was die Menschheit mit ihrer regsamen Arbeit zustande bringt, wird von ihr mit dem hergestellt, was Gott ihr gab, und geschieht unter seiner Regierung. All dies gehört nun auch mir und wird mir zum Arbeitsmittel. Nun kann die Welt micht nicht mehr knechten und ich muß sie nicht mehr fürchten und mich nicht aus ihr flüchten. Als Gottes Kind stehe ich mit ihr im freien Verkehr, der für beide heilsam ist. Was ist weiter Gottes Eigentum? Seine Kinder gehören ihm. Es sei Paulus oder Apollos oder Kephas, alles, sagt mir Paulus, ist dein. Die ganze mannigfach begabte und verschieden geführte Schar, die auf Gottes Wegen geht, hat das, was sie empfing, auch für mich empfangen und fördert in der Weise, wie sie Gott dient, auch meinem Dienst. Aber nicht nur die auf der Erde Stehenden, sondern auch die Himmlischen sind Gottes Eigentum. Sein ist auch die kommende Welt, die das Himmlische und Irdische vereint, und ich darf wieder sagen: sei es das Gegenwärtige oder das Künftige, alles ist mein. Auch in Gottes ewiger Welt ist ein Platz mir zugeteilt; denn ich bin Gottes Kind. Erbe Gottes bin ich aber als Miterbe des Christus. Ich bin es nicht durch mich, sondern deshalb, weil er mir die Vollmacht gab, Gottes Kind zu werden. Weil ich des Christus bin, darum ist alles mein und Gottes Reichtum wird deshalb mein Besitz, weil ich dem Christus gehöre.
Du bist, Vater, der reiche Gott und machst deine Kinder reich. Darum treibt mich alles, was ich habe, zum Danken, und alles, was ich tue, darf und soll damit enden, daß es deine Herrlichkeit bezeugt. Amen.

Die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung.
Römer 8,20

Ist es nicht mein höchster Ehrenname und Grund zu jubelnder Freude, dass ich Kreatur bin, ein Werk Gottes, ein Erzeugnis seiner schaffenden Kraft? Aber diese Ehre zerrinnt und dieser Jubel verklingt, solange ich nichts anderes bin als Geschöpf. „Ein erbärmliches Geschöpf“, so sprechen wir Deutsche. Die Formel klingt fast lästerlich; ist denn ein Geschöpf erbärmlich? Indem ich es Geschöpf heiße, sage ich, dass es sein Dasein und seine Gestalt von Gott empfangen habe, und trotzdem nenne ich es erbärmlich, weil das, was es mir zeigt, Ohnmacht und Elend ist. Allein diese Sprechweise hat ihren ernsthaften Grund und hält ein erhabenes Merkmal des göttlichen Regiments ans Licht. Als Kreatur bin ich in der Tat nichts anderes als erbärmlich; denn Gott hat das, was er schuf, in die Eitelkeit und Vergänglichkeit versetzt. Sieh dir doch unser Hasten und Rennen, unser Arbeiten und Erwerben, unser Reden und Schreiben, unser Genießen und Leiden an; was kann man dazu anderes sagen als was Paulus sagte: Eitelkeit? Sind wir dennoch Kreatur und dazu von Gott gemacht? Eben in dieser Eitelkeit, von der wir uns nicht lösen können, tragen wir das Merkmal unserer Kreatürlichkeit an uns. Zu so nichtigen Wesen haben wir uns nicht selbst gemacht, sondern wurden der Eitelkeit unterworfen, und die Hand, die uns ihr unterwarf, ist die schaffende Hand, die uns das Dasein gab. Deshalb ist der Mensch für sich selbst ein Rätsel. Geschöpf und zugleich ohnmächtig sein, einen Willen haben, der nichts kann, und ein Leben haben, das stirbt, das ist freilich rätselhaft. Wir sollen auch die Rätselhaftigkeit unseres Daseins kräftig spüren. Denn dazu hat Gott das Hoffen in uns hineingepflanzt. Ich muss hoffen, wie jedermann hofft. Jeder lebt in der Zukunft, weil keiner bei dem verweilen kann, was er jetzt ist. Auch das ist das Wahrzeichen des Schöpfers, das wir an uns tragen. Er gab uns nicht nur die Leere, sondern auch die Sehnsucht, die auf ihre Füllung wartet, nicht nur die Fessel, sondern auch die Empfindung für ihren harten Druck und das Verlangen, das nach Freiheit dürstet. Sehen wir unser Ziel? Paulus sah es. Gott macht aus uns noch anderes als nur seine Kreatur; sein Kind macht er aus uns. Am Geschöpf zeigt er seine Macht, am Kinde seiner Gnade. Das Geschöpf ist gebunden in die ihm auferlegte Notwendigkeit; dem Kind gibt er seine Gemeinschaft, die es befreit. Nun weiß ich, warum ich als Geschöpf noch nichtig bin und wohin das Sehnen der Geschaffenen zielt. Gotteskindschaft ist das Ziel, zu dem Gott die Geschaffenen führt; dort findet ihre Sehnsucht das, was sie erfüllt.

Schaue ich Deine Macht, o unser Schöpfer, von dem alles ist, was besteht, so beuge ich mich vor Dir in Anbetung. Schaue ich Deine Gabe, o Vater aller Deiner Kinder, so wird aus meiner Anbetung das neue Lied der ewigen Danksagung. In unsere Nichtigkeit legst Du den Schatz Deines Wortes, das uns zu Deinen Kindern macht. Nun darf ich nicht nur hoffen, sondern auch glauben und lieben zu Deines Namens Preis. Amen.

Die Kreatur ist der Eitelkeit unterworfen ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung.
Römer 8,20

Als heimatlos beschreibt sich Jesus. Er hat nicht eine Wohnung, die ihm für die Nacht eine Stätte zu sicherer Ruhe darböte. Daher macht er auch die Seinen heimatlos. Einen Bau, wie der Fuchs sich ihn gräbt, oder ein Nest, wie ein Vogel es sich baut, verschafft er seinen Jüngern nicht. Die Armut Jesu wird dadurch nach derjenigen Seite sichtbar, an der sie besonders schmerzhaft drückt; nicht nur so, wie sie den verächtlichen Spott derer erregt, für die Reichtum das einzige solide Glück und Gut bedeutet, nicht nur in der Weise, dass die Entsagung nur den Genuss beschränkt und auf das verzichtet, was sich als verschönender Schmuck um unser Leben legt. Hier greift die Entbehrung das Unentbehrliche an und schmälert die Bedingungen des Lebens, die durch nichts anderes zu ersetzen sind. Die Arbeit des Tages ist geschehen und die ermüdende Wirkung macht sich fühlbar. Das Bedürfnis nach Ruhe ist da. Aber es fehlt der Ort, an dem sich der erquickende Schlaf finden ließe. Die schützenden Wände, die die anderen fern halten, fehlen und der dringende Anspruch, den der Dienst an Jesus stellt, treibt die Ruhe weg. Damit war nicht nur ein Luxus preisgegeben, der ohne Schaden entbehrt werden kann. Hier war auch das nicht vorhanden, was die Natur fordert und was sie deshalb auch dem Tier gewährt. Daraus wurde aber für Jesus keine Not, über die er klagen möchte, und auch für den, der ihm nachfolgen möchte, entsteht daraus kein Grund, der ihn abschrecken dürfte. Er hat sich freilich klar zu machen, was er tut, wenn er sich zu Jesus hält, ob ihm auch dann die Gemeinschaft mit Jesus Freude bleibt, wenn sie ihn heimatlos macht und ihm keine Ruhe lässt, ob seine Liebe die Kraft habe, dass sie ihm auch diese Entbehrung versüßt. An Jesus hat er vor Augen, dass die Liebe das vermag und den Sieg über unser natürliches Empfinden und Bedürfen gewinnen kann. Indem Jesus sogar auf die Stätte, die ihm die Ruhe gewährt, verzichtete, bewährt er die Wahrheit seines Wortes, dass seine Speise das sei, den Willen Gottes zu tun und sein Werk zu vollenden. Aus seinem Wirken entsteht seine Kraft, aus der Entbehrung erblüht ihm die Freude und der rastlose Dienst macht ihn froh und reich. So legt uns Jesus das Psalmwort aus: „Vor dir ist Freude die Fülle“, auch für den Heimatlosen, der weder Platz noch Zeit zum Ruhen hat.

Auch wenn wir zu Dir kommen, lieber Herr, schwebt uns das vor, was wir bei Dir für uns gewinnen; denn es wird uns schwer, nicht an uns selbst zu denken. Wir bedürfen die Ruhe und bedürfen die Freude, Was die Natur aus uns macht, macht sie uns unentbehrlich. Du hast sie uns auch verheißen und gibst sie uns, aber in neuer Weise, nicht so, wie wir sie uns selber bereiten, sondern so, wie Deine Liebe sie uns schenkt. Dir wende ich mich zu mit aufgedecktem Angesicht und bitte Dich: mache mich zu deinem Bild. Amen.

Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sichs gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. Römer 8,26

Von den Juden und Heiden sagte Jesus, sie plappern beim Beten und machen viele Worte. Von der Christenheit sagt Paulus: wir wissen nicht, was wir beten sollen, und von dem Geist sagt er: er steht uns dadurch bei, dass er uns klagende Seufzer schenkt, für die es keine Worte gibt. Je weiter weg der Beende von Gott steht, desto mehr verkürzt sich sein Gebet. Warum braucht der Mensch, bevor er Jesus begegnet ist, für sein Beten viele Worte? Er meint, sagte Jesus, wegen der Menge seiner Worte werde er erhört. Dann ist es freilich nötig, dass er aus seinem Gebet ein Kunstwerk mache, damit auf diese Weise sein Gott geehrt sei. Daher wiederholt er auch die Formeln seines Gebets, damit sie sicher wirken, und wenn er in Not ist, beschreibt er sie, um Gott zu rühmen. Hier geht das Gebet vom Menschen aus, der im Gebet ein Mittel sieht, um Gott zu bewegen. Nun wird das Gebet freilich eine schwierige Sache. Wer an sein Gebet glaubt, der macht es lang. Warum stellt dagegen die Christenheit in vielen Fällen das Gebet ein? Sie meidet auch im Gebet die Versündigung und will so beten, wie es sich gebührt. Dazu muss sie wissen, um was sie beten soll; denn sie kann nicht gegen Gottes Willen beten, sondern einigt betend ihren Willen mit Gottes Willen. Hier zeigen sich aber Schranken, über die sie nicht hinwegkommen kann. Wenn sie aber nicht weiß, was sie bitten soll, so schweigt sie vor Gott. Warum gibt ihr der Geist nicht die Erleuchtung, die ihr zeigt, was sie bitten soll, sondern lässt sie in ihrer Unwissenheit? Weil der Geist nicht dazu bei uns ist, damit uns das Glauben erspart sei, sondern damit wir es empfangen und es auch behalten, wenn wir nicht wissen, was wir begehren und tun sollen. Dadurch sind wir in das Leiden versetzt. Nicht beten können, nicht wissen, was geschehen soll, ist Not. Dass wir diese Not fühlen, dazu hilft uns der Geist. Er macht sie uns empfindlich und erweckt die Klage in uns. Allein dieses vom Geist gewirkte Stöhnen ist das Gebet, das erhört wird. Obwohl es keine Worte hat, bringt es die Hilfe herbei.
Eins weiß ich, was ich bitten darf, nicht nur mit Seufzen, sondern als klar erfasstes Ziel, nicht mit vielen Worten, als müsste ich Dich erst unterweisen. Es ist die Bitte Deines lieben Sohnes: Geheiligt werden Dein Name. Amen.

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Römer 8,38+39

Liebe eint. Wie stark ist das Band, das sie zwischen Gott und mir knüpft? Paulus sagt mir: von Gottes Liebe wird dich nichts scheiden. Wer wird Gottes Willen brechen, wer das Band zerreißen, das er wob, und die Gemeinschaft zersprengen, die er stiftete? Menschlicher Wille ist wankelmütig und launisch, greift jetzt nach dem Nächsten und lässt ihn bald wieder fahren. Menschlicher Wille kann entwurzelt werden, wenn sich ein starker Gegenstoß ihm widersetzt. Der göttliche Wille wechselt aber sein Ziel nicht und weicht vor keinem gegen ihn gerichteten Druck. Gilt es nicht aber auch von meiner Liebe zu Gott, dass sie beweglich sei? Darf ich von ihr sagen, dass sie mich mit einem unüberwindlichen Griff an Gott binde? Meine Gemeinschaft mit Gott beruht aber nicht auf meiner Liebe zu ihm, sondern auf der, die er mir gewährt. Nicht das ist die Frage, ob meine Liebe stärker sei als alle Widerstände, sondern ob seine Liebe bezwungen werden kann. Kann nicht meine Schuld mich aus Gottes Liebe reißen? Gerade dadurch ist mir ja seine Liebe zuteil geworden, dass ich gerechtfertigt bin. Ich könnte nicht von Gottes Liebe zu mir reden, wenn ich nicht den kennte, der für uns gestorben und auferstanden ist und uns in Gott regiert. Durch ihn kam die Liebe Gottes zu mir, Wie steht es aber mit dem Tod? Reißt er nicht jede Liebe entzwei? Wie sollte er aber Gottes Liebe vereiteln, da er ja nach Gottes Willen zu mir kommt? Sein Wort macht lebendig und Sein Wort ordnet mir den Tod. Ebensowenig als der Tod trennt mich sein Leben von Gottes Liebe, als macht es mich in mir selber reich und satt und Gottes nicht mehr bedürftig. Gabe ist es, von Ihm empfangen und die Gabe kann mich nicht von der Liebe scheiden, die sie mir gibt. Das Gegenwärtige und das Zukünftige sind voneinander geschieden durch einen gründlichen, völligen Gegensatz. Was jetzt besteht, wird nicht auch künftig sein und die ewige Welt gleicht nicht der zeitlichen. Aber das Gegenwärtige und das Zukünftige ist alles unter Gottes Herrschaft gestellt und ich lebe hier und dort in seinem Reich. Unerforschte Höhen und Tiefen gibt es in Gottes Schöpfung, Mächte, die wir nicht sehen, auch wenn wir ihren Einfluss spüren. Zwischen mich und Gott treten sie aber nicht; sie sind ja Kreatur und keine Kreatur widersteht seinem Willen und keine Kreatur zerreißt, was Gott in seiner Liebe eint, und trennt den von Gott, dem er seine Liebe gegeben hat.

Erster und Letzter, Anfänger und Vollender bist Du, Herr, Gott; darum nennen wir Dich den Ewigen. An Deiner Macht und Stärke hat alles teil, was Du uns gibst. Sie ist das Merkmal Deiner Liebe. Sie legt uns die süße Pflicht, Dir zu glauben, Dir zu danken, Dir zu dienen jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Kap. 11

O welch eine Tiefe des Reichtums Gottes. Römer 11,33

Von Gottes tiefem Reichtum, der für jede Not die Hilfe, für jedes Bedürfnis die Erfüllung und für jeden Fall die Heilung hat und sich nie erschöpft, hat Paulus deshalb gesprochen, weil für seinen weissagenden Blick am Juden und am Heiden dieselbe Gnade offenbar werden wird. Gottes Erbarmen ist nicht dadurch zu Ende, dass er es dem Heiden gibt, und erschöpft sich ebensowenig dadurch, dass er es dem Juden gewährt. Vielmehr ist Er für alle, die Ihn anrufen, reich. Das gibt die Geschichte der Menschheit und der Geschichte jeden einzelnen die aufsteigende Bewegung, die niemals enden kann. Denn Gottes Geben macht ihn nicht arm und den Schatz, den Seine Güte verwaltet, wird durch keine Offenbarung seiner Gnade leer. Ich habe viel empfangen und werde noch viel mehr empfangen. In dem, was die Christenheit erlebt hat, wird große göttliche Güte offenbar; sie hat aber noch viel Größeres vor sich. Unser irdisches Leben beschenkt uns reich und es ist ein köstliches Ding, dem Herrn für das zu danken, was uns im Maß unseres irdischen Lebens zuteil wird. Allein mit dem, was in diese Zeit hineingehört, ist nicht das Ende des göttlichen Vermögens erreicht. Was drüben liegt jenseits der Grenzen dieser Welt, das öffnet uns den Reichtum Gottes in neuer Weise und schenkt uns einen neuen Blick in Seine Fülle. Hier fließt der Quell, aus dem froher Mut zu schöpfen ist. Es wäre eine drückende Lage, wenn sich unser Leben abwärts neigte und mit dem Fortgang der Zeit ärmer werden müsste. Das muss aber nicht unser Schicksal sein. Gottes Reichtum hat eine Tiefe, die wir noch längst nicht ergründet haben. Darum warten neue Gaben auf uns.
Nun mache ich mein Herz munter, Dich, Vater, zu loben und lasse die Strahlen Deiner Gnade in mich hineinleuchten, dass keine Ecke in mir dunkel bleibe. Ich habe das Ende Deines Reichtums noch nicht geschaut und werde es in Ewigkeit nicht schauen. Wir werden alle Gnade um Gnade nehmen aus Deiner Fülle, die kein Ende hat. Amen.

Kap. 12

Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes.
Röm. 12,1.

Paulus spricht immer anders als wir. Hätte er gesagt: ich tröste euch durch die Barmherzigkeit Gottes, oder ich verkündige euch die Vergebung durch die Barmherzigkeit Gottes, dann spräche er, wie es unsere religiöse Sprache uns lehrt. Nun nennt er uns Gottes Barmherzigkeit als das, woraus seine Mahnung entsteht, und welche Mahnung! Sie steigt empor auf alle Höhen des christlichen Berufs, greift nach unserem Leib, damit er unser lebendiges Opfer sei, ordnet unser Verhältnis zur Welt, damit wir unserem Verhalten die andere Gestalt gegen als die, die die Welt ihm gibt, und zeigt uns den unerschöpflich reichen Dienst innerhalb der Christenheit, in der jedes Glied an dem vom Leib zu vollbringenden Werk seinen tätigen Antheil hat. Und dies, Paulus, beschreibst du als die Folge der göttlichen Barmherzigkeit. Daran heißt du uns erkennen, daß Gott sich unserer erbarmt. Aber dieses Erstaunen gehört nur meinem kranken Ich an mit seiner Eigensucht. Ihr freilich wäre es lieb, wenn kein Anspruch an mich gerichtet würde, oder doch nicht ein solcher, der mich ganz „mit dem ganzen Herzen und der ganzen Seele und dem ganzen Vermögen“ erfaßt. Paulus sah aber in unserem Gottesdienst Gottes Gnade, nicht eine mit Unlust übernommene Notwendigkeit, sondern das innig und völlig von uns begehrte Gut. Darum heftet er den Blick der Christenheit eben jetzt, da er von ihrer Pflicht und ihrem Werk, von ihrer Liebe und ihrem Dienst spricht, auf Gottes Barmherzigkeit. Wäre sie nicht für uns vorhanden, so könnte Paulus nicht von diesen Dingen mit uns reden. Dafür ist es die Voraussetzung, daß Gott ganz nahe zu uns herantritt, ganz in unsere Lage sich hineinstellt, so mit uns fährt, wie es unserem Kraftmaß entspricht, und das von uns verlangt, was wir innerhalb der Natur und der Welt an unserem Ort werden können. So behütet er uns davor, daß wir denken wie jener boshafte Knecht, der das empfangene Geld seinem Herrn zurückgab und sagte: „Ich wußte, daß du ein harter Herr bist.“ Das sagt keiner, der in der christlichen Verpflichtung die Bezeugung der göttlichen Barmherzigkeit erkennt.
Durch deine Barmherzigkeit, Vater, bin ich an den Ort gestellt, an dem ich stehe, und mit der Pflicht begabt, der ich gehorche. Von dir kommt sie, der du deine Gnade darin vollkommen machst, daß wir dir gehorchen dürfen. Wir bedürfen alle der Mahnung; dein Wort gibt sie uns hell und stark. Ich will hören. Amen.

Begebet eure Leiber zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.
Röm. 12,1.

Nichts ist im selben Maß mein Eigentum wie mein Leib. Alles andere, Nahrung und Kleid, Haus und Geschäft, sind es erst im abgeleiteten Sinn und bekommen dadurch ihren Wert, daß ich meinen Leib habe. Was hat es für einen Sinn, daß mir ein solches Eigentum gegeben ist? Damit ist mir der Stoff zum Opfer gegeben. Meinen Leib soll ich, weil er mir als mein Eigentum gegeben ist, Gott dargeben, damit sich das höchste aller Gesetze erfülle, daß das, was von Gott kommt, für ihn bestimmt ist und zu ihm geht. Ist es aber wirklich wahr, daß mein Leib mein Eigentum sei, über das ich Macht habe? Hat nicht mein Leib Macht über mich, so daß er über mich verfügt? So ist es, solange ich von Gott fern bin. Von Gott verlassen versinke ich in meinem Leib. Nun ist mir aber Gott nicht fern, sondern ich lebe in seiner Gnade, bin seines Willens kundig und seiner Gnade teilhaft. Nun bin ich der Herr und Eigentümer meines Leibes; das bin ich aber nicht dazu geworden, damit ich über ihn nach meiner Lust verfüge. Menschliche Gewaltherrschaft läßt sich die Natur nicht gefallen. Wenn ich von ihr verlange, da sie meiner Eigensucht diene, packt sich mich sofort und macht mich sich untertan. Es gibt aber noch eine andere Weise, den Leib zu regieren, die, die ihn unter Gottes Willen stellt und ihn so gebraucht, daß er Gott dient. Nun ist mein Leib heilig. Nicht die Gebeine toter Christen hat Paulus heilig genannt, sondern von lebenden Leibern gesagt, daß sie heilig seien, weil die sie besitzen, die durch sie Gottes Willen tun.
Mein Leib, großer Gott, plagt mich mannigfach. Bald regt er mich auf und bald bedrückt er mich. Aber eben so, wie er ist, darf ich ihn dir übergeben. Nachdem du der Herr und Regierer meines Herzens geworden bist, machst du deine königliche Gnade dadurch voll, daß du auch unsern Leib und alles, was wir in unserem Leibe tun, mit deinem Wohlgefallen begnadest als unseren vernünftigen Gottesdienst. Amen.

Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf daß ihr prüfen möget, welches da sei der gute, wohlgefällige und vollkommene Gotteswille.
Röm. 12,2.

Die Welt kann ich nicht verändern; erneuern aber kann ich meine Gedanken, und wenn diese neu werden, dann wird auch mein Verhalten neu. Dann gibt es eine Umformung und Neubildung, durch die diejenige Gestalt, die diese Welt mir aufprägt, beseitigt wird. Unser Anteil an unserem Volkstum gibt uns allen eine große Aehnlichkeit und diese Gemeinsamkeit ist eine starke Hilfe dazu, daß wir zusammenleben. Der Klang unserer Sprache färbt sich gleichartig mit der der anderen. Mode, Sitte und Staatsgesetz ordnen unser Verhalten nach derselben Regel, und auch im inwendigen Leben werden wir alle von seelischen Wellen bewegt, die mit großer Macht durch uns alle durchfahren und unser Empfinden, Denken und Wollen gleichartig machen. Warum ist es nun nötig, daß ich mich dieser Gemeinsamkeit entziehe und mich dieser Welt nicht anpasse? Was will ich? Den Willen Gottes will ich tun, und dieses Ziel reißt mich aus der nachgiebigen Abhängigkeit von den anderen heraus. Ich kann nicht mehr fragen: was tut jedermann? was ist Brauch und Gewohnheit? was gefällt und trägt Beifall ein? Die Christenfrage ist: was ist Gottes Wille? und für diese Frage reichen die alten Gedanken, die von jeher in der Menschheit vorhanden waren, nicht aus. Dazu brauche ich einen neuen Verstand. Neu muß er werden auch im Vergleich mit dem, was ich selbst von jeher besaß und schon in der Kindheit lernte, weil es in der Kirche so üblich war. Denn jede neue Lage stellt an mich einen neuen Anspruch, dem ich mit meinen alten Gedanken nicht genugtun kann. Es gilt zu erfassen, wohin mich Gott jetzt führt und was er mir in dieser meiner Lage als meine Pflicht zuteilt. Ist es mir denn möglich, neue Gedanken zu bekommen? Vor seine Mahnung hat Paulus das Wort gesetzt: „Durch Gottes Barmherzigkeit ermahne ich euch.“ Wir starren, wenn wir nach Gottes Willen fragen, nicht in einen leeren, finsteren Raum hinein, sondern erheben unseren Blick zu dem, der das Licht der Welt ist. Er läßt keinen im Dunkeln wandern, der nach seinem Willen fragt.
Du hast, lieber Herr, deinen Jüngern gesagt: macht es wie der Haushalter: er braucht Altes und Neues je nach Bedarf. Dein altes, längst gesagtes Wort leitet mich und dein Geist gibt neue Weisung, wie ich sie für den neuen Tag bedarf. Altes und Neues, beides reicht uns die eine Hand dar, die gebende, die deine. Gib mir Einsicht und Verstand für das, was der neue Tag von mir verlangt. Amen.

Niemand halte weiter von sich, denn sich's gebührt zu halten, sondern er halte mäßiglich von sich, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilet hat das Maß des Glaubens.
Röm. 12,3.

Vieles mag uns locken, was wir für heilsam halten, wenn es hergestellt würde. Unsere Phantasie versteht es gut, Bilder zu malen, die uns schöner scheinen als das, was uns gegeben ist. Allein solche Wünsche zeigen uns nicht das, was wir erstreben dürfen. Mache nicht, warnt Paulus, aus deinem Glauben einen Uebermut. Wo endet die Besonnenheit und wo beginnt der Uebermut? Ich verfalle ihm dann, wenn ich über das Maß meines Glaubens hinausfahre. Ergreife ich selbst die Zügel, um die Fahrt selbst zu lenken, so verliert mein Gefährt die Richtung. Nachfolgen, nicht voranlaufen kennzeichnet den, der in Gottes Reich festgewurzelt steht. Nun regiert Gott und nicht das begehrliche und träumende Menschenherz, und nur dann, wenn ich in dieser Folgsamkeit verharre, bleibt meine Freiheit unversehrt. Solange das mir zugeteilte Maß des Glaubens mir das Maß für mein Wirken gibt, handle ich frei, weil nun mein Handeln aus meinem eigenen Glauben erwächst. Wenn ich aber einen fremden Glauben zu meiner Richtschnur nehme und mich nach dem Maß richte, das den anderen gegeben ist, gebe ich meine Freiheit preis und zwinge mich, mich zu verstellen und untreu gegen mich zu sein. Nun muß ich mich stellen, als handle ich im Glauben, während nicht mein Glaube mich bewegt, sondern der der anderen. Gehorche ich dagegen Paulus, der mein ganzes Wirken an das Maß meines Glaubens hängt, so bleibe ich von Schein und Verstellung frei. Nur die Eitelkeit könnte mich verführen, mich auf einen fremden Glauben zu stützen, weil er größer und stärker als der meine ist. Allein Glaube und Eitelkeit vertragen sich nicht. Wo der Glaube einkehrt, ist der eigene Ruhm hinausgesperrt. Somit darf ich dankbar tun, was ich kann, und die Kraft brauchen, die ich habe, und mich an meinem Werk freuen; denn es ist für Gott getan, weil es aus dem Glauben kam.
An deiner Hand zu wandern, Herr Gott, das gibt die frohe Fahrt. Seh ich auf dich, so verwirrt mich der Blick auf die anderen nicht. Was du mir ins Herz gelegt hast, das ist meine Ausrüstung zu meinem Dienst und zu meinem Kampf. Denn du gabst jedem Glauben, sei er noch so klein, deine ganze Verheißung ohne Einschränkung. Amen.

Wir vielen sind ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des anderen Glied. Römer 12,5

Merk auf! Hier wird dir etwas gesagt, was gewaltig in die Höhe steigt! Ein Glied sein heißt ein eigenes Leben haben. Wenn ein Glied nicht mehr seine ganze Funktion nach seinem eigenen Gesetz vollzieht, wird es für den Leib unnütz und zum gefährlichen Herd um sich greifender Erkrankung. Ich darf nirgends nur mitlaufen, nirgends nur nachmachen, nie gegen meinen eigenen Glaubensstand untreu sein. Denn ich bin Glied, und ein Glied muss das besorgen, was ihm als sein Anteil am Leben des Leibes zugewiesen ist. Ich bin Glied, das heißt aber weiter, ich bin in den Leib hineingestellt. Was das Glied an Nahrung und Kräftigung empfängt, das stammt nicht aus ihm selbst, sondern kommt von den anderen, und was es leistet, das dient nicht bloß ihm, sondern den anderen. Gerade dadurch, dass es sein Eigenleben hat, steht es in der empfangenden und gebenden Gemeinschaft mit den anderen. Dies gilt ausnahmslos von uns allen. Jeder, der zum Leib gehört, ist Glied für die anderen. Es gibt keinen, der den Zweck seines Lebens in sich selbst finden könnte, wie es auch keinen gibt, der den Grund seines Lebens in sich selber hat. Es wird uns aber beides schwer, sowohl das Empfangen als auch das Geben. Es ist schwer zu lernen, weil meine eigenen Gedanken mir lieb sind; aber es ist auch schwer zu lehren, das Wort so zu fassen, dass es nicht verwirrt und stört, sondern hilft. Es ist nicht leicht, sich helfen zu lassen; geht nicht jede Arbeit leichter voran, wenn sie nur in einer Hand liegt? Es ist aber auch schwer, den anderen zu helfen und sich so in ihre Arbeit einzuordnen, dass sie von mir gefördert wird. Aber die Frage, ob es schwer oder leicht sei, was ich als Glied zu tun habe, hat gar keine Bedeutung. Christus macht aus uns den einen, zusammengewachsenen Leib. Da gibt es nichts zu ändern und nichts zu wünschen. Durch einander und für einander leben wir, weil wir durch Christus und für Christus leben. Darum ist alles, was den anderen gegeben ist, auch für mich Gewinn, und alles, was mein eigen ist, auch zum Heil der anderen da. Damit endet alles Erwägen, ob die Gemeinschaft schwer oder leicht, mehr Hemmung oder mehr Förderung sei. Sie ist da und ich bin in sie hineingesetzt, so gewiss ich das empfangen habe, was von Christus stammt.
Mit Deiner Hilfe, lieber Herr, weise ich meine eigensüchtigen Wünsche weg, die sich nur um mich selber drehen. Höre ich auf mich, so sollen wohl die anderen mir mancherlei geben, allein keinen Anspruch auf mich haben. Das verstößt gegen Dein gnädiges Werk, durch das Du Deinen Leib bereitest, der Dein eigen ist als von Dir regiert. Glied im Leib, das ist mein Ort, ein herrlicher Ort, das sichtbare Wahrzeichen Deiner Heilandsmacht. Amen.

Kap. 13

Seid niemand nichts schuldig, als daß ihr euch untereinander liebet. Denn wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
Röm. 13,8.

Jede Rechtspflicht läßt sich erfüllen. Denn es gibt keinen Menschen, der so über mich Herr wäre, daß ihm mein ganzes Leben und meine ganze Kraft gehörte. Der Anspruch, den ein Mensch an mich hat, ist immer begrenzt. Ich kann ihn daher befriedigen und ihm bezahlen, was er von mir zu fordern berechtigt ist. Aber über dem Recht steht die Liebe und sie hat kein Maß. Ihr Anspruch endet nicht, verpflichtet immer neu und füllt mir jeden Tag wieder frisch mit ihrem Werk. Man liebt nie genug. Weil die Liebe nicht aufhören kann, ist sie größer als das Recht; sie ist aber nicht gegen das Recht, sondern erfüllt das Gesetz. Das ist das allererste, was sie tut. Sie schafft vor allem Gerechtigkeit und gibt dem anderen das, was ihm gehört. An dieser Stelle scheiden sich die unechte und die echte Liebe. Wenn ich dem anderen im Namen der Liebe zumute, daß er auf sein Recht verzichte, so habe ich mit häßlicher Unwahrhaftigkeit meinen Eigennutz mit dem Namen „Liebe“ verschönt. Was tut denn die Liebe? Nimmt sie oder gibt sie? Sie gibt. Sie gibt dem anderen seine Ehre und erniedrigt ihn nicht. Sie hilft ihm, zu erwerben, und saugt ihn nicht aus. Wie sie ihm seinen natürlichen Besitz sichert, so schützt sie auch sein geistiges Eigentum. Sie raubt dem anderen nicht den eigenen Willen und verbietet ihm die eigene Ueberzeugung nicht. Sie hält ihre Hände rein von aller Gleichmachtung; denn sie ist das Kind der Freiheit und kann deshalb nicht knechten, sondern befreit. Sie sinkt nicht unter das Gesetz hinab, sondern bewegt sich nach oben und fährt über das Gesetz hinauf und ist mit dem, was das Gesetz verlangt, noch nicht zufrieden, weil sie nach der ganzen Gemeinschaft begehrt. Das ist ihre Art, die ihr nicht fehlen kann, weil sie mein eigener Wille ist, nicht von außen in mich hineingetragen, nicht von einer fremden Macht mir auferlegt, sondern meines eigenen Ichs innerste Bewegung, eins mit meinem Leben und darum in mir vorhanden, solange ich lebendig bin.
Weil du, Vater, uns die Liebe gibst, gönnst du uns einen Blick in deine Herrlichkeit. Die Liebe hört in uns nicht auf; denn sie endet nicht in dir. Sie hat in dir die Fülle, aus der Gnade um Gnade zu uns kommt, den nie erschöpften Reichtum, der Ewigkeiten mit immer neuem Leben füllt. Amen.

Die Nacht ist vorgerückt, der Tag herangenaht. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
Römer 13,12

Nacht nennt Paulus den gegenwärtigen Stand der Christenheit, und doch jubelt er in der Gnade, dankt für alles und verherrlicht Gott in allem. Dennoch heißt er unsere Gegenwart noch nicht Tag, sondern Nacht. Denn er denkt nicht nur an sich selbst und seinen eigenen Anteil an Gottes Liebe, auch nicht nur an die Christenheit und das, was sie durch Jesus geworden ist, sondern schaut auf die Menschheit mit ihrer Schuld und ihrem Jammer. Paulus blieb ihr Glied und rang mit ihrer Sünde und litt unter ihrem Jammer. Ist Gott, fragte er, nur der Juden Gott? Und er antwortete: Nein! Er ist auch der Gott der Völker. Die Christenheit darf ebensowenig meinen, Gott sei nur ihr Gott. Er ist größer als unser Herz und die in unser Herz gelegte Gnade; er ist auch größer als die Christenheit, und das, was sie in ihrer Gemeinschaft erarbeitet und besitzt, reicht bei weitem nicht aus, um sichtbar zu machen, was Gott schaffen wird. Das wird erst dann offenbar, wenn Gott alles, was sein Werk ist, mit seiner Herrlichkeit erfüllt, und dies geschieht erst durch Christus in seinem künftigen Reich. Darum heißt Paulus unsere Gegenwart Nacht, aber nicht eine bleibende, unbewegliche, endlose, sondern eine weichende Nacht, die sich zum Tag hinbewegt. Die nächtliche Art unseres Lebens zeigt sich darin, dass es noch mit Gefahr verbunden ist. Wir bedürfen noch Waffen, und solange uns solche unentbehrlich sind, ist der Tag noch nicht da. Dieser verscheucht die Gefahr. Im Dunkeln leben zu müssen, ist deshalb gefährlich, weil es uns verleitet, die Werke der Finsternis zu tun, die lichtscheuen Werke, die die Heimlichkeit nötig haben, damit sie nicht als schändlich erwiesen seien, all das, was nur mit einem gefälschten Titel und unwahren Schein geschehen kann, alles, was seine boshafte und gottlose Art unter einem unechten Glanz versteckt. Dieser Glanz kann uns nur locken, solange es Nacht ist; fällt auf ihn das Licht, so ist die Verwerflichkeit dieser Werke offenbar. Christus ist aber nicht nur einst das Licht, das die Nacht beenden und den hellen Tag herbeiführen wird, sondern ist auch jetzt bei uns und durch ihn wird uns das Licht als unsere Waffe gegeben, die uns auch in der dunklen Welt unangreifbar macht und die Werke der Finsternis verscheucht.
Herr Gott, dein Tag ist uns verheißen, damit wir uns seiner freuen, auch wenn wir im finsteren Tal wandeln mitten im Getriebe dieser dunklen Welt. Sende uns, wenn wir uns im Finstern verirren, einen Strahl Deines Lichts, damit wir unser Antlitz dahin wenden, wo die Nacht vergangen ist und der Tag scheint. Amen.

Kap. 14

Die Schwachen im Glauben nehmt auf und verwirrt die Gewissen nicht.
Römer 14,1

Es ist die Ehre jeder christlichen Gemeinschaft, welcher Art sie sei, dass sie Raum für die Schwachen hat. Will sie nur Starke bei sich haben, so hat sie sich von Jesus geschieden und ist tot. Dass auch sie, die wenig leistungsfähig sind, Bürgerrecht in ihr haben, bedarf keiner Überlegung. Zwar ist die Kirche eine Genossenschaft von Arbeitern, aber nicht so, dass sie ihren Anteil an Gott auf ihr Werk aufbaute. Ob die Leistung, die wir als Glieder der Kirche vollbringen, groß oder klein sei, das verschiebt unsere Stellung vor Gott und unseren Platz in der Kirche nicht. Den Unterschieden in unserem Vermögen entsprechen die in unserem Begreifen. Was wir als Leistung unseres Verstandes fertig bringen, ist verschieden. Aber auch daraus entsteht für unseren Anteil an der Kirche keine Not. Sie umfasst alle Stufen der uns Menschen gewährten Vernünftigkeit. Es gibt aber zwischen uns auch Unterschiede im Glauben und diese reichen in das Fundament der Kirche hinab; denn diese besteht durch die Gemeinsamkeit des Glaubens. Im Glauben entstehen nicht nur dadurch Unterschiede, dass jeder seine persönliche Eigenart hat, die auch in jede Betätigung unseres Glaubens sichtbar wird, sondern auch die Störungen in unserem inwendigen Leben tragen in unseren Glauben die Verschiedenheit hinein. Im geschwächten Menschen bleibt auch sein Glauben geschwächt und damit sind seinem Verhalten Grenzen gezogen, die er nicht überschreiten kann und darf, weil er nicht anders als nach seinem Glauben handeln kann und muss. Ist nun dann, wenn ich von dem anderen urteile, es fehle seinem Glauben an Kraft, die Gemeinschaft abzubrechen? Vor diese Frage stellt uns Paulus und er sagt: Nein! Stellt auch mit dem Schwachen im Glauben die Gemeinschaft her. Schwierig wird sie, das ist sonnenklar. Denn der im Glauben Starke kommt leicht zur Geringschätzung des Schwachen und der Schwache leicht zur herrlichen Verurteilung des Starken, weil er auch solches tut, was der Schwache für seine Person als sündlich unterlassen muss. Dennoch bleibt es das Gesetz, das für jede Christenheit gültig ist: den im Glauben Schwachen nehmt bei euch auf. Ihr dürft keinen Glauben verachten und keinem den Glauben dadurch erschweren, dass ihr ihm die Gemeinschaft versagt. So treu und stark blieb Paulus beim Grundsatz des Evangeliums, nach dem der Glaube Gerechtigkeit ist und der Glaube uns zur Gemeinde Jesu vereint, dass er auch für den schwachen Glauben, eben weil er Glaube ist, das Bürgerrecht in der Gemeinde errungen und es ihr zur Pflicht gemacht hat, die schwachen und die starken Glaubenden zu einen, weil beide an Jesus angeschlossen sind.
Meinem Glauben habe ich zu gehorchen und kann nicht den Glauben eines anderen haben. Dadurch machst Du, treuer Herr, offenbar, dass Du jedem von uns Deinen gnädigen Blick schenkst und Dich für jeden von uns zum Heiland machst. Ich will Dein Werk ehren, wo immer es sich mir zeigt. Hilf mir, dass ich meines eigenen Glaubens froh bleibe, mich aber auch an allen anderen freue, denen Du in anderer Weise gönntest, Dir glauben zu dürfen. Amen.

Unser keiner lebt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn.
Römer 14,7+8

Gibt es Unterschiede in der Christenheit? O ja, sogar Unterschiede im Glauben. Paulus sprach von solchen, die im Glauben schwach, und von solchen, die im Glauben stark seien. Noch viel mehr gibt es Unterschiede in unserer Erkenntnis, in der uns gegebenen Pflicht, in dem uns zugeteilten Beruf. Gibt es denn noch ein gemeinsames Merkmal aller Christen? Lässt sich noch eine Grenze zwischen denen ziehen, die in der Gemeinde stehen, und denen, die nicht zu ihr gehören? O ja, sagt Paulus; diese Grenze ist unverrückbar. Keiner gehört zur Christenheit, der für sich selber lebt; jeder von uns lebt für den Herrn. Auch die Natur prägt uns in ihrer Weise ein, dass keiner für sich selber lebt. Sie gibt jedem das Leben, damit er es anderen gebe, und gestattet keinem, nur für sich selber Eigentum anzusammeln; ob er will oder nicht, er muss es anderen lassen. Aber die Natur verhindert es nicht, dass wir ihre Gaben eigensüchtig missbrauchen und den Versuch machen, mit dem, was sie uns gibt, für uns selbst zu leben. Anders steht es aber da, wo Jesus als der Herr regiert. Denn Er stellt uns vor Gott und dadurch ist es mir ganz unmöglich gemacht, für mich selbst zu leben. Sowie mein Blick Gott erreicht, ist die selbstische Verengung meiner Gedanken und Ziele zersprengt. Gott ist größer als ich. Wie könnte ich mich über Gott erheben und ihn zu meinem Diener machen, wie seine Gabe nur dazu benützen, um mich in meiner Ichheit zu stärken und zu vervollkommnen?
Die weltweite Größe seiner Gnade, die eins ist mit seiner regierenden Majestät, hat er mir dadurch gezeigt, dass er Christus zu meinem Herrn gemacht hat. Indem ich an ihn glaube, gründe ich mein Leben auf das, was er mir gibt; er gibt aber seine Gaben nicht einzig mir. Indem mir sein Wille heilig wird, bin ich ihm untertan und ihm gehorsam gemacht; er führt mich aber zu denen, die wie ich sein eigen sind, und verpflichtet mich für sie. Nicht nur sein Gebot verbietet mir, dass ich für mich selber lebe, sondern die von ihm mir gegebene Gestaltung meines Lebens macht mir dies zur Unmöglichkeit. Freilich kann ich auch meinen Christenstand meinem Eigennutz dienstbar machen und sein Wort nur dazu hören, damit es mich erleuchte, und seine Gabe nur dazu begehren, damit ich selber von Schuld, Schande und Gericht befreit und ewig selig sei. Dann weiß ich aber auch, dass ich unter der Verurteilung stehe, die Jesus mit gewaltigem Wort und heißem Ernst auf alle die gelegt hat, die Gottes Gnade nicht von ihrer boshaften Eigensucht befreit.
Bei Dir, heiliger Vater, vergeht das Elend, das mich plagt, solange ich für mich selber leben will. Gepriesen sei Deine Gnade, die in unserer armen, dunklen Welt Deine Kirche schuf, in der keiner für sich selbst lebt. Aus Dir zu Dir schufst Du sie und zeigst uns dadurch Deine Liebe. Durch sie töte unsere Eigensucht. Amen.

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist.
Römer 14,17

War es nicht etwas Großes, dass für die für Gott geheiligte Gemeinde alles rein geworden war und zwischen ihr und dem, was die Natur uns darreicht, kein Verbot mehr stand? Es war nicht kindisch, wenn sie sich in den Anfängen der Christenheit an ihrer Freiheit ergötzten, in Gedanken an die Beschwerden, die sie unter den Verboten des alten Gesetzes von innen und von außen, im Gewissen und in der Haushaltung, bedrückt hatten. Wir alle genießen die Freiheit froh, die uns im Verkehr mit der Natur keine Schranken setzt und sowohl unserer Technik als unserer Kunst kein Verbot entgegenstellt, auszunützen, wie es dem Stande unserer Erkenntnis entspricht. Gerade darum, weil diese Freiheit einen großen Reiz und reichen Wert in sich trägt, ist es nötig, dass uns Paulus mahne: Das ist nicht Gottes Reich. Nicht dadurch empfange ich seine großen Gaben, dass ich mein Essen und Trinken so ordnen kann, wie es mir selber zweckmäßig scheint, und mich überall in der Natur frei bewegen darf. Es gibt inwendigen Reichtum, der kostbarer ist als jeder natürliche Gewinn, und diese inwendige Begabung ist das, wodurch ich an Gottes Reich Anteil habe. Die höchste und unentbehrlichste aller Gaben ist die Gerechtigkeit, die Richtigstellung meines Verhältnisses zu Gott, mit der auch alle meine Beziehungen zur Welt richtig werden. Gerechtigkeit ist der sichere Damm gegen das Böse, das feste Fundament für mein Handeln, der Ort, an dem ich vor Gott stehen und mich gläubig an Ihn halten kann. Mit der Gerechtigkeit endet der Zwist, der mich von Gottes Gnade trennt und mich in mir selbst zerreißt. Nun stehe ich in jenem Frieden, den Christus mit sich auf die Erde herabgebracht hat, im Frieden der Versöhnung mit Gott und darum auch in der friedlichen Gemeinschaft mit den Menschen. Damit endet mein Jammern und es brennt in der Seele das helle Licht einer Freude, die das ganze Leben durchwärmt. Diese inwendige Erneuerung und Bereicherung wird mir deshalb zuteil, weil Gottes Geist bei uns ist. Das, was der Geist gibt, ist das Kennzeichen für Gottes Reich. Mit seinen Gaben kommt das zu uns, was Gottes allmächtige Gnade für uns tut und was uns zu ihrem ewigen Ziel emportragen wird. Das alles ist aber ungleich größer und wichtiger als das, was ich im Verkehr mit der Natur gewinnen kann.
Berührt von vielem werde ich, Vater, nach außen gezogen; drum wende ich mich durch Deine Gnade nach innen. Um mich her lagern sich wie eine hohe Mauer die natürlichen Dinge; so mache mir Deines Geistes Wirken sichtbar. Die natürlichen Güter machen mich nicht gerecht, bringen mir nicht den Frieden und machen mich nicht froh. Das tun Deine Gaben, die Du uns schenkst durch Deinen Geist. Amen.

Was nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde.
Römer 14,23

Gibt mir Paulus mit dieser Regel einen Maßstab, mit dem ich sicher messen kann, wie es mit meinem Verhalten steht, ob es sündlich ist oder dem göttlichen Willen untertan bleibt? Weiß ich denn, ob ich aus Glauben handle? Paulus hat immer erklärt: ob ihr glaubt oder nicht glaubt, das wisst ihr ganz gewiss; darüber könnt ihr euch nie täuschen, auf was ihr euer Vertrauen stützt, ob ihr euch auf euch selbst verlasst, auf eure Geldmittel, über die ihr verfügt, auf eure Machtmittel, auf die Menschen, die mit euch gehen, und die Verbände, die euch stärken, auf eure christliche Größe, die euch innerhalb der Christenheit und ihrer Arbeit Bedeutung gibt, oder ob ihr auf Gott gestellt seid, euch an Seine Gnade haltet und an Seinen Willen gebunden seid. Darüber, meinte Paulus, sei jedem, der sich ehrlich prüfe, ein Urteil möglich; er könne erkennen, „ob er im Glauben sei“. Da Paulus den Unterschied zwischen Glauben und Nichtglauben, zwischen dem Glauben an Gott und dem Glauben an mich selbst, als deutlich und sicher behandelt, gibt er uns auch mit seinem Unterricht, dass dasjenige Handeln verwerflich sei, das seinen Grund nicht im Glauben habe, einen Maßstab in die Hand, der uns mit Sicherheit angibt, wann wir richtig und wann wir sündlich handeln. Paulus wendet damit unser Urteil nicht nach außen zum Erfolg unseres Handelns hin. Wollte ich seinen Satz so deuten, mein Glaube verbürge mir notwendig und immer den erfolgreichen, Glück bringenden Ausgang meines Handelns, so hätte ich die entschlossene und reinliche Unterordnung unter Gott aufgegeben. Wie es unerhörte Gebete gibt, die nicht deshalb unerhört bleiben, weil es ihnen an Glauben fehlt, die vielmehr aus Glauben kommen und doch uns das nicht bringen, was wir wünschen, so kann sich auch ein Unternehmen, das ich im Glauben begonnen habe, als zweckwidrig herausstellen und scheitern. Nicht vom Glück spricht Paulus, sondern von der Sünde, nicht von der Klugheit unseres Verfahrens, sondern von seiner Richtigkeit vor Gott. Auf die tiefste Stelle, an der sich Rechtes und Schlechtes scheiden, richtet er unsern Blick.
An der Weise, wie ich mich an Gott anschließe, entsteht mein verwerfliches oder mein richtiges Verhalten. Entstand es nicht aus Glauben, dann war ich selbst der Wirkende, habe mir selbst ein Ziel gestellt, nur selbst Eigentum erworben, mir selbst Ruhm verschafft. So handelt der von Gott losgebundene Mensch, der sich mit seiner eigenen Willensmacht selbst bewegt. Was ich begehre und auch erwerbe, braucht keineswegs nur verwerflich zu sein. Ich kann nach Tugend streben; das ist ein hohes Ziel; oder ich kann für das Gemeinwohl arbeiten; das ist ein großer Zweck. Ich kann mir auch religiöse Ziele setzen, kirchliche Interessen vertreten und an der Christianisierung der Menschheit arbeiten. Auch die Bekehrung anderer wird sehr oft ohne Glauben unternommen. Das Urteil „Sünde“ trifft nicht das, was ich herzustellen suche, sondern mich in meinem Verhalten, mich in der inwendigen Bewegung meines Willens, und hier gibt es kein richtiges Verhalten, solange ich mich von Gott fernhalte. Nur dann bin ich über das Sündigen hinausgelangt, wenn mein Handeln darin seinen Grund hat, dass ich das, was Gottes Gnade mir gegeben hat, im Glauben erfasse.
Ruhm, Vater, finden wir bei uns nicht, dafür Dank für Deine Gnade. Treibe den Stolz aus mir aus, der sich in eigener Kraft zu handeln getraut, und gib mir den hellen Blick in das, was Deine gnädigen Gaben mir als Dienst und Pflicht gewähren. Amen.

Kap. 15

Auch Christus hatte nicht an sich selbst Wohlgefallen, sondern wie geschrieben steht: „Die Schmach derer, die dich schmähen, ist über mich gefallen. “
Römer 15,3

Immer neue Strahlen lässt Paulus aus dem Kreuz Christi hervorleuchten. Er hat die Liebe Jesu gepriesen, die ihn bewogen hat, für die, die Gottes Feinde waren, zu sterben, und seinen Gehorsam als unsere Rechtfertigung beschrieben, weil durch seinen Gehorsam alles, was aus Adams Ungehorsam entstanden sei, beseitigt ist. Nun spricht er vom innersten Vorgang, an dem die Echtheit der Liebe und des Gehorsams die Erprobung bekommt, davon, dass er sich durch sein Verhalten inwendig nicht ein Wohlgefallen bereitete, das ihn befriedigte und bei sich selbst verweilen ließ. Haftet nicht am Gehorsam das süße Bewusstsein, das uns mit uns selbst zufrieden macht, und wächst nicht an der Liebe die liebliche Blüte, dass wir nicht nur die anderen, die wir lieben, sondern auch unser eigenes Bild mit Wohlgefallen betrachten? Das bringt aber unseren Gehorsam und unsere Liebe in Gefahr. Gefährdet ist dadurch ihre Selbstlosigkeit, der entschlossene Ernst, mit dem wir uns von uns selbst wegwenden und nicht den eigenen Willen tun, sondern den Willen dessen, dem wir gehorchen und nicht den eigenen Vorteil suchen, sondern nach dem begehren, was den anderen heilsam ist. Seht auf Jesus, sagt Paulus, wenn Eitelkeit, die sich selbst gefällt, euren Gottesdienst beflecken will. Er steht in seinem Gehorsam und in seiner Liebe als der Selbstlose vor euch. Denn er ließ sich die Schmähung wohl gefallen. Niemand begehrt geschmäht zu werden, und erst noch von denen, die Gott schmähen, weshalb die Beschimpfung, die auf Jesus fiel, zur Lästerung Gottes wurde und die Schande, in die Jesus hinabgestoßen wurde, zur Verdunkelung der Ehre Gottes führte. Dass Gott an ihm geschmäht werde, das hat Jesus nicht begehrt und an diesem Zustand kein Wohlgefallen gehabt. Das war letzte Entäußerung und schmerzlichste Entsagung und eben darum die Vollendung seines Gehorsams und die Verklärung seiner Liebe.
Wenn mein Auge trübe wird und Gutes und Böses vermengt, komme ich, Herr Jesus, zu Dir, weil Du mir zeigst, was Gehorsam ist, und mir deutlich machst, was Liebe ist. Du wehrst es mir, wenn ich mir selber gefalle. Lass mich Dir gefallen, lieber Gott, in allem und behüte mich, dass ich keine andere Ehre begehre als die, die Dich ehrt. Amen.

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