Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 74. Psalm.
1. Eine Unterweisung Assaphs. GOtt, warum verstößt du uns so gar? Und bist so grimmig zornig über die Schafe deiner Weide? 2. Gedenke an deine Gemeine, die du von Alters her erworben, und dir zum Erbteil erlöst hast, an den Berg Zion, da du auf wohnst. 3. Tritt auf sie mit Füßen, und stoße sie gar zu Boden. Der Feind hat Alles verdorben im Heiligtum, 4. Deine Widerwärtigen brüllen in deinen Häusern, und sehen ihre Götzen darein. 5. Man sieht die Äxte oben her blicken, wie man in den Wald haut; 6. Und zerhauen alle seine Tafelwerke mit Beil und Barten. 7. Sie verbrennen dein Heiligtum, sie entweihen die Wohnung deines Namens zu Boden. 8. Sie sprechen in ihrem Herzen: Lasst uns sie plündern. Sie verbrennen alle Häuser GOttes im Lande. 9. Unsere Zeichen sehen wir nicht, und kein Prophet predigt mehr, und kein Lehrer lehrt uns mehr. 10. Ach GOtt, wie lange soll der Widerwärtige schmähen, und der Feind deinen Namen so gar verlästern? 11. Warum wendest du deine Hand ab, und deine Rechte von deinem Schoß so gar? 12. Aber GOtt ist mein König von Alters her, der alle Hilfe tut, so auf Erden geschieht. 18. Du zertrennst das Meer durch deine Kraft, und zerbrichst die Köpfe der Drachen im Wasser. 14. Du zerschlägst die Köpfe der Walfische, und gibst sie zur Speise dem Volk in der Einöde. 15. Du lässt quellen Brunnen und Bäche; du lässt versiegen starke Ströme. 16. Tag und Nacht ist dein; Du machst, dass beide Sonne und Gestirn ihren gewissen Lauf haben. 17. Du setzt einem jeglichen Lande seine Grenze; Sommer und Winter machst Du. 18. So gedenke doch des, dass der Feind den HErrn schmäht, und ein törichtes Volk lästert deinen Namen. 19. Du wollest nicht dem Tier geben die Seele deiner Turteltaube, und deiner elenden Tiere nicht so gar vergessen. 20. Gedenke an den Bund; denn das Land ist allenthalben jämmerlich verheert, und die Häuser sind zerrissen. 21. Lass den Geringen nicht mit Schanden davon gehen; denn die Armen und Elenden rühmen deinen Namen. 22. Mache dich auf, GOtt, und führe aus deine Sache; gedenke an die Schmach, die dir täglich von den Toren widerfährt. 23. Vergiss nicht des Geschreies deiner Feinde; das Toben deiner Widerwärtigen wird je länger je größer.
Der 74. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Eine Unterweisung Assaphs. Nun sind solche Umstände, dergleichen in diesem Psalm beschrieben werden, zu Assaphs Zeiten nicht vorgekommen; mithin ist es von ihm in einem prophetischen Geist, als eine Unterweisung auf künftige Zeit, gestellt worden. Man kann auch nicht sagen, dass bei der babylonischen Gefangenschaft und der damaligen Zerstörung Jerusalems und des Tempels gerade in Allem so verfahren worden sei, wie im Psalm steht; sondern es scheint vielmehr, der Psalm fasse mehrere trübselige Zeiten in Einen Anblick zusammen, und gebe eine Unterweisung, wie die Gläubigen unter allerlei Notstand der Kirche, wenn es das einemal so, das anderemal anders hergehe, ihre Herzen vor GOtt ausschütten, und ihr Vertrauen auf GOttes Bund behaupten sollen. In solcher Absicht führt dann der Psalm 2) eine bittere Klage über den mannigfaltigen Jammerstand, darein das Volk GOttes gekommen sei, V. 1-11. 3) Der Glaube wendet sich, und sucht GOtt auch unter den Gerichten bei Seinem Bund zu fassen, und sich durch Betrachtung der großen Taten GOttes zu erwecken, auch hierin der Hilfe GOttes doch gewärtig zu sein, V. 12-23. Fürchte dich nicht, liebes Land, sondern sei fröhlich und getrost, denn der HErr kann auch große Dinge tun, ist der Zuspruch beim Propheten Joel 2,21.; wenn man den Menschen ihre Heldentaten und Taten durchgeht, so lauft das in das Mehrste aufs Verderben hinaus, wie der erste Teil des Psalmen klagt. Wenn man aber die großen Taten GOttes ansieht, so geht das Meiste aufs Wohltun und Erretten der Menschen. Auch das, was Gerichtliches und zum strafen dazu kommt, ist doch auf Errettung der Unterdrückten angesehen, und also in ihrem Betracht eine Hilfe. O, wie sollte sich GOtt durch alle Hilfe, die Er schon getan, einen Namen bei uns gemacht haben, dass wir Ihm über Alles trauten, und Ihn auch unter den Gerichten doch noch bei Seinem Bund fassten!