von der Recke, Elisa - Am Grabe geliebter Freunde.

von der Recke, Elisa - Am Grabe geliebter Freunde.

Du, o Vater des Lebens! Quelle aller Liebe, Du senktest tief in die Menschenbrust das süße Bedürfnis des wechselseitigen Wohlwollens; dieses Vorgefühl, dieses Unterpfand eines höheren Lebens, wo ein unendliches Band der Liebe die seligen Geister umschlingt. Reichlich hast Du, erhab'ner Wohltäter! mein Leben überschüttet mit den höheren Freuden, deren Quelle in edlen Menschenherzen entspringt.

Du hast mir weise Freunde zugeführt, deren Umgang mein geistiges Leben verschönerte und erhob, Ersatz und Trost mir gewährte, wenn Menschen für sinnliches Wohlsein die Würde des Menschen entstellten, wenn Täuschung und Trug mich schmerzhaft berührten. Jene Edlen begleiteten mich, gleich Schutzengeln, in den labyrinthischen Gängen meiner irdischen Laufbahn, bald zurechtweisend auf zweifelhaftem Pfade, bald warnend vor gefahrvollen Stellen.

Viele von diesen Unvergesslichen wandeln nicht mehr mir zur Seite: sie haben das Ziel erreicht jenseits der geheimnisvollen Nacht der Verwesung; ich stehe noch diesseits, und schaue weinend hinüber. Vergib, o Vater! vergib Deinem schwachen Kinde die Träne! Geist der heiligen Liebe, Du hattest hier mit diesen Unvergesslichen mich vereinigt, und hast sie wieder von meiner Seite genommen. Ihre Gestalten umgeben mich nicht mehr; aber die Bilder ihres Lebens treten frisch und ungetrübt vor meinen Geist, und leuchten auf den Pfad meines Wandels, und sprechen Worte des Trostes und der Erhebung zu meiner bekümmerten Seele, auf dass ich ihnen nachstreben möge auf dem Wege zur Vollendung. Ihre Sanftmut, ihre Milde, ihre Nachsicht mit ihren Mitmenschen, ihre Tugenden alle sollen immer mehr und mehr die meinigen werden, bis auch meine letzte Stunde schlägt, und Du, o Ewiger, mich heimführst zu der Ruhe, wo der Purpur, und jeder irdische Glanz abfällt; wo nichts unsterblich ist, als die Tugend. Die Gräber meiner teuren Entschlummerten sollen mir geweihte Stätten der Aufforderung sein, mit Ernst und Strenge mein Leben zu prüfen, heilige Gelübde zu erneuern, und immer zu bedenken, wie kurz der Tag ist, wo wir zu wirken haben.

Eng ist des Lebens Raum und schnell
Ist unsre Frist vollendet:
Dem Frommen ist die Aussicht hell,
Wo sich dies Leben endet.
Fromm nimmt er an, was Gott ihm schickt,
Er freut sich dieser Welt, und blickt
Auch jener froh entgegen.

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