Sander, Immanuel Friedrich - Reformationspredigt, gehalten im Jahr 1823 zu Wichlinghausen im Wupperthale

Sander, Immanuel Friedrich - Reformationspredigt, gehalten im Jahr 1823 zu Wichlinghausen im Wupperthale

Wenn wir heute mit heiliger Freude vor dem Herrn erscheinen, um Ihm dafür zu danken, daß Er aus der Finsternis und Gewalt des Papstthums durch seine treuen Knechte, die Reformatoren, uns erlöset hat, so müssen wir zugleich erstaunen, wie es nur möglich war, daß das Heilige so entheiligt werden konnte, und die Kirche Christi, zur herrlichsten Freiheit berufen, in die schimpfliche Gefangenschaft gerathen konnte, in der wir sie vor der Reformation finden. Mitten in unserer Freude müssen wir darüber trauern, daß der Mensch so tief fallen, und das Herrlichste, was ihm gegeben war zum Leben, zu seinem Gerichte mißbrauchen kann.

Um zu begreifen, wie es möglich war, daß eine solche Macht, wie die des Papstthums, sich in der Christenheit erheben konnte, daß ein armer Mensch statt Christi und seines Wortes über die Gewissen der Menschen zu herrschen sich anmaßte, müssen wir bis in die ersten Zeiten des Christenthums zurückgehen.

Dann werden wir erkennen, wie das Papstthum ein Gebäude war und ist, an dessen Erbauung der Aberglaube, die Schwärmerei, Unglaube, List und Gewalt Jahrhunderte lang gearbeitet haben. Schon Paulus sagt, daß sich zu seiner Zeit das Geheimnis der Bosheit heimlich rege. Falsche Apostel und Lügenpropheten suchten sich in die Gemeinden einzuschleichen, und erregten da allerlei Verwirrungen, indem sie die Apostel verläumdeten, und die Satzungen des Judenthums und dessen Pomp und die pharisäische Werkgerechtigkeit wieder zu Ehren bringen wollten. So z. B. in Galatia.

Andere kamen und brachten die Keime des Mönchthums mit sich, indem sie nach eigner Wahl einhergingen in Demuth und Geistlichkeit der Engel, daß sie nie keinen gesehen hatten, und waren aufgeblasen in ihrem fleischlichen Sinn - und hielten sich nicht an das Haupt, an Christum, und verschonten des Fleisches nicht. -

Andere kamen und wollten den Heiden das Evangelium annehmlicher machen, indem sie es mehr mit der Philosophie vermischten wider Pauli Rath, Coloss. II, 8. - Viele wichen so von der ursprünglichen Einfalt, indem sie das Wort vom Kreuze mit hohen und künstlichen Worten schmücken und zieren wollten, und fingen an den Glauben auf menschliche Weisheit zu bauen. Früh fing auch hie und da ein Vorsteher, ein Bischof einer Gemeinde an sich über die Brüder zu erheben, und nach einer Herrschaft zu trachten, die Jesus geradezu seinen Jüngern verboten hatte. Alles dies gehörte zu den heimlichen Regungen der Bosheit, und bahnte dem Papstthume den Weg.

Freilich mußte es ein heimliches Regen bleiben, es konnte nicht allgemein werden, nicht offenbar hervorbrechen, so lange noch die Apostel und ihre ersten Nachfolger auf den Mauern Zions als Wächter standen, so lange die Kirche Christi noch so viel von der ersten Liebe hatte, daß sie um derselben willen die Welt und ihre Herrlichkeit nicht achtete, nach ihr nicht verlangte, nicht gute Tage hier suchte, sondern williglich Christo das Kreuz nachtrug, und durch viele Trübsale, durch Leiden, Verfolgungen und Märtyrerthum ihrem Herrn nachfolgte. So lange dieser Geist der Kraft und der Liebe noch in der Kirche Christi war, da war auch der Geist der Zucht noch da, daß jene Irrgeister, jene Wölfe und Miethlinge nicht aufkommen, und wo sie ihr Wesen anfingen, es doch in die Länge nicht treiben konnten.

Als aber die Wächter schliefen, und nach dem Glanze der Welt sich sehnten, als der erste christliche Kaiser anfing das Reich dieser Welt mit dem Reiche Christi zu vermischen, als man anfing mit weltlichem Arm, mit bürgerlichen Strafen, mit Feuer und Schwert da zu entscheiden und zu richten, wo Gottes Geist bloß strafen darf, und wo es eines jeden Gewissen überlassen seyn muß, was er glauben will - da trieb man Scharen von Heuchlern in die Kirche, und die wahren Gläubigen aus der Kirche; da fiel Kirchenzucht und Kirchenregiment hin, da nahm der weltliche Sinn überhand in der Kirche; die Hirten und Lehrer wollten groß und angesehen seyn, suchten Gold und Ehre, zankten und stritten sich bis auf's Blut und versäumten unterdeß die Herde; eine Menge falscher Lehren schlichen sich ein, Judenthum mit seinen Schatten und Vorbildern und Heidenthum mit seinem Pomp und Glanz wurden in die Kirche eingeführt; man wollte die heilsame Lehre nicht mehr leiden, sondern lud sich Lehrer auf, nachdem ihnen die Ohren juckten, 2 Timoth. IV, 3.; - und so gelang es denn im Verlauf von etlichen Jahrhunderten dem Reiche der Finsternis durch Hülfe aller jener Irrlehren und Verderbnisse ein gar sonderbares Reich zu gründen, wo Kirche und Welt wunderlich vermengt war; ein Reich, wo Unwissenheit und Unbekanntschaft mit Gottes Wort, wo Heuchelei, Tyrannei, Grausamkeit, List und Gewalt sich vereinigten, die Christenwelt in die traurigste Sklaverei zu stürzen. - Da geschahe es, daß die Päpste sich eine Gewalt anmaßten, wie kein Apostel sie gehabt hatte - eine Gewalt als Nachfolger Petri, durch die sie sich fast Gott gleich stellten; ja sie ließen es sich gefallen, wenn man zu ihnen sagte: Dir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden und alle Völker werden dich anbeten; wie das auf einem Concil kurz vor der Reformation geschah. Ja so weit ging die Verblendung der Menschen, daß Doctoren des Kirchenrechtes sagten: Niemand dürfe den Papst fragen, was machst du, wenn er auch ganze Scharen mit sich in die Hölle nähme und viele Seelen verderbe.

Könige und Kaiser zitterten vor den Bannstrahlen des Papstes; denn wenn sie selbst auch nicht so abergläubisch waren, so thaten sie es doch aus Furcht vor ihrem Volke, das dem Papste und seinen getreuen Dienern, den Mönchen, anhängend folgte. Durch Gold und Silber und allerlei Büßungen wähnte man, sich den Himmel zu kaufen. Mit dem Vorgeben, als könne er nach Belieben den Himmel, die Hölle und das Fegefeuer öffnen und schließen, schreckte der Papst die Herzen des armen Volkes, das ohne Licht des Wortes Gottes und ohne Kraft war, und wo das nicht half, da waren Inquisition, Tortur und Scheiterhaufen bereit, jeden Widerspruch, jeden Zweifel an dieser päpstlichen Herrlichkeit zu rächen; unerträgliche Lasten legte die übermüthige Geistlichkeit dem armen Volke auf, und zehrte von seinem Marke. - Vergeblich hatten Völker und Fürsten das Joch zerbrechen wollen; große Concilien waren gehalten, und die ganze Christenheit, entrüstet über das ärgerliche Leben der Päpste und Mönche, hatte eine Verbesserung der Kirche an Haupt und Gliedern zu wiederholtenmalen verlangt; Völker, wie die Böhmen, hatten durch Ströme von Blut ihre Freiheit erkämpfen wollen - alles vergeblich; die Noth stieg immer höher, aber der Papst verstopfte seine Ohren jeder Bitte um eine Kirchenverbesserung, und wollte, wie Babel, seine Gefangenen nimmer los lassen. Da nun jedermann sah, daß Menschenbemühung hier nichts ausrichtet, daß weder die Macht der Mächtigen, noch die Weisheit der Weisen hier helfen konnte, da gefiel es Gott seinem Volke eine Erlösung zu senden; da gefiel es Gott durch ein geringes Werkzeug den ungeheuern Coloß, die Riesenmacht des Papstes zu bekämpfen, und diesem geringen Werkzeuge auch den Sieg zu geben. - Wir wollen jetzt näher betrachten, wie der Herr durch Luther und die Reformatoren das Papstthum angriff, und sehen, wie die Waffen, mit denen Luther und die Reformatoren stritten und überwanden, geistliche Waffen waren, Waffen, womit Gott selber sie ausgerüstet hatte.

Wir legen unserer Betrachtung zum Grunde die Worte des userwählten Rüstzeuges Gottes, Pauli, mit dem Luther eine so große Aehnlichkeit hat - die Worte 2 Cor. X, 4. 5.

Denn die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu verstören die Befestigungen, damit wir verstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebet wider das Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi.

Mit diesen geistlichen Waffen stritten die Apostel und ersten Christen, und damit überwanden sie die Welt; überwanden Juden und Griechen, hohen Rath, Pontius Pilatus, Herodes. Gold und Silber haben wir nicht, so sprach Petrus zu jenem Lahmen, aber Gottes Geist hatte er; und den Glauben, welcher Berge versetzt, den Glauben, daß er sagen konnte: Im Namen Jesu von Nazareth stehe auf und wandele. Gottes Wort war das Schwerdt des Geistes, womit die Apostel stritten; mit Gottes Wort überwand Petrus jene 3000, als er ihnen aus demselben zeigte, wozu Christus habe leiden und sterben müssen, und dann wieder auferstanden sei; mit demselben Worte bewiesen sie an allen Orten, in allen Synagogen, daß Jesus der Christ sey.

Waffen des Geistes waren es, mit denen die armen Fischer von Galiläa, die Zöllner und Teppichmacher auszogen und die Welt überwanden. Angethan mit den Harnisch Gottes, wie ihn Paulus (Ephes. VI.) beschreibt, gingen sie hin in alle Welt, und predigten das Evangelium, und pflanzten das Panier des Kreuzes an allen Enden auf, Selbst in dem weltbeherrschenden Rom, trotz aller Widersprüche; trotz aller Achtserklärungen der römischen Machthaber. Gegen sie, die wie Lämmer unter den Wölfen waren, zogen zu Felde jüdische Hohepriester, Scharen von Pharisäern und Schriftgelehrten, an allen Orten fast, wo sie hinkamen, erregten die Juden, die ihre eigne Gerechtigkeit aufrichten wollten, und denen es ein Greuel war, daß man durch den Glauben an Jesum, und nicht durch die Werke gerecht werden sollte, - überall erregten diese Aufstände gegen die Apostel, und schrieen von ihnen, diese sind es, die den Erdkreis verwirren: - aber das Wort vom Kreuze, und die Kraft des Heiligen Geistes in denen, die daran glaubten, überwand in den allen.

Je mehr die Juden tobten und raseten, je mehr sie die Apostel von einer Stadt zur andern verfolgten, desto mehr mußten sie dazu beitragen, die Lehre, die sie verfolgten, zu verbreiten. - Jerusalem ging unter und ward zertreten, aber immer herrlicher erhob sich über Jerusalems Trümmern Christi Kirche - immer herrlichere Siege erfochten die Jünger des Herrn, und triumphierend breitete sich Christi Kirche aus über alle Enden der Erde. - Merkwürdig ist bei diesen Verfolgungen, wie die Juden, die doch sonst die bittersten Feinde der Römer und der Heiden überhaupt waren, alsbald in einen Bund mit den so gehaßten und verachteten Heiden traten, wenn es galt Christi Kirche anzugreifen. Aber mochten auch Juden und Heiden sich verbinden, mochten zusammentreten Herodes, Pontius Pilatus und Caiphas, mochten griechische Weltweisen, wie jene in Athen (Apost. 17.), über die Predigt von Christo spotten, mochten ganze Städte, wie Ephesus vom thörichten Eifer für ihre Götzenbilder entbrannt, in Aufruhr gerathen über die Predigt des Evangelii, mochten sie alle mit Schwerdt und Stangen kommen, mochten sie mit allen Waffen, die nur diese Welt darreichen kann, gegen die Jünger des Herrn streiten, diese wurden doch nicht überwunden. Je mehr ihre Leiber gequält und gemißhandelt wurden, in Kerker und Bande geworfen, gegeißelt, getödtet - desto herrlicher offenbarte sich nur an ihnen und durch sie die Kraft Gottes, die in den Schwachen mächtig ist, die Kraft dessen, der als die Auferstehung und das Leben den Seinen verleihen kann, über Sünde, Tod und Schwachheit des Fleisches zu siegen.

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