Schlatter, Adolf - Matthäusevangelium

Schlatter, Adolf - Matthäusevangelium

Kap. 1

Josef aber, der Mann der Maria, war fromm und wollte sie nicht rügen, gedachte aber, sie heimlich zu entlassen.
Matthäus 1,19

An allem Herrlichen, was in den Tagen der Weihnacht geschah, geht Matthäus vorbei und erzählt nur das Eine, dass Josef sich weigerte, der Mann der Maria zu bleiben und das Kind, das Gottes Geist in ihr geschaffen hatte, in seine väterliche Obhut zu nehmen. Darf ich das seltsam heißen? O nein. Damit verrät Matthäus seiner Gemeinde eine Wahrheit ein, die für ihr ganzes Verhalten die größte Wichtigkeit hatte. Wie rätselhaft war ihre Lage! Zum Gekreuzigten bekannte sie sich als zum König Israels, während sich ihr die Priester- und Lehrerschaft in geschlossener Schlachtreihe widersetzte und die große Majorität der Judenschaft von Jesus wegriss. Jedermann fragte sie: wie kommt ihr denn zu eurem wunderlichen Glauben? Und die Glaubenden fragten sich selber mit tiefem Erstaunen: was treibt uns in diese rätselhafte Lage hinein? Sie konnten nur das Eine antworten: wir haben sie uns nicht selbst bereitet, haben das, was wir sagen, nicht selbst erdacht und uns unsern Christenstand nicht mit eigenmächtigem Entschluss erwählt; wir müssen so denken und müssen so handeln; uns zwingt der göttliche Befehl. So war es, sagt Matthäus, schon im Anfang, schon bei der ersten Offenbarung Jesu, als Maria Josef sagte, was Gottes Bote ihr verkündigt und seine Gnade in ihr gewirkt hatte. Der Davidsohn, in dessen Haus Gott den Christus stellte, erschrak, weigerte sich und hieß es unmöglich, dass Maria seine Frau werde, nachdem Gott sie zur Mutter seines Sohnes gemacht hatte, und dass er der Vater sei für den, dem Gottes Schaffen das Leben gab, damit er aller Herr und König sei. Das war nicht sein eigener Wunsch, entsprang nicht aus seinem Willen, überraschte ihn ganz und gar und schien ihm völlig unmöglich. Er wollte freilich Gottes Werk nicht hindern und Maria keine Not bereiten. Darum sollte alles heimlich geschehen. In stiller Verborgenheit will er seinen Verzicht vollziehen. Niemand brauchte zu erfahren, dass sie einst ihm gehört hatte. Aber seinen Plan kann er nicht vollenden. Dennoch wurde Maria sein Weib und der Christus wuchs dennoch in seinem Hause auf und war jedermanns Meinung der Sohn des Zimmermanns. Wie kam es dazu? Gottes Gebot zwang ihn und ließ kein Sträuben zu. Josef musste dem gehorchen, was ihm der göttliche Befehl gebot. Das, sagt Matthäus der Christenheit, ist auch euer Weg; ihr geht hin, weil ihr ihn gehen müsst, und gebt Jesus euren Glauben, weil ihr Gott gehorcht.
Auch ich stehe, Vater, staunend vor Deinem Werk. Wie kommt Deine Gnade zu mir? Wie führst Du Dein Werk empor zu Deinem herrlichen Ziel? Aber über meinen schwankenden Gedanken steht die selige Notwendigkeit, jenes Müssen, unter dem ich deshalb stehe, weil Dein Wort zu mir gesprochen hat. Ich preise Deine Gnade, die mir Deinen Willen so zeigt, dass ich gehorchen muss. Amen.

Kap. 2

Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem.
Matthäus 2,3

Als die Magier nach Jerusalem kamen, lachte und spottete der König nicht und beschaute nicht wohlgelaunt seine Machtmittel. War er denn nicht in seiner uneinnehmbaren Burg? Standen nicht seine Mannschaften wohl gerüstet und ihm treu ergeben um ihn herum? Stand ihm nicht im Notfall die ganze Macht des römischen Weltherrschers zur Seite? Dennoch erschrak er, und weil er erschrak, erschrak auch das ganze Jerusalem. Magier waren es, die die Geburt des verheißenen Königs verkündeten; man wagte in der Königsburg nicht, ihr Wort leicht zu nehmen. Wenn Magier die Botschaft brachten, die der Stern ihnen kundgetan hatte, so war dies eine ernste Sache. Auf die Magier sah jedermann mit banger Scheu. Si kannten die Sterne, und was die Sterne offenbaren, das geschieht. Im Rat der Priester und Lehrer befragte man nicht die Sterne, sondern öffnete das heilige Buch. Aber auch dieses gab der Botschaft der Weisen Gewicht. Denn es verkündete den kommenden König. Einmal wird er kommen, das stand fest; nun sagten die Magier: er ist geboren. Die Sache war ernst. Ehe uns Matthäus zu Christus führt, enthüllt er uns mit einem tiefen Wort den Widerspruch, der immer im Menschen sichtbar ist. Wenn es je einen stolzen Menschen gab, der entschlossen war, seine Macht mit allen Mitteln zu verteidigen, und wenn er den neugeborenen König der Juden töten müsste, so war es Herodes. Aber dicht neben dem aufgerichteten Stolz stand die Furcht, stand die nicht auszulöschende Gewissheit, dass es eine höhere Macht gebe, ein Schicksal, das die Sterne künden, einen Zufall, der die Welt beherrsche und auch die Mächtigen unvermerkt überfalle und sie zerbreche. Was war in dieser Lage zu tun? Die Priester sagten, wir müssen warten, bis der, von dem die Weisen sprechen, sich offenbaren wird, bis er nicht nur geboren ist, sondern die Herrschaft ergreift. Der König sagte: Wir müssen zugreifen und den Brand ersticken, solange er noch ein Funke ist. Glauben konnten beide nicht, weder der König noch die Priester. Die Priester wollten schauen und dann glauben. Der König wollte herrschen, nicht gehorchen. Den römischen Herrn ertrug er, aber keinen jüdischen. Ein König, den ein Stern offenbart, war von Gott gesandt. Das hat aber weder der König noch die Priester bewegt. Was ist Gott? Ihnen war er fern und unbekannt. Aber eben deshalb, weil wir fern von Gott sind und Er uns unbekannt ist, ist Christus geboren.
Was ist doch, Herr Christus, der Mensch für ein Abgrund von Bosheit und Torheit ohne Dich! Was wird aus unseren Regierenden, unseren Priestern und Lehrern ohne Dich? Was ist der Mensch, wenn Du ihn nicht zum Vater führst? Es gibt keinen Namen, der uns zeigt, wie uns geholfen wird, als allein Deinen. Amen.

Kap. 3

Johannes sprach: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
Matthäus 3,3

In dem, was Johannes sagte, leuchtet Gottes Verheißung im hellsten Glanz, nicht weniger hell als in der Weihnachtsgeschichte. Gottes königliches Handeln steht bevor und bringt uns die Gaben seiner alles vollendenden Gnade. Die Verheißung bewegt unser Verlangen. So war es auch damals in Israel. Er, der dem Volke sagte: „Ihr steht unmittelbar vor dem Himmelreich!“ wird von den Scharen umdrängt, die aus vielen orten zu ihm zogen. Aus der Verheißung erwächst als das erste, was sie uns gibt: die Hoffnung. Sie ist mit Freude umkränzt. Bald endet alle Pein; soll ich mich nicht freuen? Bald erscheint Gottes uns selig machender Reichtum; soll ich nicht den Psalm anstimmen? Wird nicht aus der Schar, der Johannes predigt, eine jubelnde Gemeinde, die gemeinsam mit jauchzendem Lied den nahenden Tag des Heils begrüßt? So war es und so muss es sein; denn die Verheißung wirkt Freude und erzeugt die Danksagung. Johannes deutet aber den Anspruch, den die Verheißung an uns richtet, noch mit einem anderen Wort: tut Buße, kehrt um! Dass das Unrecht verschwinde und die Gottlosigkeit ende, dass wir wegtun, was Gott hasst und richtet, das macht Johannes zur Folge, die aus der Verheißung entstehen soll. Die Verheißung erfreut, aber nicht allein, sondern sie reinigt auch. Die Verheißung erweckt mein seliges Empfinden, aber nicht allein, sondern sie schafft auch Willen. Die Verheißung heftet meinen Blick auf Gottes Tat, aber nicht allein, sondern sie beruft auch mich zum Handeln. Kann denn ich irgend etwas dazu tun, dass Gottes Reich komme? Es kommt durch Gott selbst. Es kommt aber, um abzutun, was Gott widersteht. Tue ab, was dich mit Gott entzweit und aus ihm deinen Widersacher macht. Muss ich deshalb klagen, Gottes Reich sei für mich verschlossen? Kommt es auch zu mir, wenn es nicht für Sünder kommt? Gott, sagt mir Johannes, tut weg, was dich von seinem Reiche trennt. Gott vergibt, Du wirst getauft und in Gottes Vergebung hineingesetzt. Die Vergebung empfängst du aber nicht, damit du das Böse tust und ein Sünder bleibst, sondern damit du es nicht mehr seiest. Wird mir die Taufe dazu gegeben, damit ich Buße tue, ist dadurch die Verheißung und ihre Freude getrübt? Vollendet ist sie nun. Ich darf mein Böses lassen, darf verwerfen, was Gott verwirft, darf selber hassen, was Gott an mir hasst, und darf dies tun, weil Gott mir vergibt und mich in sein Reich einführt. So bleibt Gottes Reich Gottes Werk und Eigentum und wird nicht zum Reich des Menschen, der für sich und seinen sündlichen Willen Glück und Ewigkeit begehrt.
Ich labe mich, Herr Gott, an Deinen Verheißungen und mache meine Seele mit ihr froh, damit ich nicht ermüde im Streit mit dem, was unrecht ist. Deine Verheißung beruft mich in meinen Kampf, damit ich ihn freudig vollbringe. Amen.

Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum, welcher Baum nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Matthäus 3,10

Zur Umkehr berief der Täufer das Volk und Jesus tat es ebenso. Umkehr, die den boshaften Willen wegstößt und das verwerfliche Verhalten preisgibt, führt in Gottes Reich hinein. Worin gesteht denn unsere Sünde? Der Ruf zur Buße beschrieb sie nicht; denn er gesteht uns nicht zu, daß wir das Sündliche nicht kennen. Jeder kennt seine Not; jeder weiß, was ihn verdirbt. Wir brauchen alle nicht Aufklärung, sondern Entschluß, nicht Beschreibung und Betrachtung unserer Sünde, sondern ihr Ende. Wenn aber das göttliche Urteil uns verkündet wird, das aus unserer Sünde den Ausschluß und aus unserer Buße den Eingang in Gottes Reich macht, dann bedürfen wir die klare Erkenntnis, wie die Sünde von uns geschieht. Darum kam der Täufer dem Gewissen des Volks mit seinem Gleichnis zu Hilfe, das auch Jesus in derselben Weise verwendet hat. Den Fruchtbaum macht er zum Gleichnis des Menschen; wann verfällt er der Axt? Wenn die Frucht ausbleibt. Wie vor der Unfruchtbarkeit die zur Fruchtbarkeit geschaffene Art des Baumes steht, so steht vor unserer Sünde Gottes gnädige Gabe, doch so, daß sie von uns entkräftet wird. Gottes Wort wird empfangen, bleibt aber unwirksam. Gottes Wahrheit spricht zu mir, wird aber von mir verdrängt. Gottes Gnade bewegt meinen Willen; aber meine Eigensucht widersetzt sich ihr. Das ist die Sünde. Da Jesus den Ruf des Täufers zur Buße fortgesetzt hat, zeigt er uns in derselben Weise, wie wir schuldig werden. Unsere Schuld entsteht nicht an dem, was uns fehlt, sondern an dem, was wir empfingen. Welcher Feigenbaum ist in Gefahr, daß er umgehauen werde? Der, der nur Blätter trägt. Was tut ihm der Gärtner? Er beschenkt ihn mit seiner Pflege und reicht ihm seine Hilfe dar, damit er endlich Frucht bringe. Welches Salz wird zertreten? Das, das nicth salzt. Welche Rebe wird entfernt? Die, die nicht Frucht bringt. Welches Talent bringt den, der es hat, ins Gefängnis? Das, welches unnütz blieb. Jesu Urteil fragt mich nach dem, was aus Gottes Gabe durch mich geworden ist. Darum wurde aus der Botschaft des Täufers und Jesu nicht ein doppeltes, zwiespältiges Wort, bald die Verkündigung des göttlichen Reichs und bald die Verkündigung des göttlichen Zorns, sondern ihr Evangelium machte Gottes einträchtigen Willen offenbar. Daß der Feigenbaum in Gottes Garten steht, das ist Gottes Gnade; daß er umgehauen wird, das ist Gottes Gericht. Dieses geschieht, weil jene geschah. Der göttliche Zorn schützt Gottes Gabe gegen ihren Mißbrauch und sein Gericht verdirbt den, der die empfangene Gnade verdarb. Im göttlichen Zorn offenbart sich der wahrhaftige Ernst seiner Gnade und darum gibt es auch nur einen Weg, auf dem wir dem göttlichen Zorn entrinnen, den der Täufer mit dem Wort beschrieben aht: Bringt der Buße würdige Frucht.

Ich bleibe, lieber Herr, oft an dem hängen, was ich gern hätte und nicht habe, und plage mich mit dem, was mir fehlt. Allein nicht das macht, daß du wider mich bist. Meine Schwachheit und Not trennt dich nicht von mir, sondern führt dich zu mir. Allein deine heilige und herrliche Gnade muß ich bewahren. Hier werde ich schuldig und daher bist du deshalb mein Heil, weil ich in deinem Namen bitten darf: vergib uns unsere Schulden. Amen.

Kap. 4

Der Versucher trat zu Jesus und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Und er antwortet und sprach: „Es steht geschrieben: der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.“
Matthäus 4,3+4

Mein Platz ist zugleich in der Natur und über der Natur und beide kommt mir aus demselben Grund zu; beides ist mir damit gegeben, dass ich mit Gott verbunden bin. Nun ficht uns aber das heftige Schwanken an, das uns bald hinunterzieht in die Natur, so dass wir in sie versinken und Gott vergessen, und bald von ihr losreißt, so dass wir versuchen, ihr zu entrinnen. Während wir an dieser Stelle alle schwanken und fallen, steht Jesus aufrecht und macht aus der Versuchung seinen Sieg. Wie entsteht das Leben? Gott spricht und sein Wille geschieht. Weil er zu mir spricht: lebe!, lebe ich. Spricht er: stirb, so wird mich keine Macht und keine Kunst am Leben erhalten. Er verfügt über mich. Mit meinem Leben bin ich aber an die Natur gebunden und Jesus empfand diese Gebundenheit damals peinlich, da er hungerte. Er steht allein in der menschenleeren Öde und erfährt die zwingende Notwendigkeit, mit der uns die Natur beherrscht. Die nagende Pein des Hungers macht sie ihm deutlich. Versinkt er nun in die Natur, weil er Brot bedarf? Verschafft er es sich in der Kraft seiner Gottessohnschaft? Der Mensch lebt freilich vom Brot, aber nicht allein, antwortet Jesus. Gott ist der Geber des Lebens. Gottes Werk ist er, nicht nur das Werk der Natur, und wird nicht nur von ihr genährt. Der, der ihn schuf, ernährt ihn auch. Darum fährt er nicht mit wunderbarer Wirkung über die Natur hinaus und stößt den Hunger nicht von sich weg und begehrt nicht, dass Steine ihn nähren. Auch jetzt, da er hungert, ist er nicht in Gefahr; denn sein Leben wurzelt in Gott. Die Menschheit und die Sohnschaft Gottes, beides besitzt er und beides bewahrt er unverletzt. Er verleugnet um der Menschheit willen, die ihn des Brotes bedürftig macht, die Einheit mit dem Vater nicht, den er allein als den Geber seines Lebens ehrt, und er verleugnet um Gottes willen die Natur nicht, die ihn des Brotes bedürftig und ohne Brot hungrig macht. Damit hat uns Jesus gezeigt, was der Glaube ist.
Dein Sieg, o Jesus, stellt Dich hoch über uns, die wir verzagen, wenn uns das Brot fehlt, und es gierig bei uns anhäufen, damit es uns nicht fehle. Schöpfer des Glaubens, führe mich über das Geschöpf hinauf zum Schöpfer, von dem wir das Leben haben, damit auch mein natürliches Leben Ihm geheiligt sei. Amen.

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab. Denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über die Befehl tun und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stössest.“ Da sprach Jesus zu ihm: „Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen.“
Matthäus 4,5–7

Völlig frei stand Jesus über der Natur, als er, da er hungerte, nicht nach Broten griff, sondern sich an Gottes Leben schaffendem Wort genügen ließ. Kann sich ein solcher Glaube noch fürchten? Gibt es für ihn noch Gefahren? Stehst du auf Gott gestützt oberhalb der Natur, so wirf dich, sagt ihm der Versucher, hinab; das ist die Versuchung, die die Glaubenden anficht. Haben sie nicht das Recht und auch die Pflicht, alles zu wagen? Mit den menschlichen Möglichkeiten rechnet der Glaube nicht, denn er hält sich an Gottes allmächtige Gnade. Wo findet sich nun noch eine Schranke, die ihm Halt geböte? Die Verheißung, die uns zum Glauben beruft, kennt keine Schranken. Wie oft schwankt und fällt die Christenheit an diesem Punkt! Das Urteil Jesu bleibt aber völlig klar. Das ist nicht Glaube, wenn der Mensch vorangeht und Gott sie bestätigen muss. Der Glaube macht aus Gott nicht den Diener unseres Übermuts. Den Schluss: der Herr will es, denn ich will es, ließ Jesus nicht zu. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Aus dem Glauben entsteht nicht der Wille, zu erproben, ob wohl Gott helfe. Vielmehr bekommt der Glaube die richtige Haltung dadurch, dass er Gehorsam wird, der auf Gottes Leitung wartet und ihr folgt. Von der unbeschränkten Gewissheit des Glaubens bricht Jesus nichts ab und in die Vollendetheit der Verheißung reißt er keine Lücke. Das hat er damals bewiesen, als er zum Kreuz ging. Der Sturz vom Balkon des Tempels war nicht gefährlicher als der Gang an das Kreuz. Furcht vor der Natur und Furcht vor den Menschen hat in dem, der in Gott den Geber seines Lebens hat, keinen Raum. Nur eines gibt es, was er zu fürchten hat: die Furcht vor Gott lebt in ihm und macht es ihm unmöglich, den Gehorsam aufzugeben, der allein unseren Willen richtig und mit Gottes Willen einträchtig macht. Als Jesus zum Kreuz ging, sprang er nicht eigenmächtig in den Tod hinab; dorthin wurde er geführt.
Dein gebender und Dein gebietender Wille, Vater, sind eins. Zeige mir beide in ihrer völligen Verbundenheit, damit mein Glaube und mein Gehorsam verbunden seien. Trennte ich den Gehorsam von meinem Glauben, so werden meine Schritte falsch, weil mich mein Eigenwille verlockt. Fehlt meinem Gehorsam der Glaube, so drückt er mich und wird mürrisch und verfälscht. Auf Dich, Herr Christus, sehe ich, dass Du mir Schutz und Führung seiest. Dein Weg ist die gerade Straße. Amen.

Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: „Dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest.“ Da sprach Jesus zu ihm: „Hebe dich weg von mir, Satan. Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen.“
Matthäus 4,8–10

Vom Gipfel des Berges aus sah der, dem der Vater alles übergeben hat, auf weite Länderstrecken. Es ist sein Beruf, der Herr der Menschheit zu sein. Wie wird er es werden? Du wirst es, sagt ihm der Versucher, wenn ich dir beistehe. Ich weiß, wie man die Menschen gewinnt und begeistert und Macht erwirbt und Throne aufbaut. Er fordert auch keinen hohen Preis, nur einen Augenblick, in dem er vor ihm kniet und ihn verehrt. Das ist die Versuchung derer, die zu wirken haben und dazu Macht bedürfen. Wie oft steht die Christenheit in hartem Ringen mit solchen Gedanken; seid nicht zu schroff in eurem Widerspruch, der alles Böse abstößt; vermindert die Reibungen; gebt auch der Gegenseite ihre Ehre; wie könnt ihr auf einen Erfolg hoffen, wenn ihr euch mit der Welt nicht verständigen könnt? Wir kennen alle diese Not. Denken wir uns einmal, Jesus hätte sich den von ihm begehrten Kniefall abgezwungen, was wäre geschehen? Begeisterte Huldigung wäre ihm zugeflogen; das Rabbinat wäre herbeigekommen, um ihn zu ehren, und die Priesterschaft hätte ihm gehuldigt, die Zeloten hätten sich um ihn geschart und ihm ihren bewaffneten Arm zur Verfügung gestellt und sein Name wäre schnell durch die Lande geflogen und in jeder jüdischen Gemeinde hätte man eifrig erzählt, dass der König gekommen sei, und am römischen und persischen Hof hätte man sich mit dem erfolgreichen Machthaber abgefunden. Stattdessen ging Jesus ans Kreuz. Er konnte nur einen anbeten, einzig Gott. Wie er seine Zuversicht nicht spaltete, als er hungerte, sondern Gott ein ganzes Vertrauen erwies und wie er auf jedes eigenmächtige Wagnis verzichtete und Gott den ganzen Gehorsam darbrachte, so teilte er auch seine Liebe nicht, sondern gab sie ganz und unteilbar dem Vater und konnte nichts ehren und anbeten als Gott allein. Das ist die Herrlichkeit Jesu und seines Kreuzes: er ist der, der nicht imstande war, sich der Hilfe des Satans zu bedienen, der, der Einen angebetet hat, Gott und niemand sonst.
Weil Du, Herr Christus, vor niemand knien konntest als vor Deinem Vater, knien wir alle anbetend und danksagend vor Dir. Du bist unser Priester, der Gott wahrhaft ehrt. Du hast in Dir die Liebe, die keine Untreue kennt. Du richtest nicht Menschenmacht und Satansmacht unter uns auf, sondern bringst uns Gottes Reich. Darum ist es das Bekenntnis Deiner ganzen Schar: Gelobt bist DU, der Du kommst im Namen des Herrn. Amen.

Kap. 5

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.
Matthäus 5,3

Die ganze Welt dreht sich um, wenn Jesus zu reden beginnt. Seine Gedanken sind nicht die unsrigen, sind auch nicht nur eine Verbesserung und Aufklärung unserer Gedanken, sondern stehen zu diesen in einem vollendeten Gegensatz. Niemals sagen wir: selig, die Armen, wobei es für unseren Widerspruch gegen Jesus ganz gleichgültig ist, ob wir dabei an den natürlichen oder geistigen Besitz denken. Für uns steht fest: Besitz ist Glück, sowohl reicher Vorrat an Lebensmitteln, als reiche Anhäufung innerer Kräfte. Wenn wir das ernsthaft schätzen, was uns inwendig reich und stark macht, klingt uns das Wort Jesu erst recht unglaublich. Wie kann er es bestreiten, dass uns mit großem Wissen, starkem Willen, reicher Erkenntnis Gottes, großem geistlichen Vermögen ein nicht genug zu schätzendes Glück beschert ist? Das ist die Rechnung des Menschen, der sich selbst beschaut und noch nichts wahrgenommen hat als sich selbst. Nun spricht aber der zu uns, der den Vater kennt, und damit dreht sich unsere ganze Welt. Denn jetzt bemisst sich mein Glück nicht nach dem, was ich habe, sondern nach dem, was Gott hat und Gott gibt. Für Gott entsteht aber der Anlass zum Geben aus dem, was ich nicht habe. Einen anderen Anlass, weshalb er mir gütig ist, als mein Bedürfnis gibt es für Gott nicht. Vor meinem Reichtum verneigt er sich nicht und mein Können lockt ihm keine Bewunderung ab. Ihm liegt es nicht daran, große Menschen zu machen, sondern daran, mir zu zeigen, dass er Gott ist. Sich will er mir zeigen, und ihn kenne ich dann, wenn ich seine Gnade schaue. Darum ist meine Armut das, was mir ihn offenbart, weil er zu meiner Armut seinen Reichtum fügt. Ihrer, sagt Jesus, ist das Himmelreich; das heißt, Gottes ganze Gnadenmacht und Herrlichkeitsoffenbarung wird ihnen zuteil.
Das ist das Evangelium Jesu für die Armen, das ist die einzige mögliche Hilfe für sie. Der Armut ist nur dann geholfen, wenn sie den Geber findet, der zu ihrem Bedürfnis seine Gabe fügt. Ist das aber nicht die Hilfe für uns alle? Denn wer ist nicht arm? Ist es nicht auch der Reiche, gerade weil sein Reichtum an ihm hängt, und endet nicht auch geistiger Reichtum in Verarmung, weil wir, je reicher wir werden, um so weniger Gottes bedürftig sind? Wenn uns dafür die Augen aufgegangen sind, entsteht in uns das Verständnis und die Danksagung für die Verheißung Jesu, die den Armen, deshalb, weil sie arm sind, das Himmelreich gewährt.
Kehre Du, lieber Herr, meine Gedanken um, dann verlieren sie die Enge und Dunkelheit, die ihnen unser natürlicher Zustand gibt, und werden Gottes Gedanken untertan. Das sind die Gedanken der gebenden Gnade, die sich nicht auf unseren Besitz und unser Vermögen aufbaut, sondern barmherzig ist, ganz zu uns herantritt und ihre Gabe in unsere Armut legt. Amen.

Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter, so leuchtet es denen allen, die im Hause sind. Also lasset euer Licht leuchten vor den Leuchten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Matthäus 5,15+16

Immer kommt das Wort Jesu von einer anderen Seite her, als wir erwarten. Er formt das Gleichnis, das er zum Bild seiner Jünger macht, nicht so: es ist Nacht und dunkel im Hause; zündet die Lampe an und tragt euer Licht in das dunkle Haus hinein, sondern er sagt: die Lampe brennt, verdeckt sie nicht, stellt sie nicht unter den Scheffel, wo sie nicht brennen kann und niemand leuchtet. Er hat nicht zu ihnen gesagt: macht aus euch das Licht der Welt, sondern: ihr seid es, wie er auch von sich selbst nicht sagte: ich mache aus mir das Licht der Welt, sondern: ich bin es. Warum überrascht uns sein Wort? Unsere Gedanken und die seinen gehen nicht von derselben Stelle aus. Unsere Gedanken fangen mit dem an, was wir selber sind. Jesu Gedanken fangen mit dem an, was Gott uns gibt. Weil wir bei uns selbst anfangen, fangen wir mit nichts an, beginnen mit dem, was uns fehlt und uns elend macht, bei der Lampe, die nicht brennt, die ich nun anzünden will bei der Nacht, der das Licht fehlt und die ich nun erleuchten will. Weil Jesus dagegen mit Gott anfängt, brennt bei ihm die Lampe und das Haus ist hell und er macht den Jüngern das zur Pflicht, dass sie das Licht nicht verbergen. Weil wir bei uns anfangen, das heißt beim Nichts, sehen wir, dass es viel für uns zu tun gibt. Nun machen wir uns ein großes Programm von Pflichten und verfassen ein mächtig anschwellendes Verzeichnis von Dingen, die wir schaffen wollen. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als dass wir uns den Lastträgern zugesellen, die eine schwere Bürde schleppen. Auch Jesus hat für seine Jünger ein Programm bereit und spricht mit ihnen von ihrer Pflicht und ihrem Werk. Bei ihm besteht aber ihr Werk darin, dass sie das scheinende Licht nicht verdunkeln und die empfangene Gabe nicht verderben. Nach unserer Meinung sollen wir etwas werden; nach Jesu Gebot sollen wir das sein, wozu uns Gottes Gnade macht. Das ist zugleich sein sanftes Joch und sein mit drohendem Ernst gefülltes Gebot. Ob von meinen hübschen Phantasien und großartigen Plänen viel oder wenig zustande kommt, daran liegt wenig. Wenn ich aber Gottes Gabe verderbe und das Empfangene unfruchtbar mache, das ist Schuld. Jesus zeigt uns, was Sünde ist und was ihr die uns verderbende Macht verschafft. Wer das ihm scheinende Licht auslöscht, der sitzt nun im Finstern. Der verschiedene Anfang, den unsere Gedanken und die Jesu haben, zeigt sich auch im Ende, zu dem sie gelangen. Weil wir bei uns, das heißt beim Nichts, anfangen, bringen wir es zu Worten. Weil Jesus dagegen mit Gott und seinen Gaben anfängt, führt er uns zum Werk. Was Gott uns gibt, sind nicht nur Worte, sondern ist Leben und Tat. Denn Gottes Reich steht nicht in Worten, sondern in Kraft.
Deine Gaben, Vater, umringen mich. Dein Licht scheint mir, Dein Wort ruft mich, Dein Friede beschirmt mich. Deine Gemeinde nimmt mich bei sich auf, nährt mich und gibt mir Teil an Deinem Werk. Nun bitte ich Dich, der Du das Wollen und Vollbringen schaffst, gib mir, dass das, was DU mir gabst, seine Frucht trage zu Deinem Preis. Amen.

Es sei denn eure Gerechtigkeit besser denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Matthäus 5,20

Spricht hier Jesus wirklich das Todesurteil über die ganze pharisäische Schar? Schließt er sie alle von seinem Reich aus? Wäre das sein Wille, so müsste die Christenheit tief erbeben. Denn die Antwort auf die Frage, ob ihr Gottesdienst höher stehe als die pharisäische Frömmigkeit, ist nicht leicht zu finden. Es gibt auch unter uns viele, deren Anteil an der Kirche darin besteht, dass sie „die religiösen Pflichten“ erfüllen, viele, die nur durch die Sitte der Gemeinde zusammenhängen, die Taufe begehren, weil die Sitte es verlangt, und am Grabe beten lassen, weil es üblich ist. Auch bei uns haben manche gelernt, was Frömmigkeit sei, und wissen dies auch darzustellen, bleiben aber inwendig zerrissen und legen die christliche Tracht über ihren inneren Jammer, und für manche besteht ihr Christenstand in ihrer Theologie, sie sei überliefert oder selbst erworben, nach der pharisäischen Weise: Du lehrst die anderen, aber dich selber nicht. Soll über diesen allen das Urteil Jesu stehen: ihr kommt nicht in das Himmelreich hinein, so drängte es auf unsere Lippe die bange Frage, die einst die Jünger aus ihrem erschütterten Herzen hervorstießen: Wer kann dann selig werden? Aber vom Schicksal der Pharisäer spricht Jesus in diesem Wort nicht, sondern vom Schicksal seiner Jünger. Ihr, sagt Er, müsst etwas anderes sein als die, die in der Schule fromm sein lernten, ihr etwas anderes als die, die nur der Ritus bei der Gemeinde erhält, ihr etwas anderes als die, die nur das Gesetz kennen und es eifrig einüben, weil es ihnen zum Verdienst vor Gott verhilft. Ihr meine Jünger, kommt so nicht in Gottes Reich hinein. Ihr habt anderes empfangen und darum auch eine heiligere und herrlichere Pflicht. Ihr habt an mir den Sohn Gottes gesehen und das bedeutet: ihr habt Gottes Gnade geschaut, die den Glauben schafft und das Herz durch den Glauben reinigt und die Liebe gibt. Ihr dürft nicht sagen: so war es immer in Israel üblich gewesen und so hat es der Meister in der Schule befohlen. Ihr habt auf mich zu hören, nicht auf das, was zu den Alten gesagt wurde, sondern auf das, was ich euch sage, und werdet nicht ins Himmelreich kommen, wenn ihr nicht eine bessere Gerechtigkeit habt als die, die auch die anderen haben. Mit ihrem eigenen Schicksal hat Jesus seine Jünger beschäftigt und ihnen den Ernst ihrer Lage enthüllt, in die sie als die Seinen, als die zum Himmelreich Geladenen, versetzt worden sind.
In Deinem Wort und Willen, Herr Christus, sind die Gnade und die Gerechtigkeit vereint. Das von dir gegebene Pfund soll sich mehren und die von dir ausgestreute Saat reifen. Deine Gerechtigkeit, mit der Du die anderen richten wirst, ist Dein Geheimnis; wird es offenbar, so zeigt es Dich in Deiner ganzen Majestät. Dein Wort heißt mich achthaben auf mich selbst und treu sein in dem, was Du mir gabst. Das ist mein Verlangen und mein Gebet. Amen.

Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und alsdann komm und opfere deine Gabe.
Matthäus 5,23+24

Jesus sagt dem, der mit seinem Opfertier vor dem Altar steht: dort tritt das Unrecht in deine Erinnerung hinein, das du am Bruder tatest. Am Altar erwachen die Erinnerungen. Das ist ein wichtiger Teil des Segens, den uns unser Gottesdienst zuträgt, und auch ein wirksamer Grund, weshalb wir die Kirchen meiden und den Gottesdienst nicht nur als Freude und Erquickung erleben. Es verbinden sich mit ihm zu viel Erinnerungen an Dinge, von denen wir wünschen, dass sie endgültig vergessen seien. Sei aber nicht weichlich. Dass du an das gedenkst, was du tatest, das ist eine dir verliehene Gabe. Wird dir die Erinnerung gegeben, so ist die eine Wohltat erzeigt. Aber nun nütze die Gabe und schlage die Wohltat Gottes nicht aus. Wie nütze ich sie? Lass, sagt Jesus, deine Gabe vor dem Altar; lass dein Opfer unvollendet. Zuerst bringe dein Verhältnis zum Bruder in Ordnung und mache dem Unrecht, soweit es noch möglich ist, ein Ende. Ich kann im Stand der Ungerechtigkeit Gott nicht dienen. Wie sollte ich imstande sein, ihm eine Gabe darzubringen, wenn ich den Bruder schädige? Es ist ein sinnloses Unternehmen, Gott zu beschenken und den Menschen zu berauben, Gott zu ehren und den Menschen zu entehren, Gottesdienst zu üben und Menschen zu verderben. Nun brauche ich nicht weiter zu fragen, warum für so viele unser Predigen leer bleibt und keine Wirkung hat. Hier mochte ein jüdischer Hörer ängstlich erwogen haben, ob er nicht etwa Gott beleidige, wenn er vom Altar weglaufe und das, was er dem Bruder schulde, höher schätze als die Gott darzubringende Gabe. Du beleidigst Gott nicht, sagt ihm Jesus, und darfst wiederkommen und darfst ihm mit deiner Gabe danken, darfst ihm auch dafür danken, dass er dich an dein Unrecht erinnert und die verstattet hat, es abzutun. Das ist die Gottesdienstordnung Jesu und kein liturgischer Künstler hat Recht und Macht, sie umzustoßen.
Herr Gott, Du bist der Menschenfreund. Wir tun einander weh und schädigen uns. Du aber widerstehst jedem Unrecht und gestattest uns, dass wir zu Deinem Altar kommen dürfen, weil Du uns verzeihst. Mache mich durch Deine Stärke stark, das Unrecht zu meiden, und durch Deine Gnade gläubig, dass ich Dir meine Gaben bringe und bei Dir die Vergebung empfange. Amen.

Er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Matthäus 5,45

Die Tatsache, die Jesus hier beschreibt, ist offenkundig und unbestreitbar. Die Natur gibt jedem die Lebensmittel, ob er gerecht oder ungerecht mit ihnen verfahre, ob wir boshaft oder gütig an den Menschen handeln. Wir empfangen nicht sofort und sichtbar auf unserem Acker den Lohn für unsere Bosheit. Auch die von oben kommenden Gaben, ohne die es keine reifende Ernte gibt, Sonne und Regen, werden mir deshalb, weil ich gottlos bin, nicht entzogen. Die Natur, sagen wir, tut das; die Natur fragt nicht nach unserem sittlichen Verhalten. Damit machen wir den Tatbestand, von dem Jesus spricht und den wir alle sehen, für unser eigenes Verhalten unwirksam. Nein, sagt Jesus, nicht die Natur ernährt dich. Gott gibt dir Licht, Wärme und Wasser, ohne die keine Ähre reift. Die Natur tut es, weil Gott es tut. Gönnte er dir dein Brot nicht, weil du boshaft und ungerecht bist, so schiene dir keine Sonne und tränkte deinen Acker kein Regenguss, und jetzt bekommt der einfache Tatbestand, den wir immer vor Augen haben, für uns die größte und furchtbarste Wichtigkeit. Was zeigt uns hier Gott? Gebende Güte, die sich nicht ändert, wenn ihr der Dank versagt wird, Unermüdlichkeit der Liebe auch gegen den, der boshaft und ungerecht ist. Wie fremd ist uns das, so fremd, dass der Tatbestand, an dem uns Jesus die Weise Gottes zeigt, uns oft zum Anstoß wird. Sind es nur die alttestamentlichen Frommen gewesen, die verblüfft, ja geärgert sahen, dass es auch Gottlosen wohl ging? Kennen wir diesen Anstoß nicht? Jesus hat das als die Vollkommenheit des Vaters gepriesen, dass er aus der Natur die reiche Vorratskammer machte, aus der ich holen kann, was ich brauche, auch dann noch, wenn ich aus mir einen gottlosen und boshaften Menschen gemacht habe. Die Weise des Vaters wiederholt sich im Verhalten seiner Kinder. Ihr habt, sagt Jesus, in Gott eine Güte vor Augen, die vor der Bosheit nicht verschwindet und der Feindschaft gegenüber die gebende bleibt. Nun wisst ihr, woran man Gottes Kinder erkennt und wie ihr solche werdet. Eure Liebe wartet immer auf die Liebe der anderen und geht unter, wenn euch die anderen sie versagen. So dient eure Liebe euch selbst und bleibt von eurer Eigensucht beherrscht. Gottes Liebe rechnet nicht auf Gegenleistung; sie ist frei und ganz.

Du siehst, Herr Christus, alles mit neuen Augen an, auch das, was wir beständig sehen. Denn Du siehst alles mit den Augen der Liebe an, der völligen und reinen. Darum bist Du für uns das Licht des Lebens. Führe mich dadurch ins Leben, dass Du mich zum Lieben bringst. Amen.

Kap. 6

Wenn du Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.
Matthäus 6,3

Wenn irgendein Gebot Jesu uns zur Einrede reizt: das ist unmöglich, ich kann das nicht! So ist es dieses Gebot. Dass wir unser Wohltun nicht auch vor den anderen ausstellen dürfen, das hat einleuchtenden Grund. Wir haben alle keine Achtung von einer Wohltätigkeit, die nicht zustande käme, wenn sie nicht Zuschauer hätte. Wir wissen alle, hier kommt etwas anderes ans Licht als Güte. Dieses Wohltun ist Eigennutz und erkauft sich mit seiner Gabe einen Gewinn, die Ehrung, die der Zuschauer ihm spenden soll. Jesus ist aber nicht damit zufrieden, dass die fremden Augen ausgesperrt bleiben; auch ich selbst soll meine Wohltat nicht beschauen. Das hat er in seiner mächtigen Sprache so gesagt, dass meine linke Hand nichts davon erfahren soll, dass meine rechte Hand den anderen die Gabe gibt. Auch wenn ich nicht Dank und Lohn von den Menschen begehre, so begehre ich doch den Lohn, dass meine Wohltat mich selbst erfreue und mir das Wohlgefühl des richtigen Handelns verschaffe. Damit hängt sich aber wieder jene Verunreinigung, die die den anderen vorgezeigte Wohltat verdirbt, in ihrer innersten und feinsten Gestalt an unsere Güte an. Ein letzter, feinster, aber auch stärkster Trieb der Eigensucht mengt sich ein. Sei nicht dein eigener Zuschauer und Lobredner, mahnt uns Jesus. Dich geht, was du Gutes tust, nichts an. Ihn geht es an, der deine Wohltat bedarf. Sieh auf ihn und sorge dafür, dass er wirklich erhält, was er bedarf. Wie kann ich zu dieser selbstlosen Güte kommen? Das Gebot Jesu wäre eine unerfüllbare Unmöglichkeit, wenn er uns nicht in den Glauben stellte. Solange ich meinen Stützpunkt in mir selber suche und mich an das klammere, was ich bei mir finde, wird sich auch meine linke Hand lebhaft an dem beteiligen, was die rechte tut. Dann zuckt das Hochgefühl des guten Werks durch meine ganze Seele und wird mir zum unentbehrlichen Genuss. Denn ich füge ja mit jeder Guttat einen Stein hinzu zu meinem stolzen Bau. Wie ich sein Erbauer bin, bin ich auch sein Beschauer und sein Bewunderer. Nun wendet aber Jesus unser Gesicht zu Gott hin, so dass wir glauben. Das gibt die Lösung nicht nur von unserem Sündigen, sondern auch von unserem Gutestun. Denn ich stehe nun vor Gott nicht auf meinem Werk, nicht auf dem, was meine Liebe opfert, sondern auf Gottes Wort und Gottes Tat. Der Segen, der daraus entsteht, wird mir sofort zuteil. Nun entsteht jenes Helfen, das ernsthaft hilft, weil unser Blick nicht an uns und unserem Vorteil hängt, sondern klar und ganz das bedenkt, was dem anderen dient.

Wenn meine Linke mit dabei ist, lieber Herr, dann hält sie meine Rechte fest, dass sie nicht ernsthaft geben kann. So wird aus meinem Wohltun Schein. Weil Du allein die Liebe bist, suche ich sie bei Dir, und ich weiß, sie ist des Geistes Frucht und des Glaubens Frucht. Amen.

Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Türe zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen.
Matthäus 6,6

Der Betsaal, den die jüdischen Gemeinden an allen Orten herstellten, war eine wunderschöne Einrichtung. Weil sie sich die Betsäle bauten, erhielten sich die jüdischen in allen Ländern und jedes ihrer Glieder fand im Betsaal immer wieder die Nahrung, die ihm für sein inwendiges Leben unentbehrlich war. Auch wir können uns keine Mission denken ohne Kirchenbau und keine Christenheit ohne Räume, die für ihren Gottesdienst ausgesondert sind. Dennoch führt Jesus die Seinen, wenn sie beten, aus dem Betsaal hinaus. Wohin? Welchen Ort zeigt er ihnen, der heiliger wäre als der Betsaal? Gibt er seinen Jüngern auf, statt der jüdischen christliche Betsäle herzustellen? Die Vorratskammer, voll von irdischen Dingen, von Öl- und Weinkrügen und Getreidehaufen, beschreibt er den Seinen als den richtigen Ort für ihr Gebet. Das ist sie deshalb, weil man sie verschließen kann. Dort beten sie im Verborgenen zu dem, der im Verborgenen gegenwärtig ist und die im Verborgenen Betenden erhört. Wie jedes Wort Jesu, so beschenkt uns auch dieses mit seiner königlichen Freiheit. Der, der in seinem Vorratsraum beten kann, ist frei gemacht, frei vom verwirrenden Eindruck, den die natürlichen Dinge auf uns machen, frei auch von jeder religiösen Stütze, die seine Erinnerung an Gott beleben soll. Er braucht keinen geweihten Raum, keine ihn feierlich stimmende Umgebung, keine Hallen und Orgeln, nicht einmal die Gemeinde. Er muss nicht erst durch irgendeine Vermittlung zu Gott emporgetragen werden; er hat Gott bei sich auch an dem dem irdischen Leben dienenden Ort. Diese Freiheit ist aber eine erhabene und heilige Sache; denn sie ist der Besitz der Glaubenden, die am verborgenen Gott nicht zweifeln, obschon kein sicheres Zeichen sie an ihn erinnert. Hier in der Stille sind sie gegen das geschützt, was im jüdischen Betsaal das Gebet verdirbt. Dort vergisst der Beter nie, dass er bei den anderen ist; denn jedes Auge schaut auf den Beter und jeder beurteilt die anderen und misst ihnen die Ehre und die Schande zu nach dem Maß ihrer Frömmigkeit. Mit wem spricht der Beter? Fragt uns Jesus, und bei wem sucht er den Erfolg seines Gebets? Bei den Menschen oder bei Gott? Du willst als Beter zu Gott reden; dann geh von den Menschen weg, geh in die Verborgenheit.

Wenn ich nicht Dich, gegenwärtiger und heiliger Gott, allein vor Augen habe, gibt es für mich keine heilsame Gemeinschaft mit den Menschen, kein Wort, das Kraft hätte, keine Liebe, die wirklich hilft, keine Gemeinschaft des Gebets, bei der ich Dich anbetete. Dich suche ich und bete zu Dir, damit ich Deinen Willen erkenne und Deine Gaben empfange und mein Leben auf Dich gegründet sei, allein auf Dich. Amen.

Dein Name werde geheiligt.
Matthäus 6,9

Kann ich noch weiter fahren und zu dieser Bitte noch andere hinzufügen? Spricht sie nicht alles aus, was ich begehre? Wenn ich Gott nennen kann und dies so, dass er mir als der Heilige erkennbar ist, so ist mir seine Erkenntnis gegeben. Damit bin ich in das Licht versetzt, das mein ganzes Leben bestrahlt. wenn ich diese Bitte bei allem, was ich tue, festhalte, ist meine Person, mein Wollen und mein Wirken geheiligt. Nun ist alles Gott untertan und meine ganze Arbeit, was immer sie sei, zum Gottesdienst gemacht. Aber Jesus fährt weiter und sammelt unser Verlangen nicht nur in diese eine Bitte. Denn der Name Gottes, der von uns geheiligt werden soll, soll für uns einen reichen, hellen Inhalt haben und nicht der Name eines unbekannten Gottes für uns bleiben. Ein unbekannter Gott wäre ein unwirksamer Gott. Was Gott an uns tut, das gibt ihm seinen Namen. An seinem Willen wird er uns offenbar und darnach, dass Gottes Werk an uns geschehe, soll ich verlangen und darum bitten. Je deutlicher sein Werk ihn offenbart und je reicher es uns begnadet, um so mehr leuchtet sein Name in herrlicher Heiligkeit. Er wird herrschen, indem er alles, was seinem Willen widersteht, beiseite tut und uns den Reichtum seiner allmächtigen Gnade zeigt. So macht er uns seinen Namen deutlich und zeigt uns seine Heiligkeit.
Nicht nur die Himmlischen wird er mit sich und miteinander vereinen, so dass bei ihnen nichts als sein Wille geschieht. Das tut er auch unserer armen erde und dann ist die dunkle Nacht unserer Unwissenheit, die uns Gottes Namen verhüllt, vergangen und alle Entheiligung, die sich gegen Ihn auflehnt, verschwunden. Gott schafft sich aber seine Anbeter nicht erst in der künftigen Welt; Jesus hat ihn uns, seiner Schar, geoffenbart. An uns handelt Gott als der, der uns das Leben gibt und was zum Leben gehört, als der, der uns die Schulden verzeiht, auch die, die die Unzulänglichkeit unseres Dienstes auf uns legt, als der, der uns schonlich führt und uns nicht über unser Vermögen belastet und die Klagen des Verklägers, des Feindes seiner Gnade, zunichte macht. Nun hat sein Name seinen reichen Inhalt bekommen. Unser Vater ist der König, der in allem herrscht, der Vollender, der alles verklärt, unser Ernährer, Versöhner und Erlöser. Geheiligt sei sein Name.
Was ist der Mensch, Herr, heiliger Gott, dass Du ihn heimsuchst? Was bin ich, dass Du mir Deinen Namen in die Seele legst und Deine Werke sichtbar machst? Wir Menschenkinder können nur staunen, nur danken und anbeten. Du windest das Band um unsere Seele, das sie mit eigenem Glauben und eigener Liebe mit Dir vereint. Geheiligt werde Dein Name. Amen.

Unser täglich Brot gib uns heute.
Mat. 6,11.

Anderen mag es scheinen, daß ihr Leben wertlos sei, wert, weggeworfen zu werden. In der Christenheit hat diese Beurteilung des Lebens keinen Raum. Jesus sagte seinen Jüngern: euer Leben hat vor Gott Wert; darum dürft und sollt ihr bitten, daß er es euch erhalte, indem er euch das Brot verschafft. Ihr bedürft zum Leben das Lebensmittel. Ohne Brot könnt ihr nicht leben. Darum ist es ein Teil eures Gebets. Ihr sollt den Vater anrufen, daß er es euch darreiche. Auf das Leben zielt die Bitte Jesu, nicht auf die Zugaben zum Leben, nicht auf das, was es mit Genuß füllt und mit allerlei Lieblichem umkränzt. Braucht denn unser Leben noch eine Verschönerung durch von außen herumgelegten Schmuck, wenn wir den Weg Jesu gehen? Dann hat unser Leben seine Schönheit, seine reizvolle Spannkraft, seine nie verblassende Wonne in sich selbst, eben darin, daß wir nicht für uns selber leben, sondern für ihn, und nicht das Unsere suchen, sondern das Seine. Wer Pflicht empfangen hat, und welche Pflicht! - Pflicht in der Herrlichkeit, wie Jesus sie uns gewährt, Pflicht, Gott in allem zu preisen, seinen Willen zu tun und stets zu seinem Dienst bereit zu sein, den Namen Jesu zu bekennen und die in den Frieden Gottes zu führen, die an ihren Sünden sterben, - der hat ein Leben, das nicht von außen durch irgendeinen Schmuck erträglich gemacht werden muß. Für ihn hat die Frage nach dem Sinn seines Lebens die helle Antwort erhalten; denn was von Gott kommt und zu Gott strebt, hat Sinn. Darum gehört auch unser Lebensmittel in unser Gebet hinein, und dies um so mehr, je mehr unser Leben zur Jüngerschaft wird. Denn um so höher steigt sein Wert. Seid ihr nicht mehr als mancher Vogel? hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt.
Meine Arbeit dient, Vater, der Erhaltung meines Lebens; sie gibt mir mein Brot. Darum gehört auch meine Arbeit in mein Gebet. Ich tue sie nach deiner Ordnung und bitte dich nach deinem Befehl und deiner Verheißung: gib zu meiner Arbeit deinen Segen, daß sie uns das gewähre, was unser Leben erhält. Amen.

Vergib uns unsere Schulden, wie wir unseren Schuldigern vergeben.
Mat. 6,12.

Jesus hat seinen Jüngern ein großes Vertrauen erwiesen, als er ihnen das Wort in den Mund legte: „wir haben unseren Schuldnern vergeben“. Denn die Schulden, die ihr Volk ihnen gegenüber anhäufte, wurden riesengroß. Verdächtigung, Hohn, Gewalttaten begleiteten sie bei jedem Schritt. Es war wahrhaftig nichts Geringes, daß die Jünger als die, die vergeben haben, aus jenem Synedrium weggingen, das ihnen die vierzig Streiche gab und ihnen damit das Schandmal anhängte, das sie als die Ungehorsamen kennzeichnete. Jesus war aber seiner Jünger gewiß; sie können vergeben. Könnten sie es nicht, so wären sie nicht sein. Wie stimmt nun aber dazu die Bitte: Vergib uns unsere Schulden? Wenn sie vergeben können und zum Hassen unfähig geworden sind, sind sie dann nicht, wie Johannes sagt, aus dem Tod ins Leben hinübergeschritten und nicht mehr imstande, zu sündigen? Wie aber die Notwendigkeit und Fähigkeit, zu vergeben, aus der Lage der Jünger entstand, so sieht auch die Bitte um die Aufhebung ihrer Schulden auf das, was ihnen ihre Jüngerschaft bringen wird. Weil sie sonderlich begnadigt und zu Großem berufen sind, entstehen auch innerhalb ihrer Wirksamkeit die großen Schulden, da sie hinter dem zurückbleiben, was ihr Dienst von ihnen fordert, und von Unverstand und Eigenliebe gehindert werden, jedem das zu geben, was sie ihm schulden, weil er es von ihnen als den Jüngern Jesu empfangen soll. Jesus hat nicht erwartet, daß sie seinem Befehl vollständig genügen, ohne Versäumnisse und ohne Fehltritte, in immer wacher Liebe, die jedem dient. Er will, daß ihr Versagen als Schuld von ihnen erkannt und anerkannt werde, hat ihnen aber zugleich die Zusage gegeben, daß ihre Schulden nicht von ihnen eingetrieben und nicht unter die göttliche Rechtsverwaltung gestellt werden, die an ihrem Schwanken und Fallen Vergeltung übte. Sie sind von Gott gesandt, weil er verzeiht, um Israel seine Vergebung anzubieten, u nd werden sie auch selbst für alles empfangen, was der Vergeltung bedarf. Ohne diese Bitte gäbe es keine Möglichkeit, im Dienst Jesu zu arbeiten. Wir können nur deshalb zu ihm willig sein, weil wir bitten dürfen: vergib uns unsere Schulden, und diese Bitte ist uns vollends unentbehrlich, wenn wir hochbegabt und reich begnadet sind.
Mein Verkehr mit den anderen, Vater, bringt mir nicht nur das Gelingen, sondern auch das Versagen, nicht nur das fruchtbare, sondern auch das strauchelnde Wort, nicht nur den wachen, sondern auch den müden, stumpfen Blick. Ich bedarf wie die Deinen alle der von dir uns gegebenen Ermächtigung, die uns die Bitte schenkt: Vergib mir meine Schulden, und will deines Worts gedenken, das uns sagt, daß wir im Glauben bitten sollen. Amen.

Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Matthäus 6,13

Wer viel empfangen hat, von dem wird viel gefordert. Überreich waren die Jünger beschenkt, sie, die Träger des Evangeliums, das aus ihnen das Licht der Welt gemacht hat. Darum stehen sie auch unter dem mächtigen Anspruch, den ihr Amt an sie stellt und der ihnen gewährte Vorzug auf sie legt. Der Dienst Gottes gebührt denen, die die Versuchung bestehen. Nicht dadurch rüstete sie Jesus für ihren Dienst, dass er sie jubelnd auf den Kampfplatz stellt, nicht dadurch, dass er sie als die Helden beschreibt, denen er den Kampfpreis schon jetzt zusagt, weil sie ohne Gefährdung immer siegend durch die Versuchung gehen. Vielmehr gibt er ihnen die gebeugte Haltung: „führe uns nicht in Versuchung“. So rüstet er sie zum Sieg. Die Versuchung kommt; sie kommt um der Gnade willen, die ihnen gegeben ist, weil ihnen das Herrlichste anvertraut ist, was ein Mensch empfangen kann, Gottes Dienst. Sie bringt sie aber in die Nähe des Falls. Sie lernen in der Versuchung nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Schwachheit kennen. Sie wüssten nicht, was ihre Kraft ist, würden sie nicht auch ihre Schwachheit sehen. Daraus beschenkt sie Jesus mit der Frucht vor Gott. Das gehört zur Wunderbarkeit Jesu, dass er uns beides schenkt, den Glauben und die Frucht, ohne dass ein innerer Riss uns lähmt. Ohne Glauben sind sie nicht seine Jünger; eben deshalb, weil sie glauben und damit sie glauben, ordnet ihnen Gottes Liebe die Versuchung zu. Mit dem Glauben geht aber die Furcht Gottes Hand in Hand. Denn die Versuchung öffnet ihnen das Auge für ihr Sündigen und enthüllt ihnen den Abgrund, dessen Rand ihr Weg begleitet. Neben ihrem Fall steht der Verkläger, der nach ihrem Sturz begehrt und ihn für seinen Zweck benützt, und über ihrem Fell steht der richtende Gott, bei dem es kein Ansehen der Person gibt, weil er jeder Gottlosigkeit widersteht. Allein entzweien können sich die Frucht und der Glaube nicht; denn ihr Ursprung verbindet sie. Beide entstehen dadurch, dass sich unser Blick zu Gott wendet. Aus seiner Gnade entsteht unser Glaube und aus Gottes Widerstand gegen alle Gottlosigkeit entsteht unsere Frucht. Sehen wir auf zu Ihm, so sehen wir im einen und selben Gott stets beides, seine strafende und seine rettende Tat.
Vor Dir, Vater, verstummt jeder Ruhm und jeder Mund wird verschlossen vor Deinem Gericht. Deiner Kinderschar geziemt es, Dich so zu fürchten, dass sie dir glaubt und Dir so zu glauben, dass sie Dich fürchtet. Du ordnest meine Last, dass ich sie tragen kann, und führst mich so durch das dunkle Tal, dass ich Deinen Stecken und Stab höre und weiß, dass du bei mir bist. Ich bitte dich um deinen Frieden, der unser Herz bewacht. Amen.

Wenn du festest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht, auf dass du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich.
Matthäus 6,17+18

Kunstfertig sind wir Menschen, dass wir sogar aus dem, was unsere Trauer und unsere Busse sichtbar macht, uns einen Ruhm bereiten. Das ist ein seltsames Kunststück. Ist nicht für den, der sich als schuldig richtet, die Öffentlichkeit verschärfte Pein? Sucht nicht die echte Träne die Verborgenheit? Allein das Kunststück, von dem Jesus spricht, ist uns sehr geläufig und findet sich bei allen, die nichts anderes sind als das, was die Gesellschaft aus ihnen macht. Sie stellen nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Schwachheit aus, lassen sich ihre Tüchtigkeit und ihre Busse von den anderen bestätigen und bedürfen auch für ihre Trauer die Zuschauer. Da uns Jesus von der Knechtschaft unter die Menschen frei macht, stellt er auch den Fastenden allein vor Gott. Dadurch erhält unsere Busse Wahrheit und wird wirklich zur Beugung unter Gottes Gericht und unsere Trauer bekommt Heilsamkeit; nun reinigt sie unsere Seele. Ist es aber nicht gegen die Wahrhaftigkeit, wenn der Fastende sich jene Haltung gibt, die der annimmt, der sich zum frohen Fest begibt? Nur dann würde daraus eine Vorstellung, wenn es möglich wäre, dass uns ein Schmerz widerführe, der jede Freude in uns erstickt. Wir treten aber nach der Vorschrift Jesu mit dem gewaschenen Angesicht und dem geordneten Haar in die Gemeinschaft hinein und diese ist Gottes reiches Geschenk. Wenn wir die anderen mit dem belasten, was uns peinigt, verkennen wir den von der Gemeinschaft uns gegebenen Beruf. Wenn das Auge des Bruders deine Tränen sieht, so lass ihn mit dir weinen, wie er sich mit dir freuen soll, wenn er deine Freude sieht; aber um das Mitweinen der anderen zu werben, ist nicht brüderlich. Was aber unsere Gemeinschaft als ihr gemeinsames Gut besitzt und verwaltet, das ist Gottes Gnadengabe, an der ich auch im tiefsten Leid und bittersten Fasten Anteil habe. Auch dann gehöre ich zu den Hochzeitsleuten, die der Bräutigam deshalb zu sich geladen hat, damit sie mit ihm feiern. Wir waschen darum unser Gesicht nicht für die Menschen, sondern wenden uns mit aufgedecktem Angesicht dem zu, der uns die Herrlichkeit Gottes zeigt.

Was soll ich mehr begehren, als dass Du, Vater, weißt, was mir fehlt, und siehst, was mich beugt? Bist Du auch der verborgene Gott, so bist Du doch in Deiner Verborgenheit gegenwärtig. Dir bringe ich mein Geständnis und erfasse Deine Verheißung, dass Du dem verzeihst, der vor Dir seine Schuld bekennt. Amen.

Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.
Matthäus 6,21

So muss es sein, weil es keine ertragreiche Arbeit gibt, wenn ich sie nicht mit ganzem Herzen tue. Mit halbem Herzen getan trägt sie mir keine Schätze ein. Soll sie gelingen, so muss ich meine ganze Kraft an sie wenden in beständiger Aufmerksamkeit und entschlossener Anstrengung. Weil das Herz am Entstehen des Schatzes einen bedeutsamen Anteil hat, darum zieht auch der Schatz das Herz zu sich und es ist nun bei seinem Schatz. Nun spricht Jesus von zweierlei Schätzen, weil wir den Ertrag unseres Lebens an zwei verschiedenen Stellen suchen können. Ich kann mein Ziel im greifbaren Ertrag meiner Arbeit finden, in den natürlichen Gütern, die sie mir verschafft. Nun verweilen meine Gedanken bei ihnen; mit ihnen beschäftigen sich die Pläne, die Sogen, die Hoffnungen. Das ist der irdische Schatz und das auf der Erde heimische Herz. Es gibt aber auch einen Schatz im Himmel, einen Arbeitsertrag, der sich bei Gott befindet, weil er in Gottes Wohlgefallen und seinem Segen besteht. Stehe ich in meinem Geschäft und Beruf als Gottes Knecht, dann liegt auch der von mir begehrte Ertrag meiner Arbeit in Gottes Hand. Nutzlose Arbeit tut niemand. Tue ich sie als Christ, so besteht ihr Ertrag in dem, was Gott von mir denkt und Gott für mich tut, und dieser himmlische Schatz kann mir ebenso teuer werden wie den anderen ihr natürlicher Besitz am Herzen liegt. Aber die Kinder dieser Welt sind, wie Jesus sagte, klüger als die Kinder des Lichts; denn sie wenden an ihren Schatz größere Sorgfalt, hüten ihn wachsamer und mehren ihn eifriger als die Kinder des Lichts ihren himmlischen Schatz.
Großer Gott, Deine Kinder suchen ihren Lohn bei Dir und empfangen ihn von Deiner Güte. Lass Dir auch mein irdisches Tagewerk wohlgefallen. Auf Deinen Segen ist meine Arbeit gegründet. Ohne ihn muss und soll sie eitel sein. Amen.

Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Matthäus 6,24

Besitz haben und Gott haben, das stimmt fein zusammen. Denn der Besitz ist uns von Gott gegeben und wird uns als sein Segen zuteil. Weil er uns nötig ist, dienen wir der göttlichen Ordnung, wenn wir ihn erwerben und verwalten. Gott haben bedeutet aber, ihm dienen. Ich kann ihn nur dadurch für mich haben, dass ich mit allem, was ich bin und tue, sein eigen bin und seinen Willen tue. Dieser Dienst ergreift mich aber ganz. Somit ist es unmöglich, dass ich dem Besitz diene, an ihn gebunden sei und mich ihm zum Knecht mache, wenn ich Gott habe und darum auch Gott diene. Es ist also meine Christenpflicht, zu prüfen, wann aus meinem Erwerben, das mir mein Besitz verschafft, der Dienst des Besitzes wird. Ernsthaft und erfolgreich kann ich nur dann arbeiten, wenn ich mein Herz in meine Arbeit lege. Ich muss mit gesammeltem Nachdenken und entschlossenem Willen meine Arbeit tun. Das ist aber das, was sie gefährlich macht. Deshalb, weil ich nicht mit halbem Herzen arbeiten und erwerben darf, dreht sich leicht das Verhältnis um, so dass aus dem Besitz der Besitzer, aus dem Mittel der Zweck, aus dem Herrn der Knecht wird. Ich spüre, dass das Verhältnis sich umgedreht hat, wenn ich nicht mehr entbehren kann, unfähig zum Geben bin, wenn ich im Ertrag meiner Arbeit deshalb, weil sie meinen Besitz mehrt, meine Ehre und Größe suchte. Damit bin ich aber dem Dienst Gottes entflohen und habe aus allem, was ich meine Religion oder mein Christentum heiße, Schein und Einbildung gemacht. Wachsamkeit ist hier von mir gefordert, unablässige, stets gewaffnete. Der Kampf ist heiß, und je verwickelter unsere Wirtschaft wird, desto künstlicher die Wege sind, auf denen wir die Lebensmittel suchen müssen, um so härter, an Wunden und Niederlagen reicher wird der Kampf. Uns allen ist aber auch die uns schützende Hilfe gezeigt. Du kannst, sagt mir Jesus, Gott dienen und damit endet deine Verknechtung an deinen Besitz. Dass du ihm dienen kannst, ist sein gnädiges Geschenk, seine herrliche Gnadentat. Nahe dich zu Gott, so naht er sich dir. Nun habe ich den Standort, der mich über alle Fragen und Sorgen der Wirtschaft erhebt, kann erwerben, ohne zu verderben, kann besitzen, ohne an meinem Besitz zu sterben. Denn jetzt kann ich nicht nur erwerben, sondern auch gebrauchen, nicht nur gewinnen, sondern auch geben, und bereite mir mit der Mehrung meines Besitzes die verstärkte Pflicht und das erhöhte Vermögen zu meinem Gottesdienst.

Nur um eines kann ich bitten, nicht um Reichtum und nicht um Armut, sondern darum: Mache Deine Gnade mir so groß und in mir so wirksam, dass ich Dein eigen bin und Dir diene in allem, was ich tue. Ich bedarf in allem Deines Vergebens, denn was natürlich ist, zieht mich an sich mit Allgewalt; aber Dein Vergeben ist stark und überwindet das Böse und führt uns in die Freiheit ein. Amen.

Sorgt nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Matthäus 6,25

Quält euch nicht mit dem, was ihr zur Erhaltung des Leibes braucht; ist das die Meinung Jesu? Ja. Aber sein Wort sagt uns noch mehr. Die Qual, mit der wir uns ängsten, bis wir die Lebensmittel haben, nimmt uns Jesus ab. Er kann uns aber von der Qual nicht befreien, wenn er nicht unser Begehren stillt. Spricht er von den Sorgen, so sind das nicht nur die bekümmerten Gedanken, die dann entstehen, wenn wir kein Brot und keinen Rock haben oder doch sie nicht so haben, wie wir sie uns wünschen, sondern das sind auch die begehrlichen Gedanken, die gierig nach dem fragen, was wohl auf den Tisch kommen wird und was wir als Schmuck und Ehrenzeichen um uns legen wollen. Die Sorge, von der Jesus spricht, nimmt mit dem Besitz nicht ab, sondern zu; denn sie erfaßt den Menschen mit Gewalt, wenn er in der gottlosen Nacht verweilt. Dass wir die Nahrung und Kleidung bedürfen, das hat Jesus nicht vergessen. Wir bedürfen sie wie die Tiere, die nicht vergeblich nach der Nahrung suchen, weil sie dazu gerüstet sind, sie zu finden wie die Lilien, die mit ihrem herrlichen Gewand das salomonische Prachtkleid verdunkeln. Erwogen werden muss die Frage: was werden wir essen und anziehen? Mit jedem neuen Tag. Sie ist aber nicht mehr der heiße Funke, der unsere Begehrlichkeit in hellen Brand versetzt. Alle unsere Krankheiten heilt Jesus durch dasselbe Mittel. Unsere wilde, nach vielerlei greifende Begehrlichkeit löscht er dadurch aus, dass er uns den Vater zeigt, den gebenden Gott. Mit dem Glauben an ihn versetzt er uns in die Freiheit von der Sorge, sowohl von der, die sich bekümmert und ängstigt, als von der, die lüstern genießt. Mit dem Glauben endet nicht unsere Natürlichkeit und ihr Bedürfnis, endet auch nicht die Arbeit, die unserem Bedürfnis gehorcht; aber die Zerrüttung der Seele endet im Aufblick zum gebenden Gott. Denn nun erscheint, wenn ich mich glaubend an ihn wende, vor meinem Blick sein Reich und seine Gerechtigkeit und gibt meinem Leben das neue, hohe Ziel.
Es ist, Vater, Deine Schöpferhand, die mich des Brot und Kleids bedürftig macht, und ich ehre auch diesen Deinen Willen in froher Dankbarkeit. Du gabst mir, was ich bedarf. Aber alle, die Dich kennen, sollen Dich von Herzen preisen, dass Du uns mehr gibst als nur das, was auch die Vögel und Lilien haben. Jetzt erst in dem, was uns zu Deinen Kindern macht, sehen wir ohne Hüllen Deine Herrlichkeit. Amen.

Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.
Matthäus 6,33

Gründlich reinigt Jesus unsere Seele dadurch, dass er das begehrliche Verlangen nach Speise und Kleidung aus ihr vertreibt. Entsteht nun daraus in ihr eine Leere, etwa ein zielloses Brüten, wie es ein buddhistischer Mönch betreibt? Das volle Gegenteil hat statt. Jetzt ist Patz geschaffen für ein Trachten und Wirken von unvergleichlicher Größe. Ist das die Meinung Jesu; statt für deinen Leib zu sorgen, sorgst du nun für deine Seele und strebst nicht mehr nach dem irdischen, sondern nach dem himmlischen Glück? Nein. Er vergleicht nicht zweierlei Glück und zweierlei Eigensucht miteinander, irdisches und himmlisches Glück, sinnliche und fromme Eigensucht, sondern er stellt neben das, was ich bedarf, das, was Gottes Ziel ist, neben das, was ich für mich erstrebe, das, was ich für Gott begehre. Dass Gottes Reich zu uns komme und sich Gottes Gerechtigkeit an uns offenbare, das ist nun das Ziel meines Trachtens. Ist dieses Ziel für uns nicht zu hoch, so dass die doch recht haben, die auch jetzt bei sich selbst stehen bleiben und an ihre himmlische Seligkeit und ihr ewiges Leben denken? Habe ich denn etwas bei Gottes Reich und Gerechtigkeit zu tun? Bin ich nicht nur ihr Empfänger? Gewiss kommt das, was Gottes ist, nicht in meine Hände, so dass ich es zu verwalten hätte wie einen Besitz, der mir gehört. Gottes Reich besteht aber aus Menschen, die Gott lebendig macht, und seine Gerechtigkeit offenbart sich an denen, die die Gerechtigkeit tun.
Dabei kann keiner für sich allein in Gottes Reich leben, keiner für sich allein nach Gottes Gerechtigkeit handeln. Sein Reich führt uns zusammen und seine Gerechtigkeit einigt uns. Nun hat das, was Jesus zum Inhalt meines Trachtens und meiner Arbeit macht, die unerschöpfliche Fülle und den leuchtenden Glanz bekommen. Alles Wirken nach Gottes Willen hat seine Wurzel in unserem Gebet. Nach Gottes Reich trachten heißt um sein Reich bitten, nach Gottes Gerechtigkeit verlangen bedeutet zuerst um sie bitten. Das gibt dem Gebet die nie zu erschöpfende Weite. Ist die Schuld des Menschen um mich her nicht groß? Habe ich nicht Anlass, für sie um Vergebung zu bitten? Geschieht nicht viel Unrecht? Habe ich nicht Anlass, um die Gerechtigkeit zu bitten? Ist der Mensch nicht voll von sich selbst und in seiner Größe ertrunken? Will er nicht regieren und sein eigenes Reich wirken? Habe ich nicht Grund, um Gottes Reich zu bitten? Aber das Gebet des Trägen ist nichtig; ich empfange im Gebet den Willen und das Vermögen zur Tat. Nun sei darauf bedacht, dass wirklich Gottes Reich an dir auch für die anderen sichtbar werde und Gottes Gerechtigkeit, die dem Bösen sieghaft das Ende bereitet, an dir offenbar sei. So wird mein Leben gefüllt, während es unser Sorgen nur mit leerem Tand vollstopft.
Wenn ich auf meine Sorgen lausche, so werden meine Tage leer und mein Leben wird zu Dunst und Rauch. Weil Du Dich aber als den Herrn offenbarst, der uns regiert, und uns Deine Gerechtigkeit zeigst, jubelt meine Seele, singt Dir ein neues Lied und spricht mit dem Psalmisten: Bei Dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen in Deiner Rechten ewiglich. Amen.

Kap. 7

Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet.
Matthäus 7,1

Das ist ein besonderes süßes Stück des Evangeliums. Denn richten ist eine schwere Sache. Wer richten will, sollte wissen, das geschah. Wie kann ich das aber wissen? Was sichtbar ist, kommt aus dem Herzen des Menschen heraus; ich aber bin nicht Herzenskenner. Wer richten will, muss wissen, was die Gerechtigkeit verlangt, damit der Schuld das widerfahre, was sie verdient, und der Guttat der Lohn zuteil werde, der ihr gebührt. Wer kann vergelten? Wie verkehrt verfahren wir in der Weise, wie wir einander die Ehre und die Schande zuteilen und den Lohn und die Strafe verwalten! Du kannst nicht richten, sagte Jesus, du sollst es aber auch nicht. Können wir aber auf das Gericht verzichten? Eifrig sagte die jüdische Schar: gerichtet muss werden; das ist ein Teil unseres Gottesdienstes; das Gericht unterlassen heißt Gott verleugnen. Wie kann ich mit dem Sünder Gemeinschaft haben, ohne dass ich mich selbst zum Sünder mache, wie Bosheit dulden, ohne dass ich zum Widersacher Gottes werde? Wenn wir nicht richten, meinten sie, werden wir gerichtet. Nein, sagt mir Jesus; wenn du richtest, dann wirst auch du gerichtet. Dann hast du dich aus der vergebenden Gnade herausgestellt und unter Gottes Recht begeben. Dieses lässt dir aber nicht zu, dass du nur die anderen richtest und dich selber nicht. Das Gericht ist die Enthüllung der Wahrheit und ihre fehllose Verwirklichung. Daher duldet das Gericht keine Heuchelei und lässt mir nicht zu, dass ich mich freispreche, dagegen die anderen richte, und weil ich Gottes Gericht gegen mich habe, so weiß ich, dass ich mit meinem Urteil, das den anderen trifft, mich selbst verdamme. Was soll ich denn tun? Jedes Verbot kann nur dadurch erfüllt werden, dass ich anstelle des Bösen das Gute tue. Vergeben sollst du, sagt mir Jesus. Wir müssen richten, sagten die Juden, und können nicht vergeben; denn vergeben kann Gott allein. Die Antwort Jesu war: Gott kann nicht nur vergeben, sondern hat euch vergeben, und weil er euch vergeben hat, vergebt auch ihr. Sein Vergeben bringt nicht Unfug und Wirrwarr in der Welt hervor; denn es richtet den Schuldigen auf und macht seiner Bosheit ein Ende. Du vermehrst, sagt mir Jesus, mit deinem Richten die Sünde und belädtst dich selbst mit ihr. Vergib, so überwindest du das Böse mit Gutem, und das ist der einzige Weg, wie es überwunden werden kann.
Ich bete Deine Gnade an, die meine Sünde nicht richtet, weil sie mir in Deinem lieben Sohn den Versöhner gegeben hat. Nun rüste mich mit der Waffe aus, die mich stärker als die Sünde macht und die Bosheit zu überwinden vermag, mit dem heilenden Vergeben, das aus Deinem Vergeben stammt. Amen.

Gehe ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführt, und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden.
Matthäus 7,13+14

Für Jesus war es eine schwere Arbeit, die Jünger aus der Gemeinschaft herauszulösen, die sie in das jüdische Volkstum band. Eine kleine Minorität zu sein, von den Vielen sich zu trennen, nicht durch das Tor zu schreiten, durch das sich die Menge drängt, nicht die Straße zu begehen, die jedermann wählt, das ist ein ernsthaftes Unternehmen, von dem wir alle erschrecken. War die breite Straße nicht dadurch geheiligt und als gefahrlos erwiesen, dass sie die Straße aller war, die Straße aller Parteien, der Frommen und der Unfrommen, der Priester und der Laien, der Lehrer und der Unwissenden? Jesus ruft den Jüngern zu: Es geht ums Leben! Die Menge rennt in den Tod. Sie sieht ihn freilich nicht und fürchtet ihn daher auch nicht; aber am Ende ihres Weges steht der göttliche Urteilsspruch, der ihr Leben zerbricht. Um des Lebens willen ist jeder Verzicht richtig und jedes Opfer vernünftig. Ihr könnt keinen anderen Weg gehen als den schmalen und einsamen, den nur wenige finden; denn ihr sollt zum Leben gelangen. Wir sind von derselben Schwierigkeit bedrängt wie die Jünger, obschon unser Volkstum nicht den geheiligten Charakter hat, den Israels Volkstum damals besaß. Weil wir Christen sind, gehört unsere Liebe und Arbeit auch der natürlichen Gemeinschaft, die uns als Volk vereint. Wir bauen sie auf und verketten sie möglichst fest. Je fester aber das Volkstum wird, umso schwerer wird der Christenstand, umso schmäler wird der Weg. Was hat auch so die Macht, uns aus der Menge herauszureißen, die auf breiter Straße geht, und uns durch das enge Tor zu drängen? Die Gottesfrage; denn sie ist die Lebensfrage. Es geht um mein Leben; das ist meine ganz persönliche Sache. Hier haben die Interessen meiner Familie und meines Standes nichts zu sagen; hier gilt nicht nationale Gewohnheit und Meinung der Majorität. Sterben oder leben, das ist mein eigenstes Anliegen, bei dem kein anderer für mich eintreten kann. Ich muss meine Seele retten und ich rette sie nur dadurch, dass ich Jesus gehorche. Ist der Weg auch schmal, ganz einsam ist niemand, der den Weg des Lebens geht. Wird er auch nur von wenigen gefunden, sie wandern vereint. In der kleinen Gemeinschaft derer, die nach dem Leben streben, entsteht feste Verbundenheit, Liebe und Treue, die nicht bricht.
Wenn ich nicht weiß, wie ich das enge Pförtchen und den schmalen Weg finde, dann, Vater, sei mir nah und mache mir Dein Wort hell. Es hat mich dazu besucht, damit ich aus der Schar der Sterbenden hinübertrete ins Leben. Amen.

Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: „Herr, Herr! Haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan?“ Dann werde ich ihnen bekennen: „Ich habe euch noch nie erkannt; weicht alle von mir, ihr Übeltäter.“
Matthäus 7,22+23

Jesus offenbart hier die Herrlichkeit seiner Sohnschaft. Vom Vater lässt er sich durch nichts trennen, auch nicht durch das, was ihm auf der Erde das Liebste war. Er hat die Seinen lieb gehabt und kein anderes Eigentum begehrt als Menschen, die sich zu ihm bekennen, ihn ihren Herrn nennen und durch ihr Wirken der Welt zeigen, dass er ihr Heiland ist. Allein um ihretwillen verleugnet er den Willen des Vaters nicht. Weissagen, Geister vertreiben, Wunder wirken, das waren Vorgänge, durch die die Neuheit des Christentums besonders deutlich zum Vorschein kam; denn der Jude rechnete dies nicht zum Beruf eines Frommen. Und das Neue wurde allen dadurch kräftig vorgehalten, dass sie alle ihre großen Taten eifrig und laut mit dem Namen Jesu verbanden. Sein Name gab ihrem Wirken die Kraft; darum fiel auch der Ruhm nicht ihnen zu, sondern Jesu Größe und Jesu Macht wurde durch sie ans Licht gebracht. Dennoch erklärt ihnen Jesus: Ich habe euch nie gekannt, ihr seid mir völlig fremd und nie bestand zwischen mir und euch eine Verbindung. Sie rufen ihn an: Herr, Herr! Und er verleugnet sie; sie wirken für ihn und er verwirft sie; sein Name steht über dem Großen, das sie tun, und er nennt sie Übeltäter. Warum? Jesus liegt es daran, dass der Wille des Vaters getan werde. Kann man eine christliche Wirksamkeit üben und gegen Gott ungehorsam handeln? Das geschieht leicht. Jene kleinen Gebote, die von dem reden, was immer geschehen muss, sind leicht verachtet. Wenn man weissagen kann, muss man dann noch wahrhaftig sein? Wenn man Macht über die Geister hat, braucht man dann das zu tun, was der Samariter tat? Ist nicht Christlichkeit mehr als Ehrlichkeit, Liebe mehr als Gerechtigkeit? Für Jesus gibt es aber keinen Ersatz für den Gehorsam gegen Gottes Gebot, auch keinen christlichen Ersatz.
Du, Herr Christus, bist immer gnädig, wenn Du strafst, immer herrlich, wenn Du zürnst. Indem Du die verleugnest, die dich ehren und Gottes Willen verachten, bekennst Du Dich zu denen, die den Willen Seines Vaters tun. Gib uns allen, dass wir Dir so dienen, dass wir nicht von Dir verworfen werden. Amen.

Kap. 8

Wenn du willst, kannst du mich reinigen.
Mat. 8,2.

Die helfende Macht Jesu ist wunderbar; aber auch das, was der Aussätzige tat, ist ein strahlendes Wunder und enthüllt Gottes herrliches Wirken. Wenn ein Aussätziger stumm wird und sich willenlos in sein Schicksal ergibt, so ist das kein Wunder, sondern Natur. Auch das ist kein Wunder, wenn er in seiner Verzweiflung nach jedem Strohhalm greift und sich an den herandrängt, der ihn vielleicht retten kann; auch das ist Natur. Wenn er, weil die Wunderberichte von Mund zu Mund liefen, nach dem Unmöglichen haschte und mit stürmischer Bitte Jesus anriefe: du kannst mich reinigen, du mußt es tun, so bliebe auch dies noch in den Grenzen der Natur. Darin wäre nur das menschliche Fühlen und Begehren wirksam. Nun sagt aber der Aussätzige: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ Das ist Glaube, nicht Zweifel und nicht Trotz; das ist Bitte, nicht Befehl und nicht Klage. Der Glaube kann aber niemals in anderer Weise entstehen als so, daß unser Blick auf Gott gerichtet ist. Darum ist er ein Wunder, weil unser Blick nur dann auf Gott gerichtet ist, wenn Gott ihn auf sich lenkt. Keiner erkennt Gott anders als so, daß er von Gott erkannt ist. Nun entsteht die völlige Beugung: du verfügst über mich und dein Wille bestimmt mein Los; niemand zwingt dir deinen Willen ab; nur wenn du willst, geschieht das, was ich erbitte. Mit der Beugung entsteht aber zugleich die völlige Zuversicht: du kannst, wenn du willst; dein Wille ist durch nichts gebunden; deine Hilfe kennt keine Schranken und deine Liebe sinkt nie in die Ohnmacht hinab. Darum hat Jesus diesen Aussätzigen seinen Zeugen genannt, weil nicht nur die heilende Macht Jesu in ihm sichtbar ward, sondern auch das für den Priester udn für jedermann ans Licht trat, wer die Hilfe Jesu erlangt, der Glaubende.
Deine Zeugen, lieber Herr, sind die, die du glauben lehrst. Sie machen nicht ihre eigene Kraft sichtbar, sondrn die deine; denn sie leben aus deiner Gnade, nicht aus ihrem eigenen Vermögen. Das ist der Beruf deiner ganzen Christenheit, die selige Pflicht aller, die deinen Namen nennen. Schenk auch mir, daß ich dein Zeuge sei als Glaubender. Amen.

Ich will es, sei rein.
Matthäus 8,3

Wusste Jesus, was der Aussatz ist? Auch wir wissen es nicht, wenn uns auch heute der menschliche Leib nicht nur in seinen Umrissen sichtbar ist, wie für Jesus und seine Zeitgenossen. Uns ist aber doch, obschon wir nur einen kleinen Teil von dem sehen, was unseren Leib herstellt, die Wunderbarkeit seines Baus und die Festigkeit der Gesetze, die ihm alle seine Bewegungen geben, deutlicher enthüllt als den früheren Geschlechtern. Wir wissen darum auch etwas mehr von dem, was geschieht, wenn der Aussatz Stück um Stück des Leibes zerstört. Ändert das etwas am Verhalten Jesu? Wird es kleiner, vielleicht untypisch? Nichts ändert sich. Ob wir viel oder wenig vom Leib wissen, immer steht er als das andere vor uns, das wir nicht machen, weil wir es auch nicht kennen, und zu jeder Zeit erkannte jeder im Aussatz einen den Tod bewirkenden Vorgang, wenn er auch die Prozesse nicht im einzelnen kannte, die den Tod bewirken. Das wusste Jesus wie jedermann, als er sprach: „Ich will es, sei rein.“ Wie nahe, wie wirklich war ihm Gott, und nicht nur ihm selbst war er nahe, ihm in der Tiefe seines vom Geist erfüllten Herzens, nein, auch dem Aussätzigen, seinem Leib und seinen verfaulenden Gliedern. Auch bei ihm war Gott gegenwärtig in seiner Schöpfermacht. Nahe ist er, aber unsichtbar. Was hier geschah, ist alles andere als eine Vermenschlichung Gottes und hat nichts mit Träumen eines Visionärs gemein, der Gott zu schauen meint. Alles bleibt ganz in jenes Geheimnis gehüllt, das Gottes Schaffen immer verbirgt. Nur der Ausgang macht es offenbar. Als der Aussätzige vor dem ihn prüfenden Priester stand, sagte auch dieser das Wort, das vor ihm Jesus sprach: „Du bist rein.“ Es gibt nichts, was die Natur so machtvoll heiligt und ihren Zusammenhang mit Gott so deutlich ins Licht stellt als Jesu Wundertun.
Ich bedarf, Vater, Dich und Deine Gnade nicht nur für mein inwendiges Leben, sondern auch für meinen Leib, ohne den ich kein inwendiges Leben habe. Aber auch unser entstellter und sterblicher Leib ist von deiner gnädigen Macht umfasst. Dafür sei Dir Lob und Dank gesagt. Amen.

Nach deinem Glauben geschehe dir.
Mat. 8,13.

Nun weiß ich, was mir geschehen wird. Mein Glaube verlangt nach Gottes Frieden; er gibt mir ihn. Mein Glaube verlangt nach Gottes heilender Hand, die mich davor behütet, daß mich der Fluch meiner sünden verderbe; es geschieht mir nach meinem Glauben und meine Sünden sind mir vergeben. Mein Glaube verlangt nach Gottes Leitung, daß er mir Weisheit gebe, um richtig zu handeln; er gibt sie mir. Mein Glaube verlangt nach seinem Dienst, daß durch meine Hand seine Gaben zu denen kommen, die er mit mir verbunden hat; es geschieht mir nach meinem Glauben. Mein Glaube verlangt nach der Einheit mit allen, die Jesus lieb haben, nach dem Aufbau seiner Kirche, nach ihrer Befreiung von allem, was sie hemmt, nach ihrer Rüstung mit Erkenntnis und Liebe zu redlichem Werk. Das ist kein eitler Wunsch, kein zerfallendes Ideal, es geschieht nach unserem Glauben. Was stellt zwischen dem, was wir glauben, und dem, was wir empfangen, die feste Beziehung her? Sie hat ihren Grund nicht in der Beschaffenheit meines Glaubens, in seiner Größe oder Würde oder gar in einer Zwangsgewalt über Gottes Wirken. Nichts ist mein Glaube und aller Glaube durch sich selbst. Was er ist und wirkt, kommt von dem, an den er glaubt. Die Regel Jesu: Nach deinem Glauben geschehe dir, ist der Spruch der reinen Güte, das Wort dessen, der gern hilft, das Bekenntnis zum Reichtum Gottes, der für alle reich ist, die ihn anrufen, die Verherrlichung des gebenden Gottes, der Licht ist ohne Finsternis.
Vor dir, Herr, ist Freude die Fülle und liebliches Wesen vor deinem Angesicht. Denn du öffnest deine milde Hand und sättigst uns alle nach deinem Wohlgefallen. Ich kann nicht tun, was ich soll, wenn nicht Freude in mir lebt. Ich empfange sie im Anblick deiner Gnade, die zu mir spricht: nach deinem Glauben geschehe dir. Amen.

Jesus sagte zum Schriftgelehrten: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.“
Matthäus 8,20

Als heimatlos beschreibt sich Jesus. Er hat nicht eine Wohnung, die ihm für die Nacht eine Stätte zu sicherer Ruhe darböte. Daher macht er auch die Seinen heimatlos. Einen Bau, wie der Fuchs sich ihn gräbt, oder ein Nest, wie ein Vogel es sich baut, verschafft er seinen Jüngern nicht. Die Armut Jesu wird dadurch nach derjenigen Seite sichtbar, an der sie besonders schmerzhaft drückt; nicht nur so, wie sie den verächtlichen Spott derer erregt, für die Reichtum das einzige solide Glück und Gut bedeutet, nicht nur in der Weise, dass die Entsagung nur den Genuss beschränkt und auf das verzichtet, was sich als verschönender Schmuck um unser Leben legt. Hier greift die Entbehrung das Unentbehrliche an und schmälert die Bedingungen des Lebens, die durch nichts anderes zu ersetzen sind. Die Arbeit des Tages ist geschehen und die ermüdende Wirkung macht sich fühlbar. Das Bedürfnis nach Ruhe ist da. Aber es fehlt der Ort, an dem sich der erquickende Schlaf finden ließe. Die schützenden Wände, die die anderen fern halten, fehlen und der dringende Anspruch, den der Dienst an Jesus stellt, treibt die Ruhe weg. Damit war nicht nur ein Luxus preisgegeben, der ohne Schaden entbehrt werden kann. Hier war auch das nicht vorhanden, was die Natur fordert und was sie deshalb auch dem Tier gewährt. Daraus wurde aber für Jesus keine Not, über die er klagen möchte, und auch für den, der ihm nachfolgen möchte, entsteht daraus kein Grund, der ihn abschrecken dürfte. Er hat sich freilich klar zu machen, was er tut, wenn er sich zu Jesus hält, ob ihm auch dann die Gemeinschaft mit Jesus Freude bleibt, wenn sie ihn heimatlos macht und ihm keine Ruhe lässt, ob seine Liebe die Kraft habe, dass sie ihm auch diese Entbehrung versüßt. An Jesus hat er vor Augen, dass die Liebe das vermag und den Sieg über unser natürliches Empfinden und Bedürfen gewinnen kann. Indem Jesus sogar auf die Stätte, die ihm die Ruhe gewährt, verzichtete, bewährt er die Wahrheit seines Wortes, dass seine Speise das sei, den Willen Gottes zu tun und sein Werk zu vollenden. Aus seinem Wirken entsteht seine Kraft, aus der Entbehrung erblüht ihm die Freude und der rastlose Dienst macht ihn froh und reich. So legt uns Jesus das Psalmwort aus: „Vor dir ist Freude die Fülle“, auch für den Heimatlosen, der weder Platz noch Zeit zum Ruhen hat.
Auch wenn wir zu Dir kommen, lieber Herr, schwebt uns das vor, was wir bei Dir für uns gewinnen; denn es wird uns schwer, nicht an uns selbst zu denken. Wir bedürfen die Ruhe und bedürfen die Freude, Was die Natur aus uns macht, macht sie uns unentbehrlich. Du hast sie uns auch verheißen und gibst sie uns, aber in neuer Weise, nicht so, wie wir sie uns selber bereiten, sondern so, wie Deine Liebe sie uns schenkt. Dir wende ich mich zu mit aufgedecktem Angesicht und bitte Dich: mache mich zu deinem Bild. Amen.

Ein anderer unter seinen Jüngern sprach zu Ihm: „Herr, erlaube mir, dass ich hingehe und zuvor meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: „Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben.“
Matthäus 8,21+22

Jede Gemeinschaft, in der seine Jünger standen, machte Jesus löslich und hob sie aus jeder Abhängigkeit heraus. Das machte er den Jüngern besonders deutlich, als er einem Jünger, der zu seiner Nachfolge bereit war, untersagte, zuerst noch seinen Vater zu begraben. Es war das ernsthafte Begehren dieses Mannes, dass Jesus ihm seine Nachfolge gewähre. Seinem Entschluss widersetzte sich aber plötzlich ein Hindernis: der Vater starb. Für jedes jüdische Gewissen war sonnenklar, was jetzt zu geschehen hatte. Schon wenn die Leiche eines Unbekannten gefunden wurde, war es die Pflicht eines jeden, der sie fand, ihr ein Grab zu bereiten. Hier war aber der Vater zu bestatten. War das nicht eine deutliche Weisung Gottes, dass der Sohn seinen Entschluss aufzuschieben hatte, nicht nur, bis die Leiche des Vaters im Grabe lag, sondern bis die sieben Trauertage vorbei waren? Nur so gehorchte er dem göttlichen Gebot, das ihm befahl, den Vater zu ehren. Da auch Jesus in allem, was geschah, die Leitung des Vaters erkannte, hat auch er in diesem Todesfall den Finger Gottes wahrgenommen. Aber für ihn hatte das, was geschah, einen anderen Sinn, nicht den, dass er die Nachfolge Jesu aufschieben soll, sondern den, dass er die Größe und Tiefe dessen erkennen soll, was er von Jesus erbat, weil er nun begreifen und nicht nur begreifen, sondern bestätigen musste, dass es nun für ihn keine andere Gemeinschaft gilt als die mit seinem Herrn und keine andere Pflicht als die, die seine Nachfolge ihm bringt. Neben Gott und seinem Reich gibt es nicht noch andere Ziele und darum neben Jesus nicht noch andere Herren. Nun ist der ganze Wille Gottes für ihn in ein einziges Wort zusammengefasst: bleibe bei mir. Ist das ein gefährliches Wort, gefährlich für den Zusammenhalt der Familie, für die Festigkeit des Volkstums und für die Ordnung in der Kirche? Nichts kommt bei Jesus in Gefahr, was in Gott seinen Grund hat. Es gibt kein Band, das mich so fest mit den meinigen verbände und so vollständig mit meinem Volk vereinte und so treu an die Ordnungen der Kirche bände als Jesus und die Verbundenheit mit ihm, gerade deshalb, weil sie keine Beschränkungen zulässt und keine Ausnahmen erträgt. Er führt uns in die Natur und macht sie uns heilig und führt uns zu den Menschen und macht uns für sie treu und verwandelt unser Leben in den heilsamen Dienst, eben dadurch, dass er den Zwang sprengt, mit dem sie uns knechten und uns ihnen als die Freien um Gottes willen dienstbar macht.
Wer Dir gehört, Herr Christus, gehört Dir ganz. Du holst uns alle aus jeder Gemeinschaft heraus, in der wir stehen, weil wir Dir gehören. Wie reich und hell machst Du nun aber das Leben der Deinen! Nun kann ich Dir danken für Haus und Volk, für Staat und Kirche, für alles, was mir die Natur gewährt. Denn nun steht dies alles nicht mehr zwischen mir und Gott; denn ich gehöre Dir. Amen.

Kap. 9

Jesus sprach zum Gichtbrüchigen: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: „Dieser lästert Gott.“
Matthäus 9,2+3

Da uns die Ordnung unseres Gottesdienstes zur Beichte verpflichtet, so haben wir alle oft gehört: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Hätten wir bei uns Schriftgelehrte, wie sie vor Jesus saßen, die mit Ernst für Gottes Gebot und Ehre eiferten, so würden sie auch dazu sagen, das sei nicht Evangelium, sondern Lästerung; wenn wir unsere Sünden für vergeben erklären, so duldeten wir das Böse, und wer das Böse dulde, der erzeuge es. Sünde sei das, was nicht geschehen darf, weil es Gott gegen sich hat. Wenn wir das nach unserem Gutdünken für beseitigt erklären, so wäre auch dies schon Sünde; wenn wir aber in Gottes Namen mit Berufung auf Gott so handelten, so machten wir Gott zum Freund des Bösen und dies sei Lästerung. Diese Einrede ist ernst genug, so dass wir für sie eine klare Antwort haben müssen. Wenn ich selbst mich mit meinem Bösen versöhne, etwa weil ich nicht nur Schlechtes, sondern auch Gutes in meinem Leben finde, oder weil ich es bereue, oder weil ich nicht nur sündige, sondern daneben auch noch gläubig bin, das ist unzweifelhaft Sünde und ihre Befestigung und Vollendung. Daran darf sich kein Zweifel hängen, dass Gott vergibt, er allein, und die Frage, die ihre klare Antwort bekommen muss, ist die: Hat Gott mir vergeben? War es Gott, der damals dem Gichtbrüchigen vergab? Jesus sagt: Ja, Gott vergibt, und er nennt es nicht ein Geheimnis, das im Himmel verschlossen blieb; vielmehr hat der Menschensohn auf der Erde die Vollmacht, die Sünden zu vergeben. Daran, dass Jesus bei uns ist, Jesus zu uns spricht, Jesus uns seinen Tisch bereitet, Jesus für uns starb und für uns lebt, daran sehe ich, dass Gott mir vergeben hat. Das ist das Ende der Feindschaft, die Aufhebung der Entzweiung, die Wiederherstellung der Gemeinschaft, die den Verschuldeten suchende Liebe. Wenn ich zweifle, ob mir vergeben sei, so zweifle ich, ob Jesus zu uns gekommen sei, und wenn ich in der Beichte höre: eure Sünden sind euch vergeben, so vernehme ich die Botschaft Jesu, nichts anderes, als was mir die Weihnacht sagt, dass Christus geboren ist, und was ich am Karfreitag vernehme, dass er gestorben ist, und was ich am Ostertag höre, dass Er auferstanden ist. Was muss ich also tun, um die Vergebung zu empfangen und zu bewahren? Kommt zu mir, hat Jesus gesagt, und bleibt in mir. Das ist die Weise, wie uns Gott vergibt.
Vater, Du weißt, was wir bedürfen, ehe wir reden und bitten. Du weißt, dass wir Dein Vergeben bedürfen. Weil Du es uns gibst, suche ich es bei Dir und sage Dir Dank, dass ich es bei Dir suchen und empfangen darf. Amen.

Jesus sprach zu ihnen: „Wie können die Hochzeitsleute Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist?“
Matthäus 9,15

Ein Bräutigam braucht Festgenossen, die mit ihm feiern, und dazu hat Jesus seine Jünger gemacht. Für ihn war sein Wirken ein festliches Feiern, ein Hochzeitstag. Denn nun kommt zur Tochter Zions ihr König und zur geplagten, zerstreuten Herde der Hirt und zum gottlosen Volk der Sohn Gottes, an dem es endlich den Vater sieht. Er kann aber nicht einsam feiern. Er kommt als der Gebende; so braucht er die Empfangenden. Er kommt mit dem selig machenden Wort; so braucht er die, die es hören. Er kommt mit der Vergebung der Sünden; darum sucht er die Sünder, die sie empfangen. Er kommt im Dienst des göttlichen Reichs; so braucht er die, die er regiert und zu seiner Gemeinde macht, und weil er sie brauchte, führte der Vater sie zu ihm. Sie waren da, die Freunde des Bräutigams, seine Hochzeitsleute. Was haben sie zu tun? Mit ihm zu feiern, sich daran zu freuen, dass das Fest des Bräutigams begonnen hat, seine Tischgenossen zu sein, denen er seine Gaben reicht, und ihm treu und verbunden zu sein, wie es die ihnen gewährte Freundschaft von ihnen verlangt. Dies ist ihre Pflicht und darum können sie nicht Leid tragen, obwohl es ihnen an Anlass zum Kummer nicht fehlt. Die Welt ist dunkel und in Israel geschieht viel Böses und die Jünger haben auch selber teil an dem, was die Welt aus uns macht und die Not des Volkes ihnen antut. Dennoch können sie nicht fasten, wie es die Betrübten tun. So dächten sie nur an sich, nur an das, was sie bekümmert und sie bedürfen. Ihre Zeit gehört aber dem Bräutigam und dieser feiert und sie mit ihm. Das ist die Christenregel, die für alle Zeiten gültig ist. Das Werk Jesu in der Menschheit ist ein freudenreicher Dienst und ein selig machendes Werk; denn es verherrlicht ihn und in ihm Gott. An uns verherrlicht er sich und macht an uns Gottes Gnade groß. Das macht aus dem Christenleben die Feier und gib der Christenheit das Loblied, das nicht verstummt. Zum betrübten Kummer haben wir Grund, wenn wir auf uns und unsere Zustände sehen. Dort gibt es vieles, was Tränen verdient. Wer aber Jesus kennt, kann nie so auf sich selber sehen, dass er nur sich selber sieht, und darum gilt es in jeder Lage, auch wenn wir tief gebeugt sind: die, die Christus kennen, sind eine feiernde Schar.
Sende auch jetzt einen Strahl aus Deiner Freude in meine Seele. Die anderen sprechen vom grauen Alltag. Mache ihn mir zum Festtag, weil Du lebst und regierst in der Vaters Gnade und Macht. Amen.

Niemand flickt ein altes Kleid mit einem Lappen von neuem Tuch; denn der Lappen reißt doch wieder von dem Kleid und der Riss wird ärger.
Matthäus 9,16

Vieles an uns ist Flickwerk und gleicht einem alten Gewand, auf das ein neues Stück Zeug genäht wurde. Dieses Flickwerk entsteht dadurch, dass wir einen christlichen Zusatz zu dem hinzutun, was wir ohne Jesus sind. Unsere natürliche Art bleibt an uns, wie sie war, wild und krank, ohne dass sie gereinigt und geheiligt wird. Weil wir aber auch bei Jesus manches sehen, was uns lockt, verbinden wir mit ihr ein gewisses Maß von christlicher Lehre und Sitte. So wurden die Jünger des Johannes darauf aufmerksam, dass die Jünger Jesu, ohne zu fasten, frei von der Furcht mit freudiger Hoffnung auf Gottes Reich warteten. Mussten nun sie noch bei ihrem Fasten bleiben? War die Freiheit nur für die Jünger Jesu da, nicht auch für sie? Jesus warnte sie: Verderbt euer Gewand nicht durch einen neuen Flick. So wäre es weder neu noch alt und nützte euch gar nichts mehr, sondern zerrisse ganz. Was von Jesus her stammt, hilft uns nichts, wenn wir es nur dazu brauchen, unser altes Wesen zu verschönen. Im alten Weg sind wir durch den neuen Zusatz gehemmt und haben doch das nicht gewonnen, was uns Jesus gibt. Komme ganz zu mir, sagt mir Jesus, und folge nicht neben mir noch anderen Meistern nach; dann entsteht nicht ein Flick auf deinem alten Wesen, sondern ein neuer Mensch. Verschwindet dann das Alte? Trägt nicht jeder an seinem Leib und an seiner Seele, was die Geburt ihm gab? Und sitzt nicht das fest in uns, was die Welt in uns hineingetragen hat? Verschwinden kann und soll das nicht; denn wir sind fest gewurzelt an dem Ort, an dem wir angewachsen sind. Wenn ich mich aber zu Jesus halte, hat mein Leben nicht mehr an meinem alten Wesen seinen Grund und sein Ziel. Das Neue bleibt vom Alten deutlich unterschieden und vermengt sich nicht mit ihm, sondern steht über ihm und ist das, was uns regiert. So wird auch unser alter Rock uns wirklich brauchbar. Jetzt erst werden wir im richtigen Sinn natürlich, der Natur untertan und Herr über sie und ihrer froh, und stehen in fester Gemeinschaft in den Verbänden, in denen wir leben, mit treuer und heilsamer Arbeit, die ihnen nützt. Aber unser altes Gewand ist nicht mehr unsere einzige Habe, sondern darüber steht, was uns Jesus gibt, und er bewährt die Neuheit seiner Gabe darin, dass er uns den Weg Gottes gehen macht.
Ich hasse, lieber Herr, meine Halbheiten, hasse, was als leeres Wort und unechte Verzierung an mir hängt. An Dir sehe ich den neuen Menschen und wende dorthin mein Verlangen. Herr, hilf! Amen.

Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende. “
Matthäus 9,37+38

Dieses Wort gibt uns einen Einblick in die Leiden Jesu, und die Weise, wie er leidet, verherrlicht ihn nicht weniger als die Weise, wie er in Gott den Grund der Freude hat. Über Gottes Werk hat Jesus nicht geklagt; zur Klage bewegt ihn der Mensch und sein Verhalten. Sagte er: die Ernte ist klein, dann klagte er über das, was Gott macht. Denn die Ernte hängt von dem ab, was Gott tut. Sein ist der Same, aus dem die Ernte erwächst, und sein ist der Regen und Sonnenschein, der sie reift. Jesus heißt aber die Ernte nicht klein, sondern groß, obwohl ihn niemand erkennt und Kapernaum, das bis zum Himmel erhöhte, in die Tiefe stürzte und Gott ihn den Weisen und Klugen verborgen hat, so dass er dem Manne gleicht, der nur das kleine Senfkörnlein in seinen Garten legt. Dennoch könnte sie klein bleiben, da sich Gottes Reich uns aufgetan hat? Wenn die allmächtige Gnade vollbringt, was sie sich vorgenommen hat. dann entsteht die unzählbare Schar, die das weiße Gewand empfing. Ist aber die Erntezeit vorhanden, dann muss der Schnitter hinaus ins Feld. Hier beginnt die Klage Jesu. Wo sind die Schnitter, die Hand anlegen, dass die Ernte Gottes in seine Scheune kommt? Es ist aber schwere Not, wenn die große Ernte reif ist, ohne dass Arbeiter vorhanden sind, die sie heimbringen. Wo sind die Hörer des Wortes, die seine Täter werden, wo die, die der Botschaft Jesu glauben und sie deshalb auch den anderen sagen müssen? Wo sind die, die seine Liebe drängt, dass sie auch den anderen helfen? Das Leiden kehrt aber mit seiner Pein dazu bei uns ein, damit es in uns die Bitte erwecke. Arbeiter, die die Erntearbeit tun, sind die, denen der Vater den Sohn offenbart, die, die der Vater Jesus gibt und zu ihm zieht. Sie müssen also vom Vater erbeten sein. Darum legte Jesus in die Seele seiner Jünger die Bitte: Schaffe du zum Reichtum deiner Gnade auch die, die sie empfangen.
Wenn ich über das, was Gott tut, klagen möchte, dann trete ich zu Dir, Herr Jesus, und nun wird mein Klagen still. Ich erkenne unsere Schuld und empfange die Bitte: Rüste uns, zu tun, was Deine Gnade will. Zur großen Arbeit gib die große Liebe, zur Menge der Aufgaben die rüstige Hand. Bleibt die Schar der Arbeitenden bei uns klein, so erlöse sie von ihrem Zwist und mache sie eins in Dir. Amen.

Kap. 10

Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben, auch keine Taschen zur Wegfahrt, auch nicht zwei Röcke, keine Schuhe, auch keinen Stecken; denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.
Matthäus 10,9+10

Nichts von dem, was der Blick der Menschen auf sich zieht, gab Jesus seinen Jüngern mit und er hat ihnen verboten, sich irgend etwas als Lohn für ihren Dienst zu verschaffen. Nur, wenn sie nichts besaßen, konnten die Jünger ihren Botendienst ausrichten. Weil sie nichts brachten, wenn sie kamen, und nichts mitnahmen, wenn sie gingen, war der Botschaft Jesu eine deutliche Versichtbarung gegeben. Man sah an der Armut seiner Boten, wovon das Evangelium spricht. Gottes Reich ist nahe, das war die Botschaft dieser Männer, die nichts hatten als ein einziges Kleid. Sie zeigten dadurch: hier wird nicht von Geld und Gut gesprochen, nicht von Glück und Macht, überhaupt nicht von Menschen und seinen Zielen, auch nicht von Juden und seinen Hoffnungen, mit denen er sich die Zukunft seiner Stadt und seines Geschlechts vergoldete. Gottes Reich ist nicht die Herrschaft des Juden und nicht die Verklärung des Menschen; Gottes Reich macht Gott gegenwärtig, bringt sein Gericht und verleiht seine Gnade. Neben diesem Ziel fällt jedes andere Anliegen dahin. Da verliert Gold und Silber allen Wert. Was liegt noch daran, ob der Apostel Schuhe oder einen Stecken habe? Gottes Reich löst den Blick von diesen Kleinigkeiten ab und erweckt in der Seele ein einziges Trachten, das, das nach Gottes Gerechtigkeit und Gnade begehrt. So brachten die Jünger das Wort Jesu zu allen. Für sie war kein Haus zu vornehm und keines zu ärmlich. Sie waren ja weder reich noch arm, sondern standen über diesem Gegensatz, der unsere Gemeinschaft zerreißt. Der Riss, den dieser Unterschied damals in der Judenschaft stiftete, war sehr tief. Ein Evangelium für die Reichen hätte die Armen gegen sich gehabt, und ebenso hätte sich jeder, der etwas besaß, von bettelnden Evangelisten abgewandt. Die Jünger Jesu waren weder Bettler, die an ihrer Armut leiden, noch Streber, die Gewinn suchen, sondern Arbeiter, die nicht mehr begehrten als ihre Nahrung, an die sie um ihres Dienstes willen ein Anrecht haben. So räumten sie, so gut als sie konnten, die Hindernisse weg, die der Judenschaft den Anschluss an Jesus schwer machten. Der grimmige Arme, der dem Reichen fluchte, sah hier eine Armut, die ihn nicht verdarb, und der üppige Reiche, der unglücklich war, wenn ihm nicht jeder Tag ein Festmahl brachte, sah hier einen Reichtum, der nicht verdarb, sondern frei machte. Denn Gottes Reich tut sich für beide auf.
Deine gütige Hand, Vater, gab mir vieles; so will ich es auch verwalten nach Deinem Gebot. Aber darum bitte ich Dich, gib mir an meinem Ort Anteil an der Freiheit Deiner Jünger. Würde ich meiner Habe wegen dich verlieren, weil ich zum Knecht meines Vermögens würde, das wäre, Vater, dein Gericht, das ich fürchte. Mein Schutz ist dein Wort, durch das wir zur Freiheit berufen sind. Amen.

Auch die Haare auf dem Haupt sind alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht.
Matthäus 10,30+31

Wenn die Menschen leidenschaftlich werden, schreien und toben, zu den Waffen greifen, Gewalt üben, Gericht halten und töten, dann übertönt ihr Lärm leicht die Erinnerung an Gott. Ist er auch dann gegenwärtig, wenn eine wütende Schar die Jünger Jesu vor den Richter schleppt und ein blutiger Römer oder ein gottloser Jude wie der König Agrippa das Todesurteil über sie spricht? Ist sein Himmelreich auch dann in seiner königlichen Macht wirksam, wenn der Kopf des Johannes auf einer Schüssel der Herodias übergeben wird? Jesus schwankt nicht; auch die Haare eures Hauptes sind gezählt; ihr steht in Gottes Schutz, nicht nur, wenn sich die Menschen nicht um euch kümmern, sondern auch dann, wenn sie sich eifrig und zornig mit euch beschäftigen und ihre Faust nach euren Haaren greift. Jesus hat vereint, was wir nicht zusammenzubringen vermögen. Er sah mit seinem geraden, klaren Blick dem Menschen in sein Angesicht und legte über die menschliche Bosheit keine Hülle. Er wich der Wahrheit nicht aus, indem er den Menschen verschönte und in die Wolken erhob. Vielmehr hat er mit sieghafter Wahrhaftigkeit sich und den Jüngern gezeigt, was die Welt ist und was sie in sich hat, dass sie nicht das in sich hat, was von Gott ist, sondern das, was aus der Welt ist und ihr von ihrem Fürsten gegeben wird. Darum beschrieb er den Jüngern ihren Weg nicht als eine friedliche Wanderung auf gefahrloser Straße, sondern als den Gang derer, die ihre Kreuze auf ihren Schultern haben und ausgestoßen aus der Welt ins Sterben gehen. Aber nicht so haftet der Blick Jesu am Menschen und seinem Zorn und seinen Übeltaten, dass er nun nur noch den Menschen sähe und einzig mit dem Willen und der Macht des Menschen rechnete. Er sieht ebenso deutlich unverwandt in jeder Lage auch in das Angesicht des Vaters und sieht es über seinen Jüngern leuchten, durch keine Wolke des Zorns verdeckt. Darum sagte Jesus ihnen: Fürchtet euch vor den Menschen nicht. Ihr seid nicht allein, sondern tut jeden Schritt in Gottes Gegenwart. Was Jesus konnte, ist größer, als was wir vermögen. Das aber können wir: hören auf das, was Er sagt, und dem glauben, was Er verspricht, und dies ist unsere Stärke in jedem Kampf.
Wer unter Deinem Schutz steht, Allmächtiger, hat in Dir den Frieden, den nichts stören kann. Um Deinen Frieden bitte ich, dass er meine Seele decke. Dann kann sie nicht beben, nicht zweifeln, nicht zürnen und grollen. Weil ich in Deinem Schutz geborgen bin, mache mich zum Kind des Friedens im Verkehr mit allen, mit denen Du mich zusammenführst. Amen.

Kap. 11

Johannes ließ Jesus sagen: „Bist du, der da kommen soll, oder warten wir auf einen anderen?“
Matthäus 11,3

Ich kenne die Frage des Täufers auch und trage sie beständig in mir. Sie kommt mir, wenn ich die Macht spüre, die mein Leib über mich hat; sie kommt mir, wenn ich auf den Lebenslauf manches Christen sehe, der sich zeitlebens mit der Bürde seines Unverstandes schleppt; sie kommt mir bei der Betrachtung der Geschichte unserer Kirche mit allen Dunkelheiten, die auf ihr liegen, und nicht weniger beim Blick auf die gegenwärtige Christenheit und das, was sie zersplittert und entzweit. Ich halte es dabei wie der Täufer, der nicht imstande war, sein Warten einzustellen, auch wenn Jesus gegen seine Erwartung gesagt hätte: Ich bin nicht der Kommende. Auch dann bliebe er der Wartende. Ohne Hoffnung kann er nicht leben. Wäre er nicht ein Wartender, wie könnte er es in seinem Israel aushalten, dass er, als es zur Taufe kam, in seiner Not gründlich kennen lernte? Jesus lässt sich so fragen. Er hat den Täufer nicht gescholten, weil er ihn fragte, sondern hat ihn eben damals den Größten von allen Menschen genannt. Ihn fragte Johannes, bereit, an sein Wort sich zu halten, und damit erwies er ihm Glauben. Das ist für jede Frage das Merkmal, ob sie aus dem Glauben kommt, dass sie bereit ist, die Antwort Jesu zu hören. Sieh, sagte er dem Täufer, was ich mache. Blinde sehen, Lahme gehen. Ich bringe die gnädige Hilfe denen, die sie bedürfen. Den Herodes lasse ich in Ruhe und ziehe ihn nicht herab von seinem Thron. Gamaliel hole ich nicht aus seinem Lehrsaal und Kaiphas nicht aus dem Tempel heraus; sie sollen weiter ihres Amtes warten. Die Welt neu zu machen, dafür ist die Stunde noch nicht da. Da aber, wo aus einem zerbrochenen Leben die Bitte kommt: erbarme dich, da helfe ich. Ist die Antwort Jesu heute undeutlich geworden? Ist nicht das, was er mir gibt, gerade das, was ich brauche? Wo sehe ich den Vater, wenn nicht bei Ihm? Wo lerne ich glauben, wenn nicht bei Ihm? Was macht aus meinem Wirken, mag es noch so sehr mit Sündlichem vermengt sein, einen Gottesdienst, wenn er das nicht kann? Nun aber fasse es: Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert; selig ist der, dem ich nicht zum Anlass werde, dass er fällt.
Wir schreiten, lieber Herr, nicht über die Wellen, ohne zu schwanken. An das Unsichtbare uns zu halten, das bringen wir nicht fertig ohne die Angst, wir verlieren den Grund. Aber Deine Hand erfasst auch die auf den Wellen Schwankenden. Gelobt seist Du. Amen.

Niemand kennt den Vater, als der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren.
Matthäus 11,27

Habe ich ein Auge für Gottes Wirken? Soweit ich es habe, ist es Jesu Gabe. Ohne ihn wüsste ich nicht, ob ich irgendwo eine Spur von Gott wahrnähme, ob ich mich zur Natur, so mächtig sie von Gott spricht, anders stellte als ein Tierlein, ob ich mich auch bei der Betrachtung der Menschen und ihrer Geschichte irgendwo an Gott erinnern ließe, ob ich nicht mein eigenes Leben einig als mein Werk betrachten und, da diese Betrachtung immer scheitert und undurchführbar bleibt, nicht auch von einem blinden, vielleicht sogar grausamen Schicksal spräche, das mich vielfach gehindert habe. Ja, auch in der Schrift, auch im Neuen Testament würde ich schwerlich Gott erkennen, hätte mich die Wirkung Jesu nicht erfasst. Man kann auch ihn selbst betrachten, ohne Gott wahrzunehmen, und kann auch seiner Geschickte den gottlosen Sinn geben, den die Geschichte dann bekommt, wenn wir in ihr nur die in die Natur hinein gesetzten und von ihr bewegten Menschen sehen. Darin macht uns Jesus die Einzigkeit seiner Sohnschaft Gottes wahrnehmbar, dass er es ist, der uns den Vater zeigt, während da, wo er fehlt, Gott die Züge der Natur oder des Schicksals bekommt oder uns zum Gesetzgeber wird, der uns durch sein heiliges Buch regiert, wie Mohammed ihn gesehen hat. Dagegen den Vater zu erkennen, so dass ich durch ihn und bei ihm bin und für ihn lebe, das gibt uns Jesus allein. Die Einzigkeit seiner Sohnschaft gibt ihm die königliche Vollmacht, die uns alle von seinem Willen abhängig macht. Wenn ich dir den Vater offenbaren will, sagt er mir, dann erkennst du ihn; wenn ich dir dagegen meinen Dienst versage, bleibt er dir unbekannt. Er spricht als der Herr, dem niemand seine Gnade abzwingt. Soll ich mich deshalb vor ihm fürchten? Hier übt die Herrschaft nicht ein eigenwilliger Machthaber, sondern der Sohn, der keinen wegstößt, den der Vater zu ihm führt.
Das ist das ewige Leben, dass wir Dich kennen, allmächtiger Schöpfer und Vollender. Aber, ob wir auch umringt sind von Deinen Werken, erkennen wir Dich doch nicht, bis Du Dich uns im Kreuz Deines Sohnes offenbarst. Dort nimmt Deine gnädige Hand von unseren Augen die Hülle weg, dass wir Deine Liebe schauen, die es uns schenkt, dass wir Deine Kinder heißen. Amen.

Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Matthäus 11,28

Wie ein schwerer Stein kann die Erinnerung an Gott auf unsere Seele fallen, so dass sie uns zur Last wird, die wir mühsam und keuchend schleppen. Auch für viele, die sich zur Kirche halten, ist ihr Anteil an ihr eine drückende Bürde, die man tragen muss, weil man sie nicht entbehren kann, aber nur mühsam trägt. Was würde aus dem Menschen, was würde aus unserem Volk, wenn es keine Religion mehr gäbe? Davor erschrickt man; aber schwer bleibt es doch, fromm zu sein, schwer, richtige Busse zu tun, schwer, mit Gott ins Reine zu kommen. Aus solchem Druck kann angestrengte Arbeit entstehen, die sich entschlossen und ernsthaft um die Erreichung des religiösen Ziels bemüht. In der Gemeinde, in der Jesus stand, waren solche „Arbeitende“ und „Lastträger“ zahlreich vorhanden. Weil sie im Aufblick zu Gott einzig an sein Gesetz dachten, bekam ihr Gottesdienst leicht Ähnlichkeit mit dem, was der Lastträger tut. Mich selber fromm zu machen ist freilich ein hartes Geschäft, das immer von neuem anfängt und nicht zum Ziele kommt. Kommt zu mir, sagt Jesus allen, die sich mit ihren religiösen Pflichten abmühen, allen, die nach Gerechtigkeit ringen und bei diesem Bemühen scheitern, allen, deren Frömmigkeit ein Suchen nach Gott blieb, das nicht zum Frieden kam. Bei ihm sehen wir eine andere Frömmigkeit als die der atemlos Arbeitenden, als die der Lastträger. Was Gott dem Volk verhieß, als er ihm den Sabbat gab, das war Jesu Eigentum. Er ruht und sein Ruhm gibt nicht nur der Hand, sondern der Seele die Ruhe. Was hilft es, wenn die Hände ruhen und die Gedanken toben und die Begehrung fiebert und das Herz mit wildem Stoß sich selbst bekämpft? Arbeitete denn Jesus nicht? Ich wirke, sagte er, denn der Vater wirkt. Trug er keine Last? Gottes Lamm trug die Sünde der Welt und trug sie an das Kreuz. Das zieht ihn aber nicht aus seiner Ruhe heraus; er hat sie in seinem Wirken und seinem Leiden. Was hat diesen völligen Unterschied hervorgebracht? In der mühseligen und belasteten Frömmigkeit beschaut der Mensch sich selbst, beschäftigt sich mit sich selbst und bleibt immer bei sich selbst. Bei Jesus wird Gott sichtbar und seine Gnade tut ihr Werk. Wenn Gott erscheint, entsteht Stille. Nun ruhen wir.
Weil ich mich oft mit mir selber beschäftige und plage und unter dem, was ich tun soll, müde und wund werde, höre ich, o Herr, mit tausend Freuden auf Deinen Ruf; Komm zu mir, die Ruhe findest du bei Mir. An der Herrlichkeit Deiner Sohnschaft Gottes sehe ich, was auch mir die Ruhe gibt. Amen.

Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.
Mat. 11,30.

Glaube ich das wirklich oder trete ich denen bei, die sagen, das Gebot Jesu sei schwer, sogar unerfüllbar, niemand könne es halten? War es nicht leichter, nach der jüdischen Weise fromm zu sein? Man blieb bei der Sitte, tat, was sie vorschrieb, und war dadurch ein Glied der Gemeinde, vor den Menschen in Ehren und bei Gott wohl angeschrieben. So stellt sich Jesus nicht zu uns, sondern greift nach uns und macht sich unser inwendiges Leben untertan. Er läßt nichts Halbes zu, keinen halben Gehorsam, keine zersplitterte Liebe. Das ist freilich schwer, ja unmöglich, wenn ich auf mich selbst sehe. Ich müßte träumen, wenn ich den Mut nicht verlöre, wenn ich das, was Jesus gebietet, neben das stelle, was ich bin und kann. Allein Jesus ruft uns zu sich, heraus aus der Schar der Lastträger, denen ihre Frömmigkeit wie eine schwere Last auf dem Nacken liegt. Sein Joch nennt er sanft, das, mit dem er uns unter seine Leitung stellt und ihm folgsam macht, und seine Last heißt er leicht, die, die seine Hand uns reicht. Sowie ich meinen Blick von mir los machen kann und ihn anschaue, dann verstehe ich, daß er mir sagt: ich quäle dich nicht und stelle dich nicht in einen freudlosen Dienst und mute dir nichts zu, was dich erdrückt. Sehe ich auf ihn, so weiß ich: hier spricht die Güte, auch wenn er gebietet; hier spricht der Vergebende, auch wenn er verpflichtet; hier spricht der Gebende, auch wenn er fordert. Er fordert alles; denn er gibt alles. Er fordert Glauben; denn er hat die Gnade; er fordert Gehorsam; denn er versöhnt uns mit Gott. Er kann auch verlangen, daß ich mein Kreuz anfasse; denn er gibt das Leben. Weil er gibt, fordert er und darum ist sein Joch sanft und seine Last leicht.
Uns umtönt, lieber Herr, beständig das Gerede der Menschen und ihre Gedanken setzen sich in uns fest. Sie heißen dich einen harten Herrn, weil sie nicht gehorchen wollen, und nennen deinen Weg unmöglich, weil es der der Liebe ist. Ich will nicht auf die Menschen hören, auch nicht auf meine Stimme, sondern auf dich und du wirst es mich erfahren lassen, daß deine Hand, die mich führt, gütig ist. Amen.

Kap. 12

Habt ihr nicht gelesen, was David tat, da ihn und, die mit ihm waren, hungerte, wie er in das Gotteshaus ging und aß die Schaubrote, die ihm doch nicht ziemten zu essen, noch denen, die mit ihm waren, sondern allein den Priestern?
Matthäus 12,3+4

Schaubrote aß David und es fiel kein Blitz vom Himmel, der ihn zerschmetterte, und kein Kennzeichen ward an ihm sichtbar, das ihn in das Elend trieb. Obgleich er Schaubrote gegessen hatte, blieb er der Mann nach Gottes Herzen, der Besitzer der königlichen Sendung, der dem Volk zum Herrn gegeben wurde, damit durch ihn Gottes Regierung zuteil werde. und doch war es eine unzweifelhafte Satzung des Gesetzes, dass die Schaubrote Gottes Eigentum seien und daher, wenn sie durch neue ersetzt wurden, allein dem Priester gehören. Kann denn ein Mensch gegen das Gesetz handeln, ohne dass das Gesetz ihn zerbricht? Den Pharisäer machte diese Frage stumm; denn sie warf seine ganze Frömmigkeit um. Jesus sah dagegen in diesem Bericht der Schrift nichts Dunkles, weil Er auch im Gesetz den Willen des Vaters vernahm, der das Gesetz um des Menschen willen gab. Für die anderen war das Gesetz eine schreckliche Macht, die zwischen ihnen und Gott stand wie der Cherub mit dem feurigen Schwert vor dem Paradies. Wehe dem, der es brach; er hat Gott gegen sich. Ist die Schuld geschehen und das Schaubrot gegessen, dann gibt es für den, der schuldig geworden ist, weder Rat noch Hilfe. Für Jesus dagegen gibt es kein göttliches Wort, das Gott nicht als den Gebenden offenbarte, auch dann, wenn Gott gebietet und ein Heiligtum aufrichtet, das der Willkür des Menschen entzogen ist. Für mich ist Gottes Gesetz gegeben, nicht gegen mich. Begehrt David die Schaubrote im Aufruhr gegen Gottes Gesetz, dann fällt er. Gibt sie ihm der Priester, weil David Brot braucht, dann sah Jesus in Gott nichts von Eifersucht; dann gönnt ihm Gott auch die ihm gehörenden Brote gern.
Deine Güte, Herr, gibt mir mein Gebot. Deine Gnade bindet mich an meine Pflicht. Behüte mich vor allem Murren gegen Dein Gebot. Mache es mir süß und zu meinem eigenen Willen und binde in mir fest zusammen, was ich soll und was ich will, damit ich Lust habe an Deinem Gesetz. Amen.

Man mag wohl am Sabbat Gutes tun.
Matthäus 12,12

Der Sabbat in Palästina zur Zeit Jesu war eine herrliche Sache. Überall kehrte die Ruhe ein in jedem Dorf und in jedem Haus. Keine wandernden Scharen zogen durch das Land, kein Bahnzug durchfuhr es eilig. Keine Wirtschaft verdarb ihre Gäste und kein Geschäftshaus verlangte heimlich oder öffentlich den Dienst seiner Arbeiter. Ruhe lag über allem. Sie hatte aber nicht nur für das menschliche Zusammenleben heilsamen Wert, sondern war auch ein mächtiges Zeugnis für Gottes Reich, das keiner überhören konnte. Weil der Mensch Gott gehört, sonderte er einen Teil seiner Zeit aus und machte ihn heilig. Der heilige Tag sagte jedem: Du gehörst zum heiligen Volk, und indem jeder den Satan hielt, bekannte er sich zum Herrn als seinem Gott. Dennoch stellte sich Jesus über das Sabbatgebot. Denn es gibt noch etwas Größeres, noch etwas Heiligeres als den Sabbat, und wenn er dieses Bessere und Heiligere hindert, wird er zur Fessel, die Jesus nicht ertrug. Was ist dieses Bessere? Wohltun, lautet Jesu Antwort. Tun ist besser als Ruhen, wohltun besser als sich selber pflegen, den Menschen wohltun besser als müßiger Gottesdienst. Weil die Judenschaft aus dem Sabbat das Verbot der Liebe an diesem Tag machte, darum hat ihn Jesus übertreten. So gewaltig machte er sein Zeugnis für die Unentbehrlichkeit und Heiligkeit der Liebe! Aus der Übertretung des Sabbats folgte für Jesus das Schwerste, tödlicher Hass seiner Feinde, grimmiger Anstoß, das Kreuz. Aber Jesus schwankte nicht. Im Namen Gottes die Liebe zu verbieten, der Heiligkeit wegen das Wohltun zu unterlassen, das hieß er nicht Gottesdienst, nicht Heiligung, nicht Ehrung Gottes, sondern Streit mit Gott.

Wohltun, Herr, das ist Dein Wille. Du hast Dich selber ans Kreuz gegeben, weil Du wohltatest, und hast dadurch aus Deinem Kreuz die große Wohltat gemacht, für die wir Dir danken. Deine Liebe hast Du offenbart, die nie rastende, die immer zum Helfen bereite, die nicht das Ihre sucht, da sie ganz und vollkommen ist wie Gottes Gnade. Nun zieh uns alle in Deine Bahn. Amen.

Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, derselbe ist mein Bruder, Schwester und Mutter.
Matthäus 12,50

Die Bande, die die Natur zwischen uns knüpft, vereinen uns fest. Wir empfangen reiche Güter dadurch, dass wir nach der Ordnung der Natur Eltern, Brüder und Schwestern haben, ebenso auch, dass wir als Zeitgenossen zum selben Geschlecht und durch dieselbe Rasse, Sprache und Geschichte zu einem Volk verbunden sind. Es gibt aber noch eine festere Verbundenheit und vollständige Gemeinschaft; das ist die, die uns Jesus bereitet hat. Seine Mutter und seine Brüder machten die Ansprüche geltend, die ihnen ihre natürliche Verbundenheit mit Jesus gab. Jesus wies aber diese Ansprüche ab, nicht weil er das natürliche Recht zerträte und die natürliche Gemeinschaft vernichtete. Er anerkannt sie willig; es muss aber sichtbar werden, dass es noch etwas Größeres gibt, eine Gemeinschaft, die auch da besteht, wo die natürlichen Bande nicht vorhanden sind, und auch das Persönlichste in uns erfasst und uns daher ganz miteinander vereint. In diese Gemeinschaft sind alle hineingesetzt, die den Willen Gottes tun. Mit ihnen macht sich Jesus eins und verbindet sie so fest mit sich, wie die Natur uns zusammenführt. Was diese macht, lässt sich nicht ändern. Unsere Mutter ist für immer unsere Mutter und unsere Brüder bleiben es unser Leben lang. Ebenso unzerbrechlich heißt Jesus seine Gemeinschaft mit denen, die den Willen Gottes tun, und indem er sich mit ihnen verbindet, sind sie auch miteinander vereint. Wenn unsere Einigung nicht an dieser tiefsten Stelle ihren Grund hat, bricht sie. Manche Mütter sahen sich von ihren Kindern verlassen und zwischen Brüdern entsteht oft grimmiger Hass. Wenn aber der Wille Gottes unser Wille wird und von uns nicht nur gekannt, sondern getan wird, dann trennt uns nichts von Jesus und trennt uns nichts voneinander. So werden wir eins.
Du nimmst Dich unser an, o Jesus, gönnst uns deine Gemeinschaft und gibst ihr den sicheren Grund im Willen Gottes. Nichts wird mich von Deiner Liebe scheiden, wenn ich im Willen Gottes bleibe. Um die Verbundenheit mit Dir bitte ich Dich; denn sie ist mein Friede, meine Kraft und mein Heil. Amen.

Kap. 13

Selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören.
Matthäus 13,16

Nicht das sagt mir Jesus. Selig ist dein Verstand, weil er begreift, und selig ist deine Phantasie, weil sie dichtet, und selig ist deine Tatkraft, weil sie Erfolge schafft, sondern mein Auge meint er selig, weil es sieht, und mein Ohr, weil es hört. Wenn durch mein Sehen und mein Hören komme ich mit dem in Verkehr, was Gott vollbringt, und werde vor sein Werk gestellt. Es gäbe keine seligen Augen, wenn es nicht etwas wunderbar Großes zu sehen gäbe, und keine seligen Ohren, wenn nicht etwas Herrliches und ewig Wahres zu hören wäre. Ihr, sagte Jesus seinen Jüngern, seht und hört solches, und ich sehe und höre solches jedes Mal, wenn ich mit dem, was von Jesus kommt, in Berührung bin. Gibt es selige Augen, so gibt es auch unselige und neben den seligen Ohren stehen die unseligen, und es ist in der Tat ein unseliger Zustand, wenn sich uns das Wirkliche enthüllt; aber vergeblich, weil wir es nicht sehen. Es ist schon ein Jammer, wenn sich die Natur uns umsonst zeigt, weil wir sie nicht sehen mögen, und die Menschen für uns nicht vorhanden sind, weil wir uns nicht deutlich machen, was mit ihnen geschieht. Aber es ist vollends ein Jammer, wenn uns Gott zu seinen Kindern bringt und zu dem, der uns das Recht zur Kindschaft Gottes gegeben hat, zu seinem einigen Sohn, und uns die Augen fehlen, und wenn das Wort, das aus Gottes Geist geboren ist, uns erreicht und wir kein hörendes Ohr haben. Wenn ich in mir selbst versinke, dann sterben mein Auge und mein Ohr ab, und wie vieles zieht mich in mich selbst hinein, so dass nichts mehr für mich Bedeutung behält als meine eigenen Zustände. Ich soll freilich auch mich selber kennen und das, was in mir hörbar wird, vernehmen. Gott hat aber sein Werk in die Welt hineingestellt und von oben her tritt unser Herr zu uns heran und von außen kommt das Wort zu mir, das mir seinen Willen sagt. Dazu sind mir das Auge und das Ohr gegeben als die offenen Pforten nicht nur für das, was von unten, sondern auch für das, was von oben kommt, und wenn ich sie so habe, dass sie ihr Geschäft besorgen und das zu mir leiten, was Gott uns gab, dann bringen sie mir die Seligkeit.
Es ist Dein Gericht, heiliger Gott, wenn unser Auge stirbt, und deine strafende Hand macht, dass unsere Ohren verriegelt werden. Deine Gnade aber macht das Auge offen und das Ohr wach. Wecke mir das Ohr, dass ich Deinen Ruf höre, und gib mir die erleuchteten Augen, dass ich Dein Heil schaue. Amen.

Wenn jemand das Wort vom Reiche hört und nicht versteht, so kommt der Arge und reißt es hin, was da gesät ist in sein Herz.
Matthäus 13,19

Wie verhält sich der, der „nicht versteht“? Meint Jesus, es fehle ihm das Denkvermögen, so dass er das Wort nicht zu begreifen und zu beweisen imstande ist? Sicherlich nicht. Er freute sich am Willen seines Vaters, der die Armen im Geist durch sein Reich reich macht und die Unmündigen erleuchtet. Nicht Fleisch und Blut hat es dir geoffenbart, hat er zu Petrus gesagt, als dieser wagte, Jesus den zu nennen, der uns zum Herrn gegeben ist. Denn dieser Gedanke übersteigt alles, was die Natur uns zeigt. Er hört zwar, sagt Jesus, aber er merkt nicht auf; er vernimmt die Botschaft, nimmt aber nichts wahr. Der Verständige ist der, der seine Lage mit klarem Blick erfasst und Menschen und Dinge richtig beurteilt. Das Wort spricht ja von den großen Wirklichkeiten, vor die wir gestellt sind, von dem, was geschieht, was Gott tut, von Gottes Reich, von den Ereignissen, durch die Gottes Gnade zu uns kommt, vom Sämann, der den Acker mit Gottes Saat versieht, vom Senfkorn in seiner Kleinheit und von dem daraus entstehenden großen Gewächs, und vom Schatz, der reicher macht als jede andere Habe. Das sind Tatbestände, Wirklichkeiten, das, was geschehen ist und geschieht. Darum verlangt das Wort von dem, der es hört, die Fähigkeit, wahrzunehmen, das sehende Auge, das denkende Herz, den urteilenden Verstand. Das fehlt bei denen, die Jesus mit der Saat vergleicht, die auf den Weg gefallen ist. Sie hören nichts als ein Wort, eine Lehre, eine Theorie. Darum geben sie auch das Wort gern her. Warum sollten sie es auch dann festhalten, wenn eine andere Stimme zu ihnen spricht, die sich mit Ernst und Macht darum bemüht, Gottes Werk zu hindern? Ein Wort ohne Inhalt, eine Meinung ohne Grund, eine Lehre ohne Gegenstand wird mit leichtem herzen preisgegeben. Was uns der Satan zeigt, ist nicht nur Rauch und Schaum. Die Lust der Sinne ist glühende Lust und die Jagd nach dem Geld ringt nach einem greifbaren Besitz und die Macht ist nicht nur ein scheinbarer Gewinn. Wird die begehrliche Eigensucht in uns wach, so streckt sie sich nach Dingen, die ernsthafte Wirklichkeit haben. Der, der nicht versteht, hält sie für die einzige und für die heilsame Wirklichkeit und deshalb sagt ihm Jesus sein Wort umsonst.
Wenn ich auf Dein Wort nicht aufmerke, heiliger Gott, so muss ich mich anklagen. Du hast mir das Vermögen gegeben, aufzumerken und wahrzunehmen, was von Dir kommt und was von unten kommt, was gerecht und was verwerflich ist, was mir Leben bringt und was Unheil wirkt. Vergib mir und Deiner Christenheit die Sünden, die wir an Deinem Wort begehen. Amen.

Etlicher trug hundertfältig, etlicher aber sechzigfältig, etlicher aber dreißigfältig. Matthäus 13,23

Diese alle hörten das Wort, verstanden es und brachten Frucht. Sie sperrten das Wort nicht in ihren eigenen Herzen ein; es drang aus ihnen hervor und kam auch zu den anderen. Das Wort machte aus ihnen Salz und dieses salzte und entzündete in ihnen ein Licht und dieses leuchtete. Aber der Umkreis, den das Licht hell machte, war verschieden, hier groß, dort klein. Darum sagte Jesus, dass die aus dem ausgestreuten Korn entstandenen Ähren verschiedene Größe haben und die Zahl der neuen Körner, die sie tragen, ungleich sei. Aber alle Ähren, die großen mit den hundert Körnern und die kleinen mit den dreißig Körnern, sind unentbehrlich, damit aus der Saat die Ernte werde und der Sämann seine Scheune fülle. Jesu große Gnade spricht in diesem Wort, und ich stelle, was ich bin und tue, in ihren Glanz. Zu denen, die hundertfältige Frucht bringen, gehöre ich nicht; der Umkreis meines Lebens ist eng begrenzt und es sind nur wenige, mit denen ich in eine fruchtbare Gemeinschaft treten kann. Allein jede Ähre trägt zur Ernte bei und ist unentbehrlich, damit sie ihr volles Maß enthalte. Der Herr schilt die nicht, die nicht hundertfältig tragen. Denn sein Reich hat nicht nur für die Großen Raum, sondern auch für die Kleinen, und das Bürgerrecht der Kleinen in seinem Reich ist ein Reichsgesetz, das immer in Kraft und Wirkung steht. Sonst hörte sein Reich auf, Gottes Reich zu sein, und würde zum Machtbereich des großen Menschen, der sich in seiner Größe geltend macht. Indem er die Großen und die Kleinen in seinem Reich vereint, schützt er die Großen vor ihrer Hoffart und die Kleinen vor ihrer Verzagtheit. Sie alle brauchen Schutz, die hundertfach Tragenden und die dreißigfach Tragenden, jene, dass sie nicht ihrer Stärke wegen an sich Wohlgefallen haben, diese, dass ihre Schwäche sie nicht träge macht. Ob wir uns gefallen oder uns missfallen, jubelnd oder seufzend unsere Arbeit tun, daran liegt nichts. Einzig das ist das richtige Ziel unseres Verlangens, dass die vom Herrn in uns gestreute Saat reife und zur Ernte werde, die Ihn preist.
Dein Wort, Herr, schafft die Ähren, die für Dich reifen. Denn durch Dein Wort machst Du uns zu Deinen Kindern und zu Deiner Gemeinde, die das Werk Deiner Hände ist. Dein Wort nehme ich in mich hinein als mein Licht auf meinem Weg. Amen.

Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.
Matthäus 13,24+25

Warum gibt es keinen Acker, auf dem nur von Jesus gesäte Saat steht? Warum wächst auf dem Feld, das Jesus gehört, zwischen dem Weizen auch Unkraut? Warum gibt es keine christliche Gemeinschaft, in der alle einzig Jesus gehorchen und keine anderen Meister Einfluss haben? Warum gibt es kein Christenleben, in dem nur Christliches geschieht und daneben nicht auch Verwerfliches? Warum habe ich in mir selbst nicht nur das, was mir Jesus gab, sondern trage daneben auch vieles in mir, was eine andere Hand in mich säte? Das Gleichnis Jesu erinnert uns an die Macht des Feindes. An dieser Erfahrung soll ich erkennen, wie stark der satanische Druck ist, der uns alle hemmt, wie gewaltig sich die Macht der Finsternis dem Reich Gottes widersetzt. Aber diese Antwort ruft nach einer neuen Frage: weicht denn Jesus vor dem Feind zurück? Kann er seinen Acker nicht behüten? Wir haben, was an uns geschieht, erst dann begriffen, wenn uns Gottes Gnade darin sichtbar ward. Es gibt, sagt uns Jesus, keine Kirche, in der man nicht fallen kann, keine christliche Gemeinschaft, die mir schon dadurch, dass ich zu ihr gehöre, mein Heil verbürgte. Dass es so ist, das ist offenkundig die Ordnung der Gnade. Dadurch ist es mir unmöglich gemacht, an die Kirche zu glauben. Wie wäre es doch, wenn ich in mir nur fände, was heilig und göttlich ist? Dann würde ich an mich selber glauben und brauchte keinen anderen Halt als den, den mir mein eigener Besitz gewährt. Das ist mir aber dadurch verwehrt, dass ich beides in mir trage, das, was von oben kommt, und das, was von unten her gekommen ist. Indem Jesus seinen Acker nicht vor dem Eingriff des Satans behütet, zeigt er uns in immer neuem Erlebnis: mit deiner Macht ist nichts getan, auch nicht mit der Macht deiner Kirche, sei sie, wie sie sei. Ich bin dein Schild und deine Burg, spricht der Herr; glaube mir.

Trauen kann ich nicht mir, sondern nur Dir, Herr, heiliger Gott. Ich schwanke und strauchle, Du richtest mich auf. Meine Gedanken verwickeln sich, die Deinen sind Licht. Was Du uns gegeben hast, das ist fruchtbarer Same und reifende Ernte, und das, was sie in Deine Scheune bringt, ist Deine Gnade allein. Amen.

Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und säete auf seinen Acker, welches das kleinste ist unter allen Samen; wenn es aber erwächst, so ist es das größte unter dem Kohl und wird ein Baum, daß die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen unter seinen Zweigen.
Mat. 13,31.32

Kleine Vorgänge, lauter kleine, füllen meine Jahre. Der größte Teil meiner Zeit gehört der natürlichen Arbeit und dazu kommen die Begegnungen mit den Menschen, die mit mir leben. Das sind lauter kleine Dinge. Will ich aber in der Wahrheit bleiben, muß ich zu diesem Satz den anderen fügen: Großes füllt meine Jahre, nichts als Großes. Jesus zeigt mir, wie das Große klein wird und das Kleine groß. Da, wo Gott seine Gnade hinlegt, geht es zu, wie wenn ein Mann ein Senfkörnchen in seinen Garten legt. Wie klein sah Jesus aus! Du bist viel zu klein, sagten sie, als daß du die Welt neu machen könntest. Und was er erreichte, wie klein sah das aus! Sein Erfolg bestand in inem Häuflein unmündiger Jünger, „dieser Kleinen“, wie er sagte. Sie hatten nichts, was in die Augen fiel. Sein Wort hatten sie im Herzen und sie hatten das Unser Vater beten gelernt. War das etwas Großes? Ja. Denn das Senfkorn ist ein lebendiger Same und bringt aus sich das große Gewächs hervor. Denn hier handelt Gott königlich und schüttet den Reichtum seiner Gnade aus und baut sein Reich. Ich erwerbe mir die Lebensmittel. Soll ich sagen: bloß das, das ist wenig? Leben wir, so leben wir dem Herrn. Darum ist mein irdisches Leben ein Senfkörnlein, freilich ein kleines, dem man nicht ansieht, was es werden wird. Weil ich aber in Gottes Reich lebe, so wird daraus das unbeschreiblich Große, das ewige Leben. Jeder Tag gibt mir Anteil am göttlichen Wort. Das ist nichts Großartiges; man kann es leicht verachten. Allein daß ich ihn hören darf, meinen Herrn und Gott, weil er zu uns gesprochen hat, das ist ein unermeßlich reicher Segen. Zwischen die ARbeitszeit treten die Sonntage und geben mir Anteil an der Gemeinschaft, die in Jesus ihren Grund hat. Als lebendiger Stein in Gottes Haus zu stehen ist aber ein wunderbar großes Geschenk. Um mich her kommen und gehen die Menschen, und was ich ihnen gebe, läßt sich nicht messen. Eins aber ist gewiß: Wirkung, unbeschreiblich große, liegt in allem, was nach Gottes Willen geschieht.
Herr, ewiger Gott! In unser kleines Leben legst du deine großen Gaben. Sie sind klein, wie es für uns Kleine paßt, damit unsere kleine Hand sie fassen kann, und zugleich unbeschreiblich groß, weil sie von dirkommen und deine Gnade in ihnen wirksam ist. Gern machte ich auch meinen Dank groß. Verzeih, lieber Herr, daß auch mein Dank klein und schwach bleibt. Aber danken will ich dir für alles, was meine Jahre füllt. Amen.

Abermals ist gleich das Himmelreich einem verborgenen Schatz im Acker, welches ein Mensch fand und verbarg ihn und ging hin vor Freuden über denselben und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Matthäus 13,44

Das Geheimnis des Himmelreichs, das Jesus durch dieses Gleichnis erläutert, bedrängte die Jünger schwer. Mit dem Himmelreich kehrt Gottes allmächtige Gnade bei uns ein. Nun beginnt die selige Feier mit jubelnder Wonne, denn Sünde und Tod sind vorbei. Allein vor dem Himmelreich steht der herbe Anspruch, Entsagung, die auf alles verzichtet, Armut, Verachtung, Flucht und Kreuzigung. Wie wächst das zusammen, höchstes Glück und bitterstes Leid, größte Gnade und schwerstes Gebot, Einsetzung in Gottes reiches Erbe und Entsagung, die auf alles verzichtet hat? Seht den Mann an, der den Schatz fand, sagt Jesus. Was tat er? Er verkaufte alles, was er besaß, und er verkaufte es froh. Was gibt, Jesus, deinem Gebot die alles umfassende Größe? Sie entsteht aus der alles umfassende Größe deiner Gabe. Alles fordere ich von euch, sagst du deinen Jüngern, weil ich euch alles gebe. Ich verlange, dass ihr um meinetwegen sterbt, denn ich gebe euch das Leben, verlange, dass ihr auf die Gemeinschaft mit denen verzichtet, die bisher das heilige Volk Gottes waren, denn ich mache aus euch die neue Gemeinde, die für Gott geheiligt ist. Ich trenne euch von dem alten Tempel und Altar; denn ich bin für euch der Tempel, in dem Gottes Gnade bei euch ist, und das Opfer, das bei euch von allen Sünden rein macht. Ich hole euch heraus aus der Welt und hebe euch empor über die Natur, dass ihr nicht mehr nach den natürlichen Gütern greift und euer Glück nicht mehr in der natürlichen Lust suchen könnt; denn ich führe euch zu Gott. Ist es nun nicht völlig deutlich, dass hier kein Raum für Halbheiten und zerteilte Herzen ist? Entweder begehre ich das Alte oder das Neue. Entweder glaube ich an Gott oder ich hänge mich an die Menschen. Die Entscheidung greift durch alles durch, weil Gott Gott ist und der Mensch Mensch. Wie könnte ich Jesus deshalb hart heißen, weil er so Großes fordert und mich ganz haben will? Hat er nicht Recht, wenn er mir sagt: Sieh auf den Mann, der alles verkaufte; er tat es mit Freude; denn so gewann er den großen Schatz?

Ich danke Dir, heiliger Herr und Gott, dass Du mich von allem wegziehst, was die Natur mir gibt und was wir Menschen haben, hin zu Deinem großen Schatz. Meinem blöden Auge ist Dein Reichtum noch verborgen und das, was ich bin und habe, scheint mir unentbehrlich und groß. Davon löse ich mich nur mühsam und die Freude im Entsagen ist nicht rein und hell. Ich widerspreche Dir aber nicht, wenn Du mir sagst: gib alles her. Denn das ist der Ruf Deiner Gnade. Ich höre ihn und danke Deiner Liebe, die mich gerufen hat. Amen.

Das Himmelreich ist gleich einem Netz, das ins Meer geworfen ist, mit dem man allerlei Gattung fängt. Wenn es aber voll ist, so ziehen sie es heraus an das Ufer, sitzen und lesen die guten in ein Gefäß zusammen, aber die faulen werfen sie weg.
Mat. 13,47.48.

Vor jeden, der das Evangelium unverkürzt hört und sagt, die Botschaft von Gottes vollkommener Gnade, vor der es keine Gerechtigkeit gibt als die des Glaubens, stellt sich die Frage: verdunkle ich nicht dadurch Gottes Recht?! Wird durch das Evangelium nicht das Böse gut genannt und das Bittere für süß erklärt? Dürfen wir z.B. an den Anfang eines jeden Menschenlebens, auch wenn es in einem der vielen finsteren Winkel in unserem Volk beginnt, das Zeugnis von Gottes vergebender Gnade stellen, indem wir die Kinder taufen? Dürfen wir auch am Karfreitag, am Ostertag und Pfingsttag Gottes Botschaft bei offenen Türen sagen, so daß alle zu ihr geladen sind? Verbergen wir uns nicht so die Gerechtigkeit Gottes, die das Böse vom Guten scheidet und aus den Gottlosen die Sterbenden macht? In der Gemeinde, in der Jesus seine Arbeit tat, kamen diese Bedenken laut zum Wort und die Jünger waren für sie offen. Sie waren ja in derjenigen Gemeinde aufgewachsen, die es für ihre Pflicht erklärte, die Sünder zu schänden. Jesus hilft uns deshalb durch sein Gleichnis. Werft das Netz aus, sagt er, und laßt es nicht deshalb unbenützt, weil sich auch unbrauchbare Fische in ihm fangen. Sagt mein Wort, das der Welt Gottes Gnade zeigt, und laßt euch nicht dadurch hindern, daß es auch solche sich aneignen, die sich nicht helfen lassen. Eure Arbeit ist nicht das Letzte, was geschieht, und euer Urteil ist nicht die endgültige Entscheidung. Ist der Fang vollendet, so wird das Netz an das Land gebracht und dann wird das Faule vom Gesunden, das Wertvolle vom Unbrauchbaren getrennt. Gottes Recht wird nicht geschwächt, wenn wir Gottes Gnade preisen. Es ist zwar nicht in unsere Hand gelegt, darum aber nicht abwesend und unwirksamn. Es geht jetzt seinen stillen, aber sicheren Gang und wird einst offenbar in seiner fehllosen Majestät. Ihr aber, sagte Jesus seinen Jüngern, und damit gar er seiner Kirche ihren Beruf, an dem alle Anteil haben, die zu ihr gehören, ihr werft das Netz aus, ihr ladet zum Himmelreich ein, indem ihr die Gnadengabe Gottes allen sichtbar macht, die darin besteht, daß wir zu Gott umkehren und an Christus glauben.
Gnadenzeit, großer Gott, sind unsere Tage. Die Waffen, die der Bosheit ein Ende machen, behältst du in deiner eigenen Hand und zeigst uns in deinem lieben Sohne nicht, was wir Menschen uns bereiten, sondern was du uns verleihst. Dessen dürfen wir alle froh sein und miteinander zum Glauben erwachen und eins sein im Glauben an dich. Amen.

Kap. 14

Petrus antwortet Jesus und sprach: „Herr, bist du es, so heiß mich zu dir kommen auf dem Wasser. “ Und er sprach: „Komm her. “ Und Petrus trat aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, dass er zu Jesus käme. Er sah aber einen starken Wind. Da erschrak er und hob an zu sinken, schrie und sprach: „Herr, hilf mir. “ Jesus aber reckte bald die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: „O, du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?“
Matthäus 14,28–31

Jesus hebt uns über alles Natürliche empor. Wir lösen uns an seiner Hand vom sichtbaren Grund, auf den die Natur unser Leben stellt, und empfangen nicht mehr von ihr die Ziele unseres Handelns, sondern hängen an Jesu Wort wie Petrus, als er aus dem Schiff heraustrat, weil ihm Jesus sagte: „Komm zu Mir. “ Müssen wir nun nicht zweifeln? Zwei Mächte greifen nach uns und ziehen uns und wir können uns weder von dieser noch von jener lösen. Können wir den Boden entbehren, auf den die Natur uns gestellt hat? Nein. Wir bedürfen die Lebensmittel, an die sie unser Leben bindet, und können uns der Lust und dem Schmerz nicht entziehen, den sie in unsere Seele legt. Ebensowenig können wir uns vom Wort Jesu lösen, durch das uns Gott wirklich und gegenwärtig geworden ist. So gleicht das Christusleben immer wieder dem Verhalten des Petrus, der auf den See hinaustrat und sank. Jesus heißt aber sein Schwanken Kleinglauben. Du hattest, sagte er ihm, Glauben, hast ihn aber jetzt nicht mehr. Ohne Glauben verlässt keiner das sichere Boot, um auf den stürmischen See hinauszutreten. Das tut Petrus deshalb, weil Jesus vor ihm steht und er seine der Welt überlegene Macht vor Augen hat und danach begehrt, bei Ihm zu sein, und sich an sein Wort hält, das ihm dies gewährt. Allein auch die Wellen und der Sturm, seine unaufhebbare Abhängigkeit von der Natur, füllen seinen Blick und vor ihnen entflieht sein Glaube. Warum, sagt ihm Jesus, zweifeltest du? Du hast dazu keinen Grund. Sind es nicht zwei widereinander streitende Mächte, die auf dich einwirken? Gott und Natur, sind sie denn entzweit und miteinander im Kampf? Der eine ist der Herr und die andere gehorcht. Der Herr gebietet nicht nur dir: „Komm!“, sondern er gebietet auch der Welle: trage ihn! Alles ist sein Werk und steht unter seinem Regiment, die Natur, die ihr ihr Leben gibt, und der Geist, der dir sein Leben gibt, das natürliche Gesetz, das dich der Natur gehorsam macht, und die Gnade, die dich frei macht von der Natur und Gott gehorsam macht, das natürliche Gut, das du nicht entbehren kannst, und der himmlische Beruf, vor dem alles andere weichen muss. Das sind nicht gegeneinander wirkende Gewalten, sondern der eine und selbe Gott und die eine vollkommene Gnade hat dich in die Natur und über sie gestellt, damit niemand gehorchst als Gott allein. Das fasse; so wirst du aus einem Kleingläubigen ein Gläubiger.

Strecke Deine Hand aus, wenn ich schwanke, und lass mich den Griff spüren, mit dem Deine Gnade mich hält. Was sichtbar ist, ist mir nah und spricht laut zu mir. Deine Hand dagegen reicht aus der unsichtbaren Höhe zu mir herab. Aber die Hand Deiner Gnade hat Gottes Kraft in sich und darum trägt sie mich auf dem stürmischen See. Amen.

Kap. 15

Das was aus dem Herzen herauskommt, das macht den Menschen gemein.
Matthäus 15,18

Tödliches gibt es in der Natur; Gefahren bereitet sie mir. Aber Unreines gibt es in ihr nicht. Sie befleckt und schändet mich nicht. Es gibt zwar im natürlichen Leben Vorgänge, mit denen Scham verbunden ist. Dazu hat uns aber die Natur die Scham geschenkt, damit jene Dinge verhüllt bleiben. Gehorche dem Gebot der Natur und schäme dich; dann macht sie dich nicht unrein. Nun lob, mein Seel, den Herren, was in mir ist, den Namen sein. Wir dürfen uns ohne Angst in der Natur bewegen; denn sie ist Gottes Werk und darum nicht meine Feindin, sondern meine Mutter, meine Ernährerin, die Quelle meiner Kraft. Aber nun füllt sich die Frage mit tiefem Ernst: woher kommt denn die Menge der Dinge, die uns schänden, die uns vor Gott die Ehre nehmen und aus seinem Licht vertreiben, die uns auch für die Gemeinschaft miteinander unbrauchbar machen, so dass sich der Mensch sogar vor dem Menschen verstecken muss? Keine erdichtete, erkünstelte Ehre kann die Gemeine verhüllen, das den Menschen entehrt; denn Schein und Lüge machen Gemeines nicht rein und stellen verlorene Ehre nicht wieder her. Woher kommt denn das Gemeine an mir? Aus deinem Herzen kommt es, sagt mir Jesus. Was dich gemein macht, deinen Leib profaniert, deine Gedanken beschmutzt und deinen Willen giftig und boshaft macht, so dass du für die anderen gefährlich bist, weil du sie ansteckst, das erzeugst du selbst in dir durch die inwendige Bewegung deines eigenen Willens. Ist es so, wie reinige ich mich? Kein Kunststück kann dies zustandebringen. Welche Kunst macht die Herzen neu? Darum hat Jesus seinen Jüngern die pharisäischen Kunststücke, mit denen sie sich die Reinheit bereiten wollten, untersagt. Denn diese Art von Reinigung erzeugt nur Täuschungen. So würden die Jünger nicht mehr erkennen, was sie unrein macht, und es bei sich hegen ohne Sorge, weil sie ihre Becher und ihre Hände reinigen. In diesem Verzicht auf alle pharisäischen Kunststücke wird wieder die Herrlichkeit Jesu sichtbar, die ihn für uns zum Heiland macht. Denn er verzichtet auf alle diese Bemühungen deshalb, weil er wirklich rein macht. Ihm ist als dem Herrn des Geistes über unsere Herzen Macht gegeben, und indem er in ihnen den Glauben schafft, gibt er uns das, was unsere Reinheit ist vor Gott.
Die Angst vor den Dingen, Herr, nimmst du mir und gibst mir die Angst vor mir selbst und ich erkenne in Deinem Licht, wie notwendig es ist, dass ich mich vor Dir fürchte. Wasche mich und reinige mich. Lege in mein Herz Deine guten Gaben. Rein werden wir bei Dir und durch Dich. Amen.

Kap. 16

Petrus nahm Jesus zu sich, fuhr ihn an und sprach: „Herr, schone deiner selbst; das widerfahre dir nur nicht.“ Aber er wandte sich um und sprach zu Petrus: „Hebe dich, Satan, von mir. Du bist mir ärgerlich. Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“
Matthäus 16,22+23

Konnte Jesus seinen Jüngern seinen Griff nach dem kreuz in seiner hellen, unbedingten Notwendigkeit zeigen oder behandelte er es als ein finsteres Schicksal, das ihn selbst mit dunklem Zwang bedrückte? Für den Blick Jesu war hier alles hell und sein Entschluss stand auf einem einfachen, einleuchtenden Grund. Die Frage war einzig die: wo liegt dein Ziel? Für wen arbeitest du? Liegt das, was du erreichen willst, in die oder in Gott? Wenn ein Mensch für sich sorgt, dann führt ihn sein Weg nicht zum Kreuz. Dann schützt er sich, kämpft für sich und wirkt seine Macht. Darum ist die Absicht des Petrus uns allen völlig verständlich. Vom Standort des Jüngers aus war das Kreuz nicht das, was er wollte, sondern es erschien ihm als das schwerste Unglück, als die fürchterliche Erschütterung, ja Vernichtung seines Glaubens. Unfromm im Sinn, dass Gott missachtet und vergessen wäre, war dieser Gedankengang keineswegs. Gott hilft dir, sagt Petrus, Gott schützt dich; Gott sorgt für Israel und bewahrt es vor diesem schrecklichen Fall; Gott sorgt für uns, deine Jünger, und gönnt uns deine Gemeinschaft mit uns; Gott sorgt für dich und bringt dich an dein Ziel, das dein Christusname uns verheißt, ohne Kreuz und Tod. Das war der andere Wille, den Jesus nicht hatte, dem er den seinigen entgegenstellte. Er dachte an das, was Gottes ist und wollte, was Gottes ist, Gottes Gerechtigkeit, dass sie offenbar sei, Gottes Gnade, dass sie zu uns komme, Gottes Herrlichkeit, dass sie uns erscheine. Das war das Ende des selbstischen Begehrens in der vollendeten Entsagung, im vollkommenen Gehorsam und der völligen Liebe. Das macht aus dem Handeln Jesu das fleckenlose Opfer, mit dem er Gott gepriesen hat. Warum ließen sich aber die beiden Ziele, das von Jesus und das des Petrus, nicht verbinden? Muss sich denn zwischen dem, was Gott zukommt und dem, was dem Menschen hilft, ein Zwiespalt öffnen? Wird nicht Gottes Herrlichkeit am Menschen offenbar? Ist Gottes Gerechtigkeit nicht unser Heil und nicht alles Wirken Gottes uns begabende Gnade? Das war in der Tat das Ziel Jesu; es wird aber nicht auf dem Weg des Petrus erreicht, der die menschlichen Anliegen an die erste Stelle schiebt. Dürften wir uns Gott nur als den Gebenden denken, dann käme immer unser Eigennutz zur Geltung und der Mensch bliebe das Ziel unserer Begehrung. Damit uns Gott in seiner Gottheit sichtbar sei, ging Jesus ans Kreuz. Indem er vor die Gnade seine völlige Entsagung stellte, die alles preiszugeben hat, stellt er fest, was Gott und was der Mensch ist, dass der Mensch nichts und Gott alles ist, dass der Mensch der Schuldige und Gott der Versöhnende ist, dass der Mensch der Sterbende ist und Gott der ist, der ihn auferweckt. Nun steht über aller unserer Frömmigkeit für immer das Wort: Allein Gott in der Höh’ sei Ehr.
Heiliger Gott, so nenne ich Dich, weil ich vor dem Kreuz Jesu stehe. Dort sehr ich Deine Heiligkeit, vor der wir nichts sind und verstummen, und dort sehe ich, dass Du uns durch Deine Heiligkeit nicht von Dir trennst, sondern zu Dir führst. Dies Dein Wunder betet Deine Gemeinde an in Ewigkeit. Amen.

Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst.
Matthäus 16,24

Bei jedem Schritt, den ich tue, berate ich mich mit mir selbst. Ich höre auf das, was ich als Glück empfinde und als Schmerz fürchte. Ich erwäge, wie weit meine Mittel reichen, und stelle fest, was meine Lage von mir verlangt. Ohne diese Beratung mit mir selbst kann ich nicht handeln und sie ist wichtiger als jede Beratung mit anderen Menschen; denn ihr Rat kann mir dazu helfen, dass ich mich selber richtig berate. Denn sie kennen mich nicht so, wie ich mich kenne. Nun trifft mich Jesu Wort wieder wie ein Blitz. Höre nicht auf dich, sagt er; tue nicht, was du dir rätst, folge nicht deinem eigenen Urteil, deinem eigenen Empfinden, deinem eigenen Begehren. Verleugne dich. Wenn du einen anderen verleugnest, sagst du: ich kenne ihn nicht und habe keine Gemeinschaft mit ihm. Sage dir selber die Gemeinschaft auf. Was soll denn, lieber Herr, mich leiten? Du willst ja, sagt er, mir nachfolgen. Nun sage dir nicht selber, was du tun willst, sondern lass mich es dir sagen, und miss die Dinge nicht nach deinem Maß, sondern empfange das Maß von mir, mit dem du deine Entschlüsse formst. Ob dein Weg dir gefällt, daran liegt nichts; deine Sorge kann nur sein, dass er mir gefällt. Wieder zeigt mir Jesu Gebot seine Herrlichkeit. Stände er neben mir in derselben Entfernung von Gott wie ich, dann brauchte ich nicht mich selbst verleugnen, um ihm zu gehorchen. Dann meinten wir dasselbe und handelten aus denselben Beweggründen. Nun denkt er aber an das, was Gottes ist, und ich an das, was des Menschen ist. Er will das, was Gott verherrlicht, und ich das, was mir nützt. Er handelt in der Liebe und ich in meiner natürlichen Eigensucht. Darum gibt es zwischen uns keinen gemeinsamen Rat, sondern für mich gibt es nur die Unterweisung unter den seinen, und damit ich das fertig bringe, ziehe ich mein Vertrauen von mir weg und bin nicht für mich selbst die Autorität, der ich folge, sondern höre auf ihn und glaube ihm.
Ich habe es oft erfahren, dass ich mir selbst nicht trauen kann, habe es aber auch reichlich erfahren, dass ich Deinem Wort trauen darf. Du bist das Licht der Welt. Das Licht leuchtet nicht in mir, gibt mir aber die beleuchteten Augen, wenn Dein Licht mich bescheint. Amen.


Jesus verpflichtete die Seinen zum Sterben. Als er ihnen den Ausgang zeigte, der in Jerusalem auf ihn wartete, sagte er ihnen: mein Kreuz zeigt euch, wohin ich euch führe. Als die Ausgestoßenen, Verfluchten, zum Tod Verurteilten geht ihr hinter mir her denen gleich, die ihre Kreuze zum Richtplatz tragen. Für solche ist die Welt vergangen und das Leben abgeschlossen; was sie noch vor sich haben, ist nur Schmach und Schmerz und Tod. Das sagte der Herr denen, die er zu Israel sandte, damit sie in heißem Ringen in Jerusalem ausharrten, bis die letzte Möglichkeit, das Wort Jesu zur Judenschaft zu bringen, erschöpft sei. Sagt dieses Wort auch mir etwas, was zum Evangelium Jesu gehört und für keine Zeit die Geltung verliert? Wie feierlich hat Jesus vom Sterben gesprochen, mit dem das Leben gewonnen sei, während es verloren gehe, wenn wir unser Leben erhalten wollen! Galt dies nur seinen ersten Boten oder steht es als Gottes heilige Ordnung über uns allen? Trete ich zu Jesus hinzu, so bedeutet das die Trennung von allem, was mich ohne ihn berührt und beherrscht. Das schneidet durch alle menschlichen Beziehungen durch und löst mich von allen natürlichen Zielen ab. Wenn ich aber die natürlichen Güter hinter mir lasse, so trete ich auf jenen Weg, der zum Sterben führt, und wenn ich den Menschen nicht über mich Herr sein lasse, so mache ich ihn zu meinem Feind. Ich kann nicht auf die Freundschaft der Welt verzichten, ohne dass sie mir zur Feindin wird. So kommt auch zu mir, was Jesus das Kreuztragen nannte. Er legt es uns deshalb auf, weil er selber es trug. Er ging in das Leben durch das Sterben; darum besteht auch der Christenstand in der entschlossenen Bereitschaft zum Sterben. Er war nicht von der Welt und ließ sich von ihr nicht führen und wurde nicht ihr Knecht. Darum besteht auch unser Christenstand in der Trennung von der Welt. Er hatte sein Ziel nicht im Bereich der Natur, sondern schritt ins ewige Leben hinüber. Darum zieht auch uns der Christenstand von allem weg, was unser Fleisch und Blut begehrt, und zeigt uns unser Ziel im ewigen Leben. In diesem Sinn wird auch für uns alle das Leben aus dem Tod geboren.
Dass wir dem Bösen entsagen, das, lieber Herr, ist ganz und gar Gnade und der Natur gemäß. Schwer wird es uns aber, auch auf das Gute zu verzichten, das die Natur uns bereitet, und das Schöne zu missen, das wir bei den Menschen finden. Vor dem Sterben bangt die Seele. Nun gilt es, Dir zu glauben, willig zu entsagen und den Blick auf Dich zu richten, der Du zum Heil der Welt das Kreuz getragen hast. Amen.

Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?
Matthäus 16,26

Die Welt gewinnen, das war das Ziel, das Jesus seinen Jüngern zeigte und unter das er ihr Wirken stellte. Weil er selber in die Welt gekommen ist, hat er auch die Seinen in die Welt gesandt, und wenn wir es einmal erfasst haben, was die Menschen sind, was ihnen fehlt, wenn sie in Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit verderben, und was sie empfangen, wenn wir ihnen die Gabe Gottes bringen, dann gewinnt das Ziel „die Welt gewinnen“ Riesenstärke. So gewiss die Barmherzigkeit Gottes und bewegt, können wir nicht müßig sein, und so gewiss wir glauben, gehen wir an das Werk. Nun stellt sich uns aber Jesus warnend in den Weg; was würde es dir helfen, wenn du den größten Erfolg erreichtest und nicht nur hier und da einige, sondern wirklich die Welt gewönnest, aber selber dem göttlichen Gericht verfielest, wenn du andere ins Leben führest und deine eigene Seele durch das verdammende Urteil Gottes stürbe? „Sorge für dich selbst“, das stellt Jesus neben die Worte, die uns für die anderen verpflichten, und er begründet seine Mahnung damit, dass kein anderer in Gottes Gericht für mich eintreten kann, weil es nichts gibt, wodurch Gottes Urteil entkräftet werden könnte. Ist dies auch heute für die Christenheit eine ernste Gefahr? Ihre Erfahrung zeigt beständig, wie unentbehrlich ihr die Warnung Jesu ist; denn sie hat sich selbst mit dem Bemühen, die Welt zu gewinnen, oft bitterbösem Schaden angetan. Es liegt so nahe, um des hohen Ziels willen auch falsche Mittel für heilig zu erklären und von der Wahrheit abzuweichen, um bei den anderen ein offenes Ohr zu finden. Bald ist es Furcht und bald stolze Eigenmächtigkeit, die aus der christlichen Arbeit Sünde macht. Der Sold der Sünde ist aber für alle der Tod; denn Gott hat keine Günstlinge. Der Dienst Gottes bleibt eine tiefernste Sache. Sieh dich vor, dass du dich nicht durch ihn verdirbst.
Du kennst, Herr Jesus Christus, nur die, die den Willen Deines Vaters tun. Wecke mein Ohr, dass es Dein Gebot höre und bewahre. Ich bitte Dich um Dein Wort, das zwischen Licht und Nacht in mir scheidet und meinen Willen reinigt. Amen.

Kap. 17

So ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin; so wird er sich heben und euch wird nichts unmöglich sein.
Matthäus 17,20

Weil ein Bittender zu den Jüngern kam, als Jesus nicht bei ihnen war, meinten sie, nun sei es an ihnen zu helfen, und erfuhren darum, dass sie nichts vermochten. Ihr sollt helfen, sagt ihnen Jesus; aber um wirken zu können, müsst ihr glauben. Ihr könnt ohne Glauben nichts; denn eure Macht ist nicht in euch selbst daheim. Sie ist Geschenk, erbeten und empfangen; und das, was Gottes Hilfe empfängt, ist der Glaube, nicht euer Apostelamt, nicht eure religiöse Stärke. Stützt ihr euch auf sie, so scheitert ihr. Dagegen empfängt der Glaube die göttliche Hilfe, sowie er vorhanden ist, sei er noch so klein, mag er so klein wie ein Senfkorn sein. Der Berg wird ihm gehorchen. Indem Jesus von der Bewegung des Berges spricht, öffnet er uns das Auge dafür, dass der Glaube immer ein Griff nach dem ist, was uns unmöglich ist. Den Jüngern schien es recht wohl möglich, dass sie helfen könnten. Sie waren ja die Apostel, die von Jesus die Vollmacht zu solchen Taten erhalten hatten. Allein was sie für möglich erklärten, wurde ihnen deshalb unmöglich, weil sie es für möglich hielten. Den Berg durch ein befehlendes Wort zu bewegen, hält jeder für unmöglich. Gerade deshalb beschreibt Jesus das, was der Glaube tut, mit diesem Wort. Denn der Glaube ruft Gott an und wendet sich an seine allmächtige Gnade. Wenn dies nicht geschieht, ist unser Verhalten niemals Glaube. Stehen wir aber vor Gott und seiner Gnade, dann gibt es keine Unmöglichkeiten mehr. Nun wissen wir, warum es den Jüngern schwer wurde, auch nur im kleinsten Maß gläubig zu sein und warum uns allen der Glaube immer wieder entrinnt. Auf Gott schauen, Gottes allmächtiger Gnade gewiss sein, das hebt den Glaubenden hinauf über sich selbst, auch über seinen Glauben, auf dessen Größe oder Kleinheit gar nichts ankommt, und hebt ihn empor über die Welt und über alle natürlichen Möglichkeiten. Als Glaubender handle ich mit Gott. Menschlein, das wird dir schwer und darum verheißt dir Jesus: wenn du nur ein klein wenig glauben kannst, tritt Gottes allmächtige Gnade für dich ein.
Nichts ist Dir unmöglich, das sagst Du mir, lieber Herr, nicht, damit ich übermütig werde, sondern damit ich glaube. Ich kann nicht glauben, wenn ich eigenmächtig wähle, was ich tun soll und empfangen will. Der Glaube folgt Deiner Leitung und sieht auf Deine Hand. Nun will ich es aber auch fassen: Jeder Berg muss weichen, der dem widersteht, was Du willst und tust. Amen.

Kap. 18 Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und sprachen: „Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“
Matthäus 18,1

Wie hoch stehen die Jünger über uns! Wir fragen nicht, wer der Größte im Himmelreich sei, wohl aber, wer wohl die meisten Millionen habe und wer in unserem Staatsbetrieb die mächtigste Hand habe und wer durch die Kraft seines Blicks und den Fleiß seiner Forschung der größte Denker sei. Davon reden unsere Zeitungen und dafür interessiert sich jedermann. Die Jünger fragten nicht nach solcher Größe, beschäftigten sich dagegen eifrig mit der Frage, wem Gottes alles vollendende Offenbarung die größte Größe gebe, wem er den Reichtum seiner Gnade in der herrlichsten Fülle gewähre, wem er in seinem Reich das weiteste Arbeitsfeld und den größten Machtbereich zuteile. Sie dachten nicht an die Größe, die der Mensch sich selbst erwerbe zu seiner eigenen Verherrlichung, sondern denken an das, was Gottes königliches Wirken aus uns Menschen machen wird. Gerade deshalb zerbrach ihnen Jesus ihre Frage ganz. Sie treibt sie dem Sturz entgegen. Wenn sie nicht von ihr lassen, geht ihnen nicht nur die Größe, sondern jeder Anteil am Himmelreich verloren. Für wen war nach der Meinung der Jünger Gottes Werk und Gnade da? Für wen soll sie da sein, wenn nicht für sie? Darum wurde es ihnen zum wichtigen Anliegen, wer von ihnen der am reichsten Begabte und am höchsten Gestellte sei. Ihr Verlangen streckte sich nach dem, was ihnen zuteil werden soll. Die eigensüchtige Wurzel ihrer Frage kam sofort dadurch ans Licht, dass an ihr zwischen ihnen ein Zank entstand. Weil jeder nach der größten Größe strebt, zersprengt diese Frage ihre Gemeinschaft. Damit zerstören die Jünger das, was Jesus ihnen gab; denn er hat sie zur Gemeinde vereint. Damals vergaßen die Jünger, dass sie bei Jesus beten gelernt hatten: Dein Name werde geheiligt. Das Himmelreich ist nicht deshalb gekommen, damit der Mensch groß werde, sondern damit Gott offenbar und sein Name geheiligt sei. Gottes Herrschaft geschieht freilich an uns und uns zugut und nimmt Sünde und Tod von uns weg uns zum Heil und gibt uns Gerechtigkeit und Leben uns zur Seligkeit, allein nicht dazu, damit Gottes Macht und Güte von uns erkannt und gepriesen sei. Wer von Jesus beten gelernt hat: Dein Name werde geheiligt, in dem ist die Frage nach der Größe tot.

Obwohl Dein Reich, Vater, bei uns ist, gelangen wir nicht zu ihm, weil der Schatten unserer Größe unsere Augen blendet. Gepriesen sei Deine Barmherzigkeit, die uns rettet und heilt. Mache mir Dein Wort, das unsere Größe zerbricht, zum heilenden Balsam, zum stärkenden Trank, zur Quelle der Kraft. Amen.

Sehet zu, dass ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: ihre Engel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.
Matthäus 18,10

Um seine Gemeinde herzustellen, zerbrach Jesus die Urteile, durch die wir einander als groß oder klein einschätzen. Unterschiede in der Begabung sind unter uns freilich vorhanden. Es gibt Kleine, deren Blick nicht weit reicht und deren Kraft nicht zu vielem brauchbar ist, Kleine, die man stützen muss, die auf unsere Gaben und unsere Führung angewiesen sind und mit starker Kraft schaffen, was vielen nützt. Das müssen nicht wir erst Jesus sagen, dass es kleine und große Menschen gibt; er hat seine Jünger „diese Kleinen“ genannt. Dennoch sah Jesus im Unterschied, den wir zwischen den Kleinen und den Großen aufrichten, ein Hindernis, das er überwinden musste, damit seine Gemeinde entstehe. Denn wir ziehen aus dem Tatbestand, dass es nicht nur Große, sondern auch Kleine gibt, einen falschen Schluss. Vor den Großen scheuen wir uns und hüten uns, sie anzugreifen; die Kleinen misshandeln wir. An die Großen hängen wir uns; die Kleinen meiden wir. Den Großen geben wir die Bewunderung, den Kleinen die Verachtung. Nun haben wir den Frieden verscheucht. Es ist nur unsere Eigensucht, die die Kleinen und die Großen in dieser Weise schätzt. Wenn wir auf unseren Vorteil sehen, ist die Verbindung mit den Großen förderlich und die mit den Kleinen hinderlich. Allein unsere Eigensucht misst falsch und Jesus wirft ihren Maßstab weg und misst die Kleinen nach Gottes Maß. Bei Gott gibt es aber keine Verachtung für die Kleinen. Ihre Engel, sagt er, haben zu jeder Zeit den Zutritt zu Gott. Gott stellt seine himmlischen Geister in den Dienst der Kleinen und ist immer bereit, ihnen seinen gnädigen Willen kundzutun und sie mit Hilfe und Gaben für seine Kleinen auszurüsten. Das Gleichnis, das Jesus formt, ist freilich mit den irdischen Farben gemalt und vom irdischen König herübergenommen, dessen Angesicht nicht jedermann zu jeder Zeit sieht, weil ihm nur gewichtige Anliegen vorgelegt werden. Aber auch durch dieses irdische Bild glänzt eine herrliche und mächtige Wirklichkeit hindurch, die, dass Gott auch der Gott der Kleinen ist und ihre Kleinheit seine Gnade nicht verkürzt, dass er sie vielmehr auch ihnen in ihrer göttlich großen Vollkommenheit verleiht. Nun wisst ihr, sagt Jesus seinen Jüngern, was ihr den Kleinen schuldig seid.
Schreibe mir, lieber Herr, dies Dein Wort in meine Seele. Sprich es zu mir, dass ich es höre. Gäbe es denn Gnade für die Großen, wenn Du sie den Kleinen nicht gäbest? Was ist klein und groß vor Dir? Gäbe es für mich Deinen Frieden und Deine Gemeinschaft, wenn Du sie den Kleinen versagtest? Vergib mir und Deiner Christenheit, dass uns unsere Größe blendet und für die Kleinen unnütz macht. Amen.

Wo zwei unter euch eins werden auf Erden, was es auch sei, warum sie bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.
Matthäus 18,19

Wenn die Gemeinschaft auf uns drückt und uns das Gebet verdirbt, so macht uns Jesus von ihr frei. Das tut er aber nicht deshalb, damit wir einsam werden. Wie könnten wir der Gemeinschaft entbehren müssen, da er unser aller Herr ist? Sein königlicher Name spricht aus, dass es der Schöpfer und Führer der in Gott verbundenen Gemeinde ist. Darum führt er den Beter zum Beter und gibt ihrem einträchtigen Bitten seine besondere Verheißung. Erhörlich wird mein Gebet dann, wenn ich nicht gegen, sondern nach Gottes Willen bete. Ob aber mein Begehren in Gottes Ordnung bleibt, dafür ist es eine heilsame Erprobung, wenn ich den Versuch mache, mit einem anderen eins zu werden. In dem, was als Gottes große Verheißung über der ganzen Menschheit und der ganzen Kirche steht, sind alle Glaubenden ohne Mühe geeint. Wenn wir den Inhalt des Evangeliums in unser Gebet aufnehmen, kommen wir, auch wenn wir viele sind, leicht zusammen. Jesus spricht aber hier von dem, was meine besondere Lage und Pflicht zum Inhalt meines Bittens macht, und wenn ich in meiner Beurteilung meiner Lage und in meinem Verlangen nach Gottes Hilfe nicht einsam bleibe, sondern mich mit meinem Verlangen nach Gottes Hilfe nicht einsam bleibe, sondern mich mit meinem Bruder einigen kann, dann ist etwas erreicht, was meiner Bitte Richtigkeit gibt und ihre Übereinstimmung mit Gottes Willen verstärkt. Wir sind dazu beisammen, damit wir eins seien und unser Wort nicht als das unsrige, sondern gemeinsam betreiben. Entsteht zwischen uns die Gemeinschaft des Gebets, so sind wir an den Ort gelangt, zu dem uns die Gnade Jesu führt, die keinen nur für sich selbst begabt, sondern unser Leben zum gemeinsamen Dienst ineinander flicht.
Nun hat mir Dein Wort, Herr Jesus, wieder ein kostbares Kleinod aus dem Schatz gezeigt, den Dein Reich uns gewährt. Wir dürfen vor Dir eins werden, eins als die Bittenden. Denn Du pflanzest in uns den einen Glauben und die eine Liebe und schaffst den lebendigen Leib, in dem wir Glieder sind. Das gib uns, lieber Herr. Amen.

Sündigt dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf dass alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Heiden und Zöllner. Wahrlich ich sage euch: was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.
Matthäus 18,15–18

In der Christenheit darf Gottes Gebot nicht schwankend werden. Es gehört vielmehr zu ihrem heiligen Beruf, dass sie den Kampf gegen das Böse gemeinsam führe. In der Christenheit stärkt sich jeder am Widerstand der anderen gegen das Sündliche. Die Wahrhaftigkeit aller trennt alle vom Lügen und die Liebe aller macht allen ihre Eigensucht zur hässlichen Not. Gemeinschaft ist aber ein hohes Ziel, vollends dann, wenn sie im gemeinsamen Kampf gegen alles Böse wirksam wird. Die Gemeinschaft kommt in Verwirrung, wenn sie zu weit greift und das Recht eines jeden, sein Innerstes für sich zu haben, antastet. Darum verbot Jesus dem, der in der Gemeinschaft der Jünger lebt, sich mit seiner Klage sofort an die Brüder zu wenden. Freilich darf das, was recht ist, nicht verletzt und die Gemeinschaft nicht durch die Duldung von Unrecht geschwächt werden. Der Verletzte soll aber nicht zur Gemeinde gehen, sondern zum Fehlenden, der ihn geschädigt hat. So kannst du den Bruder gewinnen, sagt uns Jesus, und das hohe Ziel, das er uns damit zeigt, soll uns für einen solchen Gang mit Mut ausrüsten und mit Weisheit begaben. Da aber Jesus die Macht der Sünde kennt, verheißt er nicht, dass ein solcher Schritt sicher gelinge. Menschen werden nicht nur gewonnen, sondern auch verloren, und einen mechanisch wirkenden Schutz gegen die Versündigung gibt es nicht. Keine Höhe der Erkenntnis, kein Sakrament, auch keine werbende Liebesmacht des Bruders, der den Bruder vom bösen Handeln befreien will, trägt die Bürgschaft in sich, dass sich der Sündigende unter das ihn strafende Wort beuge. Aber auch dann lässt Jesus dem Geschädigten nicht zu, dass er schon jetzt auf die Erneuerung der Gemeinschaft verzichte. Er hat noch zwei Mittel bei der Hand, die vielleicht den Bruder gewinnen, das unparteiische Urteil anderer Brüder und das einträchtige Urteil der gesamten Bruderschaft. Erst mit diesem fällt über das Schicksal des Boshaften die Entscheidung. Hält er auch gegen die Gemeinde an seinem Unrecht fest, dann ist diese verpflichtet, das Band zwischen ihr und ihm aufzulösen. Um den Preis der Duldung des Bösen wird die Gemeinschaft nicht gewährt und Jesus spricht in Kraft seines königlichen Amtes, wenn er sagt, dass ein solches Binden das Binden im Himmel bewirke, wie auch das Lösen und Vergeben der Gemeinde die Vergebung Gottes gewährt.
Ich kann die Last der anderen, heiliger Vater, nicht auf mich nehmen, wenn nicht Dein Vergeben mein Schutz und meine Stärke ist. Sonst bin ich, wenn Unrecht geschieht, ratlos und ohnmächtig und gewinne am Unrecht des Bruders nur den Zorn, der ihn schilt und von sich stößt. Wie könnte ich nach Deinem Willen handeln, wenn ich nicht um die Weisheit bitten dürfte, die von oben kommt? Alle Hilfsmacht, die den anderen hilft, ist Dein Geschenk. Ich suche und erbitte sie von Dir. Amen.

Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Matthäus 18,20

Mit großer Zuversicht verspricht uns Jesus: „Ich bin immer bei euch, wenn mein Name euch zusammenführt, und überall, wo ihr euch zum Gebet vereinigt.“ Diese Verheißung lässt das menschliche Maß ganz und gar hinter sich. Wer kann sich über den Raum und die Zeit erheben? So wirkt Gott, der Schöpfer des Raumes und der Zeit. Darum, weil dies die Weise ist, wie Gott wirkt, weiß sich Jesus zu dieser Verheißung ermächtigt, mit der er den Jüngern versprach: Der Tod trennt mich nicht von euch; keine räumliche und zeitliche Entfernung scheidet euch von mir; ich bin bei euch, denn alles, was der Vater hat, ist mein, und seine Allgegenwärtigkeit gibt auch mir die Gegenwart bei euch. Denen hat er dies versprochen, die sein Name zusammenführt. Ihre Gemeinschaft verbindet sie nicht nur miteinander; denn sie sind deshalb verbunden, weil Er sie zusammenbrachte. Darum vollendet Er ihre Gemeinschaft dadurch, dass auch Er bei ihnen ist. Sie sollen nicht meinen, diese Verheißung trete erst dann in Kraft, wenn sie eine große Schar sind, an der sichtbar wird, wie reich ihr Herr ist, und wie mächtig Er regiert. Sie ziehen ihn nicht durch die Größe ihres Verbands zu sich hinab. Seien es nur zwei oder drei, so sind sie eine Gemeinde, die nicht von Jesus, ihrem Haupt, geschieden ist, der vielmehr Jesus dadurch die Vollendung gibt, dass er bei ihnen ist. Nun sind sie in den Stand gesetzt, das zu tun, was eine christliche Gemeinde tun soll. Nun können sie beten. Weil er bei ihnen ist, wird ihrem Gebet die Erhörung geschenkt. Weil er bei ihnen ist, können sie lösen und binden, können vergeben, so dass im Himmel vergeben ist, und Sünde richten, so dass sie im Himmel gerichtet ist. Weil er bei ihnen ist, bekommt ihr Wort die Kraft des Zeugnisses; nun können sie so reden, dass ihr Wort Glauben schafft. Weil er bei ihnen ist, können sie tun, was der Hirt dem entlaufenen Schaf tut. Nun können sie barmherzig sein mit heilsamer Kraft. Das könnten sie nicht, wären sie allein, auch nicht, wenn sie eine große Schar wären mit vielen hervorragenden Kräften. Nun aber können sie es, und wären sie nur zwei oder drei, weil da, wo sein Name ist, auch er bei ihnen ist. Diese Verheißung kann er ihnen deshalb geben, weil der Vater den Sohn lieb hat und ihm alles zeigt, was er tut. Darum empfängt auch er durch Gottes Allgegenwart die Allgegenwart.
Nun, Herr, endet jede Sorge, Frage und Angst. Gehe es mit uns, wie es gehen mag, bist Du dabei, so hat es keine Not. Du bist bei uns wohl auf dem Plan mit Deinem Geist und Gaben. Nun ist das Eine notwendig, dass wir Deinem Gebot gehorchen: bleibt bei Mir. Amen.

Da trat Petrus zu Jesus und sprach: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist es genug siebenmal?“
Matthäus 18,21

Petrus rechnete auch im Kreis der Brüder auf hartnäckige Bosheit, die dem Vergeben unbeugsam widersteht. Er kannte die harte Festigkeit unseres boshaften Willens, der auch die brüderliche Gemeinschaft zerreißt. Vielleicht dürfen wir aber auch daran denken, dass Petrus nicht nur die, die mit ihm Jesus begleiteten, sondern jeden Juden seinen Bruder hieß. Er sah aber deutlich, dass er von diesen Brüdern bittere Feindschaft zu erwarten hatte, weil er ein Jünger Jesu war. Die Erfahrung hat den Jüngern rasch das Auge dafür geöffnet, dass die jüdischen Brüder ihnen den Anschluss an Jesus mit unversöhnlichem Hass vergalten, der sie immer wieder zu schändlichen Werken und boshaftem Handeln trieb, und Jesus selbst hat sie von Anfang an mit starken Worten über ihre Lage aufgeklärt und sie für ihren Kampf gerüstet. Wenn aber der Hass kein Ende nimmt und die Bosheit sich beständig wieder erneuert, kann dann das Vergeben endlos sein? Muss es nicht eine Grenze geben, die uns von dieser Pflicht befreit? Siebenmal war Petrus bereit, Unrecht freundlich zu dulden, siebenmal willig, sich verhöhnen zu lassen und still den Schaden zu tragen, mit dem der Feind ihn plagt. Ist es nun nicht deutlich, dass der Widersacher die Versöhnung nicht will und die Gemeinschaft mit ihm unmöglich ist? Und doch empfand Petrus, dass dieser Gedanke, mochte er ihm noch so richtig scheinen, gegen den Willen Jesu stritt, weshalb er mit der Frage vor ihn trat, und was er ahnte, wurde ihm durch das bestätigt, was ihm Jesus zur Antwort gab. Jede Zählung des Vergebens tat Jesus weg und nahm von ihm jede Schranke fort. Es hat kein Maß und kein Ende, sondern ist immer vorhanden und unerschöpflich. Wir bleiben mit unserem rechnenden Vergeben immer noch an die anderen gekettet und ihr Hassen behält Gewalt über uns. Erst die ganze Liebe macht uns von allem Hader frei, die, die die Vergeltung nicht nur aufschiebt, sondern unterlässt, die, die sich nicht auf das Wohltun anderer stützt, sondern selber gütig ist und sich die Gemeinschaft nicht von den anderen geben lässt, sondern sie selbst herstellt. Mit diesem Vergeben ist Petrus unverwundbar gemacht, auch wenn er den Hass seiner Brüder nicht überwinden kann. Er steht nun über dem wilden Getümmel der Verleumdung und Befehdung als ein freier Mann. Dies ist er, weil ihm Jesus die Liebe gab.
Dein Vergeben, gnädiger Gott, ist ganze Liebe. Du wägst nicht unser Fallen, zählst nicht unsere falschen Worte und bewahrst nicht unsere gottlosen Gedanken. Sie sind eine unendliche Reihe ohne Zahl. Du aber vergibst und bleibst, der Du bist, in der Herrlichkeit Deiner Güte. Nun schaffe, Herr, Dein Bild in mir und gib mir an Deiner Liebe teil, die vergeben kann. Amen.

Als der König anfing zu rechnen, da kam ihm einer vor, der war ihm zehntausend Pfund schuldig.
Matthäus 18,24

Jesus spricht hier nicht mit einem Zöllner oder einer Dirne, sondern mit Petrus und seinen anderen Jüngern. Der König rechnet hier mit seinen Knechten, nicht mit seinen Feinden, mit dem, der ihm diente, nicht mit dem, der ihm entlief. Petrus zeigt er seine riesengroße Schuld, der Christenheit zeigt er sie, mir zeigt er sie. Schuld entsteht da, wo Pflicht ist. Pflicht entsteht da, wo Liebe und Gabe empfangen sind. Das war die Lage des Petrus und ist die der Christenheit. Sie hat Gottes Gabe empfangen; deshalb ist sie verpflichtet und deshalb ist ihr Verhalten Schuld. Wie entsteht die Schuld? Nicht verstandenes und unbeachtetes Wort, unbenutzte, nicht gebrauchte Kraft, Erkenntnis ohne Glauben, Glaube ohne Werke, Dienst ohne Liebe, das ist Schuld. Zu viel Erkenntnis haben, zu viel, weil unser Verhalten ihr widerspricht, zu viel Glauben haben, zu viel, weil wir ungläubig handeln, zuviel Geist Gottes haben, zu viel, weil wir ihm nicht gehorchen, das ist unsere Schuld. Sie entsteht nicht aus unserer Armut, sondern aus unserem Reichtum, nicht aus unserer Unwissenheit, sondern aus unserer Erkenntnis, nicht aus dem, was uns fehlt, sondern aus dem, was uns gegeben ist, nicht aus unserer natürlichen Art, sondern aus unserem Christenstand. Ist sie wirklich riesengroß? Jesus hat recht, tausendmal recht, wenn er von zehntausend Talenten redet, die der Knecht dem König schuldig blieb. Wie könnte ich Jesus widersprechen, wenn ich mein Gebet ansehe, wie zerstreut es ist, oder meinen Glauben beschaue, wie schwer es mir wird, mich an Gott zu erinnern, oder meine Liebe betrachte, wie kalt und träge sie bleibt? Ich muss nicht erst auf die anderen sehen, um mir an ihnen das Urteil Jesu zu verdeutlichen, muss nicht erst erwägen, was in unseren Kirchen geschieht, wenn wir zum Gottesdienst beisammen sind, was unser Singen, Beten und Predigen wert ist. Ich finde in mir selbst den Beweis für das Urteil Jesu und kann ihm nur sagen: Du bist gerecht, wenn du richtest. Legt das aber nicht auf Petrus einen Druck, der ihn in seinem apostolischen Wirken lähmen muss, wenn die zehntausend Talente, die nicht bezahlten und nie bezahlbaren, vor ihm stehen und er weiß: ich bin und bleibe ein Schuldner? So macht ihn Jesus fähig zu seinem Dienst. Denn als der Knecht den König bat, erließ er ihm seine ganze Schuld, weil er ihn bat. Nun weiß Petrus und ich weiß es auch, was Vergeben ist. Nun kann er vergeben, und wenn er das nicht könnte, wäre er nicht brauchbar für Jesu Dienst.
Nach Deinem Willen, Herr, bitte ich: Vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unseren Schuldnern. Ich dürfte nicht so beten, wenn Du es nicht gebötest. Dein Gebot ist in seiner Gnade göttlich groß und wunderbar. Du vergibst uns unsere Schulden, damit wir Dich fürchten. Amen.

Kap. 19

Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
Matthäus 19,6

„Ich nehme mir eine Frau“, sagt der Mann, der sich zur Heirat entschließt, und Jesus sagt ihm: Gott hat dich und deine Frau zusammengebunden, dass ihr wie zwei Rinder, die den Pflug ziehen, nebeneinander wandert und gemeinsam eure Arbeit tut, die von Gott euch aufgetragene. Nun geht aber, lieber Herr, gegen das, was du sagst, wieder ein Aufruhr in mir an. So nah bringst du Gott an das, was wir Menschen tun, daran und weißt doch, wie es beim Abschluss der Ehen zugeht. Damals wurden oft schon Kinder im frühen Alter miteinander verlobt, und oft war die Stiftung der Ehe ein Geschäft zwischen den Eltern der jungen Leute, ohne dass sie gefragt wurden, und oft führte das männliche Verlangen den jungen Mann zum Mädchen, das seinerseits auf einen Mann sehnlich wartete. Natur war hier wirksam und leider nicht nur Natur, sondern auch Sünde, so hässlich und so sichtbar wie auch sonst im Menschenleben, und dennoch sagst du: Gott hat die beiden zusammengebunden. Ihr kennt Gott nicht, antwortet Jesus, ich aber kenne ihn. Ihr seht nur auf den Menschen und passt nur auf das auf, was ihr wünscht und gewinnt. Ihr seid aber nicht allein. Ihr bewegt euch, weil ihr bewegt werdet, entschließt euch, weil ihr geführt seid, und handelt, weil Gott euch handeln macht, und auch euer Sündigen ist von Gottes Herrschaft umfasst. Wie nun? Soll ich fortfahren und sagen: Wenn der Mann seine Frau entlässt, dann hat Gott sie getrennt? So schließt keiner, der es wirklich glaubt: Gott hat uns zusammengefügt. Wenn wir ernsthaft zueinander sagen: mich hat Gott zu dir und dich hat Gott zu mir gebracht, dann gibt es zwischen uns keine Trennung mehr. Gott führt die Menschen nicht dazu zusammen, damit sie auseinander laufen. Fordert aber wirklich eine zwingende Notwendigkeit, dass das, was geeint war, sich wieder scheide, dann gehen beide, wenn sie Jesus kennen und ihm gehorchen, in Frieden voneinander in der Gewissheit: unsere Gemeinschaft ward aufgehoben durch Gott.

Vater, Du führst uns zu Dir und führst uns auch zueinander und machst dadurch unsere Gemeinschaft miteinander heilig. Mein Auge sieht Dein Walten nicht, aber ich höre Dein Evangelium und will es Dir glauben: jedes Band, das uns miteinander eint, ist Dein Werk. Amen.

Einer trat zu ihm und sprach: „Guter Meister, was soll ich Gutes tun, dass ich das ewige Leben möge haben?“ Er aber sprach zu ihm: „Was heißest du mich gut? Niemand ist gut, denn der einige Gott. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“
Matthäus 19,16+17

Mit lastendem Druck lag die Frage, die der Jüngling zu Jesus trug, damals auf dem ganzen Volk. Sie wurde freilich nur selten ausgesprochen, saß aber in der ganzen Frömmigkeit drin und machte aus ihr die mühsame Arbeit und aus den Frommen die Lastträger, die eine schwere Bürde schleppten. Der Jüngling gab das ans Licht, was in vielen verborgen war. Ihn floh die Ruhe, bis er eine Antwort auf diese wichtigste aller Fragen hatte. Sie war ja die Frage nach dem ewigen Heil. Ewiges Leben ist unser Ziel, das stand damals für den frommen Teil der Gemeinde fest und ihre Überzeugung wurde durch die Beobachtung verstärkt, dass da, wo man für den Tod lebte, die Sünde mächtig wurde. Leuchtete aber das Ziel dieser wunderbaren Höhe, dann bekam die Frage, wie man es erreiche, gewaltigen Ernst. So handeln musst du, sagte jedermann, dass du das ewige Leben bekommst. Wer recht tut, der wird leben. Die Guten gehen in das Leben ein und den Guten erkennt man am guten Werk. War nicht alles in dieser Unterweisung, die in der Gemeinde in Geltung stand und der der Jüngling gehorchte, durchsichtig und einwandfrei? Wird nicht Jesus, weil er der Gütige ist, diesem Unterricht dadurch die Vollendung geben, dass er dem Jüngling mit deutlicher Vorschrift ein Werk aufgibt, mit dem er sich das ewige Leben zu sichern vermag? Jesus wies aber diese Bitte ab; denn sie kennt Gott nicht und nimmt Ihm seine Ehre. Der Jüngling meinte, er finde in Jesus den guten Meister, und Jesus erwiderte ihm: das bin ich nicht. Der Jüngling erwartete, dass ihm Jesus ein Werk nenne, das ihn von seiner Unruhe befreie und ihm die Heilsgewissheit gebe, und Jesus antwortet: ein solches Werk gibt es nicht. Was machte seinen ganzen Gedankengang falsch? Er sieht nicht auf Gott und weiß nicht, dass Gott gut ist, Gott allein. Hältst du Gott für gut, warum ist dir dann so bange vor dem Tod? Hältst du Gott für gut, warum suchst du nach einem besonders verdienstlichen Werk? Hältst du Gott für gut, warum machst du aus dem ewigen Leben dein eigenes Werk? Wer Gott für gut hält, der hält die Gebote und beklagt sich nicht, der Weg ins ewige Leben sei schwer zu finden. Gottes Wille ist dir gesagt. Tue ihn. Es ist der Wille des Guten, und wer Ihm glaubt, dass Er der Gute ist, der weiß, dass Er keinen verderben lässt, der seinen Willen tut.
Alle im Himmel und auf Erden bekennen, dass Du, Gott, gut bist, Du allein. Unser irdisches und unser ewiges Leben ist das Werk Seiner Güte und alles, was mir Deinen Willen kundtut, ist die Offenbarung deiner Güte. Ich weiß und bekenne vor Dir, wie falsch und sündlich all mein Misstrauen ist, wie finster meine Gedanken sind, die Dich verklagen. Du bist der Gute, das soll meine Gewissheit bleiben heut und morgen und in Ewigkeit. Amen.

„Willst du in das Leben eingehen, so halte die Gebote.“ Da sprach er zu ihm: „Welche?“ Jesus aber sprach: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben. Ehre Vater und Mutter und du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst.“
Matthäus 19,17–19

Gottes Gebote, sagt Jesus dem Jüngling, sind der Weg ins Leben; denn Gott ist gut. Er spricht, als seien die Gebote allen bekannt und jedem deutlich. Dem widerspricht aber der Jüngling. Seiner unruhigen Seele scheint es, Gottes Wille sei undeutlich und schwer erkennbar und es wäre ein großer Gewinn, wenn ihm Jesus ein neues, besonderes Gebot gäbe, bei dem man gewiss sein könnte, dass es zum ewigen Leben ausreichend sei. Nun zählt ihm Jesus die zweite Reihe der zehn Gebote auf, die der Fragende schon in der frühesten Kindheit gelernt hat, die er nie angezweifelt, sondern immer für heilig gehalten und nie übertreten hat. Jesus sprach mit ihm nicht von den Geboten, die der Gemeinde den Gottesdienst gaben, nicht von der Anbetung, die Gott allein gebührt, vom Namen und vom Tag Gottes, die geheiligt werden sollen. Diese Gebote leuchten wie ferne Sterne in der Höhe. Es gibt aber göttliche Gebote, die in das alltägliche Leben hineinreichen und das feste Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft sind, und diese Gebote sind nicht weniger heilig als jene und sind die erste und sichere Antwort auf die Frage: was soll ich tun? Das sollst du, was du kannst, und du kannst dem Nächsten geben, was ihm gehört. Gott hat ihm das Leben gegeben; verdirb es nicht; die Volksgemeinschaft ist zerrissen, wenn das Leben nicht gesichert ist. Gott hat ihm die Frau gegeben; verdirb sie nicht. Wer die Ehe zerstört, zerreißt die Volksgemeinschaft. Gott hat ihm sein Eigentum gegeben; nimm es ihm nicht; du zerreißt die Volksgemeinschaft, wenn du das Eigentum angreifst. Gott hat ihm seine Ehre und sein Recht gegeben; verdirb es nicht durch dein falsches Zeugnis. Wer die Wahrheit bekämpft, zerreißt die Volksgemeinschaft. Gott hat die Eltern gegeben; von ihnen empfingst du das Leben; ehre sie. Sie wurden für dich zum Vater und zur Mutter durch göttliches Wirken. Gott führt dich beständig mit den anderen zusammen; sie sind dir Nächste, von derselben Art wie du und haben dieselben Rechte und dieselben Bedürfnisse wie du. Stelle dich nicht über sie, sondern gib ihnen dieselbe Schätzung, die du dir gewährst. Das unvergleichliche Meisterstück der zehn Gebote stellt Jesus vor den Jüngling hin, das jedem Volk zeigt, wann seine Gemeinschaft besteht und wann es sie verdirbt. Nun weißt du, sagt Jesus, was für ein Werk dir befohlen ist.
Ja, Herr, ich weiß es und wir wissen es alle; aber wir fürchten Dein Gebot und widerstreben dem, was wir wissen. Du aber bist gut und zeigst uns dies durch die Gnade Deines Sohnes und durch die Gemeinschaft Deines Geistes und nun wird uns Dein Gebot lieb und wir glauben es Dir, dass es uns zum Leben führt. Amen.

Kap. 20

Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: „Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden um einen Groschen? Nimm, was dein ist und gehe hin. Ich will aber diesem Letzten geben gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin?“
Matthäus 20,13–15

Sind wir unversöhnt, so bleiben wir unversöhnlich und zeigen dies dadurch, dass uns alles ins Murren treibt. Nun schmeckt uns alles bitter. Wenn wir entbehren müssen und uns Gottes Hand hart anfasst, so murren wir. Das endet aber nicht, wenn Gott gütig gegen uns ist, als machte uns Gottes Gnade froh. Nun gibt es vielmehr neuen Anlass zum Murren. Er ist ja auch anderen gnädig, nicht nur mir. Wie soll ich noch zufrieden sein, wenn die anderen nicht weniger erhalten als ich selbst? Es braucht nicht viel Überlegung, um zu erkennen, wie gottlos und fluchbeladen der Anspruch ist, dass Gott nur gegen mich, nicht auch gegen die anderen gütig sei. Will ich denn Gott an mich ketten und seine Gnade meiner Eigensucht dienstbar machen? Die Bosheit führt auch jetzt zur vollendeten Torheit. Es gibt nichts Törichteres, als wenn wir die Güte in Bitterkeit verwandeln. Es waren aber nicht Petrus und die ersten Jünger allein der Hilfe Jesu bedürftig, damit sie sich nicht aus der Größe ihres Dienstes diese Versündigung bereiten. Denselben Schutz bedürfen wir alle, die wir irgendwie, z. B. durch die Erteilung eines kirchlichen Amts, gewürdigt sind, Arbeit im Dienst Jesu zu tun. Oft wird dabei das Murren hörbar, das sich beklagt, dass wir nicht allein reden und nicht allein regieren können, weil Gott auch andere braucht, anders begnadet und ihnen gütig ist. Wenn wir aber nicht die eigene Leistung messen, sondern auf die gebenden Hände Gottes achten, dann sehen wir mit Jubel an den anderen, wie gut er ist. Weil er gütig ist, ist er es gegen alle, sogar gegen mich. Indem die anderen zeigen, was mein Gott ist, und die ihnen gewährte Gnade mir sichtbar macht, was mein Herr tut, schenkt er mir Freude über Freude in reichem Strom. Denn die Tiefe des göttlichen Reichtums wird an uns allen in immer neuer Weise offenbar und schafft immer neuen Grund zur frohen Danksagung. Gefällt uns dagegen unsere Eigensucht, die sich nicht mit den anderen freuen mag, dann lautet unser Urteil: „Nimm das Deine und geh!“ Der Lohn für unser Murren besteht darin, dass wir aus der Schar derer hinausgewiesen werden, die Gott dienen dürfen, und damit sind wir in die freudlose Nacht verbannt.
Die Arbeit will ich tun, Herr Gott, die Du mir gibst, und freudig Deine Gnade immerdar loben, die mir meine Arbeit gab. Sei sie groß, sei sie klein, Du gabst sie mir in Deiner Gütigkeit. Wenn mein Handeln Deinen Willen tut und mein Leben Deine Gnade offenbart, so hängt das ganz und gar an Dir und Deiner Freundlichkeit. Darum bitte ich Dich um einen reichen Anteil an jener Freude, die du den Deinen dadurch schenkst, dass du sie alle aus Deinem Reichtum begabst und mit Deiner Weisheit führst. Amen.

Also werden die Ersten letzte und die Letzten erste sein.
Matthäus 20,16

„Was wird mir dafür?“ fragte Petrus, wenn andere zu schwach waren, um das zu tun, was er getan hatte, zu schwach, um alles zu verlassen und jedes Band zu zerschneiden, das ihn von Jesus trennen wollte. Die Antwort Jesu war: überreich lohnt Gott dir deinen Dienst. Jesus weiß nichts von einer Entsagung, die uns schädigte, nichts von einem Opfer, das Verlust wäre und uns nicht segnete. Es gibt bei ihm keine umsonst arbeitende Liebe, keinen ohne Lohn getanen Dienst. Nun wird aber unser Spekulieren munter. Unser Verhalten, sagen wir, hat also Einfluss auf Gottes Wirken und seiner Gabe verschaffen wir das Maß durch unser Werk; können wir nun nicht zwischen uns eine Rangordnung feststellen und den Platz bestimmen, der unserer Leistung entspricht? Petrus dachte an den ersten Platz, aber nicht er allein; die anderen Jünger dachten nicht anders. Oder denken etwa wir anders? Darum brauchen wir wieder unseren treuen Arzt, den Herzenskenner, der uns dagegen zu schützen weiß, dass nicht unsere Begehrlichkeit aus der Größe seiner Verheißung für uns ein Unheil bereite. Ob du erster, ob du letzter bist, das sagst nicht du. Das stellt Gottes Urteil fest, das verborgene, das erst dann offenbar wird, wenn alles offenbar geworden ist. Es gibt keinen Ersten, der nicht zu den Letzten herabsinken könnte; ebensowenig gibt es aber einen Letzten, der nicht zu den Ersten hinaufzusteigen vermöchte. Keine Höhe der uns emportragenden Begabung verhindert unser Verschulden und keine Tiefe unserer Verschuldung lähmt Gottes Vergeben. Die Schuld und Ohnmacht der Letzten vergeht am Reichtum der göttlichen Gnade und die Eitelkeit und der Selbstruhm der Ersten verschwindet im Licht der göttlichen Wahrheit. Was soll ich nun tun? Miss dich nicht selbst. Lass deine Linke nicht erfahren, was deine Rechte tut. Behalte ein einfältiges Auge, das auf Gottes Willen sieht, den er dir zeigt, und mache dich nicht zum Herrn über einen anderen, als könntest du ihm sein Schicksal mit einer Waage zuteilen. Vergiss es nie: er gehört nicht dir, sondern hat seinen Herrn.
Im Licht stehen wir, Vater, nicht, weil wir uns selbst oder einander kennen, sondern weil Du uns kennst. Wir dürfen unser Tun richten mit dem Licht, das Du uns schenkst, und Dir unseren Dienst und unsere Opfer bringen, wie Dein Wort es uns zeigt. Aber Du bist allein der, der gerecht richtet und gnädig lohnt. Ich preise Dich mit jubelnder Seele, dass Du uns allein und ganz an Dich gebunden hast. Amen.

Gleichwie des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zum Lösegeld für viele.
Matthäus 20,28

Jesus bedienen, wie gerne tun wir das? Als Jesus mit seinen Jüngern in Marthas Haus einkehrte, ging diese munter an die Arbeit und tummelte sich eifrig, um ihn durch eine seiner würdige Mahlzeit zu ehren, und sie hat ungezählte Gehilfen und Gehilfinnen gefunden, Bischöfe, die mit einem goldenen Kreuz und herrlichem Gewand die Ehre Jesu verkünden, Städte, die ihm zu Ehren die schönsten Kirchen herstellen und die höchsten Türme erbauen, Theologen, die ihm zum Preis seines Worts und Werks ihre Feder anbieten, und noch viele andere ohne Zahl. Jesus stellt aber unsere Meinung, auch die unserer Liebe, gänzlich um. Ich bedarf, sagt er, nicht eurer Bedienung, sondern ihr bedürft meinen Dienst. Nicht ihr rüstet mir den Tisch, sondern ich rüste ihn euch, weil nicht ihr mich speist, sondern ich euch speise. Nicht ihr beschenkt mich mit Ehre und bereitet mir das Königtum, sondern ich bin vor Gott eure Ehre und mache aus euch das königliche Geschlecht. Warum sind wir seines Dienstes bedürftig? Losgekauft, sagt er uns, müsst ihr werden. Ihr seid gebunden durch Schuld und Tod und bedürft den, der euch aus eurer Knechtschaft in die Freiheit führt. Die Fessel, die ihr tragt, lässt sich nicht durch einen Machtspruch entfernen; denn Gottes Gerechtigkeit hat sie euch angelegt. Ich muss euch loskaufen und der Preis, mit dem ich euch für mich gewinne und euch in die Freiheit führe, kann nichts Geringeres als mein Leben sein. Nun staune, meine Seele, du stehst vor einem herrlichen Wunder. Zu solchem Dienst ist Jesus bereit. Solches kannst du sonst nirgends in der Welt sehen oder hören. Das sagt und tut dir Jesus allein. Warum bewirkt Er unsere Befreiung nicht durch eine kleinere Leistung? Warum verlangt Gott von ihm sein Leben als den Preis, mit dem er uns die Vergebung erwirbt? Was er uns gibt, das soll die ganze Hilfe für uns sein, das Ende jeder Verurteilung, die Befreiung von der ganzen Sündenlast und Sündenmacht, die Einsetzung in Gottes ganze Gnade, die alles zur Vollendung bringt. Darum lautet Gottes Gebot für ihn so: Gib dich ganz; gib alles, was du bist; dann sind sie dein und frei. Soll ich sagen: das sei eine harte Forderung? Jesus hat nicht so gesprochen; er hat gesagt: so wird der Vater verklärt.
Nicht als die Gebenden, sondern als die Empfangenden steht, Herr Jesus, deine Christenheit vor Dir. Alles, was wir haben, verdanken wir Deiner zum Tod bereiten Treue. So lass mich Dir dienen, wie wir dienen können, so, dass ich bewahre, was Du für uns an Deinem Kreuz erworben hast. Amen.

Kap. 21

Da sie nun nahe an Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei und sprach zu ihnen: „Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt; und alsbald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir.“
Matthäus 21,1+2

Beim Beginn seines königlichen Einzugs steht Jesus in seiner königlichen Armut vor uns. Vorbereitungen zur festlichen Feier seines Einzugs hatte er keine getroffen. Ohne Reittier war er von Bethanien weggegangen und erst, als sie sich dem Rand des Ölbergs näherten, sandte er Jünger nach Bethphage, um ihm einen Esel zu holen. Nach dem Urteil Jesu war dies nicht Armut. Der Sohn des himmlischen Vaters ist nicht arm. Braucht er einen Esel, so steht er für ihn bereit; denn der Vater weiß, was er jetzt nötig hat. Deshalb lautet der Befehl Jesu an seine Jünger nicht: Sucht, ob ihr einen Esel findet, sondern: bindet ihn los und bringt ihn her; er steht bereit. Königlich ist diese Armut, weil sie mit dem Willen Jesu, der nach der unbegrenzten Herrschaft über Jerusalem und ganz Israel und die ganze Menschheit greift, untrennbar verbunden war. Für Jesus war die Macht deshalb, aber auch nur deshalb, das Ziel seines Verlangens, weil sie ihm gegeben wird. Wie sollte er an ein Königtum denken, das er für sich begehrte und für sich erkämpfte? Auf seinem Standpunkt war dies nur Fall, Antichristentum und Bundesgenossenschaft mit dem, der die Welt beherrscht. Dass ihm aber der königliche Name mit seinem unausdenkbaren Inhalt, der die Ewigkeiten umfasst, gegeben war, bewährte er eben dadurch, dass er in der völligen Armut stand. Indem er sich auch das Kleine, auch das Reittier, das ihm jetzt dienen soll, nicht selber verschafft, sondern vom Vater empfängt, bleibt das Grundgesetz in Geltung, auf dem die ganze Sendung Jesu beruht: die Macht, durch die Gottes Herrschaft geschieht, wird nicht von Menschen begehrt und errungen, sondern gehört dem, dem sie gegeben ist. Es könnte scheinen, die Erzählung des Evangelisten über die Weise, wie der Esel geholt wurde, bleibe an Kleinlichem hängen; aber dieses Urteil wäre töricht. Die Jünger empfanden es mit Recht als eine große Sache, dass nicht nur die entscheidenden Entschlüsse, sondern auch die ungezählten kleinen Schritte, die die Geschichte Jesu bildeten, das heilige Gesetz sichtbar machten, unter dem der königliche Wille Jesu stand.
Deine Herrschaft zeigst Du uns, Du, der Du der Gott und Vater Jesu bist, nicht unsere Herrschaft, keines Menschen Herrschaft. Darum gibst Du uns Dein Reich durch Den, der ganz arm war und nichts hatte, als was Du ihm gabst, und ganz reich war und ist durch Dich. Amen.

Sie sprachen zu ihm: „Hörst du auch, was diese sagen?“ Jesus sprach zu ihnen: „Ja! Habt ihr nie gelesen: ,Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet?‘“
Matthäus 21,16

Das Loblied der Jünger, mit dem sie die königliche Sendung Jesu priesen, war verstummt. Die Stadt hatte es nicht gewagt, sich zu Jesus zu bekennen. Wer ihn den Christus nannte, ergab sich ihm ganz und gar und machte ihn zum Herrn über sich selbst und über die ganze Stadt und das ganze Volk. Dem Christus Gottes glaubt man, gehorcht man und erkennt in ihm den, dem alles von Gott übergeben ist. Dazu waren auch die Frommen Jerusalems nicht bereit. Nur die Knaben wiederholten noch den jubelnden Ruf: Hosianna dem Sohne Davids! Sie waren durch die Bedenken der Alten nicht gebunden; war es nicht herrlich, dass der Christus gekommen war? Jesus war nicht betrübt, dass nur die Kinder ihn feierten. Freilich schützte ihn ihr Lob nicht vor dem Kreuz und das Schweigen der Alten verkündete das kommende Unheil. Dennoch war das Lob der Knaben Jesu Freude. Es muss sein, dass Gott gelobt wird; das ist unzerbrechliche Notwendigkeit. Wird ihm das Lob versagt, so ist das Tod; denn daran hängt der Fluch der Gottlosigkeit. Auch das, dass es nur Kinder sind, die ihn preisen, ist Gottes würdig und macht sein Reich offenbar. Indem er sich aus dem Mund der Unmündigen die Anbetung bereitet, macht er die Größe des Menschen zunichte und füllt die Kleinheit des Menschen mit seinen gnädigen Gaben. So wird sichtbar, wozu er seinen Sohn gesandt hat und was seine Gegenwart uns bringt. Mit ihm endet alles Großsein des Menschen und sein Ruhm wird hinausgesperrt und stattdessen beginnt die Danksagung des Menschen, der Gottes Gnadengabe empfängt. Die Lehrer begriffen nicht, weshalb Jesus dem Rufen der Kleinen nicht wehre. Was hatte es für einen Sinn, wenn nur Kinder ihn priesen, während die Alten schwiegen? Jesu Antwort hat sie überrascht; denn sie macht die gänzliche Verschiedenheit sichtbar, die unsere Gedanken von denen Gottes trennt. Unsere Gedanken hängen an dem, was wir Menschen sind, wollen und leisten, und Gottes Gedanken schauen auf das, was er schafft und gibt.
Nun darf auch ich zu Dir reden, lieber Herr, denn Du hörst es, wenn die Kleinen Deinen Namen nennen, und darf Dich loben, da auch das Lob der Unmündigen Dir wohlgefällt. Du hast von Deiner Sendung gesagt, sie sei erfüllt, weil sie den Kleinen Gottes Gnade zeigte. Nach dieser Deiner Weise hast Du sie auch mir gezeigt. Auch die kommenden Tage werden mir nichts Großes bringen, sondern sich mit Kleinem füllen. Darum danke ich Dir, dass von Dir klein und groß nichts gilt und Du auch die Herzen Deiner Kleinen mit Deinem Lobe füllst. Amen.

Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: „Mein Sohn, gehe hin und arbeite heute in meinem Weinberg.“ Er antwortete aber und sprach: „Ich will es nicht tun.“ Darnach reute es ihn und ging hin. Und er ging zum andern und sprach gleich also. Er antwortete aber und sprach: „Herr, ja; und ging nicht hin.“
Matthäus 21,28–30

Zweierlei Söhne hat Gott und keiner ist so, wie er sein soll. Denn beide sagen zugleich ja und nein. Der Trotzige, dem seine eigenen Anliegen den Kopf füllen, weil er hinter den natürlichen Gütern herläuft, sagt zuerst nein und erst, wenn er auf seiner Jagd nach dem Glück ins Elend kommt, sagt er ja. Der Fromme, der die Bibel zu sich reden lässt, Gottes Gesetz hört und weiß, was er dem zu verdanken hat, dass er ein Glied des Volkes Gottes ist, sagt zuerst ja, dann aber wieder nein, weil er trotz seiner religiösen Bildung und gottesdienstlichen Gewöhnung im Grunde seiner Seele das bleibt, was der andere Sohn auch ist, ein eigensüchtiger, begehrlicher Mensch, der seinem Futter nachläuft. Diese Beschreibung der Menschheit nach ihren beiden Hälften, der irreligiösen und der religiösen, der heidnischen und christlichen, ist wahr, wie jedermann sehen kann. Dann ist aber auch das andere wahr, was das Gleichnis sagt, dass Gott noch einen anderen Sohn hat, nicht nur diese ungeratenen und widerspenstigen, sondern einen mit ihm einträchtigen Sohn, nämlich den, durch den er beiden, dem Unfrommen und dem Frommen, dem Wilden und dem Ehrbaren, sagen lässt: Geht in meinen Weinberg. Dieser Sohn, der uns Gott gehorsam macht, ist ebenso gewiss vorhanden wie die beiden anderen und durch ihn wird sowohl dem, der in seinem natürlichen Gewand herumstolziert, als dem, der sich eine fromme Tracht angelegt hat, den Weg zeigt, wie sie zu Söhnen Gottes werden, die Gott dienen. Sie werden es dadurch, dass sie den Ruf hören, den der Eine, der in unserer ganzen Schar der einzige gehorsame Sohn Gottes ist, uns bringt.

Ja sagen zu Deinem Willen, Herr, heiliger Gott, habe ich gelernt; Du weißt aber, wie oft mein Wort umfällt, weil sich mein natürliches Verlangen gegen Deinen Willen sträubt. Meine Hilfe ist, dass ich, o Jesus, auf Dich höre. Mache Dein Wort in mir so stark, dass es mich Dir gehorsam macht. Amen.

Die Weingärtner nahmen seine Knechte; einen stäupten sie, den anderen töteten sie, den dritten steinigten sie.
Matthäus 21,35

Es ist eine ernste Pflicht und ein heiliges Anliegen der gesamten Christenheit, für diejenigen Männer zu sorgen, denen sie das für sie unentbehrliche Amt übergibt. Sie muss es bitter büßen, wenn sie die Träger ihres Amts auf eine Bahn drängt, die sie neben die von Jesus beschriebenen Weingärtner stellt. Diese Weingärtner zeigen uns nicht, was man Unglauben nennt. Dann ließen sie den Weinberg im Stich, begehrten seine Früchte nicht und machten nicht den Versuch, ihn als ihr Eigentum in ihren Besitz zu bringen. Sie wissen wohl, was der Weinberg wert ist und dass er kostbare Früchte trägt. Weder die Gemeinde noch ihre Führer zweifelten am Verzug Israels vor allen Völkern und keiner verbarg sich, dass dieser Vorzug aus der Gemeinschaft Gottes mit ihnen entstand. „Der Herr unser Gott“, das war das mit Kraft ergriffene und mit Glut verteidigte Bekenntnis aller, und daraus entstand ihre Schuld. Was sie tun, ist Raub an dem, was Gottes ist. Für sich zur eigenen Erhöhung und Beglückung ist Israel Gottes Volk. Unsere studierende Jugend geht dieselbe Bahn, wenn sie das kirchliche Amt wegen des Vorteils begehrt, das für sie aus ihm entsteht. Diese Gefahr liegt nahe. Es ist lockend, Theologie zu studieren. Hebt das nicht über die „Laien“ empor? Tritt man nicht so in die Reihe de „Akademiker“ und gehört zu einem privilegierten Stand? Aber die Versuchung ist noch feiner, noch mächtiger. Ist nicht das ein wirksames Mittel, das uns die Selbstbefriedigung verschafft, dass wir vom Gelderwerb befreit in gesammelter Stille das christliche Wort verwalten? Gibt das nicht den gehobenen, geweihten Christenstand des „Geistlichen“? Mit all dem sind wir in die Gemeinschaft der Weingärtner geraten, die den Raub an Gott begehen. Was schützt unsere Kirche und die Träger ihres Amtes vor diesem Verderben? Das Gleichnis Jesu zeigt uns das Einzige, was uns schützt. Jesus stellt neben die Weingärtner den Sohn, er den Weg zum Kreuz geht. Das ist unser Schutz. Haben wir unseren Standort beim Kreuz Jesu, dann endet aller eigensüchtiger Machtmissbrauch des Christentums und auch alle eigensüchtige Entstellung des kirchlichen Amts.
Richte uns, Herr Gott, nach Deiner barmherzigen Gerechtigkeit und führe uns zum Kreuz Deines lieben Sohnes. Er trug es auch für unseren Pfarrstand und für die, die ihn unterweisen. Amen.

Da nun herbeikam die Zeit der Früchte, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, dass sie seine Früchte empfingen. Da nahmen die Weingärtner seine Knechte; einen stäupten sie, den anderen töteten sie, den dritten steinigten sie. Abermals sandte er andere Knechte, mehr als die ersten waren, und sie taten ihnen gleich also. Darnach sandte er seinen Sohn zu ihnen und sprach: „Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.“
Matthäus 21,34–37

Die Knechte gingen voran, ehe der Sohn seinen Gang zu den Weingärtnern antrat. Das Schicksal der Knechte war ihm wohl bekannt. Jesus hat dabei nicht nur an das gedacht, was zur Zeit Elias, Jesajas und Jeremias geschehen ist. Denn die Weingärtner, von denen er redet, lebten nicht nur damals, sondern sind jetzt vorhanden und betreiben ihren Aufruhr gegen Gott jetzt. So sind auch die Knechte Gottes am Werk und mahnen die Weingärtner an ihre Pflicht. Mose bezeugt der Gemeinde auch heute, dass Gott sie als seinen Weinberg für sich geschaffen hat, und die Rede der Propheten ist nicht verstummt, sondern mahnt Israel unaufhörlich: gebt Gott seine Frucht. Sie mahnt aber umsonst, und deshalb, weil die Knechte umsonst zu den Empörern reden, tritt nun der Sohn unter sie. Jesus zeigt hier den starken Zusammenhang, in dem sein Ende mit der alttestamentlichen Schrift steht. Die Schrift, sagte er, muss erfüllt werden. Der Sohn muss tun, was bisher die Knechte taten, und es muss dem Sohn ebenso ergehen wie den Knechten. Es muss ans Licht kommen, dass die Weingärtner Räuber sind, und sie müssen ihren Aufruhr dadurch vollenden, dass sie den Sohn umbringen. Dadurch gab sich Jesus im tiefsten, herrlichsten Sinn die Gestalt des Knechts. Er trug sie nicht nur dadurch, dass er willig der Natur gehorchte, auch nicht nur in der Dienstbereitschaft, durch die er sich für die zum Knecht machte, die seine Hilfe begehrten. Er tat auch das, was die alten Knechte Gottes taten, und trat in den Weinberg zu den Empörern, damit sie an ihm ihren bösen Willen ausüben. Er tat es, weil er Gottes Recht an den Weinberg vertritt und Gottes Barmherzigkeit den Schuldigen zeigt, ehe ihre Schuld sie begräbt. Er kommt zu ihnen, um sie zu retten; weil er aber vergebens kommt, wird aus seiner Sendung das große Ärgernis, an dem Jerusalem zerbrechen muss.
Durch Deinen Gang in den Tod hast Du, Herr Jesus, uns erkauft und erworben, dass wir, Deine Christenheit, Gottes Weinberg seien und seine Frucht ihm bringen. Du trugst die Knechtsgestalt, damit wir aus Empörern Knechte Gottes würden, die ihm dienen, und hast Dich zum Wort der Schrift bekannt und es zu Deinem Wort gemacht, damit wir aus ihren Verächtern ihre Täter würden. Das ist die große Gnade, die Du uns in Deinem Sterben erwiesen hast. Amen.

Kap. 22 Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte, und sandte seine Knechte aus, dass sie die Gäste zur Hochzeit riefen, und sie wollten nicht kommen.
Matthäus 22,2+3

Was es heißt, Gottes Volk zu sein, hat Jesus den Männern von Jerusalem in drei Gleichnissen mit herrlicher Klarheit gezeigt. Sie sind Gottes Söhne, Gottes Arbeiter und Gottes Gäste. Jedes dieser Gleichnisse gilt von allen, die zu Gottes Volk gehören, und sie alle sind nicht abwechselnd jetzt nur dies und dann nur dies, jetzt nur die Söhne, denen der Vater das Leben gab und die er in seine Gemeinschaft aufnahm, dann nur die Arbeiter, denen er seinen Weinberg zur Bebauung übergab, dann nur die Gäste, die er zum Feier seines Festes an seinen Tisch einlädt. Zusammen beschreiben ihnen diese Gleichnisse ihr Verhältnis zu Gott und sie können dieses nicht in Stücke zerlegen, können nicht Söhne sein, wenn sie Gott nicht dienen, können nicht Gäste sein, wenn sie nicht seine ihm gehorchende Söhne sind. Sie erleben darum im Verkehr Jesu mit ihnen dies alles im selben Vorgang. Durch Jesus sagt ihnen der Vater als seinen Söhnen: geht in meinen Weinberg, und weil sie die von Gott in den Weinberg gesetzten Arbeiter sind, bittet sie der Sohn, dass sie Gott geben, was Gottes ist, und weil sie Bürger in Gottes Stadt sind, lädt Jesus sie ein zur Feier des Festes, das der König seinem Sohne macht. Je heller aber Jesus Gottes Gnade leuchten lässt, an der jeder teilhat, der zu Gottes Volk gehört, um so dunkler und schrecklicher wird eines jeden Schuld. Nein, sagen die Söhne, die der Vater in seinen Weinberg schicken will. Nein, sagen die Weingärtner, die Gott seine Frucht geben sollten. Nein sagen die Gäste, die zum König gerufen sind, weil er seinem Sohn die Hochzeit bereitet und diese nicht einsam feiern will. Mit diesem letzten Nein spricht die Gottlosigkeit ihr hässlichstes Wort, wie uns auch Jesus seine Größe dadurch besonders deutlich zeigt, dass er sich auch auf dem Weg zum Kreuz als den beschreibt, der uns an seinem Feste Anteil gibt. Israel hat nicht recht, wenn es Jesus verwirft; du forderst uns zur Buße auf; das ist ein hartes Wort, und was du verlangst, ist ein schweres Gebot. Freilich duldet Jesus keinen Raub an Gott und ist von jenen Söhnen geschieden, die den Vater nur mit leeren Worten ehren. Er weckt uns auf aus unserer Erstarrung in Lieblosigkeit und macht unserem boshaften Unrecht ein Ende. Aber sein Wort ist nicht nur Gebot und nicht nur Gericht, das uns zur Buße treibt, sondern ist Evangelium, ist Einladung zur Gemeinschaft mit ihm an Gottes festlichem Tisch an Gottes herrlichem Tag. Das ist der Abschluss der Sünde, durch den wir sie vollenden, wenn wir zu seinem Evangelium sagen: nein, wir kommen nicht.
Du machst, Vater, aus unserer Buße ein freudiges Werk und aus unserem Gehorsam eine süße Pflicht und aus unserem Hoffen eine uns reinigende Kraft. Gib mir, wenn mich bedrückt, was in mir natürlich und verwerflich ist, einen Blick in die Feier Deines großen Tags. Amen.

Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an, und sprach zu ihm: „Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Kleid an?“ Er aber verstummte.
Matthäus 22,11+12

Weil Israel Gottes Weinberg an sich rafft und zu seinem Fest nicht kommen will, geht nun die Berufung frei zu den Völkern hinaus. Sie fragt nicht: wer bist du, weder, was ist deine natürliche Art, noch, was hast du als Sünde oder Frömmigkeit in dir? Darum weil die Einladung sich an alle wendet, setzt sie für alle an den Anfang ihres Christenstandes die Taufe, die allen die Vergebung der Sünden gewährt. In seinem Vorblick auf das, was nach dem Kreuz geschehen wird, wird Jesus von keinem Zweifel gequält. Nun kommen die Geladenen, nun findet die gute Botschaft offene Ohren; denn das ist unmöglich, dass Gottes Festsaal leer bliebe. Aber auch dann, wenn das göttliche Wort in neuer Weise die von allen Bedingungen freie Gnade zu allen trägt, bleibt es heilig und eins mit Gottes Gerechtigkeit. Das zeigt sich an dem, der sich ohne ein festliches Gewand in den Festsaal begibt und deshalb ins Gefängnis kommt. Was ist sein Verbrechen? Er begehrt nach der Freude des Festes; soll sie ihn nicht locken? Er hört begierig die Einladung; soll er ihr nicht folgen? Allein er soll bedenken, was ihm gegeben wird, und den ehren, der ihn zu seinem Gaste macht. Will er am Fest teilnehmen, jedoch ohne das festliche Kleid, so spaltet er seinen Willen und erzeugt in sich den Widerspruch, das Gegenteil der Wahrhaftigkeit. Das ist die Haltung dessen, der selig werden will, doch ohne Gehorsam, der bleiben will, was er ist, und doch in der Gemeinde Jesu und in Gottes Gnade stehen will, der sich auf Gottes Gnade stützen und in seiner eigensüchtigen Lieblosigkeit verharren will. Mit dem Gast ohne Festkleid beschreibt uns Jesus den Mann, der zwei Seelen hat, der seinem Ja doch wieder ein Nein entgegenstellt und das, was er möchte, doch nicht mit einem ganzen Willen ergreift. Was uns hier über die Teilnahme an der Hochzeit des Christus gesagt wird, gibt uns auch dann die Regel, wenn wir uns am Tisch Jesu versammeln. Auch hier macht die Einladung die frei gebende Gnade Gottes sichtbar und stellt an keinen irgendeine Bedingung. Denn der Tod Jesu soll von jedem gepriesen werden, der Mensch ist und weiß, was Sünde ist. Aber „unterscheidet den Leib des Herrn“, sagt Paulus und damit blieb er völlig beim Wort des Herrn. Wir müssen das schätzen und ehren, was Jesus für uns mit seinem getöteten Leib und vergossenen Blut erworben hat.
Das Fleisch und der Geist streiten gegeneinander und Du allein, gnädiger Gott, kannst mich davor bewahren, dass daraus ein Bruch entstehe, der mich inwendig zerreißt. Dein Werk ist es, wenn der Trieb Deines Geistes mich ganz bewegt, meinen ganzen Willen zu Dir zieht und meine ganze Liebe an Dich bindet. Wehre aller inneren Zwiespältigkeit und Unwahrhaftigkeit. Amen.

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.
Matthäus 22,21

Stolz zum Kampf und zum Sterben bereit sagte die junge Mannschaft Galiläas: wir nenne keinen Menschen unseren Herrn; denn wir haben nur einen Herrn, Gott allein. Fordert der Römer, der sich anmaßt, der Herr der Welt zu sein, dass auch wir ihn als den Herrn ehren und die von ihm verfügte Steuer ihm bezahlen, so verweigern wir sie ihm; denn es ist nicht recht, dass die, die Gottes Knechte sind, auch noch eines Menschen Knechte seien. Es schien, diese galiläischen Trotzköpfe ständen nahe bei Jesus, und doch waren sie weit von ihm entfernt. Auch Jesus hat einzig den Vater den Herrn des Himmels und der Erde genannt und niemand angebetet als Ihn allein. Nicht einen Augenblick hat er sich vor dem Satan geneigt, als er ihm seine Hilfe anbot; noch weniger hat er sich vor einem Herodes oder Pilatus gebeugt. Allein der Eifer, mit dem die Galiläer ihre Groschen gegen den Griff des Kaisers verteidigten, macht sichtbar, wie weit sie von Jesus getrennt waren. Gebt Gott, was Gottes ist, sagt ihnen Jesus. Ihr dürft und sollt ihm geben, was er von euch verlangt, dürft und sollt opfern. Opfern ist eure süße Pflicht und euer seliges Recht. Ihr könnt aber nicht ein Opfer erfinden nach eurem Gutdünken und euch einen Gottesdienst einrichten, der euch gefällt, z. B. den, der euch von Steuern befreit und eure Groschen vor dem Kaiser schützt. Es ist Wahn und Sünde, Gott mit dem beschenken zu wollen, was uns wohlgefällt. Er ordnet an, wie wir ihm dienen, und jedes Opfer muss Gehorsam sein. Das sollen wir Ihm geben, was Er uns gab. Was gab Er uns, dass wir es Ihm wiedergeben? Alles, was ich bin, Leib und Seel, Denken und Wollen, alle die Menschen mit denen er mich verbunden hat, kurzum mein Leben. Wozu gab er es mir? Damit ich nicht für mich selber lebe, sondern für ihn.
Von Dir und zu Dir, Vater, sind alle Dinge geschaffen. Von Dir und zu Dir kommt und geht auch mein Glaube und meine Liebe, und ich will nicht hindern, dass das, was von Dir kommt, wieder zu Dir emporsteige, Dein Lob verkünde und Deine Gnade preise. Dein soll bleiben, was Du mir gabst. Amen.

Das andere Gebot ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Matthäus 22,39

Es ist eine froh machende und stärkende Gewissheit, dass ich meine Pflicht nicht mit eigener Wahl aufsuchen und selbst erst entdecken muss. Deinem Nebenmann gib deine Liebe, sagt mir Jesus, dem, den Gott zu dir geführt und neben dich gestellt hat. Die selbstherrliche Verfügung über den Verlauf meines Lebens ist mir damit genommen. Denn mein Nächster ist ohne mein Zutun da. Wir wurden zusammengeführt durch die Hand, die unser beider Leben regiert, und damit, dass er mein Nächster ist, ist meiner Liebe das Ziel gegeben und meine Pflicht mir gezeigt. Darf ich sie dadurch von mir weisen, dass ich sage, es sei doch nur ein Zufall, dass gerade dieser mein Nächster sei? Dem Priester und Leviten, die durch die Wüste am Halbtoten vorbei nach Jericho gingen, gestattete es Jesus nicht, zu sagen, dass nur ein Zufall sie zu dem geführt habe, der ihrer Hilfe bedürftig war. Sie haben ihn freilich nicht gesucht, als sie ihre Wanderung antraten. Aber gerade deshalb, weil nicht ihr eigener Wille diese Begegnung herbeiführte, entsprang aus ihr die heilige Pflicht, die sie nur dann abweisen können, wenn sie die Regierung Gottes verachten, die in allem wirksam ist. Wenn ich nicht gottlos denken will, sondern auf Gottes Hand achte, kann ich nicht vom Zufall reden, wenn er meinen Weg zu dem hinlenkt, der meiner Liebe bedarf. Auch dann, wenn ich mit eigenem Willen und freier Wahl den anderen zu mir ziehe und zu meinem Nächsten mache, stehen wir beide unter der Regierung Gottes, da unser Handeln an Bedingungen gebunden ist, die nicht wir selber setzen. Dadurch wird meine Pflicht heilig, dass ich sie nicht von mir aus bestimmen kann, sondern durch die mir gesetzte Lage empfange. So ist sie ein Anspruch, der von oben herab zu mir kommt und meinen Gehorsam verlangt. Wie leicht wird mir aber zugleich mein Dienst gemacht! Er wäre schwer, müsste ich mich auf die Fahrt machen, um die zu entdecken, die ich lieb haben darf. Hier aber habe ich nichts erst zu suchen. Sie sind mir ja nah und da, die von Gott neben mich Gestellten. Müsste ich ein Programm für mein Leben entwerfen und es nach meinen Plänen ordnen, wie käme dabei etwas anderes heraus als stetes Schwanken und immer neue Unsicherheit? Nun aber lautet das mir gegebene Gebot: tue, was die Stunde fordert; gib dem, der neben dir steht, das, was du ihm geben kannst, dieselbe Schätzung, wie dir selbst, die Gabe, die dein eigenes Leben nährt und füllt.
Ich will Dir, Vater, von Herzen danken, dass mich Dein süßes Gebot aufweckt, wenn ich in mir selbst versinke und niemand in meine Nähe lasse und auch die nicht sehe, die meine Nächsten sind. Wenn Dein Gebot kräftig zu mir spricht und die Eigensucht, die mich einsam macht, verscheucht, dann finde ich Tag um Tag Pflicht und Dienst in reicher Fülle. Dafür sei Dir Lob und Dank gesagt Tag um Tag. Amen.

Kap. 23

Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das ihr halten sollt, das haltet und tut es; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun; sie sagen es wohl und tun es nicht.
Matthäus 23,2+3

Braucht die Welt neue Schriftgelehrte? Jesus sagt: Nein! Die alte Bibel zeigt euch, was recht und gut vor Gott ist, und sie spricht so deutlich, dass sogar einer, der aus der Schule Gamaliels kam, sie auslegen kann. Soll ich fragen: Lieber Herr, wozu sendest du denn deine Jünger, wenn es genug ist, dass es einen Lehrstuhl für Mose bei uns gibt? Lasten binden, antwortet der Herr, ist nicht dasselbe wie die Lasten tragen, und andere sie tragen heißen, ist nicht dasselbe wie sie selber tragen. Woran krankte der alte Lehrstand? In seinem Inneren zerriss ihn ein unheilbarer Riss. Es fiel auseinander, was er sagte und was er war, was er lehrte und was er tat. Das ändert keine Schriftgelehrsamkeit, kein Bibelstudium, keine Kirchlichkeit. Es sind kostbare Erwerbungen, die wir uns dadurch verschaffen, religiöse Haltung , christliche Sitte, der biblische Gedankenkreis. Aber der Mensch ist etwas anderes als seine Tracht, etwas anderes als seine Worte, etwas anderes als seine Gedanken. Den inneren Riss heilt keine Gelehrsamkeit. Es wäre töricht, wenn wir meinten, heute brächte es unsere christliche Erziehung zu etwas anderem, als was sie damals erreichten. Was Unterricht und Erziehung geben kann, war damals in höherem Masse vorhanden als bei uns, befestigte Überzeugung, unerschütterliche Sitte, Treue in der Ausführung der Gebote. Was hilft? Das, was Jesus hatte, die Sohnschaft Gottes, und was er denen gibt, die an seinen Namen glauben, die Kindschaft Gottes, das, was uns zur Kindschaft Gottes bringt, der Geist. Jetzt erhalten wir nicht nur eine religiöse Tracht und Dressur; jetzt ist der Mensch geheilt. Darum hat Jesus den Glauben zu dem gemacht, was er in uns schafft. Denn der Glaube ist derjenige Vorgang, durch den Gottes Wirken unseren Willen bewegt. Darum ist im Glauben alles drin, Gottes Tat und mein Entschluss, Denken und Wollen, Erkenntnis und Tat.
Was krank ist an uns und was Du uns gibst, das, treuer Herr, stimmt zusammen. Du heilst uns da, wo wir krank sind, und so, dass wir genesen. Ich bitte Dich um einen starken Hass gegen jedes leere Wort und allen bloßen Schein. Mach es unserer lieben Christenheit sichtbar, dass Dein Reich nicht in Worten steht, sondern in Kraft.

Kap. 24

Er wird senden seine Engel mit hellen Posaunen und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zum anderen.
Matthäus 24,31

Die weissagenden Worte Jesu sprachen von der nächsten Zukunft, die sich für seine Jünger aus seinem Kreuz ergab. Er sprach vom Tempel, der in Trümmer zerfällt, vom schauerlichen Jammer, in den sich Israel hinabstürzt, von dem bangen Druck, der sich auf die wartende Jüngerschar legen wird. Dann bricht in das Dunkel der helle Strahl der Verheißung hinein: Ich komme! Hat nicht jetzt erst die Verheißung ihr eigentliches Thema erreicht, mit dem sie unsere Hoffnung beleben und unsere Freude groß machen kann? Was kommt nun? Jetzt beginnt die neue Welt. Wie sieht sie aus? Jetzt werden der Himmel und die Erde neu; jener ist geöffnet und diese wird zur Heimat der Auferstandenen und ewig Lebenden. Das Ohr der Jünger lauscht gespannt und bittet: nun sprich! Nun male uns das Bild des Kommenden in seiner göttlichen Schönheit und seligmachenden Herrlichkeit. In der Judenschaft Palästinas gab es damals manche, die sich mit breitem Pinsel und grellen Farben ausmalten, was dann sein werde, wenn die Heilszeit angebrochen sei. Jesus dagegen sagte seinen Jüngern nur eins: gesammelt werden dann die Erwählten von der ganzen Erde her. Dann entsteht die eine Gemeinde anstelle der zerstreuten Häuflein, die allen sichtbar gemachte Gemeinde, während sie jetzt im Verborgenen lebt, die mit Jesus vereinte Gemeinde, die nun bei ihm ist, während sein Tod ihn jetzt von ihr trennt. Mit unfehlbarer Sicherheit kommt sie zustande ohne Irrtum und Schwankung durch den Dienst der Himmlischen, deren Posaunenschall alle herbeirufen wird, die Gottes gnädiger Wille mit Jesus verbunden hat. Nachdem Jesus das verheißen hatte, schwieg er. Das, was er den Jüngern mit diesem Wort sagte, ist die Hoffnung, die er in sie pflanzt. Er ließ ihre Hoffnung nicht auseinander flattern nach vielerlei Zielen, sondern band sie ganz und fest an ihn. Zu mir gelangt ihr, verspricht er, ihr alle, die Gottes gnädiger Wille für Gott erkoren hat; eure Trennung von mir endet und eure Zersplitterung endet; ich mache aus euch die geeinigte Menschheit, die in Gott ihre Einheit finden wird. Freilich hatte er den Jüngern noch viel zu sagen. Das wandte sich aber an die, denen er die Hoffnung gab, damit sie sie nicht verschleudern und verderben, sondern das Gehoffte empfangen. Ihnen zeigt er, was jetzt in ihrem Inneren geschehen muss, weil sie seine Verheißung haben.
Mich verlangt, o Jesus, nach der einen heiligen Gemeinde, die nicht mehr zerspalten ist in mancherlei Haufen, sondern eins in Dir, und nicht mehr gebunden ist an das, was einst die Väter taten, sondern gebunden ist an Dich, und nicht mehr sich selber verteidigt und ausbreitet, sondern willig dir dient in reinem Gehorsam. Wir Menschen schaffen die eine Kirche nicht. Du hast sie verheißen und wirst sie auch schaffen. Uns legst Du die Hoffnung in die Seele, die Dich bittet: o komm und vollende Dein Werk. Amen.

Kap. 25

Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen, und gingen aus dem Bräutigam entgegen. Aber fünf unter ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die Törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen nicht Öl mit sich.
Matthäus 25,1–3

Auch dadurch erweist sich Jesus als der Träger göttlicher Gnade, dass er uns die Hoffnung gibt. Sie ist wie alle Gaben Gottes voller Süßigkeit und Kraft. Wie könnten wir froh arbeiten und dankbar leiden, Gott zum Preise leben und Gott zum Preise sterben, wenn wir nicht Hoffende wären? Es gibt aber keine Gnade Gottes, aus der wir nicht den Anlass zum Sündigen machten. Davor behüte uns die Treue Jesu, indem er uns in seinem Gleichnis zeigt, wie aus unserem Hoffen Torheit wird. Er beschreibt die, die am Vorabend des Festes auf seinen Anfang warten. Die Vorfreude der bald beginnenden Feier leuchtet warm in ihrer Seele und sie sind gewiss, dass ihnen die Teilnahme am Fest beschieden sei. Allein ihre Hoffnung betrügt sie, weil sie töricht waren, und ihre Torheit besteht darin, dass sie zwar hofften, sich aber nicht rüsteten. Eine Hoffnung, die das nicht tut, was nötig ist, damit das Gehoffte komme, macht aus uns Toren. Das widerfährt uns dann, wenn sie nur unsere Gedanken füllt und unser Begehren anregt, weil sie durch ihre Seligkeit uns lockt. Es ginge von der Verheißung Jesu eine mich lähmende Wirkung aus, wenn sie mich untätig machte, wenn ich das jetzt uns Gegebene gering achtete, weil es noch nicht das Vollkommene ist, und die Arbeit des heutigen Tages unterließe, weil uns erst Jesus selbst durch seine neue Offenbarung die Vollendung des göttlichen Reiches bringen kann. Jesu Verheißung ist mir aber nicht dazu gegeben, damit ich einen Stoff für mein Denken und Dichten habe und unter dem Druck dieser Welt mich damit tröste, dass es eine kommende Welt gibt, sondern Jesu Verheißung pflanzt eine lebendige Hoffnung in mich hinein und als lebendig erweist sie sich dadurch, dass sie mein ganzes Verhalten regiert. Es muss an meinem Handeln sichtbar sein, dass ich auf den Tag schaue, der alles Verborgene ans Licht bringt, und auf den Richter warte, der über meinen Dienst sein Urteil spricht, und darnach begehre, dass er in Gottes Macht unsere natürliche Art in das ewige Leben verkläre. Wenn die Hoffnung mein Verhalten durchdringt und regiert, dann macht sie mich klug.
Noch ist der Tag der Feier für uns nicht angebrochen. Noch stehen wir am Vorabend des Festes, Deines Festes, Herr Jesus Christ. Mach uns Deinen Namen deutlich und groß. Dann hoffen wir und machen uns bereit für Deine Gegenwart. Amen.

Gleichwie ein Mensch, der über Land zog, rief seine Knechte und teilte ihnen seine Güter aus und einem gab er fünf Zentner, dem anderen zwei, dem dritten einen, einem jeden nach seinem Vermögen, und zog bald hinweg.
Matthäus 25, 14+15

Ungleich behandelt der Herr seine Knechte, und deshalb geht in uns das Murren an: Ungleichheit ist Ungerechtigkeit. Warum soll der eine fünf, der andere dagegen nur zwei und der letzte gar nur ein einziges Talent empfangen? Bin ich nicht verkürzt, wenn es andere gibt, die mehr besitzen und mehr vermögen als ich? Die Verderbnis der Gerechtigkeit zur Gleichmachung liegt auf der Menschheit als giftiger Wahn und quälender Druck, und es gibt keinen, der stark genug wäre, um diese Kette zu sprengen, als Jesus allein. Er hat seinen Jüngern gesagt: ihr habt nicht alle denselben Anteil an dem, was ich euch gebracht habe, habt nicht alle dasselbe Verständnis meines Wortes, nicht alle dieselbe Stärke der Liebe und dieselbe Ausrüstung zu meinem Dienst. Daher vermag bei euch der eine mehr als der andere, weil er reicher ist als der andere. Diese Ungleichheit entsteht nicht durch eure Versündigung, als müsste sich der, der nur ein Talent empfangen hat, anklagen und sagen: hätte ich mehr Glauben und eine tiefere Buße, so bekäme ich auch fünf Talente. Ich gebe euch Verschiedenes; denn ihr seid verschieden und sollt es auch sein auch in Gottes Reich und in meiner Gnade. Warum bewirkt er denn die Ungleichheit? Damit sichtbar sei, dass er der Herr ist, dass die Talente sein Eigentum sind, dass er sie nach seinem Willen verteilt. Das wird darin sichtbar, dass jeder nur das empfängt, was der Herr ihm gibt, nicht das, was der andere hat. Das Verlangen nach der Gleichheit entsteht aus der Eigensucht des Menschen, der seine Ansprüche anmeldet und seine Wünsche als gültiges Gesetz geehrt wissen will. Aber nicht meine Wünsche ordnen meinen Weg; er wird für mich geordnet und für jeden so, wie sein Herr es will. Gibt es aber noch Gemeinschaft zwischen uns, wenn wir nicht nur in unseren natürlichen Eigenschaften, sondern auch in unserem Christenstand verschieden sind? Aber unser ganzer Besitz, die fünf und die zwei und das eine Talent, ist ja des Herrn Eigentum und seine Gabe. Wie können die Knechte gegeneinander streiten und gegeneinander arbeiten, wenn sie doch die Knechte des einen Herrn sind? Er ist unser Friede, er der, der die Christenheit einigt. Weil er der Eine ist, gibt es eine allgemeine Kirche und innerhalb dieser Einheit macht er seine Herrschaft dadurch offenbar, dass er jedem seine Gabe nach seinem Willen gibt. Wenn ich das erfasst habe, so freue ich mich daran, dass die anderen anders sind als ich; denn darin wird der Reichtum Jesu offenbar.
Ich sehe, Herr, auf Dich, nicht auf die anderen, auf Deine mir gegebene Gabe, nicht auf das, was die anderen haben. Wenn ich auf die anderen sehe, werde ich verwirrt; wenn ich auf Dich sehe, stirbt mein Murren ab. Dann kann ich all mein Begehren in die eine Bitte fassen: Hilf mir treu zu sein mit dem, was Du mir gabst. Amen.

Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte und sprach: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist; du schneidest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, da du nicht gestreut hast, und fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in die Erde. Siehe, da hast du das Deine.“ Matthäus 25,24+25

Weil Jesus die Liebe kannte, kannte er auch die Lieblosigkeit und war imstande, uns ihr schreckliches Bild zu zeigen, so dass es uns in seiner Furchtbarkeit sichtbar wird. Was dieser Knecht sagt, ist eisig kalt und zeigt alle Merkmale des Todes. „Du bist ein harter Herr.“ Warum denn? Für dich soll ich arbeiten, für dich leben. Ich soll säen, damit du erntest. Was ich tun soll, dient dir, macht deine Größe offenbar und deine Herrschaft wirksam. Für dich leben, für dich wirken, das ist unerträgliche Härte. Nimm das Deine! Und doch hat der, der so redet, das empfangen, was ihm Jesus gab, den Schatz des Himmelreichs. Warum heißt er es dennoch hart, für den Herrn zu leben? Weil er auch das, was ihm Jesus gab, nur für sich begehrte. Er wollte seine Seligkeit, sein ewiges Leben, sonst nichts. Darum warf er sein Talent nicht weg, sondern vergrub es und brachte es dem Herrn unverkürzt zurück. Denn auch er will in die Freude des Herrn eingehen, er, nur er; was gehen ihn die anderen an? Wir wollen Jesus von Herzen dankbar sein, dass er uns dieses Wort geschenkt hat, diese scharfe Waffe gegen alle religiöse Eigensucht, gegen unsere fälschlich evangelisch genannte Selbstliebe, die Jesus nur für die eigene Not zum Heiland haben will und Gott nur deshalb sucht, damit unser eigenes Leben gedeihe. Mit Absicht zeigt uns Jesus die Lieblosigkeit an demjenigen Knecht, dem er nur ein einziges Talent gegeben hat. Denn wenn wir weniger empfingen und weniger vermögen als andere, fasst uns der versuchliche Gedanke leicht mit großer Stärke: was soll ich mit meiner kleinen Kraft anfangen? Ich kann nichts anderes als für mich selber sorgen. Allein die Kleinheit meines Vermögens entschuldigt meine Eigensucht nie. Ich soll nicht das tun, was andere können, wohl aber das, was ich kann. Ob es wenig sei oder viel, was ich von Jesus habe, er gab es mir dazu, damit sein Wille geschehe und seine Gnade wirksam sei.
Du bist der Retter vom Tod; denn Du bist der Retter von der Lieblosigkeit. Du schenktest mir Deine Gnade, damit ich liebe, und ich liebe nur, wenn ich Dir diene. Das ist Dein heilendes Gebot und Dein königlicher Wille. Weil ich mich von meiner Eigensucht nur in Deiner Gemeinschaft lösen kann, nimm mich in Deine uns heiligende Pflege und führe mich. Amen.

Kap. 26

Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach es und gab es seinen Jüngern und sprach: „Nehmet, esset; das ist mein Leib.“ Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: „Trinkt alle daraus. Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“
Matthäus 26,26–28

Die Jünger sagten: Der Tod trennt ihn von uns. Jesus sagte: Ich bleibe wirksam in euch; mein Leib ist das Brot, das euch nährt. Die Jünger sagten: Der Tod zerstört seinen Leib. Jesus sagte: der Tod macht aus meinem Leib eure Speise. Die Jünger sagen: Am Kreuz wird sein Blut verschüttet. Jesus sagte: Am Kreuz wird mein Blut zum belebenden Trank für euch. Die Jünger sagten: Seine Kreuzigung ist die schwerste Schuld. Jesus sagte: Mein Kreuz bringt euch die Vergebung der Sünden. Die Jünger sagten: Jetzt wird uns unser Herr geraubt. Jesus sagte: Mein Tod stellt euch in den neuen Bund. Er sprach aber nicht nur, er handelte und gab ihnen seinen Leib und sein Blut. Sein Abschied von ihnen geschah so, dass er sie begnadete und begabte. Alles gab er ihnen, was er hatte, sein eigenstes Eigentum, seinen Leib und sein Blut, sich selbst. Er gab es Gott und darum gab er es auch seinen Jüngern. Dadurch hat Jesus die Christenheit mit seinem Tisch beschenkt, an dem er sie begnadete. Er gab seinen Leib und sein Blut seinen Jüngern, weil sie seine Boten waren; was ihnen gegeben war, war allen gegeben. Der Leib und das Blut Jesu sind der gemeinsame Besitz der Christenheit. Er sammelt sich um seinen Tisch, ob der Kreis der Versammelten klein oder groß sei, immer ein Teil der einen Christenheit. Das Abschiedsmahl Jesu war ein festliches Mahl; denn Jesus schloss seine Gemeinschaft mit den Jüngern mit der Danksagung. An dieser Danksagung hat die ganze Christenheit Anteil. Sie vereint sich am Tisch Jesu nicht zur Beweinung ihrer Schuld oder zur Erweckung einer Sehnsucht, sondern zum Danken, damit sie nicht vergesse, dass alles, was sie besitzt, ihr von Jesus durch seinen Tod erworben ist. Sie sieht im Licht des Kreuzes ihre gemeinsame Schuld und sieht, dass sie ihr vergeben ist. Sie schaut ihren unsichtbaren Herrn an seinem Tisch und sieht, dass er ihr seine Gemeinschaft für immer gegeben hat. Darum wird sie am Brot und Wein Jesu froh und feiert die göttliche Gnade.
Du hast, o Jesus, Deinen Leib und Dein Blut Gott dargegeben; darum sind sie unsere Speise. Du hast sie für Gott geheiligt; darum heiligen sie uns. Du hast Gott durch sie verherrlicht. Darum bringen sie uns die Vergebung der Sünden und Deinen Frieden. Gib mir und Deiner ganzen Christenheit, dass wir Dir mit ganzem Glauben und ganzem Gehorsam Dank sagen. Amen.

Jesus ging hin ein wenig, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir. Doch nicht wie ich will, sondern wie Du willst.“
Matthäus 26,39

„Ich habe den Vater verklärt“, sagte Jesus, als er Judas zum Hohenpriester geschickt hatte. Er trat seinen Gang ans Kreuz nicht mit Seufzen, sondern mit der vollendeten Freude dessen an, der dem Vater gehorsam dient. Das verlangte aber von ihm, dass er wahrhaftig blieb. Mit sehenden Augen ging er in den Tod, nicht mit den verträumten Blicken eines Schwärmenden. Er ermisst, was er sagen will, auf diese Weise den Vater zu verklären. Nun wird er zum Ärgernis, zum Fluch und zum Stein des Anstoßes, an dem auch die Jünger fallen. Sie werden alle sagen: Du lästerst Gott, wenn er sich jetzt zu seiner Sohnschaft Gottes und zu seinem königlichen Recht bekennt. Der Druck, den er auf sich nahm, war unergründlich schwer. Den Kelch, den der Vater ihm jetzt reicht, hatte er bisher noch nicht getrunken, obwohl er unverwandt auf das Kreuz hinsah und nie etwas anderes tat als das, was er in seinem Gleichnis den Sohn tun ließ, der zu den empörten Weingärtnern tritt und damit in das Sterben geht. Er unterschied aber zwischen dem, was innerlich in seiner Seele vor sich ging, und dem, was er jetzt mit seiner Verhaftung auf sich nahm. Auch jenes war ein Leiden; denn er weinte um Jerusalem; aber es war ein Leiden, das er in der Stille vor dem Vater trug und überwand. Jetzt erst kommt der bittere Kelch zu ihm herzu; denn jetzt wird das Gedachte wirklich und das Inwendige sichtbar. Das gibt nicht nur allen anderen an seinem Leiden teil, sondern beruft auch ihn zu einem neuen Entschluss und darum auch zu einem neuen Gebet. Dass er sich jetzt gefesselt zu Gottes Allmacht bekennen und als Gekreuzigter sagen muss: ich bin der Herr, und als der Sterbende zu bezeugen hat: Ich bin das Leben, das ging in erhabener Neuheit über alles hinaus, was bisher sein Beruf gewesen war. Er bedarf dazu der Gewissheit, die ihm sagt, dass er mit dem, was er jetzt tut, den Willen des Vaters vollbringt. Nur auf den Vater ist sein Blick gerichtet; alle anderen, Welt und Teufel, verschwinden ganz. Er gibt Gott dadurch die Ehre, dass er sein Kreuz aus Gottes Händen nimmt. Er bespricht sich mit dem Vater nicht über den Zweck seines Leidens und sieht nicht hinaus auf das, was aus ihm entstehen wird. Der Gehorsam fragt nicht: warum tust du dies? Nur das Eine muss er wissen, dass es Gottes Wille ist, und dies erfährt er durch das Gebet. So hat uns Jesus durch das, was er in Gethsemane tat, die Herrlichkeit des Kreuzes vollständig enthüllt. Gehorsam war das, was hier geschah, und der Gehorsam Jesu gibt seinem Kreuz seine Herrlichkeit.
Weil Du in der Herrlichkeit des vollendeten Gehorsams vor mir stehst, glaube ich Dir, Herr Jesus Christ, dass Du mir meine Sünden vergibst, glaube ich Dir, dass Du Gottes gnädigen Willen an mir tust, glaube ich Dir, dass Du uns alle zu Gottes herrlichem Ziel hinaufträgst. Es gibt für mich keinen anderen Platz bei Gott als bei Dir, der Du gehorsam warst am Kreuz. Amen.

Der Hohepriester antwortete und sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagest, ob du seiest Christus, der Sohn Gottes. Jesus sprach zu ihm: „Du sagst es!“
Matthäus 26,63+64

Der Priester fragte Jesus nach seinem königlichen Recht, das in seiner Sohnschaft Gottes seinen Grund hat, und Jesus antwortete ihm: So ist es, aber nicht ich sprach die hohen Namen aus, die meine Herrschaft verkünden und meine Gemeinschaft mit Gott preisen. Du hast sie genannt, nicht ich. Du hast ausgesprochen, was ich bin und was du sagst, ist so, wie du es sagst. Nicht erst im Gerichtssaal und in den Banden wurde er unfähig, seine Herrlichkeit auszurufen; er hat es nie gekonnt. Schweigend ging er hinab in den Jordan; da kam die himmlische Stimme. Der Vater sprach, nicht er, und bezeugt ihm, dass er der Sohn seines Wohlgefallens ist. Du sagst es, war die selige Antwort Jesu, mit der er den Willen des Vaters zum seinigen macht. Das war der Anfang Jesu. Schweigend kam er aus der Wüste zum Täufer zurück. Da sagte dieser: Sieh, Gottes Lamm, das die Sünde der Welt wegträgt! Du sagst es, war die Antwort Jesu; er gab sein Ja zu dem, was ihm Johannes als sein Amt und Werk beschrieb. Er nahm seine Jünger zu sich und gab ihnen seine Gemeinschaft, und als die Zeit kam, um nach Jerusalem zu gehen, fragte er sie: wer sagt ihr, dass ich sei? Du bist der Christus, sagte Petrus. Du sagst es, sagte Jesus. Er hat ihm nicht selber seinen Namen vorgesagt und ihn nicht durch ein Gebot zum Bekenntnis verpflichtet. Es muss das eigene Wort des Jüngers sein, das er deshalb spricht, weil der Vater es ihm geoffenbart hat. Als er aber das große Wort sprach, mit dem er sich Jesus ganz ergab, da empfing er auch die Antwort Jesu, die seinem Bekenntnis die Gewissheit gab. Als er zum Beginn seines Leidens nach Jerusalem kam, rief nicht er selbst in die Stadt hinein: Siehe, dein König kommt zu dir. Das war das Amt seiner Jünger; ihre Pflicht war es, mit lautem Ruf den zu ehren, der im Namen Gottes kommt. Als aber seine Feinde ihm zumuteten, dass er sie schweigen heiße, sahen sie zu ihrer Überraschung, dass ihr Bekenntnis ganz und gar das seine war. So handelt er nun auch vor dem Rat. Er schwieg und nötigte dadurch Kaiphas zum Sprechen. Sage du, was du als mein Ziel und Amt erkennst! Und als er den Namen sprach, neben dem es keinen höheren Namen gibt, antwortete er: So ist es, wie du es sagst. Das war nicht eine absonderliche Eigentümlichkeit Jesu, sondern kam aus seinem Amt, dass er der Zeuge für die Wahrheit ist. Die Wahrheit spricht selbst für sich und das Licht scheint durch sich selbst, und Jesu Amt ist es, dass er durch sein Zeugnis die Wahrheit dem bestätige, der sie kennt. Das ist auch heute sein Gebot an seine Christenheit. Schweigend in stiller Verborgenheit tut er sein Werk: sagt ihr, was ich bin. Es ist die Sache seiner Christenheit, seinen Namen zu nennen und ihn zu verkündigen. Wenn wir uns aber zu ihm bekennen, so sagt er: ihr nennt mich Meister und Herr; ich bin es auch; ihr glaubt es mir, dass ich in meiner Gottheit bei euch bin; es ist so, wie ihr es sagt; ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.
Dich zu bekennen, ist, Herr Christus, der selige Beruf deiner Christenheit. Wie wir uns zu Dir bekennen, bekenne Dich auch zu uns. Gib uns zu Deinem Wort Deine Kraft, die es wahr macht, und zu unserem Dienst Deinen Geist, der ihn heilsam macht. Amen.

Jesus sprach zu Kaiphas: „Von nun an wird es geschehen, dass ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ Da zerriss der Hohepriester seine Kleider und sprach: „Er hat Gott gelästert.“
Matthäus 26,64+65

Der Priester stand vor dem Priester, der Priester des alten Bundes vor dem des neuen Bundes. Für den alten war der neue Priester eine Gestalt, vor der er erschrak, so dass er sein Kleid zerriss. Das war die Gebärde angstvollen Erschreckens und tiefster Trauer. War es nur Gebärde? Der alte Priester verstand sich auf Schauspielerei. Er stellte den Priester nur dar, ohne es in Wahrheit zu sein. Sein Priesteramt war seine Rolle, die er so zu spielen gelernt hatte, dass er Eindruck machte. Wer sieht aber in die Herzen hinein? Grund, erschrocken zu sein, hatte Kaiphas in der Tat. Denn im neuen Priester stand etwas völlig Neues vor ihm, was er sich nicht erklären konnte. Es ist die Pflicht des Priesters, dass er die Ehre Gottes wahre. Beide taten es in ihrer Weise. „Nun ist der Vater verklärt“, sagte Jesus, als Er sein Leiden begann. „Er lästert Gott“, sagte Kaiphas, als ihm Jesus seine Frage nach seinem königlichen Recht und seine Sohnschaft Gottes bejahte. Nach dem Urteil des Kaiphas war die Ehre Gottes auch die seines Priesters und in der Macht des Priesters ward Gottes Große offenbar. Denn sein Gott war die Macht. Bei Jesus ward Gottes Ehre dadurch offenbar, dass er gefesselt war und verurteilt wurde und zum Kreuz ging. Auch er bekannte sich zur Macht Gottes und gab ihr eine Herrlichkeit, die sich über den rationalen Gedankengang eines Sadduzäers weit erhob. Denn er sprach in den Banden von seiner Erhebung zu Gottes Thron und, als er gerichtet wurde, von seinem weltrichterlichen Amt. Aber sein Gott gibt seinem Priester nicht nur die Macht, sondern verlangt den Gehorsam von ihm, der allem entsagt und dennoch an Gott festhält. Er stellte vor die Erhöhung die Erniedrigung, vor die Verherrlichung die Entsagung, vor die Herrschaft den Gehorsam. Hatte Kaiphas nicht Grund zu erschrecken? Christus zu sein und alles zu leiden, Sohn zu sein und allem zu entsagen, alles herzugeben und eins mit Gott zu sein, das hieß Kaiphas unmöglich und nicht nur dies, er hieß es einen finsteren Gedanken, eine Entstellung des Gottesbilds, eine Verzerrung des göttlichen Willens ins Schreckliche. Er dachte, wie der Mensch denkt, der Gott gern für seine Zwecke benützt, und Jesus dachte, wie der Sohn denkt, der den Vater ehrt und in Ihm bleibt, weil er der Vater ist.
Für Dich, Herr Jesus, war der Psalm geschrieben: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachteten, so bist doch Du meines Herzens Fels und mein Teil. Weil dies durch dich zur Wahrheit geworden ist, bist Du unser Friede und unsere Gerechtigkeit. Amen.

Kap. 27

Indem sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen von Kyrene mit Namen Simon und zwangen ihn, dass er ihm sein Kreuz trug.
Matthäus 27,32

Weil die Soldaten nicht rasch genug vorankamen, solange Jesus sein Kreuz selber trug, packten sie einen Juden, der herzukam, und legten ihm das Kreuz Jesu auf. Auf einen fremden Mann legten sie den Hohn, dass er dem König der Juden dadurch dienen dürfe, dass er sein Kreuz für ihn trug, nicht auf einen der Jünger. Kein Jünger war zur Stelle. Jesus trug sein Kreuz allein Es wäre nichts Ungewöhnliches gewesen, wenn mit Jesus zugleich einige seiner Jünger an Kreuze gehängt worden wären. Wenn der Statthalter eine gegen Rom kämpfende Schar überwältigt hatte, geschah es nicht selten, dass er zugleich mit ihrem Führer auch seine Anhänger kreuzigte. Jesus hat aber seine Jünger geschützt und nicht zugelassen, dass sie an seinem Kreuz Anteil hatten. Er selbst hatte sie jetzt von sich weg in die Ferne gestellt. Beim letzten Gang Jesu entsprang einzig seine völlige Einsamkeit der Wahrheit. Jetzt war er der Eingeborene, der Einzige, neben den sich keiner stellen konnte, auch nicht einer der Seinen. Sein Gehorsam war etwas ganz anderes als das, was wir um Gottes willen tun, und sein Opfer nicht mit dem zu vergleichen, was wir unseren Gottesdienst heißen.
Darum stand ihm in seiner letzten Stunde niemand bei und kein zweiter Name wird jetzt gehört. Nicht mit den Jüngern trug er sein Kreuz, sondern für sie, nicht als einer der vielen, die um Gottes Willen sterben, sondern für die Vielen, die nicht imstande sind, für Gott zu leben, und darum auch unfähig sind, für Gott zu sterben. In seiner völligen Einsamkeit, die Ihn von allen trennte, hatte es Jesus nur noch mit Gott zu tun, mit der Offenbarung seiner Gerechtigkeit, die die Schuld enthüllt, richtet, vergibt und das ewige Leben wirkt.
Auch ich sehe aus weiter Ferne und tiefer Tiefe zu Dir empor, Herr Jesus. Du allein weißt, was Gehorsam ist, Du allein kennst die Liebe; Du allein ehrst Gott; Du versöhnst. Beschirmt und geheiligt durch den Frieden, den Du am Kreuz erworben hast, stehe ich vor Dir und bitte Dich, dass Dein Friede bei mir bleibe in allem, was ich tue, Tag um Tag. Amen.

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