Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 88. Psalm.

Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 88. Psalm.

1. Ein Psalmlied der Kinder Korah, vorzusingen, von der Schwachheit der Elenden. Eine Unterweisung Hemans, des Esrahiten. 2. HErr GOtt, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir. 3. Lass mein Gebet vor dich kommen, neige deine Ohren zu meinem Geschrei. 4. Denn meine Seele ist voll Jammer, und mein Leben ist nahe bei der Hölle. 5. Ich bin geachtet gleich denen, die zu der Hölle fahren; ich bin wie ein Mann, der keine Hilfe hat. 6. Ich liege unter den Toten verlassen, wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen, derer du nicht mehr gedenkst, und sie von deiner Hand abgesondert sind. 7. Du hast mich in die Grube hinunter gelegt, in die Finsternis und in die Tiefe. 8. Dein Grimm drückt mich, und drängst mich mit allen deinen Fluten, Sela. 9. Meine Freunde hast du ferne von mir getan, du hast mich ihnen zum Gräuel gemacht. Ich liege gefangen, und kann nicht auskommen. 10. Meine Gestalt ist jämmerlich vor Elend. HErr, ich rufe dich an täglich, ich breite meine Hände aus zu dir. 11. Wirst du denn unter den Toten Wunder tun? Oder werden die Verstorbenen aufstehen und dir danken? Sela. 12. Wird man in Gräbern erzählen deine Güte, und deine Treue im Verderben ? 13. Mögen denn deine Wunder in der Finsternis erkannt werden? Oder deine Gerechtigkeit im Lande, da man nichts gedenkt? 14. Aber Ich schreie zu dir, HErr, und mein Gebet kommt frühe vor dich. 15. Warum verstößt du, HErr, meine Seele, und verbirgst dein Antlitz vor mir? 16. Ich bin elend und ohnmächtig, dass ich so verstoßen bin; ich leide dein Schrecken, dass ich schier verzage. 17. Dein Grimm geht über mich, dein Schrecken drückt mich. 18. Sie umgeben mich täglich wie Wasser, und umringen mich mit einander. 19. Du machst, dass meine Freunde und Nächsten und meine Verwandten sich ferne von mir tun, um solches Elends willen.

Der 88. Psalm hat 1) die umständliche Überschrift: Ein Psalmlied der Kinder Korah, vorzusingen, von der Schwachheit der Elenden. Eine Unterweisung Hemans des Esrahiten. Das Sonderbarste an diesem Psalm ist, dass er der einzige ist, der in lauter Klagen besteht, auf welche gar kein Trost erfolgt ist. Wem in seinem bisherigen Glaubenskampf noch nichts so vorgekommen, der kann doch aus einem solchen Wort auf zukünftigen Gebrauch eine Unterweisung nehmen. Es kann einem oft nach fünf bis sechs Jahren etwas oder erst auf dem Totenbette noch wohl kommen. Manche deuten den Psalm, als ob er in der Person Christi des Anfängers alles Glaubens geredet worden wäre, wobei aber doch diejenige nicht auszuschließen, die vor und nach der Leidenszeit Christi Seinem Bilde ähnlich, und als Glieder an Ihm dem Haupt in die Gemeinschaft Seiner Leiden auch hineingezogen werden. Der Psalm hat vier Hauptteile. 2) Das gepresste Herz hält erstlich sehnlich um Erhörung seines Gebets an, V. 2-4. 3) Sodann beschreibt er seine Todesangst und übrige Bedrängnis aufs Beweglichste, V. 5-8.; erzählt 4) wie er allerlei Übungen und Bemühungen, sich aufzuraffen, vorgenommen, V. 9-14. Zuletzt aber gibt er zu verstehen, wie Alles vergeblich sei, und er in seinem Elend stecken bleibe, V. 15-19. Weil in diesem Psalm nichts vorkommt, wie sonst in den Bußpsalmen, das eine Vermutung auf besondere Verschuldungen gäbe, womit das gepresste Herz sich solche Not zugezogen hätte; so gehören diese ausnehmenden Demütigungen mehr in die Zahl derjenigen Versuchungen, die GOtt über manche Seiner Kinder und Gnaden-Genossen, die Er zu Seinem Reich tüchtig machen will, kommen lässt, und darunter manche heilsame Absichten ausführt, z. E. es gibt unter solchen Erfahrungen vom Feuereifer GOttes eine tiefere Erkenntnis es natürlichen Verderbens, es werden allerlei im Herzen steckende Zweifel aufgerüttelt, die gründlicher geheilt werden können, wenn sie heraus kommen, als wenn sie in uns stecken bleiben. Man bekommt eine größere Achtung vor dem Heil GOttes, vor der Erlösung aus der Sünde, und allem Übel. Es wird mancher Verstand und Aufmerksamkeit aufs Wort GOttes geschärft und erweckt. Die Inbrunst im Gebet wird unterhalten, die Geduld bekommt ihr völliges Werk, wenn man zwar immer im Zagen ist, aber doch Kraft findet, auszuhalten; die Welt wird einem desto mehr entleidet, das Vertrauen auf Menschen abgeschmelzt, das mitleidige Herunterlassen zu den Niedrigen gefördert, der Glaube zu reinerer Absicht auf GOtt allein geläutert usw., dass man also wohl selig preisen darf, die dergleichen Zucht erdulden, damit sie GOttes Heiligkeit erlangen.

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autoren/r/rieger_k/rieger-psalmen-psalm_88.txt · Zuletzt geändert: von aj
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