Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das fünfte Wort.

Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das fünfte Wort.

Mich dürstet.
Joh. 19, 28.

Es folgt in der Ordnung das fünfte Wort des gekreuzigten Jesu, welches beschrieben steht Joh. 19, 28. 29.: „Darnach, als Jesus wußte, daß schon alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllt würde, spricht er: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber fülleten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysopen, und hielten es ihm dar zum Munde.“ In dem vorhergehenden vierten Worte hatte der Herr Jesus seinem himmlischen Vater das Leiden seiner geängsteten und alles Trostes beraubten Seele geklagt; in diesem fünften Wort ruft er vor den Ohren Gottes und der Menschen den Durst seines ausgezehrten und entkräfteten Leibes aus. Denn da wir nicht nur die Kräfte unserer Seelen, sondern auch die Glieder unseres Leibes zum Dienst der Sünde und zu Waffen der Ungerechtigkeit dargegeben hatten, so mußte unser Bürge auch an Leib und Seele zugleich die allerschmerzlichsten Empfindungen ausstehen. Wir haben aber bei diesem fünften Worte Christi zu sehen

I. Auf die Ursache, die ihn bewogen, dieses Wort auszusprechen;
II Auf das Wort selbst, und
III. Auf dasjenige, was daraus erfolgt ist.

I. Auf die Ursache, die ihn bewogen, dieses Wort auszusprechen

Was erstlich die Ursache betrifft, die Christum bewogen, dieses Wort auszusprechen, so war solche die heilige Begierde des Herrn Jesu, die Schrift zu erfüllen, welche von Johannes mit den Worten ausgedrückt wird: „Daß die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet.“

Es hatte nämlich der prophetische Geist den Durst unseres leidenden Erlösers theils durch Vorbilder vorher abgeschattet, theils durch deutliche und klare Weissagung vorher verkündigen lassen.

Zu den Vorbildern gehört zuerst Simson, welcher in vielen Stücken, besonders so fern er ein Nasiräer und Verlobter des Herrn war, unsern Heiland vorgestellt hat. Von demselben heißt's im Buch der Richter 15, 18.: „Da ihn aber sehr dürstete, rief er den Herrn an und sprach: Du hast solch großes Heil gegeben durch die Hand deines Knechtes, nun aber muß ich Durstes sterben und in der Unbeschnittenen Hände fallen.“ Dieser heftige Durst Simsons, welchen er empfunden, nachdem er tausend Philister mit dem Kinnbacken eines Esels erschlagen hatte, ist anzusehen als ein Bild von demjenigen Durst, welchen Jesus Christus, den alle Nasiräer des alten Testaments vorgebildet haben, empfinden würde, wenn er das Reich des Satans zerstören und nicht etwa tausend Philister, sondern ganze Legionen feindseliger Geister, sammt ihrem Anhange, durch geringe und vor der Vernunft verächtliche Waffen schlagen und seinem Volke das allergrößte Heil erweisen würde.

Es gehört ferner dahin der Durst Davids, der auch als ein Vorbild Christi anzusehen, dessen Durst 2 Sam. 24, 15. beschrieben wird: „Und David war lüstern“, oder vor Durst begierig, „und sprach: Wer will mir zu trinken holen des Wassers aus dem Brunnen zu Bethlehem unter dem Thor?“ Das ist, o daß ich jetzt einen frischen Trunk aus dem Brunnen zu Bethlehem haben möchte!

Es war aber auch dieser Durst Christi in deutlichen Weissagungen vorher verkündigt. Im 22. Psalm wird der von Gott verlassene Messias also redend eingeführt V. 15. 16.: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennet, mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzen Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebet“ (vor Durst) „an meinem Gaumen.“ Und im 69. Psalm im 22. V. heißt es: „Sie geben mir Essig zu trinken in meinem großen Durst.“

Damit nun diese Weissagungen der Schrift erfüllt werden möchten, so hat der Herr Jesus diesen Durst nicht nur empfinden, sondern auch durch dieses Wort „mich dürstet!“ öffentlich bekannt machen wollen. Er hätte ja solchen peinlichen Durst, wie manche andere Stücke seines schweren Leidens, als ein stilles Lamm verschweigen können, zumal da er wohl vorher wußte, daß man ihm anstatt eines Labetrunkes Essig reichen würde. Aber er wollte sich lieber zu einem sauren Essigtrank bequemen, als durch sein Stillschweigen Gelegenheit geben, daß von demjenigen, was die Schrift von ihm vorher verkündigt hatte, der geringste Buchstabe unerfüllt bliebe.

So war demnach dieses die Hauptursache, die unsern Heiland bewogen hat, dieses Wort auszusprechen, weil er nämlich durch diese Anzeigung seines Durstes seinen Feinden Gelegenheit geben wollte, dasjenige in's Werk zu richten, wozu sie nicht etwa durch einen geheimen göttlichen Trieb, noch durch eine unvermeidliche Notwendigkeit gezwungen wurden, sondern was der heilige Geist vorhergesehen, daß sie es nach dem Triebe ihrer eigenen Bosheit vollbringen würden, und weil er solches vorhergesehen, es auch in der Schrift aufzeichnen und vorhersagen lassen.

Hieraus mögen wir denn zu unserer Beschämung lernen, was für eine besondere Hochachtung gegen die heilige Schrift in dem Herzen Jesu Christi bis auf den letzten Augenblick seines Lebens gewesen, indem er sich nicht weigerte, ein neues Leiden zu übernehmen, damit nur die Schrift an ihm erfüllt und durch solche Erfüllung die Wahrheit ihrer Weissagungen bestätigt würde. So müssen denn ja diejenigen nicht von dem Geiste Jesu Christi, sondern von einem widerchristlichen Geiste getrieben werden, welche durch allerlei freie und freche Reden genugsam zu erkennen geben, was für ein verächtliches Buch die Bibel in ihren Augen sei. Wer nun ein Fünklein Ehrerbietigkeit gegen das Wort des lebendigen Gottes in seiner Seele hat, der muß gewiß erstaunen, wenn er gewahr wild, wie diese Art der Gottlosigkeit heutzutage überhand nimmt, und auch wohl auf Universitäten als eine schädliche Pest grassirt. Wer nur ein wenig klüger sein will, als der sogenannte gemeine Pöbel, der kündigt der Schrift den Krieg an und will sie durch allerhand leichtsinnige und verwegene Gespräche von dem Thron derselben Autorität, worauf sie Gott selbst gesetzt hat, herunterstürzen, indem er so viele Wiederholungen, so viele sich selbst widersprechende Stellen, so viele Unordnung darin anzutreffen meint, daß er sie unmöglich für Gottes Wort halten könne.

Wie demnach das wesentliche Wort Gottes, Jesus Christus, den Ungläubigen ein Stein des Anstoßes und ein Fels der Aergerniß ist, so ist auch das geschriebene Wort Gottes unzähligen Aergernissen unterworfen, und muß in manchen Stücken eben das erfahren, was das ewige Wort in den Tagen seines Fleisches erfahren hat. Ward Christus wessen seiner niedrigen Herkunft und geringen Gestalt verachtet, so wird die Schrift auch von hochmüthigen Geistern wegen ihrer einfältigen Schreibart, worunter doch, wie unter der Niedrigkeit Jesu Christi, eine göttliche Herrlichkeit hervorleuchtet, verachtet und verworfen. Ward Christus für einen Betrüger und Verführer gehalten, die Schrift muß von den Gottesläugnern eben diesen Vorwurf leiden. Ward Christus öfters zum Tode aufgesucht und dadurch genöthigt, sich zu verbergen, so hat die Schrift auch öfters versteckt werden müssen, wenn ein wüthender Antiochus Epiphanes (1 Macc. 1,59.60;. c. 3, 48.), oder grausamer Diocletian dieselbe zum Feuer aussuchen ließ. Wurde derjenige von den Juden in den Bann gethan, der Christum bekannte, so wird derjenige im Papstthum für einen Ketzer erklärt, der ohne Erlaubniß die heilige Schrift liest. Ward Christus in seinem Leiden mißhandelt und endlich zum Tode verurtheilt und befördert, so ist auch die heilige Schrift öfters von den Feinden zerrissen, mit Füßen getreten, zum Feuer verurtheilt und durch Henkerhände verbrannt worden. So hat die Schrift auch ihre Marterwoche in der Welt, gleichwie Christus die seinige gehabt. „Die heilige Schrift“, spricht davon der sel. Luther, „ist Gottes Wort, geschrieben und in Buchstaben gebildet, gleichwie Christus ist das ewige Wort Gottes, in die Menschheit verhüllet. Und gleichwie Christus in der Welt gehalten und gehandelt ist, so gehets dem schriftlichen Gottesworte auch. Es ist ein Wurm und kein Buch gegen andere Bücher gerechnet. Denn solche Ehre mit studiren, lesen, betrachten, behalten und brauchen geschieht ihm nicht, wie andern Menschenschriften. Wird's ihm gut, so liegt's unter der Bank. Die Andern zerreißen's, kreuzigen's, geißeln's und legen ihm alle Marter an, bis sie es auf ihre Ketzerei, Sinn und Muthwillen deuten und dehnen, zuletzt gar verderben, tobten und begraben.“ Ach, der Herr behüte einen Jeden unter uns, daß er nicht also wider den Stachel lecke, noch den Sohn Gottes in seinem Worte auf's Neue verspotte und kreuzige. Laßt uns vielmehr von unserm sterbenden Erlöser lernen, wie wir Gottes Wort in Ehren halten und um desselben willen auch etwas zu leiden uns nicht entziehen sollen. Wer wollte sich nun weigern, die Schrift als die einzige Richtschnur seines Lebens und Wandels anzunehmen, da der Sohn Gottes selbst sie als einen Spiegel seines Lebens und Leidens beständig vor Augen gehabt?

II Auf das Wort selbst

Laßt uns aber nun das Wort Christi selbst betrachten, welches heißt: „Ich dürste“, oder „mich dürstet“. Wir finden zweimal im neuen Testament, daß unser Heiland in den Tagen seines Fleisches gedürstet und zu trinken gefordert habe. Das erste Mal geschah es Joh. 4, 6. 7., da es von ihm heißt: „Da nun Jesus müde“ (folglich auch durstig) „war von der Reise, setzte er sich also auf den Brunnen, und es war um die sechste Stunde“ (im Mittage). „Da kommt ein Weib von Samaria, Wasser zu schöpfen, und Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken.“ Das andere Mal aber geschah es an seinem Kreuz, wenige Augenblicke vor seinem Tode. Damals war er abgemattet von der Reise, hier war er auf dem Hingange zu seinem Vater, abgemattet von dem Gefühl des Zornes Gottes durch die Schmerzen des Leibes und durch die Arbeit seiner Seele. Jenen Durst empfand er in der sechsten Stunde des Tages, diesen Durst hat er nach der neunten Stunde empfunden, und ist derselbe anzusehen als ein Stück seines Leidens, welches er mit diesem Wort: „Mich dürstet!“ seinem himmlischen Vater vorhält und darstellt. Denn er redet darin nicht sowohl die Juden und Kriegsknechte an, deren Unbarmherzigkeit ihm wohl bekannt war, sondern er redet eigentlich seinen himmlischen Vater an und begehrt, daß derselbe dieses sein Lechzen und Verschmachten als ein Stück seiner Genugthuung für die Sünden der Welt ansehen und annehmen wolle.

Es hat aber dieser Durst des Herrn Jesu theils seine natürlichen, theils seine übernatürlichen und geheimen Ursachen.

Was die natürlichen Ursachen betrifft, so wissen wir aus der Passionsgeschichte, daß der Herr Jesus die ganze vorige Nacht schlaflos und den darauf erfolgten Tag in beständiger Unruhe und Ermüdung, ohne Essen und Trinken zugebracht hatte. Er war überdieß durch das häufige Blutvergießen am Oelberge, in der Geißelung, Krönung und Kreuzigung auf's äußerste entkräftet worden, Sein erschöpfter und abgematteter Körper hatte bereits über drei Stunden in der Luft nackt und bloß gehangen, und seine Seele war in der vorhergegangenen dreistündigen Finsterniß durch das Gift der Pfeile Gottes ausgesaugt und aller Kräfte beraubt worden. Daher war es denn kein Wunder, daß ihm die Zunge an dem Gaumen klebte, und daß ihm in diesem schweren Kampf mit Himmel und mit Hölle aller Saft entgangen und bei der heißen Gluth des Zornes Gottes vertrocknet war.

Was aber die geistlichen und geheimen Ursachen und Absichten dieses Durstes betrifft, so bahnen sie uns den Weg, das Geheimniß dieses Durstes desto tiefer einzusehen.

Zuvörderst 1) müssen wir uns dabei erinnern, daß wir im Paradies durch den Genuß der verbotenen Frucht von dem Daum der Erkenntniß Gutes und Moses eine unerlaubte Ergötzung gesucht und Brunnen gegraben, die Kein Wasser geben konnten. Durch diese „schändliche Verlassung der lebendigen Quelle“ hatten wir uns aller Erquickung Gottes auf ewig unwürdig und verlustig gemacht, und hingegen verdient, daß wir durch den peinlichsten Durst unaufhörlich gequält würden. Damit uns nun das Recht zu den verscherzten Erquickungen Gottes und der Zugang zu den Wassern des Lebens wieder erworben würde, so mußte der ewige Sohn Gottes, dessen Brünnlein sonst Wassers die Fülle haben, der da Brunnen quellen läßt in den Gründen, daß alle Thiere auf dem Felde trinken und das Wild seinen Durst lösche, Ps. 104, 10. 11. sich aller Erquickung begeben und vor Durst verschmachten.

Es steht 2) der Durst mit unter denjenigen Flüchen, welche Gott den Uebertretern seiner Gebote gedroht hat, 5 Mos. 28, 48.: „Du wirst deinem Feinde dienen im Hunger und Durst.“ V. 65.: „Der Herr wird dir geben eine verdorrete Seele.“ Ja es ist der Durst mit ein Stück von „den Martern der Hölle“, worin es der reiche Mann für eine große Wohlthat achten wollte, wenn Lazarus nur das äußerste seines Fingers ins Wasser tauchte und seine Zunge damit kühlte, Luc. 16, 24. Da nun Christus für uns ein Fluch geworden war, als er für einen Jeden den ewigen Tod schmeckte, so mußte er auch dieses Stück des Fluches, diesen peinlichen Durst der Verdammten, auf welchen keine Erquickung folgt, empfinden und ausstehen.

Er hat 3) durch diesen seinen Durst unseren sündlichen Durst nach den Scheingütern dieser Welt und nach den verbotenen Ergötzungen der Sünde büßen wollen, da die Menschen so oft nach der Sünde lechzen, wie ein Fußgänger, der durstig ist, und das nächste Wasser trinkt, das er kriegt, Sir. 26, 15.

Wie er 4) durch die Schmerzen seiner durchgrabenen Hände und Füße für alle sündliche Werke, die wir mit Händen und Füßen begehen, genug gethan hat, also hat er durch seine schmachtende Zunge für allen Mißbrauch unserer Zunge, besonders für das viehische Saufen, und für alle Verschwendung der Gaben Gottes büßen müssen. Da die Zunge der Menschen oft von der Hölle entzündet ist, daß sie den ganzen Wandel anzündet, Jak. 3, 6., so mußte die Zunge des Erlösers zur Strafe auch durch die Gluth der höllischen Flammen wie eine Scherbe ausgetrocknet werden.

Durch sein Schmachten hat er 5) heiligen wollen das leibliche Schmachten, welches öfters seine Gläubigen auf dem Wege seiner Nachfolge erfahren müssen, wie denn Paulus 1 Cor. 4, 11. und 2 Cor. 11, 27. den „Durst“ mitrechnet unter das Leiden, welches er bei der Ausbreitung des Evangeliums Jesu Christi hat ausstehen müssen. Es hat demnach unser mitleidige Hohepriester auch hierin versucht werden wollen, damit er aus eigener Erfahrung wüßte, wie einem armen, lechzenden und schmachtenden Christen zu Muthe sei, auf daß er theils ein desto herzlicher Mitleiden mit uns haben könnte, theils einen desto kräftigeren Trost uns zubereiten möchte, wenn wir seinem Bilde auch hierin ähnlich werden sollten.

Endlich 6) hat er uns dadurch die Gnade erwerben wollen, daß wir in unserm Durst nach der Gerechtigkeit mit den lebendigen Wassern, die aus dem Stuhl Gottes und des Lammes fließen, und mit Freudenströmen des heiligen Geistes erquickt werden Können. Deinem schmachtenden Mittler hast du es, o Seele, zu danken, wenn du mit David sagen kannst: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, er führet mich zum frischen Wasser, und erquicket meine Seele, er schenket mir voll ein“, Ps. 23, 1, 2. 3. 5. Ihm hast du zu danken die Hoffnung zu den Erquickungen des Paradieses, wovon es heißt Offenb. 7, 16.: „Sie werden nicht mehr hungern, noch dürsten, es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze. Denn das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen.“ O verschmachtetes Lamm Gottes, dir müsse für diese seligen Wirkungen deines schmerzlichen Durstes, wovon jetzt nur etwas gelallt worden ist, in der streitenden und triumphirenden Kirche Preis, Lob, Ehre, Dank und ewiges Halleluja von menschlichen und englischen Zungen gesungen werden!

Es war aber mit diesem leiblichen Durste Christi, wovon jetzt die natürlichen Ursachen angeführt sind, noch ein anderer geistlicher Durst verknüpft, und zwar erstlich ein Durst nach dem Trost und nach den Erquickungen Gottes, deren er bisher drei Stunden lang ermangeln mußte, da die Gottheit, mit welcher er persönlich vereinigt war, den Einfluß des empfindlichen Trostes in die Seele Jesu Christi zurückzog, welche daher gleich war einem Hirsche, der da schreit nach frischem Wasser, die da dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott, und sich sehnt, sein Angesicht wieder zu schauen. Er hatte zum Andern auch einen großen Durst nach unserer Seligkeit, wie solches in dem alten Liebe: Da Jesus an dem Kreuze stund, welches bereits vor der Reformation Luthers gemacht worden, und worin die Ordnung der Worte Christi eben nicht so genau beobachtet ist, im fünften Vers also ausgedrückt wird: Nun merket, was das vierte Wort was, mich dürft so hart ohn Unterlaß, schrie Gott mit lauter Stimme. Das menschliche Heil thät er begehrn, der Nägel ward er empfindend.„ Das Feuer der Liebe, welches in seinem Herzen brannte, hatte ihn in dieses sehnliche Verlangen nach der Verherrlichung des Namens Gottes und der Beförderung unserer Seligkeit gesetzt, dieß hat ihn so begierig gemacht, nun bald die letzte Hand an das Werk der Erlösung zu legen und durch Ein Opfer zu vollenden, die geheiligt werden sollen.

Und siehe, o Seele, hierin hast du deinen Erlöser anzusehen nicht nur als den Versöhner deiner Trägheit, der den Mangel deines Durstes nach der Gemeinschaft Gottes gebüßt, sondern auch als ein Exempel, wonach du eigentlich in deinem ganzen Leben dürsten sollst. Zuvörderst nach der Gnade Gottes, ohne welche alle andere Erquickungen, sie mögen Namen haben wie sie wollen, das unendliche Verlangen des Geistes nicht stillen können; dann aber auch, wenn dir Gnade von Gott widerfahren ist, nach anderer Seligkeit, dieselbe durch alle Mittel, welche dir Gott an die Hand gibt, zu befördern. Verbanne demnach allen sündlichen Durst nach der Ehre dieser Welt, nach vergänglichem Reichthum, nach befleckten Wollüsten aus deinem Herzen; bitte Gott, daß er dir dein Verderben aufdecken, dein schlafendes Gewissen ermuntern und was du mit deinen Sünden verdient, dir zu erkennen geben wolle, so wird sich bald dein Durst nach dem reinigenden Blute Jesu Christi, ein Durst nach den Verheißungen des Evangeliums, ein Durst nach der Gnade Gottes, nach der Gerechtigkeit des Mittlers und nach der Gemeinschaft des heiligen Geistes bei dir finden.

Da aber der Gekreuzigte noch dürstet in seinen armen, hungrigen und durstigen Gliedern, so befleißige dich, dieselben in ihrem Durst zu tränken und auf ihrem Krankenbette durch einen guten Trunk zu erquicken. Denn dein Heiland wird an jenem Tage nicht rühmen, wenn Jemand in seinem Namen geweissagt, Teufel ausgetrieben und andere herrliche Thaten gethan, sondern das will er preisen, wenn Jemand einen von seinen armen Brüdern gespeist und auch nur mit einem Trunk kalten Wassers, wenn er nichts anderes im Vermögen gehabt hätte, getränkt hat. Ja, da dein Erlöser diesen Durst für dich ausgestanden und dir dadurch die Wasser des Lebens erworben, da du noch sein Feind gewesen, so laß dich solches bewegen, auch „deinen Feind zu tränken, wenn ihn dürstet“, Röm. 12, 20., damit du dich also als ein Nachfolger Jesu Christi in der Liebe beweisen mögest.

III. Auf dasjenige, was daraus erfolgt ist.

Laßt uns aber auch endlich noch kurz sehen, was auf dieses Wort Christi erfolgt sei, und zwar 1) was darauf erfolgt sei auf Seiten der Menschen; 2) auf Seiten des Herrn Jesu.

Auf Seiten der Menschen folgt darauf eine schändliche und verfluchte Verspottung dieses Worts, welches das schmachtende Lamm mit so großer Wehmuth von seiner an dem Gaumen klebenden Zunge abgestoßen und gleichsam mit vielen Geburtsschmerzen zur Welt gebracht hatte. Es verspotteten aber seine Feinde dieses Wort theils mit der That, theils mit Worten.

Mit der That, indem ein Kriegsknecht einen Schwamm mit Essig, den die römischen Soldaten, als ihren ordentlichen Trank, mitgenommen hatten, angefüllt, denselben auf einen langen Ysopstengel steckte und Christo vor den Mund hielt, damit er den durch den Ysop noch mehr vergällten Essig in sich saugen und damit seinen Durst stillen sollte. Damit wurde denn erfüllt, was bereits vorhin aus dem 69. Psalm V. 22. angeführt ist: „Sie geben mir Essig zu trinken in meinem großen Durst.“ Das war also in der That eine Verspottung seines Durstes, indem dieser Bösewicht wohl wissen konnte, daß der Essig den Durst nicht stille, sondern vermehre.

Es wurde aber der durstende Heiland auch mit Worten verspottet, indem einige von den herumstehenden Juden sagten: „Halt, laß sehen, ob Elias komme, und ihm helfe“, wie Matthäus 27, 49. erzählt. So mußte denn zugleich auch das vorige allerkläglichste Wort des Herrn Jesu zum Gelächter gemacht werden, da er gerufen hatte: „Eli, Eli“, das ist, mein Gott, mein Gott, „warum hast du mich verlassen“, welches dieser Bube, der seine Sprache nicht verstehen wollte, also annahm, als ob er dem Elias gerufen, daß derselbe ihm etwas zu trinken bringe, oder die Nägel ausziehen und ihn vom Kreuz erlösen sollte. Daraus können wir lernen, wie unter dem Krenz Jesu Christi und seiner Glieder auch die allerdümmsten Köpfe, die sonst zu nichts taugen, ihre Einfälle und Erfindungen haben, und wie besonders der Spottgeist aus den Menschen Erfinder des Bösen, Röm. 1, 30., mache. Das erfolgte also auf Seiten der Menschen.

Auf Seiten unseres theuersten Heilandes aber erfolgte, daß er, wie Johannes im 20. Vers meldet, „den Essig zu sich nahm“, indem er seine dürren und aufgerissenen Lippen an diesen Schwamm legte und den Essig in sich saugte. Nachdem er lange gewartet, ob sein Durst Jemand jammern möchte, Ps. 69. 21, 22., so mußte er endlich mit dieser schlechten Erquickung vorlieb nehmen. Da er an's Kreuz befestigt werden sollte, bot man ihm auch einen Labetrunk an, der mit Myrrhen, Weihrauch und Gallen vermischt war; da er's aber schmeckte, wollte er's nicht trinken, Matth. 27, 34.. weil die Absicht der Soldaten war, ihn durch diesen häßlichen Trunk seiner Vernunft zu berauben und seinen Verstand zu verwirren, damit er sich ungeberdig stellen und zu seinem größeren Spott nichts als thörichte und ungereimte Dinge am Kreuz reden möchte, und sie also desto mehr Gelegenheit halten, ihren Scherz mit ihm zu treiben. Weil er aber nicht als ein rasender, sondern als ein vernünftiger Mensch sterben und sich an dir, o Seele, zu todt lieben wollte, so wollte er diese Erleichterung und Verkürzung der Marter, die ihm dadurch etwa hätte zuwachsen mögen, nicht annehmen. Diesen Essig aber hat er zu sich genommen und ist mit einem solchen sauren und herben Geschmack in den Tod hineingegangen, der wenig Minuten darauf erfolgte.

Durch diesen widrigen Geschmack hat er die Sünden des Geschmacks büßen wollen, da besonders reiche und wollüstige Leute ihr Vergnügen darin suchen, wenn sie durch allerlei delikate Speisen und fremde Weine ihrem verwöhnten Appetit ein Genüge leisten können; da denn öfters in einer Mahlzeit so viel verschwendet wird, daß viele arme Glieder Jesu Christi, viele Kranke und Elende dadurch erquickt werden könnten. Es hat ferner dieses mäßige Lamm Gottes alles Uebermaß im Essen und Trinken hiemit gebüßt. Das soll billig einem Jeden einen unauslöschlichen Eindruck in seine Seele geben, daß er, so lieb ihm die Gnade seines sterbenden Erlösers ist, sich so weit von aller Unmäßigkeit im Trinken entferne, daß er nicht nur kein tägliches Handwerk aus der Völlerei und Trunkenheit mache, sondern auch keinem Menschen zu Gefallen, noch auf die Gesundheit des größten Monarchen das Getränk überflüssig und aus purer Wollust in sich hineinschütte. Wer nun nicht aus Liebe zu dem gekreuzigten Jesu von dem verdammten Saufen ablassen will, da er denjenigen, von welchem er ein ewiges Leben erwartet, in seinem großen Durst mit Essig tränken sieht, der ist werth, daß er mit einer glühenden Zunge in ewigem Durste heulen soll.

Da endlich unser Heiland mit einem solchen unangenehmen Geschmack dem Tode entgegen gegangen ist, so hat er uns dadurch auch diese Gnade erworben, daß wir auf unserm Sterbebette durch einen angenehmen Vorgeschmack des Paradieses, so es uns für nützlich befunden wird, erquickt werden können. An diesen seinen Durst, worin er aller Erquickung ermangeln mußte, sollen wir in unsern letzten Stunden gedenken, wenn wir entweder leine irdische Erquickung mehr haben, oder doch derselben nicht länger genießen können. Da sollen wir uns denn mit gläubiger Zuversicht zu diesem unserm Heilande hinwenden und ihn bitten, daß er um seines Durstes willen unsere nach Trost lechzende Seele mit der Versicherung seiner Gnade erfreuen und sie dahin versetzen wolle, wo sie ewig nicht mehr dursten, sondern mit ewiger Wollust, als mit einem Strom, getränkt wird.

Gebet.

Nun, Du treuer und lebendiger Heiland, der Du am Kreuz gedürstet, nun aber eine Quelle lebendiger Wasser bist, bei welcher die durstigen Seelen Erquickung finden können, wir bitten dich, du wollest uns das Geheimniß deines Durstes in dem Lichte deines Geistes recht erkennen lassen und Gnade geben, daß auch dieses dein Wort, wie alle übrigen, lebendig und kräftig in unsern Seelen werden möge. Hat sich Einer oder der Andere etwa durch Ueberfluß und Verschwendung deiner Gaben oder gar durch Trunkenheit versündigt, so wollest du, o Herr, um solches deines Durstes willen solche schwere Sünde, welche vom Reiche Gottes ausschließt, ihm zu erkennen geben, damit er die Vergebung derselben in deinem Blute suchen und finden möge. Gib aber, daß wir uns nicht nur von solchem groben Wesen frei machen und enthalten, sondern daß auch die Begierden unserer Seele in die rechte Ordnung gebracht werden mögen, daß wir nicht mehr dürsten nach Geld und Gut, nach Ehre und Wollust dieser Welt, wodurch unser Durst nur mehr angezündet, nicht aber gelöscht und gestillt wird, sondern daß wir dürsten nach der Gerechtigkeit deines Reiches, nach den Reichthümern deines Hauses, nach dem Wasser des Lebens, welches diejenigen, die da dürstet, umsonst empfahen sollen. Gib einer jeden Seele, die noch das Unrecht in sich säuft wie Wasser, ihren elenden Zustand zu erkennen. Gib einer jeden Seele, in welcher Du den Durst nach deiner Gnade angezündet, eine Versicherung von ihrer wahrhaftigen Seligkeit. Und da auf dem Erdboden noch so viele Elende und Arme sind, die vergeblich Wasser suchen, und deren Zunge vor Durst verdorret, ach! so sei doch deiner Verheißung eingedenk, da Du gesagt hast, ich, der Herr, will sie erhören, ich, der Gott Israels, will sie nicht verlassen, sondern ich will Wasserflüsse auf den Höhen öffnen, und Brunnen mitten auf den Feldern. Ich will die Wüsten zu Wasserseen machen, und das dürre Land zu Wasserquellen. Jes. 4l, 17. 18. So thue denn, Herr Jesu, was du verheißen hast, laß von deinem Leibe Ströme des lebendigen Wassers fließen, und Alles, was durstig ist, im Reiche der Gnade und der Herrlichkeit getränkt werden um deines verdienstlichen Durstes willen. Amen!

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