Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das dritte Wort.

Rambach, Johann Jakob - Betrachtung über das dritte Wort.

Weib, siehe, das ist dein Sohn! Siehe, das ist deine Mutter!
Joh. 19, 26. 27.

Wir nehmen jetzt das dritte Wort unseres gekreuzigten Heilandes vor uns, welches Johannes, den es auch eigentlich angeht, allein bemerkt hat c. l9, 25-27., wo es heißt: „Es stunden aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, Cleophas Weib, und Maria Magdalena. Da nun Jesus seine Mutter sähe und den Jünger dabei stehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, das ist dein Sohn! Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“

In den zwei ersten Worten hatte unser Heiland eigentlich für arme Sünder gesorgt, und zwar in dem ersten für noch unbußfertige, denen er eine Buß- und Gnadenfrist bei seinem himmlischen Vater ausgebeten, in dem andern aber für einen bußfertigen Sünder, dem er die Thüre der Gnaden und des Paradieses geöffnet. Nun kommt er in dem dritten Wort auf seine Anverwandten, und besonders auf seine liebe Mutter, die er bei seinem Kreuz stehen sah, aus welcher Ordnung der Worte wir lernen mögen: 1) Daß unserm Heilande die armen Sünder mehr, als seine eigene Anverwandten am Herzen gelegen, und daß er der allerelendesten sich vor allen andern annehme und erbarme. 2) Daß auch wir geistliche und ewige Dinge den zeitlichen und vergänglichen vorziehen sollen. Sünder selig zu machen, war das eigentliche Werk Jesu Christi, welches ihm sein Vater anbefohlen hatte, da er ihn in die Welt gesendet. Dieses sein Werk mußte erst besorgt und ausgerichtet werden, ehe er an die leibliche Versorgung seiner Mutter gedachte, Laßt uns denn nach diesem heiligen Muster unser Gemüth dergestalt einrichten, daß wir auch vor allen Dingen nach dem Reich Gottes trachten und für unsere und Anderer Seelen sorgen, so wird uns das Uebrige zugeworfen werden, Matth 6, 33.

Wenn wir uns aber näher zur Betrachtung dieses dritten Wortes des Herrn Jesu wenden wollen, so haben wir

I. Die Gelegenheit, die ihm dazu gegeben worden, und
II. Den Inhalt desselben zu erwägen.

I. Die Gelegenheit

Die Gelegenheit zu diesem dritten Wort wird im 25. und 26. Vers beschrieben: „Es stunden aber“, oder eigentlich, es hatten schon eine Zeitlang „bei dem Kreuze gestanden, seine“ (Jesu) „Mutter, und seiner Mutter Schwester, Maria, Cleophas Weib, und Maria Magdalena. Da nun Jesus seine Mutter sähe und den Jünger dabei stehen, den er lieb hatte“ u. s. w. Es werden also im 25. Vers einige Personen gemeldet, welche bei dem Kreuze des Herrn Jesu gestanden. Im 26. Vers aber werden aus diesem Haufen zwei besondere Personen herausgenommen, welche die Gelegenheit gegeben, daß der Herr dieß Wort gesprochen.

Die erste war die Mutter des Herrn Jesu, Maria, welche hier ohne Zweifel dasjenige wird erfahren haben, was ihr der alte Simeon im Tempel prophezeit hatte, Luc. 2, 35.: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dringen.“ Ohne Zweifel ist ihr mütterliches Herz durch den Anblick ihres verblutenden und erbärmlich zugerichteten Sohnes so innig bewegt worden, daß es in Blut und Thränen gleichsam geschwommen ist. Wiewohl wir nicht lesen, daß sie unter dem Kreuz kläglich geheult, die Hände gewunden, sich die Haare ausgerauft oder andere Kennzeichen eines ungeduldigen Gemüths von sich blicken ließ, sondern weil sie schon in der Schule des Kreuzes geübt war und eine Einsicht in das Geheimniß des Leidens Jesu hatte, auch erkannte, was für eine Herrliche und selige Frucht zum Besten des ganzen menschlichen Geschlechts daraus erwachsen würde, so hat sie ihre Seele bei diesen schweren Umstanden desto leichter in Geduld fassen können.

Es stand aber auch zum Andern neben ihr der Jünger, welchen Jesus lieb hatte. Was mag das wohl für ein Jünger gewesen sein? War es etwa Petrus, der sich vermessen hatte, mit seinem Meister in den Tod zu gehen? War es etwa Thomas, welcher Joh. 11, 16. gesagt: „Lasset uns mitziehen, daß wir mit ihm sterben?“ Nein, keiner von beiden. Dieser hatte sich mit den Uebrigen verlaufen, und jener lag etwa irgendwo in einer Höhle und beweinte seine Treulosigkeit; sondern es war Johannes. Nicht derjenige, der die größte natürliche Herzhaftigkeit, sondern der die zarteste Liebe zu Jesu Christo hatte, der hielt Stand bei seinem Kreuze.

Es wird aber bei dieser Beschreibung, wo es heißt: „Der Jünger, den Jesus lieb hatte“, angezeigt, daß die Liebe Jesu Christi der göttliche Magnet sei, welcher Johannes an das Kreuz herangezogen und an dasselbe gleichsam befestigt habe. Im Uebrigen pflegt sich Johannes, besonders in der Passions- und Ostergeschichte, also zu beschreiben, wenn er seinen eigenen Namen nicht ausdrücken will. Denn da hatte die Liebe im Kreuz die Probe ausgehalten und war auf Seiten Johannis von den Schlacken einer bloß menschlichen Anhänglichkeit gereinigt worden. Hiemit gibt er uns ein schönes Exempel, wie auch wir uns unter die zarteste Liebe des Herrn Jesu verstecken und unter diesem göttlichen Schirm in aller Demuth verborgen zu sein suchen sollen. Ach, selig ist eine Seele, die Jesus lieb hat, und die ihn wieder herzlich liebt. Selig ist der, auf dessen Leichenstein man die Wahrheit schreiben kann: „Hier liegt ein Jünger, den Jesus lieb hat.“

Diese zwei Personen nun, Maria und Johannes, sah der Herr Jesus von seinem Kreuze herab. Sie sahen ihn an, und er sah sie wieder an. Zweierlei haben wir hierbei zu merken.

1) Daß das Leiden des Herrn Jesu durch den Anblick seiner betrübten Mutter nicht wenig vermehrt worden ist. Sein allwissendes Auge sah die innigste Wehmuth ihres Geistes, und wie ihr blutendes Herz aus einer Ohnmacht in die andere sank. Durch diese Schmerzen seiner Muter, an welchen er durch sein kindliches Mitleid Antheil nahm, wurden seine Schmerzen vergrößert.

Zum 2) aber haben wir hier an Christo zu bewundern die ungemeine Fassung seines Gemüths, da er so vollkommen bei sich selbst gewesen, daß er in seinen größten Schmerzen ohne Zerrüttung seiner Gedanken alles, was um sein Kreuz herum vorgegangen, so genau gesehen und in Acht genommen. Wie denn in der ganzen Passion die Augen dieses getreuen Hirten unter allem Getümmel auf seine armen und verlassenen Schafe gerichtet gewesen. Da er vor dem geistlichen Gerichte stand und daselbst zum Tode verurtheilt wurde, so gedachte er an Petrus, der ihn dreimal verläugnet hatte, wandte sich daher um und sah ihn mit einem so beweglichen Blick an, daß sein Herz dadurch zerschmolzen und seine Augen in Thränenquellen verwandelt wurden. Und hier, da er nun die Todesstrafe aussteht, wozu er dort verurtheilt worden war, richtete er gleichfalls seine durch Wachen und Thränen geschwächten Augen auf seine erblaßte Mutter und den neben ihr stehenden Jünger. Das mag wohl heißen: „Wie er hat geliebet die Seinen, so liebet er sie bis an's Ende“, Joh. 13, 1. So wird denn auch eine jede Seele, die ihm treu ist in der Liebe, erfahren, was da steht Ps. 33, 18.: „Des Herrn Auge siehet auf die, so ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen.“ Und Hiob 36, 7.: „Er wendet seine Augen nicht von dem Gerechten.“ Wohl denen, die da sagen können: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“, Ps. 25, 15., auf die wird der Herr wieder sein Auge richten und ihnen mit demselben „rathen“, Ps. 32, 8. Das war denn also die Gelegenheit, welche unserm Heilande zur Aussprechung dieses dritten Wortes gegeben wurde.

II. Der Inhalt des dritten Wortes

Laßt uns nun auch den Inhalt desselben betrachten. Es besteht derselbe aus einer doppelten Anrede, wovon die erste an seine Mutter gerichtet war, die andere aber an den Jünger, den Jesus lieb hatte.

Die erste Anrede heißt: „Weib, siehe, das ist dein Sohn.“ Diese Anrede ist hergeflossen aus einer zarten und mitleidigen Liebe. Maria war allem Ansehen nach bereits ihres Mannes, des Joseph, durch den Tod beraubt und lebte also nun im Wittwenstande. Da ihr nun ihr einiger Sohn auch entrissen wurde, zu dem sie bisher ihre Zuflucht genommen und in allem Kreuz und Elend von ihm bewahrt, getröstet und beschützt worden, so dachte sie ohne Zweifel, wer wird doch mich armes, verlassenes Weib hinfort schützen und sich meiner annehmen? Ich werde nun gleich sein einem einsamen Vogel auf dem Dache, und werde, da ich nun alles Trostes beraubt bin, die Bitterkeit des Wittwenstandes desto empfindlicher schmecken. Durch diese ängstlichen Gedanken der Mutter wurde das Herz ihres lieben Sohnes kräftig bewegt und mit einer innigen Begierde, sie zu trösten und aufzurichten, angefüllt. Daher sprach er denn zu ihr: „Weib, siehe, das ist dein Sohn.“

Wir treffen hier an 1) die Anrede, und 2) den Vortrag.

Die Anrede geschieht mit dem Worte „Weib!“ Dabei fragt man billig, warum der Herr Jesus nicht den Mutternamen gebraucht habe? Es mag aber solches etwa aus folgenden Ursachen geschehen sein: erstlich weil er jetzt in seinen allerwichtigsten Amts-Verrichtungen begriffen war, worin er nicht von seiner Mutter, sondern von der Vorschrift seines himmlischen Vaters abhing. Wie er schon ehemals bei seinem ersten Wunderwerk zu Cana in Galiläa, als Maria ihm etwas vorschreiben wollte, sie mit dieser Antwort abgefertigt hatte: „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?“ Joh. 2, 4., und ihr also zu verstehen gegeben, daß sie sich nicht in die Verrichtungen seines prophetischen Amtes zu mischen hatte, so war sie nun vielmehr zu erinnern, daß sich ihre mütterliche Autorität über sein hohepriesterliches Amt gar nicht erstrecke. Er hatte zwar Leib und Seele, und also seine wahre Menschheit von ihr empfangen, oder vielmehr selbst angenommen, er war aber jetzt darin begriffen, beides, Leib und Seele, seinem Vater aufzuopfern. Hier mußte also die Mutter zurückstehen und sich alles Rechts an diesen ihren Sohn begeben. Es geschah zum Andern auch darum, weil er durch den Mutternamen ihr ohnedem schon blutendes Herz nicht noch mehr verwunden wollte. Zum Dritten aber hat er vornehmlich mit dieser Benennung zurückweisen wollen auf das erste Evangelium, 1 Mos. 3, 15., worin ein Weibessame verheißen worden, welcher der Schlange den Kopf zertreten und von ihr in die Fersen gestochen werden sollte. Da nun Maria am Kreuz seine blutenden Fersen vor Augen hatte, sollte sie daran gedenken, daß diese erste Verheißung nunmehr in ihre Erfüllung gehe, und sollte sich auch dadurch trösten und zur Bewunderung der Liebe und Weisheit Gottes erwecken lassen, der denjenigen Schaden, welcher durch das erste Weib verursacht worden, durch einen Weibessamen wieder ersetzt und das Gericht über den Verführer des ersten Weibes zum Siege ausgeführt.

Auf diese Anrede folgt der Vortrag selbst, welchem das kleine Wörtlein siehe vorgesetzt wird. „Siehe, das ist dein Sohn.“ Wie der Herr Jesus dieses Wort niemals vergebens gebraucht hat, so ist leicht zu erachten, daß er es jetzt am allerwenigsten vergeblich und überflüssig werde gebraucht haben, da seine Zunge vor Durst am Gaumen klebte. Mit diesem siehe thut hier der unerschaffene Engel des Bundes, welcher ehemals in 1. Mos, 21, 18. der Hagar ihre Augen öffnete, daß sie einen Wasserbrunnen zu ihrer Erquickung sehen konnte, auch seiner bekümmerten Mutter die Augen auf, daß sie denjenigen Trost erkennen konnte, welchen er ihr in diesem Wort zugedacht hatte.

„Siehe“, spricht er, „das ist dein Sohn“, oder wie es noch kürzer heißt: „Siehe, dein Sohn!“ Bei welchem Worte er ohne Zweifel seine Augen auf den neben ihr stehenden Johannes gerichtet, weil er mit seinem Finger, da seine Hände an das Kreuz genagelt waren, nicht auf denselben zeigen konnte. Er wollte aber hiemit so viel zu seiner Mutter sagen: Du hast nicht Ursache, dich so sehr zu betrüben, daß du an mir einen so treuen und gehorsamen Sohn verlierst, der dich getröstet und versorgt hat. Denn siehe, hier steht einer von meinen liebsten Jüngern, der so oft an meiner Brust gelegen, der soll hinfort meine Stelle vertreten und an meiner Statt dich verpflegen, lieben und versorgen. Und das war die erste Anrede.

Die andere Anrede geschah an den Johannes. „Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter!“ Hiemit gibt er dem Johannes die Anweisung, daß er hinfort die Maria für seine Mutter halten und ihr alle die Pflichten der Liebe und Ehrerbietigkeit erweisen solle, welche ein rechtschaffenes Kind seiner Mutter zu erweisen schuldig ist. Johannes wird ohne Zweifel schon vorher die Maria wegen der nahen Anverwandtschaft herzlich geliebt haben, nun aber liebte er sie noch viel mehr, da sein sterbender Meister ihm diese werthe Person gleichsam in seinem letzten Testamente angewiesen und anbefohlen hatte.

Daher wird denn auch hinzugesetzt: „Von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ Es war also ferne von Johannes, daß er sich diesen Befehl seines Meisters hätte entgegen sein lassen, oder daß er darüber geklagt, daß man ihm eine solche Last auflegen wolle. Er dachte nicht, woher will ich die Mittel nehmen. Maria zu versorgen? Zwei Mäuler essen gleichwohl mehr als eines, wer weiß, was noch für schwere Zeiten kommen können? Und überdem habe ich Ursache, selbst auf einen Nothpfennig bedacht zu sein, damit ich in meinem Alter Etwas zu leben habe. Nein, solche Gedanken, welche Mißgeburten des Geizes sind, kamen nicht in dieses edle Gemüth, sondern er vollstreckte diesen Befehl seines sterbenden Heilands mit einem willigen und einfältigen Gehorsam. „Von der Stunde an nahm sie der Jünger in sein Haus zu sich.“ Damit bewies er, daß er nicht allein der Jünger sei, den Jesus lieb hatte, sondern daß er auch Jesum wieder lieb hatte. Denn das sind zwei unbetrügliche Kennzeichen, daß wir den Herrn lieben, wenn wir „seine Gebote halten“, Joh. 14, 21., und wenn wir „Kinder Gottes“ und arme Glieder Christi aufrichtig und ohne Eigennutz „lieb haben“, Joh. 5, 2.

Nun möchte vielleicht Mancher bei diesem Worte des Herrn Jesu, welches dem ersten Ansehen nach nur etwas Leibliches betrifft, denken, ob denn der Herr nicht höhere Geheimnisse von seinem Kreuz vorzutragen gehabt, und ob er nicht nöthigere Dinge hätte reden können, daß er sich um solche Kleinigkeiten bekümmert und sich in seinen letzten Stunden mit solchen äußerlichen Sachen aufgehalten? Ja, so urtheilt die blinde und dabei hochmüthige Vernunft, welche immerdar die Worte und Werke ihres Schöpfers zu tadeln sucht. Aber das aufgeklärte Auge des Glaubens erblickt in dieser Handlung Tiefen der Liebe und Weisheit Jesu Christi. Laßt uns demnach einen Versuch machen, tiefer in die geheimnißvolle Handlung des Sohnes Gottes hineinzuschauen und zu erkennen, was uns unser Heiland für heilsame, für nöthige und unentbehrliche Lehren darin habe geben wollen. Ein jeder aber seufze innerlich zu dem Herrn, daß er ihm offene Augen schenken wolle, diese Wunder zu sehen.

Erstlich sehen wir daraus, daß der Herr Jesu auch die Sorge für unsere leiblichen Umstände auf seinem Herzen trage und sie als einen Theil seines Amtes ansehe. Unser treuer Heiland weiß wohl, wie seine armen Nachfolger in's Gedränge kommen, wie kümmerlich sie sich durchdringen müssen, und wie die Welt Niemanden den Brodkorb höher zu hängen suche, als denen, die ihm angehören, und sich um des Gewissens willen derjenigen Ränke nicht bedienen wollen, wodurch andere reich werden und emporkommen. Daher hat er sie nicht nur die vierte Bitte zu beten gelehrt: Unser täglich Brod gib uns heute; sondern er sorgt auch daselbst für sie, und nimmt ihre Nothdurft zu Herren. Selbst nach seiner Auferstehung, da er bereits in ein verklärtes Leben eingetreten war, fragte er Joh. 21, 5. seine Jünger: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ und da sie antworteten: nein, so verschaffte er, daß sie Etwas bekamen. Diesem treuen Herzen sollen wir denn alle Sorge überlassen und ihm alle unsere Wege anbefehlen. Zu diesem treuen Herzen sollen besonders alle arme und verlassene Personen, alle einsame Wittwen, alle, die keinen Fürsprecher in der Welt kennen, ein gutes Vertrauen fassen und gewiß glauben, daß er zu der Zeit, wenn sie es am nöthigsten haben werden, schon werde Leute zu erwecken wissen, die sich ihrer annehmen, ob sie ihm gleich in den Umständen nichts vorschreiben, sondern solches seiner Liebe und Weisheit überlassen müssen.

Zum Zweiten hat der Herr in diesen Worten das vierte Gebot bestätigt, und dasselbe mit seinem heiligen Blute gleichsam eingesalbt, indem er hier allen Kindern ein Exempel gegeben, wie sie für ihre armen und verladenen Eltern sorgen sollen. Es liegt also hierin eben dieselbe Lehre, welche Paulus 1 Tim. 4, einschärft, da er v. 4. spricht: „So aber eine Wittwe Kinder oder Neffen“ (das ist Kindeskinder) „hat, solche laß zuvor lernen, ihre eigenen Häuser göttlich regieren, und den Eltern gleiches vergelten; denn das ist wohlgethan und angenehm vor Gott.“ Deßgleichen im 8. Vers: „So aber Jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist ärger denn ein Heide.“ Deßgleichen im 26. Vers: „So aber ein Gläubiger oder Gläubigen Wittwen hat, der versorge dieselbe, und lasse die Gemeine nicht beschweret werden, auf daß die, so rechte Wittwen sind, mögen genug haben.“ Daraus erhellt also deutlich, daß solche Kinder Christo keineswegs angehören, die ihre armen Eltern liegen, verderben und umkommen lassen, entweder aus Geiz, weil sie ihnen nichts von ihren zeitlichen Gütern mittheilen wollen, oder aus Hochmuth, weil sie sich derselben schämen.

Zum Dritten lernen wir aus diesen Worten, daß es dem Sinn Christi nicht zuwider sei, wenn man die Grenzen des vierten Gebots weiter ausdehne, als der Buchstabe mit sich zu bringen scheint, das ist, wenn man unter dem Namen des Vaters und der Mutter nicht nur die natürlichen Eltern versteht, die uns gezeugt haben, sondern auch alle die Personen mit darunter begreift, die der Eltern Stelle vertreten, und durch welche uns der rechte Vater über Alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden, allerlei Gutthaten zufließen läßt. Diese Ausdehnung des vierten Gebots hat demnach der Herr Jesu hier von der Kanzel seines Kreuzes bestätigt, da er Maria eine Mutter Johannes, und Johannes einen Sohn Maria nennt, welcher doch sein natürliches Leben nicht von ihr empfangen hatte.

Zum Vierten hat er hiemit die natürliche Liebe, welche zwischen Eltern und Kindern, zwischen Freunden und Anverwandten ist, geheiligt. Denn die Natur wird durch die Gnade Jesu Christi nicht zerstört, sondern vielmehr gereinigt und verbessert. Durch das Christenthum wird keineswegs ein unfreundliches Wesen eingeführt, noch die menschliche Gesellschaft zerrüttet, wie sich die blinde Welt einbildet und daher das Christenthum mit so scheelen Augen ansieht, sondern es werden alle Baude der menschlichen Gesellschaft dadurch geheiligt und noch fester zugezogen. Man lernt in der Schule Christi seine Freunde und Anverwandten lieben, nicht nur darum, weil sie uns angehören, sondern weil sie Jesu Christo angehören, und weil man das Bild des Erstgebornen unter vielen Brüdern an ihnen erblickt, welchem man alle Liebe und Ehrerbietigkeit schuldig ist.

Zum Fünften hat unser sterbender Heiland hiemit auch die Vormundschaft heiligen wollen, indem er als der allerhöchste Vormund, als der Erbe aller Dinge, dieselben unter seine höchste Aufsicht genommen hat. Wer sich demnach an dieser, obgleich menschlichen, doch von Gott gebilligten Ordnung vergreift, der ladet damit eine schwere Schuld auf sich.

Zum Sechsten, da in diesen Worten gleichsam das letzte Testament des Herrn Jesu enthalten ist, worin er über seine Mutter, als seinen werthesten Schatz auf dieser Welt, Anordnung trifft, und Johannes gleichsam zum Erben desselben eingesetzt, so lernen wir daraus, daß ein sterbender Christ sich nicht versündige, wenn er auch wegen seiner leiblichen Väter, die ihm Gott verliehen, seinen letzten Willen entdeckt, und darin verordnet, wie es mit seinen Angehörigen nach seinem Tode gehalten werden soll; wenn man nur nicht sein Gemüth zu sehr dabei zerstreut und sich nicht den wenigsten Rest seiner Gnadenzeit durch irdische Sorgen rauben laßt, auch sonst nicht sündlichen Leidenschaften dabei nachhängt. Wie man denn besonders dabei zuzusehen hat, daß man die Liebe, die man den Seinigen vor Gott schuldig ist, nicht verletze, besonders aber daß man keine Feindschaft darin spüren lasse, und durch Ausschließung derer, die es sonst würdig und bedürftig wären, aber uns einmal beleidigt hätten, zu erkennen gebe, daß man ein rachgierig Herz mit ins Grab nehmen wolle, als welches mit dem Christenthum nicht bestehen könnte.

Zum Siebenten hat er uns damit lehren wollen, wie ein Jeder sich befleißen solle, seinem Nächsten dieses elende Leben zu versüßen, und es demselben durch seinen liebreichen Beistand leichter und erträglicher zu machen. Wie Sirach 17, 12. sagt, daß bei der Erlösung der Kinder Israel aus Egypten Gott einem Jeden seinen Nächsten anbefohlen habe, so sehen wir, daß auch hier, bei der wahren Erlösung aus der Gewalt der Sünden und des Todes, einem Jeden sein Nächster anbefohlen werde. Es verdammt demnach hiemit der Sohn Gottes von seinem Kreuz herunter dieselbe Lebensregel, welche der Unglaube und die Lieblosigkeit eingeführt hat: Ein Jeder für sich, Gott für uns Alle; und welche gerade dem letzten Willen unsers Heilandes entgegen ist, da er befohlen, daß man auch für seinen Nächsten sorgen solle.

Zum Achten hat er insonderheit in der Person Johannes allen Lehrern seiner Kirche die Sorge für die Armen anbefehlen und solche auf ihr Herz binden wollen, so daß sie, wenn sie seine treuen Nachfolger sein wollen, auch mit Paulus müssen sagen können aus Gal. 2, 10.: Man befahl mir, der Armen eingedenk zu sein, welches ich auch fleißig bin gewesen zu thun.„ Denn obwohl christlicher Obrigkeit die Sorge für die Armen nicht entzogen, sondern vielmehr als ein gesegnetes Stück ihres Amtes angesehen wird, so sind doch auch Prediger verbunden, sich der Sache mit anzunehmen, wo die Armen nicht zur Gebühr verpflegt werden sollten.

Zum Neunten hat er uns hiemit lehren wollen, wie man das Gute, obwohl man selbst kein Vermögen und keine Gelegenheit hat, solle suchen, durch Andere auszurichten. Ein Nachfolger Christi soll seiner armen Mitglieder Mund sein, und wenn er ihnen selbst nach Wunsch nicht dienen kann, sie Andern, denen Gott Vermögen gegeben hat, anempfehlen und vortragen; welches denn diejenigen, denen das Anliegen armer Glieder Christi bekannt gemacht wird, nicht als eine verdrießliche Last anzusehen, sondern vielmehr für eine Wohlthat zu achten und sich zu freuen haben, wenn ihnen Einer von solchen, die Jesus lieb hat, bekannt gemacht wird, damit sie ihm von ihrem Vermögen dienen, seinen Hunger stillen, seine Blöße bedecken, oder ihn in seiner Krankheit erquicken können, welches der Herr an jenem Tage öffentlich rühmen wird.

Endlich zum Zehnten, da der Herr Jesus alle die für seine Mutter und für seine Brüder erkennt, welche den Willen thun seines Vaters im Himmel, Matth. 12,50., so hat jedes gläubige Kind Gottes dieses Wort Christi so anzunehmen, als ob es ihm selbst besonders gesprochen wäre, als ob er es selbst aus dem Munde Jesu Christi angehört, ja als ob dieser gute Hirte, der seine Schafe mit Namen ruft, ihn mit Namen genannt und angeredet hatte. Daher soll sich eine jede Seele, die den Sohn Gottes lieb hat, mit ihrem Glauben in dieß Wort fein tief hineinsenken und sich darin gleichsam vergraben und verschanzen, wenn sie von den Sorgen der Nahrung bestürmt wird. Derjenige, der seiner verlassenen Mutter einen Johannes zugewiesen, welcher ihr in ihrem Wittwenstande beistehen sollte, wird auch nach seiner Weisheit und Liebe uns treue und redliche Freunde zu erwecken wissen, zu welchen wir unsere Zuflucht nehmen und uns ihres Rathes und Trostes bedienen können, wenn wir derselben nöthig haben werden. Laßt uns nur demjenigen treu sein, der gesagt hat: „Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen“, Hebr. 13, 5. Er hat noch Niemand stecken lassen, der seine Hoffnung auf ihn gesetzt hat. Wie er hat geliebt die Seinen, so liebt er sie bis an's Ende. Ja, da er im Stande seiner tiefsten Erniedrigung so sorgfältig für die Seinen gewesen, so können wir vielmehr versichert sein, daß er jetzt in dem Stande seiner Herrlichkeit noch weit zärtlicher für dieselben sorgen und alle ihre leiblichen Umstände also einrichten werde, wie es ihnen zum ewigen Heil dienlich ist. Kommt demnach eine Noth heran, äußert sich eine neue Schwierigkeit, so laßt uns denken: „Der Herr wird's versehen.“ 1 Mos. 22, 8. 14, So werden wir mancher vergeblichen Sorge und Bekümmerniß, womit sich der Unglaube quält, überhoben sein und unter dem Schatten Jesu Christi, als unseres wahren Weinstocks, im Frieden sitzen können.

Gebet.

Treuer Heiland, Herr Jesu Christe, wir preisen Dich auch für dieses theure Wort, welches aus deinen Lippen geflossen, worin wir dein liebreiches Herz ausgedrückt sehen, und woraus wir zur Stärkung unseres Glaubens erkennen, wie Du die Namen der Deinigen, als der wahre Hohepriester, in deinem Amtsschild auf deiner Brust trägst, und diejenigen nicht verlassest, noch versäumst, die Dir treu sind in der Liebe, die Dir auch bis unter das Kreuz nachfolgen und in die Gemeinschaft deiner heiligen Schmach eintreten. Du wollest uns denn hiedurch erwecken, daß wir uns nicht vor deinem Kreuz fürchten, daß wir uns nicht durch Unglauben von deiner Nachfolge abschrecken lassen, daß wir kein Gehör geben der Stimme unseres Fleisches und Blutes und der verderbten Welt, als ob wir verhungern und sterben würden, wenn wir in einen wahren Ernst des Christenthums eindringen und eine Sorge für unsere Seele beweisen wollten. Gib, daß wir vielmehr deinen Worten und deinen so theuren glaubwürdigen Versicherungen trauen mögen, da Du gesagt hast: Nein, ich will dich nicht verlassen; nein, nein, ich will dich keineswegs versäumen. Gib uns denn Gnade, o Herr, daß wir es darauf wagen, daß wir Dich für treu halten, der Du solches verheißen hast, und da wir von Dir ein ewiges Leben hoffen, Dir auch ein Stück Brod zutrauen mögen. Erbarme Dich über uns und schreibe dieses dein drittes Wort tief in unser Herz hinein, sammt allen heilsamen Lehren, welche aus demselben stießen. Laß Dir alle armen und verlassenen Personen, alle Wittwen und Waisen zu deiner Vorsorge empfohlen sein. Stärke ihren Glauben und erwecke ihnen zu dieser lieblosen Zeit treue Herzen, die sich ihrer annehmen und sich freuen, daß sie deine Mitgehülfen in Versorgung und Erquickung der Armen sein sollen. Mache dieses dein Wort zu feurigen Kohlen, wodurch die erkaltete Liebe wieder erwärmt und entzündet werde, um deiner Liebe willen. Amen.

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autoren/r/rambach/das_3._wort.txt · Zuletzt geändert: von aj
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